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Gleichgewicht und Kinetik

der Protonierung von Polyelektrolyten

Theorie, Experimente und Simulationen

Dissertation

vorgelegt von

Jorg Kleimann

Bielefeld, Juli 2002

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Fur meine Eltern.

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Danksagung

Die vorliegende Arbeit entstand in der Zeit von Oktober 1997 bis Juli 2002 unterder Betreuung von Herrn Prof. Dr. Wilhelm Knoche an der Fakultat fur Chemieder Universitat Bielefeld.

Meinem akademischen Lehrer, Herrn Prof. Dr. Wilhelm Knoche, danke ich dafur,daß er mir wahrend der gesamten Promotionszeit bei allen wissenschaftlichen undberuflichen Problemen hilfreich zur Seite stand. Besonders hervorheben mochteich sein großes Interesse an den Fragestellungen meiner Arbeit. Ihm habe ich esauch zu verdanken, daß ich in der universitaren Lehre viele Aufgaben uberneh-men konnte, die meine Promotionszeit bereichert haben.

Allen Mitgliedern der Arbeitsgruppe Physikalische Chemie II, auch den ehema-ligen, danke ich fur das freundschaftliche Miteinander und die gute Zusammen-arbeit. Hier mochte ich auf die tatkraftige Unterstutzung von Herrn Dipl. Chem.Andre Altheide, Herrn Ronald Agius, M.Sc., Frau Dipl. Chem. Britta Engel,Herrn Olaf Goke und insbesondere Herrn Dipl. Chem. Stefan Meyer hinweisen.

Danken mochte ich auch Herrn Prof. Michal Borkovec, Ph.D., fur seine Unter-stutzung bei Berechnungen zur Statistischen Mechanik. Der Aufenthalt in seinerGruppe an der Clarkson University, Potsdam, N.Y., war fur mich ein großer Ge-winn.

Herr Dr. Andreas Pohlmeier, Forschungszentrum Julich, stellte mir freundlicher-weise hochwertige Polymerproben zur Verfugung. Ihm verdanke ich auch hilfrei-che Diskussionen.

Herrn Dr. Carl-Roland Rabl bin ich dankbar dafur, daß er mir aus seinem reichenErfahrungsschatz viele Hinweise zur optimalen Durchfuhrung von Temperatur-sprung-Experimenten gab.

Der Studienstiftung des deutschen Volkes und dem Land Nordrhein-Westfalenbin ich fur die Forderung dieser Arbeit durch ein Promotionsstipendium und einGraduiertenstipendium zu Dank verpflichtet.

An dieser Stelle mochte ich auch meinem Bruder Thorsten und meinen Elterndanken, auf deren Unterstutzung ich mich immer verlassen kann.

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Inhaltsverzeichnis

1 Polyelektrolyte 11.1 Naturliche und synthetische Polyelektrolyte . . . . . . . . . . . . 1

1.1.1 Naturlich vorkommende Polyelektrolyte . . . . . . . . . . . 11.1.2 Synthetisch hergestellte Polyelektrolyte . . . . . . . . . . . 5

1.2”Kleine“ Ionen und Polyionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8

2 Experimenteller Teil 122.1 Substanzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12

2.1.1 Polymere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122.1.2 Indikatoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162.1.3 Weitere Substanzen und Losungen . . . . . . . . . . . . . 16

2.2 Methoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182.2.1 Potentiometrische Titrationen . . . . . . . . . . . . . . . . 182.2.2 Weitere potentiometrische Messungen . . . . . . . . . . . . 202.2.3 UV-VIS-Spektroskopie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232.2.4 Temperatursprung-Experimente . . . . . . . . . . . . . . . 24

2.3 Datenverarbeitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29

3 Thermodynamik der Protonierung 303.1 Formale Beschreibung: Spezies und Gruppen . . . . . . . . . . . . 30

3.1.1 Makrospezies und Makrokonstanten . . . . . . . . . . . . . 303.1.2 Bindungsisothermen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333.1.3 Verteilungsfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 433.1.4 Reaktionsquotienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 493.1.5 Intrinsische Konstanten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53

3.2 Ergebnisse potentiometrischer Titrationen . . . . . . . . . . . . . 553.2.1 Bindungsisothermen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 553.2.2 Dissoziationsquotienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68

3.3 Protonierungsgleichgewichte von Indikatoren . . . . . . . . . . . . 823.3.1 Protonierungsgleichgewichte . . . . . . . . . . . . . . . . . 823.3.2 Absorptionsspektren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83

4 Statistik der Protonierung 874.1 Grundlagen fur Simulationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87

4.1.1 Protonierungszustande und Konformationen . . . . . . . . 874.1.2 Semigroßkanonische Zustandssumme . . . . . . . . . . . . 894.1.3 Parametrisierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 964.1.4 Variablentransformationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 984.1.5 Ubergange zwischen Protonierungszustanden . . . . . . . . 99

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4.2”Kleine“ Ionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104

4.2.1 Ionen mit nur einer Gruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . 1044.2.2 Ionen mit zwei Gruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1044.2.3 Ionen mit mehr als zwei Gruppen . . . . . . . . . . . . . . 108

4.3 Kettenformige Polyionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1104.3.1 Transfermatrizen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1104.3.2 Modelle ohne Wechselwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . 1134.3.3 Wechselwirkung zwischen binding sites . . . . . . . . . . . 1144.3.4 Wechselwirkung zwischen hydrophoben Gruppen . . . . . . 123

5 Temperaturabhangigkeiten 1315.1 Proben, Detektion und Messungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 1315.2 Amplitudenauswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133

5.2.1 Temperaturabhangigkeit der Absorption . . . . . . . . . . 1335.2.2 Temperaturabhangigkeit der Gleichgewichtskonzentrationen 133

5.3 Experimentelle Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1455.3.1 Indikator . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1455.3.2 Polyelektrolyte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149

6 Temperatursprung-Experimente 1596.1 Die zeitliche Anderung der Absorption . . . . . . . . . . . . . . . 1596.2 Die

”sehr schnellen“ Anderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163

6.2.1 Temperatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1636.2.2 Elektrisches Feld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1646.2.3 Druck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1646.2.4 Volumen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1656.2.5 Die Anderung des Absorptionskoeffizienten . . . . . . . . . 165

6.3 Die Chemische Relaxation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1676.3.1 Prinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1676.3.2 Aussagen der linearen irreversiblen Thermodynamik . . . . 1676.3.3 Zeitabhangigkeit der Indikatorkonzentration . . . . . . . . 173

6.4 Die Form der Signale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176

7 Kinetik der Protonierung 1797.1 Elementarreaktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1827.2 Spezialfall: Zwei Makrospezies . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185

7.2.1 Reaktionsgeschwindigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1857.2.2 Anzahl Relaxationseffekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1867.2.3 Relaxationszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1897.2.4 Grenzfall hoher Konzentration an Gruppen . . . . . . . . . 191

7.3 Diskussion von Gruppen L und LH . . . . . . . . . . . . . . . . . 1957.4 Mikroskopische Geschwindigkeitskonstanten . . . . . . . . . . . . 198

7.4.1 Mikrospezies . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198

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7.4.2 Protonenubertragungsreaktion . . . . . . . . . . . . . . . . 1997.5 Spezialfall: Protonenubertragungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 207

7.5.1 Reaktionsgeschwindigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2077.5.2 Anzahl Relaxationseffekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2097.5.3 Gemittelte Geschwindigkeitskonstanten . . . . . . . . . . . 210

7.6 Losung des kompletten Reaktionsschemas . . . . . . . . . . . . . 2127.6.1 Geschwindigkeitsgesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2127.6.2 Bodenstein-Naherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2137.6.3 Reziproke Relaxationszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215

7.7 Experimentelle Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2217.7.1 Linearer Bereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2217.7.2 Nichtlinearer Bereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226

8 Zusammenfassung 2318.1 Ausgangssituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231

8.1.1 Gleichgewicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2318.1.2 Kinetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231

8.2 Ziele dieser Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2328.3 Methoden und Messungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2328.4 Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233

8.4.1 Gleichgewicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2338.4.2 Kinetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235

8.5 Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235

A Theoretische Titrationskurven 236A.1 Parameter der Titration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236

A.1.1 Losungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236A.1.2 Puffersubstanzen und Gleichgewichtskonstanten . . . . . . 238A.1.3 Titrationskurve . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241

A.2 Programmablauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242

B Bindungsisothermen aus Titrationskurven 245B.1 Bindungsisotherme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245B.2 Fehlerbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246

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Kapitel 1

Polyelektrolyte

Polyelektrolyte [41], [98] sind Makromolekule, die uber eine Vielzahl ionisierbarerGruppen verfugen. Diese Gruppen konnen Saurefunktionen sein (gebundene Pro-tonen) oder als deprotonierte Gruppen (ungeladen oder negativ geladen und imReinstoff mit zum Beispiel Alkaliionen abgesattigt) vorliegen. In waßriger Losungsind Polyelektrolyte in polyvalente Ionen, den Polyionen1, die eine große Anzahlgeladener Gruppen tragen, und in eine entsprechend große Zahl

”kleiner“ Ionen

wie Protonen und zum Beispiel Alkaliionen dissoziiert, die als Gegenionen das Po-lyion umgeben. Polyelektrolyte kombinieren die Eigenschaften von Elektrolytenmit denen der Polymere. Entsprechend groß ist ihre Bedeutung bei Prozessen so-wohl in der Natur als auch in der industriellen Produktion (Abschnitt 1.1). Ausdem Blickwinkel der physikalischen Chemie ist insbesondere der Vergleich vonPolyelektrolytlosungen mit anderen waßrigen Losungen interessant, die die Ionenvon Oligosauren und -basen enthalten. So ist zu diskutieren, welche physikalisch-chemischen Eigenschaften Losungen von Polyionen zeigen, die in Losungen voneinfacheren Sauren und Basen nicht auftreten (Abschnitt 1.2).

1.1 Naturliche und synthetische Polyelektrolyte

Polyelektrolyte kommen in der Umwelt und in belebten Systemen vor, wo sieals multifunktionale Bindungspartner oder strukturbestimmende Elemente auf-treten. Auch in der industriellen Produktion und in der Umwelttechnik spielenPolyelektrolyte eine große Rolle.

1.1.1 Naturlich vorkommende Polyelektrolyte

Bodenkomponenten Tonminerale [95] und Huminsauren [60], [83] sind Pro-totypen amorpher und organischer Bodeninhaltsstoffe, die in waßrigen Systemengelost oder suspendiert werden und durch Bindung von Metallionen und Protonendie Bodenchemie bestimmen.Tone sind als unverfestigte Sedimentgesteine Bestandteile aller Boden. Sie be-stehen im wesentlichen aus Mineralpartikeln mit Durchmessern unter 20 µm,

1Typische Polyionen tragen an jeder monomeren Einheit Elektrolyt-Funktionalitaten. UnterMakroionen werden oft Makromolekule verstanden, die nur eine oder wenige Ladungen tra-gen. Treten ionische Gruppen seltener in Polymerketten auf, so daß beispielsweise nicht jedeWiederholungseinheit eine ionische Ladung tragt, spricht man von Ionomeren.

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KAPITEL 1. POLYELEKTROLYTE 2

wobei die blattchenformigen silikatischen Tonminerale vorherrschen. Diese Po-lyelektrolyte rufen die typischen Eigenschaften der Tone hervor, wie Wasserbin-devermogen, Quellung und hohe Absorptionskapazitat, die auch im Hinblick aufden Verbleib von Schadstoffen im Boden von Bedeutung sind. Die Bausteine dersilikatischen Tonminerale sind SiO4-Tetraeder und Metall-Sauerstoff-Oktaeder.Die Tetraeder sind uber gemeinsame Sauerstoffatome zu Schichten verknupft, sodaß ein Netzwerk aus Sechsringen entsteht. Diese Tetraederschicht ist an eineOktaederschicht ankondensiert, in der uber kantenverknupfte Oktaeder auch dieSauerstoffatome der Tetraederschicht enthalten sind. Alle weiteren Sauerstoffato-me in dieser Schicht, die nicht auch der Tetraederschicht angehoren, sind durchProtonen abgesattigt. Bei den Tonmineralen handelt es sich also um oxidischeSchichten, die Protonen binden und als Polyelektrolyte mit planarer Symmetriebeschrieben werden konnen.Huminsauren spielen wegen ihrer Menge und Reaktivitat eine herausragende Rol-le in der Bodenchemie. Sie entstehen durch mikrobielle Veranderungen der be-lebten Phase des Bodens. Als protonierbare funktionelle Gruppen enthalten sieCarboxygruppen, phenolische Hydroxygruppen, Aminogruppen und heterocycli-sche Stickstoffgruppen. Eine chemische Struktur kann nicht angegeben werden;es handelt sich um uneinheitliche Naturstoffe, die je nach geographischer Lage inunterschiedlicher Zusammensetzung gefunden werden. Die Huminsauren sind Po-lyelektrolyte, die sich durch hohe chemische Heterogenitat der reaktiven Gruppenauszeichnen.

Nucleinsauren Die derzeit prominentesten Polyelektrolyte sind die Nuclein-sauren. Als DNA enthalten sie Desoxy-D-Ribose- und als RNA D-Ribose-Bau-steine, die die Nucleobasen Adenin, Guanin, Cytosin und Thymin (DNA) oderUracil (RNA) tragen und uber Phosphatgruppen verknupft den Polynucleotid-strang bilden (Abbildung 1.1). Der Polyelektrolytcharakter wird im wesentlichendurch die Phosphodiester-Brucken bestimmt. Die DNA besteht aus zwei Poly-nucleotidstrangen, die uber Wasserstoffbruckenbindungen zwischen den Basenzusammengehalten werden und die die Zucker-Phosphat-Ruckgrate nach außenkehren. Ohne den polymeren Charakter der Nucleinsauren ware eine Speicherungvon Information auf chemischem Wege nicht moglich, ohne den Polyelektrolytcha-rakter waren die Makromolekule nicht in Wasser loslich. Der Protonierungsgradder DNA beeinflußt die Nettoladung des Doppelstranges und somit die Tem-peratur des Schmelzens der DNA (Trennung der Doppelhelix in Einzelstrange).Insbesondere der DNA-Doppelstrang, aber auch die in der Regel als einzelne Po-lyelektrolytketten auftretende RNA, werden in der Polyelektrolytforschung oftals stabchenformige Molekule mit Zylindersymmetrie beschrieben.

Zuckerpolyelektrolyte Wahrend in Pflanzen die Stoffgruppe der Pektine mitCarboxygruppen als ionisierbare Gruppen fur die Struktur von Zellen eine große

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KAPITEL 1. POLYELEKTROLYTE 3

Abbildung 1.1: NucleinsaurenDie Nucleinsauren DNA und RNA bestehen aus uber protonierbare Phosphordiester-brucken verknupfte Einheiten von Desoxy-D-Ribose (R=H) und D-Ribose (R=OH), andie die Nucleobasen gebunden sind.

Rolle spielt, kommen im menschlichen und tierischen Bindegewebe Zuckerpoly-elektrolyte (Abbildung 1.2) vor, die als Polysulfate vorliegen.Pektine [128] sind hochmolekulare Pflanzeninhaltsstoffe, die in Fruchten, Wurzelnund Blattern vorkommen. Sie bestehen im wesentlichen aus Ketten von 1,4-α-glycosidisch verbundenen Galacturonsaure-Einheiten, deren Sauregruppen parti-ell mit Methanol verestert vorliegen. Diese Polyelektrolyte kommen hauptsachlichim Zellsaft gelost, als Calciumpektat in den Zellwanden und als mit Calcium-,Magnesium- und Phosphationen vernetztes Protopektin in der primaren Zell-membran vor. Pektine ubernehmen in der Natur die Funktion von Gerust- undKittsubstanzen, die den Zusammenhalt der Zellen im Gewebeverband gewahrlei-sten. In der industriellen Anwendung macht man sich die Eigenschaft der Pektinezu Nutze, Gele zu bilden. Bei niedrig veresterten Pektinen wird die Gelbildung beiAnwesenheit von Calciumionen erreicht. Hochveresterte Pektine liefern in saurerLosung nach Zugabe von Zucker klare, feste Gelees. So finden Pektine als Gelier-pulver, Verdickungsmittel und Schutzkolloide in der Lebensmittel-, Pharma- und

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KAPITEL 1. POLYELEKTROLYTE 4

Abbildung 1.2: Zuckerpolyelektrolyte(a) Pektin und (b) Heparin gehoren zu der Gruppe der Zuckerpolyelektrolyte undtragen als ionisierbare Gruppen Carboxyfunktionen und Sulfatgruppen.

Kosmetikindustrie Verwendung.Proteoglykane [129] bilden die Grundsubstanz des Bindegewebes, die enthaltenenPolyanionen binden Wasser und Kationen und bilden so das extrazellulare Medi-um. Diese Polyelektrolyte bestimmen die viskoelastischen Eigenschaften von Ge-lenkknorpel und Knochen und anderen Strukturen, die mechanischer Belastungausgesetzt sind. Die Glycosaminoglycane bestehen aus sich wiederholenden Di-saccharideinheiten, die Carboxygruppen und Sulfatgruppen tragen. Als wichtigeVertreter dieser Stoffgruppe sind Hyaluronsaure, Chondroitinsulfat, Keratansul-fat, Heparansulfat und Heparin zu nennen. Heparansulfat entspricht dem Hepa-rin, enthalt aber weniger an Stickstoff und Sauerstoff gebundene Sulfatgruppenund mehr N-Acetylgruppen.

Proteine In Proteinen [117] sind Aminosauren uber Peptidbindungen zu Poly-merketten verknupft. Als protonierbare und deprotonierbare Gruppen sind nichtnur die terminalen Carboxy- (C-Terminus) und Aminogruppen (N-Terminus) zuberucksichtigen. Auch die Seitenketten mancher naturlicher Aminosauren (wieLysin, Arginin, Histidin, Asparaginsaure und Glutaminsaure) enthalten als saureoder basische Gruppen Carboxy- und Aminogruppen, die den Polyelektrolytcha-rakter der Proteine ausmachen. Die Berechnung des isoelektrischen Punktes pIauf der Grundlage der Aminosauresequenz wird bereits seit einigen Jahren als In-ternetservice (ExPASy Molecular Biology Server) angeboten. Die angewendetenModelle [96], [124] berucksichtigen bislang weder den Einfluß von Wechselwirkun-gen zwischen funktionellen Gruppen noch den unterschiedlicher Konformationen

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KAPITEL 1. POLYELEKTROLYTE 5

auf die Protonierung. Der Protonierungszustand ist fur die Sekundar- und Ter-tiarstruktur der Proteine von Bedeutung. Viele Proteine konnen nur in einemgewissen pH-Fenster ihre Funktion erfullen und bußen unter anderen Bedingun-gen ihre Aktivitat ein (Denaturierung).

1.1.2 Synthetisch hergestellte Polyelektrolyte

Abbildung 1.3 gibt einen Uberblick uber einige in Industrie und Technik ge-brauchliche Polyelektrolyte, die im folgenden beschrieben werden.

Polyphosphate Die kettenformigen Polyphosphate werden in Wasch- und Rei-nigungsmitteln eingesetzt (sogenannte Builder). Als Ammoniumpolyphospha-te dienen sie als Dungemittel. Durch ihren Polyelektrolytcharakter eignen sichPolyphosphate als Ionenaustauscher. Natrium- und Kaliumpolyphosphate fin-den in der Lebensmittelindustrie Verwendung und Calciumpolyphosphate in derTrinkwasseraufbereitung. Sie verhindern, daß hoherwertige Ionen wie Calcium-,Magnesium-, Zink- und Eisenionen in Anwesenheit von Anionen, die mit ihnenschwerlosliche Salze bilden, ausfallen. Diese Eigenschaft der kettenformigen Po-lyphosphate zeigt sich bereits bei Konzentrationen, die weit unter der stochiome-trischen Komplexierung liegen (threshold effect).

