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Religion, Philosophy

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  • Dominik HelmsKonfliktfelder der Diaspora und die Lwengrube

  • Beihefte zur Zeitschrift fr diealttestamentliche Wissenschaft

    Herausgegeben vonJohn Barton Reinhard G. Kratz

    Markus Witte

    Band 446

    De Gruyter

  • Dominik Helms

    Konfliktfelder der Diasporaund die Lwengrube

    Zur Eigenart der Erzhlungvon Daniel in der Lwengrube

    in der hebrischen Bibel und der Septuaginta

    De Gruyter

  • ISBN 978-3-11-030949-2

    e-ISBN 978-3-11-030963-8

    ISSN 0934-2575

    Library of Congress Cataloging-in-Publication Data

    A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress.

    Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

    Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der DeutschenNationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet

    ber http://dnb.dnb.de abrufbar.

    2014 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/BostonDruck: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Gttingen

    Gedruckt auf surefreiem Papier

    Printed in Germany

    www.degruyter.com

  • Vorwort

    Die vorliegende Untersuchung wurde im Sommersemester 2012 von derKatholisch-Theologischen Fakultt der Universitt Augsburg als Disser-tationsschrift angenommen. Fr den Druck wurde sie geringfgig ber-arbeitet und gekrzt. Mit dem Abschluss dieses Projektes blicke ich aufeine lange Zeit der ebenso fordernden wie schnen Auseinandersetzungmit verschiedensten Fragestellungen zurck.

    Herzlich danke ich an erster Stelle Herrn Prof. Dr. Franz Sedlmei-er, der die Betreuung der Arbeit und die Erstellung des Erstgutachtensbernommen hat. Er hat mich ermutigt, meine eigenen Fragen zu stellen,meine eigenen Ideen zu entwickeln und mir als seinem wissenschaftlichenMitarbeiter immer den ntigen Freiraum fr ihre Realisierung gewhrt.Darber hinaus bin ich fr das gute persnliche Miteinander am Lehr-stuhl fr Alttestamentliche Wissenschaft ebenso wie am Lehrstuhl frNeutestamentliche Wissenschaft sehr dankbar; alle Mitarbeiterinnen undMitarbeiter haben hier ihren je eigenen Beitrag zu einem uerst angeneh-men, gemeinsamen Arbeiten geleistet. Herrn Prof. Dr. Stefan Schreiber giltmein Dank fr das Erstellen des Zweitgutachtens und die Verbundenheitin den vergangenen Jahren.

    Ein besonderer Dank gilt darber hinaus Herrn Dr. Dirk Kinet (Augs-burg) und Herrn Dr. Reinhard G. Lehmann (Mainz), die mir einen Zugangzur hebrischen bzw. aramischen Sprache erffnet haben. Prof. Dr. Mar-tin Mark (Luzern), die Doktoranden in den alt- und neutestamentlichenOberseminaren der Universitt Augsburg und die Mitglieder der Soziettfr Nordwestsemitische Epigraphik der Universitt Mainz waren mir im-mer wichtige Wegbegleiter. Zugleich denke ich an dieser Stelle an meinenersten exegetischen Lehrer Prof. Dr. Walter Radl (= Augsburg).

    Die Arbeit wurde durch ein Begabtenstipendium der Hanns-SeidelStiftung e. V. aus Mitteln des Bundesministeriums fr Bildung und For-schung gefrdert. Dafr gebhrt der Stiftung ebenso mein Dank wieder Gesellschaft der Freunde der Universitt Augsburg e. V. und derArmin-Schmitt-Stiftung Regensburg e. V., die meine Dissertation mit Wis-senschaftspreisen ausgezeichnet haben.

    Herrn Dr. Albrecht Dhnert vom Verlag Walter de Gruyter undden Herausgebern Prof. Dr. John Barton, Prof. Dr. Reinhard Kratz und

  • VI Vorwort

    Prof. Dr. Markus Witte danke ich fr die Aufnahme meiner Arbeit indie Reihe BZAW. Frau Sabina Dabrowski vom Verlag Walter de Gruyterdanke ich fr die uerst sorgfltige und kompetente Begleitung derDrucklegung.

    In ganz vielfltiger Weise haben meine Eltern, meine Brder undmeine liebe Frau mein Leben und mein Forschen geprgt und bereichert.Fr alle Untersttzung und Zuwendung, die sich nicht in Worte fassenlassen, danke ich an dieser Stelle von Herzen.

    Mindelheim, den 23. September 2013

    Dominik Helms

  • Inhaltsverzeichnis

    I Grundlegung 1

    1 Konfliktfelder der Diaspora und die Lwengrube . . . . . . . . 31.1 Religion und Gesellschaft: Konfliktpotentiale . . . . . . . . 31.2 Kulturkontakt in der Zeit des Hellenismus . . . . . . . . . 61.3 Diasporasituationen und ihre Herausforderungen . . . . . 81.4 Daniel in der Lwengrube ein Beispieltext . . . . . . . 10

    2 berlieferung und Textgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142.1 Masoretische Tradition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142.2 Texte von Qumran . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152.3 Peschitta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172.4 Septuaginta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192.5 Theodotion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232.6 Bel und der Drache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252.7 Weitere Texttraditionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262.8 Daniel in den Antiquitates Judaicae . . . . . . . . . . . . 262.9 Textgrundlage der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . 28

    3 Voraussetzungen und Forschungsergebnisse . . . . . . . . . . . 313.1 Das Daniel-Buch in der mt berlieferung . . . . . . . . . . 32

    3.1.1 Aufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323.1.2 Einheitlichkeit und Entstehungsmodelle . . . . . . 333.1.3 Aktuelle Positionen zur Entstehung . . . . . . . . . 423.1.4 Versuche der Gattungsbestimmung . . . . . . . . . 493.1.5 Soziale Umfelder der Entstehung . . . . . . . . . . . 563.1.6 Historische Perspektiven fr Dan 6 . . . . . . . . . 973.1.7 Literaturwissenschaftliche Zugnge . . . . . . . . . 113

    3.2 Die Septuaginta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1203.2.1 Verwendete Terminologie . . . . . . . . . . . . . . . 1203.2.2 Modellbildungen zu Entstehung und Rezeption . . 1213.2.3 Theorien ber Entstehung und Zielsetzung . . . . . 1263.2.4 Chronologische Fragestellungen . . . . . . . . . . . 1313.2.5 DanLXX im Strom der LXX . . . . . . . . . . . . . . . 1333.2.6 DanLXX 46: Zum Ort der LXX in der Textgeschichte 134

  • VIII Inhaltsverzeichnis

    3.2.7 Position und Vorgehen der Untersuchung . . . . . . 1473.3 Zusammenfassende Einordnung in den Diskurs . . . . . . 149

    4 Methode der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1514.1 Grundlegende Fragen der Methodik . . . . . . . . . . . . . 1514.2 Textkritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1574.3 Semantische Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1574.4 Narrative Texte und ihre Dimensionen . . . . . . . . . . . . 161

    4.4.1 Text und Textualitt . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1614.4.2 Grundcharakteristika narrativer Texte berblick . 1634.4.3 Das Wie der Erzhlung . . . . . . . . . . . . . . . . 1654.4.4 Das Was der Erzhlung . . . . . . . . . . . . . . . . 1714.4.5 Strukturmarker im BA . . . . . . . . . . . . . . . . . 180

    4.5 Erzhlung und Erzhlzyklus . . . . . . . . . . . . . . . . . 1854.6 Fiktionalitt und Relevanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187

    4.6.1 Theologische Relevanz fiktionaler Texte . . . . . . . 1914.6.2 Historische Relevanz fiktionaler Texte . . . . . . . . 1924.6.3 Interdependenz der theologischen und historischen

    Relevanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1954.7 Zielpunkte der Auswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195

    4.7.1 Spannungsfelder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1964.7.2 Transparenz: Leben in der Diaspora . . . . . . . . . 1974.7.3 Konflikt: Individuelle und strukturelle Faktoren . . 198

    4.8 Erzhlungen: Gattung und bersetzung . . . . . . . . . . . 199

    II Analytische Betrachtung 203

    5 Textkritik und bersetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2055.1 DanMT 6,229 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205

    5.1.1 Textkritische Entscheidungen . . . . . . . . . . . . 2055.1.2 bersetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206

    5.2 DanLXX 6,128 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2095.2.1 Textkritische Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . 2095.2.2 bersetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210

    6 Stellung im Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2146.1 Hebrische Bibel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2146.2 Septuaginta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219

    7 Strukturierung der Texte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2227.1 DanMT 6,229 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2227.2 DanLXX 6 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239

  • Inhaltsverzeichnis IX

    8 Narrative Analyse: DanMT 6 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2548.1 Kommunikationsgeschehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2548.2 Entwicklung der Handlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256

    8.2.1 Ausgangssituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2568.2.2 Zeitliche und rumliche Struktur . . . . . . . . . . . 2588.2.3 Knotenpunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265

    8.3 Motive der Handlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2678.3.1 Gesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2678.3.2 Lwengrube . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2728.3.3 Bote Gottes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283

    8.4 Prsentation der Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2858.4.1 Darjawesch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2878.4.2 Daniel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3088.4.3 Beamte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3258.4.4 Gott und sein Bote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340

    8.5 Interaktion und Beziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3448.5.1 Interaktionen mit der Person des Knigs . . . . . . 3458.5.2 Interaktionen mit dem Gott des Daniel . . . . . . . 3488.5.3 Interaktionen zwischen Daniel und den Beamten? . 3508.5.4 berblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350

    9 Narrative Analyse: DanLXX 6 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3519.1 Kommunikationsgeschehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3519.2 Entwicklung der Handlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352

    9.2.1 Ausgangssituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3529.2.2 Zeitliche und rumliche Struktur . . . . . . . . . . . 3539.2.3 Knotenpunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359

    9.3 Motive der Handlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3619.3.1 Verfehlung, Schuld und Gerechtigkeit . . . . . . . . 3619.3.2 Gottesbeziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3659.3.3 Gesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3699.3.4 Lwengrube . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3719.3.5 Handgefertigte Gtter(bilder) . . . . . . . . . . . 377

    9.4 Prsentation der Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3889.4.1 Dareios . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3909.4.2 Daniel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4079.4.3 Zwei junge Obersatrapen . . . . . . . . . . . . . . . 4329.4.4 Gott des Daniel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 437

    9.5 Interaktion und Beziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4459.5.1 Interaktionen mit der Person des Knigs . . . . . . 4459.5.2 Interaktionen mit Daniel: die jungen Beamten? . . . 4479.5.3 berblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 447

  • X Inhaltsverzeichnis

    10 Dan 6: MT und LXX Grundlinien der narrativen Struktur . . . 44910.1 Kommunikationsgeschehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44910.2 Entwicklung der Handlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 450

    10.2.1 Ausgangssituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45010.2.2 Zeitliche und rumliche Struktur . . . . . . . . . . . 45110.2.3 Knotenpunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 452

    10.3 Motive der Handlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45210.3.1 Verfehlung, Schuld und Gerechtigkeit . . . . . . . . 45210.3.2 Gottesbeziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45410.3.3 Gesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45610.3.4 Lwengrube . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45910.3.5 Bote Gottes MT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46110.3.6 Handgefertigte Gtter(bilder) LXX . . . . . . . 462

    10.4 Prsentation der Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46210.4.1 bersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46210.4.2 Darjawesch Dareios . . . . . . . . . . . . . . . . . 46310.4.3 Daniel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46910.4.4 Beamte Obersatrapen . . . . . . . . . . . . . . . . 47210.4.5 Gott (und sein Bote) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 476

    10.5 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 478

    11 Spannungsfelder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48111.1 Zentrale Spannungsfelder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 481

    11.1.1 Gott oder Staat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48111.1.2 Konkurrenz religiser Vorstellungen . . . . . . . . . 482

    11.2 DanMT 6 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48211.2.1 Verfassungskonflikt zwischen Staat und Gott . . . . 48211.2.2 Anerkennung der (gttlichen) Macht . . . . . . . . 484

    11.3 DanLXX 6 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48511.3.1 Persnliche Konflikte um Gott und Staat . . . . . . 48511.3.2 Handgefertigte Gtter oder der Gott . . . . . . 486

    12 Gattung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48712.1 DanMT 6: short story mit lehrhaftem Charakter . . . . . . 48812.2 DanLXX 6: Bekehrungserzhlung . . . . . . . . . . . . . . . 489

    III Erzhlung und auertextliche Wirklichkeit 491

    13 Leben in der Diaspora . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49313.1 DanMT 6 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 496

