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DIE ZURCFIER BIBEL VON 1524 BIS HEUTE Hans Rudolf Lavarcr .Glückliches Zürich, das dw schonzson ahem ber nicht wenige recbtschaffene, wnermüdete wnd treue Knechte des HERRN in deiner Schoos ernähret hast, die sich alle nwr ersinnlicbe Mühe gegebenhaben, deinen Kindern die heilige Bibel in ihre Landesspracbe getreulich zw übersetzen.> in d,er vorred,e zur Zürcb* F"hlLf;r1l;;'!t Die "Prophezei" Die wohl folgenreichste Gabe der Zircher Re- formation an die Nachwelt ist der Biblizismus. Im wiederentdeckten <<gotzwortn, seiner Aus- legung, Verkündigung und Anwendung, sah Huldrych Zwingli Christus selberden Menschen und die tü/elt reformieren. Die Erforschung und Verbreitung der Schrift war ihm somit <<unter Christen der höchsteAuftrag", ein Stück Nach- folge. 1523/25erdachteZwinglijene Bibelschule, die er in Anlehnung an 1. Korinther '1.4 die Prophezei nannte.Sie sollte die Geburtsstätte der theologi- schenFakultät, das Vorbild der Bibelstundeund der Ursprung der Zircher Bibel werden. Seit Sommer 1525 bis ins 18. Jahrhundert versammel- ten sich die Stadtprädikanten, Professorenund Studenten allmorgendlichim Grossmünsterchor zu kursorischer lJbersetzung und Auslegungdes hebräischen Alten Testamentes im Vergleich mit den alten "dolmetschungenr. Entsprechende Nachmittagslektionen waren für dasNeue Testa- ment im Fraumünster angesetzt. Die unmittelbar anschliessenden öffentlichenBibelstunden, in die der Ertrag der gelehrten Seminare floss, haben zur geistlichen Emanzipation der Gemeinde we- sentlich beigetragen. Binnen kurzem lagen die be- züglich Inhalt, Zahl und Verbreitung wenig er- forschten Kommentare, Homilien und Predigt- reihen, die dem Zürcher Bibelwerk zuzurechnen sind, auch gedruckt vor. Die wichtigste Leistung der Prophezei und der späteren "Collegia Biblica" bleibt indes die Bibelübersetzung. Ihr äusseres Merkmal ist die bisweilen unterbrochene,aber stets als Aufgabe empfundeneRevision auf dem letzten Stand der Exegese, der Alt- und Neuphilologie. Hierzu bot der pneumatologische Charakter der Theologie Zwinglis den innern Anlass: Die "Klarheit, Gewissheit oder Untrüglichkeit des \Wortes" ist Gabe des Heiligen Geistes, um dessen erleuch- tende und korrigierende Gegenwart die Pro- phezei bei Sitzungsbeginn gemeinsam betete. Der geistliche Vorbehalt künftiger besserer Belehrung, das Merkmal mancher reformierter Lehrentscheidungen, verpflichtete zu konti- nuierlicher Durchsicht und Uberarbeitung einzelner Schriftstellen, ganzer Bücher und Bibelteile. Als ein fast 500 Jahre umfassendes einzigartig lückenloses Quellenwerk reformier- ter Theologiegeschichte, bibelwissenschaftlichen Fortschritts und schweizerdeutscher Sprachent- wicklung steht das Zircher Bibelwerk heute vor uns. Marginalisierung Ausserhalb ihrer engeren Heimat ist die Zwingli- Bibel freilich kaum ein eigenes Themagewesen. DieserRandständigkeit liegenim wesentlichen zweilJrsachen zugrunde. Einmalist es der Kon- 199

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Page 1: DIE ZURCFIER BIBEL VON 1524 BIS HEUTE - hr-lavater.ch · DIE ZURCFIER BIBEL VON 1524 BIS HEUTE Hans Rudolf Lavarcr ... zu kursorischer lJbersetzung und Auslegung des hebräischen

DIE ZURCFIER BIBEL VON 1524 BIS HEUTEHans Rudolf Lavarcr

.Glückliches Zürich, das dw schon zson ahem bernicht wenige recbtschaffene, wnermüdete wndtreue Knechte des HERRN in deiner Schoosernähret hast, die sich alle nwr ersinnlicbe Mühegegeben haben, deinen Kindern die heilige Bibelin ihre Landesspracbe getreulich zw übersetzen.>

in d,er vorred,e zur Zürcb* F"hlLf;r1l;;'!t

Die "Prophezei"Die wohl folgenreichste Gabe der Zircher Re-formation an die Nachwelt ist der Biblizismus.Im wiederentdeckten <<gotzwortn, seiner Aus-legung, Verkündigung und Anwendung, sahHuldrych Zwingli Christus selber den Menschenund die tü/elt reformieren. Die Erforschung undVerbreitung der Schrift war ihm somit <<unterChristen der höchste Auftrag", ein Stück Nach-folge.

1523/25 erdachte Zwinglijene Bibelschule, die erin Anlehnung an 1. Korinther '1.4

die Prophezeinannte. Sie sollte die Geburtsstätte der theologi-schen Fakultät, das Vorbild der Bibelstunde undder Ursprung der Zircher Bibel werden. SeitSommer 1525 bis ins 18. Jahrhundert versammel-ten sich die Stadtprädikanten, Professoren undStudenten allmorgendlich im Grossmünsterchorzu kursorischer lJbersetzung und Auslegung deshebräischen Alten Testamentes im Vergleich mitden alten "dolmetschungenr. EntsprechendeNachmittagslektionen waren für das Neue Testa-ment im Fraumünster angesetzt. Die unmittelbaranschliessenden öffentlichen Bibelstunden, in die

der Ertrag der gelehrten Seminare floss, habenzur geistlichen Emanzipation der Gemeinde we-sentlich beigetragen. Binnen kurzem lagen die be-züglich Inhalt, Zahl und Verbreitung wenig er-forschten Kommentare, Homilien und Predigt-reihen, die dem Zürcher Bibelwerk zuzurechnensind, auch gedruckt vor.

Die wichtigste Leistung der Prophezei und derspäteren "Collegia Biblica" bleibt indes dieBibelübersetzung. Ihr äusseres Merkmal ist diebisweilen unterbrochene, aber stets als Aufgabeempfundene Revision auf dem letzten Stand derExegese, der Alt- und Neuphilologie. Hierzu botder pneumatologische Charakter der TheologieZwinglis den innern Anlass: Die "Klarheit,Gewissheit oder Untrüglichkeit des \Wortes" istGabe des Heiligen Geistes, um dessen erleuch-tende und korrigierende Gegenwart die Pro-phezei bei Sitzungsbeginn gemeinsam betete.Der geistliche Vorbehalt künftiger bessererBelehrung, das Merkmal mancher reformierterLehrentscheidungen, verpflichtete zu konti-nuierlicher Durchsicht und Uberarbeitungeinzelner Schriftstellen, ganzer Bücher undBibelteile. Als ein fast 500 Jahre umfassendeseinzigartig lückenlos es Quellenwerk reformier-ter Theologiegeschichte, bibelwissenschaftlichenFortschritts und schweizerdeutscher Sprachent-wicklung steht das Zircher Bibelwerk heute voruns.

Marginalisierung

Ausserhalb ihrer engeren Heimat ist die Zwingli-Bibel freilich kaum ein eigenes Thema gewesen.Dieser Randständigkeit liegen im wesentlichenzwei lJrsachen zugrunde. Einmal ist es der Kon-

199

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crast zwischen der Sprache Luthers und demIdiom Zwinglis: dort der auf horiziontale (über-

reeionale) Verständlichkeit bedachte bücher-scf,reibende'Wittenberger Professor, hier der die

vertikale (regionale/soziale) Kommunikationsuchende Zircher Leutpriester und Prädikant'Damit hat sich die von^Zwingli angeregte und

stellenweise massgeblich geprägte Ubert{agqngvon Anfang

"tt .t.td für genau 250 Jahre in eine

Kulturniscf,e begebe n. Zu andern wirkte sichder nationale Aspekt aus: wie alle Vertreter des

Schweizer Humänismus mühten sich die am

frühen Zircher Bibelwerk hauptsächlich Betei-liqten, Zwingli, Leo Jud und Häinrich Bullinger,uä oeinfachl. schweizerische \flörter". Darin

drückten sich die seit dem Schwabenkrieg erstar-kende nationale Identität und die konfessionelleAbgrenzung im Abendmahlsstreit aus. Noch

1,629 erachtet es der Revisor Johann Jacob Brei-

t inser als einen Vorzug, odass diss Neüwe Testa-

-ät unserem volck wiederumb in die hand ge-

geben wurde in seiner Eydgnossischen' anerbor-nen muotersPraacn>>.

DieBeziehung ztLuther bis 1'531,

Rez eption des Lwth ertextes ( 1 5 24-1 5 27 )

Die frühes ren Zircher Bibeleditionen des Zeit-

raums L524/27 sind vorerst nur unterschiedlicheRevisionsstufen der Neuübersetzvng Luthers

nach den Basler Nachdrucken 1,522/27, die

Zwineli lebhaft begrüsst hatte. Diese waren ih-

rerseiäs schon redikt ionelle Bearbeitungen dertWittenberger Vorlagen, deren ostmitteldeutsche

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Sprache durch Alemannisierung des Lautstandsund Beigabe eines oberdeutschen Glossars kaumverständlicher wurde. Im Gegensatz zu dieservornehmlich marktorientierten Technik, der dieZukunft nicht gehören konnte, suchten dieZir-cher eine grundsätzlichere Lösung. \üie bereits

ihre erste Edition des Neuen Testamentes von1,524 zeigt bestand sie darin, die Vorlage nach\flort, Laut und Form in einen schweizerischenSchreibdialekt zu transponieren und philologischzu iberarbeiten; so entstanden die ersten Keimeeiner Neuübertragung.

