Schriftliche Hausarbeit zur Prüfung für das Lehramt an Gymnasien
Thema der Arbeit:
Disziplin und Leidenschaften:
Raumsoziologische und massenpsychologische Aspekte von
Stadionarchitekturen und –besuchen
Beurteilender Hochschullehrer:
Prof. Dr. Thomas Alkemeyer
Zweitgutachter:
Thomas Pille
Name des Kandidaten:
Hauke Meyer
Oldenburg, den 20.11.2006
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Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung 1
2. Die Masse – eine erste Annäherung 3
2.1. Der negative Massenbegriff bei Gustave Le Bon 5
2.2. Le Bon und seine Zeitgenossen 10
3. Der Begriff ,Masse’ bei Elias Canetti 13
4. Der Konflikt: Die Masse im Stadion 17
4.1. Raumsoziologische Überlegungen 18
4.2. Die offene und geschlossene Masse 20
4.3. Die Masse als Ring und die stockende Masse 24
5. Der Begriff ,Macht’ bei Michel Foucault 265.1. Disziplin als Machttechnologie 29
5.2. Klausur und Parzellierung 31
5.3. Der Panoptismus – das Stadion als panoptischer Raum 33
5.4. Der Panoptismus als disziplinierende Machttechnologie im Stadion 36
5.5. Die Stadionarchitektur als panoptische Raumorganisation 39
5.6. Macht als Beziehung 42
5.7. Macht als Norm 43
5.8. Macht als Haltung: Das Sitzen und der Stuhl 45
6. Die Produktion des Individuums 48
7. Neue Massenformen 52
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7.1. Die visuelle Masse 53
7.2. Die imaginäre Masse 55
7.3. Die auditive Masse 56
8. Das Stadion: Erregung architektonisch planen 57
9. Die architekturhistorischen Vorbilder Theater und Kolosseum 61
9.1. Das Theater 61
9.2. Das Kolosseum 63
10. Die Arena: Placelessness als Prinzip 66
11. Die disziplinierende Wirkung der Arenenarchitektur 70
12. Der Stadionbesuch als Fest 73
13. Arena und Stadion als Festplatz: Ort und Zeit des Verbotenen 77
14. Der Stadionbesuch: Die feierliche Selbstvergewisserung der Masse 81
15. Inszenierung von Gemeinschaft und Gleichheit 85
16. Das Stadion als Heterotopie 89
17. Das Stadion und der Stadionbesuch: Konsequenzen der Disziplinargesellschaft 91
18. Fazit 94
19. Literaturverzeichnis 97
3
1. Einleitung
Stadien gehören mit zu den größten architektonischen Projekten unserer Zeit. Das
Stadion selbst fungiert als Bedeutungsträger, spiegelt in seiner Architektur
gesellschaftliche Entwicklungen wider und wirkt dadurch mit seiner Architektur zurück
auf die Menschenmassen, die sich beim Stadionbesuch in ihm versammeln.
Dieser Sachverhalt wirft die Frage auf, worin die Wirkung der Stadionarchitektur beim
Stadionbesuch genau besteht. Der Titel dieser Arbeit gibt es vor: Disziplin und
Leidenschaft. Es soll deshalb der Frage nachgegangen werden, wie die Menschenmasse
innerhalb eines Stadions diszipliniert werden kann, und wie gleichzeitig deren Ausleben
von Leidenschaft ermöglicht und gesteigert wird. Dabei spielen raumsoziologische und
massenpsychologische Aspekte eine entscheidende Rolle. Diese sollen im
Zusammenhang mit dieser Arbeit näher erläutert werden.
Die Fragestellung dieser Arbeit wird durch die folgenden Aussagen von Bette und
Schimank (1996: 63) umrissen: ,,Gesellschaftliche Modernisierung bedeutet
Affektdämpfung und Körperdisziplinierung“. Diese müssen sich auch architektonisch in
den Stadien niederschlagen. Gleichzeitig sind die massenhaften und frenetischen
Jubelorgien aus Stadien bekannt, was vermuten lässt, dass es möglich zu sein scheint,
,,die Regeln des ,,guten Benehmens“ auf der Tribüne [...] wenigstens kurzzeitig außer
Kraft zu setzen“ (ebd.: 63).
Die Verbindung von Disziplin und Leidenschaft mutet dabei zunächst einmal
widersprüchlich an, verhalten sie sich doch eigentlich diametral zueinander. Trotzdem
gehen sie in der Stadionarchitektur und beim Stadionbesuch eine Verbindung ein, was
durch das Wesen des Stadions selbst ermöglicht wird: ,,The stadium is an ambiguous
place“ (Bale 1995: 11). Das Stadion ist ein zweideutiger Raum, der es ermöglicht,
verschiedene Intentionen miteinander zu verbinden, wodurch der Vorwurf der
Widersprüchlichkeit entkräftet wird.
Der Feststellung, dass das Stadion einen mehrdeutigen Charakter besitzt, ist geradezu
konstitutiv für das Verständnis dieser Arbeit. Im Verlauf dieser Arbeit können diese
Zweideutigkeiten demnach nicht aufgelöst werden, sondern es gilt herauszufinden, wie
sie architektonisch generiert werden, worin sie bestehen und warum sie existieren.
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Bedingt durch die Doppeldeutigkeit des Stadions gliedert sich diese Arbeit in zwei
Teile. Die Zweiteilung erfolgt aber nicht an dem Paar Raumsoziologie und
Massenpsychologie, denn diese Aspekte sind, wie sich zeigen wird, in Bezug auf
Disziplin und Leidenschaft stets miteinander verbunden. Die Teilung erfolgt eher in
Bezug auf die Kategorien Disziplin und Leidenschaft. Der erste Teil dieser Arbeit (bis
einschl. Kapitel 6) geht verstärkt der Frage nach, wie die Menschenmasse innerhalb
eines Stadions diszipliniert wird. Der zweite Teil (Kapitel 8 ff.) erörtert die Frage, wie
innerhalb des Stadions Leidenschaft generiert und intensiviert wird, wobei auch hier
immer wieder Aspekte der Disziplinierung hervortreten.
Zu Beginn der Arbeit (Kapitel 2 ff.) wird der Begriff ,Masse’ aus einer historischen
Perspektive heraus, die insbesondere von Gustave Le Bon geprägt worden ist, näher
definiert werden, um besser verstehen zu können, warum die geläufigen Vorstellungen
von der Masse bis heute negativ besetzt sind. Im Anschluss daran (Kapitel 3 ff.) wird
der Massenbegriff bei Elias Canetti dargelegt und in Verbindung mit
Stadionarchitekturen gebracht (Kapitel 4 ff.), wodurch das zu erörternde Konfliktfeld
dieser Arbeit aufgespannt wird. Die Auseinandersetzung mit der Theorie Michel
Foucaults (Kapitel 5 ff.) und deren Übertragung auf Stadionarchitekturen ermöglicht
einen Erkenntnisgewinn hinsichtlich der Disziplinierung der Masse. Die Erörterung der
,neuen Massenformen’ (Kapitel 7 ff.) deutet darauf hin, dass es Bestrebungen gibt, sich
der Disziplinierung zu widersetzen beziehungsweise die Leidenschaft der Masse in
leichter zu kontrollierenden Bahnen zu lenken. Die Kapitel 8, 9 ff. und 10 zeigen, wie,
bedingt durch die spezifische Architektur des Stadions, das Ausleben der Leidenschaft
intensiviert wird, wobei in Kapitel 11 auf die disziplinierende Wirkung der
Arenenarchitektur eingegangen wird. Zum Abschluss wird untersucht, warum gerade im
Stadion das Ausleben von Leidenschaft ermöglicht wird (Kapitel 12 und 13), worin die
Besonderheiten des Stadionbesuchs liegen (Kapitel 14 und 15) und warum das Stadion
kein widersprüchlicher Raum ist (Kapitel 16 und 17).
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2. Die Masse – eine erste Annäherung
Um sich mit den massenpsychologischen Aspekten von Stadionarchitekturen und -
besuchen näher zu beschäftigen, muss der Begriff ,Masse’ präzisiert werden. Was genau
ist unter einer Masse im psychologischen Sinne zu verstehen?
Eine erste Annäherung an diesen Begriff liefert Reiwald (1948: 15): ,,Masse, das ist
zunächst eine Anzahl von Menschen, die durch irgendwelche Bindungen
zusammengehalten werden und bei denen gerade ihre Anzahl von Bedeutung ist“. Trotz
dieser allgemein gehaltenen Definition des Begriffs ,Masse’ finden sich doch zwei
wesentliche Aspekte. Zum einen den der Größe der Anzahl von Menschen, die es
braucht, um eine Masse zu bilden und zum anderen den der Bindungen, um sie
zusammenzuhalten. Eine Masse, so erscheint es, das ist zunächst einmal eine
Ansammlung von vielen Menschen. Obwohl Reiwald die Anzahl als bedeutend für die
Masse betont, erscheint doch der von ihm genannte Aspekt der ,Bindungen’ ungleich
wichtiger für die Konstitution einer Masse. Eine bloße Ansammlung von Menschen in
großer Zahl ist keine Masse. Es bedarf mehr, um eine Masse entstehen zu lassen und die
,Bindungen’ scheinen konstitutiv für ihr Entstehen zu sein. Erst durch die ,Bindungen’
wird eine Anzahl von Menschen zur Masse und die Massenpsychologie lokalisiert diese
,Bindungen’ auf der psychologischen Ebene des Individuums, das, wenn es Teil einer
Masse wird, eine Veränderung seines psychologischen Zustands erfährt. Reiwald (ebd.:
16) fasst diese Sichtweise der Psychologen zusammen, indem er formuliert: ,,Mitglied
einer Masse werden, bedeutet für sie die Veränderung des psychischen Status des
Individuums“.
Die Psychologie billigt dem einzelnen Individuum ganz bestimmte
Charaktereigenschaften zu, die dabei helfen, es als ein solches zu kennzeichnen.
Reiwald (ebd.: 16) bemerkt dazu: ,,Sie schreiben dem Menschen als Individuum eine
ganz bestimmte affektive und geistige Haltung zu, die normale, ausgezeichnet vor allem
durch die Herrschaft des Bewusstseins“. In der Masse aber befreit sich das einzelne
Individuum von diesen Eigenschaften und zeichnet sich nun durch ein anderes
Verhalten und durch andere Eigenschaften aus. Reiwald (ebd.: 16) schreibt: ,,In der
Masse kommt es dagegen zu einer starken Affektsteigerung, zu einem Durchbruch des
Unbewussten, und demgegenüber zu einer Schwächung, ja einem völligen
Verschwinden der intellektuellen Besinnung und der moralischen Kraft“. Das
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Individuum zeigt demnach innerhalb der Masse ein anderes Verhalten und andere
Eigenschafen als außerhalb dieser. Mitglied einer Masse zu sein, kennzeichnet sich für
das Individuum vor allem durch ,,den psychologischen Vorgang selbst, durch den das
Individuum vorübergehend seinen Charakter oder doch wenigstens sein Verhalten
verändert und mit den übrigen Massenmitgliedern zu einer Einheit verschmilzt“
(Reiwald 1948: 16). Die Massenkonstitution ist ein psychologischer Prozess mit
spezifischen Veränderungen auf der Seite des Individuums und mündet in der
Konstitution der Masse als einheitliches Gebilde. Diese Einheit wird durch ,Bindungen’
zusammengehalten. In Bezug auf die ,Bindungen’ konnte bisher lediglich festgestellt
werden, dass sie auf der Ebene der Psychologie anzusiedeln sind. Welcher Art diese
,Bindungen’ genau sind, darüber macht Reiwald keine Angaben. Aufschluss darüber
findet sich bei Gustave Le Bon, dessen Arbeit die Massenpsychologie und die
Vorstellungen von der Masse und von ihrem Charakter bis heute geprägt hat (vgl.
Kapitel 2.1.).
Bisher konnte die Masse als einheitliches Gebilde definiert werden, innerhalb dessen
das Individuum durch das Unbewusste und seine Affekte gelenkt wird und sich seines
Intellekts und seiner Moral entledigt. Ähnlich beschreibt es Moscovici (1984: 13), der
seiner Definition der Masse aber noch wichtige Kriterien hinzufügt: ,,Eine Masse ist ein
transitorisches Ensemble von gleichrangigen, anonymen und ähnlichen Individuen,
innerhalb dessen die Ideen und Emotionen eines jeden dazu neigen, sich spontan
auszudrücken. [...] Die Verbote der Moral sind hinweggefegt und mit ihnen die Lehren
der Vernunft. Der Einfluss gesellschaftlicher Rangordnungen schwindet. Die
Unterschiede zwischen verschiedenen Typen von Menschen verwischen sich, und die
Menschen leben [...] ihre Träume und Leidenschaften aus [...]“. Die Masse ist als
vorübergehendes Phänomen zu verstehen und ist stets durch den Zerfall in ihrer
Existenz bedroht. Durch den Zerfall aber würden die Individuen wieder auf ihre
Individualität zurückgeworfen und die Unterschiede zwischen ihnen würden wieder
sichtbar. Die Masse hingegen ermöglicht es, eine Einheit zu werden. Die Unterschiede
zwischen den Individuen verschwinden und ihre Individualität geht verloren. Demnach
ist das Erlebnis der Einheit konstitutiv für die Masse. Im Erlebnis der Einheit liegt ein
erster Ansatzpunkt zur Erklärung der ,Bindungen’, die für die Entstehung einer Masse
als notwendig beschrieben worden sind.
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Reiwald und Moscovici fassen in den hier zitierten Aussagen die gängigen
Vorstellungen der Psychologie und ihrer Vertreter von der Masse und ihrem
spezifischen Wesen zusammen. Die Masse und ihr Verhalten, beziehungsweise das
Individuum und seine Charaktereigenschaften in der Masse, erfahren eine negative
Einschätzung.
Wie konnte es zu einer negativen Beurteilung der Masse und des Individuums in der
Masse kommen? Diese Vorstellungen sind vor allem durch die Arbeit von Gustave Le
Bon beeinflusst: ,,Beginnend mit dem Werk von Gustave Le Bon [...] wurde allgemein
die Ansicht vertreten, dass kollektives Verhalten zu einem Verlust des individuellen
Gefühls für das Selbst und für die Identität wie auch zu einem Verlust der Fähigkeit zu
rationalen Entscheidungen und Verhaltensweisen führt“ (Tedeschi u.a. 1998: 95). Das
Werk von Gustave Le Bon soll im folgenden Kapitel näher betrachtet werden.
2.1. Der negative Massenbegriff bei Gustave Le Bon
Um das Zusammenwirken von Stadionarchitektur und Massenpsychologie besser zu
verstehen, ist eine nähere Beschäftigung mit Gustave Le Bon (1841 – 1931) hilfreich.
Sein Buch ,,Psychologie des foules“ (dt.: ,,Psychologie der Massen“) von 1895 hat die
Vorstellungen von der Masse, die notwendigen Bedingungen für ihre Entstehung und
von ihrem Verhalten bis heute entscheidend beeinflusst: ,,Die Urteile Le Bons sind in
der weitverbreiteten affektiven Abneigung gegen die Masse nach wie vor präsent“
(Gamper 1999: 55). Le Bon war Arzt, beschäftigte sich aber ebenso mit Psychologie
und Soziologie.
Le Bon (1968: 10) schreibt: ,,Unter bestimmten Umständen [...] besitzt eine
Versammlung von Menschen neue, von den Eigenschaften der einzelnen, die diese
Gesellschaft bilden, ganz verschiedene Eigentümlichkeiten. [...] Es bildet sich eine
Gemeinschaftsseele [...] Die Gesamtheit ist nun das geworden, was ich [...] als
psychologische Masse bezeichnen werde. Sie bildet ein einziges Wesen und unterliegt
dem Gesetz der seelischen Einheit der Massen“.
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Diese allgemeine Beschreibung von Le Bon beinhaltet bereits wesentliche Aspekte, die
näher betrachtet werden sollen: Eine Masse benötigt bestimmte Voraussetzungen um
entstehen zu können, sie besitzt andere Eigenschaften als die sie bildenden Individuen
und als Ganzes betrachtet ist sie ein beseeltes Wesen. Eine Masse unterscheidet sich
demnach in mehreren Punkten von einer bloßen Ansammlung von Menschen, die
keineswegs als Masse zu bezeichnen ist.
Das von Le Bon formulierte Gesetz von der seelischen Einheit der Masse scheint
konstituierend für die Massenbildung zu sein. Die Gemeinschaftsseele ist das, was die
Masse gegenüber einer Ansammlung einzelner Individuen besonders unterscheidet,
denn ,,durch den bloßen Umstand ihrer Umformung zur Masse besitzen sie eine Art
Gemeinschaftsseele, vermöge deren sie in ganz andrer Weise fühlen, denken und
handeln, als jedes von ihnen für sich fühlen, denken und handeln würde“ (ebd.: 13). Die
Gemeinschaftsseele ermöglicht das Zusammengehen der Individuen zur Masse. Sie ist
das mentale Element, das vereinheitlichend wirksam wird und das das stiftet, was von
Reiwald als ,Bindungen’ beschrieben worden ist. Der Prozess der Konstitution der
Masse als Subsumierung der Individuen zu einer Gemeinschaftsseele wird auf der Seite
des Individuums ermöglicht durch ,,das Schwinden der bewussten Persönlichkeit und
die Orientierung der Gefühle und Gedanken nach einer bestimmten Richtung“ (Le Bon
1968: 11). Die Bildung der Gemeinschaftsseele als entscheidendes Moment für die
Entstehung einer Masse bleibt also nicht ohne Konsequenzen für das Individuum
innerhalb dieser Masse, denn Le Bon (ebd.: 14) schlussfolgert: ,,In der
Gemeinschaftsseele verwischen sich die Verstandesfähigkeiten und damit auch die
Persönlichkeit der einzelnen. Das Ungleichartige versinkt im Gleichartigen, und die
unbewussten Eigenschaften überwiegen“. Um Teil einer Masse werden zu können,
müssen die Individuen also ihre bewusste Persönlichkeit, die sie voneinander trennt,
aufgeben, um das gleichsam höher liegende Ziel der Gemeinschaftsseele zu erreichen.
Diesen Vorgang meint Le Bon, wenn er von der bereits oben zitierten Ausrichtung der
Gedanken und Gefühle auf eine Richtung hin spricht. Die Masse zeichnet sich also
durch eine gedanklich-innere und eine nach außen hin sichtbare Homogenität aus, die
die Heterogenität der einzelnen Individuen verschwinden lässt. In seiner
Auseinandersetzung mit Le Bon fasst Freud (1977: 13) diesen Sachverhalt treffend
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zusammen: ,,In der Masse, meint Le Bon, verwischen sich die individuellen
Erwerbungen der Einzelnen, und damit verschwindet deren Eigenart. Das [...]
Unbewusste tritt hervor, das Heterogene versinkt im Homogenen“.
Die Aufgabe der eigenen Persönlichkeit ermöglicht es auch erst, die Masse als ein
beseeltes Wesen entstehen zu lassen. Das Ablegen der eigenen Individualität und
Persönlichkeit ist nötig, um dem Gemeinschaftswesen Masse gleichsam eine Seele zu
geben. Diesem beseelten Wesen Masse müssen spezifische Charaktereigenschaften zu
eigen sein. Da sich die Masse als beseeltes Wesen aber immer noch aus Individuen
konstituiert, müssen die Eigenschaften des Individuums in der Masse näher bestimmt
werden, um von diesen auf den Charakter der Masse schließen zu können. Le Bon
schreibt dazu: ,,Die Hauptmerkmale des einzelnen in der Masse sind also: Schwinden
der bewussten Persönlichkeit, Vorherrschaft des unbewussten Wesens, [...]. Der einzelne
ist nicht mehr er selbst, er ist ein Automat geworden, dessen Betrieb sein Wille nicht
mehr in der Gewalt hat“ (ebd.: 17). Kennzeichnend für das Individuum in der Masse ist
demnach, dass es vom Unbewussten beherrscht wird. Das im Individuum angelegte
Unbewusste tritt hervor und wird handlungsleitend wirksam. Das Individuum in der
Masse verliert Le Bon nach also gerade die Eigenschaften, die es als selbständiges
Subjekt kennzeichnen. Heinemann (1984: 72) spricht in diesem Zusammenhang von
,,Entpersönlichung“ und Reiwald (1948: 16) bemerkt: ,,Das Individuum – oder vielmehr
die Individualität – geht in der Masse unter“.
Diese innerpsychologischen Vorgänge auf Seiten des Individuums in der Masse
ermöglichen nun unter Einbeziehung von drei Ursachen das Hervortreten der
spezifischen Charaktereigenschaften der Masse selbst. Diese die Charaktereigenschaften
der Masse hervortreten lassenden Ursachen benennt Reiwald (ebd.: 152) in Anlehnung
an Le Bon als: ,,Allmacht, Ansteckung und Suggestion“. Le Bon selber schreibt, dass
,,der einzelne in der Masse schon durch die Tatsache der Menge ein Gefühl
unüberwindlicher Macht erlangt, welches ihm gestattet, Trieben zu frönen, die er für
sich alleine notwendig gezügelt hätte“ (Le Bon 1968: 15). Das Zusammenwirken von
Menge und das daraus abgeleitete Gefühl der Macht können als Ursache benannt
werden, die als Ergebnis in der Wirkung den Wesenszug der Triebhaftigkeit der Masse
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hervorbringen. Die Masse erlaubt das zügellose Ausleben von Leidenschaften. Als
zweite Ursache benennt Le Bon (ebd.: 15) ,,die geistige Übertragung (contagion
mentale) [...]. In der Masse ist jedes Gefühl, jede Handlung übertragbar [...]“. Die
Ansteckung kann auch als ein die Verbindung der Individuen zur Masse auslösender
Faktor interpretiert werden, denn dadurch wird es den Individuen ermöglicht, sich ihrer
persönlichen Eigenart zu entledigen und die bereits erwähnte Orientierung der
Gedanken und Gefühle auf eine Richtung hin, auf das Ziel der Gemeinschaftsseele, zu
erreichen. Als dritte Ursache benennt Le Bon (ebd.: 16) die ,,Beeinflussbarkeit
(suggestibilite)“ und er vergleicht den Zustand des einzelnen Individuums in der Masse
mit dem eines Hypnotisierten, denn ,,die bewusste Persönlichkeit ist völlig ausgelöscht,
Wille und Unterscheidungsvermögen fehlen“ (Le Bon 1968: 16).
Die durch die hier beschriebenen Ursachen hervortretenden Charaktereigenschaften der
Masse sind Le Bon zu Folge ,,Triebhaftigkeit, Reizbarkeit, Unfähigkeit zum logischen
Denken, Mangel an Urteil und kritischem Geist“ (ebd.: 19) sowie ,,Beeinflussbarkeit
und Leichtgläubigkeit“ (ebd.: 22). Die Handlungen der Masse werden angetrieben
durch das Unbewusste und das Triebhafte, weshalb ,,die Massen niemals Handlungen
ausführen können, die eine besondere Intelligenz beanspruchen“ (ebd.: 15). Die Masse
ist lediglich ein ,,Spielball aller äußeren Reize“ (ebd.: 19), denn nichts ist ,,bei den
Massen vorbedacht“ (ebd.: 20). Für Le Bon (ebd.: 21) ist die Masse ,,ebenso unfähig zu
ausdauerndem Wollen wie zum Denken“ und für ihn ,,muss die Masse, die stets an den
Grenzen des Unbewussten umherirrt [...], von der Heftigkeit ihrer Gefühle erregt wird
[...], alles kritischen Geistes bar, von einer übermäßigen Leichtgläubigkeit sein“ (ebd.:
22). Das einzelne Individuum in der Masse entledigt sich aller Disziplin,
Affektkontrolle und Verantwortung. Le Bon (ebd.: 20) bemerkt, dass ,,der
alleinstehende einzelne die Fähigkeit zur Beherrschung seiner Empfindungen hat, die
Masse aber nicht dazu imstande ist“ und das außerdem ,,durch die Namenlosigkeit und
auch Unverantwortlichkeit der Masse das Verantwortungsgefühl, das die einzelnen stets
zurückhält, völlig verschwindet“ (ebd.: 15). Die schiere Größe der Masse erlaubt das
Untertauchen des Individuums und das lustvolle Frönen der Triebe: ,,Für den einzelnen
wäre es zu gefährlich, diese Triebe zu befriedigen, während ihm sein Untertauchen in
einer unverantwortlichen Masse, durch die ihm Straflosigkeit gesichert ist, völlige
Freiheit der Triebbefriedigung gewährt“ (ebd.: 36).
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Diese negativen Beschreibungen des Individuums in der Masse und der Masse an sich
enden in einer schonungslosen Feststellung Le Bons: ,,Allein durch die Tatsache, Glied
einer Masse zu sein, steigt der Mensch also mehrere Stufen von der Leiter der Kultur
hinab. Als einzelner war er vielleicht ein gebildetes Individuum, in der Masse ist er ein
Triebwesen, also ein Barbar“ (ebd.: 17). Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Le
Bon zufolge in der Masse die Errungenschaften des Individuums wie Disziplin,
Affektkontrolle, Verstand und logisches Denken offenbar verloren gehen, und dass das
Individuum sich in einem Zustand befindet, dessen alleinige Antriebskraft die
Triebhaftigkeit ist.
Die negative Einschätzung Le Bons erklärt sich aus seiner historischen Perspektive.
Dingeldey (1968: 18) schreibt in seiner Einführung zu Le Bons ,,Psychologie der
Massen“ , dass Le Bon ,,ein Kind des Jahrhunderts war, in dem Frankreich mehrere
Staatsumwälzungen, daneben aber auch noch andere revolutionäre Massenbewegungen
und Massenaufstände erlebt hat, die sämtlich in die Zeit von Le Bons Kindheit bis zum
Erscheinen seiner berühmten Schrift fielen“. Als Angehöriger des Bürgertums sah Le
Bon sich durch die Masse in seinem Stand und Status als bürgerliches, autonomes und
rationales Individuum gefährdet, zumal die Masse in ihm auch die ,,Erinnerung an die
Schreckenszeit der Französischen Revolution“ (ebd.: 18) wachgerufen haben dürfte:
,,Von daher wird auch verständlich, dass der Begriff ,,Masse“ für Le Bon nachgerade
zum Inbegriff von Umsturz und Gewalt, ja des schlechthin Gefährlichen werden
konnte“ (ebd.: 18). Für Le Bon wurde die Masse zu etwas Bedrohlichem: ,,Die Masse
machte ihm Angst“ (Michalzik 1995: 92). Wie Gamper (1999: 55) feststellt, gilt für Le
Bon ,,die Masse als virulente Bedrohung der Individualität bürgerlicher Prägung“. In Le
Bons negativer Beurteilung der Masse ist zu erkennen, dass er ,,dem bürgerlichen
Programm der Zähmung und Unterwerfung der Leidenschaften“ (König 1992: 14 – 15)
verschrieben ist.
Gustave Le Bon ist mit seiner negativen Einschätzung der Masse und des Individuums
in der Masse nicht alleine geblieben. Unterstützung erhält er durch seine Zeitgenossen
Gabriel Tarde (1834 – 1904), Scipio Sighele (1868 – 1913), Guy de Maupassant (1850 –
1893), Antonio Gramsci (1891 – 1937) und Hippolyte Taine (1828 – 1893). Sie alle
argumentieren aus einer ähnlichen Perspektive heraus wie Le Bon und haben damit an
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der Durchsetzung der bis heute präsenten Vorstellung von der Masse mitgewirkt: ,,Die
traumatischen Leitbilder der genannten Theoretiker scheinen durchaus heute noch in
untergründiger Erinnerung weiterzuleben, ferne Reminiszenzen an Revolten und
Aufstände proletarischer Massen, die das Bürgertum des 19. Jahrhunderts tief erschreckt
haben“ (Gebauer / Hortleder 1986: 266). Auf die Zeitgenossen Le Bons und deren
Beurteilung der Masse soll im folgenden Kapitel eingegangen werden.
2.2. Le Bon und seine Zeitgenossen
Unterstützung erhält Le Bon in seinen Ansichten in Bezug auf die Masse und das
Individuum in der Masse aus verschiedenen Richtungen.
Antonio Gramsci, italienischer Schriftsteller und Philosoph, der sich eingehend mit dem
Wesen der Masse auseinandergesetzt hat, schreibt: ,,Das eine Menge von Personen, von
unmittelbaren Interessen beherrscht, oder von Leidenschaften, die durch
augenblickliche, unkritisch von Mund zu Mund gehende Eindrücke hervorgerufen
wurden, sich zu den schlimmsten gemeinsamen Entscheidungen zusammenfindet, die
den niedrigsten tierischen Instinkten entspricht. Die Beobachtung ist richtig und
realistisch [...]. Sie ist [...] ohne Verantwortung gegenüber anderen Menschen oder
Menschengruppen [...]“ (Gramsci 1953: 149). Genau wie Le Bon betont auch Gramsci,
dass das Individuum in der Masse nicht von seinem Bewusstsein, sondern von seinen
Affekten kontrolliert wird. Es hat sich seiner Vernunft entledigt und sich mit diesem
Rückschritt dem Tier gleichgestellt.
Ähnlich sieht es der französische Schriftsteller Guy de Maupassant, der vor allem die
mangelnde Intelligenz der Masse gegenüber dem Individuum hervorhebt: ,,Die
Qualitäten der intellektuellen Initiative, des freien Willens, der verständigen Überlegung
und selbst der Klarsichtigkeit, die jeder besitzt, wenn er für sich ist, verschwinden im
allgemeinen, sobald er sich in einer großen Menge von Menschen befindet“
(Maupassant 1979: 102).
Das bereits erwähnte Zurückfallen des Menschen in der Masse in einen archaischen
Zustand, der die Triebhaftigkeit und Wildheit des Menschen wieder offen legt,
beschreibt auch Hippolyte Taine, ein französischer Philosoph, Historiker und
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Schriftsteller. Für ihn ist der Mensch in der Masse ,,in den Naturzustand zurückgefallen.
Die dünne Hülle von vernünftigen Gewohnheiten und Gedanken, die die Zivilisation
über ihn geworfen hat, ist zerrissen und umflattert ihn in Fetzen [...]. Er wird nunmehr
einzig und allein von tierischen Bedürfnissen beherrscht, von einfältigen und rohen,
blutdürstigen und komischen Launen“ (Taine: Bd. I, S. 502).
Auch aus dem Lager der Psychologie und Soziologie erhält Le Bon Zuspruch. Gabriel
Tarde, französischer Soziologe und Psychologe, kritisiert an der Masse ,,ihre
erstaunliche Intoleranz, ihren grotesken Stolz, ihre krankhafte Empfindlichkeit, das
Gefühl ihrer Unverantwortlichkeit, in das sie vernarrt ist und das dem Gefühl ihrer
Allmacht entstammt, der vollkommene Verlust für Maß, das die Erregung bis zum
äußersten steigert“ (Tarde 1901: 36) und reiht sich damit inhaltlich in die schon
erwähnten Kritiker der Massen ein.
Als letztes soll auf den italienischen Psychologen und Soziologen Scipio Sighele
hingewiesen werden, der schreibt, dass in der Masse eine generelle ,,Tendenz der
Wildheit“ (Sighele 1897: 82) herrscht, die sie dazu befähigt im einzelnen Individuum
die Leidenschaften auszulösen, ,,die der menschlichen Seele sonst fremd sind“ (ebd.:
103). Er bezeichnet die Masse als ein ,,tausendköpfiges Monster“ (ebd.: 209), das die
charakteristischen Züge des zivilisierten Individuums wie Disziplin, Affektkontrolle
und Verstandeskraft negiert und in dem deshalb die Wildheit jederzeit zum Ausbruch
kommen kann: ,,Das für sich stehende Individuum ist ziemlich schwer entzündlich [...],
die Masse aber verhält sich immer wie ein Haufen trockenen Pulvers“ (ebd.: 86).
Dieser kurze Überblick hat gezeigt, dass Gustave Le Bon, obwohl er als Begründer der
Massenpsychologie gilt und sein Werk das bis heute Einflussreichste geblieben ist, nicht
als einziger für das negative Bild von der Masse verantwortlich ist. Er und seine
Zeitgenossen haben die Ansichten über die Masse nachhaltig geprägt. Es ist deutlich
geworden, dass ihrer Ansicht nach die Masse sich durch das zügellose Ausleben all
dessen auszeichnet, was im Individuum zur Kontrolle und Disziplin gebracht worden
ist. Moscovici (1984: 30) fasst die Aussagen der hier präsentierten Kritiker in seiner
Auseinandersetzung mit ihnen treffend zusammen: ,,Gruppen und Massen leben unter
dem Druck von starken Emotionen, von extremen Gefühlsbewegungen. Und das um so
mehr, als ihnen zur Beherrschung ihrer Affekte die Mittel der Intelligenz nicht
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ausreichend zur Verfügung stehen. Ein einzelnes Individuum findet seine Persönlichkeit
in der Masse entsprechend verändert. Ohne sich dessen übrigens immer bewusst zu
sein, wird es ein anderes. Über sein Ich hinweg spricht die Stimme des Wir“.
