Transcript
Page 1: 10 things we hate about Bologna
Page 2: 10 things we hate about Bologna

Diese Broschüre ist ein Lückenfüller: zwischen Forderungskatalogen von Studierenden und Lehrenden, Demo-Parolen und Flugblättern auf der einen Seite und dem mittlerweile rasant an-wachsenden Berg von kritischen Kommentaren und Analysen zum Komplex „Bologna“ auf der anderen Seite.

Dieses Heftchen kann weder das eine noch das andere ersetzen. Das Ziel der an seinem Zustandekommen beteiligten lehrenden, stud-ierenden und forschenden AktivistInnen der Uni-proteste 2009/2010 war es vielmehr, die inhaltli-che und personelle Basis der gegenwärtigen und bevorstehenden Kämpfe zu weiten. Zweierlei kam dabei zu kurz: „Die Revolution ist das größte, alles andere ist Quark“, sagte schon Rosa Luxemburg zu Recht, und wer von „Bologna“ redet, darf vom Kapitalismus nicht schweigen, würden wir ergänzen. Beiden den Raum zu geben, den sie gerade auch im Kontext der Uniproteste verdienen, hätte in vielerlei Hinsicht den Rahmen dieses Heftchens gesprengt. Die Diskussion um

w

Impressum:Ingrid StroblArbeitergasse 19/171050 Wien

Info- & Kontaktmöglichkeiten: www.bolognaburns.com

Akademie der bildenden Künstehttp://www.malen-nach-zahlen.at

Technische Universität [email protected]://twitter.com/tubrennt

Universität für Bodenkultur Wienhttp://bokubrennt.soup.iohttp://www.facebook.com/bokubrennt

Wirtschaftsuniversität [email protected]://www.unserewu.at

Lehrende & Forschende:[email protected]

Allgemeines & künstlerisches Lehramt:[email protected]

email-Liste:https://lists.univie.ac.at/mailman/listinfo/zukunft-d-wissenschaften

Page 3: 10 things we hate about Bologna

diese und andere wichtigen Fragen wie beispiels-weise welches Migrationsregime mit „Bologna“ verbunden ist, welche Zeitlichkeiten damit ei-gentlich in die Wissenszirkulation treten, wie sich an dieser Stelle Geschlechtlichkeit einfügt – aber auch, inwiefern es sich auch bei Uni Wien und BOKU angesichts tausender Tierversuche jährlich um Apparate handelt, die Wissensproduktion mit Herrschaft und Gewaltförmigkeit verbinden – wird an immer mehr Orten, mit immer mehr Beteiligten geführt und hoffentlich weiter ge-führt werden. Den Blick auf die vielseitigen Ver-wicklungen der Hochschulen mit dem Rest der Welt zu werfen, ist keine Realitätsferne, sondern Realitätsnähe: wir sind nicht einmal annähernd so radikal wie die Wirklichkeit. Und überhaupt: Welche „RealistInnen“ hätten sich die Ereignisse seit dem Herbst 2009 träumen lassen?

Zurück zur Realitätswatsche, zu der dieses Heftchen ansetzt. Es ist in vier Abschnitte geglie-dert: der erste stellt die Eckpunkte von „Bologna“ kurz heraus, umreißt knapp den institutionellen und ideologischen Kontext von „Bologna“ und kommentiert jeden einzelnen der „offiziellen“

Ziele dieses hochschulpolitischen Reformproz-esses. Der zweite Teil versucht sich zunächst an einer sehr kurzen Geschichte der Unirefor-men. Im Übrigen werden hier das österreichweit geltende Universitätsgesetz 2002 – das für die EU-BildungsministerInnen als „best practice“-Beispiel für „Bologna“ gilt! – sowie das Lehramt, vdas als nächstes „bolognisiert“ werden soll, ex-emplarisch als Beispiele herausgestellt, um das Elend dieser Reform anschaulich zu machen.

Der dritte Teil greift in Form von „10 reasons why to hate Bologna“ etwas pointierter Probleme auf, die für Lehrende, Studierende und Forschende mit „Bologna“ entstehen. Der vierte und letzte Teil schließlich stellt die Frage nach Form und Cha-rakter von Wissen und soll die Debatte um mögli-che Alternativen zu Bologna öffnen. Schließlich kann ein Ende von Bologna erst der Anfang sein!

Wiederholungen sind durch diese Struktur un-vermeidbar, dafür gibt es wenigstens in dieser Broschüre keine „Voraussetzungsketten“. In die-sem Sinn: viel Spaß beim lesen! Wir sehen uns bei den Protesten!

Page 4: 10 things we hate about Bologna

t

„Wissensproduktion und Distribution werden du- rch die Bologna-Deklaration selbst unter eher

kaufmännischen Gesichtspunkten neu geor- dnet. Dabei werden Forschungsinstitute an

öffentlichen Universitäten aufgefordert, ihre Ar- beit allein durch Drittmittel zu finanzieren und

Studierende in neue Zeit- und Effizienzlogiken ge- drängt. Neue bürokratische Apparat- und Kon-

trollstrukturen wie beispielsweise Qualitätsman- agement werden bei der Umsetzung ausgebaut

und gleichzeitig Erfolgsbilanzen in Hochglanzbro- schüren gedruckt.“ Marion von Osten 2010, AudiMarx 2

Gestatten,mein Name ist ... ‘Bologna’

Page 5: 10 things we hate about Bologna

F: Who the f***?

A: „Bologna“ ist die Kurzform für den „Bologna-Prozess“, der mit der Bologna-Deklaration 1999 gestartet wurde. 29 BildungsministerInnen erk-lärten, bis 2010 einen europäischen Hochschul-raum (EHR) schaffen zu wollen. In weiteren Dokumenten (v.a. Prager Communiqué 2001, Berliner Communiqué 2003) wurde „Bologna“ spezifi ziert. Die acht Hauptpunkte sind: 1. eine höhere Verständlichkeit und Vergleichbarkeit der Studienabschlüsse 2. Einführung eines zwei bis dreistufi gen Systems von Studiengängen 3. Einführung des Leistungspunktesystems (ECTS) 4. Grenzüberschreitende Mobilität für Lernende und Lehrende 5. Europäische Zusammenarbeit bei Qualitätssicherung und Akkreditierung von Abschlüssen 6. Lebenslanges Lernen als Grund-lage des Europäischen Hochschulraums (EHR) 7. Studierende und Hochschulen sollen bei der Ge-staltung des EHR mitmachen 8. Die europäische Dimension in der Hochschulförderung soll gestärkt werden

F: “Bologna“ ist gültiges EU-Recht. Ist der Zug also erst einmal abgefahren?

