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Kurzfassung
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Abschlussbericht des
Modellvorhabens Siedlungsflächenentwicklung (Kurzfassung)
Modellvorhaben „Unterstützung von Gemeinden bei der Neuausrichtung ihrer Flächenpolitik im
Rahmen der Regionalentwicklung“: So lautet der offizielle Titel eines Projekts, das der
Regionalverband Südniedersachsen in enger Abstimmung mit der Regierungsvertretung
Braunschweig im Auftrag des Niedersächsischen Ministeriums für Ernährung, Landwirtschaft,
Verbraucherschutz und Landesentwicklung im Jahr 2008 umgesetzt hat. Kooperationspartner waren
die Städte Osterode am Harz, Bad Sachsa und Moringen, die Gemeinden Adelebsen, Gleichen und
Kreiensen sowie der Samtgemeinde Bad Grund. Die fachliche Begleitung lag beim Planungsbüro
„proloco“ (Bremen).
Der fünf Monate umfassende Prozess war so angelegt, dass er als beispielhaft für andere, unter
vergleichbaren Rahmenbedingungen tätigen Kommunen dienen konnte. Das Modellvorhaben wurde
schrittweise umgesetzt: Auf die Auftaktveranstaltung folgte eine gemeinsame Rundreise von
Vertreterinnen und Vertretern der Modellkommunen zu städtebaulich neuralgischen Punkten der
Region sowie insgesamt 21 Workshops in den sieben Partnergemeinden. Zum Abschluss erfolgte ein
Fachaustausch im Rahmen der „interkommunalen Projektgruppe“.
Mit dem Wegfall von Subventionen wie etwa der Eigenheimzulage, geänderten Lebensentwürfen
vieler Menschen und angesichts des demographischen Wandels sinkt die Nachfrage nach Bauland.
Das gilt in besonderem Maß für die Flächen, die von den Arbeitsplätzen potenzieller Bauherren weit
entfernt liegen. So füllen sich erschlossene Baugebiete in Südniedersachsen langsamer als noch in
den neunziger Jahren. Meist sind es lediglich einheimische Bürgerinnen und Bürger, die Bauland
innerhalb der eigenen Gemeinde nachfragen.
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Im Gegenzug ist festzustellen, dass immer mehr ältere und größere Gebäude in den Ortskernen leer
stehen. Lagenachteile wie Belastungen durch den Durchgangsverkehr sind typische Merkmale nicht
genutzter Gebäude. Häufig weisen sie einen schwer abschätzbaren Sanierungs- und
Modernisierungsbedarf auf und bilden damit für Investoren ein kaum zu kalkulierendes finanzielles
Risiko.
Im Verlauf des Modellvorhabens wurde deutlich, dass weiterer Leerstand – insbesondere in den
Ortskernen – auch dann eintreten wird, wenn auf Neubau an den Ortsrändern künftig vollständig
verzichtet wird. Dies führte zu der Frage, ob den Kommunen empfohlen werden sollte, Diskussionen
mit dem Ziel anzustoßen, durch Gremienbeschlüsse auf weitere Flächenausweisungen zu verzichten.
Für eine derartige Empfehlung spricht, dass die Beschluss-Vorbereitung geeignet ist, die Sensibilität
von Bevölkerung und kommunalpolitisch Verantwortlichen zu stärken. Wichtiges Gegenargument: Es
bestehe die Gefahr, dass mit solchen Diskussionen politische Energie verpuffe. Da die Nachfrage in
vielen Baugebieten ohnehin gegen Null tendiere, sei es irrelevant, ob ein Votum gegen neue
Baugebiete gefasst werde. Wegen der fehlenden Nachfrage außerhalb des Oberzentrums stelle der
Markt ohnehin sicher, dass keine neuen Baugebiete mehr ausgewiesen würden – mit oder ohne
politische Grundsatzbeschlüsse.