Es ist deutlich geworden, dass zwischen dem Wesen des Individuums und dem Wesen
des Individuums in der Masse ein Gegensatz besteht. Das Individuum und die Masse
bilden ein gegensätzliches Paar, das unvereinbar scheint, da die ihnen spezifischen
Wesenszüge verschieden sind. Sie schließen sich eigentlich gegenseitig aus, negieren
das Wesen des anderen, scheinen aus verschiedenen Zeiten, und dennoch finden sie
zusammen. König (1992: 144) beschreibt diese eigentliche Unvereinbarkeit als die von
Le Bon und seinen Zeitgenossen entworfene ,,Auffassung, dass der Mensch in der
Masse und durch sie in ein vorzivilisatorisches Stadium des Lebens zurückfällt“. Darin
liegt der Konflikt zwischen Individuum und Masse: Die Masse fungiert als der Ort, an
dem das im Menschen zwar angelegte aber durch die Zivilisation als kontrolliert und
diszipliniert geglaubte Wesen der Triebhaftigkeit und Wildheit wieder zum Ausbruch
kommt. Das Unkontrollierbare bleibt im Menschen latent vorhanden und wartet auf die
Gelegenheit in Form einer Masse, um sich selbst wieder ein Gesicht zu geben.
Die Masse erweist sich in den hier präsentierten Auffassungen der Massenpsychologen
nach als scheinbar nicht zu kontrollierendes Wesen. Die ,Gemeinschaftsseele’ ist zu
stark und zu verführerisch, sodass der Einzelne sich ihr kaum entziehen kann: ,,Sie
erlangen eine gemeinsame Natur, die die jeweils eigene erstickt, sie erleben, wie sich
ein kollektiver Wille aufdrängt, der ihren Einzelwillen zum Schweigen bringt [...]“
(Moscovici 1984: 27 – 28).
Aus den hier dargestellten Vorstellungen vom Wesen der Masse, ja in gewisser Weise
aus der Gefahr heraus, die die Masse darstellt, erwächst der historische Wunsch, sie als
Ganzes zu kontrollieren, sie zu disziplinieren und sich ihres Willens zu bemächtigen.
Wenn die Bildung von Massen nicht verhindert werden kann, weil die im Individuum
angelegten Leidenschaften immer wieder hervorbrechen und in der Masse ausgelebt
werden wollen, dann soll ihr zumindest ein Raum für ihre Konstitution bereitgestellt
sein, innerhalb dessen dies geschehen kann und der sich gleichzeitig die Aufgabe stellt,
Kontrolle und Disziplin über die Masse auszuüben. Der Frage, inwiefern die
Architektur von Stadien, in denen sich Massen versammeln, dazu beigetragen hat, diese
15
Aufgabe der Kontrolle und Disziplinierung zu erfüllen, soll weiter nachgegangen
werden (vgl. Kapitel 4.2. / 4.3. / 5.2 ff.).
Zuvor allerdings soll noch auf Elias Canetti und dessen Massentheorie eingegangen
werden, denn seine Vorstellungen von der Masse sind im Hinblick auf den
Zusammenhang von der Stadionarchitektur und der Disziplinierung der Masse von
großer Bedeutung für diese Arbeit.
3. Der Begriff ,Masse’ bei Elias Canetti
Canetti sieht als entscheidendes Moment für die Massenkonstitution das ,,Umschlagen
der Berührungsfurcht“ (Canetti 1980: 10). Er geht von der Grundannahme aus, dass die
Distanzen und Hierarchien, die jeder zwischen sich und anderen Menschen aufbaut, aus
dem Widerwillen und der Angst resultierten, von anderen und unbekannten Menschen
berührt zu werden: ,,Alle Abstände, die die Menschen um sich geschaffen haben, sind
von dieser Berührungsfurcht diktiert“ (ebd.: 9). In der Masse aber wird das Individuum
von dieser Angst befreit und die Berührungsfurcht kehrt sich in das direkte Gegenteil
um, in ein ,berühren wollen’ und ein ,berührt werden wollen’. Diese beiden Wesenszüge
können als die charakteristischen Merkmale der Masse im Sinne Canettis beschrieben
werden. Canetti (ebd.: 10) schreibt: ,,Es ist die Masse allein, in der der Mensch von
dieser Berührungsfurcht erlöst werden kann. Sie ist die einzige Situation, in der diese
Furcht in ihr Gegenteil umschlägt. Es ist die dichte Masse, die man dazu braucht, in der
Körper an Körper drängt, dicht auch in ihrer seelischen Verfassung, nämlich so, dass
man nicht darauf achtet, wer es ist, der einen bedrängt“. Die Masse, die das Individuum
sucht, ist die dichte und enge Masse. In ihr werden Berührungen ermöglicht und die
eigene Wahrnehmung darüber, von wem das einzelne Individuum berührt wird,
verschwindet. Genau wie Le Bon betont auch Canetti (ebd.: 10) die innere und auch
nach außen hin sichtbare Homogenität der Masse: ,,In ihrem idealen Falle sind sich alle
gleich. Keine Verschiedenheit zählt, nicht einmal die der Geschlechter. Wer immer
einen bedrängt, ist das gleiche wie man selbst. Man spürt ihn, wie man sich selber spürt.
Es geht dann alles plötzlich wie innerhalb eines Körpers vor sich“. Nielsen (1995: 33)
16
spricht in seiner Auseinandersetzung mit Canetti von einer ,,bodily homogeneity
prevalent within the crowd“.
Canetti weist darauf hin, dass sich der Prozess der Konstituierung einer Masse vor allem
in der Bildung eines einheitlichen Gefühlskörpers widerspiegelt. Die einzelnen Körper
aller Individuen verschmelzen zu einem gemeinsamen Körper, während Le Bon den
Aspekt einer gemeinsamen Seele, der Gemeinschaftsseele, stärker hervorgehoben hat.
Damit kennzeichnet Canetti die Bildung der Masse als Prozess, an dem der Körpersinn
Fühlen entscheidenden Anteil hat, womit der Massenbildungsprozess als
physiologischer Vorgang beschrieben werden kann. Le Bon hingegen hat den
Massenbildungsprozess stärker auf der psychologischen Ebene angesiedelt und
beschreibt ihn als die Bildung einer ,Gemeinschaftsseele’ , in der sich alle Gedanken
und Gefühle auf eine Richtung hin orientieren, also einer gemeinsamen Idee
unterordnen.
Gänzlich aber spart auch Canetti ein psychologisches Moment bei der
Massenkonstitution nicht aus, dem er später sogar eine immer wichtiger werdende Rolle
zuschreibt. Es ist dieses bei ihm das sich auf der psychologischen Ebene einstellende
Gefühl der Gleichheit der Individuen in der Masse, auf das noch näher eingegangen
wird. Kuhnau (1996: 54) erkennt bei Canetti eine ,,psychologische Beschreibung der
Masse als Einheit“ und weist auf ,,die enorme Bedeutung der Masse als
Gleichheitszustand“ (ebd.: 56) hin. Mit Canettis Betonung der Masse als
Gleichheitszustand ist eine Parallele zum Massenbegriff von Le Bon gefunden, der die
Homogenität der Masse ebenfalls erwähnt. Dieser Gleichheitszustand erfährt bei beiden
jedoch eine deutlich zu unterscheidende Gewichtung. Für Le Bon spiegelt sich die
Gleichheit der Individuen in der Masse allein in der Bildung der Gemeinschaftsseele
wider, die die Unterschiede zwischen den Individuen verwischt. Die Unterordnung
unter eine gemeinsame Idee ist Ausdruck der Gleichheit. Canetti hingegen will den
Zustand der Gleichheit der Individuen in der Masse als psychologisch und körperlich -
sinnlich zugleich verstanden wissen. Das Gefühl der körperlich - sinnlich erfahrenen
Gleichheit innerhalb eines Gefühlskörpers, womit der Massenbildungsprozess
gleichsam beginnt, ist dabei Vorraussetzung für das sich daran anschließende Gefühl der
Gleichheit auf der psychologischen Ebene.
17
Canetti (1980: 26) nennt vier Eigenschaften der Masse und als eine besonders wichtige
kennzeichnet er eben jene Gleichheit: ,,Innerhalb der Masse herrscht Gleichheit. Sie ist
absolut indiskutabel und wird von der Masse selbst nie in Frage gestellt. Sie ist von so
fundamentaler Wichtigkeit, dass man den Zustand der Masse geradezu als einen
Zustand absoluter Gleichheit definieren könnte. [...] Um dieser Gleichheit willen wird
man zur Masse“. Das Gefühl der Gleichheit kann als angestrebtes Endprodukt
betrachtet werden, das am Ende des Konstitutionsprozesses der Masse steht.
Als weitere Charaktereigenschaften der Masse nennt Canetti Wachstum, Dichte und
Richtung. Hinsichtlich des Wachstums einer Masse sagt Canetti (ebd.: 26): ,,Die Masse
will immer wachsen“. Größer zu werden kann als ihr natürliches Bestreben bezeichnet
werden, sie erkennt keine Grenzen an und versucht alles und jeden mitzureißen: ,,Der
Drang der Masse zu wachsen ist die erste und oberste Eigenschaft der Masse. Sie will
jeden erfassen [...]“ und ,,ihrem Wachstum ist überhaupt keine Grenze gesetzt“ (ebd.:
11). Den Wesenszug der Dichte der Masse beschreibt Canetti (ebd.: 26) wie folgt: ,,Die
Masse liebt Dichte. Sie kann nie zu dicht sein. Es soll nichts dazwischenstehen [...], es
soll möglichst alles sie selber sein“. Das Kriterium der Dichte deutet auf den bereits
beschriebenen Abbau der zwischen den Individuen stehenden Distanzen hin. Diese
duldet die Masse nicht und sie stehen ihrer Konstitution im Wege. Als letzte
Charaktereigenschaft der Masse nennt Canetti (ebd.: 26) die Richtung: ,,Die Masse
braucht eine Richtung. Sie ist in Bewegung und bewegt sich auf etwas. Die Richtung,
die allen Angehörigen gemeinsam ist, stärkt das Gefühl von Gleichheit“. Bewegung und
Richtung können hier aber auch im übertragenen Sinne verstanden werden, und zwar als
Bewegung und Ausrichtung auf das Ziel hin, den Zustand der absoluten Gleichheit, also
den der Masse selbst, zu erreichen.
Neben das als entscheidend für die Konstitution einer Masse klassifizierte Kriterium der
Umkehrung der Berührungsfurcht tritt ein weiterer wichtiger Aspekt, der die Masse als
solche erst sichtbar und, im Sinne von Canettis Massenverständnis wohl noch
entscheidender, als sinnlich – gefühlsmäßigen Zustand fassbar macht. Es ist dies der
Vorgang der ,,Entladung“ (ebd.: 12). Canetti (ebd.:12) beschreibt ihn folgendermaßen:
,,Der wichtigste Vorgang, der sich innerhalb der Masse abspielt, ist die Entladung.
18
Vorher besteht die Masse eigentlich nicht, die Entladung macht sie erst wirklich aus. Sie
ist der Augenblick, in dem alle, die zu ihr gehören wollen, ihre Verschiedenheiten
loswerden und sich als gleiche fühlen“. Die Entladung der Masse führt zum Gefühl der
völligen Gleichheit ihrer Mitglieder. Die Masse versteht sich selbst als ein homogenes
Ganzes, und die Herstellung dieses Gefühlszustandes erfordert die gemeinsame
Anstrengung aller Individuen der zukünftigen Masse: ,,Nur alle zusammen können sich
von ihren Distanzen befreien. Genau das ist es, was in der Masse geschieht. In der
Entladung werden die Trennungen abgeworfen und alle fühlen sich gleich“ (ebd.: 13).
Distanzen und Hierarchien zwischen den Individuen weichen dem Gefühl der absoluten
Gleichheit. Diesen Zustand zu erreichen, ihn sinnlich zu erfahren, ist das Bestreben der
Masse und ihr eigentliches Ziel, gibt ihr die mentale Richtung ihrer Bewegung vor.
Canetti (ebd.: 13) beschreibt dieses Bestreben der Individuen in der Masse wie folgt:
,,Um dieses glücklichen Augenblickes willen, das keiner mehr, keiner besser als der
andere ist, werden die Menschen zur Masse“.
Die Herstellung des Gleichheitszustandes in der Masse hat auf Seiten des Individuums
aber noch eine weitere Konsequenz. Canetti (ebd.: 15) schreibt: ,,Der einzelne Mensch
selbst hat das Gefühl, dass er in der Masse die Grenzen seiner Person überschreitet“.
Das bedeutet, dass das Individuum nicht länger an seine Individualität und Identität
gebunden ist, und dass die mit diesen verbundenen und gegenüber anderen wirkenden
,,Distanzen aufgehoben sind, die ihn auf sich zurückwarfen und in sich selbst
verschlossen“ (ebd.: 15). Nielsen (1995: 33) fügt in Anlehnung an Canetti hinzu: ,,With
the body – crowd, the individual supersedes his uniformed closeness and alienation. The
crowd transcends by its conduct”. Die Masse ermöglicht es dem Individuum, über sich
selbst hinauszugehen, sich selbst zu überschreiten und seiner eigenen körperlichen
Begrenzung zu entfliehen: ,,In der Masse kommt es sogar zur Entgrenzung. Man ist
wieder Gleicher unter Gleichen. [...] Man ist von seiner Berührungsfurcht, Isolation,
Einsamkeit und Individualität befreit“ (Vaas 1995: 243). Die Entgrenzung ermöglicht es
dem Individuum, Individualität und Identität in der Masse abzulegen, quasi eine
Voraussetzung dafür, um der Massenkonstitution mit dem Ziel des Gefühls der
Gleichheit nicht im Wege zu stehen. Ähnlich interpretiert es Kuhnau (1996: 57): ,,In der
Masse werden somit die Grenzen zwischen Subjekt und Objekt auf psychischer und
physischer Ebene für das Individuum aufgehoben, so dass es zur Aufgabe seiner
19
Identität kommt“. Damit wäre eine weitere Parallele zwischen Canetti und Le Bon
gezogen, der die Aufgabe der Identität des einzelnen Individuums ebenfalls als
konstitutiv für die Massenbildung betont hat.
4. Der Konflikt: Die Masse im Stadion
Die Beschreibungen von Le Bon und Canetti über das Wesen der Masse haben gezeigt,
dass sich die Masse unter anderem durch Eigenschaften wie Kraft, Unkontrolliertheit,
Wucht und Beweglichkeit auszeichnet. Sie ist kein starres Gebilde, sondern erweist sich
als nur schwer oder gar unmöglich zu kontrollierendes und zu disziplinierendes Wesen.
Diese Charakteristik scheint auch für die Zuschauermassen in Stadien zu gelten: ,,By
means of their gathering and crowding together, the stadium spectators demonstrate
their force, strength and potential threat” (Nielsen 1995: 33). Das nun auftauchende
Spannungsfeld ergibt sich aus dem Konflikt der entsteht, wenn diese ständig unruhige
Masse mit einer baulich und räumlich feststehenden Stadionarchitektur in Einklang
gebracht werden soll: ,,The stadium, more than any other building type in the twentieth
century, has been the scene of physical confrontation between crowd and architecture“
(van Winkel 2000: 13). Die Masse und eine festgelegte Stadionarchitektur erscheinen
als unvereinbar miteinander.
Würde sich eine Masse alleine durch die Anzahl der Individuen auszeichnen, welche die
Masse konstituieren, wäre es kein Problem, das Konfliktfeld Masse – Stadion –
Architektur zu beseitigen, denn ein entsprechend großes Stadion, um die Masse
unterzubringen, ließe sich bauen. Van Winkel aber definiert den Begriff Masse wie seine
Vorgänger und deutet damit gleichzeitig auf die eigentliche Aufgabe der
Stadionarchitektur hin, die eben nicht nur darin besteht, die Masse in einem Stadion
unterzubringen: ,,If the destructive force of the crowd were simply a matter of
cumulative weight, the problem of mass accomodation would have been solved back in
the 1910s or 1920s. But a crowd entails more than static weight; its dynamic is
determined by a combination of factors, such as density movement, eagerness,
expansion and panic. Load-bearing capacity alone is never sufficient to neutralize this
20
explosive cocktail“ (ebd.: 13). Die destruktiven Kräfte der Masse sollen durch die
Architektur des Stadions neutralisiert werden und auf die Masse im Stadion soll mit
Hilfe der Architektur Einfluss genommen werden: ,,When it comes to designing a
stadium, architecture is synonymous with crowd control. [...] The architecture attempts
to impose discipline on the crowd […]“ (ebd.: 13). Ein zentraler Leitgedanke der
Stadionarchitektur ist es also, die Masse mit Hilfe der Architektur des Stadions zu
kontrollieren und zu disziplinieren. Es ist die Aufgabe der Architektur mit dem Stadion
ein Gebäude zu schaffen, welches die Eigendynamik der Masse kontrollieren kann. Dies
aber erscheint doch sehr schwierig und nahezu widersprüchlich, denn wie soll etwas
Bewegliches wie die Masse in etwas Festes wie ein Stadion integriert werden? Das
Stadion als festes, starres und unveränderliches Bauwerk mit festen Grenzen erscheint
gänzlich ungeeignet, der lebendigen und beweglichen Masse Platz zu bieten.
4.1. Raumsoziologische Überlegungen
Mit dem Stadion ist die Raumkategorie benannt worden, die in dieser Arbeit behandelt
wird. Welches Verständnis von Raum aber soll generell als Basis für die weiteren
Betrachtungen zu Grunde gelegt werden?
Dabei lassen sich zwei unterschiedliche Denktraditionen erkennen, die entweder ,,auf
der einen oder auf der anderen Grundannahme basieren: entweder es wird dualistisch
zwischen Raum und Körpern getrennt oder aber in der Tendenz monistisch Raum als
Folge der Beziehungen zwischen Körpern hergeleitet“ (Löw 2001: 17 – 18). Löw (ebd.:
269) präzisiert diesen Unterschied weiter: ,,Man unterscheidet in der Regel zwischen
absolutistischen und relativistischen Raumvorstellungen. Während vom absolutistischen
Standpunkt aus ein Dualismus angenommen wird, d.h., die Existenz von Raum und
Körper vorausgesetzt wird, sind relativistische Traditionen der Auffassung, dass Raum
die Struktur der relativen Lage der Körper bildet“. In der absolutistischen
Raumvorstellung existiert der Raum demnach per se und diese Raumvorstellung wird
von der Prämisse geleitet, ,,dass Raum unabhängig vom Handeln existiert“ (ebd.: 18).
Die relativistische Raumvorstellung hingegen geht davon aus, dass der Raum erst ,,aus
der Anordnung der Körper abgeleitet“ (ebd.: 18) werden muss. Raum existiert also in
21
dieser Vorstellung nicht von selbst, sondern wird auf der Grundlage des Handelns und
der Lagebeziehung der Körper untereinander aktiv produziert und konstituiert: ,,Räume
existieren demnach nicht unabhängig von den Körpern. Während im absolutistischen
Denken Räume die unbewegte und für alle gleichermaßen existente (deshalb
homogene) Grundlage des Handelns sind, geht im relativistischen Denken die Aktivität
des Handelns unmittelbar mit der Produktion von Räumen einher“ (ebd.: 18).
Für diese Arbeit soll eine relativistische Raumvorstellung gelten. Dabei soll aber nicht
der Prozess der Konstitution von Raum untersucht werden (vgl. Löw 2001: 152ff.). Es
geht in dieser Arbeit nicht um die Frage, wie der Stadionraum durch Handeln und durch
die Lagebeziehung von Körpern untereinander produziert und konstituiert wird.
Vielmehr soll von einer relativistischen Raumvorstellung ausgehend, die ,,Raum aus
den Lageverhältnissen“ (ebd.: 18) definiert, untersucht werden, welche Wirkung die
Lagebeziehung der Körper zueinander im Hinblick auf die Disziplinierung der Masse
und auf das Ausleben von Leidenschaft hat. Nicht die Frage, wie dieser Raum Stadion
konstituiert wird, steht im Mittelpunkt, sondern die Frage, was auf der Grundlage der
räumlich - architektonischen Anordnung des Stadions, was die Lageverhältnisse der
Körper zueinander mit einschließt, innerhalb dieses Raums geschieht, was innerhalb
dieses Raums möglich ist und was nicht möglich ist: ,,Jede Raumgestaltung, jede
architektonische Form trägt zur Situationsdefinition und -deutung bei. Sie trennt ein
innen und außen, bestimmt die Beziehungen der Menschen zueinander, präpariert
Räume mit begrenzten Handlungs- und Verhaltensmöglichkeiten und wirkt [...] als
Verständnishintergrund für die sich darin vollziehenden Ereignisse“ (Alkemeyer 1996:
308). Bereits Dietrich (1989: 187) hatte es ähnlich formuliert: ,,Vorgegebene
Raumstrukturen bieten also spezifische Handlungsmöglichkeiten an, die zwingend zu
Handlungsgeboten dort führen können, wo zusätzlich zu räumlichen Gegebenheiten und
ihren Verwendungsmöglichkeiten soziale Regeln ihrer Nutzung und ihres Gebrauchs
festgelegt sind und überwacht werden“.
Dabei wird die relativistische Raumvorstellung von Michel Foucault genauer untersucht
werden, denn Foucault (1990: 37) selbst sagt: ,,Wir sind in einer Epoche, in der sich uns
der Raum in der Form von Lagerungsbeziehungen darbietet“. Für Foucault stellt sich
22
der Raum als ein ,,Ensemble von Relationen“ (ebd.: 34) dar, das die einzelnen
,,Elemente“ (edb.: 34) als ,,nebeneinandergestellte, einander entgegengesetzte,
ineinander enthaltene erscheinen lässt; also als eine Konfiguration“ (ebd.: 34). Wie Löw
(2001: 148) feststellt, ist zu erkennen, dass Foucault damit ,,für einen relationalen
Raumbegriff plädiert [...]“. In ihrer Auseinandersetzung mit Foucault schreibt Löw
(ebd.: 150) weiter, dass Foucault den Raum bestimmt ,,als Lageverhältnis. Elemente
erscheinen durch relationale Beziehungen als nebeneinander-, nacheinander- oder
zueinandergestellt. [...] Der Raum konstituiert sich als Gefüge von Platzierungen und
Lagerungen“. Diese Platzierungs- und Lagerungsverhältnisse haben eine bestimmte
Wirkung. Löw (ebd.: 148) schreibt in Bezug auf Foucault: ,,Raum ist demzufolge eine
Konfiguration oder ein Netzwerk, welches Dinge oder Handlungen in eine Ordnung
bringt, bzw. eine Ordnung zum Ausdruck bringt“. Hierin findet sich ein Hinweis darauf,
dass über die in einem Raum vorzufindenden und von Foucault angesprochenen
,,Platzierungen und Lagerungsbeziehungen“ (Löw 2001: 148) der Individuen eine
disziplinierende Wirkung ausgeübt wird, da eine Ordnung hergestellt wird. Dieser
Annahme soll in der Auseinandersetzung mit Foucault (vgl. Kapitel 5. ff.) in dieser
Arbeit weiter nachgegangen werden.
Hierbei sei noch kurz erwähnt, dass Löw (ebd.: 149) darauf hinweist, dass der Prozess
der Konstitution von Raum auch in Foucaults Raumvorstellungen enthalten ist: ,,Indem
der Raum nach Foucault über miteinander verknüpfte Platzierungen und Lagerungen
definiert ist, wird gleichzeitig der Prozess des Platzierens und Lagerns deutlich. Der
Prozess verweist auf den Handlungskontext von Raum. Raum als Netzwerk wird von
Foucault nicht nur als Ordnung bzw. als Struktur gedacht, sondern diese weist zurück
auf den Handlungszusammenhang, auf den Akt des Platzierens“.
4.2. Die offene und geschlossene Masse
Das in Kapitel 4 umschriebene Konfliktfeld, die bewegliche Masse in eine starre
Stadionarchitektur zu integrieren, kann dahingehend aufgehellt werden, wenn eine
weitere Differenzierung des Massenbegriffs vorgenommen wird. Innerhalb eines
Stadionraums mit seiner besonderen Architektur haben wir es mit einer spezifischen Art
23
von Masse zu tun. Dieser Aspekt ist als erster Hinweis darauf zu verstehen, dass, wie in
Kapitel 4.1. erwähnt, von der räumlich - architektonischen Anordnung des Stadions eine
bestimmte Wirkung ausgeht. Die angesprochene Differenzierung bezüglich des Begriffs
,Masse’ nimmt Canetti vor, wenn er zwischen offener und geschlossener Masse
unterscheidet. Innerhalb von Stadien befinden sich geschlossene Massen. Dennoch soll
hier auch kurz auf die offene Masse eingegangen werden, um dadurch das Wesen der
geschlossenen Masse besser zu verstehen.
Die offene Masse wird von Canetti auch als natürliche Masse bezeichnet. Er
charakterisiert sie wie folgt: ,,Die natürliche Masse ist die offene Masse: ihrem
Wachstum sind keine Grenzen gesetzt“ (ebd.: 11). Die Betonung des grenzenlosen
Wachstums ist konstitutiv für ihr Selbstverständnis, denn Canetti (ebd.: 11) sagt:
,,Sobald sie besteht, will sie aus mehr bestehen. Der Drang zu wachsen ist die erste und
oberste Eigenschaft der Masse“. Diese Masse besitzt etwas mitreißendes. Ein jeder will
dabei sein, teilhaben an ihr, sich einfügen in sie – aber nur so lange wie sie wächst. Gibt
es keinen weiteren Zufluss an Menschen, die zu ihr stoßen, stagniert er oder nimmt gar
ab, hat die Masse an Reiz und Anziehungskraft verloren und büßt somit ihre Existenz
ein, denn ihre Existenz liegt im Drang nach Wachstum begründet: ,,Die offene Masse
besteht, solange sie wächst. Ihr Zerfall setzt ein, sobald sie zu wachsen aufhört“ (ebd.:
11).
Die geschlossene Masse beschreibt Canetti (ebd.: 11) mit folgenden Worten: ,,Diese
verzichtet auf Wachstum und legt ihr Hauptaugenmerk auf Bestand. Was an ihr auffällt
ist die Grenze. Die geschlossene Masse setzt sich fest“. Die Masse scheint mit sich
selber einen Kompromiss eingegangen zu sein, denn bedingt durch die räumliche
Begrenzung verzichtet sie auf den ihr eigenen Drang wachsen zu wollen, erhält dafür
aber einen Gewinn an Beständigkeit: ,,Was an Wachstumsmöglichkeiten so geopfert
wird, das gewinnt die Masse an Beständigkeit“ (ebd.: 12). Somit diszipliniert und
kontrolliert die geschlossene Masse sich in gewisser Hinsicht selbst, denn sie nimmt
eine spezifische Form an, bei der sie zwar ihr Wachstum einbüßt aber gleichzeitig eine
Konstanz ihrer Existenz erhält. Auf der anderen Seite aber erfordert die
Stadionarchitektur als abgegrenztes und abgeschlossenes Bauwerk eine solche Form der
24
Masse, die sich eben durch Wachstumsverzicht und Begrenztheit in der Zahl
auszeichnet, sodass die Disziplinierung der geschlossenen Masse zum Teil auch vom
Stadion und seiner Architektur ausgeht. Kontrolle und Disziplinierung der Masse gehen
im Fall der geschlossenen Masse also gleichzeitig von der geschlossenen Masse und
von der Architektur des Stadions aus und bedingen sich wechselseitig. Die Masse
unterwirft sich dieser von der Architektur des Stadions ausgehenden Kontrolle, erhält
im Gegenzug dafür aber mit dem Stadion doch einen Platz, der nur ihr und ihrer
Konstitution vorbehalten ist, einen Ort also, an dem sie sich ihrer Existenz sicher weiß.
Das Stadion fungiert somit als Raum, der nur für die geschlossene Masse da ist. Er dient
ihrer Zusammenkunft und das Ereignis innerhalb seiner Grenzen scheint von sekundärer
Bedeutung zu sein, denn die eigentliche Funktion dieses Raumes ist es, der
geschlossenen Masse einen Ort für ihre Konstitution zu bieten: ,,The main function of a
stadium is to accomodate the crowd; the occasion – whether it be a sporting or some
other event – is secondary“ (van Winkel 2000: 13). Canetti (ebd.: 11) erkennt diese
spezifische Funktionszuschreibung ebenfalls, indem er schreibt: ,,Der Raum, den sie
erfüllen wird, ist ihr zugewiesen“. Canetti wird in Bezug auf den singulären Zweck des
Stadions aber noch deutlicher: ,,Das Gebäude wartet auf sie, um ihretwillen ist es da,
und so lange es da ist, werden sie sich auf dieselbe Weise zusammenfinden. Der Raum
gehört ihnen, auch wenn er Ebbe hat, und in seiner Leere gemahnt er an die Zeit der
Flut“ (ebd.: 12). Unterstützung bei dieser Zweckzuschreibung des Stadions erhält
Canetti von Goethe, der auf seiner Italienreise über das Amphitheater in Verona sagt:
,,Auch will es leer nicht gesehen sein, sondern ganz voll von Menschen [...]“ (Goethe
1993: 44). Das Stadion ist Goethes Meinung nach dazu da, ,,damit dessen Zierart das
Volk selbst werde“ (ebd.: 44). Und Gebauer / Wulf (1988: 15) schreiben über das
Olympiastadion in Berlin: ,,Leer verliert der Ort seine Wärme; er verlangt die
Mobilisierung der Massen, die pralle Fülle von Menschen [...]“.
Das Stadion mit seiner Architektur hilft der offenen Masse, die auf Grund ihres
grenzenlosen Wachstums keine endgültige und feste Gestalt annehmen kann und damit
formlos bleiben muss, ein Gesicht zu bekommen und in der geordneten Form der
geschlossenen Masse eine konkrete Gestalt anzunehmen: ,,Es gibt der fließenden
unsteten Masse eine feste Form: ein flüssiger Ring in einer kolossalen Steinfassung
25
[...]“ (Gebauer / Wulf 1988: 15). Die geordnete Form der geschlossenen Masse steht im
Gegensatz zu der Masse, die Goethe (ebd.: 44) als ,,das vielköpfige, vielsinnige,
schwankende hin und her irrende Tier“ bezeichnet hat, denn in der folgenden Aussage
Goethes ist zu erkennen, dass die geordnete Form der geschlossenen Masse etwas
Erhabenes und Faszinierendes besitzt und gleichzeitig deutet Goethe auf die spezifische
Architektur des Amphitheaters in Verona hin, die im Hinblick auf die sonst ständig
durcheinandergewürfelte Masse eine Art von Kontrolle, Disziplin und Ordnung stiftet:
,,Wenn es sich so beisammen sah, musste es über sich selbst erstaunen, denn da es sonst
nur gewohnt, sich durch einander laufen zu sehen, sich in einem Gewühle ohne
Ordnung und sonderliche Zucht zu finden“ so sieht es sich nun ,,zu einem edlen Körper
vereinigt, zu einer Einheit bestimmt, in eine Masse verbunden und befestigt, als Eine
Gestalt, von Einem Geiste belebt“ (ebd.: 44 – 45). Schümer (1998: 41) beschreibt in
seiner Auseinandersetzung mit Goethe das von diesem erkannte ordnungsstiftende
Potential der Architektur als ,,die zivilisierende Kraft, die von einem Stadion ausgehen
kann“.