A: Nein! Bei „Bologna“ handelt es sich um Ver-einbarungen von nationalen BildungsministerIn-nen, ohne Beratung oder Beschlüsse durch Par-lamente. Erst letztere interpretieren „Bologna“ und machen es zu nationalem gültigen Recht. Ob „Bologna“ also heißt, dass Hochschulabschlüsse auch in anderen Ländern gelten oder unsere Studien neoliberal umgemodelt, verschult, de-qualifi ziert und bürokratisiert werden, liegt in der politischen Verantwortung „unserer“ Regier-ungen und MinisterInnen.

Page 6: 10 things we hate about Bologna

F: Warum sind die europäischen BildungsministerInnen so versessen auf “Bologna“?

A: Die Bologna-Deklaration ist äußerst vage ge-halten, das lässt den nationalen Regierungen viel Spielraum. In den verschiedenen Ländern lassen sich nun viele alte Wünsche (Entdemokratisier-ung, Dequalifizierung, Einsparungen usw.) mit Verweis auf die EU leichter durchsetzen. Je sch-neller und selbstverständlicher das getan wird, desto effektiver lässt sich Gegenwehr minimieren und Fakten schaffen. Was „Bologna“ mit dem ös-terreichischen Universitätsorganisationsgesetz zu tun hat, warum „Bologna“ nur im Zusammen-hang mit der Lissabon-Strategie zu verstehen ist und wie die Unis das wurden, was sie heute sind, erfährst Du auf den folgenden Seiten.

Es geht um die Ökonomisierung der Verhaltensori-

entierungen der Individuen von der Wiege bis zur

Bahre, um die Erzeugung eines Bildungsverständ-

nisses, das sich ausschließlich am Ökonomischen

– an Unternehmens- und Arbeitsmarkterfordernis-

sen [...] ausrichtet. Ingrid Lohmann 2002

Das Klein-gedruckte und seine Ghostwriter

Page 7: 10 things we hate about Bologna

Zurufe von rechts oben: Obwohl von niemandem dazu beauftragt, bringt die europäische Kom-mission durch Herausgabe von Empfehlungen, Berichten und Mitteilungen den Bologna-Prozess in eine Richtung, von der im Wortlaut der Bolo-gna-Deklaration nichts steht. Diese Zusatz-Do-kumente werfen ein klareres Bild auf die realpo-litischen Ziele von „Bologna“. Als Stichwortgeber dieser Bildungspolitik fungieren dabei u.a. ein-fl ussreiche Unternehmenslobbygruppen wie der ERT (European Round Table of Industrialists) oder die UNICE (Union of Industrial and Employers’ Confederations of Europe). In Österreich sind es die Stellungnahmen und Diskussionspapiere der Industriellenvereinigung und Wirtschaftskam-mer, die jeden Schritt in Richtung wirtschaftli-cher Verwertbarkeit und Entdemokratisierung der Unis bejubeln und nicht genug davon kriegen können.

Bologna + Lissabon = McCampus & Hartz 4? : Die Lissabon-Strategie (auch -Prozess oder -Agenda) ist der größere Kontext, innerhalb dessen „Bolo-gna ein wichtiger Zwischenschritt ist. Der Bolo-gna-Prozess ist also nicht ohne Lissabon-Strat-egie zu verstehen. Mit „Lissabon“ ist ein im März 2000 auf einem Sondergipfel der europäischen Staats- und Regierungschefs in Lissabon verab-schiedetes Programm gemeint, das zum Ziel hat, „die EU innerhalb von zehn Jahren, also bis 2010, zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensgestützten Wirtschaftsraum der Welt“ zu machen (das sind die sog. „vier W“ von Lissa-bon). Dieses Begehren fi ndet sich auch in den Maßnahmen und im Namen der Agenda 2010 der Bundesregierung Schröder wieder, wohin das in Deutschland führte ist bekannt: massen-hafte Hartz-4-Vereledung auf der einen Seite, der Traum von elitären Exzellenz-Clustern auf der anderen Seite. „Lissabon“ fi ndet hinsichtlich der Forderung nach höheren Bildungsausgaben klare Worte: Die Kommission schlägt hier drei Möglich-keiten vor, nämlich privates Sponsoring, die kom-merzielle Nutzung von Forschungsergebnissen und „Beiträge“ der Studierenden.

Page 8: 10 things we hate about Bologna

Bolognas un.heiliger Geist: anpassen/lernen/arbeiten: „Bildung“ und „Wissen“ sind in der Re-formagenda der EU Schlüsselbegriffe für die per-manente Anpassungsfähigkeit der Arbeitskraft. Zugleich sollen „ArbeitskraftunternehmerInnen“ diejenigen Lernfähigkeiten entwickeln, die für das aktive Managen ihrer Beschäftigungsfähig-keit („employability“) erforderlich ist. Diese drei Begriffe sind so etwas wie die heilige Dreifaltig-keit des Bildungs- und Wissensbegriffs von „Bo-logna“: Anpassungsfähigkeit-Lernfähigkeit-Bes-chäftigungsfähigkeit.

Warum wir „Bologna“ hassen?: Was mit der Aufklärung immerhin als Selbstermächtigung des bürgerlichen Subjekts begann, soll nun in etwas verenden, das nach einer AMS-Broschüre klingt, die von einem arbeitslos gewordenen Hedgefond-Manager verfasst wurde. Darum has-sen wir „Bologna“!

Die 8 Säulen von ‘Bologna’Hohl und angenagt. Hier ein paar feste Tritte, nachtreten erwünscht!

