die lehre vom caractÈre als zeitlose metapher oder: die charakterlehre - ein grundprinzip jeder...

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LV-Nr. 315.537, SS 10 SE: Architekturtheorie: Aufklärung und Revolutionsklassizismus Leiter: Dr. Michael Krapf Fachbereich für Kunst-, Musik- und Tanzwissenschaft UNIVERSITÄT SALZBURG DIE LEHRE VOM CARACTÈRE ALS ZEITLOSE METAPHER Oder: Die Charakterlehre - ein Grundprinzip jeder Architekturtheorie? Philipp Dollwetzel Matrikelnr.:0820518 14. Oktober 2010

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Nehmen wir an,der Charakter sei das Wesen oder die Stimmung eines Gegenstandes und könne durchBeobachtung äußerer Merkmale in hinreichender Weise bestimmt werden. Können dannauch prinzipiell ''gefühllose'' Dinge wie beispielsweise ein Bild, eine Skulptur oder einGebäude eine solche Stimmung besitzen? Die Lehre vom caractère, die sich im 18.Jahrhundert vor allem in Frankreich herausgebildet hat, beschäftigte sich mit genaudiesen Fragen im Bezug auf Architektur. Der französische Architekt Claude-NicolasLedoux (1736-1806) ist zwar nicht Urheber der Charakterlehre, aber dennoch einezentrale Persönlichkeit in ihrer Entwicklungsgeschichte. Die französischeCharakterlehre versucht Gebäude, Teile von Gebäuden, Dekorationselemente undProportionen mit Aussagen zu verbinden.

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Page 1: DIE LEHRE VOM CARACTÈRE ALS ZEITLOSE METAPHER Oder: Die Charakterlehre - ein Grundprinzip jeder Architekturtheorie?

LV-Nr. 315.537, SS 10SE: Architekturtheorie: Aufklärung und RevolutionsklassizismusLeiter: Dr. Michael KrapfFachbereich für Kunst-, Musik- und TanzwissenschaftUNIVERSITÄT SALZBURG

DIE LEHRE VOM CARACTÈREALS ZEITLOSE METAPHER

Oder: Die Charakterlehre - ein Grundprinzip jeder Architekturtheorie?

Philipp DollwetzelMatrikelnr.:082051814. Oktober 2010

Page 2: DIE LEHRE VOM CARACTÈRE ALS ZEITLOSE METAPHER Oder: Die Charakterlehre - ein Grundprinzip jeder Architekturtheorie?

Inhalt

1 Einleitung 3

1.1 Fragestellung 3

1.2 Forschungssituation 4

2 Der akademische Begriff 'usage' 4

3 Definition von 'caractère' 5

4 Entwicklung der Charakterlehre 6

5 Der Architekt und die Gesellschaft in der Theorie von Ledoux 9

6 Architecture parlante 11

7 Anwendung und Probleme der Charakterlehre bei Ledoux 13

7.1 Das Haus eines Reifenmachers (pl. 88) 14

7.2 Das Haus der Flussinspektoren der Loue (pl. 6) 14

7.3 Das Haus der Flurwächter (pl. 319) 14

7.4 Ein Gebäude mit Erziehungsfunktion - Das Oikema 15

7.5 Das Haus der Holzfäller (pl. 102) 15

8 Zwischenfazit 16

9 Rezeption und Weiterentwicklung der Charakterlehre im neunzehnten

und zwanzigsten Jahrhundert

16

9.1 Horatio Greenough (1805-1852) 17

9.2 Louis Sullivan (1856-1924) 18

9.3 Frank Lloyd Wright (1867-1959) 19

9.4 Adolf Loos (1870-1933) 20

9.5 Albert Speer (1905-1981) 21

9.6 Hans Hollein (*1934) 22

10 Angesprochen: architecture parlante in der Gegenwart 24

11 Zusammenfassung und Schlussfolgerung 24

12 Literaturverzeichnis 27

13 Abbildungsverzeichnis 30

14 Abbildungen 31

Page 3: DIE LEHRE VOM CARACTÈRE ALS ZEITLOSE METAPHER Oder: Die Charakterlehre - ein Grundprinzip jeder Architekturtheorie?

1 Einleitung

Was bedeutet es, wenn von einer Person behauptet wird, sie habe einen „schlechten

Charakter“, einen „guten Charakter“ oder sei schlichtweg „charakterlos“? Wenn man

Schopenhauer folgen mag, dann sei der Charakter eines Menschen anhand seiner Taten

erkennbar, nach anderer Meinung dasselbe auch anhand der Mimik. Es könnten hier

noch diverse andere Methoden und Ansatzpunkte (vornehmlich aus der Psychologie)

angeführt werden, was aber einer Einführung zuwiderlaufen würde. Denn im Prinzip

wird hierbei stets von äußeren, beobachtbaren Merkmalen oder Zuständen auf eine so

oder so geartete innere Verfassung des betrachteten Gegenstandes geschlossen. Das, was

abgelesen wird, wird dem Objekt also wesentlich zugeschrieben. Nehmen wir nun an,

der Charakter sei das Wesen oder die Stimmung eines Gegenstandes und könne durch

Beobachtung äußerer Merkmale in hinreichender Weise bestimmt werden. Können dann

auch prinzipiell ''gefühllose'' Dinge wie beispielsweise ein Bild, eine Skulptur oder ein

Gebäude eine solche Stimmung besitzen? Die Lehre vom caractère, die sich im 18.

Jahrhundert vor allem in Frankreich herausgebildet hat, beschäftigte sich mit genau

diesen Fragen im Bezug auf Architektur. Der französische Architekt Claude-Nicolas

Ledoux (1736-1806) ist zwar nicht Urheber der Charakterlehre, aber dennoch eine

zentrale Persönlichkeit in ihrer Entwicklungsgeschichte. Die französische

Charakterlehre versucht Gebäude, Teile von Gebäuden, Dekorationselemente und

Proportionen mit Aussagen zu verbinden. Jedes architektonische Element erhält somit

eine eigene Bedeutung. Eine bestimmte Kombination von Elementen verleihe dadurch

einem Gebäude einen eindeutig bestimmbaren Charakter. Die Lehre vom caractère

besitzt andere Kriterien als die traditionelle akademische Architekturtheorie des

achtzehnten Jahrhunderts. Dort wird die Gestaltung eines Gebäudes vor allem von der

usage, dem Gebrauchswert, bestimmt.

1.1 Fragestellung

Im Folgenden soll zuerst die Entwicklung der Lehre des caractère bis zu Ledoux

aufgezeigt werden, um dann die Auswirkungen dieser Theorie auf ausgewählte Vertreter

der nachfolgenden Architektengenerationen zu betrachten. Im Zentrum steht die Frage,

ob der caractère als eine zeitlose Metapher gesehen werden kann, d.h. ob die

Charakterlehre ein Prinzip wiedergibt, das in jeder Architekturtheorie bereits

vorausgesetzt wird, auch wenn dies nicht explizit ausformuliert ist.

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1.2 Forschungssituation

Eine systematische Untersuchung der Charakterlehre von Ledoux gibt es nicht, von

einer Forschungsgeschichte im engeren Sinne kann ebenfalls kaum gesprochen werden.

Der Fokus der wissenschaftlichen Betrachtungen zu Ledoux liegt meist auf seinen

utopischen Entwürfen, der Salinenstadt Chaux und im Besonderen auf seinem Einfluss

auf die Moderne durch Reduktion von Architektur auf geometrische Grundformen.

Dies war bereits in Emil Kaufmanns Pionierwerk „Von Ledoux bis Le Corbusier“ der

Fall und änderte sich auch bei späteren Autoren nicht. Hier seien unter anderem Michel

Gallet, Günter Metken und Anthony Vidler genannt. Detaillierte Informationen zur

Charakterlehre finden sich in der Literatur nur fragmentarisch. Beispielsweise taucht

Ledoux bei Michael Häberle nur am Ende eines zweiseitigen Kapitels über die

französische Charakterlehre auf. Häberle schien es dort eher um Ledoux' Lehrer

Blondel und seine Version der Theorie zu gehen. Anthony Vidler betont den

theoretischen Bruch zwischen Blondel und Ledoux und versucht Ledoux' neuen

architektonischen Ansatz anhand von ausschweifenden Architekturbeschreibungen zu

erklären, hinter denen die wenigen Anmerkungen zur Charakterlehre leider

verschwinden. Man vermisst allgemein eine kompakte Darstellung der theoretischen

Inhalte von Ledoux' Hauptwerk „L’Architecture considerée sous le rapport de l’art, des

moeurs et de la législation“ Ansätze hierzu finden sich bei Rosemarie Gerken in ihrem

Büchlein „Von der Repräsentationskunst zur Sozialkunst“. Und dies, obwohl bei ihr die

sozialutopischen Aspekte von Ledoux' Theorie den eigentlichen Schwerpunkt bilden.

Dies ist auch bei Bernhard Stoloff der Fall. Eine übergreifende Darstellung und

Einordnung schafft wohl am ehesten Hanno-Walter Kruft in seiner umfassenden

„Geschichte der Architekturtheorie“. Er stellt Entwicklung, Modifizierungen, Folgen

und Probleme der Charakterlehre nicht nur bei Ledoux sondern auch bei vielen anderen

zeitgenössischen Architekten dar. Zudem vergisst er es nicht, auch in späteren Kapiteln

immer wieder auf die klassische Charakterlehre zu verweisen. So erweist sich Kruft in

diesem Zusammenhang als aufschlussreichste Quelle.