Flächenausweisungen erfolgten in den Landkreisen Osterode am Harz, Northeim und Göttingen mit
der Universitätsstadt Göttingen als Oberzentrum bis Ende der achtziger Jahre in Zeiten
wirtschaftlichen Wachstums und steigender Bevölkerungszahlen. Die Siedlungsentwicklung war seit
Gründung der Bundesrepublik durch einem Trend zum Wohnen „im Grünen“ geprägt, der auf
wachsendem Wohlstand, einer steigenden Verfügbarkeit von PKW, gesellschaftlichen Vorstellungen
vom idealen Wohnen und dem städtebaulichen Ziel der Funktionstrennung fußte. In der Folge dieser
Suburbanisierung zogen auch Teile des Handels, der Industrie und des Gewerbes ihre Standorte aus
den Zentren ab und verlagerten sie – häufig im Zuge der Erweiterung betrieblicher Aktivitäten – an die
Peripherie der Kommunen. Der damit einhergehende Flächenverbrauch führte zu einer Zersiedlung
der Landschaft sowie zu höheren Pendlerdistanzen mit ihren vielfältigen ökologischen und sozialen
Folgen.
In den Jahren 2001 bis 2004 betrug der durchschnittliche Flächenverbrauch in Niedersachsen mehr
als 14 Hektar täglich; das entspricht fast der Größe von zwanzig Fußballfeldern. Nach Angaben des
Niedersächsischen Landesamtes für Bergbau, Energie und Geologie wurden im Jahr 2006 in den drei
südniedersächsischen Landkreisen einschließlich der Stadt Göttingen 44 Hektar Freifläche in
Anspruch genommen, im Jahr 2007 lag diese Zahl bei 97 Hektar - dabei ist zu berücksichtigen, dass
es auch zuvor erhebliche Unterschiede zwischen den Jahresergebnissen gab. Mit der Ausdehnung
der Siedlungsflächen ging eine Erhöhung der volkswirtschaftlichen Raumüberwindungskosten einher.
Angesichts steigender Mobilitätskosten, aber auch einer gewandelten Einstellung zum Urbanen und
einer wachsenden Zahl kleiner Haushalte deutet sich nunmehr eine Renaissance der Stadt an.
Die Gründe für die Inanspruchnahme von Freiflächen sind vielfältig: Zum einen nehmen die Menschen
im Durchschnitt immer mehr Wohnfläche in Anspruch. Während die Durchschnittsfläche pro Person
und Jahr 1950 noch bei 14 Quadratmetern lag, ist diese Zahl inzwischen auf 42 Quadratmeter
gestiegen – ein Zuwachs, der nicht nur mit gestiegenem Anspruchsdenken, sondern auch der
Verkleinerung der Haushalte zu erklären ist. Aber auch das produzierende Gewerbe, der Straßen- und
sonstige Verkehrswegebau sowie der großflächige Einzelhandel mit den weiterhin stark
ausgeweiteten Sortimenten tragen zum Flächenverbrauch bei. Von dem erklärten Ziel, künftig täglich
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nur noch zusätzlich 30 Hektar in Anspruch zu nehmen, ist die Bundesrepublik Deutschland auch zu
Zeiten stagnierender und in einigen Regionen sogar rückläufiger Bevölkerungszahlen weit entfernt.
Bereits in den achtziger Jahren war in Südniedersachsen außerhalb der Stadt Göttingen der
demographische Wandel unübersehbar. Die Einwohnerzahlen begannen zu sinken, der Anteil der
Älteren stieg. Die Grenzöffnung und die damit verbundene Steigerung der Einwohnerzahlen in weiten
Teilen Südniedersachsens führten im Zuge konjunktureller Belebungen zu einer trügerischen
befristeten Trendumkehr. So verschwand mit Beginn der neunziger Jahre der demographische
Wandel als relevantes Thema aus den regional- und kommunalpolitischen Diskussionen.
Die demographische Entwicklung hat bislang zu keinem konsequenten Umdenken in der
Siedlungspolitik geführt. Zwar wird der demographische Wandel inzwischen von vielen
Verantwortlichen als zentrale kommunalpolitische Herausforderung angesehen, in der
Ausweisungspraxis herrscht aber vielfach eher die gemeindebezogene Sichtweise vor. Insbesondere
Ortsräte neigen dazu, in der Planung neuer Flächen ein adäquates Mittel zu Sicherung und
Entwicklung der Infrastruktur zu sehen. Sie verweisen auf vorhandene oder vermeintliche
Standortvorteile, die dazu geeignet seien, Neubürgerinnen und Neubürger in die Gemeinde zu locken.
