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Die Mode als Spiegel des Wertewandels der Gesellschaft - am Beispiel der Französischen Revolution

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Die Mode als Spiegel des Wertewandels der Gesellschaft - am Beispiel der Französischen Revolution

Die Mode als Zeitzeugnis 6 Die Ausgangssituation - Das Rokoko 7 Einflüsse aus England - Die Entfaltung der Kultur des Rokoko gipfelt in seinem Untergang 10 Die Lage spitzt sich zu 11 Die französische Revolution - Politische Hintergründe 12 Abschaffung der Standestrachten 13 Politische Gruppierungen 16 Die Einführung einer neuen einheitlichen Mode 17 Das Chemisenkleid - die Mode der französischen Revolution 20 Napoleon und die Blüte des Empire 21 Ähnliche Tendenzen in der heutigen Gesellschaft - ein Marineunterhemd macht Karriere als Bürgerschreck 23

Literaturverzeichnis 25 Abbildungsverzeichnis 25 Abbildungsnachweis 26

Die Mode als Spiegel des Wertewandels der Gesellschaft - am Beispiel der Französischen Revolution

Arbeit im Fach Modetheorie betreuende Dozentin: Kathrin Hegedüsch Inhalte und Layout: Julia Mittermeier Modedesign, 3. Studienjahr, 2009/10

„Mode (von franz.: mode; aus dem lat.: modus; Art) bezeichnet die, in ei-nem bestimmten Zeitraum und einer bestimmten Gruppe von Menschen als zeitgemäß geltende Art, bestimmte Dinge zu tun, zu benutzen oder an-zuschaffen. Diese Art wird im Laufe der Zeit infolge gesellschaftlicher Pro-zesse immer wieder revidiert. Sie unterliegt zyklischem W andel.“

„Soziologisch betrachtet drückt Mode die Normierung gesellschaftlicher Be-ziehungen, die Zuordnung von Individuen zu bestimmten Gruppen der Gesellschaft und die Anpassung in einen bestimmten Zeitabschnitt aus, sowie den stetigen Wandel, die Revolutionierung dieser Norm, die steti-ge Infragestellung und die stetige Auflösung bestehender Normen.“

„Moden werden vom jeweils aktuell herrschenden Zeitgeist ausgelöst und be-stimmt. Sie entsprechen dem Zeitgeist, sie spiegeln ihn wider, aber sie sind nicht mit ihm gleichzusetzen. Während der Zeitgeschmack die Gesamtheit der kol-lektiven Geschmacksurteile (und der Zeitgeist die Gesamtheit der kollektiven Urteile jeglicher Art) bezeichnet, stellt die Mode die Gesamtheit an ästhetischen Äußerungen und Verhaltensweisen dar, die diesem Zeitgeist gerecht werden.“1

1 frei nach http://de.wikipedia.org/wiki/Mode

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Die Mode als Spiegel des Wertewandels der Gesellschaft - am Beispiel der Französischen Revolution

Die Mode als Zeitzeugnis

Entgegen der landläufigen Meinung, die Mode sei oberflächlich, stellt man, taucht man tiefer in diese Welt ein, schnell fest, dass die Mode zwar auf der Oberfläche arbeitet, das Prädikat oberflächlich aber keineswegs verdient. Vielleicht wird ihr dieses aufgrund ihrer schnelllebigen Art zugewiesen, weil sie schon vor allen anderen Künsten, wie zum Beispiel der bildenden Kunst oder der Architektur, auf das aktuelle Zeitgeschehen und den Zeitgeist reagiert. Noch bevor ein neues Bewusstsein richtig in den Köpfen der Gesellschaft verankert ist, kann man schon am Modewandel neue Denkmuster ablesen. Die Mode war von Anfang an ein Spiegel der Seele der Mensch-heit, ja sie entstand aus dem Bedürfnis des Einzelnen sich auszudrücken, stärker als es mit der bloßen Mimik und Gestik möglich ist. Mit ihr werden Zugehörigkeit, die Annahme oder die Ablehnung bestimmter Werte und Lebensweisen ausgedrückt. Die Mode hat sich so in unserer Gesellschaft etabliert, sie ist so alltäglich geworden, dass sie dann am meisten auffällt, wenn sie nicht vorhanden ist. Die Bandbreite ihrer Ausdrucksmöglichkeiten ist mittlerweile so groß, dass ihre Wirkung oft von subtilen Kleinigkeiten abhängt. Die Bedeutung der Mode als Ausdruck eines vorherrschenden Zeitgeistes und als bewusst angewendetes Mittel zur Verbreitung neuen Gedankengutes fasziniert mich. Im Folgenden will ich auf die Mode vor, während und nach der französischen Revo-lution eingehen. Die Wirren und revolutionären Umstürze dieser Zeit zeigen besser als jedes andere Beispiel der Geschichte die Reaktionsschnelligkeit, Aktivität und die Bedeutung der Mode als Zeitzeugnis. Innerhalb kürzester Zeit etablieren sich im Zeitgeschmack des 18. und 19. Jahrhunderts zuerst die ausladenden Formen und auf-wändig verzierten Flächen des Barock, schließlich die schmalen, einfachen Chemisen-kleider und wieder wird mit dem Rückfall in die Monarchie das einfache, nach einem antiken Vorbild entstandene Chemisenkleid zum prunkvollen Galakleid des Empire.