1. Kor 13,4'Wittenberg

1t22 [= Basel 1t23JDie liebe ist langmutig vnd freuntlich,

die liebe eyffert nicht,die liebe schalcket nicht,

sie blehet sich nicht,sie stellet sich nicht honisch,

sie sucht nicht das yhre,sie lest sich nicht erbittern,

sie gedenckt nicht arges,sie frewet sich nicht vber der vngerechtigkeyt

Zt;rich (Froscb awer) 1 5 24Die liebe ist dultmütig vnd früntlich,die liebe yfert nit mit verbunst,die liebe ist nitt widerbäfftzend noch mülich,sy bläyet sich nit, ist nit vnzüchtig noch schampeEstelt sich nitt vngschicktsuocht jren nutz nitist nit biner und gächzornigsy mißt nüts zuo argemfröuwet sich nit deß unbils

Die Awsbreitwng der LebreChristi. Holzschnitt aonHeinricb Vogtherr d.A.zu Apg 14.Zrircb er F o lio b ib e I ( Fr o s ch awe r)tsst,fol. CCLIu.

Porträt oon Huld.rych Zwingli(1483-I t31), von Hans Asper.

Der Reformator hält ein Eoangeliamin der Hand,. Er weist aaf die Stelle,

wo Jesus sagt: "Kommt her zu mir alle,d,ie ihr mübselig wnd, bekden seid;

ich will eucb erqwickev" (Mt 11,28).( Lande smws ewm, Züricb )

20r

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Die den Sinn der griechischen Vokabel durch

Doppelbeqrif fe, asöziierende \ü/ortfelder und

koÄ-."tärende Umschreibungen wiederge-

bende Übertrag.ungstechnik erinnert an Zwing.lis

eigene Art des"Übärsetzens' Zwingli hatte in der

Vörrede zu seiner ..Prophetenbibel" (1529) po-

stuliert, dass ..der tolmetich zuo zytenein wörtly

umb klarheyt willen des verstands hinzuo möge

fdürfe] setzen>>.V"r där Zircher Bibelwerk künftig kennzeich-

nen sollte, hier ist es angelegt: regionale Ver-

ständlichkeit und philologische Genauigkeit vorjedem ästhetischen Interesse.

Eigene Übersetzungstätigkeit (1 529-1 5 3 1 )

Der Fortgang des Zircher Bibelwerks erweckt

den Eindiucf, umsichtiger Planung und echter

Partnerschaft zwisch.tt ä.tt Theologen und dem

Druckerherren Christoph Froschauer, der für die

Das erste Zürcber Neue Testament, 1524 bei Froschauer

sedruckt. Metallscbnitr nach Hans Holbein d J'bos Motit, mit dem Heiland'sruf (Mt 11,25) ist das "Marken-z eich en, manch er Früb scbrift Zwinglis.

Zircher Bibel werden sollte, was Flans Lufft für

die tWittenberger Bibel war. Zwingliselber rühmte

Froschaue. t.hott 1524 in den höchsten Tönen:..Er ist mir herzlicher zugetan, als wenn wir die

gleichen Eltern hätten, ,11-.i.t darum'.weil er der

5".h. Gottes so ganz und gar verpflichtet ist'"\Während Zwingliäen Sommer 1524 mit der Vor-

bereitung der Froph ezei zubrachte, bearbeitete

Leo Judidem die öesamtredaktion der Zircher

Übeisetzu ngzugefallen war, Luthers Version der

Geschichtsblchär und der Poetischen Bücher des

Alten Testamentes nach der Basler Ausgabe von

1523/24. Froschauer druckte es ab Februat 1'525

in drei Formaten. Am 19. Juni 1525 nahm die

Prophezei ihren Betrieb auf: bis. August 1'527 war

in d'er alttestamentlichen Sektion der Grossteil

der Geschichtsbücher des Alten Testamentes ab-

solviert, während sich die parallel geführte Arbeit

am neutestamentlichen Briefcorpus sowie an

Markus und Johannes alsbald in der revidierten

Die "Prophetenbibel" tton 1529 bei Froschauer'

' ) " A / ' \ ;

. . . ' : " ) .

S*t$&w*v/be fe}}l bss c{een

{-eftawefitl.

g{{{sSmn$et{r*trfi,&bzaifdlyfp?gq t; 11tü'ten ffeullen enb$o$enr &e$6lbrrr$ bre Olebrccntert Sfi $Uc

ri6 /inn CeutföPertolc,nfitf$et;

6*ractuir,5täri6be,yCh etft o ffeln r ofc h o u a' / im fu h

mdnlüIt. M. D.

202

XXIX,

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Titelblatt d,er erstenoolktändigen

dewtscbspracbigenBibel der Scbzueiz,

Froschauer 1531,Folioformat.

Zuölf Szenenaws der

Schöpfwngrgeschichte

in Renaissance-arkaden,

nach H. Leu d. J. ().

203

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Ausgabe des Neuen Testamentes von 1'528 nie-dersöhlug. Von September 1,527 bis Jantar 1529bearbeitete die Grossmünster-Prophezei, "wie-wol es unns schwär unnd gross.was>>, die Prophe-ten. Am 1. März 1.529 erschien die ..von vilenfromen glJothertzigen" sehnlich erwartete Pro-pbetenbibel. Sie *it d"t -Werk der "Predicanten'zt

Zirich,>, wi€ das Titelblatt selbstbewusstfesthält. Die anonyme Vorrede Zwinglis, ein ge-wichtiger bibelhermeneutische r Tr aktat,lässt denhohen Anteil des Reformators gerade an diesem\Werk vermuten, wenn er auch seine Person Sanzhinter dem Prophezei-Kollektiv verbirgt' _Seit 1,527 begann die Persönlichkeit Froschauersin eigenen Vorreden und in diversifizierendenMarklstrategien hervorzutreten. Die 1'524 be-gonnene Serie in Kleinfolio ergänzte er nach undnach um handliche Duodez- und Sedezfolgen, sodass bis 1,529 die ganze Bibel in drei verschiede-nen Formaten vorla g. Die erste Zür cher Bib el warso fünf Jahre vor Luthers Ausgabe zugleich dieerste deutsche Bibel in der Schweiz und über-haupt die erste protestantische Vollbibel. Beiallem Kooperationswillen fühlte sich Froschauergegenübei dem Übersetzerteam frei. SeineSeäezreihe 1,527 /29 mit der auffälligen Vokalisa-tion (Lk 24,39: "ain gaist hat nit flaisch undbayn") war reine buch-händlerische Spekulationzur Absatzförderung an der Frankfurter Messe.Für eine nicht näherbestimmbare Käuferschicht(Täufer?) legte er ganzunbefangen 1533,1'534 (?)und 1539 je ein kleinformatiges Neues Testamentauf, das lrinter den aktuellen Revisionsstand aufdie Erstausgaben von 1'524 zurückgriff.Auf der Hö-he des bisher Erreichten, nicht iedochohne vorangegangene Überarbeitung, druckteMeister "Stoffäl"

-1530 in einem Zug in hand-

lichem Oktavformat "Die gantze Bibel, derEbraischen vnd Griechischen w aarhey t nach auffdas aller trewlichst verteütschet". Die sprachlicheExtremform der Ausgabe 1,527 /29 hatte sie zwarabgelegt, aber die alemannischen MonoPhthongedei Neuen Testamentes von 1.525 auchnicht wie-der angenommen. Für die Sprachentwicklung derZircher Bibel war dies insofern bedeutsam, alsdamit ein von Luthers Vorbild und von Markt-strategien unabhängiger irreversible_r_ {nP1s-sungsautomausmus

-itt Ri.ht.tng des Neuhoch-

deutschen einsetzte:

Der krönende Abschluss der Anfangszeit war dieeben noch unter Zwinglis Augen vollendete

204

Rörner 12,20

\TittenbergBasel1,522:Zirrch 1.525:

1522: feurige kolen auff seyn hewbt samlen

feürige kolen auff sein haupt samlen

fhürige kolen uf sin houpt samlen

Zürich 1.527: fheurig kolen auff sein haupt samlen

Zürich 153Off.: fheürige kolen auff seyn haupt samlen.

Dewtscbe Foliobibel 1531,. Ein weiterer Schrittvon \Wittenberg weg war getan: Die Geschichts-bücher des Alten Testamentes sowie das NeueTestament beruhen auf dem revidierten Luther-text, die Propheten und..Apokryphen auf derdurch ges ehenen Zir cher IJb ers etzung vol1 1 529 .Die Pöetischen Bücher jedoch sind "ein besun-dere vnnd eigne vertolmätschung" der Prophe-zei, die sich von Februar 1529 bis Februar 1530damit beschäftigt hatte. Als Neuerung vermerktZwinglis Vorrede die "Summarien,'

(Kapitelzu-sammenfassungen) und die gewaltig vermehrten.,Concordantzen, (14775 Parallelstellen) nebst1800 Randglossen, lsrr. "Zeiger" (biblisch-dog-matische Auswahlkonkordanz) und dsrn "Regi-51s1" (Inhaltsverzeichnis). Diese Zugab en unter-liegen ebenfalls der ständigen Revision. Sie be-stiämen inskünftig Disposition und Textgestaltder Zircher Bibeln undmarkieren eine bedeut-same Entwicklungstendenzvon blossen Text- zuregelrechten Studienbibeln. Auch typographischhai Froschauer sein Bestes gegeben. Die charak-tervolle Schwabacherschrifi ist ein Produkt dereigenen Formgiesserei, sieben Zieralphabeteze]chnen die Buihanfänge aus,2 Titelblätter und198 Textholzschnitte, wovon 140 Erstabdruckenach Hans Holbein d.J., setzen neue Massstäbefür die neuzeitliche Bibelillustration im Sinneeiner pädagogisch motivierten Verbildlichungdes Textes.-V]elleicht ist dies alles auch dazuangetan, die unbegründete Legende von der

"piinzipiellen Bildärfeindlichkeit der Zircher"endlich zu{ällen.

