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dtv Taschenbücher 30126 Die Nikomachische Ethik Übersetzt von Olof Gigon von Aristoteles, Manfred Fuhrmann, Olof Gigon 1. Auflage Die Nikomachische Ethik – Aristoteles / Fuhrmann / Gigon schnell und portofrei erhältlich bei beck-shop.de DIE FACHBUCHHANDLUNG dtv München 1998 Verlag C.H. Beck im Internet: www.beck.de ISBN 978 3 423 30126 8

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dtv Taschenbücher 30126

Die Nikomachische Ethik

Übersetzt von Olof Gigon

vonAristoteles, Manfred Fuhrmann, Olof Gigon

1. Auflage

Die Nikomachische Ethik – Aristoteles / Fuhrmann / Gigon

schnell und portofrei erhältlich bei beck-shop.de DIE FACHBUCHHANDLUNG

dtv München 1998

Verlag C.H. Beck im Internet:www.beck.de

ISBN 978 3 423 30126 8

dtv

Die >Nikomachische Ethik< ist eine der großen Moralphilo-sophien des Altertums. Sie unterscheidet sich in bemerkens-werter Weise von verwandten Schriften, die uns aus der Anti-ke überliefert sind, indem sie nicht den perfekten Menschenfordert und keine Anleitung zum vollkommenen Leben gibt.Im Verzicht auf unerreichbare Ideale wird eine präzise Ana-lyse ethischen Verhaltens möglich, wie es in der Wirklichkeitdes Alltagslebens sichtbar ist. Neben den klassischen Tugen-den des Charakters, die sich im Handeln, in der Praxisbewähren, kommen auch die Tugenden des Verstandes, desNachdenkens, der Betrachtung zu ihrem Recht. Damit ist die>Nikomachische Ethik< das erste Werk überhaupt, das inAngriff nimmt, was die Philosophie der Gegenwart als eineihrer wichtigsten Aufgaben ansieht: die phänomenologischeBestandsaufnahme der gegebenen ethischen Tatsachen.

Aristoteles wurde 384 v. Chr. in Stageira/Makedonien alsSohn eines Arztes geboren und ging mit i8 Jahren nachAthen. Dort war er zwei Jahrzehnte lang Mitglied der Akade-mie Platons, zunächst als Schüler, später als Lehrer. 343 v. Chr.wurde er zum Erzieher Alexanders des Großen berufen. Erstarb 322 v. Chr. in Chalkis auf Euböa. Die aristotelischeEthik war für die Philosophie der Antike und seit dem Mittel-alter auch für die Philosophie der katholischen Glaubens-lehre von größter Bedeutung.

Aristoteles

Die Nikomachische Ethik

Aus dem Griechischenund mit einer Einführung

und Erläuterungen versehenvon Olof Gigon

Deutscher Taschenbuch Verlag

Vollständige AusgabeOktober i ii

7. Auflage Juni 2006

Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, Münchenwrww.dtv.de

1967 Artemis Verlag, Zürich und MünchenUmschlagkonzept: Balk & Brumshagen

Umschlagbild: Aristotoles, Büste nach griech. Original(AKG, Berlin)

Gesamtherstellung: Druckerei C. H. Beck, NördlingenGedruckt auf säurefreiem, chlorfrei gebleichtem Papier

Printed in GermanyISBN-I3: 978-3-423-30126-8

ISBN- I O: 3-423-30126-0

EINFÜHRUNG

IDAS LEBEN DES ARISTOTELES

In unserer Zeit haben wir die Tatsache fast völlig aus den Augenverloren, daß die Biographie als eine Form der Geschichts-schreibung und der Literatur nur unter bestimmten geistigenVoraussetzungen existiert, die in der Vergangenheit längst nichtimmer vorhanden waren. Sie sind insbesondere in der griechi-schen Antike erst verhältnismäßig spät eingetreten. Kurz gesagtbestehen sie darin, daß der einzelne Mensch seine Bedeutungnicht mehr daher empfängt, daß er als Glied und Beauftragtereiner Gemeinschaft in Erscheinung tritt, sondern daß er in sichselbst bedeutend ist. Was er tut, tut er nicht mehr als Werkzeugund im Rahmen der Gemeinschaft, sondern autonom und auseigenem Antriebe. Sagen wir es konkreter: In einem ursprüngli-chen Sinne hat es Biographien immer von Fürsten gegeben, diefür sich als Einzelne den Staat repräsentieren und bei denen vonvornherein auch die persönlichste Eigenart und Entscheidungzu einem Stück Geschichte der Gemeinschaft wird. In einemdemokratischen Staatswesen wie demjenigen, mit dem Athen indie Geschichte eintritt, sind die Verhältnisse völlig andere. Daist der Einzelne nur erwähnenswert, soweit er in der Öffentlich-keit handelt und in die Geschicke des Staates unmittelbar ein-greift. Was er sonst noch ist, ist gleichgültig.