Das Annehmen einer Gestalt führt zu einer Faszination der Masse über sich selbst, oder
wie Prosser (2002: 282) es formuliert hat, zu dem ,,Staunen des Publikums über sich
selbst“. Der von Goethe und Prosser beschriebene Aspekt, dass die Masse über sich
selbst erstaunt ist, rührt von der aus Goethes Zitat abzulesenden Tatsache her, dass die
Masse das Selbstbild der geordneten Form der geschlossenen Masse nicht gewohnt ist
und sich zu einer solchen Choreographie nicht fähig glaubt. Berauscht vom eigenen
Anblick der Ordnung werden die Kontrolle und die Disziplin, die gewissermaßen von
außen auf die Masse durch die Architektur einwirken, zu einer von ihr selbst
ausgehenden, quasi verinnerlichten, Selbstkontrolle und Selbstdisziplin und zwar derart,
dass die sich ihr selbst präsentierte geordnete Form der geschlossenen Masse von ihr
selbst als erstrebenswert angesehen wird, und dass sie zur Erlangung dieses Ziels auf
die ihr eigenen Wesenszüge wie Wachstum, Unbegrenztheit und Unkontrolliertheit
verzichtet. Mit diesem Verhalten der geschlossenen Masse, das geprägt ist durch
Überlegtheit, Bewusstheit und Disziplin, zeigt sie nun genau die
Charaktereigenschaften, die ihr von Le Bon abgesprochen worden sind. Auch Verspohl
(1976: 26) kommt in seiner Interpretation von Goethes Beschreibung zu dem
26
Verständnis, dass ,,die hier der Masse zugesprochene Fähigkeit der Eigeninitiative und
des ordnenden, planerisch vorgehenden Verhaltens [...] in einem widersprüchlichen
Verhältnis [...]“ zu der sonst vorherrschenden Vorstellung von der Masse steht.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich innerhalb eines Stadions geschlossene
Massen befinden, und die Stadionmauern fungieren als ihre äußere Begrenzung. Die
geschlossene Masse existiert nur innerhalb der festgelegten Grenzen eines Raums,
verzichtet deshalb auf Wachstum, gewinnt aber an Beständigkeit. Der ihr zugewiesene
Raum ist ihrer Konstitution vorbehalten und somit entgeht sie der ständigen Gefahr des
Zerfalls. Sie strömt anlässlich eines als sekundär zu klassifizierenden Ereignisses
innerhalb eines begrenzten Raumes zusammen, konstituiert sich und zerfällt nach
Beendigung des Ereignisses wieder in einzelne Individuen. Die Massenbildung
beinhaltet unter diesen Voraussetzungen unweigerlich ihre Auflösung. Diesem
ernüchternden Aspekt aber tritt die Masse mit einer ihr eigenen Hoffnung entgegen:
,,Ganz besonders aber rechnet sie mit Wiederholung. Durch die Aussicht auf
Wiederversammeln täuscht sich die Masse über ihre Auflösung jedes Mal hinweg“
(Canetti 1980: 12). Diese Wiederholung ist ihr sicher, denn ein Ort dafür existiert
bereits.
4.3. Die Masse als Ring und die stockende Masse
Die architektonisch ringförmige oder rechteckige Anordnung von Stadien führt
unweigerlich dazu, dass die sich im Stadion befindende Masse die besondere Form der
geschlossenen Masse annimmt. Die geschlossene Masse, nach außen hin abgegrenzt
durch die Stadionmauern, schließt sich noch auf eine zweite Weise und zwar derart,
dass sie sich nach innen schließt, also einen Ring bildet. ,,Die Masse [...] ist nirgends
unterbrochen. Der Ring, den sie bildet, ist geschlossen“ (Canetti 1980: 25). Der
Abgrenzung nach außen hin durch eine Mauer wird eine zweite innere Abgrenzung aus
Fleisch und Blut hinzugefügt: ,,Nach außen, gegen die Stadt, weist die Arena eine
leblose Mauer. Nach innen baut sie eine Mauer von Menschen auf“ (ebd.: 25). Die
ringförmige Anordnung der Masse ist lückenlos, und etwaige Lücken sucht man
27
vergeblich, denn wie Canetti (ebd.: 26) feststellt: ,,Aber es ist keine da: diese Masse ist
nach außen und in sich, also auf zweifache Weise geschlossen“. Die Anordnung der
Masse als Ring, von der Architektur initiiert, wird von der Masse selbst aufgegriffen
und verstärkt, was als Akt der Selbstdisziplin und Selbstkontrolle interpretiert werden
kann. Sie schottet sich nach außen hin ab, duldet keine Eindringlinge und garantiert sich
so ihre Beständigkeit.
Neben das Merkmal der ringförmig und zweifach geschlossenen Masse tritt ein weiteres
Charakteristikum der Masse im Stadion, das Canetti als ,,stockende Masse“ (ebd.: 32)
beschreibt. Dieses Merkmal muss im Zusammenhang mit dem bereits beschriebenen
Phänomen der Entladung gedacht werden. In der Entladung wird die Masse erst sinnlich
fassbar. Die Entladung ist ihr Bestreben, und man sollte vermuten, dass sie darauf
ausgerichtet ist, dieses Ziel so schnell wie möglich zu erreichen. Die stockende Masse
aber verhält sich anders: ,,Ihr Zustand hat etwas Passives, die stockende Masse wartet“
(ebd.: 32). Sie kann sich diese Wartezeit leisten und sich ihrer Entladung doch sicher
sein, denn das Stadion als Raum ihrer Konstitution ist nur für sie da und schützt sie vor
dem Zerfall. Canetti (ebd.: 27) sagt dazu: ,,Die stockende Masse lebt auf ihre Entladung
hin. Aber sie fühlt sich dieser sicher und verzögert sie“. Dieses Charakteristikum der
stockenden Masse, die Fähigkeit des zeitlichen Hinauszögerns von sich spontan
äußernden Gefühlen und Leidenschaften und die Fähigkeit des Warten könnens auf die
ihr garantierte Entladung, ist ein deutliches Zeichen der Affektkontrolle. Bei der
Bewältigung dieser Aufgabe greift die stockende Masse auf zwei Hilfsmittel zurück,
den Stuhl und das Sitzen, denn ,,dem zeitlichen Aufschub sich spontan entfaltender
Bilder und Wünsche auf ihre spätere Realisierung dienen Stuhl und Sitzen“ (Eickhoff
1993: 164). Die modernen Stadien sind oftmals reine Sitzplatzstadien, sodass man die
stockende Masse als eine auf Stühlen sitzende Masse bezeichnen könnte.
Die ringförmig geschlossene, stockende Masse beweist in der Ausübung der
Affektkontrolle ihre Fähigkeit zur Selbstkontrolle und Selbstdisziplinierung und wehrt
sich damit gegen die von Le Bon und seinen Zeitgenossen erhobenen Vorwürfe. Mit
dieser Fähigkeit der geschlossenen und stockenden Masse ist ein erster Schritt in die
Richtung getan, die Kontrolle und die Disziplin nicht mehr nur von außen durch die
28
Architektur auf die Masse einwirken zu lassen, sondern sie in ihr Inneres zu verlagern,
sie von ihr selbst ausgehen zu lassen. Kontrolle und Disziplin sollen im weiteren
Verlauf dieser Arbeit als Formen der Machtausübung verstanden werden. Die Macht
wirkt demnach nicht mehr nur allein durch die Architektur des Stadions von außen auf
die Masse ein, sondern die Masse inkorporiert diese, lässt sie von sich selbst ausgehen
und wird selbst zu einem Träger der von der Architektur initiierten Ordnung. Damit ist
eine Überleitung zu Michel Foucault gefunden, der sich eingehend mit dem
Zusammenhang von Architektur und Macht im Hinblick auf die Disziplinierung der
Masse auseinandergesetzt hat. Löw (2001: 150) stellt entsprechend fest: ,,Foucaults
machttheoretisches Auge ruht auf der Ordnung, die durch Anordnungen geschaffen
wird“.
5. Der Begriff ,Macht’ bei Michel Foucault
Es ist gezeigt worden, dass einerseits von der Architektur des Stadions eine
kontrollierende und disziplinierende Wirkung ausgeht, sodass die Architektur demnach
Macht ausübt. Andererseits aber ist es die Masse selbst, die die Macht inkorporiert,
indem sie eine bestimmte Form annimmt, also zum Träger dieser Ordnung wird und sie
damit reproduziert. Die Masse lässt die disziplinierende Kraft der Macht von sich selbst
ausgehen. Diese wechselseitige Beziehung ist eingehender von Michel Foucault
betrachtet worden, der in seinem Buch Überwachen und Strafen an der
architekturhistorischen Entwicklung von Krankenhäusern, Kasernen, Fabriken, Schulen
und Gefängnissen aufzeigt, wie mit Hilfe der Architektur und der räumlichen
Anordnung der Masse und der Individuen die Kontrolle und Disziplin über eben diese
immer weiter verfeinert, ökonomisiert und verstärkt wurde, bis sie sich schließlich zu
einer Selbstdisziplin und Selbstkontrolle derselbigen umformt.
Zunächst soll Foucaults Verständnis von Macht dargelegt werden, um dann daran
anschließend den Zusammenhang von Macht, Disziplin, Masse und Architektur
herzuleiten.
29
Michel Foucault entwirft einen Begriff von Macht, die sich selbst als produktive
Technologie versteht. Er kritisiert die gängigen Vorstellungen von Macht, wonach ,,die
Macht wesentlich die Regel, das Gesetz, das Verbot ist, das, was die Grenze setzt
zwischen dem, was erlaubt, und dem, was verboten ist“ (Foucault 1995: 23 – 24). Die
Macht würde bei einem solchen Verständnis nur dann zur Anwendung kommen, wenn
gegen diese Gesetze, Regeln und Verbote verstoßen wird, und zwar derart, dass sie
bestrafend eingreifen muss. Ihre Wirkung wäre also rein destruktiver Natur. Foucault
(1976: 250) kritisiert diese Vorstellung scharf: ,,Man muss aufhören, die Wirkungen der
Macht immer negativ zu beschreiben, als ob sie nur ausschließen, unterdrücken,
verdrängen [...] würde. In Wirklichkeit ist die Macht produktiv“. Das Wesen der Macht
als produktive Technologie ist wesentlich für ihre Anwendung.
Die Unterscheidung in einen destruktiven und einen produktiven Charakter der Macht
als Technologie muss mit einer weiteren von Foucault getroffenen Unterscheidung
kombiniert werden.
Entscheidend für das Verständnis von Macht im Sinne von Foucault ist es, eine
Differenzierung zwischen ,,Zentralmacht“ (Foucault 1995: 27) und ,,Mikromacht“
(Foucault 1976 a: 33) vorzunehmen.
Ein klassisches Beispiel für eine Zentralmacht ist der Monarch. Er verkörpert die Macht
in seiner Person und die Ausübung dieser erfordert seine Anwesenheit. Sie stützt sich
auf Gesetze und Verbote und ,,der Sinn der Macht, ihr Kernpunkt, das worin die Macht
besteht, das Verbot, das Gesetz, die Tatsache des Neinsagens [...] ist wesentlich das, was
,du sollst nicht’ sagt“ (Foucault 1995: 23). Diese Macht wirkt destruktiv und ist in der
Person des Monarchen lokalisierbar und damit angreifbar. Sie kann gestürzt werden
oder man kann ihr entweichen und sich ihrer Wirkung entziehen. Ihre Durchsetzung
muss mit hohem ökonomischen Aufwand betrieben werden, denn sie erfordert die
ständige Überwachung und Überprüfung der unterworfenen Masse durch Dritte. Die
Zentralmacht versucht, Herr über die Masse zu werden, doch diese Form der
Machtausübung erweist sich als ,,eine sehr diskontinuierliche Macht. Die Maschen des
Netzes waren zu groß, eine fast unendliche Zahl von Dingen, Elementen, Verhalten,
Vorgängen entzog sich der Kontrolle der Macht“ (Foucault 1995: 30). Der Versuch, von
einer Machtquelle ausgehend, die Masse als Ganzes zu kontrollieren, ist zum Scheitern
30
verurteilt, da die Ausübung der Macht zu lückenhaft ist und die Individuen in der Masse
untertauchen können.
Wenn die Macht die Masse als Ganzes nicht greifen kann, muss sie den umgekehrten
Weg gehen. Sie muss an den die Masse konstituierenden Individuen ansetzen. Damit
macht das Versagen der Machtausübung über die Masse als Ganzes schließlich ,,die
Einsetzung einer kontinuierlichen, präzisen, gewissermaßen atomisierten Macht
erforderlich, den Übergang von einer lückenhaften, globalen Macht zu einer
kontinuierlichen, atomisierten und individualisierten Macht: damit jeder, jedes
Individuum in sich selbst, in seinem Körper, seinen Gesten, kontrolliert werden kann,
anstelle globaler und massenweiser Kontrollen“ (Foucault 1995: 30). Foucault spricht in
diesem Zusammenhang von der erwähnten Mikromacht. Die Macht, ihre Ausübung und
Wirkung wird in die Individuen und ihre Körper hineinverlagert. Hier findet sich ein
präziser Ansatzpunkt für die Macht und ,,das größte, präziseste, produktivste und
umfassendste System der Kontrolle von Menschen wird auf der kleinsten und
präzisesten Grundlage errichtet. Die Schaffung einer Mikromacht, die vom Körper als
zu manipulierendem Objekt ausgeht [...]“ (Dreyfus / Rabinow 1987: 184). Die Macht
als Technologie soll am Individuum und an seinem Körper direkt ansetzen und hier ihre
produktive Wirkung entfalten. Diese Macht ist nicht mehr an und in einem zentralen
Punkt lokalisierbar, da sie in allen Körpern gleichzeitig wirkt. Sie wirkt nicht mehr von
oben auf sie herab, sondern aus ihnen selbst heraus. Das Individuum kann sich ihrer
Wirkung nicht entziehen, da sie von seinem eigenen Körper ausgeht: ,,Es gibt keine
elementarere Form von Macht als die, die der Körper selber ausübt“ (Canetti 1980:
437). Das Individuum und sein Körper werden selbst zum Träger der Macht. Das Ziel
ist es also, ,,die Wirkungen der Macht durch immer feinere Kanäle bis hin zu den
Individuen selbst, bis hin zu ihren Körpern, bis hin zu ihren Gesten [...] zirkulieren zu
lassen“ (Foucault 1977: 256). Die Stärke dieser Macht liegt darin, dass sie sich durch
die Körper der Individuen selbst reproduziert und damit eine von einer externen Quelle
ausgehende Überwachung ihrer Ausübung überflüssig macht, da sie von den Individuen
in ihren Körpern und durch ihre Körper selbst ausgeübt wird. Das spezifische Wesen
dieser am und im Individuum ansetzenden Macht als Technologie im Gegensatz zum
destruktiven Verständnis von Macht beschreibt Foucault (1976 a: 109): ,,Denn wenn die
Macht nur Unterdrückungsfunktionen wahrnähme, wenn sie nur noch auf die Weise der
31
Zensur, des Ausschließens, des Absperrens, der Verdrängung, in der Art eines großen
Über – Ichs arbeitete, wenn sie nur auf negative Art ausgeübt würde, wäre sie sehr
zerbrechlich. Wenn sie stark ist, dann deshalb, weil sie [...] positive Wirkungen
produziert“.
Im Folgenden soll darauf eingegangen werden, wie die Macht als Technologie im
Hinblick auf die Individuen und ihre Körper produktiv wirksam wird, welcher
Methoden sich die Machtechnologie dabei bedient und welcher Zusammenhang im
Hinblick auf Stadionarchitektur, Masse und Individuum besteht.
5.1. Disziplin als Machttechnologie
Zu Beginn ist es zunächst einmal hilfreich, sich eingehender mit den Begriffen
,Kontrolle’ und ,Disziplin’ zu befassen. Der Duden (2000: 566) übersetzt den Begriff
,Kontrolle’ mit ,,Überwachung, Überprüfung, Beherrschung“. Dieses Verständnis des
Begriffs will ich übernehmen und er soll derart verstanden werden, dass diese Kontrolle
von außen auf ein Individuum oder eine Gruppe ausgeübt wird. Sie entspringt also einer
externen Quelle und muss dauerhaft ausgeübt werden, erfordert also die stetige Präsenz
einer Macht, die diese Kontrolle über jemanden anderes ausübt. Das Hinzufügen der
Silbe ,Selbst-’ erlaubt ein neues Verständnis, denn der Begriff ,Selbstkontrolle’
beinhaltet, dass die Überwachung, Überprüfung und Beherrschung jetzt vom
Individuum selbst ausgeht. Es ist Quelle seiner eigenen Kontrolle und macht die
Präsenz einer externen Kontrollmacht überflüssig.
Für den Begriff der ,Disziplin’ soll auf Michel Foucault zurückgegriffen werden. Der
Duden (ebd.: 298) definiert ,Disziplin’ zwar als ,,Zucht, Ordnung“ , also als von außen
ausgeübte Kräfte, und das Hinzufügen der Silbe ,Selbst-’ impliziert, dass diese auch
vom Individuum selbst ausgehen können, doch reicht dieses Verständnis des Begriffs
,Disziplin’ im Zusammenhang mit dieser Arbeit nicht aus.
Foucault (1976: 175) versteht unter ,Disziplin’ ,,diese Methoden, welche die peinliche
Kontrolle der Körpertätigkeiten und die dauerhafte Unterwerfung ihrer Kräfte
ermöglichen und sie gelehrig / nützlich machen [...]“. Diese ,,Gelehrigkeit“ (ebd.: 175)
ist für Foucault die Idee, die ,,den analysierbaren Körper mit dem manipulierbaren
32
Körper verknüpft. Gelehrig ist ein Körper, der unterworfen werden kann, der ausgenutzt
werden kann, der umgeformt und vervollkommnet werden kann“ (ebd.: 175). Die
Disziplin, die Disziplinierung des Körpers, ist also eine Symbiose aus Unterwerfung
und Nutzbarmachung in einem bestimmten Sinn. Die Disziplin moduliert und fabriziert
Individuen, deren Körper die gewünschten Eigenschaften hervortreten lassen. Es sind
durch die Disziplin neu zusammengesetzte Körper. Ein Teilaspekt ist die Unterwerfung
des Körpers, das Kontrollieren seiner Triebhaftigkeit, der andere Teilaspekt aber ist der
der Genese eines anderen Körpers: ,,Der menschliche Körper geht in eine
Machtmaschinerie ein, die ihn durchdringt, zergliedert und wieder zusammensetzt“
(ebd.: 176). Der einfach nur unterworfene Körper erfährt keine Veränderung. Die
Technik der Disziplin aber ,,fabriziert auf diese Weise unterworfene und geübte Körper,
fügsame und gelehrige Körper“ (ebd.: 177), die neu zusammengesetzt und somit Träger
der sie unterwerfenden Ordnung werden. Denn es geht nicht nur darum, ,,sie machen zu
lassen, was man verlangt, sondern um sie so arbeiten zu lassen, wie man will“ (ebd.:
176). Es geht nicht um die kurzfristige Unterwerfung, sondern um eine dauerhaft
wirkende Transformation der Individuen in einem bestimmten Sinn. Sie sollen selbst zu
bereitwilligen Trägern der sie unterwerfenden Ordnung werden. Die Disziplin ist eine
Methode der Machttechnologie und wirkt produktiv, denn sie erschafft sich fügsame
Individuen. Die Disziplin als Methode der Macht setzt zu Beginn am Individuum und
an seinem Körper an. Am Ende steht ein Individuum, das diese Disziplin soweit
verinnerlicht hat, dass es sie gegen sich selbst und andere anwendet.
Das Stadion mit seiner spezifischen Architektur kann deshalb im Sinne von Foucault als
,,Disziplinarraum“ (Foucault 1976: 183) beschrieben werden, in dem Unterwerfung und
Transformation vollzogen werden. Damit verfeinert sich auch einer der Leitgedanken
der Stadionarchitektur dahingehend, dass es nicht mehr nur bloß darum geht, die Masse
zu kontrollieren, sondern dass die Architektur des Stadions ,,der inneren, gegliederten
und detaillierten Kontrolle und Sichtbarmachung ihrer Insassen“ (ebd.: 222) dient.
Foucault spezifiziert den Auftrag der Architektur im Sinne der oben beschriebenen
Transformation und Schaffung neuer Körper aber noch weiter, denn in letzter
Konsequenz ,,geht es um eine Architektur, die ein Instrument zur Transformation der
Individuen ist: die auf diejenigen, welche sie verwahrt, einwirkt, ihr Verhalten
33
beeinflussbar macht, die Wirkungen der Macht bis zu ihnen vordringen lässt, sie einer
Erkenntnis aussetzt und sie verändert“ (ebd.: 222).
Im Folgenden soll nun mit Hilfe von Foucaults Beschreibungen in Überwachen und
Strafen gezeigt werden, wie ein modernes Stadion als Disziplinarraum architektonisch
organisiert werden muss, um im Hinblick auf die Kontrolle der Masse und die Disziplin
als Unterwerfung und Transformation der Individuen die gewünschte Wirkung zu
erzielen.
5.2. Klausur und Parzellierung
Die Überlegungen Foucaults sollen nun auf die Architektur moderner Stadien
übertragen werden, denn es lassen sich deutliche Parallelen aufzeigen. Die
architektonischen Merkmale Klausur und Parzellierung (vgl.: Foucault 1976: 181 f.)
sind als spezifische Methoden der Machttechnologie zu nennen, die im Sinne der
Kontrolle und der Disziplin wirken. Sie beziehen sich zunächst einmal auf die
Verteilung der Masse und der Individuen im Raum, in diesem Fall also im Stadion.
Dreyfus und Rabinow (1987: 185) bemerken dazu: ,,Ein grundlegender Bestandteil
dieser Technologie war die Kontrolle des Raumes. Die Disziplin waltet durch die
Organisation von Individuen im Raum, und deshalb erfordert sie eine besondere
Einfriedung des Raumes“. Diese besondere Organisation des Raumes wird eben durch
jene Klausur und Parzellierung erreicht und von Foucault näher beschrieben.
Foucault (1976: 181) sagt: ,,Bisweilen erfordert die Disziplin die Klausur, die bauliche
Abschließung eines Ortes von allen anderen Orten“. Dieses Kriterium wird vom Stadion
erfüllt. Die Abgrenzung des Stadions nach außen hin ist mit den Stadionmauern sichtbar
realisiert. Das Stadion fungiert als baulich abgeschlossener Raum, um die Masse stets
lokalisieren zu können, denn ,,diese umherschweifende Masse muss festgesetzt werden“
(ebd.: 181 – 182). Das Stadion ist der Raum ihrer Festsetzung. Die Klausur ist
allerdings erst der erste Schritt hin zu einer Kontrolle, die man als noch relativ
oberflächlich bezeichnen könnte, denn die Masse ist zwar festgesetzt, zeigt sich im
Stadion aber immer noch als unüberblickbares Gewimmel von Menschen, in dem der
Einzelne untertauchen kann. Die Masse bietet der Disziplin als Machttechnologie
34
keinen Ansatzpunkt. Es bedarf einer feineren Technik in der räumlichen Anordnung, um
Disziplin über das einzelne Individuum in der Masse auszuüben. Die Klausur ist
unverzichtbar, reicht allein aber nicht aus.
Der notwendige zweite Schritt ist das ,,Prinzip der elementaren Lokalisierung oder der
Parzellierung. Jedem Individuum seinen Platz und auf jedem Platz ein Individuum“
(Foucault 1976: 183). Diese Forderung Foucaults findet mit den Sitzplätzen, die in den
Stadien der neueren Generation fast nur noch vorzufinden sind, ihre Realisierung.
Jedem Individuum ist ein Platz zugewiesen, auf dem es stets zu lokalisieren ist, denn
Foucault (ebd.: 183) sagt: ,,Der Disziplinarraum hat die Tendenz, sich in ebenso viele
Parzellen zu unterteilen, wie Körper oder Elemente aufzuteilen sind“. Der
parzellenartige individuelle Sitzplatz hat den Vorteil, dass er ,,die Überwachung und
Kontrolle der Fans [...] wesentlich erleichtert“ (Heinemann 1998: 134). Der bereits
beschriebenen Unmöglichkeit, die Macht über die Masse als Ganzes wirken zu lassen,
wird mit der Parzellierung Rechnung getragen. Der individuelle (Sitz-) Platz ist eine
Form der Parzellierung, die auf das Individuum zugeschnitten ist und es damit innerhalb
dieser Grenzen hält. Bollnow (1997: 42 – 43) fügt im Sinne von Foucaults Parzellierung
hinzu: ,,Der Platz bezeichnet das eng umgrenzte Raumstück, in das etwas grad
hineinpasst, bis an seine Grenze, aber nicht darüber hinaus“.
Die Kontrolle als erster Schritt orientiert sich an der Masse, was im architektonischen
Prinzip der Klausur sichtbar wird. Die Disziplin als notwendiger zweiter Schritt aber
setzt am Individuum in der Masse selbst an und findet seine Realisierung im Prinzip der
Parzellierung, indem es jedem Individuum einen für ihn spezifisch vorgesehenen Platz
zuweist, an dem es sich aufzuhalten hat. Die Verschränkung dieser zwei Prinzipien hilft
bei dem Bestreben ,,eine Überwachung sicherzustellen, die umfassend und
individualisierend zugleich ist“ (Foucault 1977: 251).
Die bisherigen Ausführungen haben das Individuum immer mehr in das Zentrum der
Betrachtung rücken lassen, allein aus der Notwendigkeit heraus, dass die Masse als
Ganzes sich als schwer oder nur lückenhaft zu kontrollierendes Wesen gezeigt hat. Über
die Disziplinierung des Individuums soll die Masse kontrolliert werden. Es kommt in
den Stadien, die als klassische Orte der Massenkonstitution dienen, zu einer
35
,,Individualisierung der Zuschauer“ (Heinemann 1998: 134), da ein Abtauchen in der
Masse verhindert wird: ,,Das unkontrolliert hin und her wogende Zuschauerkollektiv
der Sportarenen, in dem der einzelne abtauchen und unerkannt seinen anarchischen
Gelüsten nachgehen kann, gehört bald der Vergangenheit an“ (Liebs 2000: 19). In
Bezug auf die Zuschauer in den durchnummerierten Sitzplatzstadien stellt Bale (1993:
30) einen klaren Wandel fest: ,,Collectivities of fans would give way to numbered
individuals“. Durch die Sitzplätze wird von Beginn an die Bildung einer
umherwimmelnden, nicht zu überblickenden oder zu kontrollierenden Masse verhindert:
,,Gruppenverteilungen sollen vermieden, kollektive Einnistungen sollen zerstreut,
massive und unübersichtliche Vielheiten sollen zersetzt werden. [...] Es geht gegen die
ungewissen Verteilungen, gegen das unkontrollierte Verschwinden von Individuen,
gegen ihr diffuses Herumschweifen, gegen ihre unnütze und gefährliche Anhäufung
[...]. Es geht darum, die Anwesenheiten und Abwesenheiten festzusetzen und
festzustellen; zu wissen, wo und wie man die Individuen finden kann“ (Foucault 1976:
183).
Es stellt sich die Frage, ob die Masse im Stadion überhaupt noch als eine solche
bezeichnet werden kann, oder ob eine neue Art von Masse entsteht, die sich durch
andere und neue Eigenschaften als die bekannten auszeichnet. Dieser Frage soll zwar
erst zu einem späteren Zeitpunkt nachgegangen werden (vgl. Kapitel 7), doch erscheint
mir ein Hinweis an dieser Stelle auf den betreffenden Sachverhalt sinnvoll, um trotz der
vielfach herausgearbeiteten Bedeutung des Individuums die für Stadien typischen
Massen nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Die Masse soll zunächst einmal
weiterhin als eine solche bezeichnet werden. Gleichzeitig aber soll auf das Paradox
hingewiesen werden, dass diese ’neue’ Masse Individualität sichtbar macht, sodass sie
vielleicht alternativ als geordnetes Kollektiv bezeichnen werden könnte.
5.3. Der Panoptismus – das Stadion als panoptischer Raum
Neben die architektonischen Prinzipien Klausur und Parzellierung tritt die Tatsache,
dass die modernen Stadien architektonisch als panoptische Räume organisiert sind. In
ihnen werden die Elemente des Panoptismus realisiert. Foucault setzt sich in
36
Überwachen und Strafen eingehend mit dem Panopticon und dem Panoptismus
auseinander und die dabei auftretenden Parallelitäten zum Stadion und seiner
Architektur sollen im Folgenden aufgezeigt werden.
Der Panoptismus geht auf das von Jeremy Bentham entwickelte Panopticon zurück,
eine kreisrunde Gefängnisanlage mit einem Turm in der Mitte, von dem aus in alle
Zellen geblickt werden konnte, während der Überwacher im Turm selbst unsichtbar
blieb. Foucault (1976: 259) beschreibt das (architektonische) Prinzip des Panopticons
wie folgt: ,,Das Panopticon ist eine Maschine zur Scheidung des Paares Sehen /
Gesehenwerden: im Außenring wird man vollständig gesehen, ohne jemals zu sehen; im
Zentrum sieht man alles, ohne je gesehen zu werden“. Dieses Überwachungssystem
arbeitet mit dem Prinzip der ununterbrochenen Sichtbarmachung der inhaftierten
Individuen und der Macht des (ständigen) Blicks und übt so einen subtilen Zwang auf
die Insassen aus, denn diese wissen nie, ob sie gerade überwacht werden oder nicht. Das
führt im Endeffekt dazu, dass die Insassen sich so verhalten, als ob sie ständig
überwacht würden, sodass sie sich in ihrem eigenen Verhalten kontrollieren und
disziplinieren, auch wenn der Überwacher im Turm vielleicht gar nicht anwesend ist
und er somit im Extremfall sogar überflüssig wird: ,,The panoptical view means the
ability of the observer to see all without being seen. The tower of the prison may be
empty but its control remains powerful“ (Eichberg 1995: 336). Es ist offensichtlich,
dass das Stadion auf einen zentralen Überwachungsturm in der Mitte verzichtet.
Dennoch aber stützt sich auch die Architektur des Stadions genau wie die des
Panopticons auf den Blick und die Sichtbarmachung: ,,The stadium is connected with
the panopticon by the hegemony of the view. All should be made visible. Nothing
should be hidden from sight” (Eichberg ebd.: 336). Wie dies genau geschieht, das soll
nun detaillierter erläutert werden. Dabei sei darauf verwiesen, dass sich eine zentrale
Überwachungsform in den heutigen Stadien in der Videoüberwachung wiederfindet.
Bale (1995: 11) nämlich bezeichnet die ,,pervasiveness of video – surveillance“ als ,,a
modern form of Foucault’s panopticon (ebd.: 11). Auf diesen Aspekt aber soll in dieser
Arbeit nicht weiter eingegangen werden (vgl. Bale 1993: 27ff. / Bale 1994: 83 /
Giulianotti 2004: 81ff.).
37
Foucault beschreibt den perfekten Disziplinarraum wie folgt: ,,Dieser geschlossene,
parzellierte, lückenlos überwachte Raum, innerhalb dessen die Individuen in feste
Plätze eingespannt sind, die geringsten Bewegungen kontrolliert und sämtliche
Ereignisse registriert werden [...] – dies ist das kompakte Modell einer
Disziplinierungsanlage“ (Foucault 1976: 253). Diese durch räumliche Aufteilung und
Zergliederung gekennzeichnete Disziplinaranlage wird im Stadion mit den
individuellen Sitzplätzen realisiert: ,,The Stadium space was fully segmented by placing
each individual in a seat“ (Bale 1994: 83). Im Hinblick aber auf das Stadion als
panoptischen Raum muss noch das Kriterium der ständigen Sichtbarkeit hinzugefügt
werden: ,,Die panoptische Anlage schafft Raumeinheiten, die es ermöglichen, ohne
Unterlass zu sehen und zugleich zu erkennen. [...] Das volle Licht und der Blick [...]
erfassen besser als das Dunkel, das auch schützte. Die Sichtbarkeit ist eine Falle“
(Foucault 1976: 257). Das Individuum im panoptischen Stadion ist einer ständigen
Sichtbarkeit ausgeliefert und Foucault (ebd.: 258) stellt fest: ,,Daraus ergibt sich die
Hauptwirkung des Panopticon: die Schaffung eines bewussten und permanenten
Sichtbarkeitszustandes [...]“. Das Individuum kann auf seinem Platz der Sichtbarkeit
nicht entgehen und ist der potentiellen Beobachtung durch alle anderen ausgesetzt, denn
,,im Panopticon wird jeder gemäß seinem Platz durch alle anderen oder durch einige
andere überwacht“ (Foucault 1977: 264). Der alles überblickende zentrale
Überwachungsturm wird im Stadion dadurch ersetzt, dass im panoptischen Stadionraum
auf Grund der Architektur der überwachende Blick von jedem einzelnen Individuum
selbst ausgeht, er also in sie hineinverlagert worden ist.
Neben das Kriterium der ständigen Sichtbarkeit, das Foucault betont, tritt allerdings
noch ein weiteres Kriterium. Es ist das Kriterium der ständigen Ungewissheit: werde ich
momentan durch einen Blick überwacht oder nicht? Für den Zuschauer im Stadion gilt
deshalb genau wie für den Häftling im Panopticon, dass er ,,niemals wissen darf, ob er
gerade überwacht wird; aber er muss sicher sein, dass er jederzeit überwacht werden
kann“ (Foucault 1976: 259). Bei genauerer Betrachtung dieses Sachverhalts wandelt
sich das Kriterium der Ungewissheit in sein Gegenteil um. Es wird zum Kriterium der
Gewissheit: Ja, ich werde überwacht. Die Ungewissheit auf Seiten des Individuums
bleibt allein darin bestehen nicht wissen zu können, ob der prüfenden Blick jetzt gerade
38
angewendet wird oder nicht und von wem er angewendet wird. Diese Ungewissheit
führt beim Individuum zu einer Verhaltensänderung, die sich dahingehend zeigt, dass es
sich stets so verhält, als ob es gerade überwacht würde. Der einzelne Stadionbesucher
ist also einer ständigen Beobachtung ausgesetzt, kann gleichzeitig aber aufgrund der
architektonischen Organisation des Stadions von seinem Platz aus alle anderen
beobachten: ,,Within the football stadium, the spectator’s gaze is satisfied technically
through an unobstructed view and panoramic ’sightlines’, permitting the fullest
knowledge of events [...]“ (Giulianotti 2004: 80). Es handelt sich folglich um eine
wechselseitige Beziehung des Beobachtens und beobachtet Werdens. Das Wesen des
modernen Stadions als panoptischer Raum fasst Bale (1994: 84) in folgender Aussage
treffend zusammen: ,,In the modern stadium spectators have been individualised in
numbered seats, each being fully identifiable through their computerised ticket and from
knowledge gained from pervasive forms of surveillance which characterises the modern
sports environment”. Darüber hinaus beschreibt Bale das Stadion als ,,segmented and
panopticised confinement“ (ebd.: 84) und bezeichnet es als ,,analogue of Foucault’s
panopticon“ (ebd.: 84).