Verdrängt wird bei vielen Stellungnahmen häufig die Tatsache, dass auch in der Nachbargemeinde
ähnlich argumentiert wird.
Durch offensive Ausweisungspolitik entstehen Überkapazitäten. Bei sinkenden Einwohnerzahlen führt
die Aufrechterhaltung der Infrastruktur zu einer Erhöhung der Pro-Kopf-Fixkosten. Den am
Siedlungsrand zusätzlich entstehenden Kosten für die Schaffung und Aufrechterhaltung von
Infrastruktur steht eine immer weniger effizient genutzte Infrastruktur in den Zentren gegenüber. Auch
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dieser Effekt führt zu einer zusätzlichen Kostenbelastung für die Bürgerinnen und Bürger, die damit in
eine „Infrastrukturfalle“ geraten.
Beobachtungen aus den Jahren 2007 und 2008 zeigen, dass diese Zusammenhänge bei den politisch
Verantwortlichen der Samtgemeinden und der größeren Einheitsgemeinden stärker verankert sind als
in den Mitgliedsgemeinden und Ortsräten. Dort werden Restriktionen in der Ausweisungspolitik eher
als Beschneidung der Entwicklungsmöglichkeiten angesehen denn als konsequente Reaktion auf den
demographischen Wandel und den damit einhergehenden tief greifenden Veränderungen auf dem
Wohnungsmarkt.
Noch immer gibt es große Vorbehalte gegen die Erfassung von Leerständen. Die Bedenken sind zum
einen datenschutzrechtlicher Art und beinhalten die Furcht, dass benannte Leerstände auch vom
kriminellen Milieu genutzt werden könnten. Außerdem heißt es, die Erfassung sei aufwändig. Zudem
sei nicht der Status Quo das eigentliche Problem, sondern der künftige Leerstand – und der sei nun
mal nicht zu erfassen. Als besonders problematisch gilt, dass auf der Basis vorhandener
Leerstandszahlen auch interkommunale Rankings erstellt werden können, die zu weiteren
Immobilienpreis- und Imageverlusten in den Gemeinden führen könnten, in denen der Leerstand
besonders hoch ist.
Nicht alle Bedenken lassen sich ohne weiteres ausräumen. Aber teuer muss die Erfassung nicht
überall sein - Ortsbürgermeister verfügen in aller Regel über Kenntnisse auch zu vermutlich bald
eintretenden Leerständen. Zur Erfassung der Leerstände können Angaben von Energieversorgern
über Stromzähler genutzt werden. Die Gemeinden, die Anpassungsstrategien zur Förderung der
Lebensfähigkeit der Zentren entwickeln wollen, sind gut beraten, eine Bestandsaufnahme zu
erstellen. Und dazu gehört der Umfang der Leerstände.
Das Preisniveau auf dem Immobilienmarkt ist in den vergangenen Jahren abgesackt. Die Rückgänge
fallen teilregional unterschiedlich aus. In einigen Orten ist das Preisniveau so gesunken, dass
Hauseigentümer ihre Immobilien nicht mehr verkaufen können. Vielfach sind ihre Verbindlichkeiten
bei Kreditinstituten höher als der erzielbare Verkaufspreis. Bei Banken und Sparkassen entstand
Wertberichtigungsbedarf.
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Der Einzelhandel erweitert nach wie vor massiv seine Verkaufsflächen und versucht im Zuge der
Sortimentserweiterungen, Randlagen zu besetzen. Discounter üben auf die Kommunen einen
erheblichen Druck aus. Die Konzerne versuchen im Rahmen ihrer Expansionsstrategien durch die
Etablierung immer neuer Märkte ihre Marktstellungen zu sichern und auszubauen. Durch diese
betriebswirtschaftlich begründete Flexibilität entsteht die Gefahr, dass durch Investitionen an einem
Standort Leerstände an anderen entstehen.
Der demographische Wandel hat Auswirkungen auf die Siedlungsentwicklung in allen Gemeinden.