Es gibt nur eine Art von Überlieferung, die diese Regeldurchbricht. Es ist die Anekdote, die sich an isolierte Situatio-nen erinnert, in denen der Einzelne Mut, Witz und Schlauheitbewährt hat. Da steckt in der Tat ein Stück Biographie. Aber es

EINFÜHRUNG

läßt sich nicht weiterentwickeln, weil nicht der Lebensablauf,sondern nur der Augenblick festgehalten wird.

Biographisches Bemühen in einem umfassenderen Sinnescheint zuerst an den Dichtern rege geworden zu sein. In derDichtung haben wir autonome Leistungen, gestaltet durch denEinzelnen und bedeutend in sich selbst, auch abgesehen vomBezug auf die Gemeinschaft. Und obschon die Tragödie sichzunächst wie das Epos unpersönlich gibt, beginnt doch gegenEnde des 5. Jhd. v. Chr. ein ausdrückliches Interesse an den Per-sonen der Dichter zu entstehen. Man möchte wissen, wie So-phokles und Euripides ihr Handwerk gelernt haben, wie siearbeiten, was an persönlichen Absichten und Erlebnissen hinterihren Werken steckt, wie sie sich mit ihren Konkurrenten aus-einandergesetzt haben. Bestimmte Eigentümlichkeiten ihrerDramen werden in Verbindung gebracht mit ihrem persönli-chen Lebensstil und ihrem Freundeskreise.

Von den Dichtern springt das biographische Interesse überauf die Philosophen. Denn auch ihre Leistung ist autonom undentspringt nicht politischem. Auftrag oder Willen, sondern einerNeigung, die in der Persönlichkeit als solcher begründet ist. Sowendet sich die Aufmerksamkeit einem Sokrates zu, der völligabseits von der großen Politik lebt und wirkt. Aufgezeichnetwerden nicht bloß seine Lehren, sondern auch wer er selbst ist:Aus welchem Milieu er stammt, wie er aussieht, wie er sichkleidet, wie es mit seinen Familienverhältnissen und täglichenGewohnheiten bestellt ist.

Da entstehen denn die eigentlichen Biographien, die sowohldas cEuvre wie auch den Lebensablauf berücksichtigen, aus demdas UFuvre entstanden ist und der selbst so etwas wie ein Kunst-werk sein kann. Freilich liegt es in der Natur der Sache, daß dieMaterialien dazu vielfach schwer zu beschaffen sind. Oft müs-sen die seltsamsten Hypothesen herhalten, um Lücken in derLebensgeschichte auszufüllen. Erst im Laufe des 3.Jhd. v.Chr.

EINFÜHRUNG

wird das biographische Interesse allmählich so stark, daß dieHistoriker beginnen, sich sozusagen rechtzeitig um ihre Unter-lagen zu kümmern.

Diese Überlegungen waren unerläßlich, um begreiflich zumachen, daß wir dokumentarisch mit der Biographie des Ari-stoteles gar nicht gut daran sind. Gewiß hat die spätere Antikeeine Lebensbeschreibung besessen, in der viel über das Verhält-nis des Aristoteles zu Platon, zu den Königen von Makedonienund zum Staate von Athen zu lesen war. Aber das Dokumen-tenmaterial, das ihr zugrunde lag, war ausgesprochen dürftig.Man sieht deutlich, daß das Interesse an der Lebensgeschichtedes Aristoteles erst einige Generationen nach seinem Todewirklich erwacht ist. Da mußte man eben mit dem vorliebneh-men, was an zeitgenössischen Dokumenten und Äußerungennoch aufzutreiben war; dies wurde dann zu der Biographiekombiniert, die wir in Auszügen heute noch lesen.

Hier sei in aller Kürze der Versuch gewagt, diesen biographi-schen Aufbau gewissermaßen vor den Augen des Lesers nach-zuvollziehen.

Drei Gruppen von Zeugnissen ersten Ranges sondern sichvon selbst: einmal die offiziellen Dokumente im strengen Sinne,dann die Selbstzeugnisse und schließlich die Mitteilungen vonZeitgenossen.

An der Spitze der Dokumente steht das Testament des Philo-sophen, dessen Echtheit unbezweifelbar ist und das schon denantiken Biographen eine Reihe der wichtigsten Angaben gelie-fert hat. Es verlohnt sich, es im Wortlaut mitzuteilen: «Mögealles gut gehen. Sollte sich aber etwas ereignen, so hat Aristote-les folgendes verfügt: Die Aufsicht über alles und in allen Stük-ken soll bei Antipater liegen. Bis zu dem Zeitpur1kt, da Nikanoreintreten kann, sollen Vormünder sein Aristomenes, Timarchos,Hipparchos, Dioteles und Theophrastos, falls dieser dazu bereitist und die Möglichkeit hat, sowohl über die Kinder wie auch

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über Herpyllis und den gesamten Nachlaß. Wenn das Mädchenerwachsen ist, soll sie dem Nikanor zur Ehe gegeben werden.Stößt ihr aber etwas zu — was nicht geschehen möge noch ge-schehen wird —, vor der Hei:rat oder dann nach der Heirat, bevorKinder gekommen sind, so soll Nikanor Vollmacht haben, fürden Sohn und für das übrig ,2 zu sorgen, wie es seiner und unserwürdig ist. Nikanor soll sich als Vormund um das Mädchen undden Knaben Nikomachos kümmern, wie er es bei beiden fürrichtig hält, so wie wenn er ihr Vater und Bruder wäre.