2 Der akademische Begriff 'usage'

Gebrauchswertorientierte oder funktionalistische Theorien der Architektur finden sich

bei vielen Theoretikern des frühen achtzehnten Jahrhunderts, davon seien hier

stellvertretend Frémin, Claude Perrault und Jean Louis de Cordemoy erwähnt.1

1 Laut Cordemoy ist die Ästhetik (bienséance) von der Gewohnheit (commodité) und Funktion (usage),

4

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1734 wurden von der Akademie die Begriffe 'bon goût', 'ordonnance', 'proportion' und

'convenance' definiert und die Gebrauchswerttheorie damit zum akademischen Standard

erklärt: „Le bon goust consiste dans l'harmonie ou l'accord du tous et de ses parties.

L'harmonie qui donne aux ouvrages la qualité d'être de bon goust dépend de trois

conditions qui sont l'ordonnance, la proportion et la convenance. L'ordonnance est la

distribution des parties tant extérieurs qu'intérieurs. Elle doit dépendre de la grandeur

de l'édifice et de l'usage auquel il est destiné. La proportion est la règle des mesures

convenables qu'il faut donner au tout et aux parties suivant leur usage et leur places.

Elle est presque toujours fondée sur la belle nature dont elle nous fait imiter la sagesse.

La convenance est un assujettissement aux usages établis et reçus. Elle donne des règles

pour mettre chaque chose à sa place.”2 Der bon goût bestehe also aus einer Harmonie,

die auf ordonnance, proportion und convenance beruhe, welche wiederum alle von der

jeweiligen usage abhingen. Der Begriff 'usage' selbst wird nicht definiert, er sei intuitiv

klar. Er sei das, was „man jeweils von der Architektur verlangt: das Praktische,

Bequeme, Modische, etc. Die ästhetischen Kernbegriffe geraten in Abhängigkeit vom

Gebrauchswert der Architektur.”3 Diese Orientierung am Gebrauchswert steht konträr

zu der Orientierung an der Ausdrucksfunktion, wie wir sie in der Charakterlehre von

Ledoux vorfinden.

3 Definition von 'caractère'

Laut Häberle werden durch die Charakterlehre „Gebäudeteile und Dekorationselemente

(...) [aufgewertet], indem sie einzelne Motive mit speziellen inhaltlichen Aussagen

verbindet.”4 Kruft definiert: „Der caractère ist die Ausdrucksfunktion eines Gebäudes.”5

Der caractère hat in der Architekturtheorie des achtzehnten Jahrhunderts also „die

Aufgabe, die Zweckbestimmung von Gebäuden durch entsprechende Dimensionierung

und Dekoration unmittelbar einsichtig zu machen. Zugleich soll die Bedeutung der

jeweiligen Bauaufgabe und die soziale Rangstellung des Besitzers deutlich werden und

so den Anforderungen der 'convenance' genügen.”6

sowie von der sozialen Stellung des Bauherren abhängig. Er strebt eine Architektur auf der Basis voneinfachen geometrischen Formen an, zudem fordert er „die Einheitlichkeit des gesamten Baukörpers,aber zugleich die Selbständigkeit der einzelnen Raumteile.” Cordemoy war neben Frémin einer derWegbereiter des Funktionalismus und hatte große Auswirkungen u.a. auf Boffrand (Vgl. Kruft, 2004,158.)

2 Lemonnier, 1915, 142-143.3 Kruft, 2004, 161.4 Häberle, 1995, 144.5 Kruft, 2004, 167.6 Häberle, 1995, 144-145.

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4 Entwicklung der Charakterlehre

In die Architekturtheorie wurde der Begriff 'caractère' von Germain Boffrand (1667-

1754) eingeführt. Er legte damit den Grundstein für die sogenannte architecture

parlante. „Jedes Haus soll nach Boffrand vom Außenbau bis zur Einrichtung den

caractère seines Erbauers ausdrücken und ablesbar machen.”7 Zudem soll jedes

Gebäude über seine Funktion Auskunft geben. Die Architektur wird also zum

„Ausdrucksträger von Inhalten, die nicht mehr dem Bereich der Ästhetik angehören.

Allerdings bleibt die Formensprache und der bon goût von den ästhetischen Prinzipien

bestimmt, die sich ihrerseits an der Funktion auszurichten haben.”8 Er persönlich

schreibt: „chaque partie relativement au tout doit avoir une proportion et une forme

convenable à son usage.”9 Boffrand selbst löst sich somit noch nicht von der

Gebrauchswerttheorie.

Jaques-François Blondel (1705-1774) knüpft an Boffrand an. Er ist einer der

Hauptvertreter der Verbindung von caractère und convenance.10 Nach ihm hat jedes

Gebäude einen eigenen, ganz bestimmten Charakter. Ein Tempel muss demnach einen

Charakter des Anstands (décence) haben, ein königlicher Palast einen prachtvollen

Charakter (magnificence), öffentliche Gebäude einen großen Charakter (grandeur),

Festungsanlagen und andere Wehrgebäude einen Charakter der Festigkeit (solidité) und

so weiter.11 Innerhalb seiner Theorie herrscht eine strenge Hierarchie. „Der höchste

caractère ist derjenige der sublimité, der für Basiliken, öffentliche Gebäude und

Grabmäler des grands hommes vorbehalten ist.”12 Dem caractère übergeordnet ist der

Begriff 'style'. Der Stil ergibt sich aus dem Charakter eines Gebäudes. „Der caractère ist

der Ausdruck der Funktion, der style seine Wirkung. Caractère ist naif, simple, vrai;

style ist sublime, noble, élevé.”13 Blondel polemisiert gegen die funktionalistische

Architekturtheorie.14

Traditionell werden zur Unterscheidung des Charakters die Säulenordnungen

hergenommen. So besitzen Kirchen und Paläste korinthische, ländliche Gebäude eher

ionische und Wehrgebäude (z.B. Stadtore) dorische oder toskanische Säulen. Blondel

geht einen Schritt weiter und ordnet nun jedem einzelnen Bau- und Dekorationselement

7 Kruft, 2004, 162.8 Kruft, 2004, 162-163.9 Boffrand, 1745, 10.10 Zum Begriff 'convenance' siehe Knabe, 1972, 100-106. 11 Vgl. Häberle, 1995, 145; vgl. Kruft, 2004, 167.12 Kruft, 2004, 167.13 ebd..14 Vgl. Kruft, 2004, 168.

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einen bestimmten Charakter zu, so sollen sich beispielsweise Attiken und Balustraden

idealerweise für Paläste eignen, Giebel und Kuppeln dagegen besonders für Kirchen.15

Und auch die Ornamentik wird vollkommen durch die Ausdrucksfunktion bestimmt.16

„Jedes isoliert für sich gesehene Element des architektonischen Formenapparates wird

so zu einer autonomen Vokabel, der ein bestimmter Bedeutungsgehalt zugeschrieben

wird.”17

In den Theorien der Schülergeneration von Blondel löst sich der caractère nun von der

convenance, es entsteht die architecture parlante. „Ebenso wie gleiche Vokabeln in

völlig unterschiedlichen Satzzusammenhängen gebraucht werden, so können einzelne

architektonische Motive an den unterschiedlichsten Gebäuden auftauchen. (…) Es wird

allein entscheidend, Fassaden so beredt zu entwerfen, daß Aufgabe und Funktion der

Gebäude unmittelbar zu erkennen sind.”18 Mit sogenannten „attributiven Ornamenten”

bringt man Architektur am einfachsten zum sprechen. So dekorierte Ledoux

beispielsweise die Außenwände der Arbeiterwohnheime in der Saline von Chaux mit

Vasen, aus denen Sole zu fließen scheint (Abb. 1). An seinem Maison d'Union brachte

er als Sinnbild der Eintracht Faszes an (Abb. 2).19 Bei Neufforge und Boullée finden

sich Dekorationsentwürfe für Stadttore, deren wehrhafter Charakter durch Reliefs in

Form von Kanonenrohren anschaulich gemacht werden sollte.20

Weitere wichtige Einflüsse auf die Charakterlehre kamen von Nicolas Le Camus de

Mezières (1721-1789). Seine Theorie basiert auf einer Affektenlehre aus dem

siebzehnten Jahrhundert, wonach „der Anblick von Gebäuden die Seele berühre und

dort Gefühle hervorrufe.”21 Mit jedem Gebäude werde demnach eine Assoziation

verbunden. So könne der Architekt durch seine Architektur gezielt Gefühle hervorrufen.

Weiterhin kann man der Theorie nach den Seelenzustand eines Menschen objektiv

anhand seiner Mimik ablesen. Le Camus wendet dieses Prinzip auf Gebäude an und

behauptet, dass der jeweilige caractère einem Gebäude objektiv gegeben ist. Das würde

zur Folge haben, dass ein beliebiges Gebäude theoretisch auf jeden Betrachter in

derselben Art wirkt, eben weil der caractère ja objektiv vorliegt.22 Die Proportion eines

15 Vgl. Häberle, 1995, 145.16 Vgl. Kruft, 2004, 167.17 Häberle, 1995, 145.18 Häberle, 1995, 145-146.19 Vgl. Kaufmann, 1985, 30.20 Vgl. Häberle, 1995, 146.21 ebd..22 Vgl. Kruft, 2004, 174.