Page 9: 10 things we hate about Bologna

1. “Bologna“ will eine höhere Verständlichkeit und Vergleichbarkeit der Studienabschlüsse Durchgefallen! Nicht einmal in Österreich oder in Deutschland gibt es eine einheitliche Anerkennung von Ab-schlüssen, durch die hohe Zahl an neuen Studi-engängen kennen sich noch weniger damit aus, was ein bestimmter Abschluss eigentlich bedeu-tet. Durchgefallen: Verständlichkeit und Verglei-chbarkeit sollen vor allem durch Module, eine Art Lehrstoffbaustein, erreicht werden. Konsequenz: extremer Verwaltungsaufwand für Unibedien-stete, Verschulung und Vorrausetzungsketten für Studierende statt selbst bestimmtem Lernen und Lehren.

2. „Bologna“ will die Einführung eines zwei bis dreistufi gen Systems von Studiengängen Durchgefallen! Das wird vom Wissenschaftsministerium als willkommener Anlass gesehen, Bachelor und Master einzuführen. Von „Bologna“ wird das gar nicht gefordert! Hier ist lediglich die Zweistufi g-keit des Studiums vorgesehen als “Einführung eines Systems, das sich im Wesentlichen auf zwei Hauptzyklen stützt”. Einfache Lösung: den ersten Abschnitt als ersten Hauptzyklus defi nie-ren, schwups Problem gelöst. Aber das interessi-ert „unsere“ MinisterInnen nicht, was sie inter-essiert, sind Einsparungen an der Uni (vielleicht brauchen Banken bald wieder paar Milliarden), und eine neue akademische Unterschicht auf dem Arbeitsmarkt.

Page 10: 10 things we hate about Bologna

3. Einführung des Leistungs-punktesystems (ECTS) Durchgefallen!Die Vorgabe, das Arbeitspensum pro Semes-ter nach ECTS zu berechnen hat zwei massive Probleme nach sich gezogen: Zum einen wur-den Studienpläne oft so angepasst, dass irreale ECTS-Zuweisungen erfolgten und zu viele Leh-rveranstaltungen in die kürzeren Bachelor-Studi-enpläne gepresst wurden. Zum anderen wurde bei der Berechnung des Arbeitspensums davon aus-gegangen, dass Studierende weder erwerbstätig sind, noch Zeit für gesellschaftliches, politisches, kulturelles oder familiäres Engagement aufwen-den. Die ÖVP befürwortet zudem leistungsabhän-gige Studiengebühren: wer viele Prüfungen also ECTS macht, soll auch mehr bezahlen.

4. Europäische Zusammenarbeit bei Qualitätssicherung und Akkreditierung von Abschlüssen Durchgefallen!Was als „Qualitätssicherung“ daherkommt, ist in der Realität eine nicht enden wollende Flut von Evaluierungen und Zusatzberichten, die vor al-lem von Lehrenden abverlangt werden. Durch „Bologna“ explodiert der Administrationsauf-wand – die Folge: noch weniger Zeit für Lehre und Forschung für Unibedienstete, fallendes Unterrichtsniveau für die Studierenden und in-sgesamt rigidere und autoritärere Behandlung von „Ausnahmefällen“.Tatsächlich wurde die Mobilität gesenkt, weil die Studienpläne nach Bologna zu verschult sind und die Zeit für ein Auslandsemster fehlt. Staatliche Stipendien für ein ganzes Studienprogramm, also z. B. Master im Ausland, existieren nicht.

Page 11: 10 things we hate about Bologna

6. Lebenslanges Lernen als Grundlage des Eu-ropäischen Hochschulraums (EHR) Durchgefallen! Beim neoliberalen Mantra des „lebenslangen Le-rnens“ handelt es sich in erster Linie um den Ver-such, den Berufsschutz zu senken. Es geht um die Produktion von „Flexibilität“, also die Bereitschaft von ArbeitnehmerInnen, willig in ständig wech-selnde Umschulungsprogramme zu laufen – je nach Bedürfnislage von ArbeitgeberInnen und Sta-at. Was bislang vor allem AMS-Abhängige erdulden mussten, soll gesellschaftliches Prinzip werden. An den staatlichen Unis sollen – ähnlich dem WIFI – Kurse bezahlt werden; sie heissen sie z. B. „Post-graduate-Master“ und kosten etwa € 5000.

5. Grenzüberschreitende Mobilität für Lernende und Lehrende Durchgefallen! Selten so gelacht, angesichts kaputt gesparter Uni-Budgets gibt’s jetzt schon kaum Geld für Stu-dienfahrten von Studierenden oder Lehrenden. Das Mobilitätsprogramm Erasmus gab es schon vor „Bologna“ und da es kaum nationale oder interna-tionale Vergleichbarkeit von Abschlüssen gibt, wird es auch nach dem Studium kaum Mobilität geben.

7. Studierende und Hochschulen sollen bei der Gestaltung des EHR mitmachen Durchgefallen! Die Partizipation von Studierenden soll auf das Ausfüllen von Evaluierungsbögen beschränkt bleiben, was damit dann passiert bleibt bei den politischen Entscheidungsträgern. Gegen den mehrmonatigen Protest von Lehrenden und Studierenden wurde beispielsweise das auto-ritäre und neoliberale Universitätsorganisation-sgesetz 2002 österreichweit durchgesetzt.

8. Die europäische Dimension in der Hochschul-förderung soll gestärkt werden Durchgefallen! Bitte falsche Antwort streichen: a) Hurra, jetzt wird alles gut!b) Mein Fahrrad/Bier/Lippenstift ist mir wich-tiger als „Europa“!

Page 12: 10 things we hate about Bologna

Die Mitgliedstaaten sollten die Bildungs- und Aus- bildungseinrichtungen ermutigen, dafür zu sor-

gen, dass die Lehrpläne sowie die Lehr- und Prü- fungsmethoden auf sämtlichen Bildungsebenen

— einschließlich der Promotion — Kreativität, In- novation und Unternehmergeist beinhalten und

fördern. Eine Möglichkeit wäre, die Lehrpläne gegebenenfalls in kontinuierlicher Zusammenar-

beit mit Forschungseinrichtungen, der Industrie und anderen Akteuren auszuarbeiten.

Aus: Schlussfolgerungen des europäischen Rates und der im Rat vereinigten Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten vom 26.

