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pramedia 8/03 Filmwirtschaft Seite 25

film20-Mittelstandsoffensive:

Filmproduktion ist heute einvagabundierendes GewerbeHöchste Zeit für neue Steuermodelle

Von Dr. Michael Paul, paul und collegen Consulting gmbh

Der vagabundierende Film

Schaut man sich die Preisträger der dies-jährigen Oscarverleihung an, so zeigt

h, dass Filmproduktion mittlerweileweltweit stattfindet: Der Film „Chicago"wurde hauptsächlich in Toronto, „Gangsof New York" primär in Rom, „TheHours" schwerpunktmäßig in London,„Herr der Ringe" vor allem in Neusee-land und nicht zuletzt der „Pianist" inBabelsberg und Warschau gedreht. Wiekommt es, dass sich internationale Film-produktionen mehr und mehr aus denHügeln in der Umgebung von LosAngeles zurückgezogen haben? Die Ant-wort ist ganz einfach: Geld ist knapp. Dadie Zuschauerzahlcn bzw. die Ver-wertungsmöglichkeiten von Filmen nichtin der gleichen Weise explodiert sind wiedie Kosten, gilt es, in der Finanzierungvon Filmprojekten auch die „letzte Eckeauszukratzen". Dadurch ist „Film-

roduktion" zu einem „vagabundierendenGewerbe" geworden. Soweit mehrereLocations grundsätzlich für ein Projektgeeignet sind entscheidet einzig und al-lein die Frage, wo man mit dem gering-sten Aufwand bzw. den größtmöglichenFörderchancen produzieren kann.

Wie machen es andere Länder?

Andere Länder haben diese Marktent-wicklung schon begriffen und neben dieFörderung eine weitere Säule der - vorallem volkswirtschaftlich motivierten -Unterstützung der Filmproduktion ge-stellt - Stcucrincentives:Großbritannien hat, beginnend 1997, fürden Ersterwcrbcr von Filmrechten dieMöglichkeit geschaffen, diese bis zu ei-nem Budget von 15 Millionen Pfund so-fort und bei Budgets über 15 Millionen,über 3 Jahre komplett abzuschreiben.

Michael Paul

Damit wurde es möglich, Sale-and-Leaseback-Geschäfte durchzufuhren. Dadabei der Barwert der Leasingraten imZweifel geringer ist als der Verkaufspreisden der Produzent von der Leasing-gesellschaft erhalten hat, erzielt er einenVorteil, der etwa 10 bis 15 Prozent seinesBudgets ausmacht. Internationale Groß-produktionen, die auf diese Weise ange-lockt wurden, sind heute die Stütze derbritischen Produktionswirtschaft.Das kleine Luxemburg verfügt traditio-nell über eine hervorragende technischeInfrastruktur, wie sich nicht nur bei Stu-dios, sondern gerade auch in BereichenPostproduction und Synchronisationzeigt. Um diesem Industriezweig einenzusätzlichen Impuls zu geben, führten dieVerantwortlichen des Großherzogtums1999 ein System von „Stcucrgutscheinen"ein. Luxemburg hat es dadurch immer-hin geschafft, sein Produktionsvolumenzu verfünffachen.Irland gehört zu den Shootingstars der

internationalen Filmproduktion. Einumfangreiches Fördcrsystcm hat dazugeführt, dass Irland zwischen 1994 und2001 Produktionen für insgesamt 1,3Milliarden Euro (!) beheimatet hat.Kanada beschritt in den Jahren 1990 bis2001 ebenfalls den Weg einer Entwick-lung der heimischen Filmindustrie überSteuerincentives. Der Erfolg ist beacht-lich: Zahlreiche US-Produktionen wan-derten nach Norden ab, was einzelne US-Bundesstaaten zum Aufbau gezielterFilmförderung veranlasste, um nicht dasganze Produktionsvolumen an Kanadierzu verlieren. Die Zahl der Arbeitsplätzein der Filmindustrie wurde von rund60.000 auf 134.400 innerhalb von 10 Jah-ren verdoppelt. Im Jahre 2001 nahm diekanadische Regierung dann einen Politik-Wechsel vor und ging von einem Modellgenereller Stcucrincentives auf ein Mo-dell über, bei dem ein Teil der in Kanadaverausgabten Lohnsumme gefördert wird.Bei kanadischen Produktionen sind dasetwa 25 Prozent, bei „Noncanadian Con-tent" immerhin noch 16 Prozent der anKanadier gezahlten Löhne. Die erstenErfahrungen mit dem System sind posi-tiv, auch im Jahre 2002 wurde eine wei-tere Beschäftigungsstcigcrung erzielt.

