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Pflanzenschutzamt Berlin Die Mistel (Viscum album L. spp.album) - ein Problem (nicht nur) für Berlins Laubbäume? Might the Mistletoe (Viscum album L. spp. album) be a problem (not only) for decidous trees in the city of Berlin? Holger-Ulrich Schmidt unter Mitarbeit von Claudia-Stefanie Schmid In Berlin wird das sogenannte “Mistelproblem” seit Jahren kontrovers diskutiert. Von der Laubbaum-Mistel besonders stark besiedelt sind Birken, Linden, Ahorn, Pappeln und Robinien. In einer Schätzung ist von 20.000 bis 40.000 “befallenen” Laubbäumen mit stark zunehmender Tendenz die Rede. Langfristige, systematische Untersuchungen über as Auftreten und die Verbreitung der Laubbaum-Mistel, eventuelle Schadwirkungen und mögliche Gegenmaßnahmen, die auch ökonomisch und ökologisch vertretbar sind, fehlen für Berlin, aber auch anderenorts weitgehend. Bei seit über 20 Jahren im Bezirk Steglitz-Zehlendorf an ausgewählten Standorten an Ahorn, Baumhasel, Birke, Linde, Pappel, Robinie, Rotdorn und Eberesche durchgeführten Erfassungen zeigte sich im Gesamtdurchschnitt tatsächlich eine deutliche Zunahme besiedelter Bäume von rd. 4% im Jahr 1987 auf ca. 37% im Jahr 2010 (Gesamtstichprobe je nach Erhebungsjahr zwischen 294 und 426 Bäumen). Daneben wurde auch die Anzahl der Misteln pro Baum festgestellt. Am Beispiel von Linde, Birke und Ahorn konnte gezeigt werden, dass auch die je Baum vorkommenden Misteln stetig zunehmen. Die Ursachen für die inter- und intraarborale Zunahme der Mistel sind jedoch unklar. U. a. kommen als Brutvogel, Durchzügler oder Wintergast vorkommende Vogelarten, die die Beeren der Mistel als Nahrung aufnehmen -insbesondere die Misteldrossel, aber auch der Seidenschwanz (s. Foto unten)- für deren Verbreitung in Betracht. Schnelles Ausscheiden der Samen bzw. relativ kurze Flugdistanzen beim oder nach dem Verzehr der Beeren könnten ein lokal gehäuftes Auftreten und im weiteren Verlauf die herdartige Ausbreitung der Mistel erklären. Die Verbreitung über größere Distanzen kann sowohl mit der Eigenschaft der die Beeren verzehrenden Vogelarten als Zugvögel oder Teilzieher als auch mit klimatisch bedingten Änderungen des Zugverhaltens der Vögel in Zusammenhang stehen. Desgleichen die Klimaerwärmung scheint das Auftreten und die Verbreitung der Mistel zu beeinflussen, wie das Beispiel der Kiefern-Mistel (V. a. L. Ssp. austriacum (Wiesb.) Vollmann) in der Schweiz zeigt. Auch im Berliner Raum hat das Institut für Meteorologie der Freien Universität Berlin eine durch die Temperaturveränderungen bedingte Verlängerung der Vegetationsperiode verschiedener Gehölzarten (u. A. der Birke) innerhalb von rd. 25 Jahren festgestellt. Auf der Grundlage von in Deutschland und verschiedenen Nachbarländern durchgeführten Untersuchungen kann der derzeitige Kenntnisstand wie folgt zusammengefasst werden. Die Laubbaum-Mistel, aber auch die Kiefern-Mistel nehmen in Europa und Deutschland teilweise stark zu. Die möglichen Ursachen für die Zunahme der Mistel sind unklar und vielfältig: die Klimaerwärmung scheint die Mistel zu begünstigen Sommerhitze und Trockenstress schwächen die Wirtsbäume; gute Nährstoffversorgung und Bodenbelastungen begünstigen anscheinend die Besiedlung von Bäumen mit Misteln; zahlreiche Vogelarten tragen sowohl zur Verbreitung über größere Distanzen als auch zum lokal gehäuften Auftreten und zur herdartigen Ausbreitung bei; die tatsächlichen Folgen des stark vermehrten Auftretens der Laubbaum-Mistel für die Wirtsbäume sind (noch) nicht ausreichend bekannt; eine wirksame direkte Bekämpfung der Mistel durch Schnittmaßnahmen ist sehr schwierig und aufwändig oder auch unmöglich; die gezielte Anpflanzung mistelabholder Baumarten und -sorten (Rot- und Gefülltblühende Rosskastanie, Schwarzerle, Hainbuche, Esche) könnte eine mögliche Alternative für deren Eindämmung sein. 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 1987 1993 1999 2004 2007 2010 Beobachtungsjahre 0= keine Misteln 1= 1-5 Misteln 2= 6-10 Misteln 3= >10 Misteln Besiedlungsstufen (%) 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 1987 1993 1999 2004 2007 2010 Untersuchungsjahre 0=keine Misteln 1=1-5 M isteln 2=6-10 M isteln 3=>10 M isteln Anzahl besi edelter B äume ( %) Anzahl der untersuchten Birken (Grafik rechts) 1987-1999: je 38 Bäume 2004 52 Bäume 2007 72 Bäume 2010 63 Bäume 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 1987 1993 1999 2004 2007 2010 Untersuchungsjahre 0= keine Misteln 1= 1- 5 M isteln 2= 6- 10 M isteln 3= > 10 M isteln Anzahl b esiedelter B äume ( %) Entwicklung der Mistelpopulation an Ahorn, 1987-2010 (Standort: Steglitz-Zehlendorf) Anzahl der untersuchten Ahorn-Bäume (Grafik links) 1987-2004: je 83 Bäume 2007: 70 Bäume 2010: 77 Bäume 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 1987 1993 1999 2004 2007 2010 Untersuchungsjahre 0= keine Misteln 1= 1- 5 M isteln 2= 6- 10 M isteln 3= > 10 M isteln Anzahl b esiedelter B äume (%) Entwicklun der Mistelpopulation an Linde, 1987 - 2010 (Standort: Steglitz-Zehlendorf) Anzahl der untersuchten Linden (Grafik rechts) 1987-1999: je 131 Bäume 2004: 181 Bäume 2007: 240 Bäume 0 2 4 6 8 10 12 14 16 18 20 Baum1 Baum2 Baum3 2008 2010 Anzahl Misteln Entwicklung der Misteln an ausgewählten Birken, 2008 -2010 (Standort: Steglitz-Zehlendorf) 0 20 40 60 80 100 120 140 160 Baum 1 Baum 2 Baum 3 2008 2010 Anzahl Misteln Entwicklung der Misteln an ausgewählten Ahornbäumen, 2008 -2010, (Standort: Steglitz-Zehlendorf) Entwicklung der Mistelpopulation an Laubbäumen, 1987 - 2010 (Standort: Steglitz-Zehlendorf) Entwicklung der Mistelpopulation an Birke,1987-2010 (Standort: Steglitz-Zehlendorf) Anzahl der insgesamt untersuchten Laubbäume (Grafik links) 1987-1999: je 294 Bäume 1993: 297 Bäume 2004: 371 Bäume 2007: 425 Bäume 2010: 426 Bäume Kontakt: Holger-Ulrich Schmidt, Pflanzenschutzamt Berlin, Mohriner Allee 137, 12347 Berlin, T.: (030) 700006-215 (Dw.), Email: [email protected] Seidenschwanz in einem Mistelbusch auf einem Apfelbaum, Botanischer Garten Berlin-Dahlem 06. April 2009