5.4. Der Panoptismus als disziplinierende Machttechnologie im Stadion
Der Panoptismus ist die Machttechnologie, mit der es gelingt, die Macht am Individuum
ansetzen zu lassen, es zu durchdringen und im Sinne der Disziplin neu
zusammenzusetzen, sodass es zu einem willigen Träger seiner eigenen Unterwerfung
wird. Foucault (1995: 33) will den Panoptismus eine ,,individualisierende Technologie
der Macht nennen, eine Technologie, die im Grund auf die Individuen zielt, bis in ihren
Körper, in ihr Verhalten hinein“. Der Panoptismus arbeitet, wie erläutert wurde, mit
Hilfe des Blicks und der Sichtbarmachung und produziert Individuen, die selbst Träger
der panoptischen Ordnung sind und sie in ihrem Verhalten reproduzieren.
Aus den bisherigen Ausführungen sollte deutlich geworden sein, dass der Panoptismus,
um seine im Hinblick auf das Individuum disziplinierende Wirkung entfalten zu
können, nicht an der Masse ansetzt, weil diese buchstäblich nicht zu überblicken ist. Er
39
bedient sich der beschriebenen Technik der Parzellierung, wodurch es ihm ermöglicht
wird, die Masse zu individualisieren und somit die Disziplinierung am Individuum
direkt angreifen zu lassen. Foucault (1976: 258) schreibt: ,,Die dicht gedrängte Masse,
die vielfältigen Austausch mit sich bringt und die Individualitäten verschmilzt, dieser
Kollektiv - Effekt wird durch eine Sammlung von getrennten Individuen ersetzt“. Die
Massenbildung im klassischen Sinne Canettis als dichter und einheitlicher
Gefühlskörper muss also durch die Parzellierung verhindert werden, damit der
Panoptismus im Individuum einen Ansatzpunkt finden kann. Das Prinzip der
Parzellierung im Panoptismus erlaubt ,,die sichere Verteilung der zu disziplinierenden
und zu überwachenden Individuen; dieses Verfahren erleichtert die Umwandlung
gefährlicher Menschenmassen [...] in fixierte und fügsame Individuen“ (Dreyfus /
Rabinow 1987: 185). Der individuelle Sitzplatz im Stadion symbolisiert das Prinzip der
Parzellierung und ist damit die Grundlage für eine Wirkung ,,der Macht, die man
zellenförmig nennen könnte“ (Foucault 1976: 191).
Die Realisierung des Panoptismus als eine die Individuen disziplinierende
Machttechnologie ist an den Blick gebunden: ,,Die Durchsetzung der Disziplin erfordert
die Einrichtung des zwingenden Blicks: eine Anlage, in der die Techniken des Sehens
Machteffekte herbeiführen [...]“ (Foucault 1976: 221). Jedes Individuum im Stadion ist
an seinem Platz den potentiellen Blicken der anderen ausgesetzt, kann gleichzeitig aber
von seinem Platz einen kontrollierenden Blick auf alle anderen und auch auf sich selbst
werfen. Der Blick hat in der Anwendung auf andere und auf sich selbst eine
disziplinierende Wirkung, denn ,,our behaviour is regulated by the gaze of others and by
the gaze of our own self – reflection“ (Rojek 1995: 61), sodass man sagen kann: ,,Die
Kontrolle der Körper beruht auf einer Optik der Macht“ (Dreyfus / Rabinow 1987: 187).
Das Individuum im Stadion weiß auf Grund des fehlenden zentralen
Überwachungsturms nie, von wo der prüfende Blick auf es selbst fällt. Die Macht des
Blicks ist nicht mehr zu lokalisieren. Sie kann potentiell von jedem Individuum
ausgehen und ,,die Tendenz der Macht, unpersönlich, diffus, verhältnismäßig und
anonym zu werden [...] wird von der panoptischen Technologie aufgegriffen und
praktisch umgesetzt“ (Dreyfus / Rabinow 1987: 224). Die Individuen disziplinieren sich
mit ihren realen und potentiellen Blicken gegenseitig und inkorporieren somit die
40
Macht. Sie erfahren sie, üben sie aber gleichzeitig auch auf andere aus. Sie durchdringt
die Individuen bis in ihr Inneres, verändert ihr Verhalten und wirkt aus ihnen heraus.
Die Individuen ,,sind auch stets in einer Position, in der sie die Macht zugleich erfahren
und ausüben. [...] Mit anderen Worten: die Macht wird nicht auf die Individuen
angewandt, sie geht durch sie hindurch“ (Foucault 1978: 82).
Damit ist eine Trennung in die Macht ausübenden und die Macht erlebenden
Individuen, wie sie im Zusammenhang mit der destruktiven Zentralmacht
vorgenommen werden kann, hinfällig. Im panoptischen Stadionraum ist diese Trennung
nicht mehr gültig. Die Inkorporierung der Macht, die Durchdringung jedes einzelnen
Körpers und ihre Reproduktion in einem bestimmten Verhalten des Individuums führen
dazu, dass im Stadionbesucher der Machtausübende und der Machterlebende ein und
dieselbe Person werden. Die Macht wirkt im oben beschriebenen Sinn produktiv, denn
das bloße Bewusstsein von der potentiellen Existenz eines kontrollierenden Blicks führt
zu einer Verhaltensänderung des Individuums, also zu der bereits erwähnten
Transformation in einem gewünschten Sinn, denn der Panoptismus als
Machttechnologie ist eine solche Macht, die bis an ,,die Individuen rührt, ihre Körper
ergreift, in ihre Gesten, ihre Einstellungen [...] eindringt“ (Foucault 1976 a: 32). Die
Verhaltensänderung des Individuums ist derart, dass es seine Leidenschaft zügelt, denn
der potentielle Blick, hervorgerufen durch die ständige Sichtbarkeit, hat im Hinblick auf
das Verhalten eine präventive Wirkung. Die panoptische Architektur nämlich hat in
Bezug auf die ihr ausgesetzten Individuen ihren Knackpunkt darin, ,,dass sie noch nicht
einmal schlecht handeln können, solange sie sich in ein Feld vollkommener Sichtbarkeit
eingetaucht und eingehüllt fühlen, in dem die Meinung der anderen, der Blick der
anderen, der Diskurs der anderen sie davon abhält, das Schlechte oder das Schädliche zu
tun“ (Foucault 1977: 258). Die Disziplin formt sich zu einer Selbstdisziplin. Die
Zügelung der Leidenschaften wird also nicht alleine dadurch erreicht, die Bildung der
Masse, die als ein Ort des lustvollen Auslebens von Leidenschaften beschrieben worden
ist, zu verhindern.
Die Individuen im Stadion unterwerfen sich einer Situation, einem durch den prüfenden
Blick gekennzeichneten Machtverhältnis, das sie, auf der Grundlage der speziellen
architektonischen Anordnung, selber herbeiführen, stützen und gegen sich selbst und
41
andere anwenden. Sie werden quasi ,,zum Darsteller des Prinzips, das sie unterdrückt“
(Theweleit 1977: 550). Alles was man dazu braucht ist ,,ein Blick, der überwacht, und
den jeder, indem er ihn auf sich ruhen spürt, am Ende so verinnerlichen wird, dass er
sich selbst beobachtet; jeder wird so diese Überwachung über und gegen sich selbst
ausüben“ (Foucault 1977: 260). Die Sichtbarkeit lässt das Individuum zu seinem
eigenen Überwacher werden, oder wie Foucault (1976: 260) schreibt: ,,Derjenige,
welcher der Sichtbarkeit unterworfen ist und dies weiß, übernimmt die Zwangsmittel
der Macht und spielt sie gegen sich selber aus; er internalisiert das Machtverhältnis, in
welchem er gleichzeitig beider Rollen spielt; er wird zum Prinzip seiner eigenen
Unterwerfung“.
5.5. Die Stadionarchitektur als panoptische Raumorganisation
In Kapitel 4.2. dieser Arbeit wurde im Zusammenhang mit Elias Canetti und der
geschlossenen Masse und dem Stadion als Raum ihrer Konstitution darauf hingewiesen,
dass das Stadion als räumlich abgeschlossenes und begrenztes Bauwerk die spezifische
Form der geschlossenen Masse quasi einfordert und damit auf sie eine disziplinierende
Wirkung ausübt. Die Macht als disziplinierende Kraft geht von der Architektur des
Stadions aus. Diese Feststellung muss im Hinblick auf die mit dem Panoptismus
getroffenen Aussagen spezifiziert werden, denn würde diese Macht allein von der
Architektur des Stadions ausgehen, wäre sie wiederum lokalisierbar und angreifbar.
Sicherlich kann es als richtig festgehalten werden, dass auch zu einem gewissen Grad
von der Architektur selbst eine disziplinierende Wirkung ausgeht.
Andererseits aber muss darauf hingewiesen werden, dass die disziplinierende Wirkung
auch auf der Ebene der Raumorganisation und der Verteilung der Individuen im Raum
und ihrer Beziehung zueinander zu verorten ist. Dreyfus und Rabinow (1987: 222)
schreiben dazu: ,,Das Panopticon übt seine Kontrolle zum Teil kraft seiner
wirkungsvollen Raumorganisation aus. Hier gilt es, eine wichtige Unterscheidung zu
treffen. Es handelt sich nicht so sehr um ein architektonisches Modell, das Macht
repräsentiert oder verkörpert, als um ein Mittel des Wirkens von Macht im Raum. Eher
als die Architektur selbst sind es die Techniken zum Gebrauch der Struktur, die eine
42
wirksame Expansion der Macht erlauben“. Die Macht wirkt also weniger von der
Architektur des Stadions her, sondern eher auf aufgrund der Organisation des
Stadionraumes als panoptische Struktur, was die Verteilung der Individuen innerhalb
dieses Raumes und die Anwendung von Blicken beinhaltet. Foucault (1976: 259)
beschreibt diesen Aspekt des Panopticons, der auf das Stadion übertragen werden kann,
wie folgt: ,,Diese Anlage ist deswegen so bedeutend, weil sie die Macht automatisiert
und entindividualisiert. Das Prinzip der Macht liegt weniger in einer Person als
vielmehr in einer konzentrierten Anordnung von Körpern, Oberflächen, Lichtern und
Blicken; in einer Apparatur, deren innere Mechanismen das Verhältnis herstellen, in
welchem die Individuen gefangen sind“.
Von der Architektur ausgehend wird eine Kontrolle und Organisation des Raumes
ermöglicht, während der Panoptismus auf die Kontrolle und Disziplin der Körper
abzielt. Im Stadion mit seiner panoptischen Architektur finden beide zu einer
Verschränkung: ,,Das Panopticon führt uns eine präzise Verbindung zwischen
Körperkontrolle und Raumkontrolle vor [...]“ (Dreyfus / Rabinow 1987: 224) und
,,Foucault zufolge fasst das Panopticon Wissen, Macht, Körperkontrolle und die
Kontrolle des Raumes in einer integrierten Disziplinartechnologie zusammen“ (ebd.:
221). Das Stadion als panoptischer Raum verbindet die Körper im Raum miteinander
mit Hilfe von Macht, die durch Sichtbarkeit, Blicke und das Wissen über das potentiell
ständig beobachtet Werden ausgeübt und erfahren wird, sodass Dreyfus und Rabinow
(ebd.: 224) zusammenfassend über den Panoptismus sagen: ,,Das letzte Moment des
Panoptismus ist die Verbindung zwischen Körpern, Raum, Macht und Wissen“. Die
Verbindung von Architektur und Panoptismus organisiert einen funktionalen und
analytischen Raum, in dem die Individuen über die Sichtbarkeit und den Blick in
Beziehung zueinander gesetzt werden können. Das panoptische Stadion ist ,,ein
Mechanismus zur Verortung von Körpern im Raum, zur Verteilung von Individuen im
Verhältnis zueinander, zur hierarchischen Organisation, zur effizienten Anbringung von
Machtzentren und - kanälen“ (Dreyfus / Rabinow 1987: 221). Indem sie durch die
panoptische Raumorganisation und Architektur miteinander in Beziehung gesetzt
werden, entsteht über die Sichtbarmachung und den Blick eine Beziehung der
Individuen zueinander, die durch wechselseitige Kontrolle und Überwachung
43
beschrieben werden kann. Das Prinzip der Sichtbarkeit wird rigoros umgesetzt, indem
es eben ,,diejenigen, die es zu disziplinieren, zu beobachten und zu verstehen gilt, am
stärksten sichtbar“ (Dreyfus / Rabinow 1987: 223) macht. Die Architektur und
Raumorganisation des Stadions orientieren sich an diesem Prinzip, denn im Stadion
selbst findet es seine bauliche Realisierung: ,,Die Architektur selbst ist ein Mittel dieser
Sichtbarkeit und der subtilen Formen der Kontrolle, die mit ihr einhergehen. Das
Panopticon ist kein Machtsymbol; es bezieht sich nicht auf anderes. Es hat auch keine
tiefe, verborgene Bedeutung. Es trägt seine eigene Interpretation in sich, eine gewisse
Transparenz“ (ebd.: 223). Die panoptische Architektur des Stadions erzwingt die
Sichtbarkeit und Transparenz der Individuen und lässt diese gleichzeitig in seiner
inneren architektonischen Organisation selbst erkennen. Das Stadion ist selbst
transparent und zwar in dem Sinne, dass sein Zweck, die Kontrolle über den Raum mit
der Disziplin über die Körper zu verbinden, sich aus seiner offen zur Schau getragenen
inneren architektonischen Organisation ablesen lässt, und dennoch bleiben die
Wirkungen auf der subtilen Ebene verhaftet. In der Verknüpfung von Transparenz bei
gleichzeitiger völliger Durchdringung entfaltet die panoptische Architektur des Stadions
ihre subtilen Zwänge. Darin liegt seine Effizienz begründet. Der einzelne
Stadionbesucher unterwirft sich diesen Zwängen und reproduziert sie in seinem
Verhalten.
Die auf der Grundlage der inneren architektonischen Organisation des Stadions
hergestellte innere Transparenz und die damit verbundene kontrollierende und
disziplinierende Wirkung ist, wenn man das Stadion von außen betrachtet, nur schwer
zu erkennen (vgl. Kapitel 11). Dem Zuschauer nämlich präsentiert sich das Stadion von
außen auch als Raum der Möglichkeiten (vgl. Kapitel 12 / 13), also als das Gegenteil
seiner bisher erörterten Bestimmung. In seinem Inneren aber und von innen her
betrachtet entfaltet das Stadion seine Bestimmung und zeigt seinen Charakter. Hierin
wird der zweideutige Charakter des Stadions besonders deutlich. Es löst in seinem
Inneren auch das Gegenteil von dem ein, was es von außen betrachtet verspricht, denn
das Stadion ist ein Raum ,,subtly but tightly controlled [...] despite the open appearance
of fantastic freedoms of choice“ (Soja 1989: 246). Das zweideutige Wesen der
Stadionarchitektur beschreibt Bale (1993: 52) treffend wie folgt: ,,The modern football
44
stadium can be interpreted as the antithesis of play and freedom; instead, it has become
a symbol of control and constraint […]”.
5.6. Macht als Beziehung
Die bisherigen Ausführungen haben gezeigt, dass die Individuen im panoptisch
organisierten Stadionraum über den Blick miteinander in Beziehung gesetzt werden.
Das Stadion als Raum organisiert eine Beziehung über den Blick. Die ständige
Sichtbarkeit und der Blick stiften ein Beziehungsverhältnis, dem das Ausüben und das
Erfahren von Macht zugrunde liegt. Man könnte somit sagen, dass die im panoptischen
Stadionraum als anonym, atomisiert und als schwer lokalisierbar beschriebene Macht,
wenn überhaupt, dann im wahrsten Sinne des Wortes eben in dieser Beziehung zu
finden ist. Sie zeigt sich quasi zwischen den Individuen und Gruppen, die sie
miteinander in Beziehung setzt. Foucault (1999: 188) sagt dazu: ,,Die Macht hingegen,
die es hier zu analysieren gilt, ist dadurch gekennzeichnet, dass sie Verhältnisse
zwischen Individuen oder Gruppen ins Spiel bringt“. Sie setzt die Individuen in
Beziehung zueinander und ’zeigt’ sich in eben dieser. Foucault (1978: 126) nimmt dazu
noch deutlicher Stellung: ,,Die Macht gibt es nicht. Ich will damit folgendes sagen: die
Idee, dass es an einem gegebenen Ort oder ausstrahlend von einem gegebenen Punkt
irgendetwas geben könnte, das eine Macht ist, scheint mir auf einer trügerischen
Analyse zu beruhen [...]. Bei der Macht handelt es sich in Wirklichkeit um
Beziehungen, um ein mehr oder weniger organisiertes, mehr oder weniger
pyramidalisiertes, mehr oder weniger koordiniertes Bündel von Beziehungen“. Die
Beziehung zwischen den Individuen lässt die Macht und ihre disziplinierenden Formen
wirksam werden.
Im Stadion kann das Stiften dieser Machtbeziehung auf der Grundlage einer räumlich
gerichteten Beziehung als spezifische Strategie der Architektur begriffen werden. Die
panoptische Architektur des Stadions ist eine Strategie, um die Individuen auf einer
räumlichen Anordnung basierend in Beziehung zu setzen, um die Macht wirksam
werden zu lassen. Zum einen entsteht durch die Wirkung der Machtbeziehung das
Individuum als Individuum, was den produktiven Charakter der Macht beweist. Zum
45
anderen aber produziert die Machtbeziehung der einzelnen Individuen untereinander
eine Masse, oder besser gesagt ein geordnetes Kollektiv, um einen bereits entwickelten
Begriff in diesem Zusammenhang wieder aufzugreifen. Die Machtbeziehung wirkt
demnach als eine ,,Disziplinartaktik [...], die das Einzelne und das Vielfältige verbindet.
Sie ermöglicht sowohl die Charakterisierung des Individuums als Individuum wie auch
die Ordnung einer gegebenen Vielfalt“ (Foucault 1976: 191).
5.7. Macht als Norm
Eine weitere Form, die die Macht annimmt, ist die der Norm. Sie versteht sich selbst als
eine solche. Foucaults Interpretation nach sind Institutionen wie Krankenhäuser,
Gefängnisse, Kasernen und Schulen dazu geschaffen worden, um die Anormalen von
den Normalen zu trennen, oder um aus anormalen Individuen normale zu machen: ,,Die
Norm wird zum Kriterium, nach dem die Individuen sortiert werden“ (Foucault 1976 a:
84). Die Macht wirkt normalisierend, sie hat eine Normalisierungsfunktion und nimmt
die Form der Norm. Die Norm durchdringt die Individuen bis in ihr Innerstes und wird
zum Leitgedanken einer Gesellschaft und verkörpert sie geradezu: ,,Das, wodurch die
Macht [...] wirkt, ist die Gewohnheit, die bestimmten Gruppen auferlegt wurde. [...] Sie
nimmt die hinterlistige, alltägliche Form der Norm an, so verbirgt sie sich als Macht und
wird sich als Gesellschaft geben“ (Foucault 1976 a: 123). Die Unterscheidung wird an
dem Kriterium der Gewohnheit unternommen. Das, was wir nicht gewöhnt sind, was
uns anormal erscheint, wird als nicht erwünscht klassifiziert, als das, was es zu
unterdrücken gilt.
Diese Unterdrückung geht jetzt aber nicht mehr von einem Gesetz aus, sondern von den
eigenen Vorstellungen des Individuums. Damit ist die Macht in die Köpfe
eingedrungen, hat also nicht nur den Körper besetzt und ihn durchdrungen, sondern ist
am tiefsten Punkt des Individuums gelangt, seiner Seele. Von den Individuen ausgehend
gelingt es der Norm, eine übergreifende Wirkung zu erzielen, die bis hin zu der
Einflussnahme auf die Konstitution der Gesellschaft reicht. Foucault (1995: 40) erkennt
in modernen Gesellschaften einen ,,Machtmechanismus [...], dessen fundamentales
Prinzip nicht das Gesetz, sondern eher die Norm“ ist. Foucault (1976 a: 84) äußert sich
46
dahingehend noch präziser: ,,Wir sind in einen Gesellschaftstyp eingetreten, in dem die
Macht des Gesetzes dabei ist, zwar nicht zurückzugehen, aber sich in eine viel
allgemeinere Macht zu integrieren, nämlich in die der Norm“. Die Macht wirkt als
Norm, und die Norm ist es, an der sich die ,,Normgesellschaft“ (Foucault 1976 a: 84)
orientiert und ausrichtet und an der die Individuen ihr eigenes Verhalten messen. Die
Macht der Norm wirkt steuernd auf das Verhalten der Individuen ein und produziert im
Individuum das Wissen darüber, welches Verhalten als normal oder anormal anzusehen
ist, welches Verhalten gewünscht ist und welches nicht, wie das Individuum sich selbst
zu verhalten hat und wie nicht. Elias und Dunning (2003: 124) schreiben dazu: ,,Um als
normal klassifiziert zu werden, wird von Erwachsenen, die in Gesellschaften wie der
unseren erzogen wurden, erwartet, die aufsteigende Erregung rechtzeitig zu
beherrschen“. Durch die Wirkung der Macht als Norm wird vom Individuum die
Kenntnis und das Befolgen von bestimmten Verhaltensnormen erreicht: ,,Die Macht der
Norm kommt nach diesem Verständnis vor allem in der Disziplin zum Ausdruck, in den
verschiedenen Techniken der Normierung und Normalisierung, die die Individuen
einem System zwanghaft fixierter Verhaltensschemata unterwerfen [...]“ (Breuer 1992:
50). Dadurch, dass die Norm auf das Verhalten der Individuen einwirkt, ist eine
Verbindung gezogen zu der von der Disziplin angestrebten Transformation der
Individuen in einem bestimmten Sinn. Die zwei Stufen der Disziplin, die Unterwerfung
und die Transformation, finden in der Norm und der daran anschließenden
Verhaltensänderung ihre Entsprechung.
Für das Verhalten eines Individuums in einem Stadion bedeutet das, dass es seine
Leidenschaft entsprechend zügeln wird. Zu einem völligen Ausleben der Affekte,
Gefühle und Leidenschaften wird es nicht kommen, weil das Individuum und auch alle
anderen ein solches Verhalten als anormal betrachten. Die Norm wird zum Maßstab des
Verhaltens und das Individuum fordert von sich selbst und allen anderen ein normales
Verhalten ein. Es kontrolliert sein eigenes Verhalten und das der anderen, misst sich und
andere an der Norm und diszipliniert sich selbst und andere durch den prüfenden Blick.
Die Macht als Norm schafft ein Verhältnis, das darauf abzielt, das Verhalten und die
Handlungen der Individuen zu verändern, denn Foucault (1999: 191) sagt:
,,Machtausübung bezeichnet [...] die Wirkungsweise gewisser Handlungen, die andere
verändern“. Die Transformation des Verhaltens und der Handlungen ist dauerhafter
47
Natur und wirkt nachhaltig: ,,Tatsächlich ist das, was ein Machtverhältnis definiert, eine
Handlungsweise, die nicht direkt und unmittelbar auf die anderen einwirkt, sondern
eben auf deren Handeln, [...] auf mögliche oder wirkliche, künftige oder gegenwärtige
Handlungen“ (ebd.: 192).
5.8. Macht als Haltung: Das Sitzen und der Stuhl
Eine letzte Form nimmt die Macht in der Haltung an. Es ist bereits eingehend darauf
hingewiesen worden, dass nicht die Masse, sondern der einzelne Körper als
Ansatzpunkt für die Macht, die Disziplin und den Blick fungiert, denn ,,es geht nicht
darum, den Körper in der Masse, en gros, als eine unterschiedslose Einheit zu
behandeln, sondern ihn im Detail zu bearbeiten; auf ihn einen fein abgestimmten Zwang
auszuüben; die Zugriffe auf der Ebene der Mechanik ins Kleinste gehen zu lassen:
Bewegungen, Gesten, Haltungen [...]“ (Foucault 1976: 175). Die Macht versucht also
auf der kleinsten Ebene anzusetzen. Von dort ausgehend aber gelingt es ihr, ihre größte
Wirkung zu erzielen. Wie die Macht als Haltung wirken kann, dass soll nun am Beispiel
des Sitzens und des Stuhls erläutert werden.
Das Sitzen ist eine Haltung, eine spezifische Körperhaltung mit bestimmten
Charakteristika, die vom Individuum durch den Einsatz seines Körpers realisiert wird.
Das Sitzen ist eine Körperhaltung, von der jeder eine genaue Vorstellung hat. Jeder hat
eine konkrete Vorstellung vom Sitzen, jeder weiß, wie ein sitzendes Individuum
auszusehen, welche Körperhaltung es einzunehmen und wie es sich zu verhalten hat.
Ein sitzendes Individuum ist ruhiger, kann lokalisiert und im Sitzen auf seinem Platz
festgehalten werden: ,,Die Zuschauer können sitzen; die allgemeine Geduld wird sich
selber sichtbar. Sie haben die Freiheit ihrer Füße zum Stampfen und bleiben doch am
selben Fleck“ (Canetti 1980: 34). Der Sitzende ist in seinen potentiellen Handlungen
eingeschränkt, sodass es durch das Sitzen ermöglicht wird, Kontrolle über das
Individuum zu gewinnen: ,, ’Wer sitzt, der sitzt’ ist mehr als bloße Tautologie. Derjenige
der sitzt, vermag nur eingeschränkt zu agieren und bringt mehr als sein Sitzen zum
Ausdruck. Er veranschaulicht bildhaft, dass er keine Absichten hegt [...]. Wer sitzt,
48
handelt nicht, sodass Sitzen zum Synonym für Nichthandeln wird“ (Eickhoff 1993:
164). Ähnlich formuliert es Canetti (ebd.: 436) der feststellt, das an den Stehenden
andere Erwartungen gerichtet sind als an den Sitzenden: ,,Während man vom Stehenden
vielerlei erwartet und die Vielfalt seiner Möglichkeiten zum Respekt vor ihm, vor seiner
Regsamkeit und Lebendigkeit, ein Reichliches beiträgt, erwartet man vom Sitzenden,
dass er sitzen bleibt“. Das Sitzen bringt folglich eine Zügelung der Leidenschaften mit
sich, denn ,,im Sitzen erwirbt der Mensch die Fähigkeit, Affekte nicht blind
auszuagieren, sondern im äußeren Gleichmaß von Gebärde und Haltung auszuleben“
(ebd.: 166). Im Akt des Sitzens wird dem Individuum eine Kontrolle seiner
Leidenschaften abverlangt. ,,Es hat ihm ein zusätzliches Maß an Hemmungen auferlegt
[...]“ (ebd.: 156) und durch das Sitzen werden im Individuum bestimmte Wesenszüge
ausgebildet, die wiederum in Richtung einer Zügelung und Beherrschung des Selbst
wirksam werden. Es sind dies ,,Duldsamkeit, Selbstbescheidung, Affektbeherrschung
[...] und Selbstkontrolle“ (ebd.: 235).
Das Individuum wird also einer bestimmten Ordnung unterworfen, diszipliniert sich und
daran anschließend andere aber selbst, denn es hat ein konkretes Wissen davon, was das
Sitzen im Hinblick auf Körperhaltung und Verhalten bedeutet. Die Macht und ihre
Wirkung nimmt also die Form einer körperlichen Haltung an und ist damit in den
Körper eingedrungen und diszipliniert ihn von innen her. Das Sitzen als körperliche
Haltung ist Ausdruck der Machtwirkung im Körper. Das sitzende Individuum im
Stadion erfährt so Macht, gleichzeitig aber drückt es sie im Sitzen durch seinen Körper
aus, da durch das zur Schau stellen des Sitzens andere Individuen diszipliniert und an
das Sitzen als Körperhaltung mit einem entsprechenden Verhalten erinnert werden.
Dieses Machtwirkungsprinzip weist mit dem der Macht als Norm Parallelen auf, denn
von der Körperhaltung des Sitzens geht auf das Individuum und sein Verhalten eine
normalisierende Wirkung aus.
Das Sitzen und der Stuhl können im Sinne von Foucault als Disziplinartechniken
bezeichnet werden, denn sie unterwerfen das Individuum einer bestimmten Ordnung
und setzen es als ein solches, dessen Körper die gewünschten Eigenschaften hat, neu
zusammen. Die Disziplinartechniken ‚Sitzen’ und ,Stuhl’ kommen in den modernen
Stadien zur Anwendung, denn diese sind vielfach reine Sitzplatzstadien und auch
49
Bausenwein (1995: 462) erkennt ,,in der Tendenz, die Stadien zu Sicherheitszonen zu
deklarieren, in denen nur gebremste Sitzplatz – Emotionen zugelassen sind, eine weitere
Verfeinerung im Prozess der Disziplinierung“. Canetti (1980: 436) schreibt: ,,Es gibt
kaum eine menschliche Institution, die sich diese Qualität des Sitzens nicht zunutze
macht; die es nicht zu ihrer Bewahrung und Befestigung verwendet“. Das Unterwerfen,
Zergliedern und neu Zusammensetzen des Körpers wird durch den Stuhl und das Sitzen
als Disziplinartechniken besonders deutlich: ,,Das Sitzen [...] hat den schon Sesshaften
ein zweites Mal diszipliniert. [...] Das Sitzen greift in die Ordnung der Physis ein [...]“
und ,,schneidet werkzeugmäßig in den Leib“. [...] ,,Der Stuhl fasst dabei den Sitzenden
ein, legt sich wie eine Schablone auf das Vegetative und schneidet so in die Physis, dass
Funktionen geformt und gehemmt werden“ (Eickhoff 1993: 156). Durch das Sitzen und
den Stuhl als zwei besondere Disziplinartechniken greift die Macht direkt am Körper
des Individuums an und wirkt aus ihm heraus. Die Macht geht nicht vom Stuhl aus,
sondern von der Körperhaltung des Sitzens, die er einfordert und die vom Individuum
ausgeführt wird, wodurch sie sich in das Innere des Individuums verlagert. Auch hier
greift ein bereits erwähnter Aspekt: das Individuum wird im Sitzen zum Träger seiner
eigenen Unterwerfung. Eine dauerhaft wirkende Transformation des Individuums wird
ermöglicht, denn ,,der Stuhl gestaltet die Formen des Verhaltens, Empfindens und
Denkens wesentlich“ (ebd.: 13) mit. Es gilt, auf den Willen einzuwirken und aus dem
sitzenden Individuum ein ’sich setzen wollendes Individuum’ zu formen. Dieses
Individuum repräsentiert die Disziplin und die Wirkung der Macht in seiner vollendeten
Form. Der Stuhl hilft dabei dieses zu erreichen: ,,Der Stuhl schneidet nicht nur in die
Physiologie, sondern zähmt und formt auch den Willen der einzelnen, um ihn dem der
Gemeinschaft zu unterwerfen“ (ebd.: 193). Das ’sich setzen wollende Individuum’
unterliegt der völligen Kontrolle, die von der Gemeinschaft gewünscht wird, aber
letzten Endes von ihm selbst ausgeht: ,,Wenn sich die Menschen freiwillig setzen, hat
die Gesellschaft über ihre einzelnen Glieder gesiegt und sie zu Individuen umgestaltet.
In der Lust am Sitzen zeigt sich eine individuelle Lust, die den verinnerlichten
Gemeinschaftswillen repräsentiert. In ihr hat sich das vereinzelte Wollen selbst zerstört.
Doch nur scheinbar freiwillig, denn hinter der Lust steht ein gebändigter und gefügig
gemachter Wille“ (ebd.: 193).
50
6. Die Produktion des Individuums
Die bisherigen Erläuterungen bezüglich der Architektur des Stadions haben gezeigt,
dass die Masse gegenüber den Individuen zunehmend unter Druck gerät. Wo die
Bildung der Masse von Beginn an unterbunden wird, da ist auch kein Abtauchen mit der
Aufgabe der eigenen Identität und Individualität in ihr möglich. Gerade dies aber haben
Le Bon und Canetti als konstitutiv für die Massenbildung gekennzeichnet. Vielmehr
geschieht in den Stadien genau das Gegenteil. Es werden keine Massen im klassischen
Sinne gebildet, sondern Individuen. Durch die panoptische Architektur und die in ihr
wirkenden Mächte werden das Individuum und seine Identität und Individualität
produziert, denn Foucault (1978: 83) stellt diesbezüglich fest: ,,Das Individuum ist also
nicht erst das gegenüber der Macht; es ist wie ich glaube, eine seine ersten Wirkungen.