    13.1.1 Darjawesch: Transparenz und Identifikation . . . . 49613.1.2 Staatsapparat und Gromacht . . . . . . . . . . . . 501

  • Inhaltsverzeichnis XI

    13.1.3 Daniel: Identifikation und Transparenz . . . . . . . 50313.1.4 Gott Daniels Gott Israels . . . . . . . . . . . . . . . 50613.1.5 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 507

    13.2 DanLXX 6 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50913.2.1 Dareios: Transparenz und Identifikation . . . . . . . 51013.2.2 Staatsapparat und Gromacht . . . . . . . . . . . . 51413.2.3 Daniel: Identifikation und Transparenz . . . . . . . 51513.2.4 Wer ist der Gott des Daniel? . . . . . . . . . . . . . . 51813.2.5 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 518

    13.3 Staatliche Gewalt und Religion . . . . . . . . . . . . . . . . 52113.4 Auswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 522

    14 bersetzung und Tradition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52414.1 Narratologische Untersuchung und Textgeschichte . . . . 52414.2 Zum Profil von DanLXX 6 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 528

    14.2.1 Sprache und Kultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52814.2.2 Sprachliche Beobachtungen . . . . . . . . . . . . . . 53014.2.3 Inhaltliche Beobachtungen . . . . . . . . . . . . . . 532

    14.3 Konsequenzen fr die Textgeschichte? . . . . . . . . . . . . 534

    IV Ertrag, Perspektiven und Desiderata 539

    V Anhang 547

    Abkrzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 549

    Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 551

    Autorenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 591

    Stellenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 599

  • IGrundlegung

  • 1 Konfliktfelder der Diaspora und dieLwengrube

    1.1 Religion und Gesellschaft: Konfliktpotentiale

    Zu den Faktoren, die menschliche Interaktionen entscheidend prgen,zhlen Konflikte verschiedener Art und Ausprgung; ihre Ursachen sindvielfltig und nicht abschlieend zu benennen. Wesentliche anthropolo-gisch bedingte Eigenschaften des Menschen gehren sicherlich zu denzentralen Auslsern; hufig wird in diesem Zusammenhang ob gerecht-fertigt oder nicht der Bereich der Religion, nherhin der Monotheismusder drei groen Weltreligionen, benannt.1

    Die in der hebrischen Bibel entwickelte und zum ethischen Postulat erho-bene Ein-Gott-Verehrung hat in den letzten Jahrzehnten in intellektuellenKreisen heftigen Widerspruch hervorgerufen. Das Gespenst eines unerbitt-lichen alttestamentarischen Gottes wird beschworen, und selbst Fachtheo-logen scheuen sich nicht, von einem intoleranten Monotheismus zu reden.Die durch die gegenwrtige Weltlage bedingte stndige Begegnung von Kul-turen und Individuen mit unterschiedlichem religisen oder atheistischemoder skeptischen Hintergrund weckt das Bedrfnis nach Toleranz, die jedennach seiner facon glauben und leben und seine Gesellschaft gelten lt. Wi-derspricht nicht jeder Anspruch auf eine allgemein verbindliche religiseWahrheit der universalen Menschenwrde?2

    Die Ausbung von Religion betrifft nicht nur den je einzelnen Menschen;sie weist eine gesellschaftliche Dimension auf, die die Privatsphre ber-schreitet und in das nhere und weitere Umfeld ausstrahlt und hinein-wirkt.3 Hier ist Religion wahrnehmbar und sie selbst oder das aus ihr

    1 Zur Ambivalenz des Verhltnisses von Religion und Gewalt in der ffentlichen Wahr-nehmung vgl. GUTMANN, Unterbrechung 119ff; auerdem BECK, Gott. Wenn im Kon-text der vorliegenden Einfhrung von Religion die Rede ist, soll der Begriff in einemmglichst allgemeinen Sinn verstanden werden. Die grundlegende Weite ist in keinerleiHinsicht einzuschrnken.

    2 KOCH, Gotteserfahrung 9.3 Der Begriff der Gesellschaft mag zunchst in einem heuristischen Sinn als unmittel-

    bares und weiteres Umfeld des Menschen verstanden werden, das alle relevantenBeziehungen einschliet. Mit dem Begriff Gesellschaft sei so HERMS, Art. Religion 286 nherhin diejenige Gestalt menschlichen Zusammenlebens (geordnete Beziehung

  • 4 Konfliktfelder der Diaspora und die Lwengrube

    resultierende Verhalten kann Gegenstand von Kritik und Auseinander-setzungen werden. Gesellschaftliche wie politische Faktoren und Vern-derungsprozesse knnen sich so auf das Leben des Menschen in seinenverschiedenen Facetten und damit insbes. auch auf die Ausbung sei-ner Religion auswirken. Die potentielle Vernderung religiser Praxisdurch das Umfeld und die gestaltende Kraft der Religion fr das Lebender Menschen in ihrem Kontaktbereich sind zwei Seiten einer Medaille.Religion und Gesellschaft erscheinen vereinfacht gesprochen als Brenn-punkte einer Ellipse, in der sich das menschliche Leben vollzieht; einebestndige Neubestimmung des Verhltnisses und der konkreten Gestal-tung des Spannungsfeldes zwischen diesen Brennpunkten ist notwendig.Spannungen entstehen hufig nicht nur zwischen Angehrigen und Geg-nern einer Religion, sondern zwischen ihren Anhngern; entscheidendist nicht die Opposition Akzeptanz oder Nicht-Akzeptanz der Religionals solcher, sondern die Frage nach ihrer Interpretation und Konkretion.Beispiele aus der Vergangenheit wie der Gegenwart sind entbehrlich.Vom anderen Brennpunkt, der Gesellschaft aus betrachtet, ergibt sich einvergleichbares Bild.

    Offenbart der Blick in die Geschichte, dass Religion in der Tat hufigeine Rolle bei der Entstehung und/oder der Austragung von Konfliktenspielt, verlangt dies nach Erklrungen. Warum eignet sie sich in schein-bar herausragender Weise als Stein des Anstoes? Zugleich bleibt zubedenken, dass nicht jeder Konflikt, in dem Religion eine Rolle spielt,in ihr begrndet ist. Und dennoch: Sie ist von Relevanz fr eine solcheAuseinandersetzung.

    Eine erste Beobachtung verweist auf die Vielzahl der Reibungsflchen,die mit der Gesellschaft bestehen. Weiter fhrt die stets existierende Plu-ralitt religiser Vorstellungen zu einem Nebeneinander verschiedensterberzeugungen, welche die Gestaltung menschlichen Lebens unmittelbarbeeinflussen. Diese lassen sich aufgrund ihres Bezuges auf die Transzen-denz hinsichtlich ihrer Validitt nicht oder nur unzureichend mit intersub-jektiv nachvollziehbaren Methoden bewerten. Aufgrund ihres sinn- undidentittsstiftenden Potentials kommt einer Entscheidung fr oder gegeneine bestimmte Religion eine besondere Dringlichkeit und Bedeutungzu.4 Ihre Richtigkeit bleibt Gegenstand der subjektiven, einer objektivenberprfung nicht zugnglichen berzeugung. Liegt mglicherweise inder stets notwendigen Selbstvergewisserung die Neigung zu einer Abwer-

    zw[ischen] Individuen innerhalb von Gruppen und zw[ischen] diesen) bez[eichnet],in welcher nicht nur einige, sondern alle Leistungen erbracht werden, die fr dieErhaltung der Gattung im Naturzusammenhang erforderlich sind.

    4 Dies gilt gleichermaen fr hinsichtlich ihres Inhaltes fest definierte Religionen, fr Ele-mente einer Religion sowie fr persnliche religise berzeugungen eines Menschen,die sich von der offiziellen Religion unterscheiden.

  • Religion und Gesellschaft: Konfliktpotentiale 5

    tung anderer Entscheidungen und ein Hang zu Intoleranz begrndet?5

    Auf diese Fragen eine umfassende oder gar abschlieende Antwort zugeben, ist kaum mglich. Die angefhrten Aspekte der Pluralitt religi-ser berzeugungen und ihre unzureichende objektive Nachweisbarkeitmgen gengen, um die hufig zu beobachtende Relevanz religiserElemente in Auseinandersetzungen zu plausibilisieren.

    Mit der wechselseitigen Einflussnahme der Brennpunkte Religion undGesellschaft korrespondiert deren wechselseitige Anpassung aneinander:Wird eine Religion mit einer neuen Form der Gesellschaft oder umgekehrteine Gesellschaft mit einer neuen Religion konfrontiert, knnen aufgrundder mangelnden bereinstimmung der jeweils vorhandenen Verhaltens-muster, berzeugungen und Erwartungen Konflikte entstehen. Leichtnachvollziehbar erscheint diese Problematik, wenn eine neue Religionin einer von konkurrierenden religisen berzeugungen geprgten Ge-sellschaft gelebt wird. Eine solche Konstellation entsteht in einer Situationder Diaspora: eine Konkurrenz zwischen der Gesellschaft in ihrer spezi-fischen Verfasstheit und religisen Prgung einerseits und der neuenReligion einer Minderheit andererseits. Die Strahlkraft der Religion unddie integrative Kraft des Gemeinwesens wirken in entgegengesetzte Rich-tungen.

    Eine besondere Virulenz erhielt dieses Spannungsfeld in der Zeit desHellenismus, die aufgrund der gr. Expansion zu massiven politischen,gesellschaftlichen und kulturellen Vernderungen u. a. im Bereich der Le-vante fhrte. Die vllige Neuorganisation der politischen Landschaft unddie neuen kulturellen Merkmale, die diese Epoche prgen, erfordertenwiederholt eine Anpassung und nderung der Verhltnisbestimmungvon Religion und Gesellschaft.

    5 Vgl. ASSMANN, Unterscheidung 28ff, der den monotheistischen Religionen einen into-leranten Grundimpetus bescheinigt. Zu einer differenzierten religionsgeschichtlichenAuseinandersetzung mit dieser Problemstellung vgl. ALBERTZ, Gottesverehrung, ins-bes. 3840; 40, Es war und ist ein unzulssiger theologischer Kurzschluss, aus derAllmacht des als einzig erkannten Gottes, einen universalen Machtanspruch seinerVerehrer ableiten zu wollen. Auerdem DIETRICH, Monotheismus 27, Insofern istkeineswegs ausgemacht, da der antike Polytheismus toleranter war als der Jahwis-mus. . . . Die antiken Gesellschaften waren im Durchschnitt, das pauschale Urteil seiriskiert, sicher nicht offener und menschenfreundlicher als die israelitische, eher imGegenteil.

  • 6 Konfliktfelder der Diaspora und die Lwengrube

    1.2 Kulturkontakt in der Zeit des Hellenismus

    Dem Hellenismus wird in jngster Zeit Modernitt zugesprochen,6 diesich in einer intensiveren Auseinandersetzung mit dieser hufig nur alsAnhang der gr. Geschichte betrachteten Epoche widerspiegelt.7 Epochenunterscheiden sich; sie hneln sich aber auch. Weist jede ihre spezifischenEigenheiten auf, so prgen vergleichbare Phnomene menschliches Lebenin den verschiedenen Jahrhunderten und Jahrtausenden sowie in denverschiedenen Kulturkreisen.

    Zur Einordnung der nachfolgenden berlegungen sollen wichtige Z-ge des Hellenismus benannt werden, die fr die skizzierte Fragestellungsowie fr das Verstndnis der Texte und die Textgeschichte bedeutsamsind. Mit dem Begriff Hellenismus wird in chronologischer Hinsicht die Zeit vom Herrschaftsantritt Alexanders des Groen bis zum Endedes Ptolemerreiches (33630 v. Chr.) angesprochen, wobei die Unschrfejeder Epochenbezeichnung zu bercksichtigen bleibt.8

    In der hellenistischen Zeit vernderte sich die griechische Lebensordnung. . . nachhaltig: politisch, wirtschaftlich, rechtlich und kulturell. Drei Haupt-problemkreise bestimmten diese neue Welt: Sie war durch die Eroberungerheblich vergrert, die Rechte der herrschenden Elite an Grund und Bodendiversifizierten und verkomplizierten sich daher, und neben Kauf und Erbewurde das Erobererrecht wichtig. In dieser vergrerten griechischen Welt lebtenund herrschten aber Griechen und Makedonen neben und ber nichtgriechischeVlkerschaften; Kulturkontakte, Kontraste, Anpassungen, Kultur- und Identitts-wandel waren die Folge. In dieser neuen Welt war mit dem Knigtum eine immutterlndischen Griechenland randstndige politische Ordnung zu einerbestimmenden geworden; Charakter und Legitimitt der Knigsherrschaftwurden darum zu einem bestimmenden Problem der hellenistischen Literaturund politischen Theorie.9

    Unter diesen Herausforderungen ist insbes. der zweite Aspekt fr dienachfolgende Untersuchung von Interesse. Die politische und militri-sche Expansion Alexanders des Groen erstreckt sich in den Bereich der

    6 WEBER, Kulturgeschichte 8, So lassen sich in etlichen Phnomenen, nicht zuletzt inder Globalisierung der damaligen Welt durch den Alexanderzug Anknpfungspunktezur Gegenwart sehen. Vgl. auch die prgnante bersicht ber Charakteristika desHellenismus bei MEISSNER, Hellenismus 2f.