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Gebäudes besteht laut Le Camus in einer Harmonie von Massen, die durch den

caractère bestimmt werde und direkt aus der Natur entnommen sei.23

Das assoziative Prinzip von Le Camus stellt die Autonomie der architektonischen

Einzelformen auf eine scheinbar objektive Basis. Bauelemente werden „damit ganz im

Sinne einer Semantik der Architekturelemente zu eigenständigen Bedeutungsträgern.”24

Der Architekt kombiniert diverse Teile mit bestimmter Bedeutung zu einem Ganzen. Da

alle Teile einen Charakter besitzen, hat auch das Ganze einen Charakter, der vom

Architekten ganz gezielt konstruiert werden kann. „So führt die 'architecture parlante' in

ihrem Bemühen um ausdrucksstarke Charakterisierung zu einer Aufwertung einzelner

Formen und Fassadenmotive, die als eigenständige Bestandteile zu neuartigen Fassaden

zusammengestellt werden können.”25 Und dies ist auch bei Ledoux der Fall, so wählt er

beispielsweise für sein Pacifère (Haus des Friedens und des neuen Rechts) die Form

eines Würfels, den er als Symbol für Gerechtigkeit und Beständigkeit sieht (Abb. 3).

Hierzu schreibt er: „Der Bau, den meine Phantasie ersonnen hat, soll einfach sein wie

das Recht, das in ihm gesprochen wird.”26

Die oben genannten Personen wirkten natürlich nicht isoliert, auch andere Theoretiker

entwickelten Charakterlehren. So vertrat der Architekt Jean-Louis Viel de Saint-Maux

die Theorie, dass die antike Architektur symbolischen Charakter besitzt und deshalb

forderte er einen solchen Charakter auch für die Architektur seiner Zeit.27 Für Marc-

Antoine Laugier (1713-69) war die Verwendung der caractère-Lehre beinahe schon

selbstverständlich. Für eine speziell französische Architekturordnung schlug er vor, dass

sie dem caractère entsprechen soll, der die Nation Frankreich auszeichne: „Et qu'étant

regardée comme la Nation qui à l'ésprit le plus délicat et les moeurs les plus legères,

l'ordre françois soit le plus leger des ordres.”28 Marie-Joseph Peyre (1730-1785) besaß

ebenfalls eine caractère-Lehre, die auf Blondel aufbaut. „Der caractère von Architektur

wirkt unmittelbar assoziativ und emotional; er kann den Eindruck von le terreur, la

crainte, le respect, la douceur, la tranquilité, la volupté etc. auslösen. Bestimmte

Bautypen werden durch ihren caractère zu Symbolen ihrer Funktion. (...)

Maßstäblichkeit und Realisierbarkeit werden unwichtig. (...) Die Architektursprache

Peyres ist einem strengen Klassizismus verpflichtet. In einigen Entwürfen gelangt er

23 Vgl. Kruft, 2004, 175.24 Häberle, 1995, 146.25 Häberle, 1995, 147.26 Ledoux, zit. n. Kaufmann, 1985, 32. (Übersetzung durch den Verfasser)27 Vgl. Kruft, 2004, 175-176.28 Laugier, 1765, 276.

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jedoch bereits zu einer ornamentslosen Flächenbehandlung, die auf Ledoux

vorausweist.”29 Und auch Étienne-Louis Boullée (1728-1799), er sei hier nur am Rande

erwähnt, baute wesentlich auf Blondel und Le Camus auf.30

Aber auch außerhalb Frankreichs bildeten sich im achtzehnten Jahrhundert

Charakterlehren heraus. So findet sich eine solche bei Francesco Milizia (1725-98).31

Auch Isaac Wares' (gest. 1766) Architekturtheorie enthält Elemente, die mit den

Theorien von Boffrand in engem Zusammenhang stehen und auf Ledoux

vorausweisen.32 Der Engländer William Chambers (1723-1796) „reflektiert die Rolle der

Architektur für die Gesellschaft ähnlich intensiv, wie es gleichzeitig in Italien Milizia, in

Frankreich Ledoux und in Deutschland Sulzer tun, doch erliegt er nicht der Gefahr der

Selbstüberschätzung wie etwa Ledoux.”33 Und John Wood (1728-81) schreibt: „a palace

is nothing more than a cottage improved.” Er begreift die Arbeiterwohnung erstmals als

eine zentrale Aufgabe des Architekten und weist auf Ledoux' Gedanken der

Gleichwertigkeit von Architektur voraus.34

5 Der Architekt und die Gesellschaft in der Theorie von Ledoux

Ledoux wollte eine Architektur entwerfen, die alle vorhanden Aufgaben deckt. Zudem

lehnte er einen zu strengen Funktionalismus genauso ab wie einen neoklassischen

Historismus.35 In seiner Theorie setzt er eine konkrete soziale Struktur voraus, sie ist

Basis seiner Lehre vom caractère.36 In dieser Hinsicht tut er es seinem Lehrer Blondel

gleich, der ebenfalls eine feste, aber streng hierarchische soziale Struktur annahm. Trotz

diesem gemeinsamen Ansatz weicht Ledoux deutlich von seinem Lehrer ab, denn wie

wir gesehen haben, unterscheidet Blondel die Wertigkeit der Bauaufgaben anhand der

gesellschaftlichen Ränge der Auftraggeber. Bei Ledoux verschwinden diese

Rangunterschiede. Der Architekt könne sowohl für arme als auch reiche Menschen

Gebäude errichten, ohne, dass diese Aufgabe für ihn ungebührlich werde. Die Basis für

die Ansicht bildet eine Naturrechtslehre, in der dem Menschen, egal welches Ranges,

ein natürliches Recht auf eine Behausung zugesprochen wird.37 Die Bauaufgaben seien

29 Kruft, 2004, 174.30 Vgl. Kruft, 2004, 177-181.31 Vgl. Kruft, 2004, 228-232; vgl. Kaufmann, 1985, 30.32 Vgl. Kruft, 2004, 276-278.33 Kruft, 2004, 285.34 Vgl. Kruft, 2004, 289.35 Vgl. Vidler, 2006, 70.36 Vgl. Kruft, 2004, 181.37 Er schreibt: „ce vaste univers qui vous étonne, c'est la maison du pauvre, c'estla maison du riche que

l'on a dépouillé.” (Ledoux, 1804, 104.)

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gleichberechtigt. Die jeweiligen Bauten unterschieden sich nur in der Größe und im

caractère.38 Kaufmann spricht hier von einem „architektonischen Universalismus.”39

Ledoux betont sogar, dass die sozialen Unterschiede sich gegenseitig stützen: „Das

Haus des Armen, durch sein bescheidenes Äußeres, wird die Pracht des Hotels des

Reichen zur Geltung bringen.“40 Folglich ist die Architektur Spiegel der sozialen

Ordnung.41 Kruft betont, dass diese Gleichwertigkeit keine Gleichheit im Sinne von

faktischer égalité ist, sondern eine égalité morale innerhalb der sozialen Ordnung.42 Das

heißt, die soziale Ordnung selbst wird zuerst im wesentlichen nicht verändert, sondern

nur der Bezug der Architektur und des Architekten zur Gesellschaft. Aus dieser

Veränderung heraus kann laut Ledoux die Architektur (wie auch die übrige Kunst)

verändernd auf die Gesellschaft wirken.43 Ähnliche Ansätze hierfür finden sich bereits

bei Charles-Etienne Briseux (1660-1754), der in seinem fünfteiligen Traktat

ausschließlich Entwürfe für Pariser Stadthäuser für Bewohner aller sozialer Klassen

präsentierte.44 Briseux nutzte hier ebenfalls Boffrands Lehre vom caractère.45

Dieser Gedanke der Gleichwertigkeit hat auch Auswirkungen auf die einzelnen

architektonischen Bauelemente. Sie werden aus dem strengen hierarchischen Korsett

befreit. „Säulenordnungen sind nicht mehr Standesabzeichen, sondern können auch an

reinen Zweckgebäuden auftreten, wenn es in ihrem caractère begründet ist.”46 Ledoux

durchbrach die strenge Zuordnung der Säulenordnungen, indem er 1772 den Eingang

des Pariser Stadtpalais' der Tänzerin Guimard mit Säulen schmückte (Abb. 4). Mit

dieser Handlung erzeugte er viel Unmut und Unverständnis bei den Theoretikern seiner

Zeit.47

Gemäß dieser Haltung besitzt der Architekt innerhalb der sozialen Ordnung eine

Führungsrolle. „Er hat politische, moralische, gesetzgeberische, kultische und an der

Regierung beteiligte Aufgaben.“48 Er ''reinigt'' das soziale System. Der Architekt kann

38 Vgl. Kruft, 2004, 182; vgl. Stoloff, 1983, 104.39 Kaufmann, 1985, 38; vgl. Gerken, 1987, 83-84.40 Ledoux, 1804, 1. (Übersetzung durch den Verfasser)41 Vgl. Kruft, 2004, 182; vgl. Gerken, 1987,85.42 Vgl. Kruft, 2004, 183.43 Vgl. Gerken, 1987, 84, 87-88.- Ledoux wendet sich vom architektonischen Komplex der Großstadt

ab. Diese Tendenz geht einerseits auf Rousseau zurück, andererseits wahrscheinlich auf Francois-NoelBabeuf (1764-97). Babeuf lehnte Großstädte „wegen der Ungleichheit der Bürger” ab, er sah in ihnen„die Ursache des Lasters”. Ledoux äußert sich in ähnlicher Weise zur Großstadt. (Vgl. Kruft, 2004,183; vgl. Kaufmann, 1985, 37-38.)