Allmäh lich e Emanzip ation rt on Lwth er

Luther mit einer eigenen Übetsetzung entgegen-zutreten war in Zirich nicht beabsichtigt, abetdie Marktlage, anderes Sprachempfinden undexegetische Differettzen legten eine solche nahe.Die \X/ittenberger Vorlage wird 1531 ausdrück-lich erwähnt, wenn auch freilich mit dem Hin-weis, es seien daran "etliche wörtly [.. '] nach vn-

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serem oberlendischen teütsch, auf bitt etlicher,geenderet" worden. Dass ..an etlichen orten dersinn (als wir vermeynend, das urteyl stande beymläser) klarer vnnd verständlicher" wiedergegebenwurde, dafür erwartete man Luthers Dank. Aufdie neu hinzugekommene ..besundere transla-tion" der zweiten Hälfte des Alten Testamenteswird geziemend hingewiesen. Ein gesundesSelbstwertgefühl macht die unverkrampfte Aner-kennung der Wittenberger Leistung möglich undbewahrt gleichzeitig vor allzuviel Konkurrenz-druck: die noch zu Zwinglis Lebzeiten vorberei-tete Neuübertragung der Geschichtsbücher desAlten Testamentes wird inZürichnicht früher als1540 erscheinen, wie überhaupt erst nach Einbe-zug des vollständig revidierten Neuen Testamen-tes 1.574 in die Bibel von 1596/97 von einergeschlossenenZircher Bibel die Rede sein kann.Der just in die Anfänge der Zircher Bibel fallendeAbendmahlsstreit hat nicht zu deren Konfes-sionalisierung geführt. Gewisse Empfindlich-keiten gegenüber 'Wittenberg sind allenfalls inNebensätzen der Vorreden auszumachen, nichtaber in der Heiligen Schrift selber. Diese wollteman im Reformatorenstreit dieletzte Instanz undin der Abwehr Roms und der Täufer die gemein-same \Waffe bleiben lassen. Dennoch zeigt dieZürcher Bibel durchaus eigenes theologischesProfil, vorab in den sehr zahlreichen Abwei-chungen vom Luthertext, sodann in der Bibel-einrichtung, hier am deutlichsten im zunehmen-den Ausscheiden von Luthers Vorreden undGlossen. Hinsichtlich der Betitelung schwenktman in Zirich erst 1570 und für knapp 200 Jahreauf Luthers Biblia ein:

Anders als bei der \Wittenberger Bibel, wo dieApokryphen am Schluss standen, bildeten inZirich die Geschichtsbücher zusammen mit denApokryphen von 1531 bis 1,596/97 den ersten Teilder Bibel. Der dadurch gewonnene nahtloseÜbergang von den Prophetischen Büche rn znm

Textseite aus der Deutschen Bibel (Froscbauer) 1 531 in Folio:Nahtloser Übergang vom Aben zwm Newen Testament.

Unter dem Kapitelswmmar Evangelistenbild eines lok.alenKleinmeisters (?), Zierinitiale nacb Niklaus Manuel (?).

Die Titel der Zürcber Bibel aon 1530 bis hewre

Die gantze BibelBibel Teütsch

Bibel

BibliaDie BibelDie Heilige Scbrift

1 530-1 5601.534-1548

1553

1570*1.7561772-1911193rff.

Folioformate

Quart- undOktavformateFolioformat(Gessner)alle Formatealle Formatealle Formate

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W*lsrtsic,

Neuen Testament veranschaulichte, im Gegen-satz zu der lutherischen Dialektik von Gesetzund Evangelium und der täuferischen Proble-matisierung des Alten Testamentes, den Gedan-ken des unteilbaren Bundes Gottes, das theo-logische Leitmotiv des Spätzwinglianismus.Abweichend von der hebräischen Einteilung undZähfung der \Wittenberger Bibeln bevorzugtendie Zircher seit 1531 die der Vwlgata bzw. Sep-tuaginta. Ohne Luthers Geringschätzung zuteilen, reihte man auch hier Hebräer-, Jakobus-und Judasbrief zwischen die Johannesbriefe und

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die Offenbarung ein. Ab 1536 wurde der He-bräerbrief den Paulusbriefen angefügt, L596/97derJakobusbrief vor die Petrusbriefe gestellt. Da-mit war die vorlutherische Abfolge wiederher-gestellt.

Zu Ende des Reformationsiahrhunderts hat dieZircher Bibel nach einem zwei Generationendauernden, undramatisch verlaufenen Individua-tionsprozess ihre Gestalt gefunden. Die letzteFroschauer Bibel von 1589 bekundet selbst-bewusst, es sei ihre "gelehrte Translation [...]unserer Kirchen dienstlicher, dann dess HerrenDr. Luthers säligen tolmetschungr'.

BIBLIASAÜROSANCTA TESTAmEc Vcterjs &Noui,i facra Hebraonrm lingua Gracor,,,'m qr-r. fonubur;

cc,n fJds fi ,',ul orchodoxis inrerpreu b. rcl i gi ofi fll me cranslaca' r

inGrmänernLarinum... . . Ai*iotlsonnemllotiufoperis-ratiaemufubieCle. i"trlligsPefaatonr, .i

P A V T J S R O e r . x v .

Qua(ungfdipla funr, id nolhemdoortnam frriprr{rnr,urpcrprticmiim & confol.tiosem frriprorarun fpcm hr$amus.

at r G v R I g x c v D E t ^ ! a . y R o s c H o y E l y t

a N N O f f . D , X ! l t l .

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Ausbau und Revisionstätigkeitvon 1534 bis heute

Bis zwm Ende des Reformationsjahrbunderts

Zärcher Bibelund Froscbauer Bibel sind bis 1589Synonyme. Im Vergleich zu den 120 Editionenaus der innovationsfreudigen Offizin MeisterChristoph Froschauers sind die Bemühungen derübrigen ortsansässigen Drucker Episode geblie-ben. Flankiert von internationalen Kapazitäten,wie dem Hebraisten Konrad Pellikan (1478-1556)und dem Gräzisten und Orientalisten Theo-dor Bibl iander (1504/09-1564), war Leo Jud(.1,482-1,542) nach Zwinglis Tod die Seele derIJbersetzungs- und Revisionsarbeit geworden.Vorderhand stand Kleinarbeit an: für die Oktav-bibel von L534 die nicht unbedeutenden Re-touchen am Text von 1531 sowie die starkeVermehrung der Parallelstellen und Kapitelsum-mare und für die von den Täufern hochgeschätzteFoliobibel von 1536 eine Neufassung der Sum-mare des Neuen Testamentes. Den Anstoss zueingreifende. Übe.arbeitung des Alten Testa-mentes gab die Ankunft des getauften jüdischenGelehrten Michael Adam aus Krakau. In sichtli-cher Konkvrrenz zt der bekannt gewordenen-Wittenberger Hauptrevision (1,541,) wurden neuübersetzt: Die Geschichtsbücher des AltenTesramenres in der Foliobibel 1539/40. die Poe-tischen und die Prophetischen Bücher in der reichglossierten Grossoktavbibel 1542 und die Apo-kryphen in der typographisch und illustrativ fastüberladen wirkenden Foliobibel 1546, demmonumentalen Höhepunkt von Juds Übe.set-zertätigkeit.Mit Ausnahme der Poetischen Bücher sollte andieser Rezeption des Alten Testamentes bis1.665/67 nicht mehr gerührt werden. Eine zusätz-liche \üertsteigerung erfuhren die Editionendies er Z eit dur chBullin gers brillante Vorrede, dieder humanistischen Selbstbespiegelung die ein-fache "wyszheit Gottes>>, Erlösung und Bund,entgegenstellt.

Lateiniscbe Bibel bei Froscbauer 1543 in Folio.Büchermarlee aus der'Werkstatt Hans Baldung Griens (?) mitdem sinnigen Emblem oChristo-Phorus, und oFrosch-Au,.

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Den deutschen Zircher Bibeln stehen im 16.