Sollte aber dem Nikanor vorzeitig etwas zustoßen — was nichtgeschehen möge —, sei es vor der Hochzeit mit dem Mädchenoder nachher, bevor Kinder gekommen sind, so soll den Anord-nungen, die er etwa getroffen hat, Folge geleistet werden.Wünscht aber Theophrast (las Mädchen zu heiraten, so soll esgehalten werden wie im Falle des Nikanor: wo nicht, so sollendie Vormünder sich zusammen mit Antipater beraten und überdas Mädchen und den Knaben beschließen, wie es ihnen ambesten zu sein scheint.

Es sollen aber die Vormiinder und Nikanor bei ihren Maß-nahmen stets an mich denken sowie an Herpyllis, die mir einepflichtbewußte Gefährtin gewesen ist. Insbesondere sollen sie,falls sie sich zu verheiraten - wünscht, darauf achten, daß sie kei-nen Mann erhält, der meiner unwürdig wäre. Es sollen ihr außerdem, was sie früher empfangen hat, noch ein Talent Silber ausdem Nachlaß sowie drei Dienerinnen nach ihrer freien Wahlüberlassen werden, weiterhin die Magd, die sie schon hat undder Bursche Pyrrhaios. Falls sie sich in Chalkis ansiedeln will, sosoll ihr das beim Garten liegende Gästehaus überlassen werden,wenn aber in Stageira, dann das Haus meines Vaters. Wie immersie sich entscheidet, so sollen die Vormünder das Haus so aus-statten, wie es ihnen angemessen und für Herpyllis ausreichendzu sein scheint.

Nikanor soll auch dafür sorgen, daß der Knabe Myrmex in

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einer meiner würdigen Weise wieder zu den Seinigen gebrachtwerde mit allem, was ihm gehört und was wir von ihm in Emp-fang genommen haben. Ambrakis soll frei sein und, wenn meineTochter heiratet, fünfhundert Drachmen erhalten sowie dieDienerin, die sie schon hat. Auch Thales soll außer der gekauf-ten Dienerin, die er schon hat, einen Betrag von tausend Drach-men und eine weitere Dienerin erhalten. Desgleichen soll demSimos außer dem Geld, das er zum Kauf eines Dieners schonbekommen hat, entweder ein weiterer Diener gekauft oder nochein Geldbetrag zugewiesen werden. Tachon soll frei sein, sobaldmeine Tochter heiratet, ebenso Philon und Olympios und des-sen kleines Kind. Von den Dienern, die bei mir gearbeitet ha-ben, darf keiner verkauft werden. Sie sollen vielmehr weiter imDienste verwendet werden, und wenn sie das angemessene Alterhaben, sollen sie ihren Leistungen entsprechend freigelassenwerden.

Es soll auch Sorge dafür getragen werden, daß die Bildnisse,die dem Gryllion in Auftrag gegeben worden sind, vollendetund aufgestellt werden: dasjenige Nikanors, dasjenige des Pro-xenos, das ich in Auftrag zu geben beabsichtigte, und dasjenigeder Mutter Nikanors. Das bereits vollendete Bild des Arimne-stos soll als Denkmal für ihn aufgestellt werden, da er ja kinder-los gestorben ist. Ferner soll das Bild meiner Mutter im Deme-tertempel in Nemea aufgestellt werden oder wo es sonst gutscheint. Wo immer man mein Grab herrichtet, dorthin sollenauch die Gebeine der Pythias übergeführt und beigesetzt wer-den, wie sie es selbst angeordnet hat.

Endlich soll auch Nikanor, wenn er heil zurückgekehrt seinwird, entsprechend dem Gelübde, das ich für ihn getan habe,steinerne Statuen in Stageira aufrichten lassen, vier Ellen groß,für Zeus den Retter und Athena die Retterin.»

Es seien kurz die wichtigsten Data dieses Textes herausgeho-ben.

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An seinem Tone im allgemeinen werden wir vor allem dieLiebenswürdigkeit beachten sowie eine Frömmigkeit, die sichdurchaus dem alten Herkommen fügt. Aristoteles hat nicht an-ders als ein Epikur oder später ein Cicero wohl zu unterschei-den gewußt zwischen der spekulativen Theologie der Philo-sophen und den einfachen Anschauungen der geschichtlichenReligion, denen man im Leben gehorsam sein wird, ohne sie mitärgerlichen Fragen zu belästigen.