November 2009 zur Entwicklung der Rolle der Bildung in einem leis- tungsfähigen Wissens dreieck (Bildung — Forschung — Innovation)

a very short history of theuni from below:

Page 13: 10 things we hate about Bologna

‘Bologna’ ist der folgenreichste Umbau der Unis seit ihrer Demokratisierung nach 1968. Hier ein kurzer Abriss des da-vor und danach:

Von Eliten und dem Sputnik-Schock Unis waren das 18. und 19. Jahrhundert hin-durch vor allem eine elitäre Einrichtung von und für Kinder von Adel und Bürgertum. Vor allem die internationale Innovationskrise der Industrie-produktion Ende der 1950er Jahre und die Erfolge des sowjetischen Raumfahrtprogramms („Sput-nik“) im Kontext des Systemkonfl ikts führten im Westen zur Einschätzung, dass die extremen Zu-gangsbeschränkungen an den Unis ein Wettbe-werbsnachteil für den westlichen Kapitalismus seien: die Unis wurden in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts für weitere gesellschaftliche Kreise geöffnet.

Page 14: 10 things we hate about Bologna

Der Auftritt der Subjekte: Linkswalzer! Damit kamen Menschen aus anderen Kreisen der Gesellschaft, mit anderen Fragen und an-deren Begehren, in die Unis. Nach 1968 nahmen diese neuen AkteurInnen unter anderem die Uni als einen Ausgangspunkt zur Demokratisierung und Veränderung der Gesellschaft – bis hin zu Versuchen, nicht- und anti-kapitalistische For-men der gesellschaftlichen Ordnung zu denken und in Angriff zu nehmen. Die geradezu vormod-erne, „feudale“ Struktur der Unis mit selbsther-rlichen Professorenfürsten (die meisten schnell noch den braunen Staub der Nazi-Zeit von ihren Sakkos geschüttelt), die über ihr kleines Reich herrschen konnten wie sie wollten, wurde Ziel-scheibe von Kritik und Aktion. Die Einübung in autoritäres Denken und Handeln wurde durch demokratischere Organe der Selbstverwaltung unter Beteiligung der in der Uni-Hierarchie weiter unten stehenden AkteurInnen (Studis, Lehrende, Mittelbau) aufgebrochen. Mit dem Universitäts-organisationsgesetz von 1975 wurden Uni-Sen-ate zum wichtigsten Gremium für uni-interne Entscheidungen – nur hier sind Lehrende, Stud-ierende und das allgemeine Personal vertreten.

Fabrik oder Gegen-Uni? Die Idee, dass Unis (Denk-)Räume sein sollten, in denen die kapitalistisch verfasste Gesellschaft reflektiert und Beiträge zu ihrer emanzipato-rischen Veränderung geleistet werden können, hatte nach 1968 breiten Zulauf. Die Unis sollten nicht mehr bloß Sozial-IngenieuerInnen aus-bilden, die als „KopfarbeiterInnen“ über und ne-ben die „HandarbeiterInnen“ gestellt würden. Die Unis sollten Freiräume für die Entwicklung an-derer Formen des Lebens, Arbeitens und Lern-ens sein. In der Uni sollten Formen einer Gegen-Uni entstehen. Das Wissen, das hier produziert wurde, sollte seinen manipulativen und tech-nischen Charakter verlieren und statt Instrument von Militärentwicklung, Menschenverwaltung und Profitmacherei zu sein, Teil der emanzipato-rischen Umgestaltung der Gesellschaft werden. Kein Wunder, dass dies konservativen Kräften aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaftsverwal-tung und auch vielen HochschullehrerInnen ein Dorn im Auge war.

Page 15: 10 things we hate about Bologna

„Zukunftsfähigkeit“ als Sprung in die VorvergangenheitUnter dem/Mit dem Vorzeichen der „europäisch-en Integration“ sollen jetzt viele Errungen-schaften der Universitätsreform von 1975 end-gültig zu Grabe getragen werden. Besonders bemerkenswert ist, dass durch das mit „Bo-logna“ installierte „Top-down“-Prinzip an den Unis (Rektorate und Universitätsräte als neue Uni-Diktatoren) ein Rückschritt vor die von den 68ern kritisierten Ordinarienuniversitäten er-folgt. Denn die InhaberInnen von Lehrstühlen (Ordinarien) – sog. „ordentliche ProfessorInnen“ – verlieren viele Kompetenzen an Großaktionäre (in Uniräten) und Manager-Rektoren. Wie kurz gegriffen die Vorstellung auch sein mag, dass Unis in einer Klassengesellschaft außer-halb der ökonomischen und gesellschaftlichen Verhältnisse stehen könnten, bedeutet „Bologna“ einen großen Schritt in Richtung Abschaffung der Selbstverwaltung der Unis und des Endes der Freiheit von Lehre und Forschung.

UG 2002: Warum die Uni plötzlich aussieht wie ein Konzern

“Das UG 02 ist ein Meilenstein der Universität-

sentwicklung.” Österreichische Industriellenvereinigung (IV)

Page 16: 10 things we hate about Bologna

Von der EU wird das aktuelle Universitätsgesetz von 2002 (UG 02) als das „best practice“-Beispiel für „Bologna“ angesehen. Ein kurzer Blick ver-rät, warum: Das von der FPÖ-ÖVP-Regierung im Eiltempo durchgepeitschte UG 2002 ersetzte die vormaligen demokratischen Strukturen der Uni durch ein unternehmensorientiertes Top-Down-Prinzip. Die Möglichkeiten zur Mitsprache durch Studierende und Bedienstete wurden auf ein Minimum reduziert, zeitgleich wurden Studi-engebühren eingeführt. Letztere bestehen noch immer für alle Nicht-EU-BürgerInnen und dieje-nigen, die ihr Studium nicht so schnell wie erwün-scht durchziehen können oder wollen.

Zu den Waffen: der Senat wurde entmachtet! Das einzige halbwegs demokratisch legitimierte Organ der Unis, der Senat, wurde entmachtet. Obwohl nur im Senat und seinen Unterstrukturen Studierende und Lehrende vertreten sind, hat er in den meisten Fällen nur mehr Zustimmungs- (!) bzw. Stellungnahmerecht. Bei den Leistungsver-einbarungen mit dem Ministerium hat der Senat überhaupt kein Mitspracherecht mehr, obwohl die Universitätsangehörigen die dort verein-barten Leistungen erbringen müssen.