Das Individuum ist eine Wirkung der Macht [...]“. Wie erläutert wurde, setzt die Macht
am Individuum an, in seinem Inneren, und produziert es damit. Dieser Sachverhalt
verdeutlicht den von Foucault betonten produktiven Charakter der Macht. Der
Disziplin, die als spezifische Machttechnologie beschrieben worden ist, kann bei der
Produktion des Individuums eine entscheidende Rolle zugeschrieben werden. Die
Disziplin als am Individuum angewendete Technik ermöglicht ,,die Charakterisierung
des Individuums als Individuum [...]“ (Foucault 1976: 191), denn für das Individuum
gilt, dass es ,,von der spezifischen Machttechnologie der ,Disziplin’ produziert worden
ist“ (ebd.: 250). Im Stadion erfährt das Individuum seine eigene Existenz und wird sich
seiner selbst gewiss. Die panoptische Architektur und das Wirken der
Machttechnologien initiieren einen Produktionsprozess, in dem das Individuum die
Erkenntnis seiner eigenen Existenz gewinnt, denn ,,das Individuum und seine
Erkenntnis sind Ergebnisse dieser Produktion“ (ebd.: 250).
Die Erkenntnis für das Individuum liegt in der Vergegenwärtigung des eigenen Ichs und
der eigenen Existenz. Dies gelingt unter anderem durch die oben beschriebenen
verschiedenen Formen, die die Macht annehmen kann. Sie setzt die Individuen in
Beziehung zueinander und produziert damit das Individuum als solches, denn erst in der
Beziehung des Individuums zu einem anderen kann es sich seiner eigenen Existenz
bewusst werden. Der Blick hilft bei dieser Selbstvergewisserung, denn im Erblicken des
51
anderen kann das Individuum sich seine eigene Existenz bestätigen. Der Andere
fungiert wie ein Spiegel, in dem das Individuum sich selbst erkennen kann. Notwendig
für diesen Prozess ist eine ständige Sichtbarkeit und die Macht des Blicks, die beide von
der panoptischen Stadionarchitektur bereitgestellt werden.
Die Macht als Norm hat ebenfalls Einfluss auf die Produktion des Individuums, denn
die Norm betrifft die Erkenntnis des Individuums, seine Selbsterkenntnis. Das
Individuum gewinnt seine Selbsterkenntnis derart, dass es durch die Wirkung der Norm
eine Vorstellung davon entwickelt, wie es sich als Individuum zu verhalten hat, um sich
selbst als Individuum zu erkennen und auch von anderen als solches erkannt und
anerkannt zu werden. Durch ein von der Norm abweichendes Verhalten würde es seinen
Status als Individuum gefährden. Soweit aber wird es das Individuum nicht kommen
lassen, woran sich die selbstdisziplinierende Wirkung der Norm ablesen lässt.
Eine genauere Beschreibung des Zusammenhangs von Individuum und Selbsterkenntnis
kann erreicht werden, wenn der Begriff ’Individuum’ durch den Begriff ’Subjekt’ ersetzt
wird. Dazu Foucault (1987: 246 – 247): ,,Das Wort Subjekt hat einen zweifachen Sinn:
vermittels Kontrolle und Abhängigkeit jemandem unterworfen sein und durch
Bewusstsein und Selbsterkenntnis seiner eigenen Identität verhaftet sein. Beide
Bedeutungen unterstellen eine Form von Macht, die einen unterwirft und zu jemandes
Subjekt macht“. Diese Differenzierung verdeutlicht die zweifach produktive Wirkung
der Macht als Disziplinartechnologie. Das Subjekt entsteht durch die Wirkung der
Macht. Es geht aus der Unterwerfung hervor und bleibt ein immer unterworfenes
Subjekt. Das Subjekt bleibt das Subjekt jemanden anderes. Die Produktion der
Selbsterkenntnis dagegen hilft dem Subjekt sich seiner selbst gewiss zu werden, indem
es sich seiner Identität bewusst wird und in ihr verhaftet bleibt. Das Subjekt wendet die
Macht auf sich selbst an. Es wird zu dem bereits erwähnten Träger seiner eigenen
Unterwerfung, indem es sich zum Subjekt seiner selbst macht.
Auch das Sitzen und der Stuhl haben einen entscheidenden Einfluss auf die Produktion
des Individuums, denn sie garantieren auf ihre ganz eigene Weise Identität und
Individualität. Bereits in Kapitel 5.8. ist darauf hingewiesen worden, dass das Sitzen
52
und der Stuhl das Verhalten und Denken des Individuums wesentlich mitbestimmen und
somit seine Identität prägen. Gleichzeitig ermöglichen sie Individualität, denn durch das
Sitzen und den Stuhl werden gegenüber anderen Individuen abgrenzende Distanzen
festgelegt: ,,Der Rahmen des Stuhls zieht gemeinsam mit der Körperhaltung beim
Sitzen neue Grenzen zwischen den Menschen und setzt Distanzen fest. Der Stuhl
isoliert den Sitzenden, wodurch der Raum des Stuhls zu einem Mikrokosmos für das
Individuelle wird. Gleichzeitig macht er die Grenzen der Menschen zueinander explizit“
(Eickhoff 1993: 173). Der Stuhl als vergegenständlichte und zugesicherte Individualität
gegenüber anderen dient somit der Selbstvergewisserung des Individuums, denn im
Stuhl findet es buchstäblich einen nur ihm individuell zugeschriebenen Platz, auf den es
sein eigenes Ich beziehen kann.
Dieses Prinzip des Zusicherns und Bestätigens von Individualität durch den Stuhl birgt
eine gewisse Paradoxie in sich, denn vom Standpunkt der panoptischen Architektur her
wird dieses Prinzip gleichzeitig bestätigt und in sein Gegenteil gekehrt. Laut Foucault
(1976: 183) gilt: ,,Jedem Individuum seinen Platz und auf jedem Platz ein Individuum“.
Andererseits aber wird in den modernen Sitzplatzstadien die Individualität des
Individuums negiert, denn die Kontrolle und Identifikation des Individuums erfolgen
über nummerierte Tickets und nummerierte Sitzplätze, die zueinander passen müssen,
damit das Individuum einen Sitzplatz belegen kann: ,,Each and every spectator will be
identifiable by the number of the seat which he or she is occupying“ (Bale 1993: 31).
Die Individualität des Individuums ist dabei unerheblich, denn es wird zu einer bloßen
Nummer degradiert, indem ihm ein spezifischer Sitzplatz zugeordnet wird. Dadurch
wird dem Individuum eigentlich seine Individualität abgesprochen, was mit Bales (ebd.:
48) Aussage bestätigt wird: ,,In all – seater stadiums place – specificity reaches its
extreme form with people becoming numbers“.
Der Stuhl und das Sitzen verdeutlichen die von Canetti beschriebene und immer
präsente Berührungsfurcht (vgl. Kapitel 3.). Der Berührungsfurcht wird im Aufbau
neuer Distanzen und Grenzen zwischen den Menschen mit Hilfe des Stuhls Rechnung
getragen, denn ,,gemeinsam mit der Haltung des Sitzens schafft er neue Abgrenzungen
zwischen den Menschen, fügt sie in feste Rahmen, fixiert Distanzen [...]“ (Eickhoff
53
1993: 13). In den reinen Sitzplatzstadien dienen der Stuhl und das Sitzen dem
Aufrechterhalten der Berührungsfurcht und werfen das einzelne Individuum somit
immer wieder auf seine Individualität zurück. Berührungsfurcht und Individualität
können nicht abgelegt werden, wodurch der Massenbildungsprozess im Sinne Canettis
verhindert wird, da die Distanzen zwischen den Menschen nicht überwunden werden
können. Van Winkel (2000: 33 – 34) bemerkt dazu: ,,In contemporary all – seater
stadium design, the fear of touch described by Canetti has in effect been sublimated,
with the result that crowd formation is blocked“. Der Stuhl repräsentiert die
Berührungsfurcht in ihrer reinsten Form, verkörpert er doch ,,ein gegenüber anderen
abgestecktes Territorium“ (Eickhoff 1993: 173). Den territorialen Aspekt des Stuhls im
Sitzplatzstadion betont auch Bale (1993: 48): ,,A sense of territory is therefore subtly
imposed within the stadium and place to place differences at the micro - scale are
emphasized”. Der Stuhl als Territorium gehört nur einem Individuum allein und erfährt
dadurch für das Individuum eine besondere Wertschätzung, denn der Stuhl als
Territorium ,,bietet durch seine Grenzen und die Möglichkeit, ihn individuell zu
markieren, Schutz und Behütung“ (Eickhoff 1993: 173). Der Stuhl wird zum Ort des
Schutzes gegenüber der Berührungsfurcht, oder wie Eickhoff (ebd.: 173) es treffend
zusammenfasst: ,,Der Stuhl wird zum vertrauten Ort der Ruhe und des Schutzes, ein Ort
des Freiseins von ungewollten Nachstellungen, eine Schaltzentrale zur Verteidigung des
Intimbereichs“.
Die identitätsstiftende Wirkung des Sitzens und des Stuhls geht auch auf die mit ihnen
verbundene Affektkontrolle zurück. Das Sitzen auf einem Stuhl ist mit einer Zügelung
der Leidenschaften verbunden. Das Individuum ist nicht länger Spielball seiner eigenen
Affekte, sondern kann sich als autonom handelndes Wesen selbst erkennen und gelangt
zur Selbsterkenntnis. Das Sitzen und der Stuhl helfen dabei, eine ,,Unabhängigkeit von
leiblichen Impulsen“ (ebd.: 165) zu erlangen und Herr über sich selbst zu werden. Im
Sitzen auf einem Stuhl erfährt das Individuum ,,das Freisein von Leiblichkeit und das
Aufbauen und Erleben eines selbstinszenierten Ichs. In der Freiheit steckt die
Bewusstwerdung des Selbst und der Triumph über den fremd gewordenen,
ungezügelten Leib“ (ebd.: 165). Die Identität und die Selbsterkenntnis liegen in der
Fähigkeit, sich selbst als Individuum zu inszenieren und sich des eigenen bewussten
54
Ichs bewusst zu sein. Die Fähigkeit des Individuums sich selbst zu inszenieren, also
seinen eigenen Status als Individuum zu produzieren, kann als Inkorporierung der
Macht und Anwendung auf sich selbst gedeutet werden.
7. Neue Massenformen
Die bisherigen Erläuterungen haben dargelegt, dass die von Canetti beschriebene Masse
als einheitlicher Gefühlskörper auf Grund der Sitzplätze nicht mehr vorzufinden ist. Sie
fordert eine Dichte ein, die durch die errichteten Distanzen nicht mehr zu erzielen ist,
sodass ihr Selbstverständnis unerfüllt bleiben muss: ,,Die Körper geben einander
Anregungen direkt weiter. Ringsherum hat man an verschiedenen Menschen zugleich
mit seinem Körper teil. Man weiß, es sind mehrere Menschen, aber da sie auch
untereinander so dicht zusammenhängen, empfindet man sie als eins“ (Canetti 1980: 32
– 33). Für Canettis Masse ist der Körpersinn ,,Fühlen“ in Bezug auf ihre Konstituierung
von entscheidender Bedeutung. Alle Körper verschmelzen zu einem Gefühlskörper und
es stellt sich eine Gefühl der Gleichheit ein. Der Körpersinn ,Fühlen’ aber ist es, der der
Masse im Stadion durch die Sitzplätze quasi genommen wird. Hier ist der Punkt, wo der
Stuhl förmlich in den Körper schneidet, denn das auf einem Stuhl sitzende Individuum
hat nur schwer die Möglichkeit, mit seinem Körper direkt am Körper von anderen
teilzuhaben, um Mitglied eines einheitlichen Gefühlskörpers zu werden.
Die Masse versucht der Verhinderung ihrer physischen Konstituierung durch den
Körpersinn ,Fühlen’ derart entgegenzuwirken, dass sie sich neue Formen der
Massenbildung sucht. Durch die spezielle Architektur der neuen Stadien hat sich ein
neues Verständnis, eine neue Qualität von Masse entwickelt. Die neuen Formen der
Masse konstituieren und erleben sich selbst nicht über ihre körperlich gefühlte Dichte,
sondern über andere Qualitäten wie zum Beispiel visuelle, imaginäre oder auditive
Merkmale. Diese Massenerlebnisse sind nicht mehr an den Körpersinn Fühlen
gebunden, denn diese Massen gründen sich auf der Grundlage anderer Körpersinne, des
Sehens und des Hörens, sowie auf die Vorstellungskraft.
Die Existenz der ,neuen Massenformen’ lässt einmal mehr den zweideutigen Charakter
des Stadions sichtbar werden: Einerseits soll die klassische Massenbildung verhindert
55
und das Individuum diszipliniert werden, andererseits bieten sich auf der Grundlage der
architektonischen Besonderheiten des Stadions der Masse alternative
Konstitutionsformen an, die zwar leichter zu kontrollierende Massenformen sind, aber
ebenfalls ein intensives Ausleben von Leidenschaft ermöglichen.
Die neuen Massenformen sollen nun eingehender betrachtet werden.
7.1. Die visuelle Masse
Eine neue Form der Massenbildung ist die visuelle Masse. Für die Bildung einer
visuellen Masse ist der Körpersinn ,Sehen’ wichtiger als der Körpersinn ,Fühlen’. Die
Architektur des Stadions sucht dieser neuen Massenform dadurch zu entsprechen, dass
die Sicht von jedem Platz möglichst gleich gut sein soll: ,,Sie sollen gut sehen können,
jeder von seinem Platz [...]“ (Canetti 1980: 25). Die Masse soll sich selber sehen
können, damit sich in der Folge davon der bereits beschriebene Effekt einstellen kann,
dass sie sich selbst bestaunen und sich an sich selbst berauschen kann (vgl. Kapitel
4.2.). Der Anblick der Masse ist der Moment ihrer Konstitution. Das einzelne
Individuum kann von seinem Sitzplatz aus einen ständigen Blick auf diese Masse
werfen und erhält eine ununterbrochene visuelle Vergegenwärtigung dessen, wovon es
ein Teil ist. Trotz der Parzellierung der Individuen können sie eine massenhafte
Verbindung eingehen, die über das Sehen und den Blick gestiftet wird: ,,Der Akt des
Überblickens und des Überblicktwerdens wird zu einem zentralen Mittel, durch das die
Individuen in einem Disziplinarraum verbunden werden“ (Dreyfus / Rabinow 1987:
187).
Je mehr der Körpersinn ,Fühlen’ für die Massenbildung negiert wird, desto mehr scheint
der Körpersinn ,Sehen’ stärker ausgebildet zu werden. Dem Stuhl und dem Sitzen als
Körperhaltung fallen dabei als Disziplinartechniken im Sinne von Foucault die Aufgabe
zu, diese Transformation der Sinne des Individuums zu ermöglichen, denn ,,die
Dominanz des Auges wird infolge der Einschränkung von Riechen, Tasten und Hören
erzielt. Durch räumliche Distanzierungen bereitet der Stuhl solche Beschränkungen vor.
Da das Funktionieren der Sinnesorgane der Einübung und Gewohnheit bedarf, gewinnt
56
die Ausbildung des Auges im Sitzen zwangsläufig [...] den Vorrang und erzeugt eine
neue Hierarchie der Sinne“ (Eickhoff 1993: 174). Die neue Zusammensetzung des
Individuums betrifft also auch die Körpersinne. Diese Neuordnung der Sinne hin zu
einer Betonung des Körpersinns ,Sehen’ ist die Grundlage der visuellen Masse.
Einerseits unterbinden die Sitzplätze als Teil der Architektur des Stadions die klassische
Massenbildung als Gefühlskörper, andererseits aber bietet das Stadion mit seiner
spezifischen Architektur als runder und panoptischer Raum der Masse eine alternative
Konstitutionsmöglichkeit. Das Stadion trägt diese Alternative in seiner
architektonischen Anordnung in sich und unterstützt die Masse bzw. das einzelne
Individuum bei der Wahrnehmung dieser Alternative, indem es den Sehsinn betont. Die
visuelle Masse und die Architektur bedingen sich folglich wechselseitig.
Ein entscheidender Punkt, in dem sich die visuelle Masse von der Masse, die von Le Bo
beschrieben worden ist, unterscheidet, ist der, dass die visuelle Masse nicht länger
Spielball ihrer eigenen Gefühle, Triebe und Affekte ist, da diese in ihr diszipliniert
worden sind. Grundlage ihrer Konstitution ist das Sehen und nicht ein triebgesteuertes
Gefühl.
Eine Ausdrucksform der visuellen Masse, gleichsam ein Beweis ihrer Existenz und ein
Akt des sich selbst sichtbar Machens als Masse, sind die vielfältigen großen und bunten
Banner und Fahnen, die in den Stadien zu sehen sind, und die in einem die
Gemeinschaft sichtbar machenden Akt aufgeführt werden. Wie Gamper (1999: 55)
hierzu treffend feststellt, ,,artikuliert sich die Fan – Masse optisch durch koordinierte
Bewegungen [...]“. Mit Hilfe der geradezu choreographisch inszenierten
Fahnenensembles macht die visuelle Masse sich als solche sichtbar: ,,Ein solcher die
ganze Anhängerschaft vereinigender, vereinheitlichender [...] Beitrag gelingt den
Anhängern aber noch viel ausdrucksstärker mit ihren choreographischen
Inszenierungen“ (Prosser 2002: 282). Darüber hinaus diszipliniert die visuelle Masse im
Akt der Choreographie sich selbst und den einzelnen, denn die Choreographie erfolgt
aus ihr selbst heraus und erfordert ein entsprechendes Verhalten. Damit widerspricht die
visuelle Masse in einem weiteren Punkt den Vorstellungen Le Bons. Hatte er sie als
wildes und kopfloses Wesen beschrieben, so beweist die visuelle Masse in und mit der
57
inszenierten Choreographie genau das Gegenteil. Prosser (ebd.: 284) schreibt dazu:
,,Die Choreographie ist die Großzeremonie der neueren Fankultur. Sie ist insofern
bemerkenswert, als sie gerade nicht Unzivilisiertheit und Ausgelassenheit zeichenhaft
fixiert, sondern eine großartige Akkuratesse demonstrieren will [...]. Sie setzt
Mitgestaltungswillen, Beteiligungsmotivation und Disziplin aller anvisierten Besucher
über ganze Stadionblöcke voraus [...]“. Nielsen (1995: 33) bemerkt dazu treffend:
,,Crowd - life does not equal chaos, but order”. Die visuelle Masse übt ihre
disziplinierende Wirkung auf sich selbst und den einzelnen auf die Weise aus, dass sie
sich ihren eigenen Anblick als ein eine Choreographie inszenierendes Wesen sich selbst
zum Vorbild macht, das es zu erreichen gilt. Wie die geschlossene Masse berauscht auch
die visuelle Masse sich an ihrem eigenen Anblick, ist fasziniert von sich selbst und
muss über sich selbst staunen.
7.2. Die imaginäre Masse
Eine ebenfalls neue Form der Masse ist die imaginäre Masse, die Masse, die sich in der
Vorstellungswelt der Individuen konstituiert. Grundlage und Vorraussetzung für die
imaginäre Masse ist die auf vielfältige Weise auf das Individuum angewendete
Affektkontrolle. Die Affektkontrolle führt im Ergebnis dazu, dass die sich im
Individuum befindenden Leidenschaften nicht in Form von äußeren Handlungen
ausgelebt werden, sondern sich wieder nach innen wenden. Eickhoff (1993: 166) sagt:
,,So werden im Sitzen die nach außen drängenden Affekte, die Wildheit des Menschen,
aufgesogen, ins Vegetative innerer Landschaften umgelenkt und zu Innenwelten, zu
geistigen Räumen und Abläufen der Einbildungskräfte umgestaltet“. Die
Massenbildung kann also nicht im Sinne Canettis in Form eines Gefühlskörpers
körperlich ausgelebt werden und verlagert sich, bedingt durch das Sitzen, Eickhoff
zufolge deshalb auf die imaginäre Ebene des einzelnen Individuums. Die in der
Imagination des Individuums entstehende Vorstellung davon Teil einer Masse zu sein,
verschränkt sich dabei mit der visuellen Masse, denn die in der Vorstellungswelt des
Individuums existierende Masse erfährt beim Anblick der visuellen Masse die visuelle
und geistige Bestätigung ihrer Existenz. Die imaginäre Masse orientiert sich eher an
58
einer Idee und einer Vorstellung als an einem konkreten Körpergefühl. Damit ist eine
gewisse Parallele zu Le Bon gezogen, der die Massenbildung stärker auf der
psychologischen Ebene verortet hat. Die von ihm beschriebene Gemeinschaftsseele
trägt die Idee der Masse in sich. Teil dieser Gemeinschaftsseele und somit der Masse
wird das Individuum aber nicht über einen körperlich ausgelebten Akt wie das Fühlen
es wäre und wie Canetti es für die Massenbildung als konstitutiv fordert, sondern allein
dadurch, dass es die Idee teilt. Das Individuum wird allein in seiner Imagination Teil der
Masse, was zu der imaginären Masse führt.
7.3. Die auditive Masse
Die Entstehung der auditiven Masse wird durch die hermetisch abgeschlossene
Bauweise der Stadien ermöglicht, die es erlaubt, dass ,,der Schall des Torjubels nie ins
Leere geht, der Lärm auf diese Weise in sich selbst widerhallt“ (Prosser 2002: 275). Die
kesselförmige Bauweise der Stadien intensiviert die Wirkung der Geräusche. Die Masse
konstituiert sich über die hörbaren Geräusche und vergewissert sich über das Hören
ihrer eigenen Existenz, denn wie Gamper (1999: 55) feststellt, ,,artikuliert sich die Fan –
Masse [...] auditiv durch Klatschen, Rufen und Singen“. Je dichter der Raum, desto
lauter ist es, desto mehr ist man Masse, desto besser wird die Massierung auditiv fassbar
und umso eher beschleicht den einzelnen ,,Hörer das Gefühl, winziger Teil einer großen,
unaufhaltsamen Bewegung zu sein“ (Meinhardt 1995: 44). Wie bereits angedeutet, ist
die räumliche Abgeschlossenheit des Stadions eine entscheidende Vorrausetzung für die
Konstitution der auditiven Masse. Alkemeyer (2004: 59) schreibt: ,,The deafening roar
of the crowd does not fade but reverberates with resounding force within the buildings’s
walls”. Und Alexander (2005: 37) bemerkt: ,,Die räumliche Verdichtung steigert auch
den akustischen Effekt. Der Begriff Geräuschkulisse macht in den neuen Stadien einen
besonderen Sinn“. Bedingt durch die Rundumbebauung schließt sich das Stadion in
idealer Weise mit dem ,,Dach zu einer gigantischen Hörmuschel zusammen, einem
Rundumschalltrichter [...]. Aus diesem Klangkörper gibt es kein Entrinnen“ (Knapp
2005:15). Die auditive Wucht erreicht alle Individuen gleichzeitig, und ein jeder hat mit
seiner Stimme Anteil an dieser auditiven Masse, ist ein hörbarer Teil von ihr: ,,Im
59
kollektiven Torschrei löst man sich auf in der Masse. Man hat das Gefühl, der eigene
Schrei und der der anderen verschmelzen zu einem Gebrüll“ (Rühle 2005: 15).
8. Das Stadion: Erregung architektonisch planen
Neben der Kontrolle und Disziplinierung der Masse durch die Stadionarchitektur tritt
gleichzeitig die Idee, mit Hilfe der Stadionarchitektur Emotionen, Erregungen und
Leidenschaften in der Masse auszulösen, also im Sinne Canettis auf ihre Entladung
hinzuarbeiten, denn in der Entladung wird die Masse erst lebendig und sinnlich fassbar:
,,Eine Entladung ist schließlich unerlässlich, ohne sie ist gar nicht zu sagen, ob eine
Masse wirklich vorhanden war“ (Canetti 1980: 33). Bartetzko (2005: 31) erkennt in
dieser Aufgabe der Stadionarchitektur gar ihre zentrale Bestimmung, die unabhängig
vom im Stadion stattfindenden Ereignis realisiert werden soll, nämlich ,,mit
architektonischen Mitteln die Stimmung Zehntausender Fans zur Massenekstase zu
steigern“. An anderer Stelle spricht Bartetzko (1985: 19 – 20) von durch ,,Architektur
stimulierten kollektiven Ekstasen“.
Die für Massen in Stadien beschriebenen Merkmale wie Geschlossenheit,
Ringförmigkeit und Stockung führen zusammen genommen auf der Grundlage der
spezifischen Architektur des Stadions zu einer besonderen Erregbarkeit der Masse, denn
wie Alkemeyer (1996: 412) feststellt, ,,ermöglichen Stadien einen vollständigen
Austausch der Blicke und der Emotionen“. Die architektonische Anordnung durch
übereinandergelegte Sitzplatz- oder Stehplatzreihen innerhalb der runden Arena
unterstützt diese Erregbarkeit, denn ,,das hat zur Folge, dass die Masse sich selber
gegenübersitzt. Jeder hat tausend Menschen und Köpfe vor sich. [...] Was ihn in
Erregung versetzt, erregt auch sie, und er sieht es. [...] Ihre sichtbare Erregung steigert
die seine“ (Canetti 1980: 25). Die Erregung des einzelnen in der Masse und damit auch
die der Masse insgesamt steigert sich also wechselseitig durch die visuelle
Wahrnehmung. In dieser Aussage Canettis liegt eine Bestätigung für die Existenz der
bereits erwähnten visuellen Masse, und auch Bausenweins (1995: 166) Aussage lässt
sich entsprechend interpretieren: ,,Während alle sehen können, was unten auf dem
60
Spielfeld vor sich geht, sitzen sie einander gegenüber und bannen sich so als Menge
selbst“. Die Architektur des Stadions ermöglicht das sich gegenseitige Erblicken und
unterstützt die visuelle Masse dabei in ihrer Erregung: ,,Die [...] in Ränge eingeteilte
Form der Veranstaltungsstätte macht die Besucher, die sich gegenüber oder
untereinander sitzen, füreinander besser sichtbar. Ihre Verhaltensweisen können sofort
von anderen wahrgenommen werden. Dadurch steigt die Erregung [...]“ (Furst 1973:
460).
Das Ziel jeder Masse ist es, sei es nun die Masse im Sinne von Canetti oder Le Bon,
eben genau eine Masse zu werden. Die architektonische Anordnung des Stadions als
ringförmiges Gebäude aber führt dazu, dass sich möglicherweise zwei Massen in
einander gegenüberliegender Weise vorfinden lassen. Canetti (ebd.: 66) bezeichnet
dieses Phänomen als ,,Doppelmasse“. Die Doppelmassen beeinflussen sich gegenseitig
in ihrer Erregung, denn ,,sieht man sie gegenüber, so ist man durch den Anblick
fasziniert. [...] Das Gegeneinander wirkt aufs Nebeneinander ein“ (Canetti 1980: 67).
Auch die Doppelmassen gründen sich also auf die visuelle Wahrnehmung, denn
während sie sich im Stadion durch die Architektur einander gegenüber angeordnet
vorfinden, ,,sind die Augen auf andere Augen gegenüber gerichtet“ (ebd.: 67). Darüber
hinaus versichern sich die Doppelmassen gegenseitig ihres Bestandes gegenüber der
Gefahr des Zerfalls: ,,Die sicherste und oft die einzige Möglichkeit für die Masse, sich
zu erhalten, ist das Vorhandensein einer zweiten Masse, auf die sie sich bezieht. [...] Der
Anblick oder die starke Vorstellung einer zweiten Masse erlaubt der ersten nicht zu
zerfallen“ (Canetti 1980: 66).
Die ringförmige Architektur des Stadions ermöglicht es also, dass die Zuschauer sich
ständig selbst vor Augen haben. Der dem einzelnen Zuschauer gegenüber sitzende
Zuschauer fungiert wie ein Spiegel, an dem die eigene Leidenschaft bewundert werden
kann und an dem sie sich steigert. Der Andere wird zum eigenen Spiegelbild und dient
der visuellen Vergegenwärtigung und Bestätigung der eigenen Emotionen. Verspohl
(1976: 6) schreibt dazu: ,,Durch die amphitheatralische Sitzanordnung umringen die
Zuschauer die Wettkämpfer; darüber hinaus haben sie sich selbst zugleich mit dem
Wettkampfgeschehen vor Augen. Auf diese Weise sind ihre spontanen Reaktionen auf
61
den Verlauf des Wettkampfs und auf die dadurch ausgelösten Verhaltensweisen des
Publikums untereinander [...] ständig gegenwärtig“.
Die Tatsache, dass die Zuschauer sich untereinander als Spiegel und Spiegelbild dienen,
trägt allerdings eine Paradoxie in sich, die sie im Endeffekt auch einer Selbstdisziplin
unterwirft. Zwar steigert sich im gegenseitigen Anblick die Leidenschaft, gleichzeitig
aber gibt es wohl für das einzelne Individuum nichts Prüfenderes und Selbstkritischeres
als den Blick in den Spiegel, um sich selbst einer Begutachtung zu unterziehen. Im
Stadion dienen sich die Zuschauer damit folglich auch als Spiegel und Spiegelbild, um
das eigene Verhalten zu überprüfen und notfalls einer Korrektur zu unterziehen, denn
über das eigene Spiegelbild kann der Zuschauer erfreut und erschreckt zugleich sein.
Das sich Spiegeln im Anderen hat somit einen zweifachen Wert. Einerseits ermöglicht
es eine große Nähe zu anderen Individuen, weil eine visuelle Bestätigung der
Ähnlichkeit ermöglicht wird, die auch Grundlage der visuellen Masse ist. Andererseits
aber ermöglicht das sich Spiegeln im Anderen die Anwendung des kritischen Blicks auf
sich selbst. Dieser auf sich selbst angewendete Blick kann als eine das eigene Verhalten
steuernde Selbstdisziplin begriffen werden, die Distanz zu anderen aufbaut und damit
die klassische Massenbildung als einheitlicher Gefühlskörper unterbindet.
Durch die spezifische Architektur des Stadions ,,rücken die Zuschauer einander
räumlich näher. Das Echo der eigenen Emotionen wird lauter, unmittelbarer“
(Alexander 2005: 37). Verspohl (1976: 67) fügt an: ,,Darüber hinaus schmiedet die
räumliche Enge dieses Bautyps das Publikum enger zusammen“. Erst im Blick vom
obersten Rang eines Stadions hinunter in den sich auftuenden und alles verschlingenden
,,Krater“ (Goethe 1993: 44) zeigt sich das Stadion als ,,phantastischer, brodelnder,
irrlichternder Kessel, der große Gefühle freisetzt“ [...] denn ,,je höher man sitzt, je
steiler die Ränge abfallen, desto mehr Adrenalin schießt in die Adern“ (Schulze 2005:
31).
Die Stadien der neueren Generation zeichnen sich alle durch ähnliche architektonische
Merkmale aus. Die umlaufende Aschenbahn fehlt, wodurch die Zuschauer näher an das
Feld rücken. Die Tribünen sind komplett überdacht und steigen steil nach oben an,
sodass sich von jedem Platz eine gute Sicht ergibt. Das Dach lässt sich im Extremfall
verschließen, sodass die Abschottung nach außen hin komplettiert wird. Prosser (2002:
62
275) erkennt in dieser Entwicklung insgesamt ,,die Tendenz zu immer stärkerer, nach
innen gewendeter Wucht, bedingt durch die fast hermetisch geschlossene Bauweise mit
rundum laufender Überdachung“. Alle Aufmerksamkeit und alle Sinne werden nach
innen gelenkt und nichts dringt nach außen und von außen kann nichts eindringen. Der
Raum erweist sich als hermetisch abgeriegelt und als wie geschaffen dafür, um das
Erleben der eigenen Emotionen zu verstärken. Prosser (ebd.: 275) erklärt, dass die
Architektur des Stadions darauf Einfluss nimmt, dass ,,kein Blick mehr in die
Außenwelt dringen kann, der Schall des Torjubels nie ins Leere geht, der Lärm auf diese
Weise in sich selbst widerhallt. So ist dafür gesorgt, dass die Veranstaltung die
gewünschte und erwartete emotionale Wucht entfaltet, dass sie gleichsam in sich selbst
siedet“ und Bausenwein (1995: 166) fügt dazu passend an: ,,Erst diese Einkesselung
bewirkt, dass sich die Gefühle gleichsam wie von selbst hochschaukeln“.