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Die Ausgangssituation - Das Rokoko

Das Rokoko ist eine anmutigere und gefälligere Spätform des Barocks. Seine Gesell-schaft zeichnet sich durch ihr Streben nach größtem Vergnügen und höchster Kunst-fertigkeit aus. Man kann sie als eine Spaßgesellschaft bezeichnen, „Leichtsinn“ galt als Tugend. Die Kleidung, wie auch das Leben der Gesellschaft des Rokoko zeichnete sich durch eine gewollte Künstlichkeit aus, die eine Verformung des Körpers und das Anbringen von allerlei Gestellen am Körper nach sich zog. Als Dekorationsstil benö-tigte das Rokoko große Flächen um wertvolle und reich verzierte Stoffe „auszustellen”, woraus die Übergröße der Röcke resultierte. Die künstliche Verformung des Körpers begann schon in der Kindheit. Bereits junge Mädchen trugen Korsette, die die Taille einschnürten. Diese Deformierung wurde in gesundheitsschädigendem Maße betrieben. Gräfin Franziska Krasinska berichtet zum Beispiel ihre Taille würde den Umfang einer halben Elle (ca. 30 cm) nicht überschrei-ten.1 Zum Vergleich: Der Taillenumfang einer Größe 36 beträgt heutzutage 66 cm.2 Die Verformung des Körpers erfüllte nicht nur ästhetische Ansprüche, das Korsett galt auch als Tugendwächter der Frau, indem es den Körper zähmt und die Sitten festigt. Es wurde als „Vormund des Körpers“3 bezeichnet.Im Kontrast zu den extrem schmalen Taillen waren die Röcke des Rokoko weit ausla-dend und wurden durch an der Hüfte angebrachte und flach gedrückte Reifröcke oder Considérations-Gerüste (Abb. 3) gestützt.4 So in Form gebracht hatte ein Galakleid eine Saumweite von bis zu 7 Ellen. Das bedeutet, dass eine Dame in einem solchen Kleid ca. 2 Meter breit war. Die dadurch entstandenen Unbequemlichkeiten kann man sich leicht vorstellen. So musste ein Mann, der eine Dame in solch einer „Robe à la française“ führte, stets einen Schritt vor oder hinter ihr gehen. Dieselbe konnte nur seitwärts durch Türen treten und bei Tisch brauchte sie dreimal so viel Platz wie zuvor. Ein ebenso großer Aufwand wurde mit den Frisuren betrieben, die aufwändig gearbei-tet unermesslich hoch wuchsen, so dass das Kinn einer normal großen Frau oft in der Mitte ihres Körpers zu finden war. Das beträchtliche Gewicht der Kleider und die Steifheit des Stützwerks präg-ten, zusätzlich zur Deformierung des Körpers, Haltung und Gestik. Hier vor allem ist die oberste Prämisse des Barock zu erkennen, Widernatürlichkeit an-stelle von Natürlichkeit. Kunstfertigkeit und Schönheit zeichneten sich im-mer durch den Sieg über den Körper und über die Natur aus. Ähnlich wie bei den französischen Gartenanlagen dieser Zeit wurde auch der mensch-liche Körper den ästhetischen Ansprüchen der Zeit gemäß geformt.

1 Von Boehn, Max: Die Mode, Eine Kulturgeschichte vom Barock bis zum Jugendstil. München, 5. Aufl. 1996 (1976), S. 432 Größentabellen des DOB-Verbandes Köln, 19833 Stadtmuseum München, Sonderausstellung Mode sprengt Mieder - Silhouettenwechsel , 20104 Von Boehn, Max: Die Mode, Eine Kulturgeschichte vom Barock bis zum Jugendstil. München, 5. Aufl. 1996 (1976), S. 42 Abb. 2: Joseph von Goez: „Verschönerungskünste“ Abb. 3: Deutsche Karikatur, 1775-1781

Abb. 1: „Robe à la française“

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Der übertriebene Luxus diente dem Hauptziel des Rokoko, dazu zu amüsieren. Immer wieder mussten neue und noch kostspieligere Amüsements erfunden werden, um der ansonsten unbeschäftigten Gesellschaft, die sich bewusst oder aus Gedankenlosig-keit von jeder Realität abschottet, einen Tagesinhalt zu geben. Wie Marie Antoinette selbst einmal zu dem österreichischen Berater Mercy sagt: „Ich habe Angst mich zu langweilen.”5

Dieser Satz ist bezeichnend für die gesamte Epoche des Rokoko. Aber nicht nur die Angst sich zu langweilen, sondern auch die Scheu vor Anstrengung ist auf dem Hof weit verbreitet. Durch die hohe Geburt und die frühe Heirat an allen Luxus gewöhnt, glaubt keiner, am allerwenigsten Marie Antoinette daran, dass man etwas tun muss, um eine so privilegierte Stellung zu behalten. Durch seine Wirklichkeitsferne, das bewusste Ausblenden der Welt außer-halb des Hofes, und durch seine Weigerung sich mit Fragen zu beschäftigen, die über die künstlich geschaffenen Welt des Hofes hinausgehen, schafft es der Rokoko sich nach und nach selbst zu entkräften, er schaufelt wörtlich gespro-chen das Grab des über Jahrhunderte aufgebauten Herschaftsimperiums und be-schwört somit den Zusammensturz des gesamten Gesellschaftsgefüges herauf.