Jahrhundert mindestens 40 meist kleinformatigealtsprachliche Studienausgaben zur Seite. Leichtüberarbeitet kam die von reformatorischer Seitebeargwöhnte Vulgata nur noch in PellikansBibelkommentaren vor. Gefragter waren mo-derne lateinische Übertragungen, vorab das von1530 bis 1,575 nachgedruckte Neue Testament desErasmus, seit1.547 in Rudolf Gwalthers Revision.Als wenig erfolgreich erwies sich dagegen einlateinisch-deutsches Neues Testament ..in usumstudiosorum" 1535, dafür ging die schöne Vor-rede Johannes Zwicks in verschiedene deutscheAusgaben des Neuen Testamentes bis 1554 ein.Die erste lateinische Vollbibel besorgte Pellikan1539 nach der Basler Ausgabe von 1535 (vonSebastian Münster und Erasmus). Zu diesemZeitpunkt hatte Jud, unterstützt von BibliandeaPellikan, Gwalther, Adam und Peter Colin, be-reits sein letztes grosses \Werk unter Händen: die1543 erschienene Biblia Sacrosancta. Von derFachwelt aller Konfessionen hoch gepriesen, er-lebte sie Nachdrucke in Lyon 1.545, Salamanca1584 und Hanau 1615. In Zirich selber er-schöpfte sie sich jedoch bereits 1555 nach nurvierTitelauflagen, da Christoph Froschauers gleich-namiger Neffe und Nachfolger 1,564 ufi RobertEstiennes Genfer Biblia von 1,557 (von Pa-gnini/Vatable und Beza) umstellte. TheodorBezas lateinischer Text hielt im Gessnerschenlateinisch/griechischen Neuen Testament 1559Einzug.Kleiner war offensichtlich der Bedarf an griechi-schen Studienausgaben: 1.547 erschien der Eras-mustext nach Estienne, ab 1,556 nachJean Crispin.An neusprachlichen Editionen sind die engli-schen Froschauerdrucke von 1550 des NeuenTestamentes (Thomas Mathews) und der Bibel(Miles Coverdale) zu nennen. Mehr noch als vonFroschauers Geschäftssinn zertgen sie von denengen persönlichen Beziehungen, die zwischenZirich und England bestanden.Eine verstärkte Neigung zum Dogmatisieren istdas Kennzeichen mancher Bibelausgaben nach1550. Auffällig sind dabei viele messianisch deu-tende Glossen im Alten Testament und die sichankündende Lehre von der Verbalinspiration inder anonymen Vorrede der Gessner-\flyssen-bachschen Foliobibel von 1.553/54. SprachlicheFortschritte in Richtung des Neuhochdeutschenerzielt die Foliobibel von 1560 in der Orthogra-phie, namentlich aber die Foliobibel von 1589

durch vermehrten Verzicht auf das Erzählper-fekt, durch konsequente Diphthongierung unddurch Tilgung des Schluss-d in den Verbformender 1. und 3. Person Plural. \Tichtige Neuerun-gen bringt diese typographisch etwas verwahrlo-ste letzte Edition aus der .,Froschouw' in denZu_taten: die von nun an obligate Verszählung, diegegenüber L548 revidierten und vermehrtenNachweise der Parallelstellen, Schrift- und Kapi-telsummare, das verbesserte "Perikopenver-zeichnis" sowie aus Andreas Pareus' NewstadterBibel (1,587 /1588) die irenische Vorrede samr den..Lehren", welche die reformierten Zentraldog-men Prädestination, Christologie und Sakramentins Zentrum rücken. Dass drei vorzüglicheNeuübertragungen erst spät oder überhauptnicht Eingang in eine der folgendenZircher Bi-beln fanden, lässt vermuten, dass in den kirchli-chen Leitungsgremien längere Zeit keine Kon-zeptdiskussion mehr stattgefunden hatte. DieInitiative girg offensichtlich g nz von denDruckern aus. So blieb das Neue Testament vonL574, dessen Bearbeiter (Bullinger?) sich inmehr als hundert Stellen vom Luthertext ent-fernte, fast 20 Jahre unbeachtet und kam erst inden Kirchenausgaben von 1592/93 zu Ehren, de-nen jeweils Dekalog, Apostolicum und alteKirchengebete beigebunden waren. Gwalthersneue Psalmenübertragung von 1558 erlebte ihreRenaissance sogar erst in den folgendenJahrhun-derten, während sein Pentatewch Dewtsch von1593 nie mehr aufgelegt wurde.In der Volfschen Foliobibel von 1.596/97 kon-vergiert gleichsam der Ertrag des Reformations-jahihunderts: sie enthält die üm Text- und Über-setzungsvarianten erweiterte Revision Juds von1,539/48 und endlich auch die erwähnte Bearbei-tung des Neuen Testaments von 1,574.

Das 17. Jabrhundert

Die Schrift in der Hand eines ieden <<haussvat-ters>> - dieses reformatorische ZieI war im we-sentlichen erreicht. An den Erben der Reforma-tion lag es nun, die volkssprachliche Bibel weiterzu verbreiten und sie mit der Entwicklung dertheologischen Forschung und der Schriftsprachein lebendiger Fühlung zu halten. \Var der Bibel-druck des 16. Jahrhunderts noch ganz demDrucker und dem als Bearbeiter und Herausge-ber fun gierenden Zir cher C olle gium anvertraut,so geriet das Zircher Bibelwerk im orthodox-

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paternalistischen Staatskirchentum zunehmendzur offiziellen Staatsoublikation. Nicht anders alsim Reformationsjahihundert waren Privatausga-ben aber durchaus möglich, bei kritischer Ver-sorgungsla ge geradezu erwünscht. Die obrigkeit-lich gewährten Privilegien und Subventionengaben Kontrollmöglichkeiten und fördertennoch einmal die Verstaatlichung.Gewisse "Critiques über unsere Version" von derKanzelund namentlich der zur Neige gegangeneamtliche Bibelvorrat in der Grossmünstergruftwaren die Beweggründe für die Ausgabe desNeuen Testamentes von 1629. Auf Sprachebenebrachte Johann Jacob Breitingers (1575-1645)Revision eine orthographische Vereinheitlichungnach ..unserer Eydgnössischen anerbornen muo-terspraach" im Sinne der Schweizer Kanzlei und

Dewtsche Bibel, 1638 bei Bodmer gedrwckt (Folio).Holzschnittrabmen in ttier Leisten, charaktervolle Kompositionoon Chrßtopb Murer. Soraobl das Impressum ak awcb dasvon zzuei Genien getragene Zürcber'Wappen oisualisieren d.ieo o llz o ge n e V er staatlic b ung d e s Z ür ch er B ib e lw e rk. e s.

im Epistelcorpus ..an unzalbar vil orten" eineerneute Annäherung an den "original Text".

"Ländtliche Spraach' und ..näher zrr haupt-spraach trätten>> waren auch die Kriterien der<<auss Christenlicher anordnung und Gottseligemeifer einer Ehrsamen Oberkeit" zwecks Vorbe-reitung der Foliobibel von 1638 konstituiertenFünferkommision. Grundlage der beträchtlichenRevision war im Alten Testament die Ausgabevon 1596/97 (in den Psalmen oftmals Jud 1548),im Neuen Testament der Text von 1629. Dieabgenutzten Holzschnitte der Froschauer-Bibelnkamen hier ein letztes Mal zum Einsatz. Ganzzurückgenommen ist die Persönlichkeit desDruckers. Seine Vorrede endällt von nun an,anstelle seiner Büchermarke prangt jetzt häufigim Titelblatt das staatliche Hoheitszeichen. An

Deutsche Bibel, 1665/67 bei Bodmer gedruckt (Folio).Vortitelblatt'uon Conrad Meyer mit Tetragramm im Strablen-kranz und Zürcber'Wappen.

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die Auflage von 3000 Exemplaren leistete dieObrigkeit eine Garantie von fast 11 000 Gulden.Mit Subventionen konnten auch die Studienaus-gaben rechnen. Die lateinische Bibel von 1632führte die in Zirichbis 1,764 gültige Textkombi-nation ein (Altes Testament: Tremellius{unius.Neues Testament: Beza\. Die Edition von 1.673war unbefangen genug, der Vorrede des Leyde-ner Professors Andr6 Rivet die bekannte Breztisexplicatio sensus literalis des Jesuiten GiovanniMenocchi anzufigen.Als \Terbedruck für die von Jan Pitschen Salutzgeplante erste ladinische (rätoromanische) Voll-bibel ist wohl die 1.657 bei Hamberger heraus-gekommene unterengadinische Genesis anzu-sehen. 1683 folgte bei Gessner der oberenga-dinische Lobwasser-Psalter von Johann Grass.Unmittelbar vor dem Erscheinen der Piscator-bibel (1602) regte sich der Gedanke, dieZürcherBibel als Normalbibelfür alle Reformierten deut-scher Sprache einzuführen. Auf eine diesb ezig-liche ehrenvolle Anfrage des Pfalzgrafen Johannvon Zwerbrücken konnte Zirich 16Oi wegen

"Verschiedenheit der Idiome" nicht eintreten.\üie eng regionalisiert der hiesige Sprachstandwar, zeigt das Scheitern sogar eines entsprechen-den Antrags für alle in der 2. Helvetischen Con-fession verbundenen Deutschschweizer, indemBern den Vorschlag der Zircher mit dem Hin-weis auf deren "unbreuchliche und unbekannte"Bibelsprache 1659/60 verworfen hat (vgl. dazuden Beitrag über die Piscatorbibel von H. u. N.Michaelsen in vorliegendem Band).\fas in Bern die Einführung der Piscatorbibel be-schleunigte, bewirkteinZirich die in jeder Hin-sicht vorbildliche Totalrepisionvon 1665/67.Guten Mutes, ..dass selbiges [S7erk] verhoffent-lich nicht allein bey unseren, sondern auch ande-ren Evangelischen Kirchen seinen scheinbarennutzen>> habe, konstituiert sich 1,662 nachdreijähriger Planung und Vernehmlassung inSynoden und Pfarrkapiteln ein obrigkeitlichgeschirmtes Co_llegium Biblicum. Dem vier-zehnköpfigen Ubersetzerkollektiv, das an vierVormittagen wöchentlich nach gemeinsamemGebet in zwei Sektionen zusammenkommt,stehen Männer vor, deren Namen in der refor-mierten \X/elt einen vorzüglichen Klang haben:

Johann Heinrich Hottinger, Johann CasparSchweizer (Suicerus) und Johann Heinrich Hei-degger. Zehn Assistenten sind allein mit der Er-stellung der Indices, der Kapitel- und Schriftsum-

marien sowie der Parallelstellen betraut. Im Stilund Geist der alten Prophezei wird an hebräi-schen und griechischen Grundtexten sowie anlateinischen, deutschen, italienischen, französi-schen und englischen Übersetzungen das bestederzeitVerfü gbar e herangezo gen und verglichen.Aufgrund der kapitelweise zusammengezogenen<<notae exegeticae" erarbeiteten die Sektioneneine Rohübersetzung; bei Zweifelsfällen wurdeabgestimmt. Zur deutschen "Stilisirung undOrthographirung" ging das solchermassen revi-dierte Exemplar zum Schulherren Johann \flil-helm Simler, der seit 1648 als Dichter im Stil desSprach- und Literaturerneuerers Martin Opitzhirvorgetreten war. Hatte die Zürcher Bibeldes Zeitr a:ums 1 5 8 9-1 63 8 no ch zaghafte Schrittevom regionalen Idiom zu einer sich allmählichetablierenden gemeinschweizerischen Schrift-sprache getan, so wagte sie jetzt die irreversible

"preisgabe alles schweizerischen nach laut undförm" in Richtung der "nächstgrösseren schrift-sprachlichen einheit, dem oberdeutschen". Seit1,678 galt diese Edition an Zirrchs Schulen alsorthographische Norm. Der zur Neige gegan-gene Bibelvorrat hatte bereits den Import vonÜlmer Lutherbibeln erzwungen und drang aufbeschleunigte Drucklegung des neuen -Werks. Dasich die Revision an Breitingers philologisch undexegetisch noch nicht überholte Redaktion von1629/38 hielt, konnte das Neue Testament samtApokryphen bereits L665 in Folio und Quartoerscheinen. Dank obrigkeitlich bewilligter Er-weiterung des sichtlich ermüdeten CollegiumsIag 1,667 endlich auch das achtungsheischendeAlte Testament vor, dessen öftere Annäherung anden Luthertext der Preis für die energischeSprachreform war. Mit Ausnahme eines etwasunglücklich wirkenden Vortitelblatts, verzichteteman gemäss puritanischem -Wunsch des Colle-giums und einiger Pfarrkapitel jetzt und künftigauf jede Illustration. Inoffiziell beigebundenebiblische Bilderbogen von meist geringer Qt"-lität sind für lange die unerwünschte Folge.Die erheblichen Überarbeitungsspuren in derschönen Gessnerschen Foliobibel von 1690/91' -

sie steht am Ausgangspunkt vieler Folgeausgabenbis 1756 - widerlegen die Legende eines hun-d ertj ähri gen " Stillstands " der Zür cher Revis ions -

arbeit. Die Beilage der Lobwasser-Psalmen imNeuen Testament von 1690 eröffnet eine Ent-wicklung hin zu immer mehr Editionen für dengottesdienstlichen Gebrauch.

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Das 18. Jahrbwndert

Im lJnterschied zum geradlinigen 17. Jahrhun-dert wirkt die Fortsetzvng des Zircher Bibel-werks in den nunmehr anbrechenden subiekti-vitätslustigen ..lichtvollen Tagen,, recht unüber-sichtlich (der aufklärerische Begriff von den

"lichtvollen Tagen" fällt im anonymen Vorwortder Zircher Bibel 1.772).Dazr rragen ein halbesDutzend Druckereien mit Fusionen, Consortienund Cessionen, namentlich aber durch unter-schiedlich sorgfältige, oft spekulative Privat-drucke das Ihre bei. Eine nicht unbegründetelandesväterliche Sorge um die "Einigkeit undReinigkeit" der Kirche auf der Grundlage ihrerangestammten Bibel spricht aus 29 Ratsbeschlüs-

sen im Zeitratm 1,667/1,770. 1736 wird die Ein-fuhr der separatistisch-mystisierenden B erlebwr-ger Bibel (1,726/48) und der rationalisierenden.W

e rth e im e r B ib e I (1,7 3 5) verboten.Durch Privilegierung bewährter, mit förmlichenB eteili gun gs - und Abnahmeverträ gen zus atzlichgebundener "Entrepreneurs>> gibt eine staats-kirchliche Bibelkommission <<zv gemeinemNutzen und Gebrauch des L. Landvolks" zwi-schen 1711/12und1745 mindestens zwölf wohl-feile Folio- und Quartbibeln in Auftrag . Ab 1.71,2,wohl infolge der ungewöhnlich liederlichenHardmeierschen Bibel von 1710, wird der Druckvon einem Professoren-Collegium überwacht.Eine Reihe von Editionen mit dem Gütesiegel

"widerum übersehen, zeigt,dass der bescheidene

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Dewtsche Bibel, 1724 beiHeidegger wnd Rabn gedruckt(Quartformat),bis 1B07 die Ztircher Standardausgabe

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Fortschriftt in der Druckfehlerkorrektur und inder Verb es s erun g einzelner Schriftstellen b esteht.Mit Ausnahme eines gestochenen Frontispizessind diese meist auflagestarken Staatsbibeln derersten Jahrhunderthälfte durchweg ohne ur-sprünglichen Bildschmuck und, wegen 1685 und1,708 laut gewordener theologischer Bedenken,auch ohne exegetische Glossen. Eine häufigbeigebund ene Kurze Anleitwng, aornemlich fürdas liebe Land-Volck, wie die Heil. Schrift mitNwtzen und Erbawung zu lesen ist dafür keinErsatz. Besonderes Ansehen geniesst die beiGessner und Heidegger gleichzeitig erschienene

Quartbibel von 1724. Sie basiert auf dem 1.7Q7durchgesehenen Text von 1.691. und steht bis 1 802im Range einer Standardversion.Den Staatspublikationen stehen im ganzenJahr-hundert die erwähnten Privatdrucke zur Seite,annähernd 100 kleinformatige Ausgaben für dengottesdienstlichen Gebrauch, davon mindestensdrei Viertel Neue Testamente, oftmals mit Lob-wasserpsaher, seit 1.770 auch mit Johann RudolfZiegler s N e u e n F e s t g e s än ge n. D em \X/uns ch brei-ter Käuferschichten kommen qualitativ meistminderwertige Bildfolgen entgegen.Ein Novum sind die offensichtlich von derBibelpädagogik August Flermann Franckes in-soirierten Kinder- und Schulbibeln: der "Bibel-K..r, 1,704, die Bilderbibel1745, die Historien-Bibel 1,763(?) und ab 1774 die Psalmen-Auswahlfür Landschulen.Im Bereich der altsprachlichen Editionen habendieZircher an der neuen Forschung kaum mehrAnteil: drei herkömmliche lateinische Bibeln inOktav bei Gessner, zwei lateinische und ein grie-chisch/lateinisches Neues Testament nach Bezain Duodez bei Bodmer. Einzig J.J. Breitingerstextkritische Bearbeitung von Grab es Septua-ginta (Oxford 1,707 /20), vier gewichtige Quart-bände, 1,730/32 bei Heidegger, liegt am Puls derZeir. Aü neusprachliche Ausgaben ist die Offi-zin Gessner soezialisiert: das zierliche italienischeNeue Testamlent von 1,71,0 in Duodez bietet dieGenfer Üb.rr.tzung von Diodati (1.607 / 41.), ver-mutlich ein Exportdruck für Italien, wo bis 1768der landessprachliche Bibeldruck verboten war.Drei revidierte französische Neue Testamentefussen auf David Martins in der ganzen <<ver-nünftig-orthodoxen" Schweiz äusserst beliebtenRevision der Genfer Bibel (Amsterdam 1707).Zwei Psalmausgaben <<avec les cantiques sacr6z',sind wohl Auftragsarbeiten für die wallonischen

Gemeinden. Jedenfalls hat die zweite Ausgabevon 1.755 - sie ist die letzte fremdsprachlicheZircher Bibelpublikation überhaupt - das Im-pressum .<appr[ouv6s] par le synode \Walon desprovrnces unles>>.Als "leuchtende Kristallisation eines gesunden,lebensvoll en zircherischen Pietismus und Bibli-zismus" gilt die mancherorts in der Schweiz bisin das erste Viertel des 20. Jahrhunderts als Haus-buch dienende zweibändige Foliobibel vonL755/56. Sie ist die Privatarbeit des herrnhutischgestimmten Fraumünsterpredigers und erfolgrei-chen theologischen Publizisten Johann CasparUlrich, zu "Aufwekung meiner allerliebstenMitburgern und Landsleuten, in 4000 Exempla-ren erschienen. Die Popularität der Ulrich- oderAuslegbibel beruhte weniger auf der bescheide-nen Revision der Editionen von 1.665/67 und1724 durch den bibelphilologisch gebildeten Ar-tilleristen J. C. Nüscheler, der auch die Parallel-stellen und Summarien durchsah, als vielmehr aufUlrichs vorzüglichen exegetischen Anmerkun-gen und nutzanwendenden Interlinearglossen,die in den offiziellen Bibelausgaben zum Leid-wesen vieler Frommer fehlten.Johann Rudolf Zieglers an Bodmers und Brei-tingers neuem Stil orientierte Sprachrevisionist ein weiterer bedeutsamer Schritt zur allgemei-nen deutschen Schriftsprache hin. NüschelersBemühen, die "Orthodoxie" der vorliegenden

"Pietistenbibel" durch die Beilage eines Abrissesder Zircher Bibelgeschichte historisch zu be-weisen, war vergeblich, denn keine spätere Zür-cher Revision hat je auf sie zurückgegriffen.Schon 1756 bewrlligte das antiquierte Kirchen-regiment dem Drucker Bürkli einen wörtlichenAbdruck der Ausgabe von 1,707. Darin warenfreilich nach fast 13b Jahren erstmals wieder Text-illustrationen zu gelassen.Erst unter der fortschrittlichen Agide des Anti-stes Johann Rudolf Ulrich, aber nicht ohne \Wi-

derstand."gewisser Leser, die mit einer abergläu-bischen Anestlichkeit an den tü/orten der altenÜb..r.tz.rrr[ h".rg.trrr, konnte mit der Foliobibelv on 1.7 7 2 die längst{ällige kirchenamtliche Zente-narrevrsron verwrrklicht werden. Bis 1860 solltedies die letzre offizielle Zircher Bibelausgabesein. Hierzu wurde eine von Johan JakobBreitinger geleitete Fünferkommission einge-setzt, deren sorgfältige Uberarbeitung des Textesvon1.724 - namentlich in den poetischen Bücherndes Alten und im Epistelcorpus des Neuen