44 Vgl. Kruft, 2004, 163.45 Vgl. Kruft, 2004, 165.46 Kruft, 2004, 183-184.47 Vgl. Gerken, 1987, 96-97.48 Kruft, 2004, 182.-Moral wird von Ledoux als religion active verstanden. Dies deutet einen Bezug auf

Rousseau an, aber es finden sich auch deutliche Parallelen zu Voltaire. Ledoux erweist sich auch als

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durch seine Architektur die Bürger erziehen. Ledoux strebt also eine Steigerung der

Stellung des Architekten innerhalb der sozialen Ordnung an. Die Architektur soll die

gesellschaftlichen Zusammenhänge ausdrücken, aber auch verändern.49

6 Architecture parlante

Ledoux entwirft dieser Theorie folgend Gebäude für die niederen und mittleren

Schichten der Gesellschaft. Betrachtet man die Entwürfe näher, so erhält man

unweigerlich den Eindruck, diese dienten nur als „Vorwand für die Darstellung

geometrischer Körper, deren Formenwahl jeweils durch ihren caractère begründet”

werde.50 Es geht ihm dabei anscheinend kaum um die Anpassung der Architektur an die

Bedürfnisse der Bewohner. Er löst die geometrischen Figuren Kreis und Quadrat und

die daraus abgeleiteten Figuren wie Zylinder, Kugel, Würfel, Kegel oder Pyramide aus

dem klassizistischen Regelwerk heraus, indem er ihre Herkunft aus der Natur betont:

„Toutes les formes sont dans la nature. Le Cercle, le carré, voilà les lettres alphabétiques

que les auteurs emploient dans la texture des meilleures ouvrages.”51 Die einzelnen

geometrischen Elemente eines Baus werden, wie oben erläutert, Zeichen mit einer

eigenen Semantik, zusammengesetzt ergeben sie eine Form mit Inhalt.52 Ledoux

übernimmt in diesem Zusammenhang also die Gedanken von Le Camus. „Innerhalb des

neuen [architektonischen] Verbundes müssen die elementaren Zeichen erkennbar

bleiben, können aber weder herausgelöst noch durch andere ersetzt werden, ohne die

Harmonie und damit letztlich die gesamte Komposition zu zerstören.”53

Der feinste Appell an die Empfindungen wird laut Ledoux nur durch das Majestätische

bzw. das Erhabene hervorgerufen. Wobei das Erhabene bei ihm eine andere Bedeutung

hat als bei Blondel, bei dem es einen hohen Anspruch oder eine einschüchternde

Wirkung beschreibt. Für Ledoux ist die Erhabenheit ein „allumfassender Gestus für alle

öffentlichen Bauten, ein Garant für ihre emotionale und intellektuelle Wirkung; denn sie

sollten Typus und Genre nicht nur repräsentieren, sie sollten die ihnen innewohnenden

Ideen wahrhaft ausdrücken und heftige Gefühle im Betrachter auslösen.”54 Ledoux

Anhänger der Theorie des Gesellschaftsvertrags nach Rousseau. (Vgl. Kruft, 2004, 182; vgl. Gerken,1987, 81-82; vgl. Stoloff, 1983, 116.)

49 Vgl. Kruft, 2004, 182; vgl. Stoloff, 1983, 110-112; vgl. Gerken, 1987, 143-150.- DieseErziehungsfunktion findet sich auch in der deutschsprachigen Kunsttheorie beispielsweise bei JohannGeorg Sulzer. (Vgl. Kruft, 2004, 212.)

50 Kruft, 2004, 184.51 Ledoux zit. n. Gerken, 1987, 102; siehe zudem Kaufmann, 1985, 30.52 Vgl. Vidler, 2006, 70-71.53 Gerken, 1987, 102-103.54 Vidler, 2006, 71.

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bezieht hier und im besonderen bei der Gestaltung der Saline in Chaux Ideen von

Edmund Burke (1729-1797) mit ein, der unter anderem über das Erhabene schrieb, dass

es aus dem Schrecken abgeleitet ist. Man solle allein „die Schönheit der Masse” nutzen,

um zum Erhabenen zu gelangen.55 Ornament sei nur erlaubt, wenn es den caractère des

Gebäudes unterstreicht. Bei Ledoux verschwindet das Ornament weitgehend, es zählt

die Ästhetik der „ornamentlosen geometrischen Form und der Ungebrochenheit der

Linie.”56 Er selbst schreibt hierzu: „Die Einheit des Schönen (...) besteht im Verhältnis

der Massen mit den Details oder den Ornamenten, in der Ungebrochenheit der Linien,

die es nicht erlauben, dass das Auge durch schädliches Beiwerk abgelenkt wird.”57

Ledoux sieht die griechische Ordnung als Vorbild, aber nicht als verpflichtende Regel.

Der Architekt ist in diesem Sinne frei, sollte sich aber an eine sogenannte, nicht näher

präzisierte „Einheit des Denkens” halten und sich an den „Richtlinien des

Formenwechsels, den Gesetzen der Harmonie (de loix de la convenance), der

Sittlichkeit (bienséance) und der Ökonomie” orientieren.58

„Durch eine intensive, fortdauernde Erforschung der Natur und der ihr innewohnenden

Gesetzmäßigkeiten entwickelt Ledoux seinen Geschmack. Dabei läßt er die Architektur

vergangener Epochen, in der die natürlichen Gesetzmäßigkeiten wiederzuerkennen sind,

nicht außer Acht. Der Geschmack ist an keinen Stil gebunden, keiner Mode unterworfen

und keiner Autorität verpflichtet: Le goût est indépendant des caprices du jour.”59

Ledoux wendet sich damit gegen die akademischen Vorgaben. Zwar benutzt er in

seinem Werk die Terminologie der Akademie, zentrale Begriffe werden von ihm aber

mit neuen Bedeutungen versehen. Seine Begrifflichkeit bleibt dabei teilweise völlig

vage:60

varieté (Abwechslung, Vielfalt):

• verleiht jedem Gebäude die ihm angemessene Physiognomie

• gibt Inspiration

convenance (Eignung, Zweckmäßigkeit):

• Berücksichtigung der sozialen Ordnung, des Baugeländes, der Funktion und der

Kosten

55 Vgl. Vidler, 2006, 72.56 Kruft, 2004, 182.57 Ledoux, 1804, 10. (Übersetzung durch den Verfasser)58 Stoloff, 1983, 108.59 Gerken, 1987, 107.60 Vgl. Kruft, 2004, 182-183; vgl. Gerken, 1987, 107.

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bienséance (Anstand, Schicklichkeit):

• Ausdruck des Gebäudeinhalts, des Zwecks (→ caractère)

D.h. der caractère wird durch die bienséance dem Betrachter vermittelt. Sie

zeigt uns die „analogie des proportions et des ornements”. (Bedeutung unklar, es

steht wohl ein Harmoniegedanke dahinter.)

symétrie (Symmetrie):

• stammt aus der Natur, trägt zur solidité bei

• stellt parallele Beziehungen her

• schließt das Pittoreske und Bizarre prinzipiell nicht aus

goût (Geschmack):

• ist nicht willkürlich, sondern natürlich, beurteilt vernünftig, aber auch irrational

gefühlhaft,

• vermittelt den Genuss

• Methode zur Klärung von Ideen

• Mittelstellung zwischen 'raison' und 'sentiment', also sowohl überlegtes Urteilen

als auch spontane Wahl

7 Anwendung und Probleme der Charakterlehre bei Ledoux

Blondel kritisierte seinen Schüler heftig und warf ihm Abweichung von der convenance

vor. Er meinte, dass Ledoux „sich von der Strömung davontragen läßt und wie die

Mehrzahl seiner Nacheiferer die Konventionen, die Proportionen und jenen erhabenen

Stil vernachlässigt, der sich in allen Kunstschöpfungen zeigen sollte.”61 Diese Vorwürfe

sind vom akademischen Standpunkt her durchaus berechtigt. So zeigen einige Gebäude,

die Ledoux in seinem Hauptwerk L’Architecture considerée sous le rapport de l’art, des

moeurs et de la législation präsentiert, bereits extreme Ausformungen der

Charakterlehre, die durchaus auch heute noch Unverständnis im Betrachter erzeugen

können. Im Folgenden werden einige Entwürfe aus dem Werk - die meisten davon wohl

weitläufig bekannt - aufgegriffen, um das oben beschriebene Prinzip der Charakterlehre

und die daraus entstehenden Probleme zu erläutern.

61 Blondel zit n. Gallet, 1983, 12.

13

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7.1 Das Haus eines Reifenmachers (pl. 88)

Das Haus des Reifenmachers (Hersteller von Metallreifen für Salztonnen der Saline in

Chaux) besteht aus zwei Zylindern, die sich rechtwinklig durchdringen (Abb. 5). Eine

kreisförmige Öffnung im Haus erlaubt es, durch das Haus hindurch zu blicken. Das

Gebäude ist also im Grunde selbst ein Reifen. Bei diesem Entwurf wird sofort

ersichtlich, welches zentrales Problem bei diesem Ansatz auftritt. Das Gebäude wird in

erster Linie für den Betrachter gebaut, nicht für den Bewohner. „Durch die architecture

parlante der Häuser werden die Funktionen ihrer Bewohner nach außen gespiegelt.”62

Der Betrachter weiß durch die Symbolhaftigkeit der Architektur sofort, welche Person

das Gebäude bewohnt. Der Nutzen (z.B. Ausleuchtung, Geräumigkeit, etc.) für den

Bewohner bleibt sekundär.63

7.2 Das Haus der Flussinspektoren der Loue (pl. 6)

Ganz analog funktioniert das Haus der Flussinspektoren der Loue (Abb. 6). Um ihre

Aufgabe zu veranschaulichen, wird der Fluss kurzerhand durch das Gebäude geleitet.