Als eine Hauptperson tritt im Testamente Antipater hervor.Er ist einer der Feldherren König Philipps von Makedonien,später für die Zeit der Abwesenheit König Alexanders in AsienStatthalter Makedoniens und Griechenlands. Wir stehen mitdem Testamente im Jahre 322 v.Chr., wenige Monate nach demTode Alexanders. Athen unternimmt den Versuch, die makedo-nische Herrschaft abzuschütteln, was Aristoteles zwingt, dieStadt, die seine Wahlheimat geworden war, zu verlassen. Erbegibt sich nach Chalkis auf Euböa. Hier ist das Testamentgeschrieben. Hier besitzt er ein Haus und vielleicht sogar nochvon seiner mütterlichen Familie her eine Art von Bürgerrecht.Wenn er den Namen Antipaters an die Spitze des Testamentesstellt, so ist dies unverkennbar eine Demonstration. Denn reali-stisch betrachtet, hat Antipater gerade in diesen Monaten, indenen er der mächtigste Mann in dem ungeheuren Reiche war,schwerlich die Zeit gehabt, sich um die Privatangelegenheitendes Aristoteles zu kümmern. Aber es lag Aristoteles daran, dieSeinigen ausdrücklich unter den Schutz Makedoniens zu stellen— und wohl auch beiläufig daran zu erinnern, daß seine persönli-chen freundschaftlichen Beziehungen ihm erlaubten, Antipaterauf diese Weise in Anspruch zu nehmen.

In zweiter Linie wird Nikanor genannt. Offensichtlich ist ernicht in der Nähe des Aristoteles, sondern auf einer langen undgefahrvollen Expedition ab ;vesend. Aristoteles hat ja für seineRettung ein ansehnliches Gelübde getan. Die Vermutung wird

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zutreffen, daß er den Feldzug Alexanders mitmachte und zurZeit der Niederschrift des Testaments sich noch irgendwo imfernen Asien befand. Er scheint, wie der Wortlaut des Gelübdeszeigt, Wohnsitz und vielleicht auch Bürgerrecht in Stageira zuhaben, demselben kleinen Städtchen in der nordgriechischenChalkidike (unweit dem heutigen Saloniki), in welchem auchdas Vaterhaus des Aristoteles selbst stand. Das Testament er-wähnt sodann Bilder nicht allein von Nikanor, sondern auchvon dessen Mutter sowie von Proxenos, der nach dem Zusam-menhang nur sein Vater sein kann, wie dies auch die anderweiti-ge Überlieferung bestätigt. Dieser ganzen Familie ist Aristotelesunverkennbar sehr nahegestanden. Es ist ja auch sein Wunsch,daß Nikanor für seine beiden Kinder sorgen und womöglichseine Tochter heiraten solle. Die Biographie wußte zu ergänzen,daß dies dann tatsächlich geschah: freilich soll er bald nach sei-ner Verehelichung gestorben sein. Die Tochter des Aristotelesheiratete später in zweiter Ehe einen vornehmen Spartaner, indritter Ehe einen Arzt.

Solange Nikanor nicht da ist, vertraut Aristoteles das Seinigefünf Männern an. Die ersten vier kennen wir weiter nicht. Derfünfte ist Theophrast, der Nachfolger des Aristoteles als Leiterder peripatetischen Schule. Das Testament stellt ihm mit beson-derer Rücksicht frei, sich zu entscheiden, wie es ihm richtigerscheint. Verpflichtungen familiärer Art hat er also nicht. SeineNennung im Testament wirkt als ein besonderes Zeichenfreundschaftlichen Vertrauens.

Der Fürsorge Theophrasts und der übrigen werden vor allemdrei Personen empfohlen: zunächst die beiden Kinder, dieTochter, deren Name nicht genannt wird, und der Sohn Niko-machos, der, wie in Griechenland häufig, den Namen des Groß-vaters trägt. Beide scheinen noch sehr jung zu sein, das Mädchenanscheinend etwas älter, aber auch noch nicht heiratsfähig, alsowohl nicht viel mehr als etwa zwölfjährig. Die Stellung der

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Herpyllis wird nicht ganz klar. Wäre sie im Sinne des Gesetzesdie Ehefrau des Aristoteles gewesen, wäre das vermutlich imTestament gesagt worden. Daß sie für Aristoteles persönlich imRange einer Ehefrau stand, ergibt sich ganz klar nicht nur ausder Bitte, sie einem «seiner :nicht unwürdigen Manne» zu geben,sondern vor allem auch aus dem Angebot, sie könne sein Vater-haus in Stageira übernehmen.