Polycarboxylate Poly(acrylsauren) sind Polycarboxylate mit sehr einfacherkettenformiger Struktur. Durch Copolymerisation mit bi- und polyfunktionalenMonomeren oder durch partielle Vernetzung mit mehrwertigen Ionen konnen ver-netzte Polyelektrolyte synthetisiert werden, die als Verdickungsmittel und soge-nannte super slurper (hohe Wasserabsorptionskapazitat) eingesetzt werden. We-gen der hohen Viskositat von waßrigen Poly(acrylsaure)-Losungen finden sie auchin Latices und in Kosmetika Verwendung. Andere Poly(carbonsauren) wie die Po-ly(methacrylsaure) und Sokalan (ein Copolymer aus Acrylsaure und Maleinsaure)werden als Waschmittelzusatzstoffe [86] und zur Wasseraufbereitung eingesetzt.Dabei macht man sich die Eigenschaft dieser Polymere zu Nutze, Calciumionenund andere Kationen zu komplexieren. Die Polyelektrolyte finden außerdem alsFlockungsmittel, Dispergierhilfsmittel und Bindemittel in der Technik und in derUmweltchemie [115] breite Anwendung. Als Flockungsmittel und Filterhilfsmittelbinden Poly(carboxylate) mehrwertige Ionen (wie zum Beispiel Al3+ und Fe3+),wobei wasserunlosliche Komplexe entstehen, die ausfallen und sich zudem gutabfiltrieren lassen. Flockungsmittel finden beim Klaren von Flussigkeiten, Ein-dicken und Entwassern von Schlamm und bei der Gewinnung von Kaolin undErzen durch Flotation Verwendung.

Polyamine Im Gegensatz zu den Polycarboxylaten enthalten Polyamine ba-sische Gruppen. Man kann grob zwischen Polymeren unterscheiden, bei denen

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KAPITEL 1. POLYELEKTROLYTE 6

Stickstoffatome Verknupfungspunkte in der Polymerkette sind, und anderen, diestickstoffhaltige Gruppen als seitenstandige Substituenten tragen. Wichtige Ver-treter der Polyamine sind Poly(vinylimin), Poly(vinylamin) und Poly(vinylpyri-din). Polyamine konnen als Polybasen mit Polysauren unlosliche Komplexe bil-den (Polyelektrolyttitration), in denen die Stochiometrie streng gewahrt wird.In der Galvanotechnik finden polyquarternare Ammoniumverbindungen [67] Ver-wendung, wo sie ein gleichmaßiges Abscheiden von Metall auf den Werkstuckengewahrleisten. An Ecken und Kanten, an denen infolge hoher Stromdichten bevor-zugt Metall abgeschieden wurde, werden diese kationischen Polyelektrolyte ver-mehrt gebunden und hemmen so die Abscheidung von Metall. Vernetzte Styrol-Divinylbenzol-Copolymere mit Aminofunktionen als Seitenketten dienen als An-ionenaustauscher. Poly(aminocarbonsauren) enthalten sowohl Amino- als auchCarboxygruppen und sind daher Polyampholyte.

Weitere Substanzklassen Neben den bereits erwahnten Polyelektrolyten ha-ben organische Polymere mit Schwefel- und Phosphorfunktionen wie die Po-ly(vinylsulfonsaure), Poly(vinylschwefelsaure) und Poly(vinylphosphonsaure) ge-wisse industrielle Bedeutung. Poly(vinylsulfonsauren) werden als anionische Po-lyelektrolyte haufig in Copolymere integriert, um eine verbesserte Dispergier-barkeit von Formulierungen zu erreichen. Als Ionenaustauscherharze kommenvernetzte Styrol-Divinyl-Copolymere zum Einsatz, die durch Behandlung mitSchwefeltrioxid zu stark sauren Kationenaustauschern umgesetzt werden. Poly-amide oder -peptide mit identischen Monomereinheiten, wie zum Beispiel Po-ly(asparaginsaure), konnen als Komplexbildner fungieren und werden wie diePolycarboxylate mit Erfolg in Waschmitteln gegen Grauschleier eingesetzt (Kom-plexierung von Calciumionen).

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KAPITEL 1. POLYELEKTROLYTE 7

Abbildung 1.3: Synthetische Polyelektrolyte(a) Poly(acrylsaure), (b) Poly(methacrylsaure), (c) Sokalan, (d) Poly(vinylamin), (e)Poly(vinylimin), (f) Poly(4-vinylpyridin), (g) quaternisiertes Poly(4-vinylpyridin), (h)polyquatarnare Ammoniumverbindung, (i) Poly(α-aminoacrylsaure), (j) Poly(vinyl-amino-co-acrylsaure), (k) Poly(asparaginsaure), (l) catena-Polyphosphat, (m) Poly(vi-nylphosphonsaure), (n) Poly(vinylsulfonsaure), (o) Poly(vinylschwefelsaure).

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KAPITEL 1. POLYELEKTROLYTE 8

1.2”Kleine“ Ionen und Polyionen

Unabhangig von ihrer Bedeutung in Natur, Umwelt und Technik sind Polyionenhinsichtlich der Theorie der schwachen Elektrolyte interessant.Die Elektrochemie

”kleiner“ Ionen, wie zum Beispiel Alkaliionen, Halogenidionen

oder auch Anionen und Kationen niedermolekularer organischer Sauren und Ba-sen ist durch ihre (annahernd) spharische Symmetrie und geringe Ausdehnung(Punktladungen) bestimmt und gut bekannt [22]. Die chemischen Gleichgewichteder Protonierung solcher schwachen Sauren und Basen und der Metallkomplexie-rung mit diesen Liganden sind gut verstanden [77], [79]. In vielen Fallen ist auchdie chemische Kinetik solcher Reaktionen untersucht worden [30], [32], [33], [38],[131].Polyelektrolyte unterscheiden sich in ihrem Reaktionsverhalten in vielfacher Hin-sicht von kleinen Ionen. Zur Beschreibung ihrer elektrochemischen Eigenschaftenist die Annahme von Punktladungen im allgemeinen eine schlechte Naherung.Vielmehr konnen ausgedehnte Kugeln, Zylinder oder Ellipsoide als Modelle furdie Erklarung experimentell beobachteter Polyelektrolyteigenschaften herangezo-gen werden [97]. Ihre ausgedehnte Struktur und die große Anzahl funktionellerGruppen befahigen Polyionen zur Komplexierung auch von solchen Ionen oderMolekulen, die von chemisch verwandten kleinen Ionen nicht komplexiert wer-den konnen. Die oft hohe elektrische Ladung der Polyionen beeinflußt auch dieAktivitat der Gegenionen. Die Bindung von Ionen, die in Losungen einfacherSauren und Basen als inert betrachtet werden konnen, wird bei Polyelektrolytenzu einem wichtigen Phanomen (Gegenionenkondensation [58], [59]). Polyionenzeichnen sich im Vergleich zu kleinen Ionen durch andere Symmetrieeigenschaf-ten, hohere maximale Ladung und zusatzlich durch die Bedeutung von Strukturund Strukturanderungen aus. Die mittlere Konformation von Polyionen kannvom Grad ihrer Protonierung (oder allgemein von der Belegung mit Bindungs-partnern) abhangen, so daß chemische Gleichgewichte und Strukturanderungengekoppelt sind.

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KAPITEL 1. POLYELEKTROLYTE 9

Abbildung 1.4: Einfache Sauren und BasenEinige fur Messungen oder Diskussionen in dieser Arbeit wichtige Sauren und Basenmit wenigen ionisierbaren Gruppen finden sich auch als Struktureinheiten in syntheti-schen Polyelektrolyten wieder. (a) Ameisensaure, (b) Essigsaure, (c) Malonsaure, (d)Maleinsaure, (e) Tricarballylsaure, (f) Zitronensaure, (g) Ditartronsaure, (h) Imidazol,(i) Tris(hydroxymethyl)-aminomethan, (j) Lysin, (k) Acrylsaure, (l) Methacrylsaure.

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KAPITEL 1. POLYELEKTROLYTE 10

So zeigen Polyionen in vielerlei Hinsicht ein anderes, oft interessanteres chemi-sches Verhalten als die Ionen einfacher Elektrolyte (die fur die Messungen oderDiskussionen im Rahmen dieser Arbeit wichtigen Molekule sind in Abbildung 1.4zusammengestellt). In diesem Zusammenhang ist die Frage von Interesse, wie sichdie Eigenschaften einer Losung andern, wenn ausgehend von vielen kleinen Io-nen, die jeweils wenige ionisierbare Gruppen tragen, zu Losungen von Polyionenubergegangen wird, von denen jedes einzelne Ion eine große Anzahl ionisierba-rer Gruppen in die Losung einbringt, die Anzahl Polyionen aber entsprechendgeringer ist (Abbildung 1.5).

Abbildung 1.5: ModellvorstellungEine interessante Fragestellung in der Polyelektrolytforschung ist die, wie sich das Ver-halten von Losungen schwacher Elektrolyte entwickelt, wenn ausgehend von Monome-ren, die nur eine ionisierbare Gruppe tragen, uber oligomeren Einheiten zu Polyelek-trolyten ubergegangen wird.

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KAPITEL 1. POLYELEKTROLYTE 11

In dieser Arbeit wird die Protonierung von Poly(methacrylsauren) unterschiedli-cher molarer Massen untersucht, um den Einfluß der Kettenlange auf die Thermo-dynamik und Kinetik der Protonierung aufzuzeigen. Protonierungsgleichgewichtewerden potentiometrisch bestimmt, und die Kinetik der Reaktionen wird mit derTemperatursprung-Technik untersucht.Ausgehend von der Beschreibung der Protonierung kleiner Ionen wird das Ver-halten der Polyionen mit Hilfe der Thermodynamik, der statistischen Mechanikund der chemischen Kinetik beschrieben.

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Kapitel 2

Experimenteller Teil

2.1 Substanzen

2.1.1 Polymere

Poly(methacrylsauren) sind kettenformige Polyelektrolyte, die aus identischenMonomereinheiten aufgebaut sind und als acide Gruppen Carboxygruppen tra-gen (Abbildung 2.1). Die Monomereinheiten sind ataktisch zu Polymerkettenverknupft.

Abbildung 2.1: MonomereinheitenIm Falle vollstandig protonierter Polymerketten tragen die Monomereinheiten der Po-ly(methacrylsaure) (a) jeweils genau eine Carboxygruppe, die deprotoniert werdenkann. Salzartige Poly(methacrylsauren) enthalten auch Carboxylatgruppen, die durchNatriumionen abgesattigt sind (b).

Poly(methacrylsauren) unterschiedlicher Kettenlange werden als vollstandig pro-tonierte Polymere (H-PMA) oder als partielle Natriumsalze (S-PMA) bezogen.1

Tabelle 2.1 gibt einen Uberblick uber die molaren Massen der untersuchten Po-lymere. Die Verteilung der molaren Massen, das Massenmittel Mw, das Zah-lenmittel Mn, die haufigste molare Masse (Peak) Mp und die PolydispersitatD = Mw/Mn werden vom Hersteller durch Gelexclusionschromatographie ermit-telt.Je nach molarer Masse der Polymere handelt es sich um weiße Pulver oder farb-lose, glasige Feststoffe.

1Polymer Standards Service GmbH, Mainz

12

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KAPITEL 2. EXPERIMENTELLER TEIL 13

Bezeichnung Charge Mp/g

molMw/ g

molMn/

gmol

D N

H-PMA-303 tbg12066-v o. A. 373 303 1, 22 3 − 4S-PMA-1100 tbg21056n-v 1250 1270 1100 1, 15 10H-PMA-1210 tbg17037-v 1330 1360 1210 1, 11 14H-PMA-2150 tbg26109-v 2530 2515 2150 1, 17 25H-PMA-5760 tbg2049-v 6250 6180 5760 1, 07 70H-PMA-11300 tbg1049-v 12300 12100 11300 1, 07 130S-PMA-63300 tb6107-v 65200 64800 63300 1, 02 650H-PMA-58900 tb3049-v 64300 61800 58900 1, 05 680

Tabelle 2.1: PolymercharakteristikaDurch Gelexclusionschromatographie (GEC) werden die molaren Massen der einge-setzten Poly(methacrylsauren) (freie Sauren: H-PMA, Salzform: S-PMA) bestimmt.Mp steht fur die haufigste molare Masse (Peak im GEC-Experiment), Mw fur das Mas-senmittel, Mn fur das Zahlenmittel der molaren Massen und D fur die Polydispersitatder Polyelektrolytproben. Die Lange der Polymerketten hangt von der Anzahl N derMonomereinheiten ab.

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KAPITEL 2. EXPERIMENTELLER TEIL 14

Die bis zur Gewichtskonstanz gefriergetrockneten Polymerproben enthalten nachHerstellerangaben etwa 3% Wasser. Organische Verunreinigungen wie nicht um-gesetzte Monomere und tert-Butanol2 liegen nur in vernachlassigbaren Mengenvor. Daher lassen sich die Ergebnisse von CH-Analysen3 in Tabelle 2.2 nutzen,um die Stoffmenge an Monomereinheiten pro Probenmasse fur die verwende-ten Polymere zu bestimmen. Diese spezifische Stoffmenge nL

spez an ionisierba-ren Gruppen L kann aus dem Massenanteil wC an Kohlenstoff (molare MasseMC = 12, 01 g mol−1) nach Gleichung 2.1 berechnet werden.

nLspez =

wC

4MC

fur Poly(methacrylsauren) (2.1)

Der maximale Wert von nLspez stimmt bei den vollstandig protonierten Einheiten

mit dem Kehrwert der molaren Massen Munit der monomeren Einheiten C4H6O2

der Methacrylsaure (Munit = 86, 09 g mol−1) uberein, ist jedoch infolge von Verun-reinigungen der Probe (Massenanteil wX, insbesondere Wasser) gemaß Gleichung2.2 reduziert.

wX = 1 − MunitnLspez (2.2)

Bezeichnung wC/10−2 wH/10−2 nLspez/

mmolg

H-PMA-303 56, 46 8, 49 11, 75S-PMA-1100 39, 70 5, 76 8, 26H-PMA-1210 54, 40 7, 42 11, 32H-PMA-2150 49, 87 7, 29 10, 38H-PMA-5760 53, 30 7, 07 11, 09H-PMA-11300 52, 73 7, 15 10, 98S-PMA-63300 30, 51 5, 91 6, 35H-PMA-58900 51, 58 7, 37 10, 74

Tabelle 2.2: CH-AnalysenDie Massenanteile wC an Kohlenstoff und wH an Wasserstoff in den Polyelektrolyt-proben werden durch Verbrennung mit Wolframtrioxid-Zusatz und anschließender In-frarotdetektion der Verbrennungsgase bestimmt. Aus dem Kohlenstoffanteil kann nachGleichung 2.1 die Große nL

spez, die Stoffmenge an ionisierbaren Gruppen pro Proben-masse, berechnet werden.

Bei den Polymerproben, die beim Herstellungsprozess mit Natronlauge neutrali-siert worden sind (S-PMA), liegen sowohl protonierte Monomereinheiten C4H6O2

2Als Ausgangsstoffe fur den Polymerisationsprozess werden die tert-Butylester der Mono-carbonsauren eingesetzt.

3Fur die Durchfuhrung der CH-Analysen danke ich Frau Brigitte Michel. Die Massenanteilewerden mit einem CHNS-932-Gerat der Leco Corporation, St. Joseph MI, USA bestimmt.

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KAPITEL 2. EXPERIMENTELLER TEIL 15

als auch mit Natriumionen abgesattigte deprotonierte Einheiten C4H5O2Na vor.Durch Flammenemissionsspektroskopie4 wird der Natriummassenanteil wNa be-stimmt und aus den Ergebnissen die spezifische Stoffmenge

nNaspez =

wNa

MNa

(2.3)

an Natrium (molare Masse MNa = 22, 99 g mol−1) in den salzartigen Polymer-proben berechnet (Tabelle 2.3). In Kombination mit den Werten nspez aus denCH-Analysen und aus potentiometrischen Messungen zeigen diese Ergebnisse, daßdie salzartigen Proben inerte, natriumhaltige Verunreinigungen (wie zum BeispielNatriumchlorid) enthalten.

Bezeichnung wNa/10−2 nNaspez/

mmolg

S-PMA-1100 14, 4 6, 3S-PMA-63300 16, 7 7, 3

Tabelle 2.3: Natrium-AnalysenDer Natriummassenanteil wNa der S-PMA-Proben wird durch Flammenemissionsspek-troskopie (FES) bestimmt. Die Proben werden als salpetersaure waßrige Polymerlosun-gen mit einem Natriumanteil von etwa 1 ppm in eine Acetylen-Luft-Flamme einge-bracht. Die emittierte Lichtintensitat wird mit der von salpetersauren Natriumchlo-ridlosungen als Standards verglichen. Aus den Analysenwerten wird die spezifischeStoffmenge an Natrium nNa

spez der salzartigen Polymerproben nach Gleichung 2.3 be-stimmt.

4Fur die Unterstutzung bei den Experimenten danke ich Herrn Dr. Christian Beugold. DieAnalysen werden in einem Flammenphotometer der Firma Eppendorf-Geratebau, Netheier-Hinz GmbH, durchgefuhrt.

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KAPITEL 2. EXPERIMENTELLER TEIL 16

2.1.2 Indikatoren

Als Saure-Base-Indikatoren werden Sulfonphthaleine von der Firma Merck ein-gesetzt. Ihre chemische Struktur zeigt Abbildung 2.2.

Abbildung 2.2: SulfonphthaleineDie Sulfonphthaleine tragen zwei ionisierbare Gruppen, eine Sulfonsauregruppe undeine phenolische Hydroxygruppe. Die Saurestarke der Sulfonphthaleine wird durch dieSubstituenten beeinflußt.Bromthymolblau: X = CH (CH3)2, Y = Br, Z = Z′ = CH3, A = HBromphenolblau: X = Y = Br, Z = Z′ = A = HKresolrot: X = CH3, Y = Z = Z′ = A = HBromkresolpurpur: X = Br, Y = CH3, Z = Z′ = A = HBromkresolgrun: X = Br, Y = Br, Z = A = CH3, Z′ = Hp-Xylenolblau: X = Y = Z = Z′ = CH3, A = H

Von der Firma MoBiTec wird der Indikator 2′,7′-Bis-(2-carboxyethyl)-5-(und-6)-carboxyfluorescein (BCECF) bezogen. Es handelt sich um ein Fluoresceinderivat,das als Saure-Base-Indikator sowohl fur Absorptions- als auch fur Fluorezenzmes-sungen [63] eingesetzt werden kann. Die chemische Struktur zeigt Abbildung 2.3.

2.1.3 Weitere Substanzen und Losungen

Salzsaure-, Natronlauge- und Kalilauge-Titerlosungen werden aus TitrisolTM-Ampullen der Firma Merck hergestellt. Die fur Untersuchungen in natrium- undkaliumfreien Medien benotigten Titerlosungen werden mit Tetramethylammo-niumhydroxid-Pentahydrat (99%) von der Firma Aldrich angesetzt.Als Hintergrundelektrolyte werden Natriumchlorid der Firma Riedel-de Haen,Kaliumchlorid von der Firma Baker und Tetramethylammoniumchlorid von derFirma Aldrich eingesetzt.Als Puffersubstanzen werden Natriumformiat, Natriumacetat, Maleinsaure, Imi-dazol und Tris-(hydroxymethyl)-aminomethan von der Firma Merck bezogen,

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KAPITEL 2. EXPERIMENTELLER TEIL 17

Abbildung 2.3: Indikator BCECFDer Indikator BCECF, 2′,7′-Bis-(2-carboxyethyl)-5-(und-6)-carboxyfluorescein, besitzteine Fluorescein-Grundstruktur und ist mit Carboxylgruppen funktionalisiert.

und es wird L-Lysin-Dihydrochlorid (99%ig) von der Firma Aldrich verwendet.Mit Ausnahme der naher spezifizierten Chemikalien besitzen alle eingesetztenSubstanzen und Titerlosungen den Reinheitsgrad pro analysi.Samtliche Losungen werden mit in Quarzglasapparaturen dreifach destilliertemund im Vakuum von gelosten Gasen befreitem Wasser angesetzt. Die Losungenwerden vor den Untersuchungen nochmals sorgfaltig mit einer speziellen Entga-sungsspritze5 von gelosten Gasen, insbesondere Kohlendioxid, befreit.