Die geometrischen Grundformen (Würfel, Quader und Zylinder) sind deutlich

erkennbar und haben ihren Eigenwert auch innerhalb der Gesamtkomposition behalten.

Auf sprechende Ornamentik wird vollkommen verzichtet, als einziges historisierendes

Element finden wir das Palladio-Motiv.

7.3 Das Haus der Flurwächter (pl. 319)

Hierbei handelt es sich um ein kugelförmiges, fensterloses Haus, das in eine Vertiefung

des Geländes hineingebaut ist (Abb. 7). Das Gebäude ist auf allen vier Seiten durch

Rampen betretbar. Palladio-Motive markieren die Eingänge, ihre Säulen sind der

Krümmung der Kugel angepasst.64 Der Entwurf war Teil des Schlossprojekts von

Maupertuis von 1780. Sehr deutlich zeigt sich hier die Loslösung der geometrischen

Form von den übrigen Kriterien der Architektur.65 „Sprechende Einzelform und das

Bauwerk selbst sind identisch geworden.”66 Nach Hans Sedlmayr müssen in der

Architekturtheorie folgende zwei Kriterien erfüllt sein, damit ein Kugelbau als echte

Architektur entstehen kann: „Erster Satz: Die geometrischen Grundformen sind auch die

architektonischen Grundformen; Zweiter Satz: Jede geometrische Grundform ist fähig,

62 Kruft, 2004, 184.63 Vgl. ebd.; vgl. Kaufmann, 1985, 30.64 Zum Palladianismus bei Ledoux siehe Gallet, 1983, 13.65 Vgl. Kruft, 2004, 184.66 Häberle, 1995, 147.

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schon für sich die Grundform eines ganzen Gebäudes zu bilden.”67 Sedlmayr bezeichnet

diesen Ansatz als „Dogma”, das von den Revolutionsarchitekten gesetzt wurde, denn

ein Kugelbau vor dieser Zeit ist ihm nicht bekannt.68 „Der Schnitt des Gebäudes zeigt

besonders deutlich, daß hier jede funktionale Überlegung im Sinne von Bewohnbarkeit

der Zeichenhaftigkeit einer idealen Architektur geopfert wird.”69 Laut Sedlmayr gebe es

keine unsinnigere Hausform.70

In Vaudoyers Entwurf zu einem Haus eines Kosmopoliten (Abb. 8) von 1785 wird

Ledoux' Kugelhaus wiederaufgenommen. Es handelt sich hierbei um ein Musterbeispiel

der architecure parlante. Die Kugelform als Symbol für die Welt und den Kosmos weist

auf den Bewohner des Hauses hin, den Weltbürger.71

7.4 Ein Gebäude mit Erziehungsfunktion - Das Oikema

Der jeweilige caractère hat auch eine erzieherische Aufgabe. „Das Oikema ist ein

Bordell mit erzieherischer Funktion.”72 Das fensterlose Bordellgebäude (Abb. 9) mit

Portikus wirkt wie ein Tempel (deshalb auch „Tempel der Liebe” genannt). Es liegt in

einer schönen Landschaft und lässt seine Bestimmung allein durch einen

phallusförmigen Grundriss erkennen. Durch das Laster, das der Bordellbesucher in

diesem Gebäude selbst vollzieht und erlebt, soll er zu einem tugendhaften Leben

zurückgeführt werden, denn nach der Meinung von Ledoux werde hier das Gefühl

menschlicher Erniedrigung erweckt.73

7.5 Das Haus der Holzfäller (pl. 102)

Das Haus (Abb. 10) mutet beim ersten Anblick eher wie ein Grabmal an. Der Entwurf

ist Ausdruck von Ledoux' Absicht, „auch die schlichteste Bauaufgabe zu adeln durch

Anwendung der gleichen 'vollkommenen' Formen, die auch für die höchste Aufgabe –

Denkmal, Tempel oder Grab – gut genug wären.”74 Auch das Volk soll Gebäude

erhalten, die denen der Mitglieder der Oberschicht gleichkommen.

67 Sedlmayr, 1990, 127.68 Vgl. Sedlmayr, 1990, 126-127.69 Kruft, 2004, 184.70 Vgl. Sedlmayr, 1990, 132.71 Vgl. Sedlmayr, 1990, 141; vgl. Kruft, 2004, 185.72 Kruft, 2004, 182.73 Vgl. Kruft, 2004, 182; vgl. Kaufmann, 1985, 36; vgl. Gerken, 1987, 120-121.

74 Sedlmayr, 1990, 133.

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8 Zwischenfazit

Kruft fasst die Problematik gut zusammen: „Die caractère-Vorstellung ist im heutigen

Verständnis zwiespältig: caractère soll Ausdruck der Funktion eines Gebäudes sein,

doch nicht der praktischen oder konstruktiven Form, sondern im Sinne eines Symbols,

das Assoziationen auslöst und zugleich ein erzieherisches Programm erfüllt. Diesem

Ausdruck wird die Brauchbarkeit des Gebäudes untergeordnet, die inneren Funktionen

werden häufig vernachlässigt oder geopfert. Caractère geht vor usage. (...) Architektur

wird zu einer Zeichensprache, die sich selbst zelebriert.”75 Es stellen sich unweigerlich

einige schwierige Fragen: Ist die Reduzierung von Architektur auf Geometrie in diesem

Ausmaß wirklich vertretbar? Darf der caractère absolut über der usage stehen? Ist der

Nutzen nicht der primäre Faktor für Architekturentwürfe? Diese Fragen beschäftigten

besonders die Theoretiker des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts. Es handelt

sich hier ganz unabhängig von jeder Schulmeinung um ein Grundproblem, das die

gesamte Architekturgeschichte zu durchziehen scheint: die Polarität zwischen Ausdruck

und Zweckhaftigkeit. Weiterhin wird von Kruft und Häberle kritisiert, dass die

Charakterlehre „zur Trivialisierung prädestiniert” gewesen ist.76 Denn die in der

Charakterlehre semantische gedeuteten Bauelementen hätten sich im neunzehnten und

zwanzigsten Jahrhundert immer mehr zu „modebedingten antikisierenden Zitat[en]“

entwickelt, was sich beispielsweise an der „schablonenhaften Vervielfältigung” von

Tempelfronten zeige.77

9 Rezeption und Weiterentwicklung der Charakterlehre im neunzehnten und

zwanzigsten Jahrhundert

Rezipiert wurde Ledoux unter anderem von Ludwig Mies van der Rohe und Le

Corbusier. Dort aber besonders in der Methode der Reduktion von Architektur auf

geometrische Grundformen und im Verzicht auf Ornamentik. Die Charakterlehre tritt

hierbei in den Hintergrund, zum Teil bestehen hier auch deutliche gedankliche und

programmatische Unterschiede.78 Weitere Auswirkungen erkennt man bei Wladimir

Tatlin, Peter Behrens und Albert Speer.

Bedingt durch Einwanderung wurden die französischen Theoretiker im Besonderen

auch in den USA rezipiert und beeinflussten damit den sich dort bildenden

75 Kruft, 2004, 185.76 Vgl. Kruft, 2004, 185.77 Vgl. Häberle, 1995, 145.78 Vgl. Kruft, 2004, 185. Vgl. Sedlmayr, 1990, 135.

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Funktionalismus. Im folgenden Abschnitt soll nun die Auswirkung der französischen

Charakterlehren auf drei Vertreter der amerikanischen Architekturtheorie des

neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts, namentlich Horatio Greenough (1805-

1852), Louis Sullivan (1856-1924) und Frank Lloyd Wright (1867-1959) aufgezeigt

werden, um danach einen Sprung zurück nach Europa zu machen und dies exemplarisch

bei drei Vertretern verschiedenster architektonischer Schulen des zwanzigsten

Jahrhunderts zu untersuchen. Dies wären Adolf Loos (1870-1933), Albert Speer (1905-

1981) und Hans Hollein (*1934). Die drei amerikanischen Architekten wurden gewählt,

um zu zeigen, wie die Charakterlehre innerhalb der funktionalistischen Strömung

weitergegeben wurde, die drei anderen sehr verschiedenen europäischen Vertreter

wurden hinzugenommen., um einen theoretischen Kontrast herzustellen. Ziel dieser

Aufstellung ist nicht, die Theorie jedes einzelnen Architekten in ihrer Vollständigkeit

aufzuarbeiten, sondern zu zeigen, dass in jeder Theorie, egal welcher Ansatz gewählt

wurde, eine Charakterlehre entweder explizit formuliert oder implizit vorausgesetzt

wird. Unterschiede und Gemeinsamkeiten zu Ledoux' Theorie werden am Rand

thematisiert. Die folgenden Ausführungen könnten somit auch in der Art von rein

feststellende ''Prämissen'' eines Arguments betrachtet werden, die uns in gewisser Weise

zu einer bestimmten ''Konklusion'' führen sollen.