Einflüsse aus England - Die Entfaltung der Kultur des Rokoko gipfelt in seinem Untergang

Einflüsse aus England - eine Zeit lang brach ein richtiggehender Anglizismus in Frankreich aus - brachten der französischen Hofbekleidung neben dem französischen Galakleid, der „Robe à la française“, mit der „Robe à l‘anglaise“, eine zunehmend funk-tionellere Mode. Die Ausgrabungen am Herkulaneum 1738 brachten ein zunehmendes Interesse an antiker Lebensart und bald liegt auch schon die Aufklärung mit Rousseaus „Zurück zur Natur” in der Luft. Marie Antoinette als die Modeikone ihrer Zeit nimmt all die in der Luft schwebenden Neuerungen auf und entdeckt in ihnen eine neue Art sich und ihrem Freundeskreis Vergnügen zu verschaffen. Von Natur aus freiheitslie-bend, ohne Interesse an großer politischer Macht und als Österreicherin dem franzö-sischen Hofprotokoll nicht verbunden, entspricht das neue Streben nach Natürlichkeit und freier Lebensweise genau ihrem Naturell. Im Trianon, dem Krönungsgeschenk Ludwig des XVI., lässt sie künstlich einen modernen, „natürlichen” Garten anlegen mit einem kleinen Bauerndorf, dem Hammeau. Dort trägt sie, dem Hofprotokoll Versailles‘ entwischt, schlichtere, in der natürlichen Umgebung praktischere Kleider aus Musselin. Auch ihre Frisuren werden einfacher. Nun wird künstlich das natürliche geschaffen. In diesem kleinen Reich Marie Antoinettes entfaltet sich vollkommen die Kultur des Rokoko, die Kultur des raffinierten Genießens. Die von Marie Antoinette neu entdeckte, einfachere Bekleidungsform kann man als

5 Zweig, Stefan: Marie Antoinette. Frankfurt am Main, 27. Aufl. 2007 (1932), S. 131Abb. 5 u. 6: Marie Antoinette in der „Chemise à la reine“ (links), bzw. in der „Robe à la française“ (rechts)

Abb. 4: Das „petit Trianon“ heute

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einen der Vorläufer des Chemisenkleides verstehen, das wiederum zum Empirekleid führt. Diese „Chemise à la reine“ ist eine als Oberbekleidung gedachte Neuinterpreta-tition der Chemise, des Unterkleids des Rokoko. Dieses Kleid, das Marie Antoinette noch als „Schauspielerin” auf der Bühne ihres eigenen Lebens, mit derselben Verspielt-heit und Unernsthaftigkeit wie zuvor ihre großen Galaroben trägt, verkörpert durch die Farb- und Stoffwahl und in seiner Einfachheit schon die Ideale, die später auch die Französische Revolution begleiten. Gerade dieses Gedankengut, das von Marie Antoinette und ihrem Umfeld noch ganz in der Form des Rokoko ausgelebt wird, führt schließlich zu ihrem Untergang, zur französischen Revolution und zu einer neuen modernen Gesellschaftsform. Die „Chemise à la reine“ bestand im Vergleich zu seinem Nachfolger noch aus wesentlich mehr Stoff, und auch seine Taille lag an der natürlichen Stelle. Im Ver-gleich zu seinem Vorgänger, der „Robe à la française“, zeigt sich jedoch schon eine richtungweisende Tendenz auf, nämlich die Verringerung der Stoffmen-ge und das Höherrutschen der Taille, die im Barock eher tiefer gesetzt war. Der Ausschnitt war für damalige wie für folgende Zeiten nicht sehr tief, was natür-liche Unschuld darstellen sollte. Auch in der Bekleidung zeigt sich was Stefan Zweig als den letzten Reiz des Rokoko bezeichnet, „das Spiel mit der Naivität, die Perversion der Unschuld [und] das Maskenkleid der Natürlichkeit“6.

Die Lage spitzt sich zu

Durch das politische Desinteresse der mächtigsten Personen Frankreichs, des Königs und der Königin, wobei der König aus Gedankenschwere und Phlegmatismus und die Königin aus Vergnügungssucht und kindlicher Unernsthaftigkeit allen politischen Fra-gen und Entscheidungen aus dem Weg geht, verliert der Hof nach und nach das Ver-trauen des Volkes. Marie Antoinette verhilft zudem zu Beginn ihrer Herrschaft vielen ihrer listigen Günstlingen zu machtreichen Positionen, die diese aber nur zu eigenen Zwecken und zur Vermehrung ihres Reichtums einsetzen, ohne die gesamtpolitische Wirkung ihres Tuns zu bedenken. Ihr unverantwortliches Handeln entspricht dennoch ganz dem Zeitgeist des Rokoko. Carpe diem und Vergnügungssucht prägen die Gesell-schaft, kein Gedanke wird an Morgen verschwendet, bloß keine Zukunftsängste. 1777 besucht Joseph II. seine Schwester Marie Antoinette. Während seiner Reise durch Frankreich, die er inkognito als Graf Falkenstein antritt, lernt er Land und Leute kennen. Er rüffelt in einem Gespräch Marie Antoinettes unvernünftiges, gedankenloses Benehmen: „In was mengst du dich ein. Du lässt Minister absetzten (...), Du schaffst neue kostspielige Ämter bei Hof ! (...) mit welchem Rechte [mengst] du dich in die Angelegenheiten des Hofes und der französischen Monarchie? Was für Kenntnisse hast Du Dir erworben, um (...) Dir einzubilden, Deine Meinung könnte