Die Architektur schafft die Vorrausetzungen für einen sinnlich verdichteten Raum, der
die Zuschauer mit dem Ereignis, aber viel mehr noch mit sich selbst, näher in Bezug
setzt, sie gleichzeitig aber auch auf die Architektur zurückwirft, denn Architektur, Raum
und sinnlich - körperliche Wahrnehmung gehen eine wechselseitige Beziehung ein. Die
Architektur des Stadions entfaltet ihre Wirkung nur dann, wenn es von einer Masse in
Besitz genommen wird, gleichzeitig erweist sich die Masse in ihrem Ziel der äußersten
Leidenschaft, ihrer Entladung, als von der spezifischen Architektur des Stadions
abhängig. Den Aspekt der sinnlich - körperlichen Wahrnehmung von Architektur und
Raum beschreibt Jacques Herzog (2003: 31), einer der Architekten des neuen
Münchener Stadions: ,,In unserer Architektur ist Unmittelbarkeit in der Ausstrahlung
und in der Wirkungsweise ein zentrales Anliegen. [...] Sie sollte vielmehr ganz
körperlich wahrnehmbar sein“. Diese unmittelbare und körperliche Wahrnehmung und
Wirkungsweise von Architektur und Raum wird also genutzt, um Leidenschaften auf
Seiten der Masse zu generieren. Matzig (2005: 13) stellt dementsprechend für das neue
Stadion in München fest: ,,Nach innen reduziert, zugleich aber sinnlich [...]. Man wollte
einen Ort, der die Emotionen schürt? Einen Bau inszenatorischer Wucht? [...] Ein Areal,
das alles andere egozentrisch negiert ? Einen “Hexenkessel“? Man hat ihn nun“. Der
Architektur fällt also die Rolle zu, dazu beizutragen, das herzustellen, was Prosser
(2002: 275) als ,,emotionaler Ausnahmezustand“ bezeichnet hat.
63
9. Die architekturhistorischen Vorbilder Theater und Kolosseum
Das Stadion ,,may look more like its ancient precursor than anything else in the modern
world looks like its architectural ancestors” (Giamatti 1989: 32 – 33). Es bezieht sich in
seiner Architektur auf historische Vorbilder und ähnelt diesen. Auf diese Vorbilder, das
Theater und das Kolosseum, und vor allem auf die Art und Weise, wie in ihnen durch
die architektonische Anordnung Leidenschaften erzeugt wurden, soll im folgenden
eingegangen werden. Dabei sind Parallelen zu den heutigen Stadien zu erkennen.
9.1. Das Theater
Zu Beginn soll die Verwandtschaft des Stadions mit dem Theater / Amphitheater
betrachtet werden. Theater und Amphitheater sind dabei synonym zu verwenden. Die
genaue Verwendung des griechischen amphi , das ,zwei’ oder ,beides’ bedeutet, ist nicht
zu ergründen. Es kann jedoch dahingehend interpretiert werden, dass innerhalb der
architektonischen Anordnung ein Beziehungsverhältnis gestiftet wird (vgl. Randl 2002:
181). Die architektonische Ähnlichkeit zwischen dem Stadion und dem Theater ist nicht
verwunderlich, findet das Stadion im Theater doch ein zentrales architektonisches
Vorbild: ,,Der Urtypus des Stadions findet sich im Theater des antiken Griechenland
[...]. In diesen Anlagen wird erstmals ein baulicher Ausdruck für das dialektische
Verhältnis zwischen Darstellern und Zuschauern gesucht und gefunden“ (Randl 2002:
179). Dem Theater gelingt es, durch seine baulichen Maßnahmen bezüglich Bühne und
Tribüne eine Beziehung zwischen den Darstellern und den Zuschauern zu stiften, und
Randl (ebd.: 180) spezifiziert die Art dieser Beziehung in folgender Aussage:
,,Zwischen Zuschauern und Schauspielern bestand eine eindeutige, räumlich gerichtete
Beziehung [...]“.
Die Klassifizierung der Beziehung als ,,räumlich“ impliziert eine gewisse Distanz
zwischen Darstellern und Zuschauern. Es existiert eine klare räumliche Trennung,
sodass das durch diese Bauweise realisierte dialogische Prinzip auf der Seite des
64
Zuschauers eine Beteiligung ermöglicht, die eher visueller als körperlicher Natur ist.
Die visuelle Beteiligung basiert auf dem Prinzip, dass alle möglichst gut sehen können
müssen, sodass eine weitläufige räumliche Expansion ,,in den Amphitheatern zugunsten
optimaler Sichtverhältnisse aufgegeben“ (Verspohl 1976: 67) werden musste. Obwohl
so ein dichterer Raum entsteht, bleibt die beschriebene Distanz erhalten. Die
Architektur lässt somit nur eine Leidenschaft zu, die über das Sehen generiert wird. Im
Theater geschieht die Einbindung des Zuschauers über den Blick, wodurch eine
Analogie zum Stadion als panoptischer Raum und der visuellen Masse gefunden ist
(vgl. Kapitel 5.3. ff. / 7.1.). Die im Theater herrschende räumliche Distanz zwischen
Darstellern und Zuschauern stiftet eine Beteiligungsform und erzeugt ein
Zuschauerverhalten, welche beide vom Blick bestimmt sind. Das Theater schafft sich
dadurch eine Zuschauermasse, die von Bale (1994: 88) als ,,restrained audience,
emotionally distanced and spatially separated from the performance“ beschrieben wird.
Die Ähnlichkeit von Stadion und Theater bleibt demnach nicht auf die Architektur
beschränkt. Sie bezieht sich auch auf das Verhalten der Besucher, denn die von Bale
vorgenommene Beschreibung lässt sich durchaus auf die heutigen Stadionbesucher
übertragen.
Der Charakter des Stadions als zweideutiger Raum wird hier besonders deutlich.
Einerseits soll durch die Architektur ein emotional verdichteter Raum entstehen, der die
Leidenschaft grenzenlos ins Ekstatische steigert (vgl. Kapitel 8), andererseits ist in der
architektonischen Anlehnung an das Theater der Wunsch zu erkennen, die Leidenschaft
auf eine visuelle Beteiligung zu beschränken und damit die Masse beziehungsweise die
Individuen in ihrem Verhalten zu disziplinieren. Trotz aller Nähe, erzeugt durch das
Heranrücken der Tribünen an das Spielfeld, bleibt die räumliche Trennung, die auch die
Sitzplätze mit einschließt, unverkennbar bestehen und entfaltet eine verhaltenssteuernde
Wirkung: ,,Modernisation implies the clear definition and spatial separation between
players and spectators and this might logically lead to a situation where the fan becomes
totally passive“ (ebd.: 88). Die Leidenschaft nimmt im modernen Stadion wie im
Theater eine visuelle Form an: ,,The audience reflect upon a performance rather than
experience corporeal participation; in the modern stadium the spectator’s contribution
becomes that of an outsider’s gaze“ (Bale 1995: 313). Die visuelle Beteiligung ist eine
65
Leidenschaftsform, die einfacher zu kontrollieren ist als etwa die direkte körperliche
Beteiligung in Form einer Massenbildung, wie sie von Canetti als körperlich zu
bildendes und körperlich zu fühlendes Wesen beschrieben worden ist. Darüber hinaus
entspricht die visuelle Beteiligung der im Stadion durch die Sitzplätze
aufrechterhaltenen Berührungsfurcht und den damit erläuterten territorialen Aspekten.
Die Analogie zwischen Theater und Stadion beinhaltet somit auch ,,a more distanced,
less involved, experience for the spectator, reflecting modern tendencies towards spatial
segmentation and teritorialization” (Bale ebd.: 313). Die visuelle Leidenschaft mag
körperlich weniger mitreißend sein, doch dieser Aspekt wird dadurch kaschiert, dass,
bedingt durch die spezifische Architektur der Arena, das visuelle Erlebnis intensiviert
wird (vgl. Kapitel 10).
Der körperlich involvierte Zuschauer wird im modernen Stadion auf der Basis einer
spezifischen Architektur durch einen leichter zu kontrollierenden Zuschauer ersetzt,
dessen Merkmal die visuelle Einbindung ist: ,,The withdrawn, objective perspective of
the modern spectator comes to supplant the subjective participation of traditional
fandom“ (Giulianotti 2004: 80). Heinemann (1998: 134) beschreibt den hier dargelegten
Sachverhalt wie folgt: ,,Wie in einem Theater, in dem die Zuschauer passiv nur mit
Augen und Ohren verfolgen, was auf der Bühne geschieht, sollte auch der Zuschauer in
den Stadien ,,zivilisiert“ werden; er sollte passiv, geordnet [...] eben nur zuschauen,
nicht körperlich teilnehmen“.
9.2. Das Kolosseum
Ein weiteres architektonisches Vorbild findet das moderne Stadion im Kolosseum.
Randl (2002: 181) beschreibt diese Verwandtschaft wie folgt: ,,Das erste richtige
Vorbild moderner Stadien und insbesondere moderner Fußballstadien ist das Kolosseum
in Rom: ein Amphitheater, ringsum geschlossen, das [...] mitten in der Stadt freistehend
aufragt“. Das antike Kolosseum und das moderne Stadion ähneln sich demnach stark in
ihrem hohen Grad der Abgeschlossenheit. Die hohen Mauern definieren eindeutig ein
Innen und ein Außen: ,,Stadien sind ein in sich geschlossener, gemauerter Kreis, der
einen Innenraum von der Außenwelt abgrenzt“ (Bausenwein 1995: 162). Das
66
Kolosseum wie auch das moderne Stadion bezwecken mit dieser architektonischen
Abgeschlossenheit eine eindeutige Wirkung, die bereits in Kapitel 8 erörtert wurde. Im
Innenraum wird eine Leidenschaft generiert, weil die bauliche Abgrenzung die völlige
Hingabe ermöglicht. Alkemeyer (2004: 58) schreibt dazu in Bezug auf Stadien: ,,The
individuals gathered together […] in the stadium turn their backs to the outside world;
together they concentrate their gaze, their attention, and their tension inward”. Die
bauliche Abgeschlossenheit ermöglicht es, dass die Leidenschaft auf sich selbst
zurückgeworfen wird und sich in der Folge davon gewissermaßen an sich selbst steigert.
Moderne Stadien sind, ebenso wie auch das Kolosseum es war, multifunktional nutzbar.
Die modernen Stadien ähneln damit ihrem antiken Vorbild, dem Kolosseum in Rom,
denn ,,viele Elemente moderner Großstadien, die erst jüngst wieder realisierbar wurden,
wie Überdachung, Logen, Multifunktionalität des Innenraums [...] finden sich bereits in
dem von Kaiser Titus im Jahr 80 n. Chr. eröffneten Bauwerk“ (Randl 2002: 181). Alle
modernen Stadien orientieren sich heute architektonisch stark an diesem historischen
Vorbild, sodass von einem Rückgriff auf eine bereits früh für seinen Zweck
perfektionierte Form gesprochen werden kann, oder wie Randl (ebd.: 194) es formuliert:
,,Im römischen Kolosseum erreichte das Stadion eine frühe Vollendung“. Diese
Ähnlichkeit bezüglich der Mulifunktionalität sei der Vollständigkeit halber erwähnt, für
das Generieren und Freisetzen von Leidenschaft ist sie sekundär.
Die bedeutendste Ähnlichkeit zwischen dem Kolosseum und dem modernen Stadion
erschließt sich erst dann, wenn man ihre genuine Sinnzuschreibung miteinander
vergleicht. In dieser ihnen eigenen Sinnzuschreibung und der entsprechenden
Ausführung liegen die Leidenschaft und die Erregung, die dem Zuschauer versprochen
sind und auf deren Erfüllung er nicht hoffen muss, weil sie ihm in gewisser Weise
garantiert sind.
Eine erste Beschreibung dieser Sinnzuschreibung finden wir bei Maak (2005: 35), der
über das neue Stadion in München schreibt: ,,Die Arena ist keine elegante
Sportlandschaft mehr, sondern ein entschlossener, gnadenloser Hexenkessel im Geist
des antiken Kolosseums [...]“. Das spielerische Element in der Architektur eines
Stadions, das damit auch das Stadion selbst als Ort des Spiels und des Spielens
67
gekennzeichnet hat und am deutlichsten vielleicht in der circensisch anmutenden
Zeltdachkonstruktion des Münchener Olympiastadions verkörpert wurde, weicht einer
Architektur, die in der Rückbesinnung auf das historische Vorbild auch dessen
Sinnzuschreibung übernimmt: ,,Denn von alters her ist der Unterschied von Stadion und
Arena, dass diese ausschließlich ein (sandiger) Kampfplatz ist, auf dem es meist um
Leben und Tod geht, nicht mehr bloß um Spiel und Ritual [...]“ (Zohlen 2006: 131). Der
Rückbezug des Stadions auf sein historisches Vorbild, die Arena, ist also mehr als nur
ein architektonischer, denn auch in der Umbenennung schwingt die gewandelte
Sinnzuschreibung mit: ,,Denn im allgemeinen Sprachgebrauch verbindet sich mit dem
Wort Stadion die Vorstellung von fairen sportlichen Wettkämpfen, mit Arena dagegen
verknüpft man die Gemetzel in den römisch – antiken Amphitheatern“ (Bartetzko 2005:
31). Und Zohlen (ebd.: 131) fügt hinzu: ,,Und daher steht im historischen Horizont all
der neuen Architekturen fürs Fußballspektakel das Kolosseum in Rom, dieses grandiose
Bauwerk der Gladiatorenkämpfe und Demütigungen [...]“. Das Kolosseum als Arena
war ein Kampfplatz, und nichts anderes sind die modernen Stadien. Es sind moderne
Kampfplätze, die die Architektur ihres historischen Vorbilds reproduzieren und die in
logischer Konsequenz jetzt Arenen genannt werden, um eben auch in der Umbenennung
deutlich zu machen, welche Sinnzuschreibung sie jetzt tragen. Makowsky (2005: 59)
schreibt folgerichtig über die Arena in München: ,,Die Funktion dieses Gebäudes wird
mit einem Blick, mit einem Erschauern klar: Das ist eine Kampfarena“.
In der Sinnzuschreibung als Kampfarena liegt nun die dem Zuschauer garantierte
Leidenschaft und Erregung, denn die Arena ist kein Ort des Spielens, sondern ein Ort
des Kämpfens. Der Kampf ist zwar nicht mehr einer um Leben und Tod, aber dennoch
einer um Sieg oder Niederlage und mithin ein garantiertes Spektakel, das Leidenschaft
und Erregung erfahren lässt. Zu einem langweiligen Unentschieden werden es die
Zuschauer nicht kommen lassen, können sie aufgrund der spezifischen Architektur der
Arenen mehr als je zuvor eine Entscheidung durch frenetisches Antreiben herbeiführen.
Diesen quasi in der Architektur der modernen Arenen baulich realisierten Sachverhalt
beschreibt Matzig (2005: 13) treffend, wenn er über die neue Münchener Arena, quasi
ein Prototyp der modernen Arenenarchitektur, sagt: ,,Einem “Unentschieden“ dient sie
nicht“. Auch bereits Gebauer und Wulf (1988: 15) kommen in ihrer Beschreibung des
Berliner Olympiastadions zu einem ähnlichen Urteil: ,,Das Stadion braucht die
68
konzentrierte Erregung [...]; es verlangt die Superlative: das Mittelmäßige erfährt hier
ein gnadenloses Schicksal, es stürzt ab“. Die Architektur der Arena fordert stets ein
Mehr ein und sie bringt ihr architektonisches Selbstverständnis und ihre
Sinnzuschreibung in einer brutalen aber einfachen Formel in Einklang mit der auf
Seiten der Zuschauer zu generierenden Leidenschaft: Sieg oder Niederlage,
himmelhoch jauchzend oder zu Tode betrübt. Die Architektur der Arena selbst
verkörpert das, was sie einfordert, sodass Matzig (2005: 13) zu der treffenden
Formulierung gelangt: ,,Das neue Stadion [...] ist eine zu Architektur geronnene
Ausweitung der Kampfzone, ein genuiner Ort der Entscheidung, wo es, selbst im Spiel,
am Ende immer nur auf eine einzige Differenz ankommt: die zwischen Sieg und
Niederlage“. Die architektonische Wucht der neuen Arenen mit ihren oftmals gigantisch
anmutenden Ausmaßen verschränkt sich dabei mit der ins ekstatische gesteigerten
Wucht der Leidenschaft, deren Freisetzung im Inneren der Arena garantiert ist. Der
Anblick der Arena, ihre Sinnzuschreibung und das durch ihre spezifische Architektur
garantierte Ausleben von Leidenschaft halten, was sie versprechen: ,,What You See Is
What You Get – Nichts anderes ist gute Architektur“ (ebd.:13).
10. Die Arena: Placelessness als Prinzip
Beim Betrachten der äußeren und inneren architektonischen Gestalt der neuartigen
Arenen fällt auf, dass sie sich alle sehr ähnlich sind. Hohe Außenmauern, steile Ränge,
die Nähe der Tribünen zum Spielfeld und völlige Abgeschlossenheit nach außen sind
bei ihnen allen zu finden und wenn man sich im Innenraum der Arena befindet, fällt es
zuweilen schwer zu sagen, um welche Arena es sich handelt. Sie unterscheiden sich
untereinander in nichts mehr und erfüllen damit das Kriterium der ,,placelessness“
(Relph 1976: 143). Relph (ebd.: 143) beschreibt die ’placelessness’ als ,,replacing
diversity with uniformity and experimental order with conceptual order“. Die modernen
Arenen entspringen alle einem bestimmten architektonischen Konzept, das eine
bestimmte Zielsetzung verfolgt, und deshalb ähneln sie sich stark. Experimentelle
Spielarten in der Architektur des Stadions werden zu Gunsten einer aus einer
konzeptionellen Uniformität entsprungenen Architektur geopfert. Die daraus
69
entstehenden Konsequenzen beschreibt Relph (1976: 90) wie folgt: ,,Placelessness, that
is, a weakening of the identity of places to the point where they not only look alike but
feel alike […]”. Bale (1994: 52) definiert in seiner Auseinandersetzung mit Relph die
’placelessness’ näher als ,,placelessness, which in its purest form involves uniformity”,
beschreibt sie als ,,places looking and feeling alike” (ebd.: 94 – 95) und bezieht sie auf
Orte ,,which appear much the same as any other” (ebd.: 52). Es handelt sich folglich um
Orte, die sich in ihrer Uniformität gleichen und ihre distinktiven Merkmale verloren
haben, denn wie Nielsen (1995: 24) bemerkt, ist ’placelessness’ ein Konzept, ,,which
refers to the actual place and to its characteristics“. Die modernen Arenen sind eine
klare architektonische Realisierung dieser ’placelessness’ , die mit dem deutschen Wort
Ortlosigkeit übersetzt werden soll. Bale (1993: 41) bestätigt diese Annahme,, wenn er
sagt: ,,There can be little doubt that the tendencies towards modernism in stadium
design and location can be interpreted as manifestations of placelessness […]”.
Die Ortlosigkeit der Arenen ist dabei aber nicht unbedingt ein spezifisches Merkmal der
Moderne. Auch die historischen Vorbilder Amphitheater und Kolosseum waren durch
architektonische Uniformität gekennzeichnet. Die Ortlosigkeit der Arenen bezieht sich
allerdings nicht nur auf das Fehlen distinktiver architektonischer Merkmale und die
Uniformität. In einem weiteren Sinn kann unter der Ortlosigkeit der Arena auch eine
Unverbundenheit mit der umgebenden Landschaft verstanden werden, schottet sich die
Arena durch ihre spezifische Architektur doch konsequent von ihrer Umgebung ab. Sie
besitzt durch ihre Bauweise keinerlei räumlich - architektonische Anbindung an ihre
Umgebung, und auch in ihrer Architektur spiegelt sich die umgebende Landschaft nicht
wider, was schließlich in dem folgenden von Levi (1998: 11) formulierten Sachverhalt
gipfelt: ,,In other words, the context is not a dynamic element of the architectural
design, and the stadium logically looks like an isolated object, disconnected from its
setting; it is an object which could have been built anywhere”.
Auch in der nicht vorhandenen Anbindung an die Umwelt orientiert sich die Arena an
ihrem historischen Vorbild. Randl (2002: 181) beschreibt das Kolosseum in Rom als
eine Bauwerk ,,ohne erkennbaren räumlichen Bezug zu seiner Umgebung“. Dieses
Prinzip ist bis heute durchgehalten worden und wird mit Blick auf die derzeitige
70
Arenenarchitektur so konsequent umgesetzt wie noch nie, was sich aus Liebs (2005: 13)
Aussage schließen lässt, der die sich im Pariser Vorort St. Denis befindende und dort
völlig deplaziert wirkende Arena ,Stade de France’ als ,,eine gebaute Absage an seine
Umgebung“ beschrieben hat. Die hier erläuterte zweifach verstandene Ortlosigkeit der
Arena verschränkt sich mit ihrer oftmals futuristisch anmutenden Architektur (siehe
München, Paris, Hamburg etc.) und führt zu einem Vergleich, der die Ortlosigkeit auf
den Punkt bringt: Die Arena als Ufo. Liebs (ebd.: 13) schreibt über das ,Stade de
France’: ,,Der monströse Gitterbau des Stadions mit der fliegenden Schallplatte darüber
ist ein Ufo [...]“. Und auch Zorn (1998: 34) stellt in Bezug auf die Pariser Arena fest:
,,So stellen sich Menschen eine “fliegende Untertasse“ vor: wuchtig und luftig, stabil
und mobil, respektheischend und von magisch - magnetischer Anziehungskraft“.
Gebauer (2002: 175) beschreibt das bei Nacht hell erleuchtete ,Stade de France’ ,,als ein
gleißendes Raumschiff in einer dunklen Umgebung“ und als ,,vollkommen aus seiner
Umwelt [...] isoliert“. Die Arena als Ufo wirkt deplaziert und entrückt, als könne sie
jeden Moment aufgrund ihrer fehlenden räumlichen Anbindung abheben und sich an
einem anderen Ort niederlassen.
Die Ortlosigkeit der Arena erweist sich andererseits als perfektes Prinzip, um den in
ihrer Architektur liegenden Zweck konsequent umzusetzen: Die Steigerung der
Leidenschaft. Durch die architektonische Abschottung der Arena von der umgebenden
Landschaft wird alles das negiert, was irgendwie ablenkend wirken könnte. Die
bauliche Abgrenzung wird unterstützt durch das Flutlicht, das nur das Sehenswerte
beleuchtet und gleichzeitig alles das im Dunkeln lässt, was zu vernachlässig ist. Bale
(1993: 45) beschreibt dieses in der Architektur der Arena liegende Prinzip als
,,highlighting the action on the field and obliterating, through the darkened background,
any architectural details or elements of the landscape which could, incidentally, provide
distraction or additional gratification for spectators. [...] By focusing solely on the game,
the urban context within which it is played was visually eliminated”. Und an anderer
Stelle fügt er hinzu: ,,Where sports events are played in spaces which are not
particularly distinctive […] attention is necessarily focused on the game itself. There is
often little else from which to gain visual gratification“ (Bale 1994: 128). Die
Ortlosigkeit der Arena führt zur Ausrichtung aller Konzentration und Emotion auf das,
71
was in ihrem Inneren stattfindet, und das ist, neben dem Spiel oder besser dem Kampf,
eben gerade auch vor allem das Ausleben und Freisetzen von Leidenschaft. Durch das
architektonisch erzwungene nach Innen wenden steigert und berauscht sich die
Leidenschaft in und an sich selbst und wird künstlich erhöht, weil nichts anderes in das
Blickfeld gerät als sie selbst: ,,The stadium structure diverts the gaze from all other
objects outside the focus, outside the stadium“ (Eichberg 1995: 337).
Aus der räumlich abgeschlossenen Arena kann die Leidenschaft buchstäblich nicht
heraus und sie wird nicht durch äußere Einflüsse gemindert. Von diesem Standpunkt aus
betrachtet ist das sich in der architektonischen Gestaltung und baulichen Realisierung
der Arena widerspiegelnde Prinzip der Ortlosigkeit eine konsequente Umsetzung des
Zwecks. Es ist nicht die Aufgabe der Arena über ihre Architektur eine Verbindung mit
der umgebenden Landschaft herzustellen, sondern ihr architektonischer Auftrag besteht
darin, einen Raum zu schaffen, an dem die Leidenschaft in gesteigerter Form ausgelebt
werden kann. Die Arena muss sich nicht länger wie ein Stadion harmonisch in die
Landschaft eingliedern, wie beispielsweise das Olympiastadion in München, das sich
als Teil einer Parkanlage versteht, sondern die Arena kann in ihrer wuchtigen und
kolossalen Gestalt auch äußerlich das darstellen, was als Leidenschaft in ihrem Inneren
wirkt: ,,Pure, kraftstrotzende Form“ (Matzig 2005: 13). Die Arena ist ein Zweckbau und
die überall entstehenden neuen Arenen sind nicht die schönsten Stadien, als die sie
vielfach tituliert werden, sondern schlicht die ihren Zweck rational umsetzenden besten
Arenen. Matzig (2005: 13) schreibt folglich über die neue Arena in München, dass ,,es
im Grunde das brutalste, radikalste und das im einfachsten Sinn am wenigsten Schöne,
also harmonisch ausbalancierende, versöhnende, einnehmende Stadion ist“ und das es
,,die Modernität seiner Form mit der Archaik seines Inhalts kurzschließt. [...] Genau
darin liegt die singuläre Qualität und immense Emblematik der Arena. Ihre Schönheit
ist die der Kompromisslosigkeit“.
Hinsichtlich des Prinzips der ’placelessness’ sei noch Folgendes kurz erwähnt:
Einerseits ermöglicht es die Steigerung der Leidenschaft auf Seiten der Zuschauer,
andererseits aber wird auch diese eben gerade durch die ’placelessness’ einer gewissen
Uniformität unterworfen. Nielsen (1995: 24) schreibt: ,,The stadium too, is just such a
placeless site, encouraging the same behaviour among both athletes and crowd”. Das
Zuschauerverhalten als Ausleben von Leidenschaften mag zwar in gesteigerter Form
72
geschehen, doch es gleicht sich überall. Aus einer die Masse kontrollierenden
Perspektive betrachtet weiß man in gewisser Weise, was man zu erwarten hat und kann
sich darauf einstellen. Indem sich das Zuschauerverhalten gleicht, hervorgerufen durch
die homogene architektonische Struktur, die wie oben erläutert wurde, mit der
’placelessness’ der Arenen verbunden ist, wird das Verhalten der Masse vorhersagbar,
abschätzbar und damit auch kontrollierbar: ,,The homogeneity of design and
construction ensures a common code which is predictable and invariable from one place
to another“ (Nielsen ebd.: 24).
Die mit der ’placelessness’ einhergehende architektonische Uniformität des
Stadionraumes und die Unverbundenheit mit der Umgebung erschweren es dem
Individuum, einen persönlichen und emotionalen Bezug zum Stadionraum selbst
herzustellen. Allerdings lassen sich unter dem Konzept der ’topophilia’ (vgl. Tuan 1974)
auch gegenläufige Tendenzen erkennen. Nielsen (1995: 26) umschreibt dieses Konzept
wie folgt: ,,Topohilia refers to the ties that unite humans and their material surrounding,
escpecially the ties that combine emotion and place”. Darauf sei an dieser Stelle
verwiesen, weiter verfolgt werden soll diese Thematik in dieser Arbeit allerdings nicht
(vgl. Tuan 1974 / Bale 1993: 64ff.).
11. Die disziplinierende Wirkung der Arenenarchitektur
Trotz aller Leidenschaft, die in der Arena und durch ihre Architektur entfacht und
gesteigert werden soll, erscheint an dieser Stelle ein Hinweis auf die disziplinierende
Wirkung der Arenenarchitektur notwendig. Bereits im ersten Teil dieser Arbeit wurde
darauf hingewiesen, dass von der Architektur des Stadions zu einem gewissen Grad eine
die Masse disziplinierende Wirkung ausgeht: ,,The crowd in the stadium submits
patiently to the formulas and structures of mass accomodation“ (van Winkel 2000: 16).
Dieser Überlegung sollen jetzt in Bezug auf die Arena noch ein paar Gedanken
hinzugefügt werden.
Die moderne Arena pendelt in ihrer architektonischen Gestalt zwischen Wuchtigkeit
und Leichtigkeit, versucht sie doch in ihrer Architektur mit der Ausrichtung auf einen
73
bestimmten Zweck beides miteinander zu verbinden. Die Architektur der antiken Arena
zeichnete sich durch ihre wuchtige äußere Gestalt und ihre kolossale Größe aus. Auch
die neuartigen Arenen orientieren sich an diesem Prinzip, sind sie doch hochaufragende
und riesenhaft wirkende Gebäude, die allein schon in ihrer Außenwirkung einen
einschüchternden und disziplinierenden Effekt haben, ganz so, als wolle die Architektur
der Arena das einzelne Individuum klein und nichtig wirken lassen.
Diese in gewisser Weise abschreckende äußere Gestalt versuchen die Arenen der
neueren Generation zu verbergen, indem sie sich vielfach mit einer aus Glas, Kunststoff
und Leichtmetall bestehenden architektonischen Außenhaut umgeben. Diese Außenhaut
soll trotz der immensen Größe der Arena und der Schwere der Masse, die sie
beherbergt, Leichtigkeit im Auftritt und trotz der räumlichen Abgeschlossenheit
Transparenz in der Gestalt vermitteln. Van Winkel (2000: 17) beschreibt diesen Trend in
der modernen Stadionarchitektur wie folgt: ,,When it came to designing mass facilities
it tended to disavow the weight of the crowd. The aesthetic rhetoric of modern
architecture was all about lightness, transparency, immateriality […]”. Exemplarisch
kann dafür wiederum die neue Arena in München genannt werden, deren aus Luftkissen
bestehende Außenhaut der Arena eine Leichtigkeit verleiht, die sie förmlich schwebend
wirken lässt, und über die Makowsky (2005: 59) schreibt: ,,Das riesige Bauwerk, 45
Meter hoch und umhüllt von Tausenden milchigweißer Waben, scheint über dem Boden
zu schweben; der Koloss wirkt beinahe leicht, was unbegreiflich ist angesichts der
Massen von Beton und Stahl, die in ihm stecken“. Knapp (2005: 15) erkennt in der
Außenfassade der Arena eine ,,prall geschnürte, und doch luftig leicht wirkende
Außenhaut [...]“ und Alexander (2005: 37) beschreibt deren eigentlichen Zweck: ,,Die
Massivität des Betonbaus wird kaschiert, das gewaltige Stadion erhält dadurch etwas
Schwebendes“.
Die Leichtigkeit und die äußere Transparenz der Arena bleiben aber dennoch nur eine
scheinbare, ein schöner äußerer Schein, eine Hülle, die den wahren Geist der Arena zu
verstecken versucht. Die Härte vermittelnde wuchtige Größe und die räumliche
Abgeschlossenheit der Arena bleiben trotzdem ihre obersten Prinzipien. Die in der
äußeren Gestalt der Arena also nur angedeutete Transparenz ist aber als ein erster
Hinweis darauf zu verstehen, was im Inneren der Arena vor sich geht, denn in der
74
spezifischen architektonischen Konstruktion der Arena zeigt sich, ,,wie sehr das Äußere
dennoch an die Funktion zurückgebunden bleibt, der die Räume dienen sollen [...]“
(Mack 1994: 10). Denn die in der äußeren Gestalt der Arena angedeutete Transparenz
wandelt sich im Inneren der Arena zu einer realen. Die Transparenz ist vielmehr als eine
in das Innere der Arena gewendete Transparenz zu verstehen, als eine Transparenz, die
auf die Besucher angewendet wird, geht es in der panoptischen Arena doch um die
Sichtbarmachung der Individuen, ihre Transparenz und vollkommene Durchleuchtung.
Die Arena in Lissabon trägt dieses Verständnis einer nach innen gerichteten Transparenz
als Sichtbarmachung selbst in seinem Namen, Estadio de la Luz, und die Arena im
japanischen Oita heißt treffend “Big Eye“. Und auch Pierre de Meuron (2002: 43),
Architekt der neuen Arena in München, bestätigt das Prinzip der nach innen
gewendeten Transparenz, wenn er sagt: ,,Das Stadion ist ein Lichtobjekt, ja, ein
Lichtobjekt im Münchner Norden“.
Die architektonische Außenhaut bleibt also letzten Endes eine Hülle oder ein Vorhang,
der zwar in gewisser Hinsicht etwas verbergen kann, wer aber dahinter schaut, sprich in
das Innere der Arena eintritt, erblickt ihre wahre Bestimmung und ist ihrer alles
dominierenden Wirkung geradezu hilflos ausgeliefert: ,,Das alles ist eine gewaltige
optische Täuschung. Denn in seinem Inneren ist das neue Stadion ein kühl kalkulierter
Zweckbau. Weiche Schale, harter Kern [...]“ (Hoeltzenbein 2005: 41). Das unter der
Hülle liegende architektonische Skelett der Arena aus Stahl und Beton vermittelt eine
an das einzelne Individuum gerichtete Härte und Gnadenlosigkeit, die für seine von der
Architektur der Arena ausgehende Disziplinierung benötigt wird. Beim Eintreten in den
Innenraum der Arena wird ihre von außen noch kaschierte Größe und Wucht mit einem
Blick sichtbar: ,,Wie die drei Ränge steil über dem Rasen aufragen, wie das Rund des
Daches eine Kesselatmosphäre erzeugt, die kalte Ästhetik des Betons – die Leichtigkeit
der äußeren Erscheinung weicht hier einer gewissen Brutalität“ (Makowsky 2005: 59).