9.1 Horatio Greenough (1805-1852)

Der amerikanische Bildhauer und Theoretiker Horatio Greenough lehnte eine Bindung

der Funktion an die Form ab und forderte eine Planung der Gebäude von Innen nach

Außen. Er verstand Architektur als eine Verbindung aus Skelett und Bekleidung, was

zur Grundvorstellung im Funktionalismus wurde. Die Anordnung der Räume geschehe

aus praktischen Gründen und diese Relation und ihre Funktion werde von ihnen auch

immer nach außen getragen. Während also Ledoux beispielsweise bei seinem

Kugelhaus das Innere in Abhängigkeit von der äußeren Form festlegte, schlug

Greenough folglich den umgekehrten Weg vor. „Die Beziehung eines Gebäudes zu

seiner Lage und diejenige von Innen und Außen gebe ihm character and expression.”79

Die Funktion des Gebäudes richte sich nach den sozialen Bedürfnissen und die

Architektur solle diese Bedürfnisse ausdrücken. Greenough schreibt: „The bank would

have the physiognomy of a bank, the church would be recognized as such, nor would the

79 Kruft, 2004, 401.

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billiard room and the chapel wear the same uniform of columns and pediment.”80 Zur

Funktion gehören aber auch ästhetische und moralische Aspekte: „When I define

Beauty as the promise of Function; Action as the presence of Function; Character as

the record of Function, I arbitrarily divide that which is essentially one.”81 Jede

Verbesserung der Funktion sei zugleich eine Verbesserung des Ausdrucks, des Anmuts

und der Schönheit eines Gebäudes. Jede Funktion unterliege einem absoluten Gesetz.

Die optimale Annäherung der Form an die Funktion sah er als Annäherung an ein

göttliches Prinzip. Schönheit entspricht in dieser Hinsicht der Optimierung der

Funktion.82 Hierzu müsse in jedem Fall die Umgebung und das Klima berücksichtigt

werden und auch das Ornament solle mit der Natur der ausgedrückten Funktion

harmonieren.83 Nehmen wir als Beispiel eine Versammlungshalle. Sie soll gemäß dieser

Theorie so konstruiert werden, dass sie ihre Bestimmung, nämlich Platz bieten für das

Abhalten von Versammlungen, optimal erfüllt. Der Bau soll keine andere Wirkung auf

den Betrachter haben als ihm anzuzeigen, dass es sich hierbei um eine optimale

Versammlungshalle handelt. Die Lösung, die sich dabei bewährt, soll zum Standard

erhoben werden. Dies führt letztendlich zu einer Vereinheitlichung von

architektonischen Lösungen, gleichzeitig suchte Greenough aber auch nach einem

neuen amerikanischen Stil, einer Architektur mit ganz eigenem amerikanischem

Charakter.84

Kruft vermutet eine theoretische Beeinflussung von Ledoux, Lodoli und Durand.85 Und

obwohl Greenough einen Ledoux entgegengesetzten Ansatz verfolgt, spricht er in

ähnlicher Weise von Charakter und Ausdruck und auch er geht davon aus, dass jede

Bauaufgabe einen ganz bestimmten Charakter besitzt.

9.2 Louis Sullivan (1856-1924)

Ob Greenoughs Theorien Louis Sullivan bekannt waren, ist unklar, aber sehr

wahrscheinlich, wenn man die Analogien in den Gedankengängen beachtet.86 Sullivans

Theorie wird meist auf die Formel „form follows function“ reduziert. Nach seiner

Theorie sind alle Formen des Lebens Ausdruck von Funktionen, jede Funktion schaffe

80 Greenough, 1947, 63.81 Greenough, 1947, 71.82 Vgl. Kruft, 2004, 402.- Greenough vergleicht Gebäude mit Maschinen und Schiffen und fordert die

Übertragung von Prinzipien des Schiffsbaus auf die Architektur. (Vgl. Kruft, 2004, 401.)83 Vgl. Kruft, 2004, 401.84 Vgl. Kruft, 2004, 402.85 Vgl. ebd..86 Vgl. Kruft, 2004, 410.

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sich ihre Form. Auch für die Architektur bedeute dies, dass Form stets durch die

Funktion bestimmt werden muss. Diese Funktion wird folgendermaßen definiert:

Funktion ist „application to man's thought and deeds; to his inherent powers and the

results of the application of these powers, mental, moral, physical.“87 Präziser:

„outward appearances resemble inner purposes”.88 Im Gebäude sei auch eine

moralisch-rechtliche Funktion enthalten, so betonte Sullivan den Faktor der Demokratie

als charakteristisch für amerikanische Bauten.89 „Natürliche, soziale, geistige Faktoren,

die Summe menschlicher Bedürfnisse machen die Funktionen aus, die die Form eines

Gebäudes bestimmen sollen. Der technologische, konstruktive Aspekt steht im

Hintergrund und wird kaum erwähnt. Es geht Sullivan darum, in der architektonischen

Form menschliche Funktionen und Bedürfnisse auszudrücken, nicht konstruktive

Gesetzmäßigkeiten. (...) Sullivan's Funktionsbegriff ist ein romantisch-nationaler.”90 In

diesem Funktionsbegriff zeigen sich Analogien zu Ledoux, wobei dessen Ansatz im

Vergleich zu Sullivan eher plakativ wirkt. Ein Gebäude soll zwar die Funktion der

Bewohner nach Außen spiegeln, aber es war Sullivan dabei viel wichtiger, dass es auch

im Inneren dieser Funktion entspricht.

„Architektur wird von ihm als eine unmittelbare, psychologisch-erlebnishafte Sprache

empfunden. So notiert er über seine Kindheit: Thus buildings had come to speak to

Louis Sullivan in their many jargons. Some said vile things, some said prudent things,

some said pompous things, but none said noble things.”91 Sullivan bejahte in diesem

Zusammenhang das Ornament, hielt es aber für nicht notwendig für die Wirkung von

Gebäuden.92 Er entwickelte somit Greenoughs Funktionalismus weiter, stand aber

gleichzeitig klar in der Tradition der architecture parlante.

9.3 Frank Lloyd Wright (1867-1959)

Frank Lloyd Wright war von 1887 bis 1893 im Büro von Sullivan angestellt und stand

in enger Verbindung zu Greenough und Sullivan. Zwischen 1893 und 1910 errichtete er

die sogenannten Prairie-Häuser, deren Konstruktion einem spezifischen Programm

folgt (Abb. 11). Zentral sind hierbei die Forderungen nach simplicity (Einfachheit),

repose (Ruhe) und Harmonie mit der Umgebung. Folglich sind die Prairie-Häuser

87 Sullivan, 1924, 290.88 Sullivan, 1947, 43.89 Vgl. Kruft, 2004, 411.90 Kruft, 2004, 411.91 Kruft, 2004, 413.92 Vgl. Kruft, 2004, 412-413.

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flache Häuser mit niedrigen Proportionen. Zudem vertrat Wright eine Art

Stilindividualismus, wenn er behauptete, dass es so viele Stile in der Architektur gibt

wie Arten von Menschen. Weiterhin solle jedes Material so in Erscheinung treten wie es

sei, das Ornament wird deshalb als Resultat des Materials prinzipiell nicht abgelehnt.93

„Das Haus wird zum Spiegel der Individualität seiner Bewohner” (Abb. 12).94 „Die

Voraussetzung des Geländes, der lokalen industriellen Bedingungen, die Natur der

Materialien sowie die Funktion eines Gebäudes sind die unumgänglichen

Determinanten von Form und Charakter jeder guten Architektur. Organische Architektur

ist für Wright die Einheit von Form und Funktion.”95 Seine Formeln lauten deshalb

„variety in unity“ und „form and function are one”.96 Kruft bemerkt hier richtig:

„Erstaunlicherweise lebt bei Wright die Tradition der französischen caractère-Lehre des

18. Jahrunderts weiter, die ihm in der Version von Viollet-le-Duc bekannt gewesen sein

könnte: This new American concept of architecture has style as the expression of

character.”97 Stil ist für ihn also Ausdruck eines national interpretierten Charakters, eine

Äußerung die stark an Laugier erinnert.

9.4 Adolf Loos (1870-1933)

Für den Österreicher Adolf Loos war Architektur nicht in erster Linie Konstruktion,

sondern Raum. Und dieser Raum wirke auf den Betrachter, indem er Stimmungen im

Menschen erzeuge: „Die aufgabe des architekten ist es daher, diese stimmung zu

präzisieren. Das zimmer muß gemütlich, das haus wohnlich aussehen. Das

justizgebäude muß dem heimlichen laster wie eine drohende gebärde erscheinen. Das

bankhaus muß sagen: hier ist dein geld bei ehrlichen leuten fest und gut verwahrt.”98 Bei

Loos wurde also die Theorie der architeacture parlante, die bei Ledoux auf der

Konfiguration von Massen und Dekoration basiert, auf den Raum als Träger der

Aussage verlagert. Durch die Konstellation von Räumen entstehe der Ausdruck, hierfür

sei ein sogenannter „Raumplan” notwendig. Am letztendlichen Resultat wird durch

diese Verlagerung aber nichts verändert. Das Raumplankonzept führt bei Loos zu einer

Staffelung von Ebenen und Raumhöhen im Innern der Gebäude, nach Außen hin

entstehen Terrassen. Kruft kritisiert, dass seine verwirklichten Objekte durch ihre starre

93 Vgl. Kruft, 2004, 492-494.- Auch er betont die Vorbildfunktion der Maschinen. (Vgl. Kruft, 2004,493.)

94 Kruft, 2004, 494.95 Vgl. Kruft, 2004, 497-498.96 Kruft, 2004, 494.97 Kruft, 2004, 495.98 Loos, Architektur, 1909, 102-103.