    7 Erst Johann Gustav DROYSEN spricht der Epoche einen Eigenwert und eine Wert-schtzung als Epoche zu. Vgl. WEBER, Kulturgeschichte 7. Im Kontext der atl Wissen-schaften stellen die in hellenistischer Zeit entstandenen Sptschriften noch immer einRandgebiet dar. Aber auch hier ist ein zunehmendes Interesse zu konstatieren. KRAUS,Translations 63, There is Septuagint in the academic air. Zur Entstehung diesesInteresses vgl. FABRY, Aufmerksamkeit 14ff.

    8 Zur spezifischen Problematik des Epochenbegriffes Hellenismus vgl. GEHRKE, Epo-chenbegriff; auerdem WEBER, Kulturgeschichte 10.

    9 MEISSNER, Hellenismus 1 [Hervorhebung; D. H.].

  • Kulturkontakt in der Zeit des Hellenismus 7

    Levante hinein. Durch die damit verbundenen strukturellen Umwlzun-gen kommt es zu einem intensivierten Kulturkontakt zwischen Griechenund Juden.10 Die Entstehung der groen Territorialreiche (insbes. derSeleukiden und Ptolemer) fhrt zu einer Einbindung des Individuumsin grorumige Strukturen, die so die Perspektive des Israeliten vonMenschen einer fremden Kultur und einer fremden Religion dominiertund beherrscht werden. Der Makkaber-Aufstand ist Zeugnis der ngs-te aber auch der tatschlichen Beeintrchtigungen, die mit der Einbin-dung in das Machtgefge des Seleukidenreiches verbunden waren. IhrenHhepunkt erreichen sie in den Verboten bzw. der Einschrnkung derReligionsausbung durch Antiochus IV. Epiphanes im Herbst 167 v. Chr.(vgl. 1Makk 1,41ff).11 Die Integration in die Gromachtstruktur bedeu-tet jedoch nicht nur Fremdbestimmung, sondern zugleich internationaleAnschlussfhigkeit;12 die Wahrnehmung ist von einer deutlichen Ambiva-lenz geprgt. Wie es in hellenistischer Zeit nicht das Judentum, sondernmehrere Judentmer gab, so verbirgt sich auch hinter dem Begriff desHellenismus eine Vielzahl von Hellenismen. Ein zentraler Aspekt istdas Spannungsverhltnis zwischen der Bewahrung jdischer Identittund der Anziehungskraft der griechischen Leitkultur des hellenistischenZeitalters.13 Die seit dem 5. Jh. v. Chr. ausgeprgte 14 Verbreitung desJudentums ber Palstina hinaus verdeutlicht die Schrfe der Dichotomiezwischen der eigenen religisen Identitt und der (schlielich) hellenis-tisch geprgten Kultur der Diaspora in ihren verschiedenen Aspekten.Eine rtliche Differenzierung ist in Rechnung zu stellen: Je geringer der

    10 Zur Vorgeschichte des Kontaktes zwischen jdischer und gr. Kultur, wie er sich im Hel-lenismus entfaltet, vgl. KAISER, Athen 93ff; KREUZER, Kultur 28f. Bei aller Bedeutungdieses Kulturkontaktes fr die Geistes- und Religionsgeschichte Israels darf nicht jedeEntwicklung als Reflex auf die Begegnung mit dem Hellenismus verstanden werden.Vgl. dazu auch KAMPEN, Hasideans 42.

    11 Vgl. VON DOBBELER, Makkaber 19f.12 Vgl. dazu auch KESSLER, Sozialgeschichte 180, Der Hellenismus bringt dem Osten

    eine wirtschaftliche und kulturelle Blte. Den lokalen Eliten gelingt es auch, an ihrzu partizipieren. Zeugnis dieser Auffassung ist die Haltung der sog. Hellenisten(vgl. 1Makk 1,11). Durch die Einbindung in die Kultur des Hellenismus erhoffen siesich Anschlussfhigkeit und Wohlstand. Sozialer Aufstieg war an die ffnung zumHellenismus geknpft. Vgl. VON DOBBELER, Makkaber 2224.

    13 BRINGMANN, Judentum 245; vgl. KAISER, Athen 87f, Das jdische Schrifttum aushellenistisch-rmischer Zeit bezeugt als Ganzes, da sich das Judentum in den gutenviereinhalb Jahrhunderten zwischen der 332 v. Chr. erfolgten Einbeziehung Judas indas Reich Alexanders des Groen und der Zerstrung Jerusalems im Jahr 135 n. Chr.durch die Legionre Kaiser Hadrians keineswegs einseitig vom Hellenismus abgesetzt,sondern sich in durchaus dialektischer und durch seine theologische Konstitution alsdas Bundesvolk Jahwes bedingter Weise mit der hellenistischen Kultur auseinander-gesetzt hat. Dabei soll einer Fragmentierung des Judentums nicht das Wort geredetwerden. Vgl. zu dieser Problematik STEGEMANN, Jesus 210; sowie Abschnitt 3.1.5, 56.

    14 Vgl. dazu bspsw. LANG, Art. Diaspora 420; DORIVAL/HARL/MUNNICH, Bible Grecque32f; KREUZER, Kultur 37f.

  • 8 Konfliktfelder der Diaspora und die Lwengrube

    jdische Bevlkerungsanteil im unmittelbaren Umfeld ausfllt, desto str-ker ist der Einfluss der Umwelt. Die Solidaritt und die Gemeinschaft imKernland bieten mit den (mitunter gewhrten) Privilegien der jdischenTempelgemeinde15 einen gewissen Schutzraum gegen drngende Einfls-se, nicht jedoch vor der Sympathie mit der hellenistischen Leitkultur, dieinsbes. auch in Jerusalem deutlich ausgeprgt war.

    In dieser Situation der Kulturbegegnung sind zwei gegenlufigeBewegungen zu beobachten: eine Hellenisierung und eine Orientalisie-rung.16 Die Zweiseitigkeit des Kulturkontaktes ist offenkundig. Im Hin-blick auf das Interesse der vorliegenden Untersuchung ist der Prozess derHellenisierung die dominante Fragerichtung, wobei jedoch anzunehmenist, dass auch die gr. Kultur nicht bzw. nur in der Anfangszeit in einerreinen Form auf das Judentum trifft; nachfolgend werden die Menschenin der Levante mit einer bereits in verschiedener Hinsicht und Intensittorientalisierten Form der gr. Kultur konfrontiert worden sein.

    1.3 Diasporasituationen und ihre Herausforderungen

    Der aufgrund der zunehmenden Globalisierung als zentraler Aspekt derhellenistischen Epoche bestimmte Kulturkontakt wirkt sich in sog. Diaspo-rasituationen verstrkt aus. Dabei soll der Begriff Diaspora in einemweiten Sinn verstanden werden und nicht nur ein Leben auerhalbdes Landes, sondern allgemeiner das Leben von Angehrigen einerbestimmten religisen oder nationalen Gruppe in einer von einer ande-ren Religion oder Kultur dominierten Gesellschaft bezeichnen.17 MitBlick auf Israel wird deutlich, dass die Diasporaerfahrung auch im Landselbst Wirklichkeit werden kann; sie ist nicht auf das babylonische Exilbeschrnkt, sondern ein weites Phnomen in der Geschichte des Volkes.18

    15 So etwa die Privilegierung der jdischen Gemeinde in Jerusalem unter Antiochus III.(vgl. Ant 12,138ff). Vgl. auch VON DOBBELER, Makkaber 15; KAISER, Athen 101ff.

    16 Vgl. MEISSNER, Hellenismus 2; KESSLER, Sozialgeschichte 179f.17 hnlich die Definition in Duden Universalwrterbuch, Lemma: Diaspora 374, Gebiet,

    in dem eine konfessionelle od[er] nationale Minderheit lebt. Damit sind Phnomenewie das Exil bzw. die Gola ebenso wie die Diasporagemeinden in gypten (insbes. inAlexandria) eingeschlossen; es wird aber auch das Leben einer religisen Gruppe ineiner nicht dominierenden Schicht im eigenen Land bezeichnet, wie es fr Israel seit derZeit des Hellenismus Wirklichkeit war. KOCH, Gotteserfahrung 29, Die Perserzeit fhrterstmals zu einer deutlichen Unterscheidung von Religionsgemeinschaft und Staat, deneneine je eigene Autoritt zugesprochen wird und deren besondere Funktionen dennochauf die gleiche gttliche Providenz zurckgefhrt werden. Diese Unterscheidung darfnicht als eine Trennung von Religion und skularem Staat missverstanden werden. Vgl.auch STEGEMANN, Jesus 210.

    18 Vgl. dazu auch LANG, Art. Diaspora 420.

  • Diasporasituationen und ihre Herausforderungen 9

    Die permanente Konfrontation mit einer fremden Lebensart erfor-dert umfassende Reflexionsprozesse und Neubestimmungen der eigenenberzeugungen und Handlungsweisen.19 In diesem Kontext sind Anpas-sungsprozesse zu beobachten, die in Faszination und Anziehung aberauch in uerem Zwang grnden knnen.

    Identitt konstituierende20 und in dieser Hinsicht neutrale Elementesind gleichermaen Teil dieses Prozesses. In beiden Fllen entsteht einSpannungsfeld zwischen Bewahrung und Leben der eigenen Identitt aufder einen und angestrebter oder notwendiger, erzwungener Integration indie neue Lebensweise auf der anderen Seite. In dieser Gegenberstellungsind die beiden Extreme benannt; zwischen den Polen liegt ein breitesSpektrum konkreter Realisierungsformen.21

    Das Leben in einer Diasporasituation fordert heraus; dies gilt gleicher-maen fr die Minderheit wie fr die dominierende Schicht. Der Kultur-kontakt ist eine zweiseitige Herausforderung. Aufgrund ihrer machtpoli-tischen Stellung ist die etablierte und bestimmende Gesellschaftsschichtnicht in der Gefahr, Repressionen zu erleiden; dennoch wird auch siedurch die Gegenwart und die Lebensweisen der in der Diaspora lebendenMenschen mit Anfragen und alternativen Entwrfen hinsichtlich religi-ser berzeugungen und der Gestaltung des Lebens konfrontiert. hnlichwie die Minderheit muss sich die Mehrheit im Spannungsfeld zwischenrestriktiver Bewahrung der eigenen Identitt und der bernahme neu-

    19 Auf diese Weise ist auch die Fruchtbarkeit des babylonischen Exils hinsichtlich dertheologischen Reflexion und des literarischen Schaffens zu erklren. Zur grundstzli-chen Vergleichbarkeit der Herausforderungen des Exils und der Konfrontationen derhellenistischen Zeit vgl. HAAG, Exil 41, Die hier nur in Umrissen skizzierte Proble-matik, vor die Israel sich erstmals im babylonischen Exil gestellt sah, erfuhr ein paarJahrhunderte spter in der hellenistischen Epoche generell in der Konfrontation mitdem Skularismus einer die konomischen und technischen Fhigkeiten des Menschenenthusiastisch bejahenden Weltzugewandtheit und speziell in der Unterdrckungdurch den als Werkzeug des Antijahwe erkannten Seleukidenherrscher Antiochos IV. eine unerhrte, zu letzter Entscheidung drngende Schrfe.

    20 Zur Bezeichnung solcher typischer Handlungsweisen oder Merkmale bietet sich derBegriff identity marker an. Aus der Soziologie wurde er in die ntl Wissenschaft ber-tragen und zur Beschreibung des Umgangs des Paulus mit den Werken des Gesetzesherangezogen. Er umfasst zeichenhafte Handlungen oder Aspekte, die die Identi-tt eines Menschen, insbes. auch in religiser Hinsicht betreffen. Vgl. auerdem zurAnziehungskraft des Hellenismus VON DOBBELER, Makkaber 2224.