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Page 1: Die Mistel (Viscum album L. spp.album) - ein Problem ... · Pflanzenschutzamt Berlin Die Mistel (Viscum album L. spp.album) - ein Problem (nicht nur) für Berlins Laubbäume? Might

Pflanzenschutzamt Berlin

Die Mistel (Viscum album L. spp.album) - ein Problem (nicht nur) für Berlins Laubbäume?

Might the Mistletoe (Viscum album L. spp. album) be a problem (not only) for decidous trees in the city of Berlin?

Holger-Ulrich Schmidt unter Mitarbeit von Claudia-Stefanie Schmid

In Berlin wird das sogenannte “Mistelproblem” seit Jahren kontrovers diskutiert. Von der Laubbaum-Mistel besonders stark besiedelt sind Birken, Linden, Ahorn, Pappeln

und Robinien. In einer Schätzung ist von 20.000 bis 40.000 “befallenen” Laubbäumen mit stark zunehmender Tendenz die Rede.

Langfristige, systematische Untersuchungen über as Auftreten und die Verbreitung der Laubbaum-Mistel, eventuelle Schadwirkungen und mögliche Gegenmaßnahmen,

die auch ökonomisch und ökologisch vertretbar sind, fehlen für Berlin, aber auch anderenorts weitgehend.

Bei seit über 20 Jahren im Bezirk Steglitz-Zehlendorf an ausgewählten Standorten an Ahorn, Baumhasel, Birke, Linde, Pappel, Robinie, Rotdorn und Eberesche

durchgeführten Erfassungen zeigte sich im Gesamtdurchschnitt tatsächlich eine deutliche Zunahme besiedelter Bäume von rd. 4% im Jahr 1987 auf ca. 37% im Jahr 2010

(Gesamtstichprobe je nach Erhebungsjahr zwischen 294 und 426 Bäumen).

Daneben wurde auch die Anzahl der Misteln pro Baum festgestellt. Am Beispiel von Linde, Birke und Ahorn konnte gezeigt werden, dass auch die je Baum

vorkommenden Misteln stetig zunehmen.

Die Ursachen für die inter- und intraarborale Zunahme der Mistel sind jedoch unklar. U. a. kommen als Brutvogel, Durchzügler oder Wintergast vorkommende Vogelarten,

die die Beeren der Mistel als Nahrung aufnehmen -insbesondere die Misteldrossel, aber auch der Seidenschwanz (s. Foto unten)- für deren Verbreitung in Betracht.