Jeder Ort weist spezifische, aber auch verallgemeinerbare Ausgangsbedingungen auf. In einigen
Gemeinden werden nur noch drei bis vier Bauplätze jährlich vermarktet, in anderen sind es deutlich
mehr. Dementsprechend ergeben sich übertragbare und daneben gleichzeitig individuelle
Lösungsansätze. Patentrezepte, wie die Verantwortlichen dem Trend schrumpfender Städte und
Dörfer wirksam begegnen können, gibt es angesichts der Unverwechselbarkeit einer jeden Gemeinde
nicht. Der demographische Wandel wird mit all seinen Facetten zwar bundesweit diskutiert, und er ist
in der Schließung von Infrastruktureinrichtungen (zunächst insbesondere Kindergärten und
Grundschulen) örtlich konkret erfahrbar. Wenn Siedlungsentwicklung und Bevölkerungsrückgang aber
als zusammenhängend wahrgenommen wurden, dann allenfalls in der vermeintlichen Logik, dass
Ausweisung und Erschließung neuer Baugebiete den Bevölkerungsrückgang mildern, stoppen oder
sogar umkehren könnten.
Den Teilnehmern des Modellvorhabens wurde deutlich, dass die Bereitstellung von preiswertem
Bauland kein wirksames Instrument kommunaler Bevölkerungspolitik mehr ist. Sie haben erkannt,
dass nach allen Prognosen gerade in der Alterspanne der Dreißig- bis Vierzig-jährigen – also
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derjenigen, die traditionell Wohnbauflächen für das eigene Einfamilienhaus nachfragen – ein
besonders starker Bevölkerungsrückgang zu erwarten ist. Und gerade von dieser Altersgruppe wird
ein Maß an Mobilität erwartet, das nur schwer mit dem Erwerb einer Immobilie zu vereinbaren ist.
Neuausweisungen von Wohnbauflächen tragen also allenfalls zur Umverteilung vorhandener
Bevölkerung durch Umzug und zu Leerstand im vorhandenen Baubestand bei. Zu den neuen
Herausforderungen an rational handelnde Kommunal- und Regionalpolitik gehört deshalb, die
Entwicklung der Siedlungsflächen an die Bevölkerungsentwicklung anzupassen. Dabei kommt es
darauf an, realistische Erwartungen zu entwickeln und Wunschdenken so weit wie möglich
zurückzustellen. In vielen Gemeinden ist jedoch zu beobachten, dass theoretische Erkenntnis und
praktische Umsetzung nicht immer deckungsgleich sind.
Die Thematik des demographischen Wandels ist bislang eher negativ besetzt. Die Gestaltung von
Schrumpfungsprozessen gilt als wenig attraktiv – die Gesellschaft in Deutschland verfügt dabei auch
über wenig Erfahrung. Daher wird es auf eine behutsame und gleichzeitig gezielte Öffentlichkeitsarbeit
ankommen, die Vorbehalte und Ängste abbaut und die Notwendigkeit des Handelns – aber auch
Chancen der gestaltenden Einflussnahme – herausstellt. Im Hinblick auf das Modellvorhaben werden
die in den nächsten Jahren zu erwartenden Auswirkungen des demographischen Wandels auf
Wohnungsmarkt und Siedlungsentwicklung zu diskutieren sein.
Hierzu gehört auch die Auseinandersetzung mit einem Tabuthema, nämlich der Frage des Abrisses
von Wohngebäuden. Dieses Thema ist für die meisten Beteiligten neu, da nach Jahrzehnten des
Wachstums das „Schrumpfen“ nun einen Paradigmenwechsel darstellt. Kommunalpolitisches Laisser-
faire wird damit zur Disposition gestellt: Während in der Öffentlichkeit vielfach noch immer der
Eindruck vorherrscht, als könnten die erkennbaren (und vielfach erkannten) Probleme durch ein
entschiedenes „Weiter-so!“ gelöst werden, zeigt das Modellvorhaben, dass die Kosten erforderlicher
Anpassungsmaßnahmen umso höher sind, je länger mit dem Umsteuern gewartet wird. Mehr noch: Je
länger gerade in den ländlichen Räumen gewartet wird, desto schwächer wird die Position peripherer
Standorte.
Wenn über Abriss diskutiert wird, dann muss dies mutig und entschieden gleichermaßen erfolgen.