Das Individuum wirkt im riesenhaften Innenraum der Arena geradezu verloren,
erschlagen von den schieren Ausmaßen. Herzog (2002: 20), Architekt der Münchener
Arena, verweist auf diese Wirkung der Architektur der Arena als seine Intention bei
ihrer Planung: ,,Der Stadionraum soll die Leute schlicht umhauen“. Und auch Matzig
(2005: 13) stellt diesbezüglich fest: ,,Wer seinen schalenförmigen Silberplastiksitz
75
ansteuert, wird durch einen winzigen Auslass gespeist, auf dass der Arena - Raum beim
Betreten der Ränge wie ein Naturereignis über den Besucher hereinbreche“. Die
gigantischen Ausmaße im Innenraum der Arena drücken das Individuum förmlich in
seinen Sitz und halten es damit gewissermaßen an diesem ihm zugewiesenen Ort fest.
Das Individuum wird dadurch auf sich selbst zurückgeworfen, bleibt in sich selbst
gefangen und innerhalb seiner eigenen Schranken verwiesen. Der riesenhafte
Innenraum der Arena erschließt sich dem Individuum somit einzig über das Sehen. Auf
eine andere Weise vermag sich der Einzelne zur Arena nicht in Bezug setzen. Die
Architektur fordert und fördert damit eine visuelle Involvierung des Individuums, denn
ein anderes Verhalten lässt die Architektur der Arena nicht zu. Diese
Verhaltenssteuerung ist ihr architektonischer Plan. Relph (1981: 104) formuliert treffend
in Bezug auf moderne Landschaften, zu denen Arenen zu zählen sind: ,,There is almost
nothing in them that has not been conceived and planned [...], there is almost nothing in
them that can happen spontaneously, autonomously or accidentally […]”. Und an
anderer Stelle weist er auf die bereits in der Architektur festgeschriebene Art der
Involvierung hin und nennt einige charakteristische Merkmale, die, wie gezeigt wurde
auch für die modernen Arenen gelten, denn er beschreibt moderne architektonische
Objekte als ,,huge and often spectacular in both their scale and design. But they are also
frequently awful, dwarfing people, lacking detail, allowing no involvement except that
which is prescribed in the plans” (ebd.: 211).
12. Der Stadionbesuch als Fest
Die Tatsache, dass innerhalb von Stadien Leidenschaften ausgelebt werden können, und
dass dies im Stadion in gesteigerter Form geschieht, wird gerade dadurch unterstützt,
dass der Stadionbesuch selbst als Fest verstanden werden muss. Caillois (1988: 130)
erkennt im Fest ,,eine Zeit intensiver Gefühle“, und auf das Wesen des Festes, das das
zügellose Ausleben von sonst verbotenen Leidenschaften ermöglicht, weist Freud
(1956: 157) in seiner Definition des Festes hin: ,,Ein Fest ist ein gestatteter, vielmehr
eine gebotener Exzess, ein feierlicher Durchbruch eines Verbots“. Ausschweifendes
Verhalten ist erlaubt, denn ,,der Exzess liegt im Wesen des Festes; die festliche
76
Stimmung wird durch die Freigebung des sonst Verbotenen erzeugt“ (ebd.: 157). An
anderer Stelle bezeichnet Freud (1977: 70) die Feste sogar ,,als vom Gesetz gebotene
Exzesse“. Das Fest beinhaltet demnach die Möglichkeit zu exzessivem Verhalten und
dem Ausleben von sonst verbotenen Leidenschaften, und auch Bausenwein (1995: 179)
erkennt darin eine der zentralen Bestimmungen des Festes: ,,Feste sind immer [...]
Exzesse der Gefühle“. In dieser Möglichkeit zum Exzess liegt der Reiz des
Stadionbesuchs als Fest. Der Reiz liegt für die Besucher in der Tatsache ,,genau das,
und zwar bis zum Überdruss zu tun, was in der Wirklichkeit die Verbote am meisten
untersagen“ (Caillois 1965: 154). Im Fest wird das Überschreiten der sonst das
Verhalten regulierenden Grenzen ermöglicht, denn die Situationen des Festes sind
solche, die ,,zu Exzessen führen und die Grenzen zwischen dem Erlaubten und dem
Unerlaubtem aus den Augen geraten lassen“ (Durkheim 1981: 515). Gebhardt (1987:
37) kommt in seiner Auseinandersetzung mit Durkheim und dessen Verständnis vom
Fest zu dem Schluss, dass das Fest als eine Verhaltenssituation gekennzeichnet werden
kann, ,,in der die alltäglichen Grenzen zwischen Erlaubtem und Unerlaubtem
aufgehoben sind“.
Das Fest ermöglicht das Abstreifen von disziplinierenden Verhaltensnormen, sodass das
Fest gekennzeichnet ist durch ,,die Freiheit des Außerkraftsetzens zivilisierter
Verhaltensnormen“ (Prosser 2002: 270). Die Individuen nämlich dürfen sich während
des Stadionbesuchs, also während des Festes, ,,wie Narren benehmen, durch Rufen,
Singen, Gestikulieren und Schimpfen“ (Bale 1997: 45). Und auch Canetti (1980: 65)
erkennt im Fest und im Verhalten der an ihm Beteiligten diese Tendenz, denn er
schreibt: ,,Viele Verbote und Trennungen sind aufgehoben, ganz ungewohnte
Annäherungen werden erlaubt und begünstigt. Die Atmosphäre für den einzelnen ist
eine der Lockerung [...]“.
Zusammenfassend lässt sich sagen, ,,dass für den Zeitraum des Festes Verstöße gegen
die alltäglichen Ordnungen und Normen erlaubt sind“ (Gebhardt 1987: 56), denn ,,das
Fest lebt vom Abschütteln der Ordnungen“ (Küchenhoff 1989: 111).
Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass die Architektur versucht, die Stimmung bis
zur Ekstase zu steigern. Darauf zielt auch das Fest, denn das Fest versucht, das
Individuum unter anderem durch die Freisetzung von sonst verbotenen Handlungen und
77
Verhaltensweisen in einen exstatischen Zustand zu versetzen. Die Ekstase ist konstitutiv
für das Fest, denn in der Ekstase erschließen sich dem Individuum die ihm sonst durch
Disziplin und Kontrolle verwehrten Leidenschaften: ,,Die idealtypische Handlungsform
des Festes ist die Ekstase, ein Handeln also, das ein Außersichsein, ein Entrücken von
der alltäglichen Welt meint. [...] Den Sinnen strömen Bilder und Empfindungen zu, die
ihnen sonst nicht zugänglich sind [...]“ (Gebhardt 1987: 54). Die Ekstase ermöglicht das
Erleben von Leidenschaft und ist damit an das Außerkraftsetzen von disziplinierenden
Verhaltensnormen gebunden, denn Gehlen (1975: 240 - 241) erkennt in der Ekstase die
,,Sprengungen des Alltags und der Alltagspflichten, Lockerungen von
Ordnungsgesetzen und Zuchtgewohnheiten“. Das Fest hat mit seiner spezifischen
,,Atmosphäre des Leichten, Lockeren und Gelösten“ (Gebhardt 1987: 56) die
Zielsetzung, ,,den beteiligten Individuen die Ablösung von der alltäglichen Wirklichkeit
zu erleichtern und sie zu einem Zustand hinzuführen, der in seiner reinsten Form mit der
Ekstase identisch ist“ (ebd.: 56). Der Stadionbesuch, verstanden als Fest, ermöglicht ein
ekstatisches Erleben von Leidenschaft und kann als rauschhaftes Gefühl beschrieben
werden, zu dessen Erlangung die üblichen Grenzen des Verhaltens überschritten werden
müssen. Caillois (1965: 151) sagt: ,,Ist die Grenze einmal überschritten, befindet man
sich tatsächlich in einer um vieles dichteren Welt als der des gewöhnlichen Lebens,
einem erregten, brennenden Strom, [...] einer fortgesetzten, erschöpfenden,
berauschenden Bewegung [...]“. Das rauschhafte Erleben von Gefühlen und die durch
das Fest ,,umgekehrten Normen bewirken, das der allgemeine Rausch zum
Kulminationspunkt“ (ebd.: 99) des Festes wird. Der Rausch ist das am intensivsten
erlebte Gefühl und der Moment der größten Verdichtung, und alles dies wird im Fest
ermöglicht: ,,Man will den Rausch bis zur Erschöpfung, bis zum Umfallen. Das ist das
eigentliche Wesen des Festes“ (Caillois 1988: 128).
Die bisherigen Erläuterungen haben gezeigt, dass sich das Fest wesentlich vom Alltag
unterscheidet, denn Gebhardt (ebd.: 57) stellt treffend fest: ,,Während des Festes ist
mehr erlaubt als im Alltag“. Wie deutlich geworden ist, stehen das alltägliche Leben
und das Fest in einem deutlichen Gegensatz zueinander, was die zum jeweiligen
Zeitpunkt spezifischen Verhaltensweisen betrifft: ,,Der Überschwang des Festes steht im
Gegensatz zum regelmäßigen, friedlichen Leben, das [...] in ein System von Verboten
78
und Vorsichtsmaßnahmen eingebunden ist [...]“ (Caillois 1988: 127). Das Fest steht
allerdings nicht nur im Gegensatz zum Alltag, sondern geht darüber hinaus, denn
Gebhardt (1987: 57) erkennt eine zentrale Wichtigkeit des Festes darin, das es ,,die
zeitweilige Aufhebung der alltäglichen Wirklichkeit“ ermöglicht. Dieser Schritt
ermöglicht letzten Endes erst das zügellose Ausleben von Leidenschaft, denn würde die
alltägliche Wirklichkeit noch existieren, wäre ihr gegenüber ein solches Verhalten nicht
zu rechtfertigen.
Der Stadionbesuch als Fest muss demnach als eine Situation beschrieben werden, in der
die alltägliche Wirklichkeit aufgehoben ist, und auch Prosser (2002: 275) kennzeichnet
den Stadionbesuch als ,,die Ausgrenzung aus der sonstigen Wirklichkeit“, was das
ungestrafte Ausleben von Leidenschaften, das Überschreiten von Grenzen und Brechen
von Verhaltensnormen rechtfertigt: ,,In jedem Stadion geschieht Außeralltägliches,
werden die Regeln des Benimms mit Füßen getreten [...]“ (Bausenwein 1995: 180).
Die Gleichsetzung des Stadionbesuchs mit dem Fest hat gezeigt, dass, wenn sich der
Stadionbesuch selbst als Fest versteht, das ungehinderte Ausleben von Leidenschaften
und das Verletzen von Verhaltensnormen gerechtfertigt sind. Disziplin und
Verhaltenskontrolle werden in ihr Gegenteil gekehrt. Der Stadionbesuch als Fest
beinhaltet folglich eine gewisse Gefahr, die von den Besuchern ausgeht: ,,Ein Fest
bedeutet, dass eine erregte, lärmende Menschenmenge zusammenkommt. Solche
massiven Ansammlungen begünstigen in höchstem Grade das Aufkommen, die
Übertragung einer Exaltation, die sich in Schreien und Gebärden verausgabt und dazu
disponiert, sich unkontrolliert völlig unüberlegten Antrieben hinzugeben“ (Caillois
1988: 127). In der im Fest zu beobachtenden ,,kollektiven Entfesselung“ (ebd.: 127)
liegt eine Bedrohung, und auch Durkheims (1981: 514) Beschreibung des Festes deutet
auf ein gewisses Gefahrenpotential hin, denn das Fest ,,hat auf jeden Fall die Wirkung,
die Individuen einander näher, Massen in Bewegung zu bringen und auf diese Weise
eine Erregung zu entfachen (manchmal sogar eine Raserei) [...]. Der Mensch gerät außer
sich [...]“. Gebhardt (1987: 54) sieht im Fest selbst ein unkontrollierbares Wesen,
beschreibt er es doch als ,,ein unregelmäßiges, ungeordnetes und unplanbares
Geschehen“.
79
Das Fest zeichnet sich also durch einen gewissen Grad der Ungewissheit aus. Diese
Ungewissheit betrifft die zu erwartenden Handlungen der Teilnehmer des Festes, den
Zeitpunkt, die Dauer und den Ort des Festes sowie den genauen Verlauf: ,,So ist weder
der genaue Zeitpunkt des Beginns, noch die exakte Dauer eines Festes eindeutig
bestimmt. Ebenso wenig ist von vornherein weder die Art des Verlaufs noch dessen
inhaltliche Ausfüllung festgelegt“ (ebd.: 54). Das Fest beinhaltet demnach hinsichtlich
der erwähnten Aspekte eine Unberechenbarkeit. Das Stadion und die Arena treten
dieser Unberechenbarkeit entgegen, indem sie den Ort und den Zeitpunkt des Festes
festlegen und damit eine kontrollierende Wirkung über das Fest selbst, seinen Verlauf
und seine Teilnehmer ausüben. Diese Aspekte sollen in Kapitel 13 weiter analysiert
werden. Insgesamt wird hierin der zweideutige Charakter des Stadions, innerhalb dem
das Fest und die damit verbundenen Ereignisse stattfinden, wieder überaus deutlich.
13. Arena und Stadion als Festplatz: Ort und Zeit des Verbotenen
Mit der Arena oder dem Stadion ist ein spezifischer Raum für das Fest geschaffen
worden, denn sie sind ,,Festplätze unserer Zeit“ (Verspohl 1976: 186) . Das Stadion oder
die Arena legen den Ort des Festes fest, grenzen ihn sichtbar von anderen Räumen ab
und heben ihn dadurch gegenüber anderen heraus. Allein schon durch die exponierte
Stellung des Stadions wird die in seinem Inneren freigesetzte Leidenschaft intensiviert
und erhöht, denn ,,schon die Tatsache, dass die Arenen des Massenvergnügens meist am
Rande der Städte angesiedelt sind, deutet darauf hin, dass sie außerhalb des Normalen
stehen“ (Bausenwein 1995: 162). In der räumlich abgeschlossenen Arena wird
deutlicher noch als im Stadion die Ausgrenzung und Abgrenzung sichtbar: ,,Dieser
Raum - und seine innere Zeit - sind von Raum und Zeit der sie umgebenden Alltagswelt
abgegrenzt“ (Gumbrecht 1998: 218). Prosser (2002: 271) erkennt im architektonischen
Werdegang vom Stadion zur Arena ,,die Entwicklung des spezifischen, abgegrenzten
Veranstaltungsortes“ und die Tendenz zur ,,vollständigen Reservierung und
Komprimierung des Veranstaltungsortes“ (ebd.: 275). Die räumliche Abgrenzung der
Arena als Ort des Festes ermöglicht einerseits einen kontrollierenden Überblick über
das Fest, andererseits wird das Fest durch die Abschottung von der Außenwelt in sich
80
erhöht und steigert sich in und an sich selbst, denn ,,indem die Zuschauer ihre
Aufmerksamkeit dem Geschehen in diesem Innenraum zuwenden, kehren sie dem
gewöhnlichen Leben im wahrsten Sinne des Wortes den Rücken zu“ (Bausenwein 1995:
162). Die Arena ist ein für das Fest spezialisierter Raum, und Prosser (ebd.: 275) sagt:
,,Der Stadionbau definiert inzwischen geradezu den spezifischen Fest – Platz und
monumentalisiert ihn sogar“.
Die Arena als Festplatz bestimmt räumlich ein Innen und Außen und macht damit
deutlich, wo ein zügelloses Ausleben der Leidenschaft erlaubt ist und wo nicht, denn
nur der abgegrenzte Raum der Arena ,,represents a liberation from the regimes of
normative practices and performance codes of mundane life” (Shields 1991: 84). Nur im
inneren Raum der Arena findet sich der Ort, wo das Verbotene erlaubt ist, denn ,,sicher
ist, dass das, was im Stadion passiert, außerhalb seiner Begrenzungen in der Regel nicht
stattfindet“ (Bausenwein 1995: 163). Mit dem Stadion und der Arena sind räumlich
begrenzte Orte geschaffen worden, die eine auf das Verhalten des Individuums
bezogene Normüberschreitung erlauben, was Gebhardt (1987: 167) zu der treffenden
Aussage führt, von einer ,,Ausgelassenheit in exakt überwachten Grenzen“ zu sprechen.
In ähnlicher Weise äußert sich Nielsen (1995: 34), der in Bezug auf moderne Stadien
diesen Aspekt als ,,joy behind the fences“ beschreibt. Die räumliche Begrenzung ist
notwendig, denn ,,offensichtlich soll das, was hier geschieht, auf diesen Innenraum
beschränkt bleiben. Nur hier, innerhalb des Kreises, darf der Mensch einmal vergessen,
dass er ein vernünftiges Individuum ist [...]“ (Bausenwein 1995: 163). Nur die Arena
und das Stadion sind der Raum und der Ort, der ,,eine emotionale Entladung im
Gebrüll, in Mimik und in Gestik erlaubt“ (ebd.: 462).
Neben die räumliche Abgrenzung tritt die zeitliche, denn die Arena öffnet sich nur zu
bestimmten und festgelegten Zeitpunkten als Festraum. Es handelt sich demnach um
eine räumliche und zeitliche Abgrenzung vom alltäglichen Geschehen. Krockow (1980:
38) weist auf diese zweifache Abgrenzung hin, denn die baulichen Maßnahmen
,,demonstrieren die Ausgrenzung als räumlich, und gerade die Zeit, die vorgegeben [...]
wird, demonstriert den Sachverhalt als zeitlichen“. Der Stadionbesuch als Fest ist an
einen gewissen Zeitraum gebunden, und nur innerhalb dieser festgelegten Zeit ist das
81
grenzenlose Ausleben der Leidenschaften erlaubt. Caillois (1988: 150) schreibt dazu:
,,Das Fest [...] ist eine Zeitspanne, in der die Weltordnung aufgehoben ist. Aus diesem
Grund sind zu dem Zeitpunkt Exzesse gestattet. Man darf den Regeln zuwiderhandeln.
Alles muss umgekehrt werden“. Auch Bausenwein (1995: 175) betont, dass die
Freigabe des Verbotenen an einen bestimmten Zeitpunkt gebunden ist, denn in einer
Arena findet ein ,,kollektiver emotionaler Ausstieg statt, während dem all die
Rollenzwänge, Verhaltensmaßregeln und Normen, die den gewohnten Ablauf des
Lebens bestimmen, für eine begrenzte Zeit aufgebrochen, ja abgelegt werden können“.
Und Canetti (1980: 25) fügt hinzu: ,,Für die Dauer ihres Aufenthalts in der Arena
scheren sie sich um nichts [...]. Sie lassen das Leben ihrer Beziehungen, ihre Regeln und
Gewohnheiten zurück“.
Die bereits erwähnte Aufhebung der alltäglichen Wirklichkeit ist nur eine temporäre,
denn der Stadionbesuch als Fest ist eine Situation, in der die ,,alltägliche Wirklichkeit
auf Zeit aufgehoben ist“ (Gebhardt 1987: 63). Das Stadion oder die Arena
repräsentieren baulich die räumliche Ausgrenzung von der alltäglichen Wirklichkeit der
Welt, und diese Ausgrenzung verschränkt sich mit der zeitlichen Aufhebung der
Wirklichkeit während des Stadionbesuchs. Diese beiden Aspekte werden von Prosser
(2002: 271) treffend definiert, wenn er ,,das Stadion als Festplatz der Weltausgrenzung“
bezeichnet und den Stadionbesuch als die ,,Weltausgrenzung auf Zeit“ (ebd.: 275)
benennt. Zusammenfassend beschreibt Bale (1997: 35) Stadien als ,,abgegrenzte
Räume, in denen sich Menschen zu festgesetzten Zeiten von den Verhaltenskodes des
Alltags befreien“.
Die Tatsache, dass es sich beim Stadionbesuch als Fest um eine zeitlich und räumlich
limitierte Grenzüberschreitung des Verhaltens handelt, beinhaltet eine disziplinierende
Funktion, die auf das Verhalten des Individuums vor und nach dem Fest gerichtet ist,
denn Gebhardt (1987: 54) stellt fest, ,,dass alle am Fest Beteiligten wissen, dass das Fest
nur momentanen Wesens ist, dass nach seiner Beendigung die Rückkehr in den Alltag
ansteht“. Die Rückkehr in den Alltag bedeutet aber auch das wieder Annehmen der
disziplinierenden Verhaltensnormen. Gebauer und Hortleder (1986: 85) erkennen bei
modernen Sportveranstaltungen, die sie als Show beschreiben, ,,das weitgehend
82
unbehinderte Ausleben von Wünschen und Emotionen während der Show und das
Wiedereintreten des Normalzustandes danach“. Indem die Verhaltensnormen wieder
angenommen werden, erfahren sie wiederum eine Bestätigung und werden sogar
inhaltlich gestärkt, denn die Existenz dieser Normen wird nicht grundsätzlich in Frage
gestellt, sie werden nur vorübergehend aufgehoben. Im Stadionbesuch als Fest und
damit als das Durchbrechen der das Verhalten reglementierenden gültigen Normen
werden gleichzeitig die alltäglich bestehenden Normen bekräftigt: ,,Wenn sich im Fest
das nicht Gestattete zu Durchbruch verhilft, dann ist es ex negativo an jenes Gesetz
gebunden, das es übertritt, so dass es nur umso mehr das durchbrochene Gesetz bejaht“
(Küchenhoff 1989: 104). Das Fest als die Negation der bestehenden Verhaltensnormen
führt im Endeffekt zu deren Reproduktion, denn ,,im Exzess, im Durchbrechen eines
Tabus wird nicht einfach ein Verbot unterlaufen, ein Symbol außer Kraft gesetzt,
vielmehr wird ein Zusammenhang gestiftet“ (ebd.: 104). Das Fest als das Durchbrechen
von Tabus ist nur möglich und mit Sinnhaltigkeit belegt, weil die alltäglichen
Verhaltensnormen existieren und das Fest trotz der temporären Aufhebung dieser
Normen stets auf sie rekurriert: ,,Das Fest als außeralltägliches Ereignis spiegelte das
Ganze der alltäglichen Wirklichkeit wieder, indem es sie aufhob“ (Gebhardt 1987: 170).
Die Idee des Festes als Aufhebung von Verboten bewirkt in der Rückwirkung, ,,dass sie
das Verbot reaktiviert [...] und verstärkt“ (Baudrillard 1982: 249).
Darüber hinaus gibt sich das Fest, und damit auch der Stadionbesuch, durch die
räumliche und zeitliche Festlegung einen institutionellen Rahmen. Dieser ermöglicht
den Teilnehmern das Ausleben von Leidenschaften, wirkt aber zugleich beschränkend.
Gebhardt (1987: 82) bezeichnet das Fest in diesem Sinne als eine Form, in der
,,außeralltägliches Handeln auf Zeit institutionalisiert ist“ und spricht von ,,dem Fest als
der Institutionalisierung des emotionalen / affektuellen“ (ebd.: 50). Caillois (1965: 99)
bezeichnet diesen Aspekt, der letzten Endes auch auf den zweideutigen Charakter des
Stadions als Festplatz verweist, treffend, wenn er ,,das Fest [...] die zur Regel
gewordene Regellosigkeit [...]“ nennt.
14. Der Stadionbesuch: Die feierliche Selbstvergewisserung der Masse
83
Die Sitzplätze in den Stadien verhindern die Massenbildung im klassischen Sinne, und
anstatt Massen zu bilden, werden zunehmend Individuen produziert. Trotzdem aber
besteht offenbar auf Seiten der Individuen das Bedürfnis, sich im Stadion als Teil einer
Masse zu fühlen und sich der eigenen Massierung selbst zu vergewissern. Die bereits
beschriebenen neuen Massenformen, die visuelle, imaginäre und auditive Masse, sind
ein Beispiel für diese ,,Selbsterfahrung der Massen“ (Verspohl 1976: 1). Dem Bedürfnis
der Selbstvergewisserung der Masse als eben eine solche sollen nun noch einige
Gedanken hinzugefügt werden.
Eine Form der Selbstvergewisserung der Masse besteht darin, dass sich die Masse beim
Stadionbesuch in erster Linie nicht auf das im Innenraum des Stadions stattfindende
Ereignis bezieht, sondern sie richtet sich allein auf sich selbst aus: ,,Denn eigentlich ist
so ein Amphitheater recht gemacht, dem Volk mit sich selbst zu imponieren, das Volk
mit sich selbst zum besten zu haben“ (Goethe 1993: 44).
Die modernen Stadien mit ihren zunehmend vorzufindenden runden Zuschauerrängen
symbolisieren diesen Aspekt, denn sie ermöglichen es der Masse, sich selbst gegenüber
zu sitzen und sich selbst im Blick haben zu können. Canetti (1980: 25) beschreibt dies
als ,,die Masse, die sich selber so zur Schau stellt“. Dabei hilft ihr die spezifische
panoptische Architektur des Stadions, denn sie sorgt dafür, dass die Masse sich ständig
selber im Blick hat. Goethe (1993: 45) schreibt über das Amphitheater in Verona, das
diesen Zweck architektonisch erfüllt: ,,Die Simplizität des Ovals ist jedem Auge auf die
angenehmste Weise fühlbar [...]“. In der spezifischen Architektur der Stadien der
neueren Generation erkennt Alexander (2005: 37) eine ,,Annäherung an Goethes Oval“
, und das Stadion fungiert als baulich realisierter ,,Selbstbezug der Zuschauermassen“
(ebd.: 37), denn ,,in der “Simplizität des Ovals“ sieht das Publikum sich auf sich selbst
zurückgeworfen“ (Hildenbrandt 1994: 170). Für Bernard (1986: 51) fungieren Stadien
als ,,Räume gesellschaftlicher Erinnerung“, die den Menschen dazu dienen, ,,sich
gegenüber sich selbst präsent zu machen“ (ebd.: 51), und Nielsen (1995: 35)
schlussfolgert: ,,Letting its presence be known, is probably the stadium crowd’s most
important characteristic, not least from its own point of view“.
84
Der Stadionbesuch ist als Fest beschrieben worden, das trotz aller Reglementierungen
hinsichtlich Ort und Zeit ein letztes Maß an Ungewissheit und Unplanbarkeit beinhaltet,
die sich auf den Verlauf und die inhaltliche Ausgestaltung des Festes beziehen.
Niemand kann garantieren, dass es ein schönes Fest wird, nach dem alle befriedigt
wieder nach Hause gehen.
Die Zuschauer im Stadion treten dieser Ungewissheit beim Stadionbesuch, der ihr
spezielles Fest ist, entgegen, indem sie sich selbst feiern: ,,Das Stadion ist also nicht
mehr in erster Linie der Ort, wo man ein Fußballspiel sieht; [...] Im Fußballstadion
feiern die Fans sich selbst“ (Schümer 1998: 33). Sie feiern ihr eigenes Dasein und ihr
Beisammensein, worin auch der schon von Schümer angedeutete sekundäre Charakter
des im Stadion stattfindenden Ereignisses sichtbar wird: ,,Das sportliche Geschehen
kann dabei ab einem bestimmten Punkt ziemlich belanglos werden. Dann wird das
Sportereignis zum Festival [...] Das Publikum zelebriert nicht länger die Sportler,
sondern sich selbst [...]“ (Bette / Schimank 1996: 64). Ähnlich formuliert es Alkemeyer
(2004: 61), der schreibt: ,,The noise and excitement generated by the fan block crowd
[...] is a spectacle, a visual feast staged by these fans for themselves and others”. Das
Beisammensein der Individuen als Masse und das Masse sein selbst sind das eigentliche
Ereignis, das es zu feiern gilt. So schreibt Meinhardt (1995: 44) treffend über die
Zuschauermasse bei einem Boxkampf: ,,Es hat sich eine Menschenmenge gebildet, die
sich etwas vormacht, wenn sie meint, es ginge ihr um diesen oder jenen Boxer oder gar
um das Boxen an sich. In Wirklichkeit interessiert nichts weniger als das. Sie strömt um
ihrer selbst willen zusammen. Dieser Mechanismus ist zeitlos und gilt selbstredend
nicht nur für den Sport“. Diese Aussage wird von Matzig (2006: 13) unterstützt, der
schreibt: ,,Es geht nicht um das Spiel und nicht um den Sport [...]. Es geht um eine Idee:
um die Idee der überörtlichen, beliebig transformierbaren Gemeinschaft. Es ist die Idee
einer neuen Art von Öffentlichkeit und gesellschaftlicher Selbstvergewisserung“.
Biermann (2004: 33) kommt zu dem Schluss, das sportliche Ereignis im Stadion
vollends zu negieren, wenn er sagt, ,,dass die Zuschauer sich selbst genug sind“. Das
sportliche Ereignis ,,und die Sportler sind nur noch der äußere Anlass, um ins Stadion
zu kommen“ (Bette / Schimank 1996: 64), denn ,,für das Ereignis in den Stadien aber
fühlen sich inzwischen vor allem die Zuschauer zuständig. Sie inszenieren sich selbst
und scheren sich immer weniger darum, wie auf dem Rasen gekickt wird“ (Biermann
85
2004: 33). Was für die Zuschauer im Stadion wirklich zählt, das sind sie selbst und ihre
eigene Gegenwärtigkeit: ,,Die Masse, die sich selbst ins Angesicht sieht, ist das
eigentliche Spektakel der Spiele“ (Gebauer / Wulf 1988: 17).
Indem die Masse sich selbst feiert, bestätigt sie sich ihre eigene Existenz und erfährt in
den beschriebenen ,neuen Massenformen’ eine sinnliche Selbstvergewisserung
bezüglich ihres eigenen Daseins: ,,In der sinnlich fassbaren Massierung bestätigen sie
sich gegenseitig ihre eigene Realität“ (Kluge / Negt 1973: 76).
Der Stadionbesuch dient der Masse also als Selbstvergewisserung, als Raum zum
Erleben von Gemeinschaft in einer sonst durch Individualisierung geprägten
Gesellschaft. Der Stadionbesuch beinhaltet somit ,,die Möglichkeit des reflexiven
Erlebens. Hierbei handelt es sich um ein Erleben des Erlebens – beispielsweise eines
Erlebens gleichgesinnter oder gleichzeitig anwesender. Der Anonymität und Indifferenz
der individuellen Lebensführung [...] wird die gemeinsame Anwesenheit [...]
entgegengesetzt“ (Bette 1999: 204).
Als exemplarisch dafür, dass die Masse ihr eigenes Dasein und Beisammensein feiert
und in einem Akt der gemeinsamen Choreographie ihre Selbstvergewisserung
gleichsam aufführt, kann die ’La Ola Welle’ genannt werden: ,,La Ola, die Stadionwelle,
ist zum Sinnbild dieser selbstzündenden Freude der Besucher am Massendasein
geworden“ (Alexander 2005: 37). In der Stadionwelle, dieser ,,Eigeninszenierung“
(Stollenwerk 1996: 74), gibt sich die Masse selbst ein Bild und vergegenwärtigt sich so
ihrer eigenen Massierung. Die Stadionwelle La Ola ist dabei nicht als eine beliebige
Form oder ein zufälliges Produkt zu verstehen. Canetti nämlich schreibt, dass eines der
Symbole, das der Masse als Vorbild für ihre Konstitution und für ihr Selbstverständnis
dient und auch die ihr spezifischen Eigenschaften beinhaltet, das Meer ist (vgl. Canetti
1980: 81ff.). Die Masse der Menschen im Stadion greift das Bild des Meeres auf und
spiegelt es in seiner Choreographie der ’La Ola Welle’ wider, und die Individuen
erfahren in der Welle das für die Masse charakteristische Gefühl der Einheit und
Gleichheit: ,,Der dichte Zusammenhang der Wellen drückt etwas aus, das auch die
Menschen in einer Masse sehr wohl fühlen: eine Nachgiebigkeit gegen die anderen, als
wäre man sie, als wäre man nicht mehr abgegrenzt für sich [...]“(Canetti 1980: 87 – 88).
86
Auf die Tatsache, dass die ’La Ola Welle’ letzten Endes nur der Masse selber dient, dass
sie an sie selbst gerichtet ist, und dass die Masse sich in der Choreographie der Welle
unabhängig vom im Stadion stattfindenden Ereignis selbst feiert, weist auch
Hildenbrandt (1994: 170) hin: ,,Ich denke, dass diese Welle nichts anderes ist als eine
neue gesteigerte Form der Kommunikation des Publikums mit sich selbst. [...] Die
Zuschauer schaffen das Ereignis, das sie erleben wollen selbst. [...] Aus dem mit den
Athletinnen und Athleten begonnenen Dialog ist ein berauschendes Selbstgespräch
geworden“. Die Selbstinszenierung der Masse in der ’La Ola Welle’ ist eine feierliche
Selbstvergewisserung, und dieses Verhalten der Masse beschreibt Nielsen (1995: 34)
treffend als ,,making its presence known and making a great fuss about it“. Die Masse
der Zuschauer gibt sich in der gemeinsamen Inszenierung ein Ereignis zu sehen, das sie
selbst sind.