    21 Die Problematik der Subjektivitt der Identittsbewahrung und des Abfalls vom Juden-tum entfaltet BARCLAY, Apostate 81, One may measure with a degree of objectivitythe extent to which Jews were socially assimilated to their Gentile environment, andthe evidence which we shall consider suggests that all charges of apostasy wheresomehow related to assimilation. But how they were related could vary greatly fromone observer to another. A Jew who was assimilated to the extent of attending a Greekschool and visiting the Greek theatre might be considered by some Jews an apostate,but be fully affirmed as an observant Jew by others. . . . In fact, apostasy, like beauty, isin the eye of the beholder.

  • 10 Konfliktfelder der Diaspora und die Lwengrube

    er Elemente der Kultur und Lebensweise bewegen. Die Notwendigkeitder Integration einer Minderheitengruppe in die Gesellschaft wird bibl.u. a. auch in der Erzhlung vom Aufenthalt Israels in gypten sichtbar(insbes. Ex 1).22

    Trotz der Differenzen zwischen der Zeit des Hellenismus und derGegenwart bestehen Gemeinsamkeiten, zu denen die Bedeutung derDiasporasituationen fr das Zusammenleben der Menschen zhlt. Dieaus dem Kontakt der Kulturen und ihrer Begegnung resultierenden Trans-formationsprozesse sind einerseits von Bedeutung fr das Verstndnisder Prozesse in der Geschichte Israels, andererseits erffnen sie auchPerspektiven fr die Gestaltung menschlichen Zusammenlebens in derGegenwart.23

    1.4 Daniel in der Lwengrube ein Beispieltext

    Erfahrungen der Diaspora spiegeln sich in der bibl. berlieferung etwain Gen 3750, im Buch Ester oder in den Erzhlungen des Daniel-Buches(Dan 16) wider.24 Das Daniel-Buch in seiner Endgestalt ist im Kontext derjdischen Literatur aus der Zeit des Hellenismus anzusiedeln und greiftdie dort lebendigen Situationen der Diaspora auf, wenn es auf der Ebeneder erzhlten Welt Aspekte des Lebens im babylonischen Exil schildert.

    Der Erzhlzyklus Dan 16 lebt von den Spannungen, die sich fr diejdischen Menschen am Hof des fremden Knigs ergeben. Er eignet sichdaher als Studienobjekt zur Erforschung einiger Aspekte der bibl. Wahr-nehmung der Diaspora.25 Da das Leben in einer Situation der Diasporawesentlich von den involvierten Kulturen, Religionen und Gesellschaftengeprgt ist, erscheint es lohnenswert, bibl. Texte, die in verschiedenenKulturkreisen verortet sind, zu untersuchen. Die relativ eigenstndige(nicht unabhngige) berlieferung des Daniel-Buches in zwei verschie-denen Kulturkreisen lsst es als geeigneten Untersuchungsgegenstand

    22 Israel existiert als Parallelgesellschaft in gypten und wird aufgrund seines sich starkvergrernden Anteils an der Bevlkerung zunehmend als Bedrohung empfunden.

    23 Die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit erfolgt nicht der Gegenwart wegen;sie ist Selbstzweck. Zugleich aber, da sich die Untersuchung mit Textberlieferungenbefasst, die zumindest in Teilen als Heilige Schrift betrachtet werden, kommt der inihr geschilderten Vergangenheit eine Relevanz fr die Gegenwart zu. KAISER, Athen89, . . . sie [die Einbeziehung der gr. Welt in das atl Forschen; D. H.] liefert uns darberhinaus ein Paradigma fr die vor uns stehende Aufgabe eines interkulturellen undinterreligisen Dialoges und einer entsprechenden christlichen Theologie.

    24 Hinzukommen weitere berlieferungen, die von der Erfahrung der Diaspora geprgtsind. Dies gilt in besonderer Weise fr die Texte, die im babylonischen Exil entstandensind. Vgl. dazu ALBERTZ, Social Setting 171ff.

    25 Vgl. WESSELIUS, Literary Nature 241.

  • Daniel in der Lwengrube ein Beispieltext 11

    erscheinen.26 Aufgrund der Einbindung in die hebr. Bibel verwundertdie berlieferung im gr. Kulturkreis im Textzusammenhang der LXXnicht. Bei aller hnlichkeit erweist eine genaue Betrachtung der Texte je-doch ihren eigenen Charakter, sodass sich die Frage nach der Mglichkeitder Rekonstruktion des bergangs der Tradition von einem Kulturkreisin einen anderen und nach seiner Gestaltung aufdrngt. Zwar ist LXXvon MT oder einer hinter ihm stehenden semitischen Tradition abhngig,doch entwickelt sie die Erzhlung eigenstndig. Neue oder umgeprgteMotive, neue Fragestellungen und andere Antworten zeichnen LXX ge-genber MT aus; mglicherweise lassen sich die Unterschiede (zumindestin Teilen) kulturell begrnden. Der Aufweis der Eigenstndigkeit derberlieferung, der Differenzen und Eigenheiten sowie der Legitimittder kulturellen Begrndung sind wesentliches Anliegen der vorliegendenUntersuchung.

    Das Buch Daniel verortet die Handlung am Hof fremder Knige(Dan 1,3f): Auftakt ist die Katastrophe des babylonischen Exils (V 1), diedurch die Eroberung Jerusalems unter Knig Nebukadnezzar im 3. Jahrder Herrschaft des Jojakim von Juda und die anschlieende Deportationherbeigefhrt wurde. In deren Kontext gelangen vier junge Mnner unter ihnen Daniel an den Hof des Nebukadnezzar und durchlaufendort eine Erziehung und umfassende Ausbildung. Durch gttliche Inter-vention (V 17) werden sie mit auergewhnlichen Fhigkeiten begabtund fr den Dienst am Knigshof des Nebukadnezzar und nachfolgenderKnige gerstet. Diese gehren zunchst zum babylonischen, dann zummedischen und schlielich zum persischen Reich. Damit sind zwei derGromchte genannt, die ber lange Zeit die Geschicke des VorderenOrients mageblich bestimmten und insbes. auf die Geschichte Israelsentscheidend Einfluss nahmen; die Rolle der Meder wird nicht ganzdurchsichtig. Durch den Dienst am Knigshof werden Daniel (und seinedrei Gefhrten) in das staatliche System als Ratgeber und Verwaltungsbe-amte in gehobener Position integriert.

    Diese Grundkonstellation begrndet und prgt die Diasporasituationin spezifischer Weise. Daniel (und seine Gefhrten) sind als Fremde Teildes staatlichen Systems. Mit der Indienstnahme durch den Knig ent-steht ihm gegenber eine Verpflichtung. Daniel ist doppelt in die Pflichtgenommen: durch seine Religion und durch seine Stellung in der knig-lichen Machtstruktur. Zwei Anspruchssysteme, die bereits als potentiellintolerant klassifiziert wurden, nehmen ihn in die Pflicht. Ein Konflikt

    26 Eine Unabhngigkeit lsst sich fr die Texte ebenso wenig postulieren wie fr dieKulturkreise; der Nachweis zahlreicher Berhrungen lsst sich fhren. NOLAN FEWELL,Circle 9, In short, these versions are different texts: different arrangements of differentwords. A comparison and contrast of these would be an interesting and helpful study. . .

  • 12 Konfliktfelder der Diaspora und die Lwengrube

    ist mglich, aber nicht grundstzlich notwendig oder selbstverstndlich,vielleicht aber wahrscheinlich.

    Auffllig ist die Mhe, die der Erzhler aufwendet, um den staatli-chen Machtapparat zu beschreiben. Er ist das im Kontext der Erzhlungenbehandelte Thema; bei ihm liegt die Aufmerksamkeit und die Fragwr-digkeit.27 Demgegenber werden die jdische Religion und die mit ihrverbundenen Traditionen und Gesetze ausschlielich im Hinblick auf kon-krete Erfordernisse fr den Verlauf der Erzhlung thematisiert. Whrendber Gott nur wenige Informationen explizit gegeben werden implizitaber klingt vieles durch literarische Verbindungen in andere bibl. Bcheran verwendet der Erzhler Mhe darauf, ein Bild von einem staatlichenSystem zu zeichnen, das hauptschlich aus den Beamten des Knigs ander Verwaltungsspitze und dem Knig selbst besteht. Die Schwerpunktein der Darstellung bilden die ausfhrlichen Erluterungen der hierarchi-schen Organisation sowie der gesetzlichen Strukturen und Bestimmungenim staatlichen Bereich.

    Eine Analyse dieses Machtapparates durch die Untersuchung derihn vertretenden Personen ermglicht Kenntnisse seiner inneren Struk-turen und seines Selbstverstndnisses. Auerdem mag so der sich fak-tisch immer wieder entwickelnde Konflikt zwischen den Ansprchen desstaatlichen Systems und denen der Religion Daniels, einen Blick auf diejeweiligen Wurzeln frei zu geben.28

    Die Erzhlung von Daniel in der Lwengrube (Dan 6), in deren In-terpretation Daniel meist als Vorbild an Glaubenstreue vorgestellt wird,entfaltet, sofern man Knig Darius in die Interpretation der Erzhlungvorbehaltlos einbezieht, ein beispielhaftes Bild des (problematischen) Ver-hltnisses von jdischer Religion und hfischer Gesellschaft. Durch dieFigur des Daniel wird der fremde Staat in Gestalt seiner Beamten unddes Knigs mit der jdischen Religion und dem Gott Israels konfron-tiert.29 In diesem Kontext entsteht ein Bild der fremden Gromacht, undzugleich wird die Verhltnisbestimmung zwischen Religion (jdische

    27 Vor dem Hintergrund der bibl. berlieferung ist eine Erklrung des Machtapparatesnicht im Kontext der Dichotomie von bekannt und unbekannt zu suchen. Die bibl.Texte aus der frheren Zeit weisen hinreichend hufig auf differenzierte Verwaltungs-strukturen in Israel hin. Vgl. dazu KNAUF, Art. Verwaltung, Biblisch 1080f.

    28 Zur Frage nach dem Schwerpunkt der Erzhlung vgl. auch WILLI-PLEIN, Daniel 6 12.HUSSER, Thologie 21, La question que nous poserons ces rcits est celle de la thorieimplicite du pouvoir politique quils reclent, compte tenu de la place prpondrantequy occupe la figure du roi et du traitement globalement positif dont il fait lobjet,compte tenu aussi de leur probable origine dans la diaspora orientale dont ils refltentune part des proccupations au contact de ce pouvoir royal.

    29 WILDGRUBER, Weisheit 52, Das Thema der jdischen Existenz in einem nichtjdischenUmfeld erfhrt in diesen Kapiteln eine dramatische Zuspitzung . . .

  • Daniel in der Lwengrube ein Beispieltext 13

    berzeugung des Daniel) und Gesellschaft (medisches Reich) bedacht.30

    Dieser Fragestellung kommt innerhalb von Dan 16 in den beiden Er-zhlungen Dan 3 und Dan 6 eine besondere Relevanz zu. Die paralleleberlieferung der Erzhlungen in einer weitgehend eigenstndigen ber-lieferungslinie der LXX ermglicht den Vergleich zwischen der Formulie-rung der Erzhlung in der mt (semitischen) Tradition und der Traditionder griechisch-sprachigen Diaspora.31 Aufgrund der Eigenstndigkeitder berlieferungen in Dan 46 ist davon auszugehen, dass die Erzh-lung von Dan 6 in zwei Fassungen berliefert ist, die in verschiedenenKulturkreisen beheimatet sind. Dan 6 erscheint daher als geeigneter Un-tersuchungsgegenstand.

    Die Erzhlung thematisiert die Frage nach jdischer Existenz in einerspeziellen Diasporasituation: die Frage nach der Lebensweise eines An-hngers des Gottes des Daniel in einem Milieu, das andere Gottheitenverehrt. In gleicher Weise wird auch die umgekehrte Perspektive einge-nommen: der Blick auf die Gesellschaft, die mit einem jungen, aufstre-benden Juden konfrontiert wird, der aufgrund seiner auerordentlichenFhigkeiten beinahe unmittelbar an der Spitze der staatlichen Hierarchieangesiedelt, aber dennoch ein Fremder geblieben ist und fremdenreligisen Bruchen nachgeht. Die beiden Texttraditionen gehen je eigeneWege in der Darstellung aber auch in der Akzentsetzung der mit die-sem Fragekomplex verbundenen Aspekte; die religise Zuspitzung desKonfliktes wird auf je unterschiedliche Weise entwickelt. Zentral ist dietheologische Dimension, deren konkrete Qualitt zu erheben ist.32

    30 SMITH-CHRISTOPHER, Gandhi 333, . . . what view of the foreign authorities is impliedin these tales? Is it positive or negative? Nicht nur die Visionsberichte (Dan 712)sind fr die Aussagen zur irdischen Macht relevant, sondern auch die Erzhlungen(16). Sie fgen sich in den Kontext der zwischentestamentarischen Krisenliteratur ein,unterscheiden sich jedoch signifikant von ihr.