Rückbau wird erforderlich sein, um wirtschaftlich oder baulich nicht mehr sanierungsfähige Gebäude
vom Markt nehmen zu können. Andererseits muss aber auch dem Denkmalschutz Rechnung
getragen werden. Die Rundreise durch die Modellkommunen hat deutlich gemacht, dass auch
landwirtschaftliche Gebäude (wie etwa Scheunen) vielfach so Ortsbild prägend sind, dass ihr Abriss
nicht zu rechtfertigen wäre. Wichtig ist noch ein zweiter Aspekt: Historische Gebäude prägen nicht nur
das Ortsbild, sie sind darüber hinaus auch für die Identifikation der Menschen mit ihrer Heimat
unverzichtbar.
Bei den Diskussionen über den Abriss von Gebäuden ist zudem zu berücksichtigen, dass in
Südniedersachsen – anders als in weiten Teilen der neuen Bundesländer – eine dezentrale
Eigentümerstruktur vorherrscht. Abrisse mögen vielfach städtebaulich und wohnungspolitisch sinnvoll
sein, sie müssen aber für die Eigentümer auch wirtschaftlich vertretbar sein. Ein Fall wie in Adelebsen,
wo eine Gruppe von Bürgern ein baufälliges Gebäude nur erwarb, um es abzureißen und damit einen
Beitrag zur Ortsbildverschönerung zu leisten, dürfte eher die Ausnahme bleiben.
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Längerfristige Leerstände bedrohen die historischen Ortsbilder und schädigen deren Image. Damit
verbunden sind weitere Attraktivitätsverluste der Ortsmittelpunkte und eine Beschleunigung des
Rückzugs von Geschäften und anderen Dienstleistungseinrichtungen. Der aktuelle Leerstand von
Wohnungen und Wohngebäuden ist dabei nur ein Frühindikator. Möglicherweise viel problematischer
ist die quantitative Unternutzung von Wohnraum (nur eine Person in einem für Großfamilien
ausgelegten Gebäude) wie beispielsweise die Nutzung von Wohnraum durch hochaltrige Menschen.
Die Literatur spricht in diesem Zusammenhang von „Witwenhäusern“, die leer fallen, wenn die
Bewohnerin verstirbt. Nur eine aktive und mutige Gestaltung der Stadt- und Gemeindeentwicklung
kann dazu beitragen, Einschränkungen der Lebensverhältnisse zu reduzieren.
Der demographische Wandel wird sich in unterschiedlicher Ausprägung flächendeckend auf dem
gesamten Gebiet der Kommunen niederschlagen. Auch Neubaugebiete der Nachkriegszeit und
Siedlungsbereiche der sechziger und siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts bedürfen
städtebaulicher Aufmerksamkeit. Der sich abzeichnende Überhang an Wohnungen wird vor dem
Hintergrund des Wohnungsbestandes der gesamten Gemeinde zu diskutieren sein und mittelfristig
einen gezielten Rückbau erforderlich machen.
Für die Kommunen ergibt sich damit die Notwendigkeit, sich ganzheitlich mit der Entwicklung ihrer
Orte zu befassen. Dabei sind auch Besonderheiten zu berücksichtigen wie etwa die
Eigentumswohnungshäuser in Bad Sachsa. Einige der dortigen Wohnungen wurden in den
vergangenen Jahren saniert, andere sind noch auf dem Stand der 1970er Jahre und damit kaum
nutzbar. Hier geht es um die schwierige Managementaufgabe, die unterschiedlichen Interessen und
verschiedenen finanziellen Möglichkeiten der Eigentümer so aufeinander abzustimmen, dass
angemessene gemeinsame Gebäude- oder quartiersbezogene Lösungen erreicht werden.