6 Zweig, Stefan: Marie Antoinette. Frankfurt am Main, 27. Aufl. 2007 (1932), S. 138

in irgendeiner Hinsicht wichtig sein und besonders in jener des Staates, die doch ganz besondere vertiefte Kenntnisse erfordert?“7 In seinem Abschiedsbrief, in dem er ihr all ihre Fehler anhand eines Fragenkataloges aufzeigt, schreibt er: „Ich zitter jetzt für Dich, denn so kann es nicht weitergehen; la révolution sera cruelle si vous ne la prépa-rez.“ Obwohl er selbst nicht, auch nur annähernd, die ganze Tragweite der Probleme vorhersehen kann, die über Marie Antoinette hereinbrechen werden, ist er der erste der das Wort Revolution benutzt und Marie Antoinette derart vorwarnt. Erst ein ganzes Jahrzehnt später wird sie den Sinn dieses Wortes begreifen, ja das Wort selbst erst seine gesammte, heutige Bedeutung erhalten. Ein weiteres Problem ist die schwierige Beziehung Marie Antoinettes zu Ludwig dem XVI. Die Enttäuschung der nicht vollzogenen Ehe und die charakterlichen Unter-schiede gefährden das Gleichgewicht des Hofes. Anstatt den entscheidungsschwachen König in seinen Aufgaben zu unterstützen, untergräbt Marie Antoinette die nicht besonders hoch geachtete Autorität des Königs bei Hofe indem sie ihn aus dem Kreis ihrer engsten Vertrauten ausschließt. So stellt sie beispielsweise einmal heimlich eine Uhr um eine Stunde vor, damit der König eine Stunde früher zu Bett geht und sie mit ihren Vertrauten früher auf einen Maskenball ausfahren kann. Die ganze Gesellschaft verspottet den übertölpelten Herrscher. Zusätzlich zu den politischen und höfischen Ränkespielen und Machtverschiebungen kam natürlich noch, dass die immensen Ausgaben des Hofstaates und die Hungersnot das Volk allmählich aushöhlten. Schon das Imperium des Sonnenkönigs Ludwig XIV. hatte an den Kräften des Volkes gezehrt und unvorstellbare Summen verschlungen, aber dieses Imperium stand in Zusammenhang mit einem zielstrebigen Charakter, einem Autokraten, der die unvorstellbare Macht, für die Versailles das Symbol darstell-te, zu behaupten und darzustellen, ja sogar zu erschaffen wusste. Unter seinen Erben ist keiner, der den schöpferischen Willen Ludwig des XIV. geerbt hat und so verliert Versailles nach und nach seine Macht und das Kräftegleichgewicht, das hunderte Jahre lang in eine Richtung gebogen war, beginnt zurückzupendeln und endet schließlich in der totalen Machtübernahme des Volkes während der französischen Revolution.

Die Französische Revolution - Politische Hintergründe

Die Halsbandaffäre, die 1790 durch die Gräfin de la Motte ausgelöst wird, zieht die Aufmerksamkeit des unzufriedenen Volkes auf die schon lange als hinterhältig und tyrannisch verschriene Königin. Das unterdrückte und ausgebrannte Volk hat nun endlich einen Sündenbock gefunden. Die, durch die Werke von Rousseau und Voltaire, nun gebildetere Bürgerschaft beginnt selbstständig zu denken und diese Gedanken durch Zeitungen und Karikaturblätter zu verbreiten. Die Enthüllungen des Finanz-ministers Calonnes über das Staatsdefizit und das bisher unbekannte Ausmaß der

7 Zweig, Stefan: Marie Antoinette. Frankfurt am Main, 27. Aufl. 2007 (1932), S. 163

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Ausgaben und Schulden des Hofes öffnen den Menschen die Augen für das Ausmaß an Privilegiertheit, das die Mitglieder des Hofes genießen. All der Unwille des Volkes zieht sich nun auf die Königin, die vermeintlich schlimmste Schmarotzerin von allen. Als diese endlich die ganzen Ausmaße der sich anbahnenden Katastrophe begreift, beginnt sie mit erheblichen Einsparungen und entlässt viele ihrer Günstlinge aus den unnötigen Stellungen. Doch das Schuldenloch ist bereits zu groß, ihre Einsparungen bleiben in dem großen Tumult unbemerkt. In ihrer Verzweiflung holt Marie Antoinette den Minister Necker in ihr Privatkabi-nett. Dieser wurde in der Vergangenheit in Ungnade vom Hof entlassen, genießt aber großes Vertrauen beim Volk. Necker beruft am 5. Mai 1789 die Nationalversammlung ein. Als die Verhandlungen außer Kontrolle geraten entlässt der König Necker wieder aus seinen Pflichten und bereitet einen militärischen Gegenschlag vor, der am 14. Juli durch den Sturm der Bastille vom Volk beantwortet wird. Der unentschlossene König zieht daraufhin seine Truppen aus Paris zurück. Durch diese Hinnahme, des Wider-stands, die die Soldatenopfer des Kampfes unnötig macht, verliert er auch den Rest seiner Autorität. Die Französische Revolution und die damit verbundene, schleichende Entmach-tung des Hofes führen zu einer Stärkung des vorher vernachlässigten Landadels und des Bürgertums, den eigentlichen Gewinnern der französischen Revolution. Somit bestimmen ab jetzt diejenigen die Mode, die vorher eher am Rande an ihr mitgewirkt haben und nicht dem extremen Stil des Hofes gefolgt waren. Es kommt zu einem Wechsel der „Moderegentschaft“. Dieser Umstand ist bedeutend, weil solch eine gravierende Veränderung der Bekleidung in ein und derselben Gesellschaftsschicht schon rein körperlich nicht möglich gewesen wäre, da ein derart durch ein Korsett verformter Körper nicht plötzlich ohne auskommen kann. Die Befreiung vom Korsett aber stellt eines der erstrebten Ziele der neuen Bekleidungsform dar. Die Bauern, die durch das erstarkende Bürgertum zurückgedrängt immer noch am Rande des Existenzminimums leben, haben nicht die Mittel die Mode aktiv mitzugestalten.