5Entwicklung am Max-Planck-Insitut Gottingen

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KAPITEL 2. EXPERIMENTELLER TEIL 18

2.2 Methoden

2.2.1 Potentiometrische Titrationen

Gerate

Die potentiometrischen Titrationen werden mit dem Titrierautomaten Titrolinealpha1 mit Magnetruhrer TM125 und Minitastatur TZ2825 ausgefuhrt. Die Do-sierung (10 ml Dosieraufsatz) erfolgt mit mindestens 2µl pro Titrationsschritt.Der elektronische Meßverstarker des Gerates hat einen Eingangswiderstand, dergroßer ist als 1013 Ω, und erlaubt eine nahezu stromlose Messung der Spannungan der angeschlossenen pH-Glaselektrode.Als Glaselektrode wird eine Toledo InLab 412 pH-Einstabsmeßkette2 verwendet.Der Membranwiderstand wird vom Hersteller mit 600 MΩ, die Ansprechzeit mitunter 20 s angegeben. Die Elektrode wird vor den Experimenten mit Chromschwe-felsaure gereinigt.

Kalibrierung der Glaselektrode

Die Definition und Messung von pH-Werten [84], [46] und die Bestimmung derProtonenkonzentration durch Aktivitatskorrektur [4], [26] sind insbesondere inMedien mit hoher Inertsalzkonzentration und bei Anwesenheit von Polymerenproblematisch. Daher erfolgt die Kalibrierung fur die Messungen dieser Arbeit,die zum Teil in Systemen mit Inertsalzkonzentrationen von 1, 00 M durchgefuhrtwerden, nicht nur mit Standardpuffern, sondern auch mit anderen Referenzsyste-men.Als Meßgroße fur die Protonenkonzentration3 [H] in der Einheit M = mol l−1 wirdder durch Gleichung 2.4 definierte pcH-Wert angegeben.

pcH = − lg ([H]/M) (2.4)

Zur Messung des pcH-Wertes wird die Elektrode fur eine gegebene Temperaturund gegebene Art und Konzentration an Hintergrundelektrolyt durch (a) eineZweipunkteichung (Tabelle 2.4) und (b) eine nachfolgende Titration eines Refe-renzsystems in definiertem Medium auf Protonenkonzentrationen kalibriert.Als Referenzsystem dient eine waßrige Losung einer Mischung von schwachenSauren und Basen – Puffersubstanzen [52] – deren Protonierungsgleichgewich-te [79] sehr gut bekannt sind. In Tabelle 2.5 sind die konditionalen pK-Werte(Definition in Kapitel 3) der entsprechenden Sauren fur unterschiedliche waßrigeMedien angegeben.

1Schott Gerate GmbH, Hofheim2Mettler-Toledo GmbH, Giessen3Ladungen an den Symbolen fur Ionen werden der Ubersichtlichkeit halber fallengelassen.

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KAPITEL 2. EXPERIMENTELLER TEIL 19

Inertsalz Kalibrierung I Kalibrierung II

NaCl oder HCl (1, 00 × 10−2 M), HCl (1, 00 × 10−3 M)KCl oder Tris (2, 00 × 10−3 M)(TMA)Cl NaCl oder KCl oder NaCl oder KCl oder(0, 100 M) (TMA)Cl (TMA)Cl

(0, 100 M) (0, 100 M)pcH = 2, 00 pcH = 8, 11

NaCl HCl (1, 00 × 10−2 M) HCl (1, 00 × 10−3 M)oder Tris (2, 00 × 10−3 M)KCl NaCl oder KCl NaCl oder KCl(1, 00 M) (1, 00 M) (1, 00 M)

pcH = 2, 00 pcH = 8, 32

Tabelle 2.4: Zweipunkteichung der GlaselektrodeDie zur Zweipunkteichung der Glaselektrode verwendeten waßrigen Losungen enthaltenNatrium-, Kalium- oder Tetramethylammoniumchlorid, (TMA)Cl, als Hintergrundelek-trolyte in Konzentrationen von 0, 100 M oder 1, 00 M. Saure Standards fur Protonenkon-zentrationen werden durch Salzsaurelosungen realisiert, basische durch Losungen vonTris(hydroxymethyl)aminomethan, Tris. Das Protonierungsgleichgewicht dieser Puffer-substanz ist bei 25oC sehr gut bekannt [79].

Fur jeden Schritt der Puffertitration wird die Protonenkonzentration berechnet(Anhang A). Ein Anzeigewert der Titrierstation wird einem theoretischen pcH-Wert zugeordnet (lineare Interpolation). Die Abbildung 2.4 zeigt eine typischeTitrationskurve des Referenzsystems.4

Die relative Genauigkeit der auf diese Weise ermittelten Protonenkonzentrationist nur durch die Stabilitat der Glaselektrode und die Genauigkeit der Protonie-rungskonstanten der eingesetzten Puffersubstanzen begrenzt. So belauft sich derFehler in [H] auf unter 10%.

Messungen

Alle potentiometrischen Titrationen werden bei 25oC mit Argon als Schutzgasdurchgefuhrt. Wahrend jeder Titration wird die Konzentration (0, 100 M oder1, 00 M) an Kationen der Hintergrundelektrolyte (Lithiumchlorid, Natriumchlo-rid, Kaliumchlorid oder Tetramethylammoniumchlorid) durch entsprechenden In-ertsalzzusatz in Probe- und Titerlosung konstant gehalten.

4Fur Messungen mit Tetramethylammoniumchlorid als Hintergrundelektrolyt wird zur Ka-librierung der Elektrode eine Salzsaurelosung titriert, die 0, 100M Inertsalz enthalt, da Proto-nierungskonstanten der eingesetzten Puffersubstanzen in Anwesenheit von Tetramethylammo-niumsalzen mit geringer Zuverlassigkeit bekannt sind.

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KAPITEL 2. EXPERIMENTELLER TEIL 20

Inertsalz NaCl oder NaCl oder unendlicheKCl (0, 100 M) KCl (1, 00 M) Verdunnung

Substanz pK-Wert(e) pK-Wert(e) pK-Wert(e)

Natriumformiat 3, 57 3.49 3, 745Natriumacetat 4, 56 4, 58 4, 757Maleinsaure 1, 7 1, 7 1, 9

5, 84 5, 61 6, 32Imidazol 7, 01 7, 31 6, 993Tris(hydroxymethyl)- 8, 11 8, 32 8, 073aminomethanL-Lysin- 2, 19 2, 23 1, 98Dihydrochloird 9, 15 9, 05 9, 15

10, 68 10, 56 10, 89

(Wasser) pKW = 13, 78 pKW = 13, 79 pKW = 13, 997

Tabelle 2.5: ReferenzsystemAls Referenzsystem zur Bestimmung der Protonenkonzentration bei potentiometrischenTitrationen dient eine waßrige Losung schwacher Sauren und Basen (3 × 10−3 M), de-ren pK-Werte (konditionale Konstanten bei 25oC in gegebenem Medium und zumVergleich bei unendlicher Verdunnung) in der Literatur [79] sehr gut bekannt sind.Die Pufferlosung enthalt außerdem Salzsaure (1, 00 × 10−3 M) sowie Natrium- oderKaliumchlorid als Inertsalz (0, 100 M oder 1, 00 M). In die Berechnung der Protonen-konzentration in dieser Losung gehen auch die konditionalen pKW-Werte fur Wasserein.

Die Probelosungen (50 ml) enthalten das zu untersuchende Polymer in einer Kon-zentration von 0, 5 g l−1 und Inertsalz sowie Salzsaure in einer Konzentration von1, 00 × 10−2 M.Die Titerlosungen enthalten 0, 100 M Hydroxidionen und nur eine Art inerterKationen (die gleiche befindet sich auch in der Probelosung). Bei Titrationender Proben, die 1, 00 M Hintergrundelektrolyt enthalten, wird der Titerlosungentsprechend 0, 900 M Inertsalz zugesetzt.Pro Titrationsschritt werden 0, 020 ml Titerlosung zugesetzt. Nach jedem Titra-tionsschritt wird ein konstanter Anzeigewert abgewartet, erst danach werden dieDaten ubernommen.

2.2.2 Weitere potentiometrische Messungen

Zur Bestimmung des pcH-Wertes von Probelosungen wird die pH-Meßstation6055 in Kombination mit der in Abschnitt 2.2.1 beschriebenen Glaselektrode ein-

5Firma Metrohm AG, Herisau, Schweiz

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KAPITEL 2. EXPERIMENTELLER TEIL 21

Abbildung 2.4: Titrationskurve des ReferenzsystemsDie Bestimmung der Protonenkonzentration in den Polymerlosungen erfolgt potentio-metrisch mittels Glaselektrode. Als Referenzsystem dient eine Mischung aus schwachenSauren und Basen, die in einem pcH-Bereich zwischen etwa 2 und etwa 12 verlaßlichepotentiometrische Messungen gewahrleistet. Zur Kalibrierung der Elektrode werdendie Ergebnisse einer Titration von 50 ml dieser Pufferlosung (Zusammensetzung nachTabelle 2.5) bei 25oC mit Natronlauge (0, 100 M) zum Vergleich mit einer aus dengut bekannten Protonierungskonstanten der Puffersubstanzen theoretisch berechnetenKurve herangezogen.

gesetzt. Bei solchen Einzelmessungen ist der direkte Vergleich mit der Titra-tionskurve eines Referenzsystems nicht moglich. Je nach Konzentration an Inert-salz erfolgt die Kalibrierung auf unterschiedliche Weise.

Geringe Konzentration an Hintergrundelektrolyt

Fur Messungen in Proben mit Inertsalzkonzentrationen von 0, 100 M wird dieElektrode mit Standard-Puffern (Tabelle 2.6) bei 25oC auf feste pH-Werte [46]geeicht. Nach dieser Kalibrierung kann der pH-Wert der Losung auf 0, 02 pH-Einheiten genau bestimmt werden.Aus dem angezeigten pH-Wert (mittlere Protonenaktivitat) wird der pcH-Wert(Protonenkonzentration) nach Gleichung 2.5 mit Hilfe des mittleren Aktivitats-koeffzienten fI fur einwertige Ionen berechnet.

pcH = pH + lg(fI/M

−1)

(2.5)

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KAPITEL 2. EXPERIMENTELLER TEIL 22

pH-Wert waßrige Losung von

4,008 Kaliumhydrogenphthalat (0, 050 M)6,865 Dinatriumhydrogenphosphat (0, 025 M)

und Kaliumhydrogenphosphat (0, 025 M)

Tabelle 2.6: StandardpufferFur Messungen in Losungen, die 0, 100 M Inertsalz enthalten, wird die Glaselektrodebei 25oC auf pH-Werte von 4, 008 und 6, 865 geeicht. Diese Werte werden durch zweiStandardpuffer realisiert. In den Probelosungen wird ein Wert pcH = 7, 00 durch Zu-gabe geringer Mengen Saure oder Base eingestellt, bis ein Anzeigewert pH = 7, 11 derso geeichten Elektrode erreicht ist.

Bei einer Ionenstarke von 0, 100 M und einer Temperatur von 25oC wird der WertfI = 0, 785 M−1 verwendet (Davies-Formel [26]).

Hohe Konzentration an Hintergrundelektrolyt

Nach Herstellerangaben laßt sich der pH-Wert mit der Elektrode auch in Losun-gen bestimmen, die 1, 00 M Hintergrundelektrolyt enthalten. Bei solchen Messun-gen verhalten sich Natriumionen jedoch als Storionen an der Glasmembran, undein mittlerer Aktivitatskoeffizient fur Protonen [22] ist schwer zuganglich. Daherkann von dem pH-Meßwert nicht auf den pcH-Wert der Losung geschlossen wer-den. In Losungen mit 1, 00 M Natriumchlorid als Hintergrundelektrolyt werdenProtonenkonzentrationen von [H] = 1, 0 × 10−7 M folgendermaßen eingestellt:Mit dem in Abschnitt 2.2.1 beschriebenen Puffersystem wird der konditionalepK-Wert des Indikators Bromthymolblau in Losungen mit 0, 100 M und 1, 00 MNatriumchlorid bestimmt (pKIn = 7, 05 bzw. 7, 00), ebenso die Extinktionskoeffi-zienten (Abschnitt 3.3). Zur Realisierung von pcH = 7, 00 werden zwei LosungenA und B dieses Indikators hergestellt (Tabelle 2.7). In Losung A (0, 100 M Natri-umchlorid) wird durch Zugabe geringer Mengen Salzsaure und Natronlauge einWert pcH = 7, 05 eingestellt, der mit der Glaselektrode unter Anwendung vonGleichung 2.5 uberpruft wird. Der Losung B (1, 00 M Natriumchlorid) wird Saureoder Base in einer solchen Menge zugegeben, daß ihr Absorptionsspektrum mitdem der Losung A ubereinstimmt. (Die Verdunnung und kleine Unterschiede inden Extinktionskoeffizienten konnen berucksichtigt werden). Auf diese Weise wirdspektroskopisch ein Standard pcH = 7, 00 in der Losung B realisiert, die 1, 00 MNatriumchlorid als Hintergrundelektrolyt enthalt. Zum Einstellen eines WertespcH = 7, 00 in den Probelosungen werden auch hier kleine Mengen Salzsaureund Natronlauge zugegeben, bis die Anzeige der pH-Meßstation mit dem Wertubereinstimmt, den die Standardlosung B liefert (pH-Anzeige: 6, 981).

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KAPITEL 2. EXPERIMENTELLER TEIL 23

Losung A Losung B

Bromthymolblau Bromthymolblau(2, 0 × 10−5 M, pK = 7, 05) (2, 0 × 10−5 M, pK = 7, 00)Natriumdihydrogenphosphat Natriumdihydrogenphosphat(0, 0190 M) (0, 0100 M)Dinatriumhydrogenphosphat Dinatriumhydrogenphosphat(0, 0405 M) (0, 0502 M)

Natriumchlorid(0, 8897 M)

[Na] = 0, 100 M [Na] = 1, 00 MpcH = 7, 05 pcH = 7, 00

Tabelle 2.7: StandardlosungenFur das Einstellen der Protonenkonzentration auf [H] = 1, 0× 10−7 M in Losungen, die1, 00 M Natriumchlorid als Hintergrundelektrolyt enthalten, wird die waßrige LosungB als Standard hergestellt. Diese weist das gleiche Absorptionsspektrum auf wie dieStandardlosung A, in der die Bestimmung des pcH-Wertes mit der Glaselektrode nachGleichung 2.5 problemlos moglich ist.

2.2.3 UV-VIS-Spektroskopie

Die Absorptionsspektren werden im UV- und VIS-Bereich mit dem Zweistrahl-Spektralphotometer UV-2401PC6 aufgenommen. Die photometrische Reprodu-zierbarkeit wird vom Hersteller mit 1 × 10−3 im Absorptionsbereich 0 < A < 1angegeben. Die Wellenlangenreproduzierbarkeit im Meßbereich zwischen 200 nmund 800 nm betragt 0, 1 nm.Alle Spektren werden im Wellenlangenbereich 200 nm < λ < 800 nm bei ei-nem Abtastintervall von 0, 5 nm aufgenommen. Um Messungen in guter Genau-igkeit direkt mit den Ergebnissen von Temperatursprung-Experimenten (spektra-le Bandbreite etwa 10 nm) vergleichen zu konnen, wird dazu die großtmoglichespektrale Bandbreite von 5 nm am Spektrometer eingestellt.Die Proben werden in Quarzglas-Prazisionskuvetten7 (SuprasilTM) mit einer op-tischen Lange von 1, 000 cm untersucht. Die Referenzkuvette enthalt bei allenMessungen reines Wasser. Vor jeder Messung werden die Kuvetten in thermosta-tisierten Kupferblocken mindestens 20 min lang temperiert.

6Firma Shimadzu, Kioto, Japan7Firma Hellma GmbH & Co. KG, Mullheim

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KAPITEL 2. EXPERIMENTELLER TEIL 24

2.2.4 Temperatursprung-Experimente

Die Temperatursprung-Experimente werden in einer Apparatur8 mit optischerDetektion und Joule-heating durchgefuhrt.

Aufbau der Temperatursprung-Apparatur

Der Aufbau der Temperatursprung-Apparatur ist schematisch in Abbildung 2.5dargestellt.

Abbildung 2.5: Temperatursprung-AnlageMit der Hochspannungsquelle (HV) wird der Kondensator (Kapazitat C) uber einenWiderstand aufgeladen. Die Meßzelle mit der Probelosung wirkt als ohmscher Wider-stand R im Entladungskreis, der uber die Funkenstrecke (G) geschlossen wird. Zuroptischen Detektion stehen eine Lichtquelle (L), ein Monochromator (M) und zweiDetektoren (Ausgangsspannungen UR und UM) zur Verfugung.

Entladungskreis In Temperatursprung-Experimenten wird die in der Meßzellebefindliche Probelosung schnell erhitzt, wenn durch sie fur kurze Zeit (wenige

8Die verwendete Anlage wurde in der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Hans Strehlow am Max-Planck-Institut Gottingen entwickelt.

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KAPITEL 2. EXPERIMENTELLER TEIL 25

Mikrosekunden) ein hoher elektrischer Strom (etwa 200 A) fließt.Dazu wird mit einer Hochspannungsquelle zunachst der Kondensator (KapazitatC = 52, 7 nF) auf eine Spannung von U0 = 25 kV aufgeladen. Danach wird dieMeßzelle mit dem Kondensator verbunden (Funkenstrecke) und so der Entla-dungskreis geschlossen. Die Probelosung befindet sich in der Meßzelle zwischenzwei Goldelektroden und wirkt als ohmscher Widerstand, an dem die elektrischeEnergie in Warme umgewandelt wird. Um diesen Widerstand R gering zu hal-ten, wird den Proben Inertsalz zugesetzt. Die bei der Entladung des Kondensatorsdurch die Probelosung ablaufenden Prozesse werden im Kapitel 6 beschrieben.Die Meßzelle befindet sich in einem thermostatisierten Kupferblock. Sie bestehtaus einem Kunststoffkorper, in den von oben und unten Elektroden eingeschraubtwerden, die mit Gold uberzogen sind. Der Elektrodenabstand betragt 2, 0 cm. Inder Zellenmitte sind zwei Quarzglasfenster fur die optische Detektion eingelassen.Die Schichtdicke der Probe ist durch den optischen Weg zwischen den beidenFenstern auf 1, 000 cm festgelegt.

Optische Detektion Als Lichtquelle wird in allen Experimenten eine Wolfram-lampe verwendet, zur Detektion stehen zwei Silicium-Photodioden mit integrier-ten Verstarkern zur Verfugung. Die von ihnen ausgegebenen Spannungssignalewerden an einen Differenzenverstarker angelegt. Das verstarkte Signal wird aufeinen Transientenrekorder ubertragen und digitalisiert.Die Wolframlampe (12 V, 100 W) zeichnet sich durch eine hohe zeitliche Stabi-litat der Intensitat des abgestrahlten Lichtes aus. Der Lichtstrom kann mit einerIrisblende geregelt werden. Zum Schutz der Probelosung und der Photodiodenkann der weitere Lichtweg hinter der Lichtquelle mit einem Fotoverschluß unter-brochen werden. An den Fotoverschluß schließt sich der Monochromator an. Mitden an seinem Ein- und Ausgang eingestellten Spaltbreiten von 3 mm betragt diespektrale Bandbreite der austretenden Strahlung etwa 10 nm [69].