Tata! Der Rektor wird Cäsar Rektorate wurden mit dem UG 2002 mit einer Machtfülle ausgestattet, die Entscheidungen über die Köpfe von Studierenden und Lehren-den hinweg für (und oft gegen) diese zu treffen. Wesentliche Bausteine der Machtkonzentration sind u.a. Budgeterstellung, Entwicklungsplan, Leistungsvereinbarungen sowie die uneinge-schränkte Möglichkeit über die Besetzung von Professuren oder die Vergabe von Räumen zu entscheiden. Bei der unternehmensorientierten Umstrukturierung der Universitäten erfüllt das Rektorat die Funktion der Geschäftsführung.

Page 17: 10 things we hate about Bologna

Millionäre in die Unis

Das UG 02 erfand auch ein neues – und vollkom-men undemokratisches – Gremium, den Univer-sitätsrat. Er entspricht dem Aufsichtsrat eines Unternehmens und ist ein Kontrollgremium aus uni-externen Personen (z.B. Ministerialbeamten oder Multimillionären). Er entscheidet u.a. über das vom Rektorat erstellte Budget, den Entwick-lungsplan oder gibt Stellungnahmen zu Studi-enplänen ab. Der Hauptfeind steht im eigenen Land! Wenn das österreichische UG 02 für die europäischen „Bologna“-Minister so erfreulich ist, dass sie hier alle feiern wollen, dann wäre die Rücknahme des UG 02 der Beginn vom Ende von „Bologna“.

‘BOLOGNA’ MUST BREAK HERE!

Arme kleine Lehrer-Innen sollen noch ärmer und kleiner werden.

‘Bologna’ konkret:einfach schiach!

Page 18: 10 things we hate about Bologna

Die Alten treten ab, dafür werden die Jungen getreten Bis 2025 wird die Hälfte der derzeit 120.000 Leh-rerInnen in Österreich in Pension gehen, schon in den nächsten fünf bis zehn Jahren wird ein großer Teil abtreten. (Die Presse, 23.01.2010). Deshalb müssten eigentlich die Lehramtsfächer mehr Geld für die Ausbildung von mehr StudentInnen erhalten – das Gegenteil ist geplant: die zustän-digen Ministerien (Unterricht/Kunst und Wissen-schaft/Forschung) versuchen, mithilfe von „Bolo-gna“ die Kosten für die Ausbildung zu senken und durch die Einführung von BA/MA eine Dequalifi -zierung der LehrerInnen zu erreichen, um auch die zukünftigen Löhne drücken zu können. Sie hat mehrere „ExpertInnengruppen“ eingesetzt, deren Berichte aber ignoriert, solange sie nicht die gewünschten Ergebnisse brachten. Die aktu-elle „ExpertInnengruppe“ pariert aber scheinbar besser. Ganz im Sinne ihrer Auftraggeber tut sie so als wäre BA/MA am Lehramt schon umgesetzt; „Bologna“ erscheint darin plötzlich als selbstver-ständliche Voraussetzung aller zukünftigen Leh-rerInnenbiographien.

Wenn ExpertInnen empfehlen – ein Hörrör! Am 18. Dezember 2009 wurden „Empfehlun-gen der ExpertInnengruppe Lehrerbildung NEU“ vorgelegt, die Schlimmstes befürchten lassen: Der Einsatz der LehrerInnen soll zukünftig nicht mehr nach den Abschlüssen erfolgen, sondern nach Erfordernissen der Schulen – so wie an den Hauptschulen bisher die LehrerInnen am Beispiel von zwei Fächern ausgebildet wurden, prinzipiell aber zum Unterricht in allen Fächern verdonnert werden konnten. D. h. Fachkompetenzen sollen nichts mehr gelten, jedes Fach soll von jedem/r unterrichtet werden können. Die empfohlenen Zumutungen gehen weiter:

Page 19: 10 things we hate about Bologna

Kurz-Uni und raus, hurra! Äh, moment... Nach der Schnellausbildung zum Bachelor soll eine Weiterqualifi kation nur mehr berufsbeglei-tend möglich sein, außerdem natürlich – wie auch sonst bei „Bologna“ – nicht für alle, sondern nur mehr für wenige „Auserwählte“. Der sog. „Mas-ter of Advanced Studies“ soll dann auch nicht mehr fachlichen Interessen folgen, sondern vor allem zu administrativen Tätigkeiten befähigen (z.B. Schulmanagement, Fachbereichsleitung, Bildungsverwaltung u.ä.). Aus diesen Abschlüs-sen ist aber kein Rechtsanspruch ableitbar; die Zuteilung der Positionen erfolgt auch hier nach Bedarf und Selbstherrlichkeit der Schulleitung. Der Master soll auch nicht mehr an den Unis er-worben werden, sondern nur an Pädagogischen Hochschulen. LehrerInnen sollen also nach einer kürzeren Ausbildungszeit nie wieder an die Unis.

Why hate „Bologna“? Mithilfe „Bolognas“ sollen dauerhaft die Löhne von AHS-LehrerInnen gesenkt, die Ausbildung und der Beruf dequalifi ziert, der Berufsschutz ausgehöhlt und Master nur für wenige, nur mehr berufsbegleitend und vor allem für Administratives zugelassen werden sollen. Fachlichen Interessen nachzugehen wird zur unbezahlten Freizeitangelegenheit.

Page 20: 10 things we hate about Bologna

10 reasons to hate‘Bologna’

Page 21: 10 things we hate about Bologna

Why hate#1Because it makes us sick! Die überfrachteten Bachelor-Studienpläne, die falschen Berechnungen des Arbeitspensums, die Umdeutung der Mindeststudienzeit zur Re-gelstudienzeit, die Voraussetzungsketten, die Beschränkungen für das Masterstudium, die er-höhten Prüfungs- und Sachzwänge führen dazu, dass aufgrund der hohen Arbeitsbelastung (die meisten Studierenden sind lohnabhängig) und des Konkurrenzdrucks unter den Studierenden immer mehr Studierende und Lehrende über psychische Belastungen, Überlastung, Stress, depressive Verstimmungen, Versagensängste und Prüfungsangst (IHS-Studierenden-Sozialb-ericht 2009) klagen.Zudem gibt es kaum mehr Zeit, eigenen Neigun-gen nachzugehen, sich politisch, kulturell oder sozial an oder außerhalb der Uni zu engagieren, sich mit FreundInnen oder Familie zu treffen oder einfach mal das Leben zu genießen. Genau das ist aber physisches und psychisches Wohlerge-hen, also Gesundheit. Warum Bologna hassen? Employability hat mein Leben zerstört!