Schnelles Ausscheiden der Samen bzw. relativ kurze Flugdistanzen beim oder nach dem Verzehr der Beeren könnten ein lokal gehäuftes Auftreten und im weiteren

Verlauf die herdartige Ausbreitung der Mistel erklären. Die Verbreitung über größere Distanzen kann sowohl mit der Eigenschaft der die Beeren verzehrenden Vogelarten

als Zugvögel oder Teilzieher als auch mit klimatisch bedingten Änderungen des Zugverhaltens der Vögel in Zusammenhang stehen.

Desgleichen die Klimaerwärmung scheint das Auftreten und die Verbreitung der Mistel zu beeinflussen, wie das Beispiel der Kiefern-Mistel (V. a. L. Ssp. austriacum

(Wiesb.) Vollmann) in der Schweiz zeigt. Auch im Berliner Raum hat das Institut für Meteorologie der Freien Universität Berlin eine durch die Temperaturveränderungen

bedingte Verlängerung der Vegetationsperiode verschiedener Gehölzarten (u. A. der Birke) innerhalb von rd. 25 Jahren festgestellt.

Auf der Grundlage von in Deutschland und verschiedenen Nachbarländern durchgeführten Untersuchungen kann der derzeitige Kenntnisstand wie folgt

zusammengefasst werden. Die Laubbaum-Mistel, aber auch die Kiefern-Mistel nehmen in Europa und Deutschland teilweise stark zu. Die möglichen Ursachen für die

Zunahme der Mistel sind unklar und vielfältig:

die Klimaerwärmung scheint die Mistel zu begünstigen Sommerhitze und Trockenstress schwächen die Wirtsbäume;

gute Nährstoffversorgung und Bodenbelastungen begünstigen anscheinend die Besiedlung von Bäumen mit Misteln;

zahlreiche Vogelarten tragen sowohl zur Verbreitung über größere Distanzen als auch zum lokal gehäuften Auftreten und zur herdartigen Ausbreitung bei;

die tatsächlichen Folgen des stark vermehrten Auftretens der Laubbaum-Mistel für die Wirtsbäume sind (noch) nicht ausreichend bekannt;

eine wirksame direkte Bekämpfung der Mistel durch Schnittmaßnahmen ist sehr schwierig und aufwändig oder auch unmöglich;

die gezielte Anpflanzung mistelabholder Baumarten und -sorten (Rot- und Gefülltblühende Rosskastanie, Schwarzerle, Hainbuche, Esche) könnte eine mögliche

Alternative für deren Eindämmung sein.

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1987 1993 1999 2004 2007 2010Beobachtungsjahre

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1987 1993 1999 2004 2007 2010

Untersuchungsjahre

0=keine M isteln

1=1-5 M iste ln

2=6-10 M iste ln

3=>10 M iste ln

Anzahl besi edelter B äum e ( % )

Anzahl der untersuchten Birken(Grafik rechts)

1987-1999: je 38 Bäume 2004 52 Bäume 2007 72 Bäume 2010 63 Bäume

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Un te rs u c h u n g s ja h re

0 = k e in e M is te ln

1 = 1 - 5 M is te ln

2 = 6 - 1 0 M is te ln

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An z a h l b e s ie d e lte r B ä u m e ( % )

Entwicklung der Mistelpopulation an Ahorn, 1987-2010 (Standort: Steglitz-Zehlendorf)

Anzahl der untersuchten Ahorn-Bäume(Grafik links)

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Un te rs u c h u n g s ja h re

0 = k e in e M is te ln

1 = 1 - 5 M is te ln

2 = 6 - 1 0 M is te ln

3 = > 1 0 M is te ln

An z a h l b e s ie d e lte r B ä u m e

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Entwicklun der Mistelpopulation an Linde, 1987 - 2010 (Standort: Steglitz-Zehlendorf)

Anzahl der untersuchten Linden(Grafik rechts)

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Entwicklung der Misteln an ausgewählten Birken,2008 -2010 (Standort: Steglitz-Zehlendorf)

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Anzahl Misteln

Entwicklung der Misteln an ausgewählten Ahornbäumen,2008 -2010, (Standort: Steglitz-Zehlendorf)

Entwicklung der Mistelpopulation an Laubbäumen, 1987 - 2010 (Standort: Steglitz-Zehlendorf)

Entwicklung der Mistelpopulation an Birke,1987-2010 (Standort: Steglitz-Zehlendorf)

Anzahl der insgesamt untersuchten Laubbäume(Grafik links)

1987-1999: je 294 Bäume 1993: 297 Bäume 2004: 371 Bäume 2007: 425 Bäume 2010: 426 Bäume

Kontakt: Holger-Ulrich Schmidt, Pflanzenschutzamt Berlin, Mohriner Allee 137, 12347 Berlin, T.: (030) 700006-215 (Dw.), Email: [email protected]

Seidenschwanz in einem Mistelbusch auf einem Apfelbaum, Botanischer Garten Berlin-Dahlem

06. April 2009