    31 Das Verhltnis der beiden berlieferungslinien ist komplex. Die Formulierung ei-genstndig ist bewusst gewhlt und zielt auf die vorhandenen Differenzen bei einergleichzeitigen bereinstimmung in vielen Bereichen. Die Annahme der Entstehungvon DanLXX in Alexandria erscheint konsensfhig.

    32 Exemplarisch sei verwiesen auf: ASHLEY, Book of Daniel 206, The author of chaptersIVI is more concerned to paint a picture of an omnipotent, active, wisdom-givingGod than he is to give a picture of man or the world. DAVID, Composition 75, . . .one is dealing with highly theological didactic stories which are expressly intendedto portray the universal conversion of the heathens. Die theologische Botschaft lsstsich nicht auf einfache Formeln bringen. Vgl. dazu ASHLEY, Book of Daniel 182.188,The relatively uncomplicated nature of these stories leads to a rather uncomplicatedtheology . . . Loyalty to God is more important than anything else, even life itself . . .God rewards absolute loyalty.

  • 2 berlieferung und Textgrundlage

    Die Erzhlung von Daniel in der Lwengrube (Dan 6) ist als Kapiteldes atl Daniel-Buches Teil eines greren Textzusammenhanges mit einerkomplexen berlieferungsgeschichte.1 Der Vergleich von MT und LXXzeigt deutliche Differenzen: Die Unterschiede betreffen nicht nur dieSprache, sondern beziehen sich in erheblichem Mae auf Form und Inhalt.Die weiteren berlieferungen lassen sich trotz einiger Abweichungen diesen beiden Traditionsstrmen zuordnen.

    2.1 Masoretische Tradition

    Ausgangspunkt der Darstellung ist MT;2 Dan 6 ist in ba Sprache ber-liefert. Grundlage ist der Codex Leningradensis (B19=L), den die BHSin kritischer Edition bietet.3 Das Buch Daniel gehrt zur Gruppe der!M nicht der !M und steht zwischen Ester und Esra/Nehemia.4

    Das mt Daniel-Buch umfasst 12 Kapitel, die in hebr. (1,12,4a; 812) bzw.aram. (2,4b7,28) Sprache vorliegen. Nicht in MT berliefert sind diesog. deuterokanonischen Abschnitte: das Gebet des Asarja (3,2450), der

    1 Zu einer ersten bersicht NIEHR, Buch Daniel 611613; sowie Abschnitt 3.1.2, 33.2 Die getroffene Entscheidung ist technischer Art; die Festlegung einer Reihenfolge ist

    praktisch notwendig. Aufgrund der historisch bedingten Wertschtzung des MT solldieser als Ausgangspunkt gewhlt werden. Die Untersuchung der einzelnen Texttra-ditionen ist demgegenber vollstndig unabhngig, vgl. etwa auch ALBERTZ, Gott.Anders ASHLEY, Book of Daniel 6f; MEADOWCROFT, Aramaic Daniel.

    3 BHS wurde anhand der Faksimile-Ausgabe des Codex Leningradensis (FREED-MAN et al, Codex Folio 437447) berprft. Farbige Photographien oder Reproduktio-nen konnten nicht eingesehen werden. Ergnzend wird der von STRACK herausgegebe-ne und nach Handschriften korrigierte Text herangezogen. Vgl. STRACK, Grammatik9*32*.

    4 Unabhngig von einer mglicherweise ursprnglichen Einordnung unter die Prophe-ten ist von der berlieferten Reihung der bibl. Bcher auszugehen. Vgl. dazu KOCH,Profeten, der insbes. aufgrund von 4QFlor; Ant 10,267ff; 11,7; Mt 24,15 davonausgeht, dass Daniel ursprnglich als Prophet betrachtet und sekundr in den drit-ten Kanonteil verschoben wurde. Weiter EGO, Rabbinen 32; FINLEY, Book of Daniel208. Anders bspw. TILLY, Rezeption 36. Zu den intertextuellen Konsequenzen derverschiedenen Reihungen vgl. SCHEETZ, Position.

  • Texte von Qumran 15

    Lobgesang der drei jungen Mnner (3,5190), sowie die Erzhlungen vonSusanna (Dan 13 = Sus) und von Bel und dem Drachen (Dan 14 = BelDr).5

    Als Bestandteil der mt berlieferung ist die Masora in die Untersu-chung einzubeziehen. Aufgrund des signifikant erhhten Vorkommensmt Anmerkungen in den aram. Abschnitten gebhrt ihr erhhte Aufmerk-samkeit.6 In einzelnen Fllen ist die Beachtung der Akzentsetzung zurErhebung der Struktur des Textes hilfreiches Indiz.

    2.2 Texte von Qumran

    Die Entdeckung und Edition der Texte von Qumran hat fr die Erfor-schung des Daniel-Buches interessante Erkenntnisse zutage gefrdert.7

    Die Datierungen der Handschriftenfragmente stellen einen terminus antequem fr die Endredaktion der Texte dar.8 Vorwiegend aufgrund inhaltli-cher Argumente wird von der Mehrzahl der Exegeten eine Sptdatierungder Endredaktion vertreten.9 Diese gegenlufigen Argumentationslinienlegen nahe, von einer Entstehung der Manuskripte in zeitlicher Nhe zumAbschluss des Daniel-Buches auszugehen; sie datieren about a centuryor so after the composition of the book10.

    Es finden sich acht fragmentarische Handschriften (verteilt auf dieHhlen 1, 4 und 6)11, die Texte aus dem Daniel-Buch enthalten, davonfnf, die die aram. Abschnitte berhren (1Q71.72; 4Q112.113.115).12 Die

    5 Die Kapitel- und Versangaben beziehen sich auf E. Andere Traditionen bieten dieentsprechenden Abschnitte mitunter an anderer Stelle.

    6 ASHLEY, Book of Daniel 9, The less exact preservation of the text may be seen pri-marily reflected in the fact that the cases of Kethibh and Qere are limited to twelvein the six Hebrew chapters of Daniel, whereas the count in the six Aramaic chaptersnumbers 106. Dort auch ein berblick ber die Art der Ketib/Qere Anmerkungenund Erklrungsversuche. Zu einer Klrung der sprachlichen Klassifikation der QereNotizen in Auseinandersetzung mit MORROW/CLARKE, Ketib/Qere vgl. FASSBERG,Origin 12, . . . are Palestinian phenomena of the Middle Aramaic period and not, ashas recently been argued, lingusitic features that entered the biblical tradition duringthe Late Aramaic period. Vgl. dazu MORROW/CLARKE, Ketib/Qere 422, . . . reflectsa dialect of Aramaic spoken in Palestine some time between 200600 C. E.

    7 Von besonderem Interesse fr die Textgeschichte des Daniel-Buches ist die Beobachtung,dass der Sprachenwechsel vom Hebr. ins Aram. (Dan 2,4a, 1Q71) und umgekehrt (8,1,4Q112.113) belegt ist. Vgl. ULRICH, Orthography 30; PFANN, Aramaic Text 128f.

    8 Vgl. GZELLA, Dating 63.9 Vgl. dazu Abschnitt 3.1.2, 33.10 ULRICH, Orthography 31; MUNNICH, Texte massortique 96.11 Vgl. ULRICH, Orthography 29.12 Vgl. fr die aram. Abschnitte die leicht zugngliche bersicht bei BEYER, ATTM 2 187

    199; neuerdings auerdem ULRICH, Biblical Qumran Scrolls 764766. Zur Bezeichnungder Handschriften existieren zwei gngige Systeme. Zur Identifikation fhrt folgen-de Gleichsetzung: 1QDana=1Q71; 1QDanb=1Q72; 4QDana=4Q112; 4QDanb=4Q113;

  • 16 berlieferung und Textgrundlage

    Textberlieferung weist zwischen MT und DanQ keine greren, wohlaber insbes. im Bereich der Orthographie viele kleine Differenzen auf.13

    Die Tatsache, dass alle zwlf Kapitel der spteren mt Tradition in Qumranattestiert sind, ist ebenso festzuhalten wie die Beobachtung, dass diedeuterokanonischen Abschnitte (3,2490; Sus; BelDr) nicht belegt sind.14

    Die bereinstimmungen des Textumfangs und der Kapitel im Einzelnenmachen die Zugehrigkeit zu einem Traditionsstrom deutlich.15 hnlichwie MT steht DanQ der berlieferung der LXX gegenber.16 ber dieStellung im Kanon kann aufgrund der Fundlage keine Auskunft gegebenwerden.

    4Q113 (Fragmente 7i.7ii.8.9) ist die einzige Handschrift, die Abschnitteaus Dan 6 (6,822.2729) berliefert; die Abweichungen gegenber MTsind gering.17 Sie ist eine der spten Handschriften von DanQ und datiert

    4QDanc=4Q114; 4QDand=4Q115; 4QDane=4Q116; pap6QDan=6Q7. Vgl. die bersichtNEL, Contribution 609f. Zu auerbiblischen berlieferungen, die sich auf Daniel bezie-hen, vgl. STUCKENBRUCK, Formation 104ff; KRAFT, Daniel 125f, 4Q242.243245.246;4Q522f sowie 4Q551? VERMES, Treatment 149, . . . various Aramaic fragments belong-ing to apocryphal Daniel stories, indicating that there were elements of the narrativecycle which failed to penetrate the real Daniel manuscripts themselves. Auerdem mit Angabe von Editionen MUNNICH, Daniel 87f; sowie KNIBB, Book of Daniel 19ff.

    13 Vgl. dazu ULRICH, Text; ULRICH, Orthography 30. Auerdem KRAFT, Daniel 125f;FLINT, Daniel Tradition 331f.

    14 1Q71.4Q115 bieten 3,2324(=91) direkt aufeinanderfolgend. Damit ist das Fehlen derdeuterokanonischen Abschnitte fr diese beiden Manuskripte belegt. Vgl. MUNNICH,Texte massortique 97.

    15 ULRICH, Canonical Process 284, generally in the same textual tradition in which theMT stands . . . the Qumran manuscripts display the same general edition as that in theMT. Vgl. auch NEL, Contribution 611ff.

    16 Ein Textfund aus zeitlicher Nhe zur endgltigen Kompilation des Daniel-Buches bieteteinen weitgehend identischen Text. KOCH, Buch Daniel 22f, Dies bedeutet nun freilichnicht, da der hinter G oder S zu mutmaende Text unbedingt sekundr sein msse.Es lt sich nur daraus schlieen, da die M-Fassung eine eigenstndige sinnvolleRedaktion des Textes darstellt und die grundstzlichen Unterschiedenheiten zu denanderen alten bersetzungen, sofern diese einen semitischen Urtext voraussetzen, aufliterarkritischem oder berlieferungsgeschichtlichem Weg erklrt werden mssen. Text-kritisch lassen sich die Differenzen nicht aus der Welt schaffen. 200250 Jahre lassenfr textgenetische Prozesse gengend Raum. Vgl. auch MUNNICH, Texte massortique99, Pour les [i.e. les diffrences, D.H.] comprendre, on doit passer, de la critique tex-tuelle, la critique littraire. ULRICH, Canonical Process 285, Rather, in Daniel 46both the MT and the Old Greek are apparently secondary, that is, they each expand indifferent directions beyond an earlier common edition which no longer survives.

    17 Eine bersicht ber die Varianten bietet ULRICH, Text 577; ULRICH, Biblical QumranScrolls 764766 vgl. auerdem BEYER, ATTM 2 187; PFANN, Aramaic Text 129, Of the144 variants in the Aramaic sections most are orthographic and morphological variantsreflecting the preferences of scribes or differing scribal conventions. Auffllig bleibtdie weitgehende bereinstimmung zwischen DanMT 6 und DanQ 6 gegen DanLXX 6.MUNNICH, Texte massortique 97, En Dan 6, Q na pas dquivalent lexpansion dela Septante (v. 12a); le v. 18 (19) ne comporte pas lanticipation narrative du salut divin,qui constitue une caractristique si surprenante de la Septante.

  • Peschitta 17

    nach palographischen Argumenten in die erste Hlfte des 1. Jh. n. Chr.18

    und knnte eine Abschrift von 4Q112 darstellen.19 Die zeitliche Nhe vonabschlieender Redaktion und vorliegendem Manuskript ist fr DanQ 6relativiert; dennoch bleibt eine Differenz von 200250 Jahren berschaubar.Die Existenz lterer Manuskripte setzt das Daniel-Buch mit Dan 6 in einernicht unerheblichen Verbreitung fr eine frhe Zeit voraus.20 Dass einesolche Zeitspanne gengend Raum fr textgenetische Prozesse lsst, istevident.