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Testamentes - auch noch die orthodoxestenZionswächter zu befriedigen vermochte. KaumAnstoss erregten die zahlreichen, bisweilen ver-nünftelnden Glossen, ebensowenig die neueSprachgestalt, die den letzten "schritt von dernoch stark oberdeutsch gefärbten zu allgemeinenneuhochdeutschen schriftsprache" vollzog. Fürfast ein halbes Jahrhundert in Verruf und um ihreverdiente Anerkennung gebracht, wurde dieseBibel allein durch das vorangestellte "BiblischeRealregistsl", das die alten Konkordanzen erset-zen und "dunkle Stellen und Redensarten derheiligen Schrift mit wenigen \7orten" hätteerklären sollen. Ijnter den Händen der Breitin-gerschüler Lavater, Tobler und Hess war indesdas Bibelinstrument zurr^ Kompendium desneuen Geistes geworden, indem sie die Botschaft

der Bibel zur moralischen Erlösungslehre erklär-ten, den Glaubensbegriff intellektualisierten unddas Erlösungswerk Christi in die Subjektivitätdes Menschen umlenkten. Dies alles war zwarnoch nicht aufgeklärter Rationalismus, wohl aberbereits vernünftige Orthodoxie und reichtejedenfalls für eine dreijährige, erst durch Lavaters

"Nachbericht" beendete eidgenössische Pres-sefehde. Zirich liess die Ausgabe fallen undkehrte zum unumstrittenen Text von 1724 zu-rück.Von der Literatur unbemerkt, blieben im steten\Tandel des Zircher Bibelwerks Rudolf Gwal-thers Psalmen (1558) während fast 300 Jahrendie einzige Konstante. Der Psaher grwndlichverteutschet wnd erkläret erschien rm Zeitraum1558-1829 in 11 Ausgaben, und die besonders

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beliebte Kleine Bibel: oder der Psaher Davidsdurch weiland Herrn Rwdolf \X/althern gründlicbund eigentlicb a.us der Hebräiscben Spracbezterdewtscbet erlebte zwischen 1,649 und 1,839mindestens 43 ständig revidierte Auflagen) wo-von 28 allein im 18. Jahrhundert. Als BibliaPitschna fand die Kleine Bibel seit 1,666 auch Ein-gang in die Engadiner Bergtäler (vgl. dazu denBeitrag über die Bibelübersetzungen in räto-romanischer Sprache von G. Gaudenz in vorlie-gendem Band).Am Vorabend der Revolution traten drei nicht-zürcherische deutsche Neue Testament-Aus-gaben aus.Tircher Offizinen in Konkurrenz zureigenen lJbersetzung. Dieses Novum in derZircher Bibelgeschichte veranschaulicht nocheinmal die innere Zerrissenheit dieses seltsamen

Jahrhunderts. - Im Auftrag der MoralischenGesellschaft übersetzte der nachmalige Antistes

J. R. Ulrich 1766 das französische Neue Testa-ment mit den berühmten vernünftig-erbaulichenArguments et Rdflexions des Neuenburgers JeanFr6d6ric Ostervald, die so manchem ZürcherPfarrer einen Kommentar erser.zten. Im nahen\il/interthur durfte 1777 das theosophische NeueTestament des Philipp Matthäus Hahn erschei-nen. Vom ehedem lavaterisierenden ZircherFreundeskreis Johann Ludwig Vögeli, JohannCaspar Häfeli und Johann Jakob Stolz stammtdas deutsche Neue Testament von 1.781./82. Esfand Eichhorns hohes Lob und im süddeutsch-alpenländischen Katholizismus weite Verbrei-tung. Die völlig überarbeitete zweibändige Neu-auflage von 1795 ist das Dokument von Johann

Deutscbe Bibel.1772 oon Gessner und Orell gedruckt (Folio).

Das "nätzlicbe Registep entfessehe zuegen seinerErk I äru n ge n e i n e dre ijä brige Pre ssefe b d e.

S tark. a b gen üt z er H o lz s cbnittoon David Red,inger 1745:

Mose, dem Volk die Gesetzestafel zeigend.

4 Deutscbe Bibel, 1755/56von Orell wnd Comp. gedruckt (Folio),mit r e ich e m Anm er h un gs app aratvon J, C. Ulrich, sog. .Awslegbibel,oder "Ulricbbibel,.

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gpotrttp0ifden Efrr[*n, bicnfi4ft'sonele, Eeg*iffirten Wbgeit{no$lgqtlitlt, ofgrlrltch !3!rfm, n0ül!(nbi$(t €dtt0!0c!l.tr,

lun' efurn1 liJliÖ.tl Seotlier.

21,3

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Takob Stolzens Bruch mit Lavaters "Genie des

fi.rr.tr.' im aufklärerischen Vorwort fordert er

;t%üenz, dass ein übersetzer ,.freivon al-

len Dogmen' sei.

Das 19. Jabrbwndert

Der Sturz des Ancien R6gime bedeutete das Ende

J* "fi""

Staatskirchentrims und damit auch der

obriekeitlichen Bibelförderung' Seinen Fort-

ü.rii"a verdankte das Zir cher-B ibelwerk allein

d"- n"Uttes und ersten Präsidenten des Kir-

.["tttrtt Johann Jakob Fless, der es $u.g und ent-

schlosseri über die Fährnisse der Helvetik, der

frn.Jl"ii"" und der Restauration trug' E.,d:tRückbesinnung auf das reformatorische Brbel-

verständnis wu"sste Hess zwischen "wahrer sitt-

iich-religiöser Weltaufklärung^.und Verbesse-

,rrng, ,;td *unverfälschtem Christentum' z1)

,r.rÄir,.1". Eine nete Zircher Bibelübersetzung

;;h;ff* .; sich von der 18OO gegründet en Schrift-

fo,rrrhrnd'rn Gesellscbaft, deiei Absicht und Me-

ih;J; ";

die Prophezei erinnert' verwundert

i""J a.. exegetische ZirkeI zuweilen die richtige

Ü-b;;;r;.tg' in verstaubten Fros chauerb ib eln'

ö;;.L; biachten die offizinen Bürkli und

C.tt""t fast jedes Jahr unbeirrt ihre privilegier-

ten kleinformatigen Neuen Testamente nach dem

rezioierten Te*t"rron 1724 herats, au{ welchem

""ä ai. unspektakuläre Bibel von 18OZ fusste'

Die erhöhte Nachfrage von seiten der Landschu-

Ltt [ . t t die Druck.i. t- 1808 zum kostenspa-

renden Stehsatz übergehen'M i;J. ; Abschied d.ir,.ut" Re gi erun g- vo n j ed.er

ferneren Mitwirkung am Bibelwerk erlangte dre

i""d.tk.iche 1804 äie Kompetenz über Text'

br".f. und Preis künftiger gibäleditionen' An die

Stelle des desinteressierten Staates traten Jetzttit".At in der reformierten Schweiz pri,vay

Bibelsesellschaften, von denen die meisten dank

ö;ti ?;i;rich Steinkopfs Engagement mit der

tSO+ g"gtündeten Lond-oner British and Foreign

nlltr'Sir;uy @FBS) verbunden waren (vgl' dazu

ä." n.iit .fut.. die Basler Bibelgesellschaft vonF. Tschudi in vorl iegendem Band)' Einzige^r sta-

tutarischer Z:weck*1t es, "die heil ige Schrit t und

T"ii. d..t.lben ohne menschliche Zutaten' Ln-

-".k.rrrg.n und Erklärungen ["'] zu verbreiten

""J "r.fi Gelegenheit und Mitteln fremden Län-

dern zur Erw"erbung von Bibeln und Neuen

i.rr"-..,ren in ihrenVolkttpt"chen behilflich zu

, seint'.I S;it 1804 war Basel der kontinentale Brücken-

lopf der BFBS und das ideelle Zentrumfast aller

ä;;;h;.h*"it.titch-reformierten Bibelgesell-

' t.h"tt.n, die mit vereinten Kräften dar.angingen'

. den ..untestrittenen Sieg. der Lutherbibel" vor-

^nturr"iben. Der vo.rangig quantitative Geist des'. i*ir?artikels, der nichi ätt Gtitt der ZircherI glb.l war, hinderteZirich am Beitritt zu diesem

:

.