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Längerfristig gültige Ortsentwicklungskonzepte fördern in jedem Fall die Planungssicherheit auch
(potenzieller) privater Investoren und sind zugleich eine Herausforderung des bürgerschaftlichen
Engagements. Um der Abwärtsentwicklung von Grundzentren begegnen zu können, muss dem
Attraktivitätsverlust von Ortsmittelpunkten begegnet werden. Neben der Auseinandersetzung der
Kommunen mit Leitvorstellungen und Entwicklungskonzepten für den gesamten Ort und seine
Ortsteile kommt auch der regionalen Abstimmung und Zusammenarbeit der Kommunen eine größere
Bedeutung zu. Eine Fortsetzung der bisherigen Ausweisungs- und Erschließungspolitik können sich
angesichts der Entwicklung des Wohnungsmarktes künftig nur noch die Gemeinden erlauben, die
keine nennenswerten finanziellen Probleme haben. Wer jahrelang mit einer Haushaltsunterdeckung
gewirtschaftet hat und fürchten muss, dass sich daran in absehbarer Zeit wenig ändert, steht vor der
Notwendigkeit, auch siedlungspolitische Entscheidungen unter finanziellen Erwägungen zu bewerten.
Planungs- und Erschließungskosten rechneten sich so lange, wie Nachfrage nach Grundstücken in
ausreichendem Umfang vorhanden war.
Mindestens bei den sieben Modellkommunen Südniedersachsens ist dies aber nicht mehr in
ausreichendem Umfang der Fall. In den vergangenen Jahren ist es bei ihnen zu einem erheblichen
Preisverfall auf dem Immobilienmarkt gekommen. Diese Entwicklung, die - jedenfalls mit Ausnahme
der oberzentrumsnahen Ortsteile der Gemeinde Gleichen - zu einer erheblichen Vernichtung von
Vermögen und damit auch zu Wertberichtigungen von Sparkassen und Banken geführt hat, trägt zur
mangelnden Vermarktbarkeit von Bauflächen bei. Es ist davon auszugehen, dass auch wegen
fallender Immobilienpreise der Wohnungsbau auf der „grünen Wiese“ in peripheren Räumen mehr
oder weniger zum Erliegen kommt. Verbleibende Nachfrage konzentriert sich auf gebrauchte
Wohngebäude mit überschaubarem Modernisierungsbedarf, angemessener Wohnfläche und
günstigem Preis.
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Eine Fortsetzung der bisherigen Ausweisungspolitik ist aber noch unter einem anderen Gesichtspunkt
für die Kommunen und damit ihre Bürgerinnen und Bürger problematisch. Wenn steigende technische
und soziale Infrastrukturkosten auf eine gleich bleibende Zahl von Einwohnerinnen und Einwohnern
umgelegt wird, führt dies für den Einzelnen mindestens in der langfristigen Betrachtung zu höheren
Fixkosten. Diese Verteuerungen fallen noch dramatischer aus, wenn die höheren Infrastrukturkosten
auf eine sinkende Zahl von Einwohnerinnen und Einwohnern umgelegt werden müssen.
Das Modellvorhaben hat gezeigt, dass sich die innerörtliche Entwicklung nicht auf die Umnutzung und
Erneuerung des Gebäudebestandes oder das Schließen von Baulücken beschränken kann. Abbruch
weniger wertvoller Gebäude zur Verringerung des Leerstandes, Wohnumfeldverbesserungen und
Neubau auf Abbruchflächen werden ebenfalls zur Weiterentwicklung der Ortskerne erforderlich, wobei
dem städtebaulichen Qualitätsanspruch ein hoher Stellenwert einzuräumen ist.
Für die Kommunen stellt sich die Aufgabe, Leerstände frühzeitig zu erkennen und zu erfassen und
sich aktiv für die Wiedernutzung einzusetzen. Die kommunale Werbung für das Wohnen in Ortskernen
und die Förderung der Modernisierung und Umnutzung historischer Bausubstanz mit kommunalen
Finanzmitteln sollte intensiviert werden. Motivation und Fähigkeiten der privaten Hausbesitzer, ihre
Gebäude energetisch und unter den Gesichtspunkten der Seniorengerechtigkeit zu sanieren, müssen
unterstützt werden. Ideenwettbewerbe könnten zur Umnutzung im Bestand und zur
Attraktivitätssteigerung der Ortskerne Anregungen und Lösungsmöglichkeiten bieten. Gefragt sind
beispielhafte Konzepte
• zur Wohnungsplanung für eine alternde Gesellschaft, die in einem ansprechenden
Wohnumfeld zu Hause sein möchte,
• zur energetischen Sanierung historischer Bausubstanz und
• zur Umnutzung von Gebäuden zu Wohnungen und für Dienstleistungen.