Abschaffung der Standestrachten

Zu den ersten Beschlüssen der Nationalversammlung gehörte 1789 die Abschaffung der Standestrachten. Der „Habit à la Française“ existierte zwar noch über den Beginn der französischen Revolution hinaus als Hofkleidung und verschwand erst mit der Guillotinierung Marie Antoinettes aus der Öffentlichkeit, stand aber nicht mehr im Mittelpunkt der Mode. Die Mode selbst wird ab 1789 zum politischen Accessoire. Stoffe, Schnitte, Farben, alles war Ausdruck einer politischen Meinung. Die silber-nen Schuhschnallen und die roten Absätze des Adels verschwanden, Seide galt als antirevolutionär und war verpönt, sie wurde durch aus England importierte Baum-wolle ersetzt, die als natürlich, volksnah und revolutionär angesehen wurde. Ebenso änderte sich die Farbwahl. Statt den feinen Pastellnuancen des Rokoko waren nun die wichtigsten Farben die der Tricolore, weiß, blau und rot. Kokarden, Schleifen

Abb. 7: Korsettschäden

Abb. 9: Eugène Delacroix: „La liberté guidant le peuple“

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oder Schärpen in ihren Farben schmückten den einfachen schwarzen Tuchanzug der Männer, der vormals aufgezwungen nun zum „Ehrenkleid“ erklärt wurde.8 Der Matrosenkleidung entlehnte Röhrenhosen, ein offenen Hemd und Holzschuhe (eigentlich Kennzeichen des Bettlerstandes) und die phrygische Mütze, das Zei-chen der befreiten Galeerensträflinge von Marseille, vervollständigten das Bild. Die Frauen der Revolutionäre taten es ihren Männern nach und trugen ebenfalls die Revolutionsmütze. Einige wagten es sogar Pantalons zu tragen, wie die Röhrenhose der Revolutionäre genannt wurden. Zur üblichen Kleidung zählten allerdings der Caraco mit Brusttuch, ein hoher Hut und der Rock. Dass der „Habit à la Française“ die Wirren der Revolution so lange überlebt ist kein Zufall. Die Königin hatte sich ja bereits vor Ausbruch der Revolution ihre eigene einfache Mode kreiert, die durch-aus den modernen Ansprüchen entsprach, von den pompösen Hofkleidern hatte sie sich abgewandt. Die Tauzieher der Revolution und die Hauptträger der National-versammlung aber wollten bewusst den Kontrast zwischen Hof und Volk betonen. So ist jedes Aufeinandertreffen zwischen den königlichen Würdenträgern und dem Volk im vorraus geplant und genauestens inszeniert. Die altmodische und beim Volk verpönte Kleidung soll das Königspaar weiterhin deutlich vom Volk unterscheiden und auffallen und so die beiden Parteien weiter entfremden. Marie Antoinette hat als Gefangene ihres eigenen Volkes kein Mitspracherecht bei öffentlichen Veran-staltungen, einzig im Geheimen kann sie etwas zur Rettung ihrer Familie tun.

Politische Gruppierungen

Die Wirren dieser Zeit und die Abschaffung der Standestrachten durch den National-konvent brachten unzählige verschiedenartige Moden hervor. Es gab unterschiedlichste Gruppierungen, die alle ihren eigenen Stil pflegten und ihre eigene politische Meinung hatten. Eine davon waren die Merveilleuses, die Wunderbaren. Diese pflegten trans-parente Kleider ohne Korsett und Reifrock zu tragen. Bei diesen Hemdkleidern ist die Taillenlinie weit nach oben, unmittelbar unter die Brust verschoben. Das Oberteil und der Rock sind so miteinander verbunden, dass der Eindruck eines einteiligen Kleides entsteht. Durchgehend werden helle, fließende, zarte Stoffe verwendet, die die lange schlanke Körperform der jungen Frauen betonen und oft durchscheinend sind. Dieser Kleidungsstil steht in extremen Kontrast zur bisher verbreiteten Mode. So kann man diese Jugendlichen in ihrem provokanten Äußeren durchaus mit der Punkbewegung vergleichen. Vor allem da ihre männlichen Gegenstücke, die Incroyables, ähnliche Fri-suren wie die heutigen Punks trugen, nämlich am Oberkopf kurz geschnittene, seitlich herabhängende Haare.9 Diese plötzliche Liberalisierung der Damenkleidung stößt im gesellschaftlichen Kontext oft auf heftige Ablehnung. „Die Beseitigung der (...) Gerüste wie Reifrock und Korsett öffne der Unmoral Tür und Tor, so lautet die Sorge

8 Rakewitz, Gertraud; Krause, Gisela; Lenning, Gertrud: Kleine Kostümkunde. Berlin,13. Aufl. 2003, S. 1689 The Kyoto Costume Institute: Fashion. Köln, 2002, S. 31