    2.3 Peschitta

    Beschftigt man sich mit den ba Texten des AT, sind Zusammenhngeund Argumente mitunter anders zu bewerten als in der atl Wissenschaftblich. Eine solche Verschiebung ist im Hinblick auf die textkritischeBedeutung der Peschitta festzustellen.21

    S wird . . . lange als Tochterbersetzung von G angesehen, obwohl dieseAnsicht fr die aramischen Partien des Db grotesk wirkt. Da nmlich Syrischund Biblisch-Aramisch nur Dialekte der gleichen Sprache sind, herrscht inmanchen Versen zwischen S und M durchgngige Wortgleichheit, nur Worten-dungen und Vokalisation unterscheiden sich; S stellt also mehr Transkriptionals bersetzung dar.22

    18 ULRICH, Orthography 31, 2050 n. Chr. hnlich PFANN, Aramaic Text 128; FLINT,Daniel Tradition 330; NEL, Contribution 610.

    19 So BEYER, ATTM 2 187, allerdings mit Fragezeichen.20 NEL, Contribution 611, The large number of preserved copies may be regarded as a

    determining factor showing the importance of the book in the Qumran community.The way in which Daniel was used at Qumran shows its authoritative status.

    21 Fr den syrischen Text liegt die Textausgabe des Leidener Peschitta Institutes: Dodeka-propheton Daniel-Bel-Draco. The Old Testament in Syriac. According to the Peshit.taVersion von 1980 zugrunde. Sie geht auf den Codex Ambrosianus zurck, der in das 6.oder 7. Jh. zu datieren ist. Vgl. TAYLOR, Book of Daniel 240. Ein gewachsenes Interessean Fragen der Peschitta, insbes. an Fragen der grundstzlichen Verhltnisbestimmungzum MT, ist vor dem Hintergrund der bersetzungsprojekte der LXX zu konstatieren.Wegweisend dafr sind die Diskussionen, die im Kontext des Projektes der New Englishannotated Translation of the Syriac Bible (NEATSB) gefhrt wurden und werden. Vgl.dazu JENNER, NEATSB.

    22 KOCH, Buch Daniel 20f.

  • 18 berlieferung und Textgrundlage

    Folgt man dieser Einschtzung,23 erhlt die Peschitta ein starkes Gewichtin Fragen der Textkritik.24 Die Beobachtung eines gemeinsamen Abwei-chens der Peschitta in Verbindung mit LXX oder von MT lsst mehrereDeutungen zu.25 KALLARAKKAL vermutet einen Einfluss der Peschit-ta auf die Texttradition des ;26 demgegenber geht TAYLOR von einerumgekehrten Abhngigkeit aus.27 Aufgrund der Vielzahl offener Fragenzur Textgeschichte der Peschitta erscheint eine Datierung des Daniel-Textes derzeit nicht mglich.28 Um einer berbewertung der Peschittavorzubeugen, soll eine vorsichtige Position eingenommen werden: EineAbhngigkeit von wird fr mglich gehalten.29 Dass die deuteroka-nonischen Abschnitte zwar an den verschiedensten Orten im Kanonder Peschitta und in verschiedenen Zusammenstellungen 30 berliefertsind, legt eine zurckhaltende Beurteilung ebenfalls nahe, ohne dass ihreBedeutung zu vernachlssigen ist.31

    In der syrischen Tradition sind die Aufteilung und Gruppierung derBcher sehr unterschiedlich; zwar gilt das Buch Daniel als prophetisches

    23 Vgl. auch jngst TAYLOR, Book of Daniel 243.246, In terms of translation theory thePeshitta of Daniel falls more into the category of what today is known as formalcorrespondence, as opposed to functional or dynamic equivalence . . . Although thisversion is relatively literal, it is not slavishly wooden to the point of becoming awkwardin terms of Syriac style. For the most part the Peshitta of Daniel in fact reads more likea native composition than a translation document.

    24 Ebd. 243, In a limited number of places the Peshitta of Daniel points to an underlyingHebrew-Aramaic Vorlage that may actually be superior to the Hebrew Masoretic text,either with regard to the consonantal text or with regard to its proper vocalization.Keine der dort genannten Stellen betrifft Dan 6.

    25 Wobei im Vergleich zwischen Peschitta und LXX, insbes. in Dan 46, offensichtlichdie Differenzen berwiegen. Ebd. 245, In none of the major pluses or minuses thatcharacterize these chapters in the Greek text does the Syriac translation align itself withthe Septuagint against the MT.

    26 KALLARAKKAL, Peshitto 224, Perhaps the author of ur-Theodotion may have con-sulted S also for his work . . .

    27 WYNGARDEN, Syriac Version 37.39; TAYLOR, Peshit.ta of Daniel 312, In the generallyHellenistic society of pre- and post-NT times, it seems far more likely that a Syriactranslator would make use of a widely known Greek translation such as Theodotion-Daniel than that a Greek translator would utilize the Syriac version. AuerdemTAYLOR, Book of Daniel 246.

    28 Vgl. dazu den Forschungsbericht bei JENNER, Syriac Daniel, der alle drei grerenAbhandlungen vergleicht. Jngst MUNNICH, Peshitta 231ff. JENNER, Syriac Daniel 613,bietet einen berblick ber die vorgeschlagenen Datierungen, die vom 1. Jh. v. Chr. biszur Mitte des 2. Jh. n. Chr. reichen.

    29 TAYLOR, Book of Daniel 243, The translation was probably undertaken shortly afterthe stabilization of the Hebrew text had occurred toward the end of the first centuryA.D.

    30 Vgl. dazu die variable Positionierung von BelDr in den gr. Traditionen.31 Vgl. dazu TAYLOR, Book of Daniel 243, der davon ausgeht, dass den bersetzern

    Manuskripte der hebr. Schriften aus dem 1. Jh. n. Chr. vorgelegen haben.

  • Septuaginta 19

    Buch, doch sein Ort im Kanon der Peschitta ist nicht einheitlich.32 Essteht einmal zwischen Ezechiel und dem Dodekapropheton, in anderenHandschriften jedoch zwischen Ezechiel und den Sprichwrtern direktan der Schnittstelle zwischen Propheten und Schriften.

    Im Gegensatz zur mt Tradition und der Textberlieferung aus Qum-ran bietet die Peschitta auch die deuterokanonischen Abschnitte des Gebe-tes des Asarja und des Lobgesanges der drei jungen Mnner (Dan 3,2590),die Erzhlung von Bel und dem Drachen (BelDr)33 sowie die Erzhlungvon Susanna (Sus). Das Gebet des Asarja und der Lobgesang begegneneinerseits an ihrem vertrauten Ort aber auch im Buch der Oden (Odes 8 =Dan 3,2656; 9 = Dan 3,5788). BelDr steht am Ende des Daniel-Buches.34

    Die berlieferung von Susanna wird entweder dem Buch Daniel vorge-schaltet oder in das Buch der Frauen eingeschlossen.35

    Auch fr Dan 6 ist die Einbeziehung des Peschitta Textes lohnenswert.Gerade im Vergleich mit der LXX fllt die enge Anlehnung an die mtTradition auf.36

    2.4 Septuaginta

    Die bislang betrachteten berlieferungen verbindet ihre weitgehendebereinstimmung mit MT; ihnen steht die Tradition der LXX gegenber,die in einem wesentlich hheren Ma Differenzen aufweist37 und eine im

    32 Vgl. dazu und im Folgenden JENNER, Syriac Daniel 624626; nicht eindeutig zu klrenist die Frage nach dem Kanon der Peschitta. VAN PEURSEN, Introduction 3, Thequestion of what books should be included in an edition of the Old Testament in Syriacis related to the complex question of how we can determine the Old Testament canonin the Syriac tradition. Vgl. auerdem ebd. 37.

    33 Vgl. JENNER, Syriac Daniel 609.34 Fr eine detaillierte Aufstellung der kanonischen Reihenfolge bezogen auf das Daniel-

    Buch und angrenzende Schriften vgl. ebd. 624626. Ein besonderes Merkmal der Pe-schitta ist die Zusammenstellung verschiedener Bcher zu Buchgruppen, dem BethMawtbe, den Psalmen und Oden sowie dem Buch der Frauen. Vgl. VAN PEURSEN,Introduction 3.

    35 Im Buch der Frauen sind die Bcher Ruth, Susanna, Ester und Judith zusammenge-schlossen.

    36 Vgl. JENNER, Syriac Daniel 612, In P-Daniel chapters four, five and six do not reflectthe distinctive textual features that mark the LXX in a category by itself. Dennochbestehen zahlreiche bereinstimmungen zwischen LXX und Peschitta gegen MT. Vgl.MUNNICH, Peshitta 246, Il semble queS, accompagn ou non par les version grecques,reflte alors un tat du texte prsentant des variantes rdactionnelles par rapport M.An einzelnen Stellen lsst sich der Befund fr das Verstndnis des MT (etwa DanMT 6,4)heranziehen.

    37 Eine umfassende Kommentierung von DanLXX steht noch aus, ist aber von TimothyMcLay fr die Reihe SBL Commentary on the Septuagint (SBLCS) angekndigt.

  • 20 berlieferung und Textgrundlage

    Vergleich zu diesem auffallend geringe Rezeption erfahren hat.38 Diesekorreliert mit der Anzahl der berlieferten Handschriften.39 Eine Aussageber Qualitt und Authentizitt des Textes lsst sich damit entgegenfrherer Auffassungen (etwa bei HIERONYMUS)40 allerdings nicht ver-binden.

    Die Bezeugung des gesamten Daniel-Textes beschrnkt sich auf dreiTextzeugen. Den ltesten vollstndigen Text in der LXX-Fassung bietetder Papyruskodex P 967, der aus dem 2.41 oder 3.42 Jh. n. Chr. stammtund im Jahr 1931 in gypten gefunden wurde.43 Seine Verffentlichungwar 1977 abgeschlossen und konnte bei der wichtigen Textausgabe der gr.Daniel-Texte von ZIEGLER in der Reihe der GTTINGER SEPTUAGINTAnur teilweise einbezogen werden.44 Mittlerweile steht eine von MUNNICHberarbeitete Auflage der Ausgabe von ZIEGLER zur Verfgung, die dengesamten P 967 bercksichtigt.45 Die Bedeutung des P 967 liegt auch darin,

    38 Die Bezeichnung Septuaginta (LXX) ist traditionell aber nicht unbedingt sachlich tref-fend. Zur Kritik vgl. etwa GREENSPOON, Use 23ff; TILLY, Septuaginta 19f; hnlichSWART, Divergences 106f. Im Bewusstsein der Problematik soll am traditionellen Be-griff festgehalten werden. Die Nummerierung der Verse weicht in den verschiedenenTextausgaben voneinander ab. Die hier verwendete Zitation folgt der Gttinger Aus-gabe von MUNNICH. Zur LXX im Kontext der gegenwrtigen Forschung und zurTextgenese der LXX vgl. Abschnitt 3.2, 120.

    39 ALBERTZ, Gott 10, spricht von einer kirchlichen Textzensur, die den LXX-Text beinahevollstndig aus der berlieferung tilgte. Zur Geschichte der Anfnge der Wieder-entdeckung des LXX-Textes vgl. auerdem BLUDAU, Alexandrinische bersetzung25.

    40 Die entsprechenden Hinweise auf Zitate aus In Danielem und Praefatio in liberDanielem finden sich mit Quellennachweis bei SCHMITT, -Text 11; BRUCE, OldestGreek 23; wesentlich einseitiger ASMUSSEN, Daniel 52, Dieser [i e. G; D. H.], dagegenbietet wieder einmal einen Text voll von willkrlichen Zustzen und Verdrehungen.Alle Genauigkeit, Logik und Schlichtheit des MT ist in G dahin und leider aufgelst inGeschwtzigkeit und Mrchendichtung. G hat als bersetzung nur ein vernichtendnegatives Urteil verdient, und die Theologen der christlichen Zeit sind zu loben, weilsie den G-Text verwarfen und durch andere bertragungen ersetzten. Zu diesemVerdikt vgl. GRELOT, Versions 381f. BRUCE, Oldest Greek 38, zieht die Targumim alsParallele heran: What we have in the Septuagint of Daniel is a Greek Targum.

    41 Vgl. GEISSEN, Septuaginta-Text 18; ALBERTZ, Gott 17, die aber auch eine sptereDatierung (allerdings nicht spter als die Mitte des 3. Jh.) nicht ausschlieen. Jngst:KREUZER, Papyrus 967 64, um 200 n. Chr.