Die Gestaltung des Schrumpfens erfordert eine modifizierte Herangehensweise städtebaulichen
Planens: Erforderlich sind städtebauliche Entwicklungs- und Umbaukonzepte, die zunächst noch
keine präzisen städtebaulich-architektonischen Vorgaben machen. In einem langfristig angelegten
Prozess des Umbaus werden sie stufenweise vertieft und den derzeit nur bedingt absehbaren
Veränderungen angepasst. Über Zwischennutzungen zum Erhalt ansonsten leer stehender
Bausubstanz ist nachzudenken.
Es kann sinnvoll sein, in allen Städten und Gemeinden zu untersuchen, welche Leerstände bestehen
und vor allem zu analysieren, wo weitere Leerstände drohen. Leerstand entsteht an ganz
verschiedenen Stellen: in manchen Orten eher an den Rändern, in anderen vorwiegend in den
Ortskernen.
Neben der geschilderten Praxis, Leerstände als Planungsgrundlage zu verwenden, bietet sich ein
aktives gemeindliches Leerstands- und Grundstücksmanagement zur Forcierung der innerörtlichen
Entwicklung an. So besteht die Möglichkeit, Zwischennutzungen etwa in der Übernahme von
Patenschaften zu fördern. Die Kommunen können dabei auch von den Landkreisen unterstützt
werden. Beispielhaft könnte hier der Landkreis Osnabrück sein, der im Herbst 2007
Handlungsansätze für ein wohnungswirtschaftliches Siedlungsmanagement vorgestellt hat.
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Zur Abfederung des „Wundertüteneffekts“ bei der Sanierung von Altbauten könnte die Einrichtung
eines Risikofonds von Banken und Sparkassen Planungssicherheit bieten. Die Schwierigkeit,
Sanierungskosten von Fachwerkbauten richtig abzuschätzen, schreckt Bauwillige bislang häufig von
der Geldaufnahme für Sanierungsmaßnahmen ab. In Fällen, die auch von Bausachverständigen als
hoch risikobehaftet eingestuft werden, könnte dieser Fonds eintreten.
Des Weiteren ist zu prüfen, ob die Kommunen, Wohnungsbaugesellschaften und Kreditinstitute sich
selber stärker in die Sanierung von Gebäuden und Quartieren durch Ankauf, Sanierung und
Weiterveräußerung sowie Abbruch und Renaturierung einbringen können. Sparkassen und
Volksbanken könnten durch entsprechende Kreditprogramme die städtebaulichen Zielsetzungen
unterstützen.
In Rahmen des Modellvorhabens wurde die Frage diskutiert, wie sich der Abriss der Gebäude, deren
Eigentümer über keine ausreichende finanzielle Basis verfügen, realisieren lässt. Grundsätzlich liegt
eine Möglichkeit in der Gestaltung der Grundsteuer. Nach diesen Überlegungen würde jeder
Eigentümer mit seiner Steuerzahlung für den möglichen Rückbau vorsorgen. Die zweite Möglichkeit
besteht in der Schaffung eines Abrissfonds, der aus dem Grundsteueraufkommen und weiteren
Quellen gespeist werden könnte.
Der demographische Wandel verlangt im Hinblick auf die Gefährdung von Grundzentren einen
intensiven Gedankenaustausch und vernetzte Lösungsansätze. Eine Vielzahl der aus dem
Bevölkerungsrückgang resultierenden Veränderungen (beispielsweise im öffentlichen Nahverkehr) ist
nur in regionaler Zusammenarbeit lösbar. Baulandreserven auf Jahrzehnte oder noch länger
anzulegen ist für die einzelnen Gemeinden kontraproduktiv. Eine regional abgestimmte
Siedlungsflächenentwicklung sollte im Gegenstromprinzip mit örtlichen Konzepten erarbeitet werden.
Dabei ist zu prüfen, wie weit die Möglichkeiten freiwilliger Zusammenarbeit reichen und zu welchem
Zeitpunkt mehr Verbindlichkeit in den Vereinbarungen verankert werden kann/muss.