Lichtintensitaten und Verstarkungstechnik

Lichtintensitaten Nach Durchlaufen des Monochromators tritt das Licht mitder oben genannten spektralen Bandbreite und der Intensitat IL in den Strahlen-teiler ein. Hier wird ein Teil IR

IR ∝ IL (2.6)

als Referenzintensitat ausgekoppelt und auf die Photodiode gespiegelt, die dasReferenzsignal erzeugt. Der Hauptteil des Lichtes (etwa 90% der einfallendenIntensitat IL) breitet sich weiter in Richtung Meßzelle aus. Betragt die Lichtin-tensitat bei Eintritt in die Probelosung I0, so nimmt sie nach dem Gesetz vonBouguer-Lambert [45] beim Durchlaufen durch die Probe exponentiell ab.Beim Austritt aus der Probe hat die Intensitat einen Wert I,

I = I010−(A+ALM) (2.7)

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KAPITEL 2. EXPERIMENTELLER TEIL 26

der infolge der Absorption ALM des Losungsmittels und des AbsorptionsbeitragesA der gelosten Stoffe in der Probe gegenuber der einfallenden LichtintensitatI0 verringert ist. Nach Austritt aus der Losung nimmt die Intensitat nochmalsdurch optische Ubergange ab. Schließlich trifft Licht einer Intensitat IM auf diePhotodiode, die das Meßsignal liefert. Es gilt die folgende Proportionalitat.

IM ∝ 10−(A+ALM)IL (2.8)

Die Proportionalitatsfaktoren in den Beziehungen 2.6 und 2.8 sind durch dieBeschaffenheiten aller optischen Ubergange bestimmt und im allgemeinen unbe-kannt.

Absorption der Probe Die Lichtintensitaten IR und IM erzeugen Spannungenan den Photodioden, die durch nachgeschaltete Verstarker linear verstarkt wer-den. Die erhaltenen Spannungen UR und UM fur Referenz- und Meßsignal sindvon den Lichtintensitaten und den gewahlten Verstarkungen abhangig.9 NachDurchfuhrung eines Dunkelstromabgleichs sind die Spannungen proportional zuden Verstarkungsfaktoren und zur Intensitat des einfallenden Lichtes.

UR ∝ fRIL (2.10)

UM ∝ fM10−(A+ALM)IL (2.11)

Wenn die Meßzelle lediglich mit dem Losungsmittel gefullt ist und keine weiterenabsorbierenden Substanzen enthalt (A = 0), erhalt man bei Lichtintensitat IL,LM

und mit den Verstarkungsfaktoren fR,LM und fM,LM die Spannungen UR,LM undUM,LM.

UR,LM ∝ fR,LMIL,LM (2.12)

UM,LM ∝ fM,LM10−ALMIL,LM (2.13)

Aus den Gleichungen 2.10 bis 2.13 ergeben sich nach Logarithmieren die folgendenBeziehungen.

lgUR

UR,LM

= lgfR

fR,LM

+ lgIL

IL,LM

(2.14)

lgUM

UM,LM

= lgfM

fM,LM

− A + lgIL

IL,LM

(2.15)

9Die Verstarkungsfaktoren fR und fM fur die Spannungen ergeben sich aus den Werten derVerstarkungen VR und VM, die an den Photodiodenverstarkern eingestellt werden [101].

lg fR/M =VR/M

20 dB(2.9)

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KAPITEL 2. EXPERIMENTELLER TEIL 27

Die Absorption A der im Losungsmittel befindlichen Spezies laßt sich nach Glei-chung 2.16 aus Spannungswerten und Verstarkungsfaktoren berechnen.

A = lgfMfR,LM

fM,LMfR

+ lgUR

UR,LM

− lgUM

UM,LM

(2.16)

Da alle Proportionalitatsfaktoren bei verschiedenen Wellenlangen unterschied-liche Werte annehmen, beziehen sich die Gleichungen auf eine gegebene Wel-lenlange. Fur die Bestimmung der Absorption A bei verschiedenen Wellenlangenmussen daher samtliche Spannungen bei den unterschiedlichen Wellenlangen auf-genommen werden.

Absorptionsanderung Nach Gleichung 2.16 kann aus den Spannungen UR(t)und UM(t) zu jedem Zeitpunkt t die Absorption A(t) der Probe bestimmt werden.Hat sie bei Beginn der Kondensatorentladung den Wert A0 = A(t = 0), dannfolgt die Beziehung 2.17 fur die Abweichung δA(t) der Absorption von diesemStartwert als Funktion der Zeit.

δA(t) = A(t) − A0 = lgUR(t)

UR(0)− lg

UM(t)

UM(0)(2.17)

Ein konstantes Referenzsignal UR(t) = UR(0) wahrend der Messung vorausge-setzt,10 erhalt man Gleichung 2.18 durch Reihenentwicklung fur kleine Werte|δA(t)| ≪ 1/ ln (10). (In den Temperatursprung-Experimenten werden Absorp-tionsanderungen von δA(t) < 5 × 10−3 gemessen.)

UM(t)

UM(0)= 1 − ln (10) δA(t) (2.18)

Um den zeitlichen Verlauf der Absorption A(t) zu bestimmen, werden die Span-nungen UR(t) und UM(t) an die Eingange A und B eines Differenzverstarkersangelegt. Das verstarkte Signal Uout(t) ist die zehnfache Differenz der SpannungUA(t), die an Eingang A anliegt, und der mit einem Faktor f vorverstarktenSpannung UB(t) an Kanal B.

Uout(t) = 10 [UA(t) − fUB(t)] (2.19)

Fur die zeitliche Abweichung δUout(t) des verstarkten Signals von seinem Start-wert

δUout(t) = Uout(t) − Uout(0) (2.20)

folgt die Gleichung 2.21.

δUout(t) = 10UA(0)

(UA(t)

UA(0)− 1

)

− 10fUB(0)

(UB(t)

UB(0)− 1

)

(2.21)

10Durch Einsatz des Tiefpasses (charakteristische Zeit 200 µs oder 2ms) kann das Referenz-signal geglattet werden, sofern dieses an den Kanal A des Differenzverstarkers angelegt wird.

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KAPITEL 2. EXPERIMENTELLER TEIL 28

Die weitere Auswertung ist davon abhangig, auf welche Weise die SpannungenUR und UM den Eingangen A und B zugeordnet sind.Liegt das Meßsignal an Kanal A an, folgt mit UA = UM und UB = UR aus denGleichungen 2.18 und 2.21

δA(t) = − δUout(t)

10 ln (10)UM(0)(2.22)

und die gesamte Absorptionsanderung ∆A kann nach Gleichung 2.23 aus denaufgezeichneten Spannungen berechnet werden.

∆A = δA(t → ∞) = −Uout(t → ∞) − Uout(0)

10 ln (10) UM(0)(2.23)

Wird das Meßsignal dagegen an Kanal B angelegt, gilt UB = UM und UA = UR,und die Gleichungen 2.18 und 2.21 ergeben die folgende Beziehung fur die zeitlicheAnderung der Absorption, die den Verstarkungsfaktor f enthalt.

δA(t) = +δUout(t)

10f ln (10) UM(0)(2.24)

Dieser Verstarkungsfaktor kann mit Gleichung 2.19 aus der zu Anfang der Mes-sung aufgenommenen Spannung Uout(0) erhalten werden,

f =10UR(0) − Uout(0)

10UM(0)(2.25)

und die Absorptionsanderungen konnen wie folgt aus den Spannungen berechnetwerden.

δA(t) =δUout(t)

ln (10) [10UR(0) − Uout(0)]∆A =

Uout(t → ∞) − Uout(0)

ln (10) [10UR(0) − Uout(0)](2.26)

In jedem Fall sind die Absorptionwerte δA(t) proportional zum verstarkten Span-nungssignal δUout(t) und konnen bei bekannten Spannungen UR(0) und UM(0) furjeden Zeitpunkt angegeben werden.Die Absorptionsanderung ∆A, die mit Gleichung 2.23 oder 2.26 aus den Da-ten eines Temperatursprung-Experimentes berechnet wird, kann sich von demWert unterscheiden, den ein entsprechendes Experiment im Spektralphotome-ter liefert. Dies ist der Fall, wenn die Temperatursprung-Messungen mit einergroßen spektralen Bandbreite des Lichtes (10 nm) durchgefuhrt werden, wahrendbei der spektralphotometrischen Messung eine weit geringere Bandbreite (typi-scherweise 1 nm) eingestellt wird und sich das Absorptionsspektrum der absor-bierenden Spezies in der Nahe der Detektionswellenlange stark andert (schmaleAbsorptionsmaxima oder Absorptionsflanken). In diesem Fall konnen die Wer-te ∆A einer Korrektur [69] unterzogen werden. In dieser Arbeit werden die ausTemperatursprung-Experimenten erhaltenen Absorptionsanderungen nur mit sol-chen Werten verglichen, die aus spektralphotometrischen Messungen ahnlicherBandbreite hervorgehen.

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KAPITEL 2. EXPERIMENTELLER TEIL 29

Durchfuhrung der Messungen

Die Probelosung wird vor der Messung auf einen pcH-Wert von etwa 7 einge-stellt, von gelosten Gasen befreit und blasenfrei in die Meßzelle eingefullt. Dannwird durch Zugabe kleinster Mengen Salzsaure und Natronlauge der gewunschteWert pcH = 7, 00 eingestellt. Vor dem Temperatursprung-Experiment wird dieProbelosung in der Zelle 30 min lang temperiert.Wahrend der Kondensatorentladung laufen in der Probelosung Elektrolysevor-gange ab. Dadurch andert sich bei einem Temperatursprung-Experiment der pcH-Wert der Losung geringfugig, und die Absorption der Probe erreicht nach demTemperatursprung und nach Abkuhlung nicht wieder ihren Anfangswert. Diestrifft besonders auf Proben zu, die nur wenig Polyelektrolyt enthalten. Aber auchbei Experimenten mit hoherer Polyelektrolytkonzentration (Pufferwirkung, gerin-ge Anderung in der Absorption) unterscheidet sich die Absorptionsanderung ∆Abei aufeinanderfolgenden Experimenten. Daher wird fur jeden Temperatursprungeine neue Probelosung eingesetzt, und die erhaltenen Absorptionsanderungen undRelaxationszeiten werden uber verschiedene Proben gleicher Zusammensetzunggemittelt.Um die Absorption der Probelosung vor dem Temperatursprung bestimmen zukonnen, werden vor jedem Experiment mit Polyelektrolytlosungen die Daten furdie mit Wasser gefullte und temperierte Meßzelle aufgenommen.

2.3 Datenverarbeitung

Nach Digitalisierung werden die experimentellen Daten von den Meßgeraten aufhandelsubliche Computer ubernommen. Zur Ubernahme der Daten aus Tempe-ratursprung-Experimenten wird das Programm Dagmar der Firma Geitmanneingesetzt, der Export der UV-VIS-Spektren erfolgt mit dem Programm UVPCder Firma Shimadzu, und aus dem Titrierautomaten werden die Meßwerte mitHilfe des Programmpaketes Fit96 [110] exportiert.Die Auswertung der Daten erfolgt mit Hilfe der Programme Titra (Titrations-kurven), Jump (Temperatursprung-Experimente) sowie Convert, Spektrum, Peakund Spectab (UV-VIS-Spektren). Diese Programme werden in der Programmier-sprache C geschrieben [82] und mit dem Compiler C++ (Version 4.5) der FirmaBorland compiliert.Fur die graphische Darstellung der experimentellen Daten wird das ProgrammOrigin (Version 5.0) der Firma Microcal eingesetzt.Rechnerprogramme zur Simulation von Titrationskurven auf der Basis der stati-stischen Mechanik (Kapitel 4) werden in Fortran 90/95 geschrieben [122] und imDeveloper Studio (Version 6.1) der Firma Compaq compiliert.Mathematische Probleme werden numerisch mit Maple (Version 5.0) behandelt.Die Textverarbeitung erfolgt mit LATEX.

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Kapitel 3

Thermodynamik der Protonierung

Das Gleichgewicht der Bindung von Protonen (aber auch von Metallionen undanderen Bindungspartnern) an kleine Molekule wie auch an Polymere kann mitunterschiedlichen Konzepten beschrieben und interpretiert werden. In diesem Ka-pitel werden makroskopische Ansatze der Thermodynamik vorgestellt, in Zusam-menhang gebracht und auf das Protonierungsgleichgewicht der untersuchten Po-lyelektrolyte angewendet.

3.1 Formale Beschreibung: Spezies und Gruppen

3.1.1 Makrospezies und Makrokonstanten

Zur Beschreibung der Protonierungsgleichgewichte von Elektrolyten mit weni-gen funktionellen Gruppen (Essigsaure, Malonsaure, Tricarballylsaure, einfacheAminosauren und andere), oligomeren Einheiten und Polysauren mit N einfachdeprotonierbaren Gruppen wird das Reaktionsschema 3.1 angenommen.1 Dabeiwerden die Ladungszahlen an samtlichen chemischen Symbolen in den Schemataund Gleichungen aus Grunden der Ubersichtlichkeit nicht aufgefuhrt.

B + N H BH + (N − 1) H . . . BHi + (N − i) H . . . BHN (3.1)

Im Reaktionsschema 3.1 steht B fur das gesamte Molekulgerust mit N Bindungs-stellen fur Protonen, zum Beispiel Carboxylatgruppen in Abbildung 3.2. Es gibtdaher (N + 1) Makrospezies BHi (i = 0, 1, . . . , N), die sich durch die AnzahlProtonen unterscheiden, die an sie gebunden sind.Das Protonierungsgleichgewicht 3.1 wird durch einen Satz von N Gleichgewichts-konstanten eindeutig charakterisiert. Bei allen dieser Arbeit zugrunde liegendenMessungen wird der Polyelektrolytlosung Inertsalz in der Konzentration 0, 100 Moder 1, 00 M zugesetzt. In einem solchen Medium sind die Aktivitatskoeffizientenfur alle reaktiven Spezies unabhangig von ihrer Konzentration. Daher kann mitkonditionalen Gleichgewichtskonstanten gerechnet werden, bei denen Konzentra-tionen anstelle von Aktivitaten verwendet werden.Die Bildung einer i-fach protonierten Makrospezies BHi aus der vollstandig de-protonierten Base B und i Protonen (Konzentration [H])

B + iH BHi (3.2)

1Bei Molekulen oder Ionen, die in verschiedenen Konformationen unterschiedliche Saure-Base-Eigenschaften aufweisen, kann diese Beschreibung problematisch werden.

30

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KAPITEL 3. THERMODYNAMIK DER PROTONIERUNG 31

wird durch kumulative konditionale Assoziationskonstanten

Ki =[BHi]

[B][H]ii = 0, 1, . . . , N K0 = 1 (3.3)

beschrieben. Die in Tabellenwerken [79], [138] bevorzugten konditionalen Disso-ziationskonstanten Kd,n und pKn-Werte2 beziehen sich auf den n-ten Dissozia-tionsschritt

BHN−n+1 H + BHN−n (3.4)

des vollstandig protonierten Polyelektrolyten BHN .

Kd,n =[BHi−1] [H]

[BHi]mit i = N − n + 1

pKn = − lg (Kd,n/M) n = 1, 2, . . . , N (3.5)

Diese Konstanten hangen uber die Gleichungen 3.6 und 3.7 mit den fur Rechnun-gen vorteilhaften kumulativen Konstanten zusammen.

pKn = + lgKN−n+1

KN−n

n = 1, 2, . . . , N K0 = 1 (3.6)

Kn = 10∑n

i=1 pKN−i+1 =

(n∏

i=1

Kd,N−i+1

)−1

(3.7)

Bei bekannter Protonenkonzentration [H], gegeben als negativer dekadischer Lo-garithmus pcH ihres Zahlenwertes in Mol pro Liter,

pcH = − lg ([H]/M) (3.8)

lassen sich mit der Beziehung 3.3 und der Bilanzgleichung 3.9

Btot =N∑

n=0

[BHn] (3.9)

die Konzentrationen aller Makrospezies nach Gleichung 3.10 berechnen.

[BHi] = BtotKi[H]i

∑Nn=0 Kn[H]n

(3.10)

Das in Gleichung 3.10 im Nenner auftretende Polynom Ξ (ein Polynom in derVariablen [H])

Ξ =N∑

n=0

Kn[H]n (3.11)

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KAPITEL 3. THERMODYNAMIK DER PROTONIERUNG 32

Abbildung 3.1: MakrospeziesDie Konzentrationen [BHi] der verschiedenen Makrospezies der Zitronensaure (N = 3)werden durch Gleichung 3.10 beschrieben. Das Verhaltnis der Konzentrationen [BH3](schwarze Kurve), [BH2] (blaue Kurve), [BH1] (grune Kurve) und [BH0] (rote Kur-ve) zur Einwaagekonzentration Btot ist gegen den pcH-Wert der Losung aufgetragen.Die gestrichelte schwarze Linie gibt den Protonierungsgrad θ(pcH) an. Die pK-Werte(pK1 = 2, 90; pK2 = 4, 35; pK3 = 5, 69 sind bei 25oC in Anwesenheit von 0, 100 MNatriumchlorid als Hintergrundelektrolyt bestimmt worden [79].

ist als binding polynomial (oder binding potential) [36] bekannt.Abbildung 3.1 zeigt die pcH-abhangige Konzentration verschiedener Makrospe-zies an dem einfachen Beispiel der Zitronensaure. Die Konzentrationen der voll-standig protonierten (BHN) und vollstandig deprotonierten Makrospezies (B) er-reichen ihren maximalen Wert Btot bei sehr geringen und sehr hohen pcH-Werten.Interessant ist das pcH-abhangige Verhalten der Konzentrationen partiell proto-nierter Spezies BHn mit n = 1, 2, . . . , (N − 1), die lokale Konzentrationsmaximaauf der pcH-Skala erreichen. Die Lage dieser Maxima ist nach Gleichung 3.10

2Im folgenden werden als p...-Werte stets die negativen dekadischen Logarithmen des Zah-lenwertes von konditionalen Dissoziationskonstanten in der Einheit M verstanden.

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KAPITEL 3. THERMODYNAMIK DER PROTONIERUNG 33

durch pcH-Werte bestimmt, fur die die folgende Bedingung erfullt ist.

0!=

(∂ [BHn]

∂pcH

)

p,T

n =

∑Ni=0 iKi[H]i

∑Nj=0 Kj[H]j

= Nθ (3.12)

Die n-fach protonierten Makrospezies erreichen demnach maximale Konzentra-tionen bei pcH-Werten, bei denen die Bindungsisotherme θ (Abschnitt 3.1.2) denWert n/N annimmt.

3.1.2 Bindungsisothermen

Integrale Bindungsisothermen

Mit zunehmender Anzahl N von protonierbaren Gruppen pro Molekul lassen sichdie N Bindungskonstanten aus experimentellen Daten nicht mehr hinreichendgut bestimmen; das Reaktionsschema 3.1 kann nicht gelost werden, auch wennes fur jede Anzahl N von Gruppen gilt. In solchen Fallen wird von diskretenGleichgewichten mit definierten Makrospezies zu Bindungsisothermen [77] vonProtonen an die entsprechenen Oligo- und Polyelektrolyte ubergegangen. Jedeeinzelne der chemisch gleichen protonierten Gruppen LH wird als eine besetzteBindungsstelle betrachtet (Abbildung 3.2).

Abbildung 3.2: Beschreibung von PolysaurenKettenformige Polyelektrolyte, die aus identischen Monomereinheiten bestehen, lassensich als N -protonige Sauremolekule BHN oder als N reaktive (Ligand-)Gruppen LHbeschreiben.

In diesem Formalismus wird das Protonierungsgleichgewicht des Molekuls (Sche-ma 3.1) auf die fiktive Protonierungsreaktion3 irgendeiner Gruppe L des Polyionsreduziert.

L + H LH (3.13)

3Ladungszahlen werden wieder fallengelassen. Die Ladungen der Gruppen sind fur die Be-schreibung ganz unerheblich. Die protonierbaren Gruppen sind neutral im Fall von Aminenund negativ geladen bei Carboxylaten und Sulfonsauren. Auch mehrfach geladene Systeme wiezum Beispiel das Sulfation konnen mit demselben Formalismus beschrieben werden.