    42 Vgl. KOCH, Buch Daniel 19; BOGAERT, Relecture 197.43 Weitere Belege finden sich vereinzelt bei den Kirchenvtern. Vgl. ALBERTZ, Gott 10;

    RIESSLER, Buch Daniel 48; BLUDAU, Alexandrinische bersetzung 5ff, etwa bei TER-TULLIAN, CYPRIAN und VICTORINUS VON PETTAU.

    44 Bercksichtigt wurden die Abschnitte, die sich in der Chester-Beatty Sammlung befan-den und bereits im Jahr 1938 verffentlicht waren (vgl. KENYON, Chester Beatty, Text;KENYON, Chester Beatty, Plates). Vgl. ALBERTZ, Gott 16f. Zur Textberlieferung allg.vgl. BLUDAU, Alexandrinische bersetzung 6ff.

    45 MUNNICH, Daniel. Vgl. dazu auch HANHART, Septuagintaforschung 266ff. Ergnzendzu der Ausgabe von ZIEGLER kann die von MCLAY zusammengestellte Kollation derVarianten des P 967 gegenber ZIEGLER in MCLAY, Collation herangezogen werden.

  • Septuaginta 21

    dass er als einziger Zeuge einen Text bietet, der vor der Hexapla desORIGENES (185253/4 n. Chr.) entstanden ist und von dieser vermutlichnicht beeinflusst wurde. Nicht endgltig geklrt ist das Verhltnis vonP 967 und . Vermutlich ist P 967 leicht von beeinflusst.46 Die beidenanderen Textzeugen 88 (Codex-Chisianus, 10. Jh.) und Syh (eine im Codexsyro-hexaplaris Ambrosianus erhaltene, dem griechischen Text treu fol-gende syrische bersetzung der Hexapla aus dem 7. Jh.)47 gehen auf diehexaplarische Rezension zurck48 und bieten den Text der sog. fnftenSpalte der Hexapla. Beide Kodizes stehen in einer engen Verwandtschaft,die ZIEGLER mit dem Begriff Schwesterhandschriften49 charakterisierthat.50

    Mehrere gewichtige Fragestellungen sind im Kontext dieser Untersu-chung von Relevanz.51 Eine erste Fragestellung betrifft die Differenzenzwischen MT und LXX, die insbes. in den Kapiteln 46 ein nur schwererklrbares Ausma annehmen.52 Zwei Erklrungsmodelle werden inVariationen herangezogen.53 Whrend eine Gruppe von Exegeten ver-sucht, den Befund durch eine freie, adaptierende Wiedergabe durch denbersetzer zu erklren,54 gehen andere Erklrungsversuche von verschie-denen Textgrundlagen aus: Dem bersetzer der LXX habe eine vom MT

    46 Vgl. HAMM, Septuaginta-Text 26; MCLAY, Question 253, . . . it is also obvious that 967itself has undergone correction toward both Th and MT. Zu und seiner Datierungvgl. den nachfolgenden Abschnitt 2.5, 23.

    47 Vgl. KOCH, Buch Daniel 18.48 Vgl. ZIEGLER, Susanna, Daniel, Bel et Draco 13. Sie bieten eine berarbeitung des

    Origenes, die von der Kenntnis des MT sowie von geprgt ist. Zur Bedeutung desOrigenes fr die berlieferung vgl. MUNNICH, Origne.

    49 ZIEGLER, Susanna, Daniel, Bel et Draco 11.50 Zur handschriftlichen berlieferung vgl. auerdem MCLAY, OG and Th 6f.51 Vgl. BOGAERT, Relecture 198f.52 MCLAY, Translation 304, . . . the OG exhibits little textual similarity to either Th or the

    MT. Auf die unterschiedliche Verteilung der Differenzen verweist auch MUNNICH,Texte massortique 94, . . . une majorit de chapitres reposent sur un substrat presqueidentique M; dautres supposent un substrat diffrent (les chapitres 4 6); certainsenfin ne possdent aucun quivalent enM . . . Angesichts dieses Befundes hat BICKER-MAN und in seiner Folge TOV das Buch Daniel als strange Book bezeichnet. Vgl.dazu die Titel BICKERMAN, Strange Books; TOV, Strange Books. TOV, Nature 161, TheOG of Daniel 46 reflects a rewritten book of a text like MT.

    53 Vgl. dazu TOV, Strange Books 284.54 So wie viele andere etwa ASHLEY, Book of Daniel 257, This chapter is again to be

    considered an adaptation rather than a translation of the MT.

  • 22 berlieferung und Textgrundlage

    abweichende Textfassung vorgelegen.55 Hinsichtlich der Einordnung die-ser Vorlage besteht kein Konsens.

    Einen besonderen Hinweis verdient zweitens die Tatsache, dassP 967 zwischen Dan 4 und Dan 9 eine andere Kapitelreihenfolge bie-tet. An DanLXX 4 schliet DanLXX 7 an; es folgen DanLXX 8; 5; 6; 9.56 Alsleitendes Kriterium dieser Gliederung erscheint entgegen der inhaltlich-unterscheidenden Struktur der brigen Textzeugen und des MT dieKnigschronologie.57 Die Frage, ob der Papyrus damit die ursprnglicheKapitelfolge bewahrt hat oder nur einen spteren Versuch dokumentiert,den historischen Rahmen zu gltten, wird erst in einer eingehenderenUntersuchung zu klren sein58. Eine Prioritt wird beiden Reihenfolgenvon verschiedenen Autoren zugesprochen.59 Demgegenber geht LUSTdavon aus, dass die einzelnen Erzhlungen zunchst unabhngig tradiertund schlielich in einem je eigenstndigen Prozess auf unterschiedlicheWeise und nach verschiedenen Kriterien zusammengefgt wurden.60

    Drittens ist nach dem Ausgangspunkt fr die textkritische Rekon-struktion des Textes zu fragen. Die schwierige Textbasis ist in der fastvollstndigen Bevorzugung des seit frher Zeit begrndet.61 Als Text-zeugen stehen neben einzelnen Hinweisen bei altkirchlichen Autoren

    55 Etwa GRELOT, Versions 381, . . . pour les chapitres 46, on peut se demander si cesoriginaux ntaient pas connus des traducteurs sous deux formes trs diffrentes . . . Auerdem ULRICH, Canonical Process 285, The conclusion to be drawn, but still tobe demonstrated in detail, is that the Old Greek translator translated the entire bookfaithfully from his Semitic Vorlage; he simply had a version of the book which containeda variant edition of the text for those three chapters. SCHMIDT, Daniel 1, . . . thatthe old version rests on an Aramaic text, and that this text was earlier than the onerepresented by our MSS [i. e. manuscripts; D. H.] of the Hebrew Bible and its ancientrenderings.

    56 Vgl. GEISSEN, Septuaginta-Text 12ff.3133. Die Kapitelnummern beziehen sich auf diegewhnliche Bezeichnung nach E. Der Zusatz LXX weist die Kapitel als Bestandteilder LXX aus und markiert die Differenzen.

    57 Vgl. LUST, Septuagint Version 44; vgl. auerdem Abbildung 3.1. Die chronologischenProbleme sind nicht vollstndig gelst; insbes. der bergang von Dan 6 auf Dan 9 istmit Schwierigkeiten verbunden.

    58 MUNNICH, Daniel 20; vgl. aber MUNNICH, Texte massortique 116, Aussi doit-ontenir pour authentique lordre, en apparence insolite, des chapitres dans le pap. 967, leplus ancien tmoin de la Septante . . .

    59 Von einer Ursprnglichkeit der MT Darstellung gehen u. a. ALBERTZ, Gott 78f; MCLAY,Translation 318f; KREUZER, Papyrus 967 75f; MEISER, Tendenzen 87 aus. hnlichBOGAERT, Relecture 198f, verbunden mit der Fragestellung, ob diese Umgruppierungin der semitischen Vorlage oder der bersetzung erfolgte. Die andere Perspektivenimmt MUNNICH, Texte massortique 94.116f ein.

    60 XERAVITS, Poetic Passages 38 unter Bezugnahme auf LUST, Septuagint Version 52f,. . . the order of papyrus 967 emerged independently from the masoretic text . . . Diese Auffassung steht in Konkurrenz zu Entwrfen, die von einer Einheitlichkeit derEntstehung ausgehen. Vgl. ausfhrlicher zur These von LUST Abschnitt 3.2.6, 141.

    61 Vgl. ALBERTZ, Gott 9f.

  • Theodotion 23

    und drei fragmentarischen Handschriften (813.875.613)62 lediglich diegenannten Textzeugen zur Verfgung: 88 und Syh einerseits, P 967 an-dererseits. Grundstzlich ist eine ursprnglichere Lesart des P 967 wahr-scheinlich.63 Entscheidungen sind aber in jedem Einzelfall zu begrnden.Auch P 967 ist nicht der ursprngliche LXX-Text, sondern hat eine eigeneTextgeschichte. Hinzu kommt, dass der Text mit einer geringeren Sorgfaltangefertigt wurde als die beiden anderen Handschriften.64 Der jngere,hexaplarisch rezensierte Text kann die ursprnglicheren Lesarten bewahrthaben.

    Fr die LXX des Daniel-Buches ist eine frhe Entstehung in zeitli-cher Nhe zu den Makkaberaufstnden anzunehmen.65 Die LXX giltdamit als die erste nachweisbare schriftliche Textrezeption des Daniel-Buches.66 Nach einer Zeit des parallelen Gebrauchs wie er sich auch imNT widerspiegelt wird der LXX-Text immer mehr verdrngt. DanLXX

    wurde dagegen im Christentum immer weniger abgeschrieben oder garvervielfltigt. Sein Text . . . geriet auer Gebrauch und schlielich vlligin Vergessenheit.67

    2.5 Theodotion

    Mit dem Sigel wird eine bersetzung bzw. die Revision einer berset-zung der Texte bezeichnet, die heute im AT zusammengefasst sind. DieBezeichnung verweist auf einen jdischen Proselyten namens THEO-DOTION um ca. 180 n. Chr. Doch die neutestamentlichen Schriften wieauch der Geschichtsschreiber Josefos zitieren gelegentlich das AT [undinsbes. Dan; D. H.] in der -, nicht der G-Fassung.68 Dan ist lter alsTHEODOTION. Auch wenn mit SCHMITT festzuhalten ist, dass dieser Textsomit nicht auf THEODOTION zurckzufhren ist, soll die traditionelleBezeichnung -Text im Bewusstsein, dass der Text nicht mit dieser Per-

    62 Wobei fr Dan 6 lediglich 613 von Bedeutung ist.63 MCLAY, Translation 307, the best witness to the OG text, papyrus 967.64 Vgl. MUNNICH, Daniel 75.65 Vgl. dazu u. a. PACE, Stratigraphy 23f; TILLY, Rezeption 32f; ASHLEY, Book of Daniel

    282f, . . . the book of Daniel was translated into Greek by circa 100 BC . . . SIEGERT,Einfhrung 334, Die Erstbersetzung des Daniel-Buches . . . , die zu ihm fast zeitge-nssisch gewesen sein drfte . . . Vgl. auch ebd. 43; STEUSSY, Gardens 31, Severalcommentators believe that the OG of Daniel comes from the same translator as the LXXof Chronicles, Ezra and Nehemia. . . . Thus Daniel, . . . could not have come too manydecades after 150. ALBERTZ, Gott 169, geht fr DanLXX 46 von einer Entstehung bisMitte des 3. Jh. v. Chr. aus.

    66 Vgl. KOCH, Danielrezeption 97.67 TILLY, Rezeption 33.68 KOCH, Buch Daniel 20; vgl. auerdem KOCH, Herkunft 362; JOBES/SILVA, Invitation

    41f; ALBRECHT, Septuaginta 52f.