Der Vater wird im übrigen im Testamente nicht erwähnt. DieBiographie hat vermutlich mit Recht daraus gefolgert, daß ersehr früh gestorben ist. Wenn sie weiter beifügt, daß nach demTode des Vaters Nikomachos Proxenos als Vormund des Ari-stoteles gewirkt habe, so is -: dies mindestens nicht unglaubhaft.Die Mutter nennt Aristoteles ausdrücklich. Die Frage, warumihr Bild gerade im Demetertempel des abgelegenen Nemea süd-westlich von Korinth aufgestellt werden sollte, hat weder dieantike noch die moderne Forschung zu beantworten vermocht.Dagegen teilt die Biographie mit, der kinderlose Arimnestos seikein anderer als der leibliche Bruder des Aristoteles gewesen:die Schwester Arimneste, die sie auch noch anführt, dürfte frei-lich eine reine Erfindung sein. Schließlich hören wir noch vonPythias. Sie ist längst gestorben, soll nun aber mit Aristoteleszusammen im gleichen Grabe bestattet werden. Da kann es sichnur um die Ehefrau handeln, was durch die sonstige Überliefe-rung bestätigt wird.

Zwei Frauen sind also Aristoteles nahegestanden, Pythias undHerpyllis. Welche der beiden die Mutter der Kinder war, sagtdas Testament nicht. Die Biographie behauptet, die Tochter seider ersten, der Sohn der zweiten Verbindung entsprungen, wasvollkommen möglich und jedenfalls nicht widerlegbar ist.

Soweit der für uns wichtige Inhalt des Testaments. Wir erfah-ren aus ihm so ziemlich alles, was von seinen Familienverhält-nissen für uns zu wissen nötig ist. Anders als ein Platon, Epikuroder Zenon ist Aristoteles verheiratet gewesen und hat Kinder

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gehabt. Wer die griechische und vor allem athenische Art kennt,wird sich allerdings nicht wundern, daß gerade diese Tatsacheschon zu Lebzeiten des Aristoteles zu allerlei giftigen Polemi-ken ausgebeutet wurde. Von der ersten Gattin Pythias wurdeerzählt, sie stamme aus dem bedenklichen Milieu eines winzigenkleinasiatischen Fürstenhofes — woran in der Tat richtig war,daß sie die Nichte des Fürsten Hermeias von Atarneus in derTroas war, eines Kleinasiaten, woraus man entnehmen mochte,sie sei selbst keine echte Griechin gewesen. Von Herpyllis hießes, sie sei einfach die Geliebte des Philosophen gewesen, unddaß sich dann ihr Sohn Nikomachos nach dem Tode des Vatersangeblich nicht gerade gut entwickelte, tat ein übriges, um sie inschlechtes Licht zu bringen. Inspiriert waren diese Boshaftigkei-ten in Wahrheit weitgehend durch die Abneigung der Athenergegen einen Mann, dessen nahe Beziehungen zum Staate undHof Makedoniens bekannt waren und der, wie wir sahen, nochin seinem Testamente nachdrücklich darauf hinwies.

Allerdings werden wir nun auch die Dinge beachten, vondenen das Testament — unsern Erwartungen entgegen — nichtspricht. Nicht die Rede ist erstens vom philosophischen Lebens-werk des Erblassers. Wir erschließen zwar, daß der mit solcherAchtung behandelte Theophrast der Erbe dieses Werks ist. Undwenn wir lesen, daß Herpyllis in Chalkis nur das Gästehaus zurVerfügung gestellt werden kann, so kommt uns die Vermutung,daß das Haupthaus eben dem Schulbetrieb reserviert bleibenmuß. Denn die Schulanlagen in Athen sind in dieser Zeit zwei-fellos vom Staate beschlagnahmt gewesen, und Aristoteleskonnte auf dem Totenbett unmöglich wissen, daß diese undandere antimakedonischen Maßnahmen Athens nach kurzerZeit dank dem raschen militärischen Eingreifen Antipaters wie-der rückgängig gemacht werden würden.

Direkt ist aber von der Schule mit keinem Wort die Rede:weder von der wahrscheinlich recht beträchtlichen Bibliothek,

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die Aristoteles im Lauf der Jahre gesammelt hatte, noch vomeigenen schriftlichen Nachlaß des Meisters noch von der Orga-nisation oder den künftigen Aufgaben der Schule. Man magannehmen, daß Aristoteles in seiner mehr oder weniger offiziel-len Stellung als Schulhaupt Theophrast besondere Verfügungenhinterlassen hat, die das private Testament, das wir allein besit-zen, nichts angingen.

Nicht erwähnt ist sodann die Stadt Athen, in der Aristotelesimmerhin viele Jahrzehnte hindurch gelebt hat. L)a zeigt dasSchweigen deutlich genug, daß eine Katastrophe eingetreten ist.Über ihre näheren Umstände erzählen die Biographen allerlei.Freilich ist manches so sonderbar, daß der Schluß sich auf-drängt, schon die frühesten Biographen schienen nicht sichergewußt zu haben, ob es wirklich zu einem Prozeß gegen Aristo-teles kam: und wenn es zu einem solchen kam, so haben siekeine aktenmäßig zuverlässige Darstellung mehr zur Verfügunggehabt. Es könnte sein, daß Aristoteles allein schon durch denDruck einer gefährlich an wachsenden Makedonenfeindschaftgezwungen worden sei, Athen zu verlassen. Beachtung verdientfreilich am Schlusse auch, daß aus dem makedonischen Bereichim Testament nur Antipater genannt wird. Seine überragendeStellung erschließen wir, desgleichen seine persönliche Freund-schaft mit dem Philosophen. Aber er hat immerhin nicht zumKönigshause gehört. In der spätemn Antike hat es jedoch zumeisernen Bestand der Aristotelesbiographie gehört, daß Aristo-teles ein Freund König Philipps, der Königin Olympias, sowieLehrer Alexanders gewesen sei. Mit allen drei Fürsten soll ereinen ausgedehnten Briefwechsel unterhalten haben. Das Testa-ment nennt sie nicht. Wir werden auf diesen Punkt noch einmalzurückkommen.