Deutscbe Bibet, 1819 rton Orell, Füssli & Co' gedruckt

(Grossoletav)''S rh m r rklo, i Aws gab e z wm 3 0 0' Re formationsfe st'

Al, Hrrorrgrberi"n zeichnet die oon der British and' Foreign

B ib Le S o ciety unterst üt z t e Z ürch er B ib e lge s e lls ch aft'

2 1 4

-*""€:.{,,T:1:1x'{TlI f ::::.T1Tl{:Tl'-:::

Cic Sibc['S a 9 r ß :

?IIIc 95rtüet l f t gonEen

Se itigr11,6$rift,ö c i

$lfen ünD Tl'nucn Eel?smenf6'

5 D ^ r R ä p r) r s * l r l D ,

'in $üri$ fiucllitf eingefübrten Ueßerfetungr

auf'6 {leue nif gorgfalt bur$geie$en'

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. ß o l i e n b e r S ü r d l e r f d l e n S i 6 e t : S e f e l t f d a f t "

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Verbund. Der in London und Basel erklärteVerzicht auf alle Erläuterung mochte die Bibelzwarverbllligen und sie für alle Konfessionen ak-zeptabler machen, nahm ihr jedoch jene persön-liche Note, die zum Bekenntnisstand sichtbarerKirche gehört.Der Anspruch schliesslich, das "\flort Gottes>allein geben zu können, entkleidete dieses seinerGeschichtlichkeit und machte eine bibelwissen-schaftlich verantwortete Revision des Überset-zungstextes letztlich entbehrlich. Die aus akutemBibelnotstand 181,2 erfolgte Gründung einerZärch erischen Bibelgesellschaft erhielt denn auchsofort ein eigenes Gepräge, indem sie durch die\X/ahl des Antistes Hess zum Präsidenten ihrenKooperationswillen mit der Kirche von Anfangan unter Beweis stellte. Revision und Druck-aufsicht lagen in der Hand des Kirchenrats,während die herausgebende Gesellschaft, von1812 bis 1.824 noch namhaft aus London unter-stützt, die erforderlichen Geldmittel zunehmendselbständig durch rege Sammeltätigkeit auf-brachte.Das Neue Testament von 1814 in Grossschriftnennt die neuen Partner im Titelblatt: Das NeweTestament, nach der in Zi;rich kirchlich einge-

fährten Übersetzwng awf's neue durchgesehen.Gedruckt awf Kosten der Zürcher'scben Bibel-geselkchaft In der Folge verlegte sich das Con-sortium auf die Herausgabe von sorgsam überse-henen Vollbibeln, die allesamt von Orell, FüssliEc Co. gedruckt wurden. Besondere Erwähnungverdient die Bibel von 1 817 insofern, als diese denText von 1772 - allerdings ohne die rationalisti-schen Zusätze - wieder zu Ehren kommen lässt.Stil und Orthographie sind revidiert, die Poe-tischen und Prophetischen Bücher des AltenTestamentes und das Neue Testament nach demGrundtext korrigiert. Durch Umbrechen desschönen Foliosatzes entstand eine zusätzlicheAusgabe in vier Grossoktavbänden. Auf dieserRevision sollten al\eZürcher Bibeln bis 1852 imwesentlichen fussen, so auch die als Jubiläwms-gabe zwm 300. Reformationsfesr gedachte, mit1000 Gulden (= 15%) staatlich subventionierteOktavbibel von 1819. Das dünne haderige Papierund das sparbedingte Fehlen der Parallelstellenmuten indes wenig festlich an. 1.824 erschien alsformatgleicheZweitauflage der Edition von 1817Zürichs letzte Foliobib el üb erhaupt.Der Beschluss der BFBS vom Mai 1.826, künftignur noch Bibeln ohne Apokryphen zu unterstüt-

zen. führte auch in Zirich zur höflich-bestimm-ten Ablösung von London. Dank der Errungen-schaft des kostensparenden Stereotyp-Drucks,auf welches neue Verfahren das Titelblatt stolzhinweist, konnte die Grossoktavbibel L827/28von der Zircher Bibelgesellschaft bereits alleingetragen werden. Seit 1.827 besorgte sie auch einstereotypiertes Neues Testament. Mit der Druk-kerei dürkli, die hiefür seit langem ein Privilegbesass, wusste man sich offenbar zu arrangieren,so dass fortan zwei annähernd identische Aus-gaben des Neuen Testamentes nebeneinanderbestanden: die kirchlich-bibelgesellschaftlicheund die vom Kirchenrat laufend überwachteBürklische . Letztere erklärte der Erztehungsrat1836 und 1.840 zum obligatorischen Lehrmittelfür die Landschulen. Das Jahr 1855 brachte dieVers chmel zung der Zür cher B ib el ges ells chaft mitisrn "Bibelcomit6" der Evangelischen Gesell-schaft. IJnter neuem Impressum erschienen erst-mals 1857 ein Neues Testament sowie eine Psalm-ausgabe, die von Anton Salomon Vögelin ge-genüber der Edition von 1.828 an mehr als 2000Stellen revidiert worden ist.Bereits 1855 beauf :';ragte die Evangelische Gesell-schaft ihren Präsidenten Pfr. Hans Kaspar Usterisowie Pfr. Johann Kaspar Georg Usteri ("Bibel-Usteri") mit einer Totalrevision. An der Synodevon 1858 rief dieses Vorprellen den liberalen Dia-kon Heinrich Hirzel mit dem hörenswerten An-trag auf den Plan, das Zircher Bibelwerk wiederganzin die Hände der Kirche zu legen. Die Syn-ode bestätigt jedoch die seit 1812bewährte - bis191,2 beibehaltene Kompetenzteilung: derEvangelischen Ges ellschaft das Verlagsrecht, demKirchenrat die Revisionsaufsicht. Der förmlicheingesetzten Revisionskommission hatte dieSynode Grenzen gesetzt: nur die nötigsten An-derungen bei sinnstörenden Unrichtigkeiten undgroben Verstössen gegen das aktuelle Sprach-empfinden, die Psalmen nach Vögelin 1857, dasNeue Testament nach der letzten Schulausgabevon Bürkli (1856?). Dank zweier kirchenrätlicherSupervisoren und ebensovieler Assistenten ge-lang "Bibel-IJsteri" in bemerkenswert kurzerZert ein \7erk, das die synodale Beschränkungweit hinter sich liess. Nach aussen konservativbesteht die Neuerung dieser Revision doch darin,dass sie in Hiob, den Kleinen Propheten und inden Paulus-Briefen den überkommenen Grund-text mit den gesicherten Ergebnissen historisch-kritischer Textforschung und Exegese (Ti-

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schendorf, Lachmann, de \fette, Delitzsch) zukonfrontieren beginnt. Für die Bearbeiter war esdabei ..oft überräschend, wie die beschlosseneVeränderung [...] sich schliesslich als eine Rück-kehr zu der ürsprünglichen Übersetzulgvon Leo

Tudä herausstellte". Im Verzicht auf die 1,772"puristisch

gehandhabte Endste{ttg des Verbsin Neben sätzen näherte sich die Sprache derLutherübersetzung, als "Leitfossil" blieb nochdes Salzes ..Rässe" (Mt 5,13). Zur ,,ehrfurchts-

vollen Rücksicht auf den ererbten Besitzstandunserer Zircherischen Kirche" gehörte die \Wie-

deraufnahme und Revision der in den Stereo-typausqaben aufgegebenen Parallelstellen. "Mitöä".häigung där Ziürcherischen Synods", wieder Titel JrstÄals in der Zürcher Bibelgeschichtevermerkq erschien die würdige Grossoktav-Bibel 1860 in 15OOO Exemplarenbei J.J.Ulr ich.Die nach langem wieder mit einem Frontispizversehene revidierte Neuauflage von 1'868/69brachte J.K.G. Usteris Übetarbäitung und Neu-einteilung der Apokryphen sowie im NeuenTestamenl die Aufnahme einiger Erkenntnisseneuerer Textforschung in Petitsatz und Klam-mern. Von dieser Ediiion erschienen 1882 und1892 je eine geringfügig retouchierte Billig-ausgabe.

Die Gewissensfrage ( 1 860-1903 )

Nachdem die in der deutschen Schweiz beste-henden Sprachbarrieren zu Ende des 18. Jahr-hunderts endgültig niedergelegt waren' erneuer-ten St. Galleni Zur"ich undl.t*Th,ttgru den Ge-danken eines Zusammenschlusses der deutsch-reformierten Stände auf der Grundlage einer

semeinsam en S cbw e iz erb ib e l. Eine nur von Baselünd Schaffhausen nicht besuchte Zirchet Konfe-renz beschloss 1836 ktrzerhand eine Kompila-tion der Luther-, Zircher- und Piscatorausgaben.Diese hauptsächlich von Zirich genährteSchimäre värlief sich zwar glücklich im Sand,offenbarte aber eine merkwürdige Bereitschaft,300 Jahre eigener Bibelkultur unbeschwert preis-,ugäbe.r. Inäiesem Sinne hatte auch die vom letz-ten offiziell so genannten .. Antistes > Hans- Geor-gGessner präsiäierte Zircher Bibelgesellschaftbegonnen, billige Lutherbib eln zu vertreiben.Di; Rückbesinnuns auf die eigenen tWerte setztezwei Dezennien ,plär", ein. Anlässlich der lau-fenden Revision vön 1860 nahm Zirich das An-liegen einer ..gemeinsamen kirchlich anerkannten

2 t6

Bibelübers etzLlng für die deutsche reformirteSchweiz, noch linmal auf. Die EvangelischeConferenz (Vorläuferin des SchweizerischenEvaäselischen Kirchenbundes) trat 1859 dataufein, b"eschloss jedoch eine Übertragung "durch-weg im Ton und in der Sprache der LutherschenÜbärs"tt,.rng,,. In Anbetiacht, .<dass die Grund-sätze, welclie die evangelische Conferenz [...]festqestellt hat, ein gänzliches Aufgeben der Zür-cheischen Übersetiung in sich schliessen>>' ge-nehmigte dieZircher Herbstsyno-de von 1860 imGegeniug die mittlerweile abgeschlossene eigeneRevision, deren "sorgfältige Berücksichtigung"sie der Conferenz 1862 noch einmal vergeblichempfahl. Hier glaubte man, es würde die Schwei-t"ibib"l trotz vereinzelter Opposition "durchihre eigenen innern und äussern Vorzüge sich denEineaie in die Kirche und das Volk verschaffen".P..Jonäll. \X/idrigkeiten und namentlich die Ein-sicht, dass eine Volksbibel nicht ..machbar" ist,führten zur Sistierung des hochgemut begonne-nen lJnternehmens.Die zögerliche Revision der Lutherbibel inDeutsch-land gab der niedergelegten Arbeit 1877neuen Impuls-. Als das vortreffliche Schweizeri-sche Newä Testament nebst Psalmen 1893 endlicherschienen war, stand es schon im Schatten der1,892 herausgekommenen Revision der Luther-bibel. Davoi konnte die Zircher EvangelischeGesellschaft im Zeirraum 1'907-1,911, 20068Exemplare verkaufen, gegenüber nur 1'3 223

"Zwinglibibeln". IJnter f,erart ernüchterndenUmständen, angesichts auch des wiederumerschöpften Bibälvorrats sah sich die ZürcherKirche vor die Gewissensfrage gestellt, "ob dieErben das Erbe auch wirklich übernehmen'wollten: ..den guten\Willen, den offenen Sinnunddie wissenschäftliche Tüchtigkeit, jeweilen einzeitqemässes \Werk zu schaffen,'. Von seiten derPfaäkapitelund der Synode kam 1903 ein klares

la.