Ähnlich beschreibt es bereits der Architekt Etienne - Louis Boullee (1728 – 1799),
dessen architektonische Skizzen zu seiner Zeit baulich noch nicht realisiert werden
konnten und zum Teil auch heute weiterhin utopisch anmuten. Dennoch aber greift die
von ihm formulierte Idee auch in den Stadien und Arenen unserer Zeit: ,,Man stelle sich
dreihunderttausend Menschen vor, vereint in einem Amphitheater, wo niemand den
Blicken der Menge entgehen könnte. Das würde einen einzigartigen Eindruck machen:
die Schönheit dieses erstaunlichen Schauspiels nämlich käme durch die Zuschauer
selbst und entstünde allein durch sie“ (Boullee 1987: 111). Aus dieser Aussage lässt sich
schließen, dass die Masse als ihr eigenes Schauspiel fungiert und sich darin selbst
bestätigt und vergewissert, denn es ist von ihrem eigenen Dasein abhängig.
15. Inszenierung von Gemeinschaft und Gleichheit
Wie Bette und Schimank (1996: 63) bemerken, geht ,,mit der gesellschaftlichen
Modernisierung [...] ein Gemeinschaftsverlust einher“. Der Ort des Stadions beinhaltet
offenbar den Sinn, diesem ,Gemeinschaftsverlust’ entgegenzuwirken: ,,Stadiums are
designed as meeting places for isolated individuals [...]“ (Alkemeyer 2004: 58). Die
Tatsache, dass der Stadionbesuch als Fest verstanden werden muss und entsprechend
87
begangen wird, ermöglicht gerade das Erleben von Gemeinschaft und Gleichheit. Bette
(1999: 206 – 207) schreibt dazu: ,,Zentraler Bestandteil dieser Festivalisierung ist die
Inszenierung und Ermöglichung eines kollektiven Gemeinschaftserlebens“. Die oben
beschriebene Selbstvergewisserung der Masse wird in der Inszenierung als Fest
ermöglicht. Der Stadionbesuch als Fest stiftet ein kollektives Gemeinschaftserlebnis
und bildet somit zusammen mit dem Stadion einen Raum, der im Gegensatz zum
individualisierten und partikularisierten Alltag steht, in dem das Erleben und das Gefühl
von Gemeinschaft und Gleichheit nicht mehr erreicht werden können: ,,Die
Inszenierung von Gemeinschaft ist gerade in einer Gesellschaft, die das einzelne
Subjekt hochgradig individualisiert und vereinzelt, eine wichtige Quelle für eine
kollektive Identitätsvergewisserung“ (ebd.: 207). Der Stadionbesuch als Fest gestattet es
,,dem einzelnen wie der sozialen Gruppe, aus den partikulären Zersplitterungen des
Alltags auszubrechen und zurückzufinden zu einem Bewusstsein der Einheit“ (Gebhardt
1987: 169). Grundlage des Gemeinschaftserlebnisses ist die im Fest selbst angelegte
Gemeinschaftlichkeit, die darauf basiert, dass das Fest eine Gleichheit der Beteiligten
herstellt. Bausenwein (1995: 176) erkennt im Fest ,,die Bildung einer Gemeinschaft auf
Zeit mit der Tendenz zur Einebnung der sozialen Unterschiede [...]“. Die im Alltag die
Individuen trennenden Unterschiede werden im Fest weitgehend aufgehoben, und die
Individuen werden somit ,,im Fest, als einer Angelegenheit aller, wieder
zusammengebracht, ja sogar einander gleichgemacht“ (ebd.: 176). Eine ähnliche
Tendenz des Festes stellt Gebhardt (1987: 59) fest, wenn er schreibt: ,,Zwar muss nicht
immer die alltägliche Sozialordnung ins Gegenteil verkehrt werden, eine, mehr oder
weniger stark ausgeprägte, Einebnung der sozialen Unterschiede aber ist ein
wesentlicher Bestandteil des Festes“. Im Fest werden demnach soziale Unterschiede
nivelliert und das ist die Grundlage für ,,die gemeinschaftsbildende und
gemeinschaftsstabilisierende Kraft, die das Fest in aller Regel sein eigen nennen darf“
(ebd.: 171).
Die Stadien als spezifische Festorte werden somit ,,trotz der Fremdheit der Menschen
untereinander zu Orten der sozialen Verdichtung. Hier rückt zusammen, was sonst durch
Unterschiede voneinander getrennt ist. [...] Das Fest nivelliert die Anwesenden und
vereint sie durch die Nähe der Körper und das gemeinsame Erleben. [...] Im Rausch des
88
Festes verschmilzt das Ich im Wir“ (Bette 1999: 207 – 208). Knapp (2005: 15)
bezeichnet das Stadion im Sinne des Festplatzes treffend als ,,Ort für den Rausch, für
das kompakte Gemeinschaftserlebnis“, Gebauer und Hortleder (1986: 267) beschreiben
,,die Stadien als Orte des Massenerlebens“ und Matzig (2001: 13) kennzeichnet ,,das
Stadion als architektonischen Ort der Gemeinschaft“. Schümer (1998: 33) bezeichnet
das Stadion, das darin stattfindende Stadionspektakel und den Stadionbesuch als
Momente ,,der letzten Selbstinszenierung von Gesellschaft“. In der durch Vereinzelung
geprägten modernen Gesellschaft wird der gemeinsam rauschhaft erlebte und festlich
zelebrierte Stadionbesuch ,,zum eigentlichen Band des kollektiven Daseins“ (Caillois
1965: 99) und ermöglicht ein Gemeinschaftserlebnis, das die ,,Individuen einander
annähert, zusammenführt und in eine innere Verbindung treten“ (ebd.: 99) lässt. Der
Stadionbesuch fungiert in den Worten Matzigs (2006: 13), quasi als Steigerung zum
obigen Zitat von Schümer zu verstehen, als ,,Inszenierung einer verloren gegangenen
Gemeinschaft“.
Die Inszenierung von Gemeinschaft und Gleichheit aber verweist dabei gleichzeitig
auch auf den eigentlich utopischen Charakter dieser Idee. Denn eine Inszenierung bleibt
eine Aufführung, sie ist fiktiver Natur und nur angenommen, aber nicht real. Warum die
Inszenierung von Gemeinschaft beim Stadionbesuch dennoch so erfolgreich gestaltet
und als wirklich existierend erlebt werden kann, liegt in der spezifischen Situation ihrer
Rezipienten begründet, worauf Alkemeyer (1996: 221) hindeutet: ,,Eine Inszenierung
[...] ist vielmehr erst dann realisiert, sie existiert erst dann als eigene Welt von
Bedeutungen, Vorstellungen und Gefühlen, wenn die Rezipienten sie auf der Basis ihrer
subjektiven Sinnlichkeit, ihres alltäglichen Erlebens der Verhältnisse, ihrer Interessen
und Wünsche aktiv angeeignet und in Beziehung zu ihrer eigenen Lebenswirklichkeit
gesetzt haben“ (Alkemeyer 1996: 221). Das heißt, gerade weil die Inszenierung von
Gemeinschaft von den Individuen in Beziehung gesetzt werden kann zu ihrer durch
Vereinzelung geprägten alltäglichen Lebenswelt, wird sie als real erlebt, obwohl sie
eigentlich fiktiv ist. Trotz dieser als real erlebten Inszenierung von Gemeinschaft und
Gleichheit bleiben beide dennoch unverwirklichbar. Gemeinschaft und Gleichheit
bleiben eine Utopie, eine nicht zu realisierende Wunschvorstellung und Idee. Die
Masse, die sich auf die inszenierte Gemeinschaft und Gleichheit gründet, bleibt eine
89
utopische Masse, eine visuelle, imaginäre oder auditive Masse. Es handelt sich um die
Inszenierung von Gemeinschaftlichkeit und Gleichheit, nicht um die im Sinne der
klassischen Massenbildung Canettis über den Körpersinn Fühlen real erlebte. Daher
bleiben die im Stadion inszenierten Erlebnisse von Gemeinschaftlichkeit und Gleichheit
,,trotz des Zusammentreffens der Massen Scheinbilder kollektiven Zusammenschlusses“
(Verspohl 1976: 8).
Unterstützend bei dieser Inszenierung von Gemeinschaft und Gleichheit wirkt die
Architektur des Stadions und ihre entsprechende Wirkung auf die Masse, denn
Alkemeyer (ebd.: 308) schreibt: ,,Überdies können räumliche Gestaltungen spontan
gefangen nehmen und in Bann schlagen“. Wie Alkemeyer weiter ausführt, bildet unter
anderem gerade die architektonische Raumgestaltung ,,das institutionelle Dispositiv der
Masseninszenierungen“ (ebd.: 308). Auch Bartetzko (1985: 18) schreibt der Architektur
bei dieser Inszenierung eine entscheidende Rolle zu: ,,Der Architektur, die durch ihr
pures Dasein bereits imstande ist, [...] Wunschträume als Wirklichkeit erscheinen zu
lassen, kommt hierbei eine überragende Bedeutung zu“. Somit ist es im Besonderen
,,die architektonische Illusion, die erst Täuschung und Selbsttäuschung der Massen
komplettierte“ (ebd.: 19). Matzig (2001: 13) beschreibt die ,,Sportarenen als die
gewaltigsten und suggestivsten Raumschöpfungen unserer Zeit“. Das suggestive
Potential der Architektur des Stadions inszeniert und suggeriert eine Gemeinschaft, die
eigentlich nicht existiert, denn durch Sitzplätze, verschiedene Ränge und Logen sind in
modernen Stadien mehr Distanzen eingebaut als je zuvor, und auch ,,wird unter den
Besuchern auf mehr Distanz denn je geachtet: Die Aufteilung in verschiedene Blöcke
war nie so ausdifferenziert und streng wie heute“ (Alexander 2005: 37). Das Stadion als
Raum suggeriert der Masse damit eine Gemeinschaft und Gleichheit, die es selbst nur
über den visuellen, imaginären oder auditiven Umwege herstellen kann. Das Erleben
von Gemeinschaft und Gleichheit im Stadion hat somit einen utopischen Kern, denn das
Individuum wird doch stets auf seinen eigenen Körper zurückgeworfen, anstatt in der
Masse untertauchen zu können. Gerade auch im Stadion bleibt der Einzelne an seinen
Körper gebunden, wodurch die Vorstellung der Massenbildung als Utopie entlarvt wird:
,,Mein Körper ist das genaue Gegenteil einer Utopie [...], er ist der absolute Ort, das
90
kleinste Stück Raum, mit dem ich buchstäblich eins bin. Mein Körper ist eine
gnadenlose Topie“ (Foucault 2005: 25).
Die Masse als Zustand der Gemeinschaft und Gleichheit und das Stadion als der Ort für
die Konstitution dieses Zustandes soll den eigenen Körper in der Masse aufgehen
lassen. Es ist der Versuch, sich seines eigenen Körpers zu entledigen und den einen
Gefühlskörper der Masse zu bilden. Dieser Akt und die damit verknüpfte Idee des
Erlebens von Gemeinschaft und Gleichheit in der Masse bleiben aber eine Utopie, denn
Foucault (2005: 26) stellt fest: ,,Mein Körper ist der Ort, von dem es kein Entrinnen
gibt. Ich glaube, alle Utopien sind letztlich gegen ihn geschaffen worden, um ihn zum
Verschwinden zu bringen“. Nur unter der Prämisse der Utopie der Gemeinschaft ist der
Masse die Zusammenkunft im Stadion gestattet, denn die körperlich real gefühlte
Gemeinschaft der Masse birgt ein zu großes Potential an Unkontrollierbarkeit und nicht
vorhandener Disziplin, während die utopische Masse und die neuen Massenformen
einfacher zu kontrollieren sind. In der Inszenierung der Gemeinschaft erkennt die Masse
die Utopie dieser Idee an, bestätigt sie und erklärt sich mit den alternativen
Konstitutionsformen einverstanden, denn nur unter dieser Vorrausetzung kann der
Masse das Stadion als Ort ihrer Versammlung überlassen werden: ,,Die in den Stadien
kollektive Willensbildung wird durch die Einbettung in den Gedenkakt von der
Affirmierung vorgefertigter Normen überlagert. Gerade in diesem Plan gebliebenen
Anwendungszusammenhang bestätigt sich die amphitheatralische Architektur als
kritische Form: sie wird nur dann den Massen übereignet, wenn diese einer in sich
schlüssig organisierten Inszenierung subordiniert werden können“ (Verspohl 1976:
151).
16. Das Stadion als Heterotopie
Das Stadion ist als Raum beschrieben worden, in dem das Ausleben von Leidenschaften
vollzogen werden kann. Die verhaltensregulierenden Normen und Disziplinen sind an
diesem Ort und zu dieser Zeit außer Kraft gesetzt. Damit steht das Stadion als Raum im
Gegensatz zu anderen Räumen und den in ihnen geltenden Verhaltensnormen: ,,Unter
91
all diesen verschiedenen Orten gibt es nun solche, die vollkommen anders sind als die
übrigen Orte, die sich allen anderen widersetzen [...]. Es sind gleichsam Gegenräume“
(Foucault 2005: 10).
Die in diesem Gegenraum Stadion zu realisierende Idee der Gemeinsamkeit und
Gleichheit bleibt, wie oben dargelegt, letzten Endes eine Utopie. Es drängt sich deshalb
die Vermutung auf, auch das Stadion als Ort und Zeit des außer Kraft Setzens der
alltäglichen Verhaltensnormen als Utopie zu kennzeichnen, das Stadion als utopischen
Ort zu begreifen: ,,Wahrscheinlich schneidet jede menschliche Gruppe aus dem Raum,
den sie besetzt hält [...] utopische Orte aus und aus der Zeit, in der sie ihre Aktivitäten
entwickelt, uchronische Augenblicke“ (ebd.: 9). Andererseits aber bleibt das Stadion als
Raum ja keine Utopie, keine fiktive Vorstellung oder Träumerei, denn es ist real und
existent: ,,Dennoch glaube ich, dass es – in allen Gesellschaften – Utopien gibt, die
einen genau bestimmbaren, realen, auf der Karte zu findenden Ort besitzen und auch
eine genau bestimmbare Zeit [...]“ (ebd.: 9). Das Stadion als Raum bleibt keine Utopie
und existiert für die Menschen nicht nur am ,,ortlosen Ort ihrer Träume“ (ebd.: 9), denn
es ist ja vorhanden und greifbar und somit keine Utopie, ,,denn wir sollten diese
Bezeichnung nur Dingen vorbehalten, die tatsächlich keinen Ort haben“ (ebd.: 11).
Stadien können demnach im Sinne von Foucault als ,,lokalisierte Utopien“ (ebd.: 10)
bezeichnet werden. Als ,Gegenräume’ können sie mit Foucaults Worten als die ,,realen
Orte jenseits aller Orte“ (ebd.: 11) beschrieben werden oder besser noch als ,,die
Heterotopien, die vollkommen anderen Räume“ (ebd.: 11). Foucault beschreibt die
Heterotopien genauer, indem er sie bezeichnet als ,,Gegenplatzierungen oder
Widerlager, tatsächlich realisierte Utopien, in denen die wirklichen Plätze innerhalb der
Kultur gleichzeitig repräsentiert, bestritten und gewendet sind, gewissermaßen Orte
außerhalb aller Orte, wiewohl sie tatsächlich geortet werden können. Weil diese Orte
ganz andere sind als alle Plätze, die sie reflektieren oder von denen sie sprechen, nenne
ich sie im Gegensatz zu den Utopien die Heterotopien“ (Foucault 1990: 39).
Das Stadion ist eine von den Menschen im Sinne eines bestimmten Zwecks geschaffene
Heterotopie für die Menschen, denn hier ist das zügellose Ausleben der Leidenschaften
und ein die Norm verletzendes Verhalten möglich. Foucault nennt diese Orte
,,Abweichungsheterotopien [...]. Das heißt, die Orte [...] sind eher für Menschen
92
gedacht, die sich im Hinblick auf den Durchschnitt oder die geforderte Norm
abweichend verhalten“ (Foucault 2005: 12). Foucault verwendet seinen Begriff
,,Abweichungsheterotopien“ zwar primär für Krankenhäuser, Gefängnisse und ähnliche
Einrichtungen (vgl. Foucault 2005: 12), doch das Prinzip der Abweichungsheterotopie
kann auf das Stadion übertragen werden: ,,Es ist ein ausgegrenzter Ort, ein Ort der am
Rande steht ähnlich Gefängnissen, Altenheimen, Krankenhäusern; und für die Dauer
eines Fußballspiels hausen dort ,andere’ Menschen, die man – ähnlich Gefangenen,
Alten und Kranken – an normalen Orten nicht sehen will“ (Bausenwein 1995: 163).
Außerdem fügt Foucault (2005: 18) an, ,,dass Heterotopien stets ein System der
Öffnung und Ausschließung besitzen, welches sie von der Umgebung isoliert“. Im Falle
des Stadions sind dies die bereits beschriebenen räumlichen und zeitlichen
Mechanismen.
Das Stadion als Heterotopie ist ein Ort, an dem die utopische Idee der Gleichheit und
Gemeinschaft verfolgt wird, und dennoch behalten das Stadion und der Stadionbesuch
ihre Attraktivität. Diese Attraktivität rührt vom Wesen der Heterotopie her: ,,Sie stellen
alle anderen Räume in Frage, und zwar auf zweierlei Weise: entweder [...] indem sie
eine Illusion schaffen, welche die gesamte übrige Realität als Illusion entlarvt, oder
indem sie ganz real einen anderen realen Raum schaffen, der im Gegensatz zur wirren
Ordnung unseres Raumes eine vollkommene Ordnung aufweist“ (Foucault 2005: 19 –
20). Erstens ist und bleibt die im heterotopen Raum Stadion bereitgestellte Illusion der
Gemeinschaft eine Illusion. Das Erleben dieser Illusion aber lässt den durch
Vereinzelung und Individualisierung geprägten Alltag, die Realität, zwar nicht
unbedingt im Sinne Foucaults als Illusion erscheinen, doch zumindest wird er wie oben
erläutert in der Form des Festes zeitweilig aufgehoben. Zweitens werden die im Alltag
partikularisierten und durcheinander angeordneten Individuen im Stadionraum in die
geordnete Struktur und Einheit der geschlossenen Masse gebracht, sodass sich die von
Foucault angesprochene ,wirre Ordnung’ zu einer ,vollkommenen Ordnung’ umformt.
Foucault bezeichnet diese Räume als ,,Kompensationsheterotopie“ (Foucault 1990: 45).
17. Das Stadion und der Stadionbesuch: Konsequenzen der Disziplinargesellschaft
93
Die bisherigen Erläuterungen haben gezeigt, dass das Stadion als Raum versucht, zwei
einander sich eigentlich widersprechende Ideen miteinander zu verbinden. Einerseits
soll durch die Architektur des Stadions ein ins ekstatische gesteigertes zügelloses
Ausleben der Leidenschaften erlaubt sein, andererseits soll durch die architektonisch
panoptische Organisation des Stadions als Disziplinarraum Kontrolle und Disziplin über
die Masse beziehungsweise über die Individuen ausgeübt werden. Einerseits sollen im
Stadionbesuch Gemeinschaftserlebnisse vermittelt werden, andererseits werden die
Individuen durch die spezifische Stadionarchitektur immer wieder auf ihre
Individualität zurückgeworfen. Diesen zuletzt genannten Aspekt beschreibt Verspohl
(1976: 187) treffend als die ,,Spannung von Massenansammlung und gleichzeitiger
Vereinzelung“. Das Stadion mit seiner Architektur oszilliert zwischen diesen extremen
Polen und vereint sie an einem Ort, so als ob in der Heterotopie des Stadions der Raum
des Festes und der Disziplinarraum miteinander verbunden würden: ,,In der Regel
bringen Heterotopien an ein und demselben Ort mehrere Räume zusammen, die
eigentlich unvereinbar sind“ (Foucault 2005: 14).
Die Tatsache, dass in der Heterotopie des Stadions sich eigentlich widersprechende
Ideen miteinander vereinbart werden können, liegt im bereits erwähnten zweideutigen
Charakter des Stadions begründet. Darüber hinaus ist der Stadionbesuch, also das
Eintreten in diese Heterotopie, als Fest beschrieben worden: ,,Feste bilden in gewissem
Maße einen Freiraum, der für unterschiedliche Inhalte offen ist und diese auch
widerspruchsfrei in sich vereinigen kann“ (Gebhardt 1987: 54). Verspohl (1976: 61)
schreibt hierzu treffend über das Wesen des Stadions: ,,Ebenso oft wie
Massenversammlungsarchitekturen Ordnungsfaktoren waren [...], ebenso häufig waren
die Arenen Ort und die Feste Anlass der Auflehnung gegen die verordneten Normen“.
Schließlich ist es Foucault (2005: 17) selbst, der von ,,diesen Heterotopien des Festes,
diesen zeitweiligen Heterotopien“ spricht.
Das Stadion ist ein für einen bestimmten Zweck speziell geschaffener Raum: ,,Es gibt
wahrscheinlich keine Gesellschaft, die sich nicht ihre Heterotopie oder ihre
Heterotopien schüfe“ (Foucault 2005: 11). Warum diese Heterotopie geschaffen wurde,
diese Frage beantwortet König (1992: 13): ,,Auch die noch so ausgeklügelten Strategien
94
der Disziplinierung und Zivilisierung schaffen es nicht, die Welt der Wünsche,
Leidenschaften und Affekte spurlos in der Versenkung verschwinden zu lassen“.
Demzufolge könnte man laut Bette und Schimank (1996: 65) den Stadionbesuch ,,als
ein Refugium ansehen, in dem offensichtlich unausrottbare Bedürfnisse
kompensatorisch befriedigt werden, die in der Moderne zunehmend verdrängt worden
sind“. Ähnlich beschreiben es Elias und Dunning (2003: 168), denn sie sehen den
Stadionbesuch als ,,eine soziale Enklave, in der man sich der Erregung mit Genuss
hingeben kann, ohne dass dies für die Gesellschaft oder für einen persönlich gefährliche
Folgen hätte“. Die ständige Affektkontrolle und permanent ausgeübte Selbstdisziplin
des Individuums bleiben ein gesellschaftlicher Wunschtraum, und demnach ,,hat das
Stadion mit dem etwas zu tun, was im Gegensatz steht zu den positiven Utopien, die
sich die Gesellschaft von sich selbst macht“ (Bausenwein 1995: 163). Es ist
unausweichlich, dass die Leidenschaft zuweilen hervorbrechen muss, doch wenn dies
geschieht, dann doch halbwegs kontrolliert zu einer vorgegebenen Zeit und an einem
speziell dafür geschaffenen Ort. Das Stadion und der Stadionbesuch als Ort und Zeit des
Festes ermöglichen beide die Freigabe des sonst Verbotenen, denn sie bieten
,,Möglichkeiten zum Ausleben andernorts nicht mehr zugelassener Affekte [...]“ (Bette /
Schimank 1996: 63) und stellen ,,die Befriedigung ansonsten verbotener
Gefühlserregungen sicher“ (Bausenwein 1995: 462). Gleichzeitig wird eine
kontrollierende Funktion ausgeübt, da das Überschreiten der Verhaltensnormen
räumlich und zeitlich begrenzt ist und das Stadion sich nur unter der Akzeptanz dieser
Vorraussetzung für die Masse öffnet und ihr überlassen werden kann. Auf diesen Aspekt
weist Canetti (1980: 25) hin, der für die Masse in einer Arena feststellt: ,,Ihr
Beisammensein in großer Zahl ist für eine bestimmte Zeit gesichert, ihre Erregung ist
ihnen versprochen worden – aber unter einer ganz entscheidenden Bedingung: Die
Masse muss sich nach innen entladen“. Der zweideutige Raum des Stadions erlaubt die
Verbindung von Disziplin und Leidenschaft, denn er ,,stellt ein System von
,,Einräumungen“ in des Wortes doppelter Bedeutung von Eingrenzung und Konzession
bereit“ (Alkemeyer 1988: 10).
Die Stadien entstehen vermehrt historisch zu genau der Zeit, in der die Gesellschaft
beginnt, Merkmale und Werte wie Disziplin, Selbstdisziplin und Affektkontrolle
95
verstärkt auszubilden und in den Verhaltenskanon aufzunehmen. Sie werden
gewissermaßen ,,zur allgemeinen Formel“ (Foucault 1976: 269) und begünstigen die
Entwicklung zu ,,der Formierung der Disziplinargesellschaft“ (ebd.: 269), deren
Methoden und Einrichtungen ,,die Fabrikation des Disziplinarindividuums gestatten“
(ebd.: 396). König (1992: 15) bemerkt dazu, ,,dass die bürgerliche Gesellschaft implizit
stets ein Zivilisationsprojekt ist, also die Zähmung, Ausgrenzung und Dämpfung der
menschlichen Leidenschaften betreibt [...]“. Die Entwicklung hin zu der durch
Affektkontrolle und Disziplin geprägten Disziplinargesellschaft ist ein Prozess, der die
,,Kontrollen des Verhaltens der Menschen allumfassend“ (Elias / Dunning 2003: 125)
werden lässt und er bedeutet zugleich auch, dass ,,die Fähigkeit der Menschen, sich in
einer erregten Art und Weise in der Öffentlichkeit zu verhalten, stärker eingeschränkt
worden ist“ (ebd.: 121). Elias und Dunning (ebd.: 167) kommen deshalb zu der
Erkenntnis: ,,In Gesellschaften wie der unseren, die eine allseitige emotionale Disziplin
und Umsicht erfordern, ist der Spielraum für starke, offen zum Ausdruck gebrachte
angenehme Gefühle eng begrenzt“.
Das Ausleben der Leidenschaften aber wird nicht grundsätzlich verboten, sondern ist
von nun an lediglich an einen spezifischen Ort gebunden und sucht sich in den neuen
Massenformen eine von der Gesellschaft erlaubte Form, die ihr dieser Ort auf Grund
seiner Architektur anbietet: ,,Die menschlichen Wünsche und Bestrebungen werden in
den Prozessen ihrer Unterdrückung, Zähmung, Disziplinierung und Zivilisierung nicht
einfach abgeschafft, sondern nur in den Ausdrucksformen verändert, die ihnen von der
Gesellschaft angeboten und zugestanden werden“ (König 1992: 12). Bette und
Schimank (1996: 65) fügen hinzu: ,,Durch die gesellschaftlichen Strukturveränderungen
gewissermaßen ,,unzeitgemäß“ gewordene Bedürfnisse können in der Zuschauerrolle
ausgelebt werden“. Das Stadion ist demnach kein widersprüchlicher Raum und auch das
Individuum widerspricht im Ausleben der Leidenschaft nicht der sonst akzeptierten
Affektkontrolle, sondern zeigt dabei lediglich seine andere Seite: ,,Die Gefühlsorgie im
Stadion und das Sich – Austoben auf den Rängen sind somit [...] die notwendige
Gegenseite einer Alltags – Disziplinierung der Gefühle, die der Prozess der Zivilisation
am Menschen vollbracht hat“ (Bausenwein 1995: 462). Der Raum des Stadions und das
in ihnen anzutreffende Verhalten sind nicht widersprüchlich, sondern genau das
96
Gegenteil davon. Sie sind logische Konsequenzen der Disziplinargesellschaft, die sich
diesen spezifischen Raum zum Ausleben der Leidenschaft selbst schafft und innerhalb
dessen andere Verhaltensmaßstäbe gelten: ,,The stadium culture is not a counterculture;
it is not defined in opposition to the authoritative culture [...] but exists beyond this,
measured by other standards [...]“ (Nielsen 1995: 37). Demnach ist es durchaus
gerechtfertigt, das was im Stadion geschieht und gesucht wird, als die ,,Konsequenz und
Kehrseite von typischen neuzeitlichen Prozessen zu interpretieren, die zu einer
umfassenden Kontrollierung des inneren wie äußeren (Er-) Lebens geführt haben“
(Bausenwein 1995: 461). Gerade daraus zieht der Stadionbesuch seine Attraktivität,
denn in einer von Affektkontrolle und Disziplin dominierten Disziplinargesellschaft
kann er genau das Gegenteil bieten: ,,Menschen suchen in einem Stadion Anspannung:
Sie wollen sich erregen lassen, sie wollen einen Kitzel erleben, sie wollen verschüttete
Emotionen herauslassen“ (edb.: 461). Den Stadionbesuch haben ,,Soziologen wie
Norbert Elias und Eric Dunning als Regulativ zu einem in hohem Maß von
Affektkontrolle, Selbstbeherrschung und Selbstdisziplin gekennzeichneten Alltag
interpretiert“ (Bausenwein 1995: 462). Elias und Dunning (2003: 127) selbst
formulieren es wie folgt: ,,Hier wie andernorts ist die Suche nach Erregung [...] eine
Ergänzung zur Kontrolle und Unterdrückung offenkundiger Emotionalität in unserem
alltäglichen Leben“.
18. Fazit
Das Ziel dieser Arbeit war es zu erörtern, wie, bedingt durch raumsoziologische und
massenpsychologische Aspekte innerhalb von Stadionarchitekturen und beim
Stadionbesuch, auf die Disziplin und die Leidenschaft der Masse Einfluss genommen
werden kann.
Dabei sollte deutlich geworden sein, dass mit der architektonischen Organisation des
Stadions als panoptischer Disziplinarraum die Disziplinierung der Masse
beziehungsweise der Individuen nahezu perfektioniert worden ist. Die leichter zu
kontrollierenden ,neuen Massenformen’ sowie die geschlossene und stockende Masse
dienen als Beispiel dafür. Gleichzeitig aber können sie auch als genau das Gegenteil
97
dessen interpretiert werden: Als Beispiel für den letztlich doch unbändigen Charakter
der Masse und ihr stetiges Streben danach, sich einer endgültigen Disziplinierung zu
entziehen. Darüber hinaus hat die genauere Analyse des Verhaltens der Masse im
Stadion gezeigt, dass sie keineswegs das von Le Bon beschriebene Schreckenswesen ist.
Dies alles geschieht im Stadion, wodurch dessen zweideutiger Charakter unterstrichen
wird.
Das Stadion als Festplatz und der Stadionbesuch als Fest haben verdeutlicht, dass
bedingt durch diese Gleichsetzung ein ekstatisches Ausleben der Leidenschaft erlaubt
wird. Der festliche Charakter ermöglicht ein Gemeinschaftserlebnis, das der Masse als
Selbstvergewisserung dient. Die feierliche Inszenierung der Gemeinschaft der Masse
bleibt aber, wie erläutert wurde, eine illusorische Idee, die durch die Architektur des
Stadions unterstützt wird.
Die Darlegung der architektonischen Besonderheiten des Stadions hat verdeutlicht, dass
diese einen entscheidenden Anteil am intensiven Ausleben der Leidenschaft haben. Die
Verschränkung von Disziplin und Leidenschaft in der Wirkung der Stadionarchitektur
und beim Stadionbesuch hat gezeigt, dass das Stadion kein widersprüchlicher Raum ist,
sondern ein Raum, dem ein rationaler Zweck zu Grunde liegt: Das Ausleben der
Leidenschaft ist notwendig, soll aber räumlich und zeitlich begrenzt bleiben. Diesen
rationalen Zweck und den zweideutigen Charakter des Stadions, das zwischen einer
gefängnisartigen Disziplinaranlage im Sinne Foucaults, in der jeder auf seinen
zellenartigen Platz verwiesen ist, und einem exstatischen Festplatz bar jeder
Verhaltensnormen zu pendeln scheint, fasst Nielsen (1995: 23) in folgender Aussage
zusammen, die auch als treffendes Schlusswort für diese Arbeit dienen soll: ,,In other
words, it is imperative that, once the bodies have been allocated, a free - space does
exist, but one which is confined to the cell. In principle, one may behave as one wants –
as long as one is allocated and knows one’s place”.
98
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Ich bin damit einverstanden, dass die von mir angefertigte Hausarbeit mit dem Thema
,,Disziplin und Leidenschaften: Raumsoziologische und massenpsychologische Aspekte
von Stadionarchitekturen und –besuchen“ zur Einsicht durch andere Personen zur
Verfügung gestellt wird. Ich habe auch keine Bedenken, dass meine Hausarbeit
Interessenten ausgeliehen wird. Mit ist bekannt, dass eine Ausleihe erst 5 Jahre nach
Ablauf des Kalenderjahres möglich ist, in dem mir das endgültige Ergebnis der Prüfung
mitgeteilt worden ist.
Hiermit versichere ich, dass ich die Arbeit selbständig verfasst und keine anderen als
die angegebenen Hilfsmittel benutzt habe.
Oldenburg, den 20.11.2006 ______________________________
Hauke Meyer
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