Noch vier weitere Dokumente sind zu nennen, alles Ehren-dekrete, wie sie in dieser Zeit von griechischen Staaten massen-haft beschlossen worden sind. Daß auch Aristoteles und die

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Seinigen etwas von diesem Segen abbekamen, ist nicht weiterauffallend.

Wir nehmen vorweg eine Ehrenurkunde der Stadt Ephesosfür «Nikanor, den Sohn des Aristoteles, aus Stageira». Zeit undnäherer Anlaß der Urkunde sind nicht bestimmbar, unzweifel-haft dagegen, daß es sich um denselben Nikanor handelt, deruns im Testament begegnete. Er war Sohn des Proxenos; aberschon die spätantike Aristotelesbiographie teilt uns mit, er seinach dem Tode des Vaters von Aristoteles adoptiert worden.Dies bestätigt die Inschrift.

Interessanter ist die zweite Urkunde. In ihr werden dem Ari-stoteles, Sohn des Nikomachos aus Stageira, und dem Kallisthe-nes, Sohn des Damotimos aus Olynth, der Dank und die Aner-kennung der delphischen Amphiktyonen (also des Kollegiums,dem die Aufsicht über den Tempelbezirk und die Festspiele zuDelphi oblag) ausgesprochen dafür, daß sie einen vollständigenKatalog der Sieger an den Pythischen Wettkämpfen angefertigthaben; es wird verfügt, daß dieser Katalog inschriftlich im Hei-ligtum angebracht werden soll. Kallisthenes war ein naher Ver-wandter des Aristoteles und Historiker. Er wurde 3 34 v.Chr.von Alexander in sein Hauptquartier berufen, um den Feldzuggegen Persien mitzumachen und als «Hofhistoriograph» darzu-stellen. 32; v.Chr. fiel er aus Gründen, die wir nicht ganzdurchschauen, beim König in Ungnade und wurde hingerichtet.Die gemeinsame Arbeit des Aristoteles und Kallisthenes, vonder die Urkunde spricht, muß also auf alle Fälle vor das Jahr 334fallen. Die Liste der pythischen Sieger ist nicht nur in Steinverewigt, sondern auch in Buchform in die Opera omnia desAristoteles aufgenommen worden. Die erhaltenen Reste sindfreilich so dürftig, daß sich heute kein Urteil mehr darüber ab-geben läßt, was mit ihr bezweckt war und wie sie im einzelnenaussah. Die nächstliegende Vermutung ist, daß sie das chronolo-gische Rückgrat bilden sollte für eine umfassende Geschichte

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des traditionsreichen delphischen Heiligtums. Natürlich wissenwir erst recht nicht, wie wir uns die Zusammenarbeit der beidenMänner vorzustellen haben, was um so bedauerlicher ist, als essich um das einzige zuverlä!,sige Zeugnis von derartiger wissen-schaftlicher Zusammenarbeit im Umkreis des Aristoteles han-delt.

Datierbar ist die Inschrift nicht genau. Sie scheint nach 330angebracht worden zu sein. Das bedeutet wohl, daß Aristotelesnach der Abreise des Kall isthenes das Werk allein zum Ab-schluß brachte.

Die zwei nächsten Urkunden sind nicht inschriftlich, sondernnur in spätantiken Fassungen der Aristotelesbiographie erhal-ten. Trotz dieser an sich sehr schlechten Überlieferung habenwir keinen zureichenden Grund, sie für unecht zu halten. Dieerste ist ein Ehrendekret der Athener zum Dank für die gutenDienste, die Aristoteles dem Staate von Athen geleistet hat ins-besondere dadurch, daß er sich bei König Philipp für die Inter-essen Athens einsetzte und die Verhandlungen athenischer Ge-sandter bei Philipp erleichterte. Dies der Text, soweit er sichherstellen läßt. Datieren möchte man ihn in die Zeit der lang-wierigen Verhandlungen, die dem letzten Kampf zwischen Phil-ipp und den Griechen, der in die Schlacht bei Chaironeia (338v. Chr.) mündete, vorausgingen, also etwa ins Jahr 340. Man hatden Eindruck, daß sich Aristoteles in dieser Zeit abwechselndbald in Athen und bald bei König Philipp in Nordgriechenlandbefand. Sein Einfluß bei Philipp kann nicht ganz unerheblichgewesen sein, obschon die Urkunde nichts darüber verrät, ob eram makedonischen Hof eine bestimmte Stellung bekleidet hatund wenn ja, welche.