‘Bologna’:

Page 22: 10 things we hate about Bologna

Weil damit BA/MA als Elitenprojekt durchge-setzt werden soll Das Konzept des dreigliedrigen Systems (BA, MA, PhD) wurde bereits mit dem Hintergedanken er-stellt, dass man damit den Zugang zu Bildung beschränken kann. Wissenschaftliches arbeiten kann mit einem BA nicht gelernt werden, darum geht es auch gar nicht. Der Bachelor ist wegen seiner Kürze ein billiger und minderwertiger Ab-schluss für die Masse der Studierenden. Unter dem Stichwort „employability“ sollen in Zukunft BA-AbsolventInnen als neue akademische „Un-terschicht“ in den Arbeitsmarkt gepumpt werden – niedrigere Entlohnung garantiert! Weil zudem durch den höheren Arbeitsaufwand berufstätige Studierende bzw. Studierende mit Familie bena-chteiligt werden, sind die Zugangsbeschränk-

Why hate#2

ungen sozial selektiv. Vor allem Frauen werden durch die Beschränkungen ausgeschlossen, so sinkt der Anteil studierender Frauen beim Über-gang auf Master oder PhD enorm. StudentInnen aus wohlhabenderen Verhält-nissen werden zukünftig noch stärker bei den höheren Abschlüssen vertreten sein und damit überproportional die Zeit und das Geld zur Ver-fügung haben, Wissenschaft zu betreiben. Noch stärker als in der Vergangenheit werden Men-schen aus wohlhabendem Haus Deutungsmacht über Wissenschaft zementieren können. Warum „Bologna“ hassen? Sparen heißt herrschen!

‘Bologna’:

Page 23: 10 things we hate about Bologna

“Bologna“ heißt Konkurrenz als oberstes Steuer-ungsprinzip „Bologna“ ist ein Teil des Vorhabens Universitäten in Wettbewerbsmaschinen umzubauen. 2003 legte die EU-Kommission die Mitteilung „Die Rolle der Univer-sitäten im Europa des Wissens“ vor, um die durch Bolo-gna 1999 und Lissabon 2000 eingeschlagene Richtung weiter zu konkretisieren. Marktförmigkeit soll den Unis als neues Leitbild dienen, konsequenterweise schlägt die EU-Kommission vor, Universitäten zukünftig dauer-haft in Konkurrenz zu bringen: Unis sollen um die Er-schließung privater Finanzierungsquellen und staatli-che Mittel, die „talentiertesten“ StudentInnen und die ersten Plätze in scheinobjektiven Hochschulrankings konkurrieren. (Vgl. EK 2003: 15) Innerhalb der Lissabon-Strategie soll nicht nur ein Europäischer Hochschulraum sondern auch ein Eu-ropäischer Forschungsraum (EFR) geschaffen werden. Er „soll die besten Talente dazu anregen, eine Forscher-laufbahn in Europa einzuschlagen“ und „die Industrie zu mehr Investitionen in europäische Forschung bewegen“ (http://ec.europa.eu/research/era/index_de.html). Um global wettbewerbsfähiger zu werden, wird gezielt die

Why hate#3

Konkurrenz zwischen WissenschaftlerInnen innerhalb Europas erhöht. Die Finanzierung von Forschung an Universitäten wird so weit als möglich auf hoch wettbe-werbsorientierte Projektforschung verlagert und pres-tigereiche Exzellenzprogramme wie die europäischen ERC Grants eingerichtet. Junge WissenschaftlerInnen werden auch gern deswegen in Projekten mit oft knapp bemessenen Mitteln beschäftigt, weil sie sich formal noch in Ausbildung befinden und daher wesentlich billiger sind. Auf dem neoliberalisierten Arbeitsmarkt von ForscherInnen konkurrieren daher immer mehr junge WissenschaftlerInnen um sehr wenige Stellen im späteren Karrierebereich. Der Leistungsdruck wird dadurch im Namen der Exzellenz so weit gesteigert, dass die Ausrichtung auf formale, scheinobjektive Leistungskriterien wie die Anzahl der Publikationen oder Impact-Faktoren die Reflexion der gesellschaft-spolitischen Dimensionen der eigenen Forschung in den Hintergrund drängt.Warum „Bologna“ hassen? „Bologna“ heißt Marktex-tremismus und Ranking-Religion!

‘Bologna’:

Page 24: 10 things we hate about Bologna

“Bologna“ heißt Verwertbarkeit ist alles Weil strukturell noch stärker als bisher Forsc-hung und Wissen gefördert werden sollen, die fi-nanziell verwertbar sind. Weil – mit größtenteils öffentlichen Geldern – einzelne Exzellenzcenter aufgebaut werden sollen; am liebsten haben sie es, wenn Unternehmen direkt an die Uni ang-eschlossen werden. Für die größte Zahl der Stu-dentInnen und Lehrenden bleiben dann nur noch kaputt gesparte Unis mit noch weniger finanzi-eller Ausstattung als bisher. Die Rankings, die den Ausschlag für staatliche Zuwendungen geben, messen natürlich die Lohnhöhe der AbsolventIn-nen, die Zahl der Publikationen in internationalen Zeitschriften und andere „objektive“ Parameter – nicht sozial, kulturell oder politisch sinnvolle Tätigkeiten während oder nach dem Studium. Warum “Bologna“ hassen? Weil “Bologna“ Neo-liberalismus an der Uni ist!