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KAPITEL 3. THERMODYNAMIK DER PROTONIERUNG 34

Der Protonierungszustand der Elektrolyte kann nun als Belegungsgrad (Assozia-tionsgrad)

θ =[LH]

Ltot

mit Ltot = [LH] + [L] (3.14)

oder als Dissoziationsgrad

α =[L]

Ltot

= 1 − θ 0 ≤ α ≤ 1 0 ≤ θ ≤ 1 (3.15)

als Verhaltnis der Konzentrationen an protonierten oder deprotonierten Gruppenzur Konzentration Ltot von Bindungsstellen insgesamt angegeben werden. DerAssoziationsgrad als Funktion der Protonenkonzentration oder des pcH-Werteswird die Bindungsisotherme θ fur Protonen an die gegebene Substanz oder Sub-stanzmischung in Losung genannt. Die Bindungsisotherme enthalt die gesamteInformation uber das Protonierungsgleichgewicht der Polysaure bei gegebenenBedingungen (Temperatur, Druck, Medium), die aus einem Titrationsexperimentzuganglich ist.Die Beschreibung eines komplizierten Protonierungsgleichgewichtes uber Makro-spezies (Abschnitt 3.1.1) umfaßt den Formalismus der Bindungsisothermen, dasich diese fur beliebige schwache Sauren oder Basen uber den Zusammenhang3.16 aus den Konzentrationen der Makrospezies berechnen lassen.

[LH] =N∑

n=0

n [BHn] Ltot = NBtot (3.16)

Die Bindungsisotherme kann nach Gleichung 3.17 aus den kumulativen Makro-konstanten (mit Gleichung 3.10) oder aus tabellierten pK-Werten (unter Ver-wendung von Gleichung 3.7) erhalten werden. Umgekehrt konnen im Falle einernicht zu großen Anzahl Gruppen N pro Molekul Protonierungskonstanten durchAnpassung der Funktion 3.17 an experimentelle Daten [39] ermittelt werden.

θ =1

N

∑Ni=0 iKi[H]i

∑Nj=0 Kj[H]j

(3.17)

Wie Abbildung 3.3 zeigt, werden die Kurven θ(pcH) mit wachsender Anzahlfunktioneller Gruppen pro Molekul zunehmend konturlos, und das Anpassen vonProtonierungskonstanten nach Gleichung 3.17 an experimentelle Daten wird er-schwert.Die Bindungsisotherme laßt sich kompakt schreiben als partielle Ableitung 3.18des binding polynomial 3.11 nach dem pcH-Wert.

θ(pcH) = − 1

N

(∂ lg Ξ

∂pcH

)

p,T

(3.18)

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KAPITEL 3. THERMODYNAMIK DER PROTONIERUNG 35

Abbildung 3.3: BindungsisothermenFur schwache Sauren und Basen mit wenigen protonierbaren Gruppen lassen sich ex-perimentell alle Protonierungskonstanten aus der Bindungsisotherme erhalten. Aufge-tragen ist der Assoziationsgrad θ(pcH) in Abhangigkeit des pcH-Wertes fur Essigsaure(schwarze Kurve – pK1 = 4, 56), Malonsaure (rote Kurve – pK1 = 2, 63; pK2 = 5, 28),Tricarballylsaure (blaue Kurve – pK1 = 3, 43; pK2 = 4, 50; pK3 = 5, 82) und Ditar-tronsaure (grune Kurve – pK1 = 1, 27; pK2 = 2, 33; pK3 = 3, 66; pK4 = 4, 71), alleWerte gelten bei 25oC fur waßrige Losungen mit 0, 100 M Natriumchlorid als Hinter-grundelektrolyt.

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KAPITEL 3. THERMODYNAMIK DER PROTONIERUNG 36

Parametrisierte Bindungsisothermen

Fur den Spezialfall N = 1 (das bedeutet nur eine protonierbare Gruppe proMolekul4) ergibt sich aus Gleichung 3.17 die Langmuir-Isotherme θL [2].

θL =KL,a[H]

1 + KL,a[H]=

[H]

[H] + KL,d

=1

1 + 10pcH−pKL(3.19)

Das zugehorige binding polynomial ΞL ist sehr einfach.

ΞL = 1 + KL,a[H] θL = −(

∂ lg ΞL

∂pcH

)

p,T

(3.20)

Das Bindungsverhalten wird mit nur einem Parameter beschrieben, der Bindungs-assoziationskonstanten KL,a, der Bindungsdissoziationskonstanten KL,d oder dementsprechendem pKL-Wert.

KL,a = K1 KL,d =1

K1

pKL = − lg (KL,d/M) (3.21)

Die Langmuir-Freundlich-Isotherme θLF [10], [77] beschreibt nach Gleichung3.22

θLF =(KLF,a[H])bLF

1 + (KLF,a[H])bLF=

1

1 +(

KLF,d

[H]

)bLF=

1

1 + 10bLF(pcH−pKLF)(3.22)

das Bindungsverhalten mit zwei Parametern, einer mittleren Bindungsassozia-tionskonstanten KLF,a, Bindungsdissoziationskonstanten KLF,d oder ihrem loga-rithmischen Wert pKLF

KLF,a =1

KLF,d

pKLF = − lg (KLF,d/M) (3.23)

und einem Heterogenitatsparameter bLF, fur den 0 < bLF ≤ 1 gilt.5 Ebenso sinddie Allgemeine Freundlich-Isotherme θGF [77] und die Toth-Isotherme θT [53]

θGF =(1 + 10pcH−pKGF

)−bGF θT =10pKT−pcH

(1 + 10bT(pKT−pcH))1/bT

(3.25)

4Bei beliebig vielen Gruppen N pro Molekul gelten dieselben Gleichungen, wenn die Proto-nierung jeder einzelnen Gruppe vollig unabhangig ist vom Protonierungszustand aller anderenGruppen des betrachteten Molekuls (siehe Kapitel 4).

5Gewisse Werte von bLF > 1 konnen erhalten werden, wenn die Bindung starke kooperativeEffekte zeigt. Liegt beispielsweise in einem zu Schema 3.1 analogen Reaktionsschema

B + 2H BH + H BH2 (3.24)

die einfach protonierte Spezies BH im Gleichgewicht nicht vor (Zweiprotonenschritt), dann

erhalt man eine Bindungsisotherme θ = θLF mit KLF,a =√

K2 und bLF = 2.

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KAPITEL 3. THERMODYNAMIK DER PROTONIERUNG 37

einfache Funktionen mit je einer mittleren Bindungskonstanten und einem Hete-rogenitatsparameter. Solche integralen Bindungsisothermen konnen benutzt wer-den, um nach ihrer Anpassung an experimentelle Daten die gesamte Informationuber Bindungs- und Adsorptionsphanomene auf wenige Parameter (mittlere Bin-dungskonstanten und Heterogenitatsparameter) zu reduzieren.6 Damit beschrei-ben sie die Daten ohne sie zu interpretieren. Die verschiedenen parametrisiertenBindungsisothermen werden in Abbildung 3.5 dargestellt und zusammen mit denkorrespondierenden Verteilungsfunktionen diskutiert.

Uberlagerung von Bindungsisothermen

Bei komplizierten Protonierungsgleichgewichten kann es hilfreich sein, Bindungs-isothermen θ von Protonen an Polyelektrolyte als lineare Uberlagerung einfacherBindungsisothermen θ(k) zu beschreiben.

θ =∑

k

x(k)θ(k)∑

k

x(k) = 1 (3.26)

Ublich ist zum Beispiel die Uberlagerung zweier unterschiedlicher Langmuir-

Freundlich-Isothermen zur Beschreibung des Protonierungsverhaltens von Hu-minsauren [102]. Die Wichtung der beteiligten Isothermen geschieht uber Fakto-ren x(k), die in einfachen Fallen Stoffmengenanteile von solchen Substanzen oderfunktionellen Gruppen sein konnen, die einzeln durch Isothermen θ(k) beschriebenwerden.

Mischung aus schwachen Elektrolyten Die Bindungsisotherme einer Mi-schung von NB Substanzen B(k)HN(k) , deren Protonierungsgleichgewichte sich

durch N (k) kumulative konditionale Assoziationskonstanten K(k)

n beschreiben las-sen, folgt aus den Gleichungen 3.17 und 3.26.

θ =

NB∑

k=1

xk

N (k)

∑N(k)

i=0 iK(k)

i [H]i

∑N(k)

j=0 K(k)

j [H]j(3.27)

Die Stoffmengenanteile xk der einzelnen Substanzen beschreiben die Zusammen-setzung der Mischung.Eine lineare Uberlagerung der Bindungsisothermen θ(k) fur Protonen an die ein-zelnen Substanzen (Gleichung 3.18)

θ(k) = − 1

N (k)

(∂ lg Ξ(k)

∂pcH

)

p,T

(3.28)

6Bei Polyelektrolyten stimmt die maximale Anzahl N gebundener Protonen mit der Anzahleinfach protonierbarer funktioneller Gruppen im Molekul uberein. Daher konnen nur solcheIsothermen zur Beschreibung des Protonierungsgleichgewichtes von Polyelektrolyten herange-zogen werden, die eine maximale Belegung aufweisen, die nicht uberschritten werden kann (imGegensatz zur Freundlich-Isotherme [10] oder zur BET-Isotherme [75]).

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KAPITEL 3. THERMODYNAMIK DER PROTONIERUNG 38

zu der resultierenden Bindungsisotherme θ fur die Mischung bedeutet einen Pro-duktansatz fur das zugehorige binding polynomial. In der Praxis konnen gegebeneStoffmengenanteile x(k) der Mischung hinreichend genau durch rationale Zahlenausgedruckt werden,

x(k) =n(k)

∑NB

k=1 n(k)(3.29)

so daß die naturlichen Zahlen n(k) den Teilchenzahlen oder dimensionslosen Wer-ten der Stoffmengen der verschiedenen Substanzen in der Mischung proportionalsind. Damit erfullt der Produktansatz

Ξ =

NB∏

k=1

(Ξ(k)

)n(k)/N(k)

(3.30)

die folgende Beziehung.

θ = − 1∑NB

k=1 n(k)

(∂ lg Ξ

∂pcH

)

p,T

(3.31)

So kann die Bindungsisotherme fur eine Mischung aus Substanzen und fur jedeeinzelne Substanz formgleich als Ableitung eines Polynoms Ξ dargestellt werden.7

Zusammensetzung aus Langmuir-Isothermen In vielen Fallen ist die Bin-dungsisotherme θ(pcH) von Interesse, die die Bindung von Protonen an nur eineArt von Ionen in Losung beschreibt. Diese Ionen verfugen uber N protonierbareGruppen. Diese Bindungsisotherme kann nach Gleichung 3.26 als Uberlagerungvon N Langmuir-Isothermen mit dem Gewicht x(k) = 1/N beschrieben werden.

θ =1

N

N∑

k=1

θ(k)L Ξ =

N∏

k=1

ΞL(k) (3.32)

Daraus ergibt sich mit den Gleichungen 3.19 und 3.20 das Problem einer Zerle-gung des binding polynomial Ξ in Linearfaktoren.8

Ξ =N∑

n=0

Kn[H]n =N∏

k=1

ΞL(k) =

N∏

k=1

(

1 + KL,a(k)[H]

)

(3.33)

7Durch eine geeignete Wahl der Zahlen n(k) kann erreicht werden, daß alle Exponenten inGleichung 3.30 naturliche Zahlen sind. Da die Ξ(k) Polynome sind, ist dann auch Ξ ein Polynom.

8Nach dem Fundamentalsatz der Algebra hat das binding polynomial 3.11 genau N Nullstel-len (mehrfache Nullstellen werden mehrfach gezahlt). Die Zerlegung von Ξ in Linearfaktorenentspricht einer Partialbruchzerlegung von θ.

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KAPITEL 3. THERMODYNAMIK DER PROTONIERUNG 39

Jede Nullstelle [H](k) von Ξ hangt nach Gleichung 3.34

[H](k) = − 1

K(k)L,a

= −K(k)L,d k = 1, 2, . . . , N (3.34)

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KAPITEL 3. THERMODYNAMIK DER PROTONIERUNG 40

mit der gesuchten Langmuir-Konstanten zusammen.9 Die Abbildung 3.4 zeigtan einem einfachen Beispiel, wie die Zerlegung einer Bindungsisotherme in ei-ne Uberlagerung von Langmuir-Isothermen gelingt. Die Langmuir-ParameterpK

(k)L unterscheiden sich bei vielen Oligosauren nicht wesentlich von den ent-

sprechenden konditionalen pK-Werten. Die Ubereinstimmung ist umso besser,

9 Nach Gleichung 3.34 ist eine Zerlegung nach Langmuir-Typ-Funktionen nur dann phy-sikalisch sinnvoll, wenn die Nullstellen von Ξ reell und negativ sind. Sind alle Nullstellen reell,so sind sie nach der Descartesschen Zeichenregel auch alle negativ, da alle KN positiv sind.

Nach dem Satz von Vieta gelten folgende Beziehungen fur die N Nullstellen [H](k)

des binding

polynomial 3.11.

N∑

i=1

[H](i)

= −KN−1

KN

(3.35)

N∑

i<j

[H](i)

[H](j)

= +KN−2

KN

(3.36)

N∑

i<j<k

[H](i)

[H](j)

[H](k)

= −KN−3

KN

(3.37)

. . .N∏

i=1

[H](i)

=(−1)

N

KN

(3.38)

Diese Beziehungen fuhren mit den Gleichungen 3.7 und 3.34 zu dem folgenden Zusammen-hang zwischen den Dissoziationskonstanten Kd,n der N -protonigen Saure und den gesuchtenLangmuir-Dissoziationskonstanten.

Kd,1 =

N∑

i=1

K(i)L,d (3.39)

Kd,1Kd,2 =N∑

i<j

K(i)L,dK

(j)L,d (3.40)

Kd,1Kd,2Kd,3 =N∑

i<j<k

K(i)L,dK

(j)L,dK

(k)L,d (3.41)

. . .

Kd,1Kd,2 · · ·Kd,N =

N∏

i=1

K(i)L,d (3.42)

Somit konnen die konditionalen Dissoziationskonstanten einer Saure aus den Parametern eineran experimentelle Daten angepaßten Uberlagerung von Langmuir-Isothermen bestimmt wer-den. In das binding polynomial 3.11 konnen mit Gleichung 3.7 auch DissoziationskonstantenKd,n eingefuhrt werden.

Ξ = KN

(

[H]N

+ Kd,1[H]N−1

+ Kd,1Kd,2[H]N−2

+ . . .

. . . + Kd,1Kd,2 · · ·Kd,N−1[H]N−1

+ Kd,1Kd,2 · · ·Kd,N

)

(3.43)

Dann fuhrt der Satz von Vieta direkt auf die Beziehungen 3.39 bis 3.42.

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KAPITEL 3. THERMODYNAMIK DER PROTONIERUNG 41

je großer die Differenz aufeinanderfolgender pK-Werte ist. (Differieren die pK-Werte um zwei oder mehr Einheiten, so stimmen sie innerhalb der Meßgenauigkeitmit den Werten pK

(k)L uberein).

Abbildung 3.4: Anpassung durch Langmuir-IsothermenDie Bindungsisotherme fur Protonen an Tricarballylsaure (N = 3) kann durch die Uber-lagerung von drei Langmuir-Isothermen aufgebaut werden. Die zugehorigen Lang-

muir-Konstanten konnen als Losungen eines Polynoms dritten Grades nach Gleichung3.33 bestimmt werden. Mit den konditionalen pK-Werten pK1 = 3, 43; pK2 = 4, 50

und pK3 = 5, 82 findet man die Langmuir-Parameter pK(1)L = 3, 47; pK

(2)L = 4, 48

und pK(3)L = 5, 80. (Die pK-Werte beziehen sich auf Losungen bei 25oC in Anwesen-

heit von 0, 100 M Natriumchlorid als Hintergrundelektrolyt). Als rote Kurve ist dieBindungsisotherme fur Protonen an Tricarballylsaure dargestellt. Die schwarzen Kur-ven sind die mit den oben angegebenen Parametern konstruierten und mit dem Faktor1/3 gestauchten Langmuir-Isothermen. Sie sind zur besseren Ubersicht um 0, 1/3 und2/3 nach oben verschoben.

Wenn alle Langmuir-Konstanten einer N -protonigen Saure den gleichen WertKL,a haben, kann das Produkt 3.33 nach dem binomischen Satz vereinfacht wer-

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KAPITEL 3. THERMODYNAMIK DER PROTONIERUNG 42

den.

Ξ =(1 + KL,a[H]

)N=

N∑

n=0

(N

n

)

KnL,a[H]n (3.44)

Durch Koeffizientenvergleich mit Gleichung 3.11 findet man die kumulativen Kon-stanten der Polysaure und mit Gleichung 3.6 die pK-Werte dieser Saure.

Kn =

(N

n

)

KnL,a pKn = pKL − lg

N − n + 1

n(3.45)

Experimentell werden die durch Gleichung 3.45 gegebenen pK-Werte bei Elek-trolyten gefunden, deren funktionelle Gruppen raumlich so weit getrennt sind,daß sie vollig unabhangig voneinander protoniert werden konnen.10 Genugen dieexperimentell ermittelten pK-Werte nicht der Gleichung 3.45, so ist dies ein In-diz fur intramolekulare Wechselwirkungen zwischen protonierten (oder deproto-nierten) Gruppen. Solche Wechselwirkungen mussen bei den meisten schwachenElektrolyten, sowohl bei niedermolekularen Sauren und Basen als auch bei Poly-elektrolyten, berucksichtigt werden.

Langmuir-Konstanten fur eine Mischung Fur die Praxis ist der Fall in-teressant, daß nicht nur ein einziger Elektrolyt, sondern eine Mischung von NB

verschiedenen schwachen Sauren und Basen B(k)HN(k) (Puffersubstanzen, Kapitel2) in waßriger Losung vorliegt, wobei die Substanzen jeweils maximal N (k) Pro-tonen tragen konnen. Aus den bekannten pK-Werten jeder Puffersubstanz lassensich zunachst N (k) Langmuir-Parameter berechnen (durch Losen der Gleichung3.33). Die Bindungsisotherme θ(k) zu jeder einzelnen Substanz hat dann die fol-gende Form.

θ(k) =1

N (k)

N(k)∑

i=1

(

1 + 10pcH−pK(i)L

)−1

(3.46)

Intermolekulare Wechselwirkungen ausgeschlossen, beschreibt eine Bindungsiso-therme nach Gleichung 3.26 das Gleichgewicht der Bindung von Protonen imPuffergemisch (siehe auch Gleichung 3.27).

θ =

NB∑

k=1

x(k)

N (k)

N(k)∑

i=1

(

1 + 10pcH−pK(i)L

)−1

(3.47)

10Fur N = 2 Gruppen gilt pK1 = pKL − lg (2) und pK2 = pKL + lg (2). Tatsachlich weisendie beiden pK-Werte langkettiger α, ω-Dicarbonsauren die Differenz von ∆pK = 2 lg (2) ≈ 0, 6auf.

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KAPITEL 3. THERMODYNAMIK DER PROTONIERUNG 43

Insgesamt werden bei diesem Problem NS =∑NB

k=1 N (k) Langmuir-Isothermenuberlagert. Das Protonierungsverhalten der Mischung aus im allgemeinen mehr-protonigen Sauren ist daher gleich dem einer (angenommenen oder real vorlie-genden) Mischung aus NS einprotonigen Sauren (oder binding sites) in waßriger

Losung, deren Dissoziationskonstanten K(k)L,d (Gleichung 3.21) paarweise mit den

Langmuir-Parametern ubereinstimmen und die mit einem Stoffmengenanteilvon x(k) vorliegen, der der Menge der Molekule entspricht.