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Symmetrie, Monumentalität und Neoklassizismus mit diesen Gedanken im Widerspruch

stünden (Abb. 13).99

Loos lehnte das Ornament nicht generell ab, verurteilte aber im Speziellen das

Ornament der Gegenwart, weil hier keine Materialgerechtheit vorliege und diese

Ornamentik nicht Ausdruck der Gegenwart sei.100 Er folgt Ledoux, wenn er schreibt:

„Ornamentlosigkeit ist nicht reizlosigkeit, sondern wirkt als neuer reiz, belebt.”101 Dabei

war Architektur für ihn keine Kunst, denn Kunst zeichne sich durch Subjektivität und

Zweckfreiheit aus. Gebäude seien Gebrauchsgegenstände und deren Schönheit richte

sich nach Grad des Gebrauchswertes. Er ist in seiner Haltung deutlich von Greenough,

Sullivan und Wellborn Root beeinflusst und zeigt Parallelen zu Wright.102

9.5 Albert Speer (1905-1981)

Albert Speer äußerte sich nach dem Krieg in mehreren Publikationen persönlich zu den

Absichten, die er mit seiner Architektur verfolgt habe. Seine Entwürfe verkörptern „die

psychologische Absicht (...) mittels der Architektur suggestive Wirkungen zu erzielen.”

Der spezielle „Überwältigungscharakter” seiner Architektur sei Ausdruck „eines

absoluten Herrschaftsanspruchs”. Speer rechtfertigt dies, indem er historische Parallelen

mit dem Turmbau zu Babel, Perikles' Parthenon, den ägyptischen Pyramiden oder dem

Colosseum in Rom zieht. Antrieb sei auch dort stets eine „Freude am Großen [gewesen]

(...). Die gleiche Freude, die einstmals die sieben Weltwunder nicht nach ästhetischen

Werten, sondern nach Übergrößen auswählen ließ.” Auch in der französischen

Revolution sei dieser Größenwille vorhanden gewesen. Er schreibt: „Vor dem, was an

Größe die französischen Revolutionsarchitekten wollten, sinken alle meine Pläne ins

herkömmliche zurück.”103 Im Gegensatz zu den Entwürfen von Ledoux und Boullée

würden seine Pläne aber „nicht in die Kategorie (...) pompös aus den Dimensionen

geratener Vorstellungen” gehören. Die Revolutionsarchitekten hätten ihre Bauten „als

Grabgesang des französischen Bourbonenreiches oder zur Verherrlichung der

Revolution entworfen”. So seien also die Entwürfe dieser Architekten zwar gewaltiger

als Speers Bauten, aber im Prinzip nicht realisierbar gewesen.104 Laut Kruft sei der

genannte Bezug zu Ledoux sachlich falsch und bei Boullée historisch unmöglich, da

99 Kruft, 2004, 420.100Kruft, 2004, 420.101Loos, Ornament, 1924, 175.102Vgl. Kruft, 2004, 421.103Speer, 1978, 7-8.104Speer, 1969, 168-169.

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dessen Entwürfe erst nach 1945 bekannt geworden seien.105 Tatsächlich waren einige

von Boullées Entwürfen bereits seit den dreißiger Jahren durch Publikationen des

Wiener Kunsthistorikers Emil Kaufmann bekannt. Auch ist meines Erachtens Speers

Einschätzung hinsichtlich der Monumentalität der Architektur Boullées durchaus

stimmig.

Speer betont, dass seine Entwürfe nicht aus einer ideologischen Absicht heraus

entstanden sind, sondern politisch begründet gewesen seien. „Die Programme, die

zugrunde lagen, schufen die neuen Maßstäbe, und diese neuen Maßstäbe sollten

ihrerseits ein Ausdruck der Zeit sein, für die sie zu zeugen hatten.” Hitler habe die

„suggestive Kraft” der Architektur beim Entwurf stets vor Augen gehabt. „Auch die

Schaffung des Lichtdoms in Nürnberg war für ihn [d.h. Speer] ein Höhepunkt in der

Kunst der Menschenbeeinflussung.” (Abb. 14)106 Daneben ist auch der Mosaiksaal in

der Neuen Reichskanzlei in Berlin ein anschauliches Beispiel (Abb. 15). Die

beabsichtigte Wirkung dieses 16 Meter hohen, 46,2 Meter langen und 19,2 Meter

breiten und mit dunkelrotem Marmor ausgekleideten Saals auf Staatsgäste und

Diplomaten ist leicht zu erahnen.107 Spätestens bei der Betrachtung der im Rahmen des

Plans zur Umgestaltung von Berlin entworfenen Großen Halle wird sofort klar, was

Speer mit „Überwältigungscharakter” meint. Der Reichstag verschwindet im Schatten

dieser Halle (Abb. 16). Speer bediente sich also der prinzipiell einfachsten Methode, um

Gebäuden einen bestimmten Charakter zu verleihen: Größe. Speers Bauten erhalten

dadurch einen eindeutig monumentalen Charakter mit einer klar intendierten Wirkung

auf den Betrachter.

9.6 Hans Hollein (*1934)

Vertreter der Wiener Avantgarde wie Walter Pichler oder Hans Hollein protestierten in

den sechziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts gegen den konventionellen

Kunstbetrieb und den Funktionalismus. Kritisiert wurde der sterile, anonyme,

oberflächliche und materialistische Formalismus.108 „Die Gestalt eines Bauwerkes

entwickelt sich nicht aus den materiellen Bedingungen eines Zwecks. Ein Bauwerk soll

nicht seine Benützungsart zeigen, ist nicht Expression von Struktur und

Konstruktion”.109 Gefordert wurde die „Schaffung eines Weges zu einer vitalen und

105Vgl. Kruft, 2004, 450.106Speer, 1978, 8.107Vgl. Speer, 1978, 10, 108Hollein, Zurück zur Architektur, 1962, 29.109Vgl. ebd..

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echten Architektur“. Der Funktionalismus setze willkürlich Schranken. Ausdruck solle

nicht durch Zweck beschränkt werden, dieser sei sekundär.110 Architektur wird als

Erzeugnis des Menschen und seiner schöpferischen Kraft gesehen, sie ist Ausdruck

seines Lebens, eine verwirklichte Idee.111 „Form folgt nicht Funktion. Form entsteht

nicht von selbst. Es ist die große Entscheidung des Menschen, ein Gebäude als Würfel,

als Pyramide oder als Kugel zu machen.”112 Hierfür sei jedes mögliche Material

geeignet (Abb. 17).113

Hollein charakterisiert Architektur wie folgt: „Architektur, das Bedürfnis des Menschen,

materielle Gebilde zu schaffen, die eine immaterielle Bedeutung, eine transzendente

Bedeutung haben, die über ihre Verwendbarkeit, ihre Bestimmung hinausgeht, eine

geistige Ordnung repräsentiert, dies Architektur ist in ihrem Wesen nicht den

Entwicklungen der Zivilisation, dem materiellen Fortschritt unterworfen, sondern nur

der Entwicklung des Menschen an sich, seiner Kultur, seiner geistigen Potenz. (...) Sie

ist elementar, sinnlich, primitiv, brutal und archaisch und zugleich Ausdruck der

subtilsten Gefühle des Menschen (...). Sie ist ein Ausdruck des Menschen selbst.”114

Demnach liege der Ursprung der Architektur im Sakralen und so sei auch jedes Bauen

im Prinzip kultisch (Abb. 18).115

Und auch bei Hollein erkennt man den Einfluss der Charakterlehre, wenn er über die

Architektur schreibt: „Sie spricht nicht nur zum Körper, sondern auch zur Seele. Bauten

haben selbst eine Seele, eine Persönlichkeit, einen Charakter.”116 Architektur wird als

Medium der Kommunikation empfunden, durch sie definiere der Mensch wie mit allen

anderen Medien sein Verhalten und seine Umgebung.117 Hierbei gehe es aber nicht um

Schönheit der Form und Proportion, sondern um Sinnlichkeit (Abb. 19).118 Der

Charakter eines Gebäudes ist somit Ausdruck von bestimmten Informationen. In diesem

Sinne sei Architektur „Mal, Symbol, Zeichen, Expression.“119 In diesem Zusammenhang

scheint es kein Zufall, dass Hollein gerade Ledoux zur Erläuterung seines eigenen

Standpunktes heranzieht: „Eine andere Gegenüberstellung: das sphärische Haus Ledoux

und ein sphärischer Behälter in einer Ölraffinerie. Beides gebaut. Das eine Ausdruck

110Vgl. Hollein, Work in Progress, 1963 o.S..111Vgl. Hollein, Zurück zur Architektur, 1962, 30.112Hollein, Work in Progress, 1963 o.S..113Vgl. Hollein, Inhalt und Form, 1964, 39.114Hollein, Zurück zur Architektur, 1962, 30.115Vgl. ebd..116Hollein, Zurück zur Architektur, 1962, 32.117Vgl. Hollein, Alles ist Architektur, 1967, 53.118Vgl. Hollein, Zurück zur Architektur, 1962, 30.119Hollein, Alles ist Architektur, 1967, 54.