Why hate#4

Weil es an der Uni die Diktatur der Rektoren errichtetIn „Die Rolle der Universitäten im Europa des Wissens“ schlägt die EU-Kommission vor, die Unis auf New Public Management umzustellen. Dies beinhalte „einen wirksamen Entscheid-ungsfindungsprozess, eine effiziente Verwaltung und ein gutes Finanzmanagement“ (Vgl. EK 2003: 20). Breite demokratische Entscheidungsgre-mien gelten im Zusammenhang mit „Bologna“ als unflexibel und sollen durch autoritäre und tech-nokratische Steuerungskörper ersetzt werden. Letztlich geht’s hier darum, schnell von „oben“, also dem Rektorat z.B. Studiengänge einsetzen und killen zu dürfen – ohne Mitspracherecht der betroffenen Lehrenden oder Studierenden. Why hate “Bologna“? We want democracy now! (And let´s not forget about revolution)

‘Bologna’:#5

Page 25: 10 things we hate about Bologna

Weil geistiges Eigentum kultureller Diebstahl ist! In „Die Rolle der Universitäten im Europa des Wissens“ fordert die EU-Kommission von den Unis ein, sich zum einen stärker an ökonomische Verwertbarkeit ihrer Produkte (Wissen und Abschlüsse) zu orientieren. Zum anderen sol-len ArbeitgeberInnen und Unternehmen einen größeren Einfluss auf die Unis nehmen können, beispielsweise durch Public Private Partnerships. Das erarbeite Wissen soll „direkt in die Wirtschaft fließen“ (vgl. EK 2003: 8), VertreterInnen von pri-vaten Unternehmen sollen verstärkt in die Len-kungsstrukturen der Universität aufgenommen werden (Uni-Räte). Die Kommerzialisierung von Wissen soll vor allem durch geistige Eigentum-srechte verwertbar werden. Warum „Bologna“ hassen? Weil Uniräte sofort abgeschafft ge-hören!

Why hate#6

Weil für Unibedienstete der Verwaltungsauf-wand explodiert Die ständig neu abverlangten Strukturpläne, Studienordnungen oder BA- und MA-Studi-engänge, die mit großem Zeitaufwand von Hoch-schullehrerInnen erarbeitet werden müssen, die Berücksichtigung immer neuer Benchmarks, Evaluationen, Drittmitteleinwerbung, die große Zahl der Studierenden, die betreut und geprüft werden müssen – und wegen der großen Zahl gleichzeitig nur schlecht betreut werden können. Gutachten und ein leer laufender Veröffentlic-hungszwang schränken die Möglichkeit zur wis-senschaftlichen Arbeit und Lehre ungeheuer ein. Allein an der Freien Universität Berlin hat sich, Werner Väth (Vizerektor, FU Berlin) zufolge, „mit Bologna der Prüfungsaufwand verdreißigfacht“. Warum „Bologna“ hassen? Bürokratismus ist das Schlimmste!

‘Bologna’:#7

Page 26: 10 things we hate about Bologna

ECTS und Module bedeuten Bevormundung und Leistungsdruck Der Lehrstoff wird modularisiert, d.h. ziemlich rigide in einen vorstrukturierten, zielorientierten Lehrplan eingebaut und vielfach wiederholt. „Voraussetzungsketten“ engen den Studienalltag weiter ein. Den Studierenden wird die Erfahrung einer freien wissenschaftlich orientierten Dis-kussion faktisch vorenthalten. Alles spricht für eine Verstärkung der gegenwärtigen Tendenz, dass die Studierenden 20 und mehr Stunden pro Woche belegen müssen. Daneben müssen sie noch Geld für ihren Lebensunterhalt verdienen. Und auch die an den Hochschulen Lehrenden müssen sich den neuen Anforderungen anpassen und werden dadurch immer mehr zu LehrerInnen, die standardisiertes Wissen vermitteln; der Effi-zienz wegen muss alles die didaktisch geeignete Form annehmen – so dass Didaktik zu einem Mit-tel der wissenschaftlichen Zensur wird.

Why hate#8

Die „workload“ für Studierende und Lehrende hat sich enorm erhöht, oftmals wird mehr Wissen in kürzere Lernzeiten gepresst. StudentInnen het-zen von einer Pflicht-LV zu nächsten ohne sich richtig vorbereiten zu lönnen oder aus Interesse Literatur jenseits der Pflichtlektüre bearbeiten zu können. Die von Studierenden ausgehende Lernmotivation wird durch andauernden Prü-fungsstress abgelöst: Zur besseren und besser standardisierten Kontrolle von Leistungen soll fortan jedes Modul am Semesterende verpflich-tend mit einer Klausur oder Prüfung abschließen. Was sich als Lernprozess ausgibt, ist in Wirklich-keit ein modularisierte „Prüfungsherrschaft“. Warum „Bologna“ hassen? Weil Module Schre-bergärten im Gehirn sind.

‘Bologna’:

Page 27: 10 things we hate about Bologna

Weil „Employability“ der neue Schlachtruf des Kapitals ist. „Employability“, also Arbeitsmarktfähigkeit oder Beschäftigungsfähigkeit, als Hintergrund aller universitären Reformen, ist das erklärte Ziel des mit der Lissabon-Strategie verbundenen Bolo-gna-Prozesses. Das bedeutet die gezielte Aus-richtung der Bildung auf Unternehmens- und Arbeitsmarkterfordernisse: vor allem der Bach-elor dient nur mehr der Berufsausbildung; Un-ternehmen minimieren dadurch massiv ihre Aus-bildungskosten. Dies zeigt die Verknüpfung des Bologna-Prozesses mit der Lissabon-Strategie der EU, in welcher ebenfalls die Ausrichtung der Lehrinhalte und der Forschung auf wirtschaftli-che Interessen gefordert und gefördert wird Das ist selbst schon eine Botschaft, nämlich: nehmt die Hochschule als Lebenssituation nicht so ernst, die intellektuellen Erfahrungen hier sind nicht bedeutungsvoll, sie sind nur Mittel zum Zweck des Erfolgs auf dem Arbeitsmarkt. Diese Strategie führt zur profitorientierten Instrumen-talisierung von Bildung und Wissen.