Die Biographie teilt uns ergänzend mit, daß die Ehrenurkun-de unmittelbar nach dem Tode Alexanders annulliert und ver-nichtet wurde (also in der Zeit, in der sich Aristoteles in Chalkisaufhielt), daß aber kurze Zeit später Antipater nach seinem Siege

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über Athen dafür sorgte, daß sie wieder an ihren Platz kam.Dies ist alles geschichtlich sehr wohl möglich.

Ein letzte Urkunde endlich dürfen wir aus den Angaben derBiographie erschließen. Es handelt sich um einen vermutlichbald nach dem Tode des Philosophen gefaßten Beschluß derEinwohner von Stageira, der Heimatstadt des Aristoteles. Sta-geira scheint im Zuge der kriegerischen Unternehmungen KönigPhilipps einmal teilweise zerstört oder doch mindestens mit derZerstörung bedroht worden zu sein. Aristoteles intervenierteund erreichte, daß das Städtchen geschont, beziehungsweisewieder aufgebaut wurde. Nach seinem Tode erinnerten sich dieStagiriten daran und beschlossen, seine sterblichen Reste vonChalkis nach Stageira überzuführen und ihnen dort alle jeneEhren zuteil werden zu lassen, die bei den Griechen von altersher dem Neugründer einer Polfis gebührten. Sie errichteten ihmein Grabmal in der Mitte der Stadt auf dem Marktplatz in un-mittelbarer Nähe ihres Rathauses. Es scheint sogar, daß sie dar-über hinaus dem Geschmack der Zeit, die immer verwegenereEhrungen liebte, nachgaben, Festspiele zu seinen Ehren begrün-deten und einen Monat nach seinem Namen benannten. In denWirren der Diadochenzeit ist freilich Stageira noch einmal unddamit endgültig zerstört worden. In ciceronischer Zeit fandendie Reisenden nur noch einen völlig verlassenen Küstenstrich vor.

Es liegt in der Natur der Sache, daß diese Dokumente überdas, was die eigentliche Größe des Aristoteles ausmacht, wenigoder nichts sagen. Das Testament ist ganz dem Privatleben zu-gewandt, und die Ehrendekrete greifen nur bestimmte Verdien-ste um das öffentliche Wesen in Delphi, Athen und Stageiraheraus. Wir müssen uns nun also andern Zeugnissen zuwendenund zwar vor allem den literarischen Selbstzeugnissen des Ari-stoteles. Wir sondern sie in drei Gruppen, die wir der Einfach-heit halber als ausdrückliche, beiläufige und indirekte Selbst-zeugnisse etikettieren wollen.

Iô EINFÜHRUNG

Die ausdrücklichen Selbstzeugnisse sind (mit einer Ausnah-me) am Schlusse der helleni:;tischen Ausgaben der Opera omniades Aristoteles vereinigt worden. Es handelt sich einmal um eineHandvoll Gedichte, sodann um zwei umfangreiche Briefsamm-lungen: eine erste umfaßte nicht weniger als zwanzig Bücher,worunter neun Bücher an Antipater; eine zweite, anscheinendals Nachtrag und Ergänzung zusammengestellte Serie umfaßteihrer acht. Erhalten sind von dem allem ein halbes DutzendStücke ganz und rund zwei Dutzend Fragmente.

Da scheint also die Antike über ein erstklassiges Material zumAufbau einer authentischen Biographie des Aristoteles verfügtzu haben. Doch leider trügt der Schein.

Die Schwierigkeiten beginnen damit, daß die erhaltenen Brie-fe überwiegend derart inhaltsarm und schlecht geschrieben sind,daß man sie kaum als echt anerkennen wird. Von den in Zitat-form erhaltenen Fragmenten könnte man teilweise das genaueGegenteil behaupten: Sie si:ad derart epigrammatisch pointiert,daß man den Eindruck hat, es handle sich gar nicht um wirkli-che Briefstellen, sondern um isolierte Bonmots, die um des Ef-fektes willen in fiktive Briefe hineingearbeitet worden seien.Was soll man weiterhin von einem Brief denken, in welchemAristoteles die Geschmacklosigkeit begeht, vor Antipater seineEhe mit der Nichte des Fürsten Hermeias zu rechtfertigen? Erhabe, so erzählt er, diese Frau geheiratet, nachdem Hermeiasdurch den Perserkönig gei --angengenommen und hingerichtetworden war, aus Sympathie zu dem Getöteten und weil sie einetüchtige und rechtschaffene Frau gewesen sei und um ihr überihr häusliches Unglück hinwegzuhelfen. Daß Aristoteles selbstdergleichen nicht geschrieben hat, sondern daß der Text voneinem sentimentalen Biographen späterer Zeit fabriziert wordenist, scheint mir auf der Hand zu liegen.