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einer Idee, ein geistiges Produkt. Das andere ein Produkt optimalen Zwecks. Beides

Architektur, doch der Moment der Creation, der Moment der Spiritualisation steht bei

dem einen am Beginn, beim anderen am Ende.”120

10 Angesprochen: architecture parlante in der Gegenwart

Ein Beispiel für gegenwärtige architecture parlante ist der Entwurf für den

österreichischen Pavillon auf der Expo 2010 in Shanghai (Abb. 20). Ein rot-weißes Ohr

soll die Funktion des Pavillons anschaulich machen. Der Bau sei gemäß der Architekten

von SPAN und Arkan Zeytinoglu „Resonanzraum der österreichischen Identität“, denn

im Inneren werde „das reichhaltige musikalische Erbe Österreichs, von der Klassik bis

zur Gegenwart“ präsentiert.121

11 Zusammenfassung und Schlussfolgerung

Im ersten Abschnitt dieser Arbeit wurde gezeigt, dass die Lehre vom caractère keine

Schöpfung von Ledoux ist und auch keine alleinige Errungenschaft der

Revolutionsarchitekten, sondern Ergebnis einer langen Folge von Theorien aus dem

siebzehnten bzw. achtzehnten Jahrhundert und somit auch Ergebnis einer royalistischen

Architekturtheorie, was besonders bei Blondel deutlich erkennbar ist.122 Diese

Charakterlehre sieht jedes einzelne Bauelemente als Zeichen mit eigener Bedeutung.

Durch Kombination von Elementen könne ein Gebäude konstruiert werden, das einen

ganz bestimmten Ausdruck besitze, den Charakter. Es ist Verdienst von Ledoux und

allgemein der Revolutionsarchitekten, diese Theorie erstmals auf einem extremen Level

angewendet zu haben, also dem caractère sämtliche konstruktiven Notwendigkeiten zu

unterwerfen. Das daraus resultierende Problem ist klar. Wenn der Ausdruck absolut über

dem Zweck steht, heißt dies gleichzeitig, dass der Betrachter über dem Bewohner steht.

In dieser extremen Interpretation dominiert schließlich der Ausdruck zu Lasten der

Bewohnbarkeit und Realisierbarkeit der Gebäude, womit auch gleichzeitig zwei zentrale

Charakteristika der meisten Architekturutopien genannt sind.

Auf den ersten Blick scheint die Charakterlehre der gebrauchswertorientierten

Architekturtheorie (usage) zu widersprechen, da bei ihr der Ausdruck über dem Zweck

zu stehen scheint. In Wirklichkeit handelt es sich dabei eben nur um eine Interpretation

der Charakterlehre, wie wir sie bei Ledoux oder Hollein finden. Genauer betrachtet

120Hollein, Zurück zur Architektur, 1962, 32.121SPAN & Arkan Zeytinoglu, 2010.122Vgl. Kruft, 2004, 176-177.

24

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bildet die Charakterlehre die Basis für jede Architekturtheorie, d.h. auch für den

Funktionalismus. Der Charakter ist die Ausdrucksfunktion eines Gebäudes bzw. Dings

und beschreibt damit ganz allgemein die Wirkung eines Gegenstandes auf den

Betrachter. Diese Ausdrucksfunktion wird durch spezifische Faktoren bestimmt. Es sind

diese Determinanten, die die einzelnen, verschiedenen architekturtheoretischen

Strömungen verändern, der Charakter bleibt dabei als Instanz konstant. Bei Greenough,

Sullivan und Wright ist die Funktion der primäre Faktor. Bei Loos bedingt die

Konstellation von Räumen, bei Speer hauptsächlich die Größe und bei Hollein die

schöpferische Kraft des Menschen den Charakter des Gebäudes.

Und man könnte diese Lehre noch auf eine weitere trivialere Ebene herunterbrechen,

denn so etwas wie ein Charakter wird immer vorausgesetzt, sobald man annimmt, dass

die Architektur in welcher Weise auch immer auf den Betrachter wirkt. Somit sagt der

Charakter weniger über das Bauwerk selbst aus, sondern vielmehr etwas über den

Betrachter. Egal, durch welche Determinanten man den Charakter bestimmt, egal, ob

Architektur primär als geometrisch wie bei Loos oder Mies van der Rohe oder natürlich

gewachsen wie bei Hollein empfunden wird, egal, ob Ausdruck über Funktion oder dies

umgekehrt gesetzt wird, es wird stets von einer Wirkung der Architektur auf den

Menschen gesprochen. Insofern kann man den Charakter als Metapher für eine

bestimmte Wirkung der Architektur auf den Menschen verstehen: wirkt sie bedrohlich,

dann hat sie einen wehrhaften Charakter, wirkt sie beeindruckend, hat sie eventuell

einen monumentalen Charakter, wirkt sie ehrfürchtig, hat sie einen erhabenen Charakter

und so weiter. Charakter ist in dieser Hinsicht immer subjektiv zugeschrieben. Daraus

folgt, dass ein Gebäude niemals einen Charakter haben kann. Trotzdem kann der

Architekt offensichtlich, wie wir bei Speer deutlich gesehen haben, gezielt auf einen

konkreten Ausdruck hin planen. Woran liegt das? Am wahrscheinlichsten scheint hier

eine Analogie der Menschen in der Wahrnehmung von Architektur in der Art eines

common sense. Mehrere Fußgänger betrachten beispielsweise den Reichstag annähernd

von derselben Ebene aus, von diesem Standpunkt aus wird dieses Gebäude wohl vom

Großteil der Personen als monumental empfunden, aus der Vogelperspektive betrachtet

eventuell wiederum nicht. Größe ist bekanntlich eine Relation. Ein großes Gebäude

wirkt relativ zum Betrachterstandpunkt und Umgebung monumental. Der Reichstag

wirkt im Vergleich zur Großen Halle nicht mehr monumental. Möchte man nun den

Charakter als eine zeitlose Metapher begreifen, dann kann man darunter nur verstehen,

dass Gebäuden und Entwürfen über Kulturen und Zeiten hinweg aufgrund einer sich

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Page 26: DIE LEHRE VOM CARACTÈRE ALS ZEITLOSE METAPHER Oder: Die Charakterlehre - ein Grundprinzip jeder Architekturtheorie?

kaum verändernden menschlichen Grundbeschaffenheit in der Wahrnehmung konstant

derselbe Charakter zugeschrieben wird. Charakter ist Konvention.

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12 Literaturverzeichnis

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Vidler, Anthony: Claude-Nicolas Ledoux Architektur und Utopie im Zeitalter der

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Page 30: DIE LEHRE VOM CARACTÈRE ALS ZEITLOSE METAPHER Oder: Die Charakterlehre - ein Grundprinzip jeder Architekturtheorie?

13 Abbildungsverzeichnis

Abb. 1 bis 16: Prometheus-Bildarchiv, URL: http://www.prometheus-

bildarchiv.de (Zugriff am 11.08.2010).

Abb. 17, 18, 19: Hollein, Hans, Pichler, Walter: Hollein - Pichler – Architektur.

Ausstellung Hans Hollein, Walter Pichler, Architektur, Work in

Progress, Wien 1963. (keine Seitenangaben).

Abb. 20: Design Daily. On-Line Design Newspaper, URL:

http://hellodesignhungary.files.wordpress.com/2009/04/span_zeyt

inoglu_expo_2010_01_1.jpg?w=530&h=322

(Zugriff am 11.08.2010).

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Page 31: DIE LEHRE VOM CARACTÈRE ALS ZEITLOSE METAPHER Oder: Die Charakterlehre - ein Grundprinzip jeder Architekturtheorie?

14 Abbildungen

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Links:

Abb. 1: Solevasen an denArbeiterwohnungen in der SalinenstadtChaux

Abb. 2: Faszes an Ledoux' Haus der Eintracht

Abb. 3: C.-N. Ledoux:Pacifère, 1804

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Abb. 4: C.-N. Ledoux: Entwurf zum Pariser Pavillon der TänzerinGuimard, ca. 1770

Abb. 5: C.-N. Ledoux: Das Haus des Reifenmachers, ca. 1774

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Abb. 6: C.-N. Ledoux: Das Haus der Flussinspektoren der Loue, 1804

Abb. 7: C.-N. Ledoux: Das Haus der Flurwächter, ca. 1780

Page 34: DIE LEHRE VOM CARACTÈRE ALS ZEITLOSE METAPHER Oder: Die Charakterlehre - ein Grundprinzip jeder Architekturtheorie?

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Abb. 8: Vaudoyer: Haus eines Kosmopoliten, 1785

Links:

Abb. 9: C.-N. Ledoux:

Das Oikema, 1804

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Abb. 10: C.-N. Ledoux: Das Haus der Holzfäller, ca. 1774

Links:

Abb. 11:

F. L.Wright: Prairie-Haus,1893-1910

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Links:

Abb. 13:

A. Loos: HerrenhausStross, 1922

Abb. 12: F. L. Wright: Prairie-Haus, 1893-1910

Abb. 14: A. Speer: Lichtdom zum Reichsparteitag in Nürnberg, 1934

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Abb. 15: A. Speer, Mosaiksaal, Neue Reichskanzlei, Berlin, 1938-39

Links:

Abb. 16:

A. Speer: Modell derGroßen Halle geplant fürBerlin (eingekreist derReichstag), 1937-41

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Abb. 17: H. Hollein: Stadtentwürfe, 1963

Abb. 18: H. Hollein: Entwurf einer Kirche, 1960

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Abb. 19: H. Hollein: Entwurf eines „Gebäudes, das Macht ausstrahlt", 1963

Abb. 20: SPAN und Arkan Zeytinoglu: Modell des österreichischen Pavillons auf derExpo 2010 in Shanghai, 2010