Abb. 8: Die neue und die alte Gesellschaft

Abb. 10: Hemdkleid

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der Gesellschaft.“10

Mit ihrer neuen, freizügigen Kleidung rebellieren die Merveilleuses nicht nur ästhe-tisch gegen die alte Ordnung, die Merkmale der Kleidung sind Sinnbilder für ein neu entstandenes Bewusstsein und Menschenbild. Die durchscheinenden Kleider zeigen eine Offenheit, ja eine Neugier gegenüber Natur und Andersartigkeit und ein immenses Selbstbewusstsein. Die junge Generation will sich nicht mehr in die starren Zwänge des Ancien Regimes einfügen in der einzig und allein die Meinung des Herrschers zählt, falls dieser denn die Lust hätte nachzudenken. Beeindruckt von der Antike, ihrer Demokratie, nicht sosehr was das abstrakte politische Gefü-ge angeht, sonder vielmehr, was Meinungsfreiheit und Gedankenfreiheit betrifft, übernimmt sie von ihr die Lust am philosophieren. Man stelle sich das Bild des antiken Philosophen vor, der sein Leben damit verbringt, auf öffentlichen Plätzen über die großen Fragen der Welt zu diskutieren - ich kann mir denken, dass die Vorstellung eines solchen Lebens die Menschen zu dieser Zeit sehr beeindruckt hat. Auch zeigt sich im neuen Kleidungsstil, jedenfalls theoretisch, eine Offenheit gegenüber Andersartigkeit. Nichts muss nun mehr in den Rahmen eines Korsetts gepresst werden, alles darf öffentlich gezeigt und somit auch ausgesprochen werden. Selbständige, junge Frauen unterhalten öffentliche Salons in denen über Politik, die öffentliche Meinung und das Leben diskutiert werden darf. Eine bedeutende Neue-rung - die die Gesellschaft der französischen Revolution auch ihrem antiken Vorbild voraus hat - ist die gleichberechtigte Rolle der Frau in der Gesellschaft. Weder vor noch nach der französischen Revolution im Empire waren die Frauen so frei und unabhängig und auch politisch aktiv wie zur Zeit der französischen Revolution.

Die Einführung einer neuen einheitlichen Mode

Da die Revolutionsführer die Kleidung wieder vereinfachen wollten, um eine ein-heitliche Gesellschaft und eine neue Zusammengehörigkeit zu schaffen, wurde der Maler Jacques-Louis David, ein wegen seiner Begeisterung für die Antike und deren demokratisches Staatssystems aktiver Mitgestalter der Revolution, gebeten, Mode-entwürfe für eine neue Bekleidung zu zeichnen. Diese wurden dann vervielfältigt und verteilt. Während sich seine Entwürfe für Männer nicht durchsetzten, waren die Frauen von seinen, von der Antike inspirierten, fließenden Gewändern begeis-tert. Auch seine Darstellung antiker Themen, wie zum Beispiel die des „Schwurs der Horatier“ (Abb. 11), beeinflusste die weibliche Mode. Als vermeintliche Farbe des antiken Griechenlands besaß Weiß einen besonderen Stellenwert und wur-de zur bedeutendsten Farbe für die Frau. Das aus Davids Entwürfen resultierende Chemisenkleid kann man ab 1795 mit Beginn des „Directoirs“, des ersten Regie-rungsgremiums der französischen Revolution, als gängige Mode bezeichnen.

10 Stadtmuseum München, Sonderausstellung Mode sprengt Mieder - Silhouettenwechsel , 2010

Abb. 11: Jacques Louis David: „Der Schwur der Horatier“ (Ausschnitt), 1784

Abb. 12: Louis Bouilly: „Das Billardspiel“

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Das Chemisenkleid - die Mode der französischen Revolution

Das Chemisenkleid, so genannt wegen seiner Ähnlichkeit mit der Chemise, dem Un-terkleid des Rokoko, besteht aus leichten, durchscheinenden Wollstoffen wie Musselin oder Gaze. Die Taille sitzt im Gegensatz zur Bekleidung des Rokoko unterhalb der Brust, von wo aus der Rock glatt und ohne Zierrat herabfällt, „denn entscheidend für das Empirekleid ist die durchgehende Vertikale und der leichte Stoff. Man wollte ja die organische Einheit des menschlichen Körpers [betonen].“11 Durch seine Einfach-heit steht es in bewusstem Kontrast zu den als denaturiert bezeichneten Formen der Rokokokleider. Auch die Verlegung der Taille unter die Brust ist bewusst gewählt, da es sich hier um eine kaum verformbaren Stelle des menschlichen Körpers handelt. Die Kleidung hat, jedenfalls vorerst, nicht mehr der Anpassung an die Eitelkeit zu dienen. Der Körper wird nicht mehr verkleidet, sondern eher entkleidet. Daraus resultieren der tiefe Ausschnitt und die kurzen Ärmel. Auch waren alle formenden Untergewänder, wie das Korsett verpönt, trotzdem wurden natürlich teilweise hautfarbene Unterklei-der oder auch stützende Trikots verwendet, wenn ein Frauenkörper nicht dem wieder entdeckten, antiken Ideal vom schlanken, schönen Körper ohne extreme, weibliche Formen entsprach. Die kurzen Ärmel, sowie der Rock lassen eine große Bewegungsfreiheit zu, was auf eine ebenso freie Geisteshaltung der Gesellschaft schließen lässt. Auch die Befreiung von Korsett und der damit verbundenen Schwäche durch Magen- und Atemprobleme lassen auf eine Stärkung der Rolle der Frau in der Gesellschaft schließen. Bald jedoch treibt das modevernarrte Paris sogar die äußerste Schlichtheit zur Extra-vaganz. Unter dem Vorwand antik zu sein, wird aus der einfachen eine „nackte Mode“. Es entsteht ein Wettstreit, welche Dame im Stande ist am wenigsten anzuziehen, was im europäischen Klima vor allem im Winter die Erkältungsgefahr enorm erhöht. „Die Ärzte nennen die Erkältungskrankheiten [bald] nur noch Musselin-Krankheiten.”12

Dieses einfache Kleid mit seinem glatten geraden Rock geht mit fortschreiten-der Begeisterung für die Antike immer mehr in einen klassizistischen Stil über. Auf dem Bild Madame Récamiers (Abb. 16) sieht man deutlich die Anlehnung an die Antike, der Faltenwurf, die Haltung, die Frisur, alles ist an griechische Statuen angelehnt. Nun wird wieder mehr Stoff verwendet und in feine Falten gelegt. Das Kleid erhält eine Schleppe und als Napoleon von seinen Ägyptenfeldzügen lange und teure Kashmirschals mitbringt ist man von dem neuen Accessoire begeistert.