Aber das Problem hat noch einen allgemeinemn Aspekt. Wirkonstatieren erstens, daß diese ganze Briefmasse erst rund zwei-

EINFÜHRUNG 19

hundert Jahre nach dem Tode des Aristoteles in der Literaturauftaucht. Die ersten Generationen der Bewunderer und Feindedes Philosophen sind an dieser Fundgrabe von Nachrichtenachtlos vorübergegangen — wenn es sie damals schon gegebenhat. Zweitens stellt sich die Grundfrage, von wann an die Grie-chen überhaupt begonnen haben, Privatbriefe bedeutenderMänner zu sammeln und der Öffentlichkeit zugänglich zu ma-chen. Derartige Unternehmungen setzen eine entschieden nach-klassische Geisteshaltung voraus, die gerade aus der paradoxen«Intimität mit jedermann» neue künstlerische und pädagogischeWirkungen zu ziehen wünscht. Ob sie in der Zeit des Aristote-les schon vorhanden war, darf man füglich bezweifeln.

Zu einer sichern Entscheidung können wir mit unsern Mittelnnicht mehr gelangen. Vorsichtiger ist es jedenfalls, die Samm-lung beiseite zu stellen. Bei dem fragmentarischen Zustand, indem sie uns erhalten ist, wäre die Ausbeute an wertvollen Nach-richten ohnehin recht bescheiden.

Interessanter sind die paar Gedichte. Zunächst nennt derSchriftenkatalog zweiStücke mit ihren Anfangszeilen, einen he-xametrischen Hymnus auf Eros und ein Gedicht in elegischenDistichen auf Artemis, die Tochter Letos — so scheint es wenig-stens. Aus anderweitiger Überlieferung kennen wir drei Stücke.Das erste und berühmteste sind sieben Zeilen aus einer Elegie,möglicherweise derselben, deren Anfang im Schriftenkatalog er-halten ist. Wir hören, daß das Gedicht an einen Freund namensEudemos gerichtet war. Die überlieferten Zeilen melden, daßein Ungenannter offenbar von weither nach Athen kam unddaselbst einen Altar errichtete zu Ehren seiner Freundschaft mitdem Manne, «den die Schlechten nicht einmal loben dürfen:denn er hat als einziger oder doch als erster unter den Sterbli-chen evident bewiesen in seinem eigenen Leben und im Ablaufseiner Lehre, daß gut und glückselig der Mensch gleichzeitigwird. Heute kann dies keiner mehr erreichen». Es besteht kein

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Zweifel, daß unter dem also Gepriesenen Platon zu verstehenist. Wir begegnen hier zum ersten Male einem Text, in welchemvon Platon die Rede ist, demjenigen Philosophen, der stärkerauf Aristoteles eingewirkt hat als irgendein anderer. Freilichwäre es etwas vorschnell, in diesen Versen nun geradezu einBekenntnis des Schülers zu seinem Lehrer zu erblicken. Aristo-teles spricht ja nicht für sich, sondern im Geiste dessen, der denAltar geweiht hat. Und was er in seltsam spröden, mit Schulter-minologie durchsetzten Wendungen sagt, bleibt höchst allge-mein. Den Satz, daß nur der Gute auch glückselig sei, hat Platonallerdings in seinem Gorgias mit äußerster Schärfe herausgear-beitet, und wir dürfen in unserm Zusammenhang darauf hinwei-sen, daß Aristoteles selbst einen Dialog verfaßt hat, in welchemerzählt wurde, wie ein korinthischer Bauer den platonischenGorgias in die Hand bekam und davon so ergriffen wurde, daß eralles liegen ließ und nach Athen zu Platon eilte. Dennoch wun-dert es uns ein wenig, daß Platon in unserm Gedicht nur geradeauf diesen einen Satz festgelegt wird. Ob vielleicht der Unbe-kannte, der den Altar weihi:e, seine besondern Gründe hatte, inihm den Mittelpunkt von Platons Leben und Lehre zu erkennen?

Die zwei andern Gedichte dienen dem Andenken an denschon genannten Hermeias, den nahen Verwandten der Gattindes Aristoteles, den Fürsten von Atarneus, der durch Verrat indie Hand des Perserkönigs fiel und von diesem hingerichtetwurde. Aristoteles hat ihm in Delphi ein Standbild mit einemEhrenepigramm aufstellen lassen; er hat außerdem im Stile derhohen Lyrik seiner Zeit ein Preislied auf die Arete (die Mannes-tugend) gedichtet, um die sich nicht nur Herakles und die Dios-kuren, Achilleus und Aias gemüht hätten, sondern auch derSohn von Atarneus, der jetzt zwar des Sonnenlichtes beraubtsei, dafür aber ewigen Nachruhms gewiß.

Schön und eindrucksvoll verraten uns die beiden Gedichte(die beide vollständig erhalten sind), wieviel dem Philosophen