Was ist für Deutschland drin?

Damit die hiesige Produktionswirtschaftinternational wieder mithalten kann,muss es vor allen Dingen darum gehen,dass Deutschland bei den letzten 10 bis15 Prozent, die häufig das größte Problemin der Finanzierung von Filmprojektendarstellen, wieder wettbewerbsfähig wird.Überlegungen von film20 haben ergeben,dass für einen solchen 10 bis 15 Prozen-tigen Budgeteffekt zwei Möglichkeitenoffen stehen:Die Ermöglichung einer 100-prozentigen

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Abschreibung erworbener Filmrechtc imersten Jahr, die den Weg frei maehcnwürde für ein Salc-and-Leaseback nachbritischem Vorbild.Eine direkte Förderung der Film-produktion in Höhe von 30 Prozent derLohnsumme, die das kanadische Modellzum Vorbild hatte.Damit könnte in der modernen deutsehenInfrastruktur zu wettbewerbsfähigen Prei-sen produziert werden. Eine Verdoppe-lung des Produktionsniveaus in den näch-sten 5 bis 7 Jahren erscheint angesichtsder Erfahrungen in anderen Ländern ab-solut realistisch, Experten halten dieseSchätzung sogar noch für konservativ,„vagabundieren" doch etwa 150-200 Fil-me der interessanten Größenklasse über20 Mio. Euro Budget.Konkret bedeutete eine solche Verdopp-lung einen Anstieg von derzeit etwa 300Mio. Euro (das Gesamtbudget aller inDeutschland gedrehten Filme dürfte beietwa 390 Mio. liegen) auf 600 Mio. Euro.Die Zahl der direkt und indirekt Beschäf-tigten stiege von 44.000 auf rund 65.000,die Zeiten der Nichtbeschäftigung beiFilmschaffenden gingen zurück.300 Mio. Euro werden für Personal aus-gegeben, der Gesamtumsatz der deut-schen Filmwirtschaft unter Einbe/ichungaller angrenzenden Branchen wie Hotels,Autovermietungcn oder anderer Dienst-leister macht 2,4 Milliarden .Euro aus.

Was kostet das den deutschen Fiskus?

Kanadisches Modell:Unter der Annahme, dass alle jet/igenProduktionen den Anreiz eines Lohnzu-schusses nutzen (das heißt, dass auf der-zeit 152 Millionen Personalkosten ein30 %iger Zuschuss gewährt würde), er-gibt sich dafür ein jährlicher Aufwand von45,6 Millionen Euro. Wann rechnet sichdieses Investment?Es rechnet sich genau dann, wenn diesesVolumen der Steuermindercinnahmen beibisherigen Produktionen zumindest denzusätzlichen Steuereinnahmen durchneue Produktionen abzüglich dessen, wasvon den neuen Produktionen an Lohnzu-schüssen in Anspruch genommen wird,entspricht. Genau dann ist aus betriebs-wirtschaftlicher Sicht der „Brcak even"erreicht. In unserer Modellrechnung wirder - je nach weiterer Entwicklung derSteuersätze bei 50 - 70 Millionen Euroerreicht, dies entspricht zwei mittleren in-ternationalen Produktionen und erscheintinsofern nicht unrealistisch.