  • 24 berlieferung und Textgrundlage

    son in Verbindung zu bringen ist, sondern lediglich einen Weg in das mitihm verbundene Werk gefunden hat gebraucht werden.69

    Aufgrund der Terminologie und der bersetzungsstrategie gehtKOCH von einem syrischen Entstehungskontext aus: Die gyptischenVerhltnisse sind also fr nicht Vorbild, sondern eher die syrischen.70

    Konkreter: . . . eher der syrisch-mesopotamische Raum mit seinen hel-lenisierten Stdten im bergang von der seleukidischen zur rmischenHerrschaft71. Folgt man dieser Einschtzung so ergibt sich, dass die sog.-bersetzung etwa 4050 Jahre jnger ist als die der LXX. Entgegen derzeitlichen Nhe bestnde eine relativ groe rtliche Distanz zwischendem Entstehungsort und Alexandria, wo die Septuaginta meist verortetwird.72

    Im Zuge der Textberlieferung des Daniel-Buches war es dieser Tradi-tionsstrom, der die LXX verdrngte und ab dem 3. Jh. n. Chr. quasi einenAlleinvertretungsanspruch hatte.73 Die bersetzung bzw. Revision des bildete auch fr HIERONYMUS die Grundlage seiner bersetzung derausschlielich gr. berlieferten Teile des Daniel-Buches. In der Hexaplades ORIGENES findet sich der Text in der sechsten Spalte. Deutlich sinddie Unterschiede zur LXX in ihrem Charakter: Theodotion war sehr umeine Angleichung der griechischen Bibel an den hebrischen Text bemht. . . Deutlich ist das Bemhen um Treue gegenber der Vorlage. Unterder wahrscheinlichen Voraussetzung, dass DanTh gegenber DanLXX ei-ne jngere Traditionsstufe reprsentiert, lsst ein Vergleich der beidengriechischen Versionen mit ihrer hebrisch-aramischen Vorlage immerwieder Unterschiede erkennen, die eine theologische Deutung ermgli-chen . . . 74 Unklar bleibt, ob es sich bei um eine neue bersetzung unabhngig oder lediglich in geringem Umfang von LXX beeinflusst

    69 Auf unhandliche Schreibweisen wie o. . soll verzichtet werden. Das Sigel istals Symbol ohne Bezugnahme auf Fragen der Verfasserschaft oder der Datierungzu verstehen. Vgl. dazu SCHMITT, -Text 110112. SCHMITT, Danieltexte 10, EinAnonymus (oder ein Mann ebenfalls mit Namen Theodotion = Jonata ca. aus dem1. Jh. v. Chr.) hat unter Verwendung des hebrisch-aramischen Originals und unterHeranziehung des o-Textes teils eine neue bersetzung, teils eine Rezension/Revisionangefertigt.

    70 KOCH, Herkunft 363.71 Ebd. 364.72 Vgl. dazu Abschnitt 3.2, 120.73 KOCH, Herkunft 362, Daniel ist die einzige alttestamentliche Schrift, die nicht in der

    Septuaginta-Fassung in den Kanon der griechisch sprechenden Grokirche eingegan-gen ist . . .

    74 TILLY, Rezeption 38.39. Offensichtlich hat dem bersetzer von ein Text des gleichenTraditionsstroms vorgelegen, dem auch die mt berlieferung angehrt; LXX gehtdemgegenber eigene Wege. Damit soll nicht postuliert werden, dass (ein Teil von)pMT als Vorlage gedient habe. GRELOT, Daniel VI 110, En principe, ce texte est unetraduction littrale de laramen.

  • Bel und der Drache 25

    handelt,75 oder ob eine Revision vorliegt.76 Eine Kenntnis der LXX legtdie bereinstimmung hinsichtlich der deuterokanonischen Abschnittenahe.

    Die Nhe zum MT lsst es zu, als Zeugen der gleichen Tradition zubetrachten und zur Textkritik des MT heranzuziehen. Der Text ist jedochauch von einem eigenstndigen Interesse: Aufgrund der Differenzenzur berlieferung der LXX kann als ein Indikator fr die Mglichkeitwrtlicher Wiedergaben semitischer Konstruktionen und Begriffe in dergr. Sprache gelten.

    2.6 Bel und der Drache

    Unter den deuterokanonischen Abschnitten77 ist BelDr fr die Untersu-chung von Interesse, da BelDr 2342 Berhrungspunkte zu Dan 6 exis-tieren.78 BelDr ist in den Fassungen von LXX und berliefert, die inhohem Mae bereinstimmungen aufweisen.79 Auch hier wurde die Fas-sung der LXX frh durch verdrngt. Die Argumente fr die Datierungergeben sich aus dem Inhalt: Die Tatsache, dass der nichtjdische, denJuden aber wohlgesonnene Herrscher durchaus positiv dargestellt wird,spricht fr eine Entstehung der Erzhlung vor der Krise whrend derHerrschaft des Antiochos IV. (175164 v. Chr.).80 Die Erzhlung wird stetsim Zusammenhang mit dem Daniel-Buch berliefert, meist so und

    75 MCLAY, Relationship 52, The weight of the cumulative evidence is that Th is not arevision of the OG in chaps. 13 . . . This is consistent with what has been establishedin chaps. 46 as well as previous research. . . . Where there are agreements between theOG and Th in chaps. 13 that are not explicable as coincidental readings based on thesame Vorlage, the probability is that the OG has been corrupted by readings from Th.

    76 TILLY, Rezeption 37f, versteht als Revision des LXX Textes: . . . um die Zeitenwende,vielleicht im palstinischen Raum, nach einem protomasoretischen hebrischen Daniel-text grndlich revidiert. Vgl. auch JOBES, Syntactic Analysis 34f; TOV, Septuaginta240.

    77 Zur Problematik der Klassifikation dieser Texte als Zustze vgl. ZSENGELLR, Addition12, der von parallelen Textausgaben (Editionen) ausgeht.

    78 Diese Nhe fhrt auf die Frage nach der literarkritischen Verhltnisbestimmung, dieunterschiedlich beurteilt wird. Vgl. dazu etwa COLLINS, King 335; WILLS, Jew 134. ImKontext dieser Untersuchung ist die textgenetische Fragestellung nicht von Bedeutung.

    79 Zu einer vergleichenden Untersuchung der beiden Traditionen vgl. WYSNY, Erzhlun-gen; dort auch 1417 textkritische Anmerkungen. Vermutlich geht so COLLINS, King343 der Text auf eine semitische Vorlage zurck.

    80 TILLY, Rezeption 43; COLLINS, King 343f, . . . no later than 100 B. C. E. . . . Since thetranslation was included in the Old Greek of Daniel, the original date of compositioncan hardly be later than 150 B. C. E. . . . We may suggest then that the original documentwas composed in Judea in the first quarter of the second century B. C. E., in circlesdifferent from those that collected the tales of Daniel 16. Vgl. ebd. 343, fr denHinweis auf einen Ursprung in Babylon bzw. in gypten sowie unterschiedlicheAnstze der Datierung.

  • 26 berlieferung und Textgrundlage

    P 967 im Anschluss an Dan 12 aber auch im Anschluss an Sus. Die er-bauliche Tendenzerzhlung BelDr veranschaulicht die identittsstiftendeBedeutung der individuellen Frmmigkeit gerade in der Gola.81

    2.7 Weitere Texttraditionen

    berlieferungen des Daniel-Buches existieren in weiteren Texttraditionenmit unterschiedlicher Nhe zum MT bzw. zur LXX.82 Der textkritischeWert hngt in entscheidender Weise vom Interesse der Betrachtung ab.83

    Gilt die Untersuchung dem pMT in der hebr. bzw. aram. Fassung, istden Tochterbersetzungen aus dem Gr. bzw. Syrischen dazu zhlenneben anderen die altlateinische, koptische und thiopische84 Fassung mit KOCH kein eigenstndiger textkritischer Wert zu zusprechen.85 Ihnenkommt jedoch Bedeutung fr die Textkritik der gr. Tradition des -Texteszu.86 Auf einen pMT geht dagegen die Vulgata zurck.87

    2.8 Daniel in den Antiquitates Judaicae

    Der Begriff berlieferung des Daniel-Buches schliet Textformen jen-seits der bersetzung ein;88 in diese Kategorie fllt u. a. die Wiedergabebei FLAVIUS JOSEPHUS, die einen Einblick in die Transmission des Daniel-Textes in einen anderen Kulturkreis gewhrt.89

    Whrend wir bei Fragestellungen der Textgenese in der Regel ledig-lich verschiedene Textstufen rekonstruieren knnen, verfgen wir beiJOSEPHUS ber Informationen bezglich seiner Quellen zumindest inTeilen und wichtiger biographischer sowie geschichtlich-kultureller Hin-tergrnde. Dies gibt uns die Gelegenheit, den Prozess der Verarbeitung

    81 TILLY, Rezeption 44.82 Vgl. MONTGOMERY, Daniel 2456.83 Vgl. auch LUCAS, Daniel 20f.84 Vgl. dazu LFGREN, thiopische bersetzung.85 Vgl. KOCH, Buch Daniel 21f.86 Vgl. BLUDAU, Alexandrinische bersetzung 20, Die aus der LXX geflossenen Ueber-

    setzungen, wie die altlateinische, syrische, koptische, thiopische, gotische, haben beimBuche Daniel alle, mit Ausnahme der syro-hexaplarischen, Theodotions Version alsVorlage gehabt. Freilich ist diese Aussage mit der ntigen Zurckhaltung und imLicht der vorangehenden Darstellungen zu betrachten.

    87 Vermutlich ist der Einfluss der aus gr. Vorlagen bersetzten altlateinischen bersetzun-gen strker als meist angenommen. Dieser Einfluss drfte den Wert der Vulgata fr dieTextkritik des MT betrchtlich reduzieren.

    88 Zum Begriff rewritten bible vgl. etwa KRATZ, Exegese 47.89 Diese berlegung mag hilfreich fr die Beurteilung des Verhltnisses von pMT und

    LXX sein.

  • Daniel in den Antiquitates Judaicae 27

    der bibl. berlieferung, wie er sich bei JOSEPHUS vollzieht, besser zuverstehen. Er greift die frhe Textberlieferung auf und gibt diese in denAntiquitates Judaicae (Ant 10,186281) als earliest substantial re-writingof Daniel90 wieder.

    Zentral ist die Frage nach der Vorlage. Entgegen dem Selbstzeugnisdes JOSEPHUS (Ant 1,56) ist auch aufgrund enger bereinstimmungenmit der LXX direkte Zitate existieren nicht 91 von der gr. Traditionauszugehen;92 eine Kenntnis der semitischen berlieferung kann nichtausgeschlossen werden. Einzelne Stellen gehen mit .93 Dieser unein-heitliche Befund verweist nach VERMES auf eine mixed-Greek versionof Daniel94. Obwohl die Verwendung einer gr. Textfassung, die auchdie deuterokanonischen Abschnitte berliefert, wahrscheinlich ist, bie-tet JOSEPHUS auf sie keinerlei Bezugnahmen. Auf eine gr. Kurzfassunglsst sich nicht schlieen, da auch die kanonischen Kapitel 7; 912 nichtaufgenommen werden. Eher ist von einer interessengeleiteten Auswahlauszugehen.95 ber die bibl. Texte hinaus verwendet JOSEPHUS weitereQuellen, die sich nicht immer identifizieren lassen.96

    Im Hintergrund der Abfassung der Antiquitates stehen der jdischeKrieg (6670 n. Chr.) und seine Folgen fr das Judentum und fr diePerson des JOSEPHUS. Seine neue Existenz in Abhngigkeit vom Hofdes rmischen Knigs und die Frage, wie jdisches Leben unter denBedingungen des verlorenen Krieges und der Zerstrung des Tempelsgestaltet werden kann, prgen seine Darstellung. Seine literarischenHauptziele bestanden in der Verteidigung des Judentums und in derreligisen Interpretation der Geschichte seines Volkes fr die Zeit nachder Zerstrung des Zweiten Tempels im Jahr 70 n. Chr.97 JOSEPHUSwendet sich mit seinem Werk nicht an einen ausschlielich jdischen

    90 VERMES, Treatment 149. In weiteren Notizen 11,337; 12,322 wird ebenfalls auf dasDaniel-Buch Bezug genommen.

    91 Die Identifikation der Textgrundlage kann nur auf der Basis einer Analyse des Vokabu-lars erfolgen. Vgl. ebd. 161. Immerhin schlieen sich 6,4.9.11.18.19.23 an MT an; 6,4.12begegnen bereinstimmungen mit gegen MT. Vgl. dazu RIESSLER, Buch Daniel 25f.

    92 Vgl. VERMES, Treatment 151; aber RIESSLER, Buch Daniel 27f, Jos[ephus] nhert sichum vieles mehr dem MT, als der LXX. Und in den Punkten, wo er letzterer nher steht,ist es sehr zweifelhaft, ob er die griechische LXX bersetzung bentzt hat . . .

    93 Vgl. dazu die Belegstellen bei VERMES, Treatment 151f; dort auch, 161, der Hinweis aufeine bereinstimmung mit Symmachus gegen LXX und .

    94 Ebd. 161. VERMES erwgt auch, ob eine eigene bersetzung JOSEPHUS aus der semiti-schen Tradition im Hintergrund steht.

    95 VERMES, Josephus 113, . . . omitted the apocryphal sections attested in the Greektranslations, possibly because they furnished no useful information to the historian.

    96 VERMES, Treatment 161, . .