θ =

NS∑

k=1

x(k) [H]

[H] + K(k)L,d

(3.48)

3.1.3 Verteilungsfunktionen

Der Ansatz von Verteilungsfunktionen versucht, eine gegebene Bindungsisother-me durch die Uberlagerung von Langmuir-Isothermen unterschiedlicher Kon-stanten im Grenzfall unendlich vieler Isothermen zu beschreiben. Eine Vertei-lungsfunktion S(K) von Dissoziationskonstanten K wird uber die Beziehungen

θ([H]) =

∞∫

0

S(K)[H]

[H] + KdK

∞∫

0

S(K) dK = 1 S(K) ≥ 0 (3.49)

definiert.11 Im folgenden wird Gleichung 3.49 fur drei haufige Spezialfalle disku-tiert.

11Verteilungsfunktionen Sa(Ka) von Assoziationskonstanten Ka, S(K) von Dissoziationskon-stanten K und f(pK) von pK-Werten werden als positiv wertige Funktionen

S(K), Sa(Ka), f(pK) ≥ 0 (3.50)

durch

θ([H]) =

∞∫

0

S(K)[H]

[H] + KdK =

∞∫

0

Sa(Ka)Ka[H]

1 + Ka[H]dKa

=

∞∫

−∞

f(pK)[H]

[H] + 10−pK MdpK (3.51)

definiert. Sie sind normiert

∞∫

0

S(K) dK =

∞∫

0

Sa(Ka) dKa =

∞∫

−∞

f(pK) dpK = 1 (3.52)

und konnen uber die Beziehungen

Sa(Ka) =1

K2S(K) f(pK) = ln (10)KS(K) (3.53)

ineinander umgerechnet werden.

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KAPITEL 3. THERMODYNAMIK DER PROTONIERUNG 44

Bekannte pK -Werte Seien N diskrete Protonierungskonstanten eines Poly-elektrolyten zuganglich oder alle Protonierungskonstanten von Puffersubstanzenin einer Mischung in waßriger Losung bekannt.In beiden Fallen sind die Verteilungsfunktion S(K) von Dissoziationskonstantennach Gleichung 3.49 und die Verteilungsfunktion f(pK) von pK-Werten nachGleichung 3.51 Summen von Delta-Distributionen.

S(K) dK =

NS∑

i=1

x(i) δ(

K − K(i)L,d

)

dK (3.54)

f(pK) dpK =

NS∑

i=1

x(i) δ(

pK − pK(i)L

)

dpK (3.55)

Im Falle eines N -protonigen Polyelektrolyten ist x(i) = 1/N und NS = N , und dieLangmuir-Konstanten konnen im Prinzip nach Gleichung 3.33 bestimmt wer-den. Fur eine Mischung von Puffersubstanzen bedeutet x(i) der Stoffmengenanteilder Substanzen, durch deren pK-Werte die Langmuir-Konstante K

(i)L,d gebildet

wird.

Gegebene Bindungsisotherme Nach Gleichung 3.49 ist die Funktion y([H])

y([H]) =θ([H])

[H]=

∞∫

0

S(K)

[H] + KdK (3.56)

die Stieltjes-Transformation der Verteilungsfunktion S(K), eine doppelte La-

place-Transformation [8], [111]. Kann eine experimentell bestimmte Bindungs-isotherme durch eine parametrisierte Bindungsisotherme hinreichend genau be-schrieben werden, so kann die Verteilungsfunktion S(K) aus der formalen Um-kehrung12 der Transformation 3.56 erhalten werden.Im Falle der Langmuir-Freundlich-Isotherme 3.22, der Allgemeinen Freund-

lich-Isotherme und der Toth-Isotherme 3.25 ergeben sich die folgenden Vertei-

12Die Umkehrung der Stieltjes-Transformation 3.56 laßt sich berechnen, indem formal dieWerte K exp [±iπ] in die Funktion y eingesetzt werden.

S(K) =1

2πiy(K exp [−iπ]) − y(K exp [+iπ]) (3.57)

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KAPITEL 3. THERMODYNAMIK DER PROTONIERUNG 45

lungsfunktionen von pK-Werten [10], [53].

fLF(pK) dpK =ln (10)

π

sin (bLFπ)xbLF

1 + 2 cos (bLFπ)xbLF + x2bLFdpK

mit x = 10pK−pKLF (3.61)

fGF(pK) dpK =ln (10)

πsin (bGFπ)

(10pK−pKGF − 1

)−bGF dpK

fur pK ≥ pKGF

und fGF(pK < pKGF) = 0 (3.62)

fT(pK) dpK =ln (10)

πsin

[

b−1T arctan

(sin (bTπ)

cos (bTπ) + x−bT

)]

/(1 + 2 cos (bTπ)xbT + x2bT

)1/(2bT)dpK

mit x = 10pK−pKT

fur Werte bT und pKT mit fT(pK) ≥ 0 (3.63)

Uber Gleichung 3.49 lassen sich auch neue Anpassungsfunktionen konstruieren,indem man Verteilungsfunktionen von pK vorgibt und θ berechnet. Ein Beispielist die Gauß-formige Verteilungsfunktion fG (pK) und die zugehorige Bindungs-

(Die Zahlen K exp [±iπ] treten dabei als Basis einer Potenz auf. Da nur reelle Verteilungsfunk-tionen gesucht werden, fuhrt dies hier aber nicht zu Problemen.) Man findet

SLF(K) dK =1

πK

sin (bLFπ)(

KLF

K

)bLF

1 + 2 cos (bLFπ)(

KLF

K

)bLF

+(

KLF

K

)2bLF

dK (3.58)

SGF(K) dK =1

πKsin (bGFπ)

(K

KGF − K

)bGF

dK

fur K ≤ KGF

und SGF(K > KGF) = 0 (3.59)

ST(K) dK =1

πKsin

b−1

T arctan

sin (bTπ)

cos (bTπ) +(

KKT

)bT

/(

1 + 2 cos (bTπ)

(KT

K

)bT

+

(KT

K

)2bT)1/(2bT)

dK

fur Werte KT und bT mit ST(K) ≥ 0 (3.60)

als Verteilungsfunktionen fur Dissoziationskonstanten im Falle der Langmuir-Freundlich-Isotherme, der Allgemeinen Freundlich-Isotherme, und der Toth-Isotherme.

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KAPITEL 3. THERMODYNAMIK DER PROTONIERUNG 46

isotherme θG.

fG(pK) =1√2πσ

exp

[

−(pK − pKG)2

2σ2

]

(3.64)

θG =

∞∫

−∞

fG(pK)[H]

[H] + 10−pK MdpK (3.65)

In den Abbildungen 3.5 und 3.6 sind parametrisierte Bindungsisothermen unddie korrespondierenden Verteilungsfunktionen dargestellt. Der Parameter σ kannso gewahlt werden, daß die Steigung im Wendepunkt der Gauß-Isotherme mitder der formahnlichen Langmuir-Freundlich-Isotherme ubereinstimmt. Mitder Bedingung

(∂θLF

∂pcH

)

p,T

(pcH = pKLF)!=

(∂θG

∂pcH

)

p,T

(pcH = pKG) (3.66)

ergibt sich aus den Gleichungen 3.22 und 3.65 der folgende Zusammenhang.

− ln (10)

4bLF

!= − ln (10)

∞∫

−∞

fG(pK)10pKG−pK

(1 + 10pKG−pK)2 dpK (3.67)

Partielle Integration fuhrt auf Gleichung 3.68, die die Verbindung zwischen σ undbLF herstellt.

bLF =−4

ln (10)√

2πσ3

∞∫

−∞

x exp(

− x2

2σ2

)

1 + 10xdx (3.68)

Die Integration von Gleichung 3.68 erfolgt numerisch.In Abbildung 3.5 ist zu erkennen, daß sich die Langmuir-Freundlich- und dieGauß-Isotherme nur wenig unterscheiden, sofern die Parameter σ und bLF nachGleichung 3.68 aufeinander abgestimmt sind.An den Kurven in den Abbildungen 3.5 und 3.6 lassen sich auch einige Symmetrie-eigenschaften diskutieren. Eine spiegelsymmetrische Verteilungsfunktion f(pK)mit einer mittleren Bindungskonstanten pKm besitzt die Symmetrieeigenschaft

f(pKm + pK) = f(pKm − pK) (3.69)

und fuhrt nach Gleichung 3.51 zu einer punktsymmetrischen Bindungsisothermeθ(pcH) mit der folgenden Symmetrieeigenschaft.

θ(pKm − pcH) − θ(pKm) = θ(pKm) − θ(pKm + pcH) (3.70)

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KAPITEL 3. THERMODYNAMIK DER PROTONIERUNG 47

Abbildung 3.5: Parametrisierte BindungsisothermenZur Anpassung an experimentelle Daten werden vielfach Bindungsisothermen verwen-det, die zwei Parameter enthalten. Zum Vergleich ihres funktionalen Verlaufes sinddie Langmuir-Freundlich-Isotherme (rot), die Allgemeine Freundlich-Isotherme(blau), die Toth-Isotherme (grun) und die Gauß-Isotherme (schwarz) in Abhangig-keit des pcH-Wertes aufgetragen (Gleichungen 3.22, 3.25 und 3.65). Als Parameterwerden mittlere Bindungskonstanten pKLF = pKGF = pKT = pKG = 5 und Hete-rogenitatsparameter bLF = bGF = bT = 0, 4 gewahlt. Der Parameter σ ≈ 1, 553 derGauß-Isotherme ist nach Gleichung 3.68 berechnet.

Beispiele sind die Langmuir-Freundlich-Isotherme und die Gauß-Isotherme,wahrend die Allgemeine Freundlich- und die Toth-Isotherme diese Symmetrienicht aufweisen.Die Verteilungsfunktion der Langmuir-Freundlich-Isotherme ist der Gauß-formigen Verteilung sehr ahnlich, aber spitzer in der Umgebung ihres Maxi-mums. Die Verteilungsfunktionen der Allgemeinen Freundlich-Isotherme undder Langmuir-Freundlich-Isotherme nahern sich fur Werte pK ≫ pKLF undpK ≫ pKGF einander an, wahrend die Verteilungsfunktion der Toth-Isothermezu kleineren pK-Werten hin verschoben ist.

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KAPITEL 3. THERMODYNAMIK DER PROTONIERUNG 48

Abbildung 3.6: VerteilungsfunktionenDie Verteilungsfunktionen von pK-Werten sind fur eine Langmuir-Freundlich-Isotherme (rote Kurve), fur eine Gauß-Isotherme (schwarze Kurve), fur eine Allgemei-ne Freundlich-Isotherme (blaue Kurve) und fur eine Toth-Isotherme (grune Kurve)fur die mittleren Bindungskonstanten pKLF = pKGF = pKT = pKG = 5, mit denHeterogenitatsparametern bLF = bGF = bT = 0, 4 und mit dem Parameter σ ≈ 1, 553berechnet (Gleichungen 3.61, 3.62, 3.63 und 3.65). Die entsprechenden Bindungsiso-thermen sind in Abbildung 3.5 dargestellt.

Inversion experimenteller Daten Ist die Bindungsisotherme nur als experi-menteller Datensatz [H], θ([H]) bekannt, kann durch numerische Inversion derGleichung 3.49 eine Verteilungsfunktion von Gleichgewichtskonstanten erhaltenwerden [64], [65], [112]. Die Anpassung erfolgt so, daß sowohl die Krummung derVerteilungsfunktion (moglichst wenige Peaks) als auch die quadratische Abwei-chung der experimentellen Daten von der auf Grundlage der Ergebnisfunktionberechneten Bindungsisotherme minimiert werden (moglichst gute Anpassung).Zur Wichtung der beiden Zielvorstellungen wird ein Regularisierungsparametereingefuhrt, von dem die numerisch (in Form von Stutzstellen und deren Funk-tionswerten) dargestellte Verteilungsfunktion abhangt. Bei der numerischen Da-

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KAPITEL 3. THERMODYNAMIK DER PROTONIERUNG 49

teninversion treten Probleme bezuglich der Eindeutigkeit13 und der Interpretier-barkeit14 der Resultate [106] auf.

3.1.4 Reaktionsquotienten

Fur die fiktive Protonierungsreaktion 3.13 lassen sich formal AssoziationsquotientQa, Dissoziationsquotient Qd und pQ-Wert definieren.

Qa =[LH]

[H][L]Qd =

[H][L]

[LH]=

1

Qa

pQ = − lg (Qd/M) (3.71)

Diese Großen, oft als Maß fur die scheinbare Saurestarke (sogenannter effektiverpK-Wert) diskutiert, sind nach Gleichung 3.72 (mit Gleichungen 3.14 und 3.15)mit der Bindungsisotherme θ und dem Dissoziationsgrad α verknupft,

Qda

= [H]±1

(1 − θ

θ

)±1

= [H]±1

(1 − α

α

)∓1

(3.72)

und durch Logarithmieren folgt die Beziehung 3.73.

pQ = pcH − lg1 − θ

θ= pcH − lg

α

1 − α(3.73)

Ist die Bindungsisotherme gemaß Gleichung 3.26 eine lineare Uberlagerung vonIsothermen θ(k), fur die jeweils Reaktionsquotienten Q

(k)d bekannt sind, dann folgt

mit Gleichung 3.72 der Dissoziationsquotient der Uberlagerung.

Qd =

(∑

k

x(k)

[H] + Q(k)d

)−1

− [H] (3.74)

Wird die Bindungsisotherme als Funktion des pQ-Wertes geschrieben,

θ =[H]

[H] + Qd

=Qa[H]

1 + Qa[H]=

(1 + 10pcH−pQ

)−1(3.75)

dann hat ihre Gleichung 3.75 die gleiche Form wie die Langmuir-Isotherme 3.19.Der wesentliche Unterschied besteht darin, daß im Gegensatz zu pKL der WertpQ keine Konstante ist, sondern vom pcH-Wert abhangt. Die pcH-Abhangigkeitwird im folgenden an zwei Spezialfallen diskutiert.

13Langmuir-Typ Funktionen nach Gleichung 3.19 bilden fur verschiedene KL,a kein geschlos-senes Funktionensystem, so daß die durch numerische Inversion erhaltenen Verteilungsfunktio-nen nicht eindeutig sind. Sie andern sich zudem mit der Regularisierung.

14Sobald Wechselwirkungen zwischen Gruppen auftreten, kann die numerisch erhaltene Ver-teilungsfunktion von pK-Werten nicht mehr sinnvoll auf verschiedene chemische Eigenschaftender funktionellen Gruppen des Molekuls zuruckgefuhrt werden [99]. Man kann selbst dann einebreite Verteilungsfunktion erhalten, wenn die wechselwirkenden Gruppen von exakt der gleichenchemischen Natur sind.

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KAPITEL 3. THERMODYNAMIK DER PROTONIERUNG 50

Langmuir-Isothermen Fur die Uberlagerung von N Langmuir-Isothermen(mit Konstanten K

(k)L,d) liefert Gleichung 3.76

pQ = − lg

∏Nk=1

(

[H] + K(k)L,d

)

− [H]∑N

k=1 x(k)∏

i6=k

(

[H] + K(i)L,d

)

∑Nk=1 x(k)

i6=k

(

[H] + K(i)L,d

) M−1

(3.76)

die Abhangigkeit des Wertes pQ von der Protonenkonzentration.

Polysauren Mit den Gleichungen 3.17 und 3.73 folgt

pQ = − lg

∑Ni=0 (N − i) Ki[H]i+1

∑Nj=0 jKj[H]j

M−1

(3.77)

die Abhangigkeit des pQ-Wertes einer N -protonigen Saure von der Protonen-konzentration. Am Beispiel einiger Oligocarbonsauren wird Gleichung 3.77 inAbbildung 3.7 veranschaulicht.

Konstante pQ-Werte Von Interesse ist die Frage, unter welchen Bedingun-gen der Wert pQ des Dissoziatiosquotienten in guter Naherung unabhangig vompcH-Wert der Losung ist. Dann kann die Große Qd in geeignetem Zusammenhangals scheinbare konditionale Sauredissoziationskonstante der Oligo- und Polyelek-trolyte verwendet werden. Dies ist nach den Gleichungen 3.76 und 3.77 der Fall

1. fur N = 1 trivialerweise mit pQ = pK1 (nur eine reaktive Gruppe pro

Molekul) oder pQ = pK(1)L (nur eine Langmuir-Isotherme),

2. fur Kn =(

Nn

)Kn

L,a (nach Gleichung 3.45 fur N unabhangige Gruppen aneinem Molekul zu beschreiben mit der gleichen Langmuir-Konstanten) mitpQ = pKL,15

15Die Gleichung 3.77 laßt sich auch in der folgenden Form schreiben.

Qd

[H]= N

∑Ni=0 Ki[H]

i

∑Nj=1 jKj [H]

j− 1 (3.78)

Mit der Beziehung 3.45 tritt dann im Nenner die folgende Summe auf,

N∑

j=1

j

(N

j

)

KjL,a[H]

j=

N∑

j=1

N !

(j − 1)!(N − j)!Kj

L,a[H]j

=

N−1∑

i=0

N(N − 1)!

i!(N − 1 − i)!Ki+1

L,a [H]i+1

= NKL,a[H]

N−1∑

i=0

(N − 1

i

)

KiL,a[H]

i

= NKL,a[H](1 + KL,a[H])N−1

(3.79)

und es folgt ein konstanter Wert Qd = 1/KL,a = KL,d.

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KAPITEL 3. THERMODYNAMIK DER PROTONIERUNG 51

3. fur pcH-Werte, die weit unterhalb des kleinsten oder weit oberhalb desgroßten pK-Wertes des Systems liegen.

(a) Fur den konstanten Grenzwert folgt mit Gleichung 3.77

pQ =

pK1 + lg N fur pcH ≪ pK1

pKN − lg N fur pcH ≫ pKN(3.80)

im Falle einer Saure mit N Gruppen. Im sehr sauren Medium ist pQalso großer als der kleinste pK-Wert der Saure, und im sehr basischenBereich ist er kleiner als der großte konditionale pK-Wert der Sub-stanz.

(b) Im Falle der Uberlagerung von N Langmuir-Isothermen berechnetman mit Gleichung 3.76 die folgenden Grenzwerte fur sehr saure undsehr basische Losungen.

pQ =

− lg(∑N

k=1 x(k)K(k)L,dM

−1)

fur [H] ≫ alle K(k)L,d

+ lg(∑N

k=1 x(k)K(k)L,aM

)

fur [H] ≪ alle K(k)L,d

(3.81)

So ist der Grenzwert Qd des Dissoziationsquotienten der Uberlagerungdas arithmetische Mittel aller Langmuir-Dissoziationskonstanten (fursehr kleine pcH-Werte), und der Kehrwert des Dissoziationsquotientenist das arithmetische Mittel aller Kehrwerte der Langmuir-Konstan-ten (fur sehr hohe pcH-Werte).16

16Auch die Isotherme der Bindung von Protonen an ein Polymer mit N Gruppen kann alsUberlagerung von N Langmuir-Isothermen geschrieben werden. Dann liefern (unter Beruck-sichtigung der Beziehungen 3.39 bis 3.42) die Gleichungen 3.80 und 3.81 dasselbe Ergebnis furdie Grenzwerte von pQ.

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KAPITEL 3. THERMODYNAMIK DER PROTONIERUNG 52

Abbildung 3.7: pQ-WerteFur das Protonierungsgleichgewicht der Essigsaure (N = 1), Malonsaure (N = 2),Tricaballylsaure (N = 3) und Ditartronsaure (N = 4) sind die logarithmischen WertepQ der Dissoziationsquotienten nach Gleichung 3.77 gegen den pcH-Wert der Losungaufgetragen. Bei der Essigsaure (schwarze Linie – pK1 = 4, 56) stimmt der pQ-Wertmit dem pK-Wert uberein und ist somit unabhangig von pcH. Bei den mehrprotonigenSauren ist pQ eine Funktion der Protonenkonzentration und erreicht bei pcH-Wertenweit unterhalb des kleinsten und weit oberhalb des großten pK-Wertes der Substanzenkonstante Grenzwerte (Gleichung 3.80). Malonsaure – rote Kurve: pK1 = 2, 63; pK2 =5, 28; pQ = 2, 93 fur pcH ≪ pK1; pQ = 4, 99 fur pcH ≫ pK2; Tricarballylsaure – blaueKurve: pK1 = 3, 43; pK2 = 4, 50; pK3 = 5, 82; pQ = 3, 91 fur pcH ≪ pK1; pQ = 5, 34fur pcH ≫ pK3; Ditartronsaure – grune Kurve: pK1 = 1, 27; pK2 = 2, 33; pK3 = 3, 66;pK4 = 4, 71; pQ = 1, 87 fur pcH ≪ pK1; pQ = 4, 10 fur pcH ≫ pK4. (Alle pK-Werte[79] beziehen sich auf Losungen, die 0, 100 M Natriumchlorid als Inertsalz enthalten.)