Why hate#9Weil „Bologna“ den Unibetrieb autoritärer werden lässt Die Einführung repressiver Maßnahmen wie An-wesenheitspflichten und rigide Abgabetermine zeigt wie verlogen die Redeweise von StudentIn-nen als KundInnen ist – von einer Anwesenheit-spflicht im Supermarkt hat noch niemand gehört. Der durch „Qualitätsmanagement“ und Bürokra-tie-Wulst massiv erhöhte Verwaltungsaufwand für die Uni-Angestellten, bedeutet immer re-striktivere Studienorganisation. Denn wenn der Regelbetrieb schon mit so viel Arbeit verbunden ist, wird jede Ausnahme unerträglich – Studier-endenprobleme werden dann aus reiner Überfor-derung zunehmend in standardisierten Routinen abgewickelt werden. Die flott und freundlich da-herkommende „Dienstleistungshochschule“, so problematisch dieses Konzept an sich schon ist, erweist sich als bloße Worthülle für einen Hoch-schultyp, der sich nach „Bologna“ nur mehr als „autoritär“ bezeichnen lässt. Warum „Bologna“ hassen? Weil die „Dienstleistungshochschule“ eine Lüge ist.

#10 ‘Bologna’

Page 28: 10 things we hate about Bologna

Ein anderes Wissen ist nötig:

Wir wissen!

Page 29: 10 things we hate about Bologna

Die mit „Bologna“ verbundenen Restrukturier-ungen führen zu einer weiteren Aushöhlung und Verschulung der Hochschulen und schädigen gerade das, wofür die Unis eigentlich geschaffen und aufrechterhalten werden sollten: Wissens-produktion und –vermittlung und ihre Qualität.

Es wird noch schlimmer... Die gegenwärtig mit „Bologna“ verfolgten Pläne – also die Auswahl der Studierenden durch die Hochschulen, Studienzeitverkürzung, Studi-engebühren, Umstellung auf BA- und MA-Studi-engänge, Förderung von Spitzenuniversitäten etc. – dienen der Ausrichtung der Hochschulen auf schnelle Berufsausbildung. Die Folge: vor allem diejenigen Formen von Wissen sollen produziert und vermittelt werden, die benötigt werden, um in Wirtschaft, Politik und Verwaltung Aufgaben des Kommandos, der Führung, der Hierarchie und des Gewinns wahrnehmen zu können; kurz: um Herrschaft zu reproduzieren.

Wissen und K... Etwas gilt nur dann als `wichtiges´ und `rich-tiges´ Wissen, wenn es gesellschaftlich so definiert wird. Und weil die Wissenschaften im Kapitalismus grundlegender Bestandteil des gesellschaftlichen Produktions- und Reproduk-tionsprozesses sind, gilt dasjenige Wissen ge-meinhin als `wichtig´ und `richtig´, das den domi-nanten Interessen entspricht. Wissen kann also auch klar der Herrschaftsausübung dienen; oder anders formuliert: Herrschaft unter kapitalist-ischen Bedingungen wird (auch) mittels Wissen ausgeübt.

Wissen und G... Wissen ist gesellschaftlich; diese Gesell-schaftlichkeit des Wissens hat für das Individu-um eine wichtige Konsequenz: Wissen prägt die Haltung der Subjekte, ihre Neigungen, ihre Fähig-keit zur Erschließung, Ausdeutung, Aneignung und Gestaltung von “Welt”. Bildung durch Wis-senschaft meint in diesem Sinn die Fähigkeit, sich reflexiv, offen und kommunikativ, lernend, problemorientiert, kritisch und selbstbestimmt verhalten zu können.

Page 30: 10 things we hate about Bologna

Wissen und K´... Kritisches Wissen ist in erster Linie ein Verhält-nis, das auch das Verhältnis zu diesem Wissen einschließt. Wissenschaftliche Bildung meint in diesem Sinn nicht die mechanische Kenntnis eines für legitim und für überlegen gehaltenen Wissens, das den Alltagsverstand abspaltet und unberührt lässt, sondern ein Wissen, das die Er-fahrungen der Individuen begriffl ich erschließt.

Warum das vom „Bologna“-System produzierte Wissen hassen? Weil es kritische Wissensproduktion in immer kleinere Nischen zwängt!Weil wir keine halbgebildeten ExekutorInnen von Verwertungsinteressen sein wollen!

Weil wir kritisches Wissen für ein selbstbestimmtes Leben für ALLE wollen!

Am

02.

Mär

z 20

10

hat

der

mon

atel

ange

P

roze

ss

gege

n dr

eize

hn T

ierr

echt

sakt

ivis

t_in

nen

in W

iene

r N

eust

adt

bego

n-ne

n. H

aupt

vorw

urf

bild

et d

er §

278a

– B

ildun

g ei

ner

krim

inel

-le

n O

rgan

isat

ion

-, d

er ja

hrel

ange

Übe

rwac

hung

, Bes

pitz

elun

g un

d m

assi

vste

Ein

griff

e in

die

Pri

vats

späh

re l

egit

imie

rte.

Mit

der

Anw

endu

ng d

iese

s Pa

ragr

aphe

n si

nd w

ir n

icht

nur

de

m S

zena

rio

ei

nes

Übe

rwac

hung

ssta

ates

ei

nen

gew

alti

gen

Sch

ritt

näh

er g

etre

ten,

er

bede

utet

auc

h ei

ne

konk

rete

G

efah

r fü

r di

e K

rim

inal

isie

rung

je

der

soz-

ial-

polit

isch

en

Bew

egun

g un

d kr

itis

chen

Ö

ffen

tlic

hkei

t.

Weh

ren

wir

uns

dag

egen

!

ww

w.a

ntir

ep20

08.tk

Sm

ash

§278

ff!

Page 31: 10 things we hate about Bologna

46 Bildungsminister*innen laden zum Sektempfang in die Wiener Hofburg und feiern zum 10-jährigen Jubiläum des Bologna Prozesses eine katastrophale Hochschulreform! Kein Grund zu feiern! Blockieren wir gemeinsam ihre Party!

A L T E R N A T I V G I P F E L

bolognaburns.org [email protected]

workshops, podiumsdiskussionen, cafe transnational

gemeinsam alternativen diskutieren

1 1 . - 1 4 . 3 .

C A M P U S U N I W I E N


Top Related