Die Revision aon 1931

An der Synode von 1904 war nur noch der Um-fang der äufzunehmenden Arbeit strittig: durch-grelfende Revision, so der Antrag der vorbe-iater,dett Synodalkommission, oder punktuelleNachbesseiung, wie der von praktischen Erwä-gungen geleiteie Kirchenrat vorschlug. Die ein-

[erÄobä.te B eratung der.neuen Kirchenordnrlng"ge

OS t Oe) verta gte z* ar die G runds atzfrage, liess

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sie aber durch die einfachen Stereotvpdrucke von1903 (Bibel) und 1904 (Neues Testä-ent) auchnicht wieder zur Ruhe kommen. Der Synoden-beschluss vom 30. Januar 1,907 fand schliesslichdie Balance zwischen Kontinuität und Neuerung:1. Revisionsgrundlage ist der von der neuerenwissenschaftlichen Forschung ermittelte lJrtext.2. Die deutsche Übersetzung richtet sich nachdem \Wortlaut der Zircher Bibel von 1892; dieserist auf Richtigkeit und Schönheit des Ausdruckszu prüfen. Kommissionsreferent Prof. J. Haus-heer rechnete mit dem Abschluss der Arbeit bis1911.Am 4. März 1902 konstituierte sich die Revi-sionskommission, die sich aus sieben von derSynode und vier von der Evangelischen Gesell-schaft ernannten Mitgliedern zusammensetzte.Den beiden Testamenten entsprechend arbeiteteman wie 1,666/ 67 in zwei Sektionen mit Präsident,Aktuar, Revisor und Beisitzern. Die Revisorenhatten über die wissenschaftliche und sprachlicheGeschlossenheit der Übers etzung zu wachen.Alle sektionsintern bereinigten Entwürfe gingensodann zu häuslicher Prüfung an die Gesamt-kommission, deren Anträge bei der abschliessen-den Lesung in den Sektionen geprüft und gege-benenfalls berücksichtigt wurden. Die stets be-sonderen Schwierigkeiten des Alten Testamentessetzten dem Kollegialsystem bald Grenzen. Indieser Sektion leistete der RevisorJ. Hausheer dieKärrnerarb eit: zu seinen Entwürfen nahmen dieBeisitzer schriftlich Stellung.Auf Gang und Stand der Arbeiten wirktenschwere Sachprobleme. zeitraubende Vereinba-rungen im Interesse einer einheitlichen Textdar-bietung, verschiedene Auffassungen der Revi-sionsaufgabe und, damit verbunden, zahlreicheoersonelle Mutationen alarmierend hinderlich.\Tiederholt wies GesamtkommissionspräsidentHausheer auf die nur schwer in Einklangz:u brin-gende Trias hin: wissenschaftliche Genauigkeit,Pietät zrrm Überkommenen und Asthetik derSprache. Bei allem Verständnis verlangte die be-rärgt. Synode L912 eine repräsentaiive Revi-sionsprobe.Das im Januar 1913 den Pfarrvereinen und ande-ren interessierten Gremien vorgelegte Heft vonknapp 60 Seiten löste sogleich eine flammendePressekampagne aus. Einzelheiten wie die Fuss-note zu Mt 1,1.6 über die Jungfrauengeburt("Einige Zeugen, zum Teil von hohem Alter, las-sen in verschiedener \ü/eise erkennen, dass Jesus

einer andern Gestalt des Textes zufolge als ehe-licher Sohn des Josephs und der Maria betrachtetwurde.") oder die neue lJbersetzung von Mt 6,11..IJnser.Brot für morgen, gib uns heute' stelltendie Fortführung der Revision in Frage. Nochweiter girg der germanophile Präsident desDeutschschweizerischen Sprachvereins Pfr.Eduard Blocher, wenn er im Namen der deut-schen Kultur forderte: "Die Zürcher Bibel lasseman in Frieden sterben. [. . . ] Die Bahn frei zumachen für des \X/ittenbergers weltbewegendes\X/erk, das einzige Band, das die deutschen Prote-stanten aller \X/eltteile verbindet, wäre ebensoeine Kulturtat, wie es rückschrittlich, kleinlichund kulturfeindlich wäre, sich dem Siegeslauf derLutherbibel im Kanton Zirich durch eine neueÜbersetzung in den \Weg stellen zu wollen." DerRevisor Prof. Paul Schmiedel replizierte, die be-schworene "Kulturtat" bestehe eben darin:

"nicht, dass man die Lutherbibel für ewig gültigerklärt, sondern dass man die Zircher Bibel im-mer von neuem verbessert hat." Der BeisitzerProf. August Rüegg sekundierte, ein Einschwen-ken auf die Lutherbibel käme schon deshalb nichtin Frage, weil deren Revision von 1892 an denmeisten textkritischen, bibelwissenschaftlichenund philologischen Erkenntnissen ihrer Zeitvorbeigegangen sei, und zudem huldige diese

"Vulgata der preussischen Monarchie" dersprachlichen Altertümelei. Angesichts der Lagein Deutschland könnten die Aussichten für eineRevision derZürcher Bibel nicht günstiger liegen.An der gereizten Synode von 1913 gelang es demkirchenrätlichen Sprecher Gustav von Schult-hess-Rechberg, grössere Gefahr abzuwendenund die lautgewordene Kritik in hohe Erwartun-gen an die Revisionskommission umzuwandeln.Als äusserster Termin wurde das Zircher Refor-mationsjubiläum 1919 gesetzt. Der nicht be-schleunigbare Arbeitsrhythmus, hohe personelleFluktuation und später die unerlässlich gewor-dene Einsetzung einer eigenen "Sektion für dieRevision der Apokryphen" (1,922) brachten esmit sich, dass es 1919 genau nochmals so langeging, als es schon gegangen war. Anfang derzwanztger Jahre löste sich das Bibelkomitee derEvangelischen Gesellschaft auf, nachdem derBibelfonds schon 1910 dem Kirchenrat ztrYer-waltung übergeben worden war. Flerausgabe undVertrieb der Zircher Bibel lagen fortan in denHänden einer dreiköpfigen kirchenrätlichen

"Bibelkommission..

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Am 3 O. September 1929, nach 23 J ahr en oder 1'233Sektionssiizvngen, konnte die Arbeit nieder-gelegt werden. Aus der Revision war eine Neu-6ear-b eitung geworden. IJrsprüngliche Pläne, denVerlag der erfahrenen "Privilegierten

\Württem-

bergiJchen Bibelanstalt" in Stuttgart zu iberge-ben, scheiterten am entschiedenen \flillen desKirchenrats. Auf den Bettag 1931,, unmittelbarvor dem Zwinglljubiläum und genau 400 Jahrenach der unvergessenen Froschauerbibel von1,53L, konnte der Verlag \Talter Reutimann inZfuich die ersten von 10000 Exemplaren derneuen Zürcher Bibel in Grossoktav ausliefern:Die Heilige Schrift des Ahen wnd des NeuenTestamenti. Die in Zürich kirchlich eingefübrteÜbersetzung awfs neue nacb d'em Grundtextberichtigt. Im Auftrag der zürcherischen Kir-chensynode herawsgegeben vom Kirchenrat desKa.ntons Zürich.Dieser Text durfte sich bald wegen seiner wissen-schaftlichen Sorgfalt ebenso wie wegen seinesSprachtaktes grossen Ansehens erfreuen. Er wardäs Ergebnis äiner Revision, wie sie gründlicherund einschneidender seit der Reformation nichtbesorgt worden ist.

Die aktwelle Revision

Der erhebliche Erkenntniszuwachs in den Be-reichen Exegese, Textkritik, Lexibographie, Syn-tax und Linguistik und der auf die Verkaufs-zahlen wirkende Konkurren zdrsck zahlr eicherNeuübersetzungen (Revision der Lutherbibel1970/1,975) haben zum neuerlichen Revisions-beschluss der Zircher Kirchensynode vom31.. Jawar 1984 geführt. Nach abgeschlossenerProbephas e (1,987) zeichnet sich für das AlteTestament eine ..sanfte Renovation" ab. Ver-mehrt soll der deutsche -Wortlaut dem hebräi-schen Sprachcharakter Rechnung .tragen. DerVersuch, die nachholbedürftigere Ubersetzungdes Neuen Testamentes "weltlich von Gottreden' zu lassen, deutet auf einschneidende An-derungen. Mit der Fertigstellung des Neuen Te-stamentes kann wohl erst in etwa 10 Jahren ge-rechnet werden, mindestens weitere 10 Jahrewerden bis zum Abschluss des Alten Testamentesverstreichen.

2t8

Die oOstervald.-Bibel", Newcbätel 1744. >