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KAPITEL 3. THERMODYNAMIK DER PROTONIERUNG 53

3.1.5 Intrinsische Konstanten

Die scheinbare Saurestarke pQ einer N -protonigen Saure ist im allgemeinen eineFunktion des pcH-Wertes,

1. wenn mit steigendem Protonierungsgrad chemisch unterschiedliche Grup-pen bevorzugt protoniert werden,

2. wenn bei chemisch identischen Gruppen eine Anderung des Protonierungs-grades zu einer Anderung der Nettoladung des Molekuls fuhrt (bei Polycar-bonsauren und verwandten Stoffen fuhrt die Protonierung zu einer Redu-zierung der negativen Ladung, wahrend sie bei Polyaminen und verwandtenElektrolyten die positive Nettoladung erhoht).

Ist nur der letzte Fall von Bedeutung, kann das Protonierungsverhalten einigerPolyelektrolyte (insbesondere von Metalloxid-Oberflachen aber auch von hochmo-lekularen Polymeren) mit Hilfe sogenannter intrinsischer DissoziationskonstantenKintr,d beschrieben werden.

Kintr,d =[H][L]

[LH]fI exp

(

−eψ0

kT

)

pK intr = − lg (Kintr,d/M) (3.82)

In Gleichung 3.82 bedeutet ψ0 das elekrostatische Potential in unmittelbarer Naheder protonierbaren Gruppen (die bulk solution definiert den Potentialnullpunkt).fI steht fur den mittleren Aktivitatskoeffizienten fur Protonen in der Losung,e bedeutet die Elemenatarladung, die elektrische Ladung der Protonen (k undT stehen fur die Boltzmann-Konstante und die absolute Temperatur). NachGleichung 3.82 ist der Wert Kintr,d analog zu einem Dissoziationsquotienten Qd

(Gleichung 3.71) definiert, wobei die lokale Konzentration von Protonen in un-mittelbarer Nahe der reaktiven Gruppen des Polyelekrolyten eingeht.17 Die WertepQ und pK int sind uber das Potential ψ0 und den Aktivitatskoeffizienten fI ver-knupft.

pQ = pK intr + lg(fI/M

−1)− eψ0

ln (10)kT(3.85)

17Das elektrochemische Potential der Protonen hat im Gleichgewicht uberall in der Elektro-lytlosung den gleichen Wert. Mit der Protonenkonzentration [H]0 in unmittelbarer Nahe vonprotonierbaren Gruppen (elektrostatisches Potential ψ = ψ0) und der uber die Losung (ψ = 0)gemittelten Protonenkonzentration [H] gilt daher folgende Beziehung.

kT ln ([H]0/M) + eψ0 = kT ln (fI[H]) (3.83)

So ergibt sich mit der intrinsischen Konstante

Kintr,d =[L][H]0[LH]

(3.84)

die Gleichung 3.82.

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KAPITEL 3. THERMODYNAMIK DER PROTONIERUNG 54

Unter gewissen Bedingungen18 ist der Wert pK int unabhangig vom Protonie-rungszustand des betrachteten Polyions (und daher unabhangig vom pcH-Wertder Losung). Die intrinsische Konstante (logarithmischer Wert pK intr) ist bisauf die Aktivitatskorrektur lg (fI/M

−1) gleich der Langmuir-Typ-Konstanten(logarithmischer Wert pKL) des ungeladenen Molekuls mit N chemisch identi-schen Gruppen. Intrinsische Konstanten und (bei chemischer Heterogenitat vonProben) Verteilungsfunktionen von intrinsischen Konstanten [93] sind daher vomLadungszustand des Molekuls per definitionem unabhangig [87] und konnen Aus-kunft uber die chemische Natur der funktionellen Gruppen eines Polyelektrolyten[94], [136] geben.Die Beschreibung von Dissoziationsquotienten nach Gleichung 3.85 mit Hilfe in-trinsischer Konstanten und des Potentials ψ0 fuhrt zu dem Problem, den Wertψ0 des elektrostatischen Potentials in unmittelbarer Umgebung der Polyionenzu berechnen. Dieses Potential kann durch Losen der Poisson-Boltzmann-Gleichung unter Annahme einer geeigneten Symmetrie (Kugel [4], [89]; Zylinder[13], [118]; Ellipsoid [51]; Ebene [1], [103]) berechnet oder durch Simulationender Gegenionenverteilung um den Polyelektrolyten [72], [109], [116] numerischermittelt werden. Mit den berechneten Werten fur ψ0 kann dann versucht wer-den, aus experimentellen Daten intrinsische Konstanten oder Verteilungen vonsolchen Konstanten zu erhalten.

18Die Beschreibung von Protonierungsgleichgewichten mit intrinsischen Konstanten setzt dieAnwesenheit sehr vieler Gruppen pro Molekul voraus. Es handelt sich um eine mean field -Naherung, die die Realitat umso besser beschreibt, je hoher die Anzahl von Gruppen N ist[127]. Das Protonierungsgleichgewicht von Oligosauren laßt sich mit diesem Formalismus imallgemeinen nicht gut beschreiben.

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KAPITEL 3. THERMODYNAMIK DER PROTONIERUNG 55

3.2 Ergebnisse potentiometrischer Titrationen

Die Saure-Base-Titration waßriger Losungen der Polyelektrolytproben liefert ex-perimentelle Daten, aus denen Bindungsisothermen fur Protonen an die Polyionenberechnet werden konnen (Anhang B). Diese enthalten die gesamte Informationuber die Protonierungsgleichgewichte der Polyelektrolytproben, die aus potentio-metrischen Experimenten prinzipiell zuganglich ist.Potentiometrische Titrationen von Poly(methacrylsauren) sind in der Literaturseit vielen Jahren bekannt [9], [34]. In diesem Abschnitt werden neue Messungenvorgestellt, die mit Polymeren unterschiedlicher molarer Massen in Anwesenheitverschiedener Arten und Konzentrationen von Inertsalz durchgefuhrt werden. Da-bei zeigt sich, daß die Bindungsisothermen und die verwandten Funktionen despcH-Wertes nicht nur mit dem Medium varriieren (unterschiedliche Arten undKonzentrationen von Hintergrundelektrolyten), sondern sich fur niedermolekula-re und hochmolekulare Poly(methacrylsauren) auch in ihrer Form stark unter-scheiden. Fur die Diskussion der Ergebnisse konnen

”kurze“ Polyelektrolytketten

(im Experiment mit molaren Massen bis Mn = 2150 g mol−1) und”lange“ Poly-

merketten (Proben mit Molmassen ab Mn = 5760 g mol−1) unterschieden werden.Die Mischung H-PMA-303, in der Oligomere mit im Mittel drei bis vier protonier-baren Gruppen pro Molekul vorliegen, wird zu Vergleichszwecken mit untersucht.Alle Messungen werden bei 25oC und 1 bar durchgefuhrt.Die Charakteristika der verschiedenen Polyelektrolyte sind in Abschnitt 2.1.1beschrieben.

3.2.1 Bindungsisothermen fur Protonen an Polyelektrolyte

In den Abbildungen 3.9, 3.10, 3.12 und 3.13 sind die Bindungsisothermen furProtonen an Poly(methacrylsauren) unterschiedlicher Kettenlangen dargestellt.Es ist allgemein zu beobachten, daß die Isothermen fur pcH < 2, 5 und pcH > 9, 0in die Sattigungsbereiche ubergehen.Die Bindungsisothermen der Protonen werden in Gegenwart verschiedener In-ertsalze von unterschiedlicher Konzentration bestimmt. In der Reihenfolge Te-tramethylammoniumchlorid (0, 100 M), Kalium- und Natriumchlorid (0, 100 M),Kaliumchlorid (1, 00 M) und Natriumchlorid (1, 00 M) verschieben sich die pcH-Werte der halben Protonierung hin zu hoheren Protonenkonzentrationen. Die-ser Trend entspricht der Bindungsstarke der entsprechenden

”Inert“salzkationen

an die Polyionen und wird unten halbquantitativ erortert. Natrium- und Kali-umchlorid unterscheiden sich als Hintergrundelektrolyte in Konzentrationen von0, 100 M nicht signifikant in ihrem Einfluß auf die Bindung von Protonen an diePolyelektrolyte.

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KAPITEL 3. THERMODYNAMIK DER PROTONIERUNG 56

Niedermolekulare Proben

Abbildung 3.9 und 3.10 zeigt Bindungsisothermen fur Protonen an Poly(meth-acrylsauren) geringer Kettenlangen. Als typisches Beispiel ist in Abbildung 3.8die Bindungsisotherme fur Protonen an das Polymer S-PMA-1100 dargestellt,die in Anwesenheit von 0, 100 M Natriumchlorid als Inertsalz aufgenommen wird.Die experimentellen Daten lassen sich gut durch eine Langmuir-Freundlich-Isotherme beschreiben.Die in das Diagramm eingetragenen Fehlerbalken ∆′pcH geben den pcH-Bereichan, innerhalb dessen im Bereich des Meßfehlers ein vorgegebener Protonierungs-grad θ erreicht wird. Fehlerbalken ∆θ sind nicht sinnvoll, da die Werte von θauf das Intervall zwischen null und eins beschrankt sind und die Intervallgrenzenasymptotisch erreicht werden. Der Fehler ∆′pcH ruhrt zum großten Teil von derUnsicherheit im gemessenen pcH-Wert her (∆pcH = 0, 05). So ergibt sich im Falleder Isotherme in Abbildung 3.8 θ = 0, 50 fur pcH = (5, 50 ± 0, 06) und θ = 0, 98fur pcH = (3, 0 ± 0, 6). In den Sattigungsbereichen θ ≈ 1 und θ ≈ 0 ist die Stei-gung der Isotherme klein, und es ergibt sich eine große Unsicherheit ∆′pcH impcH-Wert, da in ∆′pcH der Kehrwert der Steigung eingeht. Die Fehlerberechnungist in Anhang B genauer beschrieben.Die Steigung der Isothermen ist ebenfalls in Abbildung 3.8 eingezeichnet. Sie zeigtdas fur Langmuir-Freundlich-Funktionen (Gleichung 3.22) typische Verhal-ten mit einem Minimum bei pcH = pKLF, das zu dem Wendepunkt der Isothermekorrespondiert.

(∂θ

∂pcH

)

p,T

= − ln (10) bLF

2 + 10−bLF(pcH−pKLF) + 102bLF(pcH−pKLF)(3.86)

Da es sich lediglich um die differenzierte Kurve handelt, liefert die Anpassungder Ableitungsfunktion 3.86 an die Steigung der experimentellen Daten keineneuen Informationen, sondern dient nur dem Vergleich mit den entsprechendendifferenzierten Isothermen der langen Polymerketten.Auch die Bindungsisothermen fur Protonen an die anderen kurzkettigen Poly-ionen konnen gut durch Langmuir-Freundlich-Isothermen beschrieben wer-den. In Tabelle 3.1 sind die Parameter pKLF und die Heterogenitatsparameter bLF

der nach Gleichung 3.22 an die experimentell erhaltenen Isothermen angepaßtenFunktionen fur die kurzen Polyelektrolytketten zusammengestellt. Mit Ausnahmedes Oligomerengemisches H-PMA-303 findet man eine deutliche Abhangigkeit derParameter von der Art und der Konzentration des Hintergrundelektrolyten. DiepKLF-Werte nehmen von Tetramethylammoniumchlorid (0, 100 M) uber Kalium-und Natriumchlorid (0, 100 M) sowie Kaliumchlorid (1, 00 M) ab, und sie errei-chen fur Natriumchlorid (1, 00 M) ihr Minimum. Die Heterogenitatsparameter bLF

andern sich ebenfalls systematisch mit dem Inertsalz und seiner Konzentration.Die bLF-Werte nehmen in der Reihenfolge zu, wie die Parameter pKLF abnehmen.

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KAPITEL 3. THERMODYNAMIK DER PROTONIERUNG 57

Bei pcH = pKLF liegen nach Gleichung 3.14 und 3.22 genau die Halfte allerGruppen protoniert vor. Mit den erhaltenen Werten 5 < pKLF < 6 handelt es sichbei den untersuchten kurzkettigen PMA-Proben um schwache Polyelektrolyte.(Zu den starken Polyelektrolyten zahlt zum Beispiel Sulfatlatex [135], der bereitsin schwach saurer Losung nahezu vollstandig deprotoniert ist.) Diese Eigenschaftwird fur viele Polyelektrolyte, die Carboxygruppen tragen, gefunden. So zeigenzum Beispiel Polygalacturonsauren (Mw = 17000 g mol−1, Carboxylatgruppen zu30% methoxyliert) in inertsalzfreiem Medium Werte von pKLF = 3, 85 [137].Ein Heterogenitatsparameter bLF = 1 fuhrt nach Gleichung 3.22 zur Langmuir-Isotherme 3.19. Fur die hier untersuchten Polyelektrolyte werden jedoch Hetero-genitatsparameter 0, 4 < bLF ≤ 0, 7 erhalten. Das Protonierungsverhalten weichtalso stark vom Langmuir-Verhalten ab, obwohl die Polyionen ausschließlich che-misch gleiche ionisierbare Gruppen tragen. Es handelt sich offenbar um einenEffekt der Wechselwirkung zwischen diesen Gruppen, der nur auf mikroskopi-scher Ebene sinnvoll diskutiert werden kann (Kapitel 4). Der Vergleich mit ande-ren Polycarboxylaten zeigt, daß ein großerer Abstand funktioneller Gruppen aufder Polymerkette zu einer Erhohung des Heterogenitatsparameters fuhrt. ZumBeispiel wird fur die oben erwahnte Polygalacturonsaure ein Wert bLF = 0, 90bestimmt, und selbst eine Langmuir-Anpassung mit bLF = 1, 0 beschreibt dieexperimentellen Daten noch recht gut.Die Probe H-PMA-303 enthalt unterschiedliche Oligomere in unbekanntem Mi-schungsverhaltnis (Polydispersitat D = 1, 22). Aus diesem Grund liefert die An-passung von drei oder vier Gleichgewichtskonstanten nach Gleichung 3.17 andie experimentell bestimmten Bindungsisothermen keine verlaßlichen pK-Werte.Dagegen beschreibt eine Langmuir-Freundlich-Isotherme die experimentellenDaten recht gut.

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KAPITEL 3. THERMODYNAMIK DER PROTONIERUNG 58

Abbildung 3.8: Niedermolekulare Poly(methacrylsaure)Das obere Bild zeigt die Bindungsisotherme θ(pcH) fur Protonen an S-PMA-1100(schwarze Punkte) als ein Beispiel fur eine niedermolekulare Poly(methacrylsaure). DieSteigung θ′ = (∂θ/∂pcH)p,T ist ebenfalls dargestellt (rote Punkte). Die Daten beziehensich auf 25oC und 0, 100 M Natriumchlorid als Inertsalz. Exemplarisch sind Fehlerbal-ken fur zwei pcH-Werte eingetragen, die im Text diskutiert werden. Im unteren Bild istdie Anpassung einer Langmuir-Freundlich-Isotherme an die experimentellen Datendargestellt (Parameter pKLF = 5, 48 und bLF = 0, 52).

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KAPITEL 3. THERMODYNAMIK DER PROTONIERUNG 59

H-PMA-303 pKLF bLF pQ(θ → 1)(TMA)Cl (0, 100 M) 5, 15 ± 0, 05 0, 66 ± 0, 05 4, 7 ± 0, 2KCl (0, 100 M) 5, 07 ± 0, 05 0, 67 ± 0, 06 4, 5 ± 0, 2NaCl (0, 100 M) 5, 09 ± 0, 06 0, 66 ± 0, 06 4, 6 ± 0, 2KCl (1, 00 M) 5, 02 ± 0, 05 0, 62 ± 0, 06 4, 8 ± 0, 2NaCl (1, 00 M) 5, 00 ± 0, 05 0, 63 ± 0, 05 4, 9 ± 0, 2

S-PMA-1100 pKLF bLF pQ(θ → 1)(TMA)Cl (0, 100 M) 5, 63 ± 0, 07 0, 49 ± 0, 08 4, 9 ± 0, 2KCl (0, 100 M) 5, 50 ± 0, 05 0, 50 ± 0, 06 4, 6 ± 0, 2NaCl (0, 100 M) 5, 48 ± 0, 05 0, 52 ± 0, 06 4, 6 ± 0, 2KCl (1, 00 M) 5, 25 ± 0, 05 0, 65 ± 0, 05 4, 7 ± 0, 2NaCl (1, 00 M) 5, 20 ± 0, 05 0, 71 ± 0, 05 4, 7 ± 0, 2

H-PMA-1210 pKLF bLF pQ(θ → 1)(TMA)Cl (0, 100 M) 5, 81 ± 0, 07 0, 46 ± 0, 06 4, 9 ± 0, 2KCl (0, 100 M) 5, 65 ± 0, 05 0, 49 ± 0, 07 4, 8 ± 0, 2NaCl (0, 100 M) 5, 61 ± 0, 05 0, 52 ± 0, 06 4, 8 ± 0, 2KCl (1, 00 M) 5, 28 ± 0, 06 0, 62 ± 0, 05 4, 8 ± 0, 2NaCl (1, 00 M) 5, 21 ± 0, 05 0, 69 ± 0, 05 4, 9 ± 0, 2

H-PMA-2150 pKLF bLF pQ(θ → 1)(TMA)Cl (0, 100 M) 5, 98 ± 0, 05 0, 48 ± 0, 05 5, 0 ± 0, 2KCl (0, 100 M) 5, 80 ± 0, 06 0, 51 ± 0, 06 4, 8 ± 0, 2NaCl (0, 100 M) 5, 78 ± 0, 05 0, 55 ± 0, 05 4, 8 ± 0, 2KCl (1, 00 M) 5, 42 ± 0, 06 0, 63 ± 0, 05 4, 8 ± 0, 2NaCl (1, 00 M) 5, 39 ± 0, 05 0, 70 ± 0, 05 4, 9 ± 0, 2

Tabelle 3.1: Titrationsverhalten kurzkettiger PolymerprobenDie Bindungsisothermen fur Protonen an kurzkettige Poly(methacrylsauren) konnengut durch Langmuir-Freundlich-Isothermen beschrieben werden. Die Anpassungder Funktion 3.22 an die experimentellen Daten liefert zwei Parameter pKLF und bLF.(TMA)Cl steht fur Tetramethylammoniumchlorid. Zur Diskussion von Dissoziations-quotienten in Abschnitt 3.2.2 ist die Extrapolation des pQ-Wertes auf vollstandigeProtonierung ebenfalls tabelliert. Alle Werte beziehen sich auf 25oC.

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KAPITEL 3. THERMODYNAMIK DER PROTONIERUNG 60

Abbildung 3.9: Bindungsisothermen (1)Die Bindungsisothermen fur Protonen bei 25oC an das Oligomerengemisch H-PMA-303 und an die kurzkettige Poly(methacrylsaure) S-PMA-1100 sind fur unterschiedlicheHintergrundelektrolyte dargestellt (0, 100 M Tetramethylammoniumchlorid – schwarzePunkte; 0, 100 M Kaliumchlorid – rote Punkte; 0, 100 M Natriumchlorid – blaue Punkte;1, 00 M Kaliumchlorid – rote Dreiecke; 1, 00 M Natriumchlorid – blaue Dreiecke).