11 Kluckhohn, Paul; Rothacker, Erich: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesge-schichte, 1927, Nr. 5, S. 76212 Von Boehn, Max: Die Mode, Eine Kulturgeschichte vom Barock bis zum Jugendstil. München, 5. Aufl. 1996 (1976), S. 125 u. S. 136Abb. 16: Francois Gérard: „Madame Récamier“, 1802 Abb. 17: Hellenistische Frauentracht

Abb. 15: Chemisenkleider, um 1800Abb. 13 u. 14: Bevorzugte Baumwoll-

stoffe Musselin (oben) u. Gaze (unten)

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Napoleon und die Blüte des Empire

Mit der Machtergreifung Napoleons und seiner Krönung 1804 wird die Kleidung, statt weiterhin die ideellen Werte von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit zu tragen, wieder zum Propagandamittel. Napoleons Verrat an der Revolution besteht darin, dass er die Strukturen des „Ancien Regime“ wieder einführt und so die wieder erstarkte Oberschicht auch das Modezepter in die Hand nimmt. Napoleon verhilft der Seide zu neuen Ehren, um die Lyoner Seidenproduktion und somit die französische Wirtschaft zu stärken, die mit dem Untergang Ludwig des XVI. vollkommen zum Stillstand kam. Zu diesem Zweck stattet er die ganze Gesellschaft, die seiner Krönungszeremonie beiwohnt mit den edelsten Seidenkleidern aus. Die Kleider der Frauen haben zwar denselben Schnitt wie das Chemisenkleid, kehren sich aber durch den schwereren Stoff und die edlen Verzierungen von deren Schlichtheit ab. Um der Bedeutung des Napo-leonischen Hofes und des französischen Empires gerecht zu werden, sind kunstvolle Stickereien, Spitzen und aufwändige Accessoires wie lange Handschuhe, repräsentative Krägen und extra angebrachte Schleppen ab 1804 ein Muss. Aus dem bescheidenen Chemisenkleid ist das neue Empirekleid geworden. Auch Kaiserin Josephines kostbare Courschleppe soll den Status und das Überirdische der neuen Machthaber darstellen. Das Empirekleid, das bis heute namensgebend ist für alle Kleider mit einer erhöhten Taille, zeigt durch seinen Prunk bereits das Ende der Ära der Revolution an. Von nun an geht es wieder bergab mit Werten wie Gleichberechtigung, Meinungsfreiheit und Selbstbestimmung. Dahin ist die hart erkämpfte Demokratie, die Gleichberechtigung und Handlungsfreiheit des einzelnen Bürgers und der Frau. Um 1815 kommen die Chemisenkleider im Stil der Antike endgültig aus der Mode. Im Laufe der Jahre rutscht die Taille wieder tiefer und ab 1824 er-scheint als Folge davon das Korsett auf der Bildfläche. Dessen Wiederein-führung ist auch Sinnbild für ein enger werdendes Gesellschaftsbild und die Abkehr von revolutionären Werten. Gleichheit im Kontrast zur Betonung ty-pischer Merkmale der Frau, Freiheit im Gegensatz zu steifer Einengung.

Abb. 20: Jacques-Louis David: „Die Krönung Napoleons,“ 1806 – 1807, (Ausschnitt)

Abb 18 u. 19: Jean B. Isabey: „Josephine im Krönungsornat“, 1804 (Ausschnitte)

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Ähnliche Tendenzen in der heutigen Gesellschaft - ein Marineunterhemd macht Karriere als Bürgerschreck