Britisches Modell:Würden alle deutschen Produktionen die-ses Modell nutzen, so ergäbe sich ein Steu-erausfall von 144 Millionen Euro. DieseRechnung ist allerdings in zweierlei Hin-sicht falsch:Zum einen muss bisher schon der Auf-wand für die Herstellung des Filmes vomProduzenten sofort abgeschrieben wer-den. Insofern ist der Betrag von 144 Mil-lionen zu hoch angesetzt, da er um diebisher schon genutzten Abschreibungen,die sich jetzt nur auf die Leasing-gesellschaft verlagern, bereinigt werdenmüsstc.Zum anderen bietet das Säle and Lease-baek-Verfahren durch die Bankgarantiefür die zu zahlenden Leasingraten einengarantierten Rückfluss. Damit ergibt sichfür die in der Regel etwa 15 Jahre derLaufzeit eines solchen Leasinggcschäftseine garantierte Einnahme des Leasing-gebers, der dann kein Aufwand aus die-sem Geschäft gegenübersteht. Dieser„Gewinn" wiederum führt zu Steuerein-nahmen in den jeweiligen Perioden derZahlung der Leasingraten. Insofern kannman den Steuerverschiebungseffckt miteiniger Sicherheit quantifizieren. Bei derAnnahme eines Zinssatzes von 3 Prozentist der Barwert der Steuereinnahmen inden folgenden Perioden 116 Mio.Euro.Das heißt, der „wahre Verlust" des Fis-kus beträgt lediglich 28 Millionen Euround entspricht dem, was an Zinsen auf-zuwenden ist, um die Verzögerung in derEinnahme der Steuern (vor) zu finanzie-ren. Da nur ein relativ geringer Betragvon 28 Millionen Euro zusätzlich an Steu-ern einzuspielen ist, um aus Sicht des Fi-nanzministers in der Gcsamtrechnung impositiven Bereich zu sein), arbeitet die-ses Modell von Anfang an sehr erfolg-reich: Es kompensieren die Einnahmendurch zusätzliche Filmproduktionen undden Zufluss von Investitionen aus demAusland die Mindereinnahmen über. Mitanderen Worten: Der Finanzminister ver-dient an der Filmwirtschaft. Und zwarnicht unerheblich, im Jahre 2010 rech-nen wir zum Beispiel mit einer Mchrcin-nahmc von 380 Millionen Euro für dasSteuersäckcl, die sich zusammensetzt ausdirekten Stcuermehreinnahmen durch diegestiegene Produkt ionsak t iv i t ä t inDeutschland und Steuereinnahmen durchden Rückfluss von Leasingraten abzüg-lich der Zinsaufwendungen für Steucr-verschiebungcn.Dieser Effekt wird nicht der einzige blei-ben. Die gestiegene Beschäftigung indu-

ziert zusätzliche Sozialbeiträge. Alleinedie zusätzl ichen Beiträge der Neu-beschäftigten addieren sich im Jahre 2010auf etwa 30 Millionen Euro. Dabei istnoch nicht berücksichtigt, dass natürlichauch die kontinuierlichere Beschäftigungder bisherigeren Filmschaffenden auchzusätzliche Sozialbciträgc bringen wird.Ebenfalls profitieren werden die öffentli-chen Kassen von den geringeren Ausga-ben der Sozialkasscn: Etwa 330 Millio-nen Euro pro Jahr werden die Sozialkassen2010 nicht mehr auszahlen müssen, wennes wie prognostiziert gelingt, etwa 50 Pro-zent mehr Personen in der Filmwirtschaftzu beschäftigen. Addiert man alle drei Ef-fekte, Stcuermehrein- nähme, Mehrcin-nahmc bei den Sozialkassen, geringereAusgaben bei den Sozialkassen, so ergibtsich insgesamt für die öffentlichen Kas-sen ein positiver Effekt von 750 Millio1'Euro im Jahr 2010. Der Break Even desSale-and-Leaseback-Modells liegt übri-gens bei etwa 50 Mio. Euro an zusätzli-chen Produktionen in Deutschland. Auchdas entspricht gerade einmal zwei zusätz-lichen mittleren Produktionen.

5. Fazit

Tut man in Deutschland nichts, wird manweiter an Wettbewerbsfähigkeit verlieren.Sogar Beitritts- und Kandidatcnländerwie Litauen oder Rumänien sind momen-tan aktiver in der Verbesserung der staat-lichen Rahmenbedingungen.Führt man das Modell der direkten För-derung ein, muss man zunächst klären,welchen Etat man für diese Lohnzu-schüssc zur Verfügung stellen möchte. Esollte über die Jahre llexibel sein, um demzu erwartenden Wachstum gerecht zuwerden. Dieses Modell wird viele Mit-nahmeeffekte bei Produktionen erzeugen,die sowieso in Deutschland gedreht wer-den und insofern auch eine zusätzlicheFörderung für alle deutschen Produzen-ten sein.Das Sale-and-Lcascback-Modell ist we-sentlich flexibler. Es bietet wegen derLeasingraten garantierte Rückflüsse fürden Fiskus. Wegen der höheren Rechts-s icherhei t wäre eine Invest i t ion inLeasingfonds eine echte Alternative fürAnleger, die bisher in Mcdienfonds ein-gezahlt haben. Damit würden diese Gel-der endlich nach Deutschland umge-lenkt. Wegen der Komplexität der Kon-struktion würden tendenzicll vor alleminternationale Produktionen profitieren.Es ist „High Noon"! ! !


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