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Nur wenn sich alle Gemeinden an Abstimmungen, Richtlinien und Vorgaben halten, haben lokale
Konzepte, in denen es immer auch um schmerzliche Einschränkungen gehen wird, Aussicht auf
Erfolg. Kommunen, die den Paradigmenwechsel von der Orientierung auf Wachstum zur Orientierung
auf Qualifizierung und Umbau vollziehen wollen, dürfen im Wettbewerb um Bürgerinnen und Bürger
keine Nachteile entstehen. Getroffene Absprachen müssen verbindlich gemacht sein. Insbesondere
muss sichergestellt werden, dass die Kommunen, die zugunsten regionaler Absprachen entscheiden
und sich an getroffene Vereinbarungen halten, gegenüber anderen, weniger kooperationswilligen
Städten und Gemeinden nicht benachteiligt werden. Das genaue Gegenteil muss eintreten: Wer im
regionalen Kontext entscheidet, muss mindestens davon auch profitieren. Sollte eine regionale
Lösung in dieser Frage zumindest kurzfristig nicht gelingen, ist auch denkbar, dass
Nachbargemeinden durch vertragliche Vereinbarungen versuchen, ruinösen Wettbewerb abzubauen.
Durch das Modellvorhaben wurde die Frage erörtert, ob die Instrumente der Dorferneuerung mit dem
Ziel weiterentwickelt werden sollten, dem Ausbluten von Ortskernen effektiv entgegenzutreten. Eine
Möglichkeit zur Bearbeitung des Themas mit externen Mitteln liegt in dem im Mai 2008 in Berlin
vorgestellten Programm „Aktive Stadt- und Ortsteilzentren“.
Darüber hinaus geht es jetzt darum, weitere Programme daraufhin zu überprüfen, ob sie geeignet
sind, der im ländlichen Raum geschilderten Problemlage zu begegnen. Viele Gemeinden sind mit der
Entwicklung von Anpassungsstrategien sowie der Umsetzung einzelner Maßnahmen (insbesondere
dem teilweise notwendigen Abriss von Gebäuden) überfordert. In der Auswertung des
Modellvorhabens sollte in Abstimmung mit dem für Städtebau zuständigen Niedersächsischen
Sozialministerium überlegt werden, ob eine modifizierte Schwerpunktsetzung zugunsten des
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ländlichen Raums in den Bundesprogrammen wie „Soziale Stadt“ und „Stadtumbau-West“ erforderlich
wird.
Viele historische Häuser können in der jetzigen Form nicht dauerhaft erhalten bleiben. Die Räume
sind niedrig, die sanitären Anlagen sind sanierungsbedürftig und erforderliche Umbaumaßnahmen
sind unter energetischen Aspekten sowie der Berücksichtigung der Altengerechtigkeit kaum
durchführbar. Die selbst nach einer Sanierung erzielbaren Mieten sind jedoch häufig nicht hoch
genug, um eine Wirtschaftlichkeit der Maßnahmen zu erreichen. Gleichzeitig soll der Denkmalschutz
dafür sorgen, dass die identitätsstiftende Wirkung von Fachwerkhäusern erhalten bleibt. Zu Fragen
wie diesen sollte auf der Grundlage des vorliegenden Abschlussberichts deshalb eine gemeinsame
Veranstaltung mit Vertretern der Denkmalpflege stattfinden.
Geprüft werden sollte die Aufstellung eines Flächenkatasters als Bestandsaufnahme aller
Entwicklungsflächen in Flächennutzungs- und Bebauungsplänen, Baulücken, Brach- und Freiflächen
und Leerstände einschließlich der Bewertung der Eignung der Flächen für die Gemeindeentwicklung.
Damit könnte Transparenz über vorhandene Flächenpotentiale geschaffen und die Planungen der
Gemeinden sowie Abstimmungsprozesse untereinander gefördert werden.
Beim Regionalverband Südniedersachsen gibt es Bestrebungen, das Thema in enger Kooperation mit
der Niedersächsischen Landesregierung, der Landkreisen sowie interessierten Städten und
Gemeinden weiter zu bearbeiten. Dazu soll am 28 Januar 2009 im Gemeindezentrum in Rosdorf eine
ganztätige Konferenz stattfinden.