Liest man in heutigen Modezeitschriften oder spricht man mit einer Verkäuferin stellt man sehr schnell fest, dass als Empirekleid so ziemlich jedes Kleid bezeichnet wird, dessen Taillenlinie direkt unter der Brust sitzt. Sein Rock kann heute lang oder auch kurz sein, bauschig oder gerade geschnitten, es kann Ärmel haben oder nicht und eventuell trägt man sogar Jeans darunter. Seine inhaltliche Bedeutung scheint es ganz verloren zu haben. Dennoch zeigen sich in unserer Gesellschaft durchaus ähnliche Tendenzen. In den 50ger Jahren brachten Marlon Brando und James Dean in den amerikanischen Kassenschlagern „Endstation Sehnsucht” (1951) und „ ... denn sie wissen nicht was sie tun” (1955) den Trend des T-Shirts als Oberbekleidung auf. „Die Kostümdesignerin Lucinda Ballard lieferte dazu einen nicht unwichtigen Beitrag, indem sie Brando für die Rolle des „Kowalski“ mit Blue Jeans und T-Shirts ausstattete“13. Ursprünglich aus der Matrosenkleidung diente dieses Hemd aus Baumwoll-Jersey eigentlich als warme Unterbekleidung. Durch die Umfunktionierung des Unterhemds als Oberbekleidung protestieren die „jungen Rebellen” eindrucksvoll gegen ihre Väter, die auch in ihrer Freizeit Hemd und Krawatte nicht ablegten. In den 70er Jahren trugt Robert Redford ein weißes Feinripphemd während der Dreh-arbeiten zu „Der große Waldo Pepper“. Die Geburtsstunde des später als Tank Top für die Frauenbekleidung adaptierte Muskelshirt. Auch hier werden festgefahrener Muster aufgebrochen. Wieder führen diese Tenden-zen zu Extremen, etwa dem tragen von Bikinioberteilen in der Schule, was 2006 in München zu einem regelrechten Skandal führte und eine Diskussion zu Gegenmaß-nahmen nach sich zog. Diese Wirkung dürfte vergleichbar sein mit der, die eine nur mit einem durchsichtigen Etwas bekleidete Frau im 19. Jahrhundert auf die Menschen gehabt haben muss. Auch diese heutigen Tendenzen haben den Anspruch bewe-gungsfreundlicher und natürlicher zu sein. Wieder ist die schlanke Form des Körpers gefragt, diesmal jedoch durch den neuen Anspruch der Sportlichkeit erreicht. Auch ein Ideal, das schon in der Antike großen Stellenwert hatte. Schlankheits- und Gesund-heitswahn sind der Gipfel dieser Strömung und da in der menschlichen Gesellschaft, wie die vorausgehenden Betrachtungen zeigen, alles in entgegengesetzen Tenden-zen verläuft, eine Strömung immer extremer wird bis sie schließlich ins Gegenteil umschlägt, ist es nur eine Frage der Zeit bis die Menschheit sich, von der überirdisch dünnen Gestalt ermüdet, zurückbesinnt auf die natürliche Schönheit des Körpers.

13 http://de.wikipedia.org/wiki/Marlon_Brando

Abb. 21: Robert Redford am Set von „Der große Waldo Pepper“

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Literaturverzeichnis

Jeter Naslund, Sena: Décadence. München, 2008 (2006) Kluckhohn, Paul; Rothacker, Erich: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft undGeistesgeschichte, 1927, Nr. 5 Engler, Friedrich: Die französische Revolution. o.O, 1992 Von Boehn, Max: Die Mode, Eine Kulturgeschichte vom Barock bis zum Jugendstil. München, 5.Aufl. 1996 (1976) The Kyoto Costume Institute: Fashion. Köln, 2002 Rakewitz, Gertraud; Krause, Gisela; Lenning, Gertrud: Kleine Kostümkunde. Berlin,13. Aufl. 2003 Zweig, Stefan: Marie Antoinette. Frankfurt am Main, 27. Aufl. 2007 (1932) Stadtmuseum München http://de.wikipedia.org

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: „Robe à la française“, 1775 – 1779 Abb. 2: Joseph F. von Goez: „Verschönerungskünste“ Abb. 3: Deutsche Karrikatur, 1775 – 1785 Abb. 4: Das „petit Trianon“, heute Abb. 5: Elisabeth Vigée-Lebrun, „Marie Antoinette“, 1786 Abb. 6: Elisabeth Vigée-Lebrun, „Marie Antoinette“, 1783 Abb. 7: Korsettschäden Abb. 8: Eugène Delacroix: „La liberté guidant le peuple“, 1830 Abb. 9: „Die neue und die alte Gesellschaft“, Stich Abb. 10: Hemdkleid Abb. 11: Jaques-Louis David: „Der Schwur der Horatier“, 1784 Abb. 12: Louis Bouilly: „Das Billardspiel“, 1807 Abb. 13: Gaze Abb. 14: Musselin Abb. 15: Chemisenkleider, um 1800 Abb. 16: François Gérard: „Madame Récamier“, 1802 Abb. 17: Hellenistische Frauentracht Abb. 18: Jean B. Isabey: „Josephine im Krönungsornat“, 1804 Abb. 19: Jean B. Isabey: „Josephine im Krönungsornat“, 1804 Abb. 20: Jaques-Louis David: „Die Krönung Napoleons“, 1806 – 1807 Abb. 21: Robert Redford, „Der große Waldo Pepper“

Abbildungsnachweis

Abb. 1, 3, 9, 10, 16, 20: The Kyoto Costume Institute: Fashion. Köln, 2002 Abb. 2, 12, 18, 19: Von Boehn, Max: Die Mode, Eine Kulturgeschichte vom Barock bis zum Jugendstil. München, 5.Aufl. 1996 (1976) Abb. 4: http://nl.tripadvisor.com/LocationPhotos-g187148- Versailles_Ile_de_France.html Abb. 5, 6: http://www.costumeantique.de/data/kostuem_rokoko_galerie_da.html Abb. 7: http://www.skoliose-info-forum.de/files/korsettwirkung.jpg Abb. 8: http://www.radiostockholm.net/desertions/wp-content/uploads/2009/11/ tsi5_delacroix_001f.jpg Abb. 11: http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Jacques-Louis_David_020.jpg Abb. 15, 17: Privat Abb. 21: http://www.welt.de/lifestyle/article4246262/Maenner-das-Unterhemd- muss-drunter-bleiben.html

Verwendete Schriftarten: Adobe Caslon Pro, Semibold Italic, 14 Pt Adobe Caslon Pro, Bold, 10 Pt Adobe Caslon Pro, Regular/Semibold, 9 Pt Chaparral Pro, Regular, 7 Pt/7,5 Pt

Julia Mittermeier