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KAPITEL 3. THERMODYNAMIK DER PROTONIERUNG 61

Abbildung 3.10: Bindungsisothermen (2)Die Bindungsisothermen fur Protonen bei 25oC an die kurzkettigen Poly(methacryl-sauren) H-PMA-1210 und H-PMA-2150 sind fur unterschiedliche Hintergrundelektro-lyte dargestellt (0, 100 M Tetramethylammoniumchlorid – schwarze Punkte; 0, 100 MKaliumchlorid – rote Punkte; 0, 100 M Natriumchlorid – blaue Punkte; 1, 00 M Kali-umchlorid – rote Dreiecke; 1, 00 M Natriumchlorid – blaue Dreiecke).

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KAPITEL 3. THERMODYNAMIK DER PROTONIERUNG 62

Hochmolekulare Proben

Die experimentell bestimmten Bindungsisothermen fur Protonen an die”langen“

Polymerketten sind in Abbildung 3.12 und 3.13 dargestellt. Abbildung 3.11 zeigtdie bei Messungen mit dem Polymer S-PMA-63300 in Gegenwart von 0, 100 MNatriumchlorid erhaltene Bindungsisotherme als ein typisches Beispiel fur dasVerhalten einer hochmolekularen Poly(methacrylsaure).Die Daten lassen sich nicht angemessen mit Langmuir-Freundlich-Isothermenoder anderen integralen Bindungsisothermen mit wenigen Parametern (Gleichung3.25) beschreiben. Die Isothermen zeigen auch nicht naherungsweise einen ein-fachen sigmoiden Verlauf im Gegensatz zu den kurzkettigen Proben. Vielmehrtritt im Bereich zwischen pcH = 5, 5 und pcH = 6, 0 ein neues Phanomen auf,das an der Ableitung (∂θ/∂pcH)p,T klar zu erkennen ist. Diese andert sich bei ei-ner kritischen Protonenkonzentration (pcH = pcHc) so stark mit dem pcH-Wert,daß man innerhalb der Meßgenauigkeit von einer nicht stetig differenzierbarenIsothermen sprechen kann.Die Werte pcHc und θc = θ(pcH = pcHc) konnen fur alle langkettigen Poly(meth-acrylsauren) aus der Ableitungsfunktion (∂θ/∂pcH)p,T bestimmt werden. Die Er-gebnisse sind in in Tabelle 3.2 zusammengestellt.Es ist auffallig, daß unabhangig von der molaren Masse der Polymere der pcHc-Wert zu einer kritischen (De)protonierung der Polyionen korrespondiert.

θc = (0, 60 ± 0, 05) fur 0, 100 M Tetramethylammoniumchlorid

θc = (0, 55 ± 0, 05) fur 0, 100 M Kalium- oder Natriumchlorid

θc = (0, 40 ± 0, 05) fur 1, 00 M Kalium- oder Natriumchlorid

Je starker die Kationen der Hintergrundelektrolyte an das Polymer binden, destoweiter konnen die Polyionen deprotoniert werden, ehe innerhalb der Meßgenauig-keit eine Unstetigkeit in der Ableitungsfunktion der Isothermen beobachtet wird.Abschnittsweise entsprechen die experimentellen Daten jeweils einer Langmuir-Freundlich-Isothermen, sofern der pcH-Wert hinreichend weit von pcHc ent-fernt ist (Abbildung 3.11 unten). Die gesamte Bindungsisotherme kann jedoch we-der durch eine gewichtete Uberlagerung dieser beiden Langmuir-Freundlich-Isothermen noch durch die Uberlagerung anderer stetig differenzierbarer Funk-tionen gemaß Gleichung 3.26 beschrieben werden. In Abschnitt 3 ist dargestellt,wie die Annahme der schrittweisen Protonierung von Makrospezies zu einer Bin-dungsisotherme fur Protonen an Polyelektrolyte fuhrt, die unabhangig von derAnzahl N protonierbarer Gruppen pro Polyion durch eine Uberlagerung von NLangmuir-Isothermen aufgebaut werden kann und somit stetig differenzierbarist. Fur die Protonierungsgleichgewichte der Poly(methacrylsauren) hoher mola-rer Massen stoßt die Beschreibung mit Makrospezies und Makrokonstanten anihre Grenzen. (Nach Gleichung 3.18 ist die Ableitung der Bindungsisothermen –die zweite Ableitung des binding polynomial – stetig, solange kumulative Asso-ziationskonstanten fur die schrittweise Protonierung definiert sind.)

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KAPITEL 3. THERMODYNAMIK DER PROTONIERUNG 63

Aus ahnlichen Grunden ist auch eine Analyse der Bindungsisothermen zur Be-stimmung von Verteilungsfunktionen f(pK) nicht sinnvoll. Nach Gleichung 3.49konnen stetige Verteilungsfunktionen nur zu stetig differenzierbaren Isothermenfuhren, die den experimentellen Ergebnissen nicht angepaßt sind. (Eine CONTIN-Analyse der Isothermen ergibt eine bimodale Verteilungsfunktion, die der ab-schnittsweisen Anpassung von zwei Langmuir-Freundlich-Isothermen mit un-terschiedlichen pKLF-Parametern aber sehr ahnlichen Heterogenitatsparameternentspricht).

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KAPITEL 3. THERMODYNAMIK DER PROTONIERUNG 64

Abbildung 3.11: Hochmolekulare Poly(methacrylsaure)Das obere Bild zeigt die Bindungsisotherme θ(pcH) fur Protonen an S-PMA-63300(schwarze Punkte) als ein Beispiel fur eine hochmolekulare Poly(methacrylsaure). DieSteigung θ′ = (∂θ/∂pcH)p,T ist ebenfalls dargestellt (rote Punkte). Die Daten beziehensich auf 25oC und 0, 100 M Natriumchlorid als Inertsalz. Im unteren Bild sind zweiLangmuir-Freundlich-Isothermen an die Meßpunkte angepaßt. Diese Kurven be-schreiben die Daten abschnittsweise fur pcH ≫ pcHc und fur pcH ≪ pcHc. Fur die blaueingezeichnete Kurve ist der Parameter pKLF = 5, 70 und fur die rote pKLF = 6, 15eingesetzt. In beiden Kurven sind die gleichen Heterogenitatsparameter bLF = 0, 60verwendet.

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KAPITEL 3. THERMODYNAMIK DER PROTONIERUNG 65

H-PMA-5760 pcHc θc pQ(θ → 1)(TMA)Cl (0, 100 M) 5, 9 ± 0, 2 0, 50 ± 0, 05 4, 8 ± 0, 2KCl (0, 100 M) 5, 6 ± 0, 2 0, 60 ± 0, 05 5, 0 ± 0, 2NaCl (0, 100 M) 5, 6 ± 0, 2 0, 57 ± 0, 05 4, 8 ± 0, 2KCl (1, 00 M) 5, 8 ± 0, 3 0, 4 ± 0, 1 4, 7 ± 0, 1NaCl (1, 00 M) 5, 7 ± 0, 3 0, 4 ± 0, 1 4, 8 ± 0, 2

H-PMA-11300 pcHc θc pQ(θ → 1)(TMA)Cl (0, 100 M) 5, 9 ± 0, 2 0, 57 ± 0, 05 5, 0 ± 0, 1KCl (0, 100 M) 5, 8 ± 0, 2 0, 54 ± 0, 06 5, 1 ± 0, 2NaCl (0, 100 M) 5, 7 ± 0, 2 0, 53 ± 0, 06 4, 9 ± 0, 3KCl (1, 00 M) 5, 7 ± 0, 4 0, 4 ± 0, 1 4, 8 ± 0, 2NaCl (1, 00 M) 5, 5 ± 0, 2 0, 42 ± 0, 05 4, 9 ± 0, 2

H-PMA-63300 pcHc θc pQ(θ → 1)(TMA)Cl (0, 100 M) 5, 8 ± 0, 2 0, 60 ± 0, 05 5, 2 ± 0, 2KCl (0, 100 M) 5, 8 ± 0, 2 0, 54 ± 0, 05 5, 0 ± 0, 2NaCl (0, 100 M) 5, 8 ± 0, 2 0, 54 ± 0, 05 5, 0 ± 0, 2KCl (1, 00 M) 5, 8 ± 0, 2 0, 41 ± 0, 05 4, 6 ± 0, 2NaCl (1, 00 M) 5, 6 ± 0, 2 0, 41 ± 0, 05 4, 9 ± 0, 2

H-PMA-58900 pcHc θc pQ(θ → 1)(TMA)Cl (0, 100 M) 5, 7 ± 0, 2 0, 62 ± 0, 05 5, 1 ± 0, 2KCl (0, 100 M) 5, 8 ± 0, 3 0, 56 ± 0, 08 5, 1 ± 0, 2NaCl (0, 100 M) 5, 7 ± 0, 2 0, 56 ± 0, 07 5, 0 ± 0, 2KCl (1, 00 M) 5, 7 ± 0, 3 0, 41 ± 0, 08 4, 7 ± 0, 2NaCl (1, 00 M) 5, 6 ± 0, 2 0, 43 ± 0, 05 4, 9 ± 0, 2

Tabelle 3.2: Titrationsverhalten langkettiger PolymerprobenDie Bindungsisothermen θ(pcH) fur Protonen an langkettige Poly(methacrylsauren)andern in der Umgebung bestimmter Punkte (pcHc, θc) ihre Steigung sehr stark. Nebenden kritischen Werten pcHc und θc ist zur Diskussion von Dissoziationsquotienten inAbschnitt 3.2.2 auch die Extrapolation des pQ-Wertes auf vollstandige Protonierungtabelliert. (TMA)Cl steht fur Tetramethylammoniumchlorid. Alle Werte beziehen sichauf 25oC.

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KAPITEL 3. THERMODYNAMIK DER PROTONIERUNG 66

Abbildung 3.12: Bindungsisothermen (3)Die Bindungsisothermen fur Protonen bei 25oC an die langkettigen Poly(methacryl-sauren) H-PMA-5760 und H-PMA-11300 sind fur unterschiedliche Hintergrundelektro-lyte dargestellt (0, 100 M Tetramethylammoniumchlorid – schwarze Punkte; 0, 100 MKaliumchlorid – rote Punkte; 0, 100 M Natriumchlorid – blaue Punkte; 1, 00 M Kali-umchlorid – rote Dreiecke; 1, 00 M Natriumchlorid – blaue Dreiecke).

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KAPITEL 3. THERMODYNAMIK DER PROTONIERUNG 67

Abbildung 3.13: Bindungsisothermen (4)Die Bindungsisothermen fur Protonen bei 25oC an die langkettigen Poly(methacrylsau-ren) S-PMA-63300 und H-PMA-58900 sind fur unterschiedliche Hintergrundelektrolytedargestellt (0, 100 M Tetramethylammoniumchlorid – schwarze Punkte; 0, 100 M Kali-umchlorid – rote Punkte; 0, 100 M Natriumchlorid – blaue Punkte; 1, 00 M Kaliumchlo-rid – rote Dreiecke; 1, 00 M Natriumchlorid – blaue Dreiecke).

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KAPITEL 3. THERMODYNAMIK DER PROTONIERUNG 68

3.2.2 Dissoziationsquotienten

Die logarithmischen Werte pQ des Dissoziationsquotienten Qd (Gleichung 3.71)werden als ein Maß fur die Saurestarke von Polyelektrolyten diskutiert [68]. Wiein Abschnitt 3.1 gezeigt, sind diese Großen im allgemeinen Funktionen des pcH-Wertes und des Protonierungsgrades. Im Falle nur weniger Gruppen pro Molekulerreicht pQ konstante Werte, wenn der pcH-Wert der Losung hinreichend geringoder hinreichend hoch ist. Fur die untersuchten Polymerproben ist pQ in denAbbildungen 3.14, 3.15, 3.18 und 3.19 gegen den Deprotonierungsgrad (1 − θ)sowie in den Abbildungen 3.16, 3.17, 3.20 und 3.21 gegen den pcH-Wert derLosung aufgetragen.1

Infolge des großen Fehlers in der Bindungsisotherme fur sehr hohe und sehr gerin-ge Protonierungsgrade, ist nach Gleichung 3.73 auch der pQ-Wert fur θ ≈ 1 undθ ≈ 0 mit einem großen Fehler behaftet. pQ-Werte fur θ < 0, 10 und θ > 0, 90(und fur die entsprechenden pcH-Werte, bei denen diese Protonierungsgrade er-reicht werden) sollten daher nicht diskutiert werden.

Niedermolekulare Proben

Die pQ-Werte fur kurzkettige Polyelektrolyte sind in Abbildung 3.14 und 3.15gegen den Deprotonierungsgrad (1 − θ), in Abbildung 3.16 und 3.16 gegen denpcH-Wert aufgetragen.Bei allen niedermolekularen Poly(methacrylsauren) steigen die Kurven pQ sowohlmit dem Deprotonierungsgrad (1 − θ) als auch mit dem pcH-Wert streng monotonund naherungsweise linear an. Die scheinbare Saurestarke der Polyelektrolytesinkt also mit zunehmender Deprotonierung; die partiell protonierten Polyionensind Ampholyte, deren Saurestarke mit dem Protonierungsgrad zunimmt.Da sich die Bindungsisothermen der niedermolekularen Poly(methacrylsauren)gut mit Langmuir-Freundlich-Isothermen beschreiben lassen, wird nach Glei-chung 3.22 und 3.71 eine lineare Abhangigkeit des pQ-Wertes von pcH erwartet.

pQ = pKLF + (1 − bLF)pcH (3.88)

Im Falle von Langmuir-Isothermen ist pQ = pKL unabhangig von der Kon-zentration an Protonen. Von diesem Verhalten sind die Auftragungen fur alleuntersuchten Polyelektrolyte weit entfernt.

1Solche Auftragungen konnen als nichtlineare Scatchard-plots [11] verstanden werden,wobei die bindende Spezies das Proton ist. Im allgemeinen wird θ/[H] gegen θ aufgetragen(Gleichung 3.72),

θ

[H]= −Qaθ + Qa (3.87)

und in dem Fall, daß Qa pcH-unabhangig ist, erhalt man eine Gerade, deren Steigung und derenAbschnitt durch die entsprechende konditionale Assoziationskonstante bestimmt sind.

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KAPITEL 3. THERMODYNAMIK DER PROTONIERUNG 69

Auch bei dem Oligomerengemisch H-PMA-303 steigt im pcH-Bereich zwischenpcH = 4 und pcH = 7 der pQ-Wert in etwa linear sowohl mit dem pcH-Wertals auch mit dem Deprotonierungsgrad (1 − θ). Der Einfluß der Art und derKonzentration von Inertsalz ist gering, bei gegebenem pcH unterscheiden sich diepQ-Werte um weniger als 0, 1 Einheiten. Jedoch ist der Einfluß von Inertsalz aufdie Bindungsisothermen von Protonen an die Polymeren (ab S-PMA-1100) sehrviel großer als bei dem Oligomerengemisch.Nach Gleichung 3.88 hangt der pQ-Wert umso starker vom pcH-Wert der Losungab, je mehr der Heterogenitatsparameter bLF von eins abweicht. Der Wert pQvariiert umso weniger mit pcH, je besser die Kationen der Hintergrundelektroly-te die Ladungen der deprotonierten Gruppen abzuschirmen vermogen. Entspre-chend den bLF-Parametern nehmen die Steigungen im pQ-pcH-Diagramm fur alleniedermolekularen Polyelektrolyte von Tetramethylammoniumchlorid (0, 100 M)uber Kalium- und Natriumchlorid (0, 100 M), Kaliumchlorid (1, 00 M) bis Natri-umchlorid einer Konzentration von 1, 00 M ab. Dadurch, daß die Kationen derHintergrundelektrolyte in dieser Reihenfolge mit Protonen zunehmend starkerum die Besetzung deprotonierter Gruppen konkurrieren, nimmt die scheinba-re Saurestarke der Polyelektrolyte zu. Tetramethylammoniumionen binden amschwachsten an die Polyionen; Kalium- und Natriumionen unterscheiden sich inihrem Effekt auf die Protonenbindung nur, wenn sie in der Konzentration 1, 00 Mvorliegen.Die lineare Extrapolation von pQ auf einen Protonierungsgrad von θ = 1 ergibtim pQ-(1 − θ)-Diagramm Grenzwerte pQ(θ → 1), die ebenfalls in Tabelle 3.1 ein-getragen sind. Eine vollstandige Protonierung fuhrt im Falle der Polycarboxylatezu einer elektrischen Ladung von null. Entsprechend stimmt dann das Potentialin unmittelbarer Nahe der ionisierbaren Gruppen mit dem Potential der bulk so-

lution uberein, und die Grenzwerte pQ(θ → 1) sind nach Gleichung 3.85 mit denintrinsischen Konstanten fur die ionisierbaren Gruppen der Polymere verknupft.

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KAPITEL 3. THERMODYNAMIK DER PROTONIERUNG 70

Abbildung 3.14: pQ-(1 − θ)-Auftragung (1)Fur die Oligomerenmischung H-PMA-303 und die kurzkettige Poly(methacrylsaure) S-PMA-1100 ist die Abhangigkeit des pQ-Wertes vom Deprotonierungsgrad (1 − θ) furunterschiedliche Hintergrundelektrolyte dargestellt (0, 100 M Tetramethylammonium-chlorid – schwarze Punkte; 0, 100 M Kaliumchlorid – rote Punkte; 0, 100 M Natrium-chlorid – blaue Punkte; 1, 00 M Kaliumchlorid – rote Dreiecke; 1, 00 M Natriumchlorid– blaue Dreiecke).

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KAPITEL 3. THERMODYNAMIK DER PROTONIERUNG 71

Abbildung 3.15: pQ-(1 − θ)-Auftragung (2)Fur die kurzkettigen Poly(methacrylsauren) H-PMA-1210 und H-PMA-2150 ist dieAbhangigkeit des pQ-Wertes vom Deprotonierungsgrad (1 − θ) fur unterschiedlicheHintergrundelektrolyte dargestellt (0, 100 M Tetramethylammoniumchlorid – schwarzePunkte; 0, 100 M Kaliumchlorid – rote Punkte; 0, 100 M Natriumchlorid – blaue Punkte;1, 00 M Kaliumchlorid – rote Dreiecke; 1, 00 M Natriumchlorid – blaue Dreiecke).

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KAPITEL 3. THERMODYNAMIK DER PROTONIERUNG 72

Abbildung 3.16: pQ-pcH-Auftragung (1)Fur die Oligomerenmischung H-PMA-303 und die kurzkettige Poly(methacrylsaure)S-PMA-1100 ist die Abhangigkeit des pQ-Wertes vom pcH-Wert fur unterschiedlicheHintergrundelektrolyte dargestellt (0, 100 M Tetramethylammoniumchlorid – schwarzePunkte; 0, 100 M Kaliumchlorid – rote Punkte; 0, 100 M Natriumchlorid – blaue Punkte;1, 00 M Kaliumchlorid – rote Dreiecke; 1, 00 M Natriumchlorid – blaue Dreiecke).

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KAPITEL 3. THERMODYNAMIK DER PROTONIERUNG 73

Abbildung 3.17: pQ-pcH-Auftragung (2)Fur die kurzkettigen Poly(methacrylsauren) H-PMA-1210 und H-PMA-2150 ist dieAbhangigkeit des pQ-Wertes vom pcH-Wert fur unterschiedliche Hintergrundelektro-lyte dargestellt (0, 100 M Tetramethylammoniumchlorid – schwarze Punkte; 0, 100 MKaliumchlorid – rote Punkte; 0, 100 M Natriumchlorid – blaue Punkte; 1, 00 M Kali-umchlorid – rote Dreiecke; 1, 00 M Natriumchlorid – blaue Dreiecke).

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KAPITEL 3. THERMODYNAMIK DER PROTONIERUNG 74

Gegenionenbindung Halbquantitativ kann der Einfluß des Inertsalzes auf dieProtonierung mit der Bindung der Inertsalzkationen an die Polyionen erklart wer-den. Diese treten zu den Protonen in Konkurrenz um die Besetzung der deproto-nierten Gruppen. Im Falle der Polycarboxylate sind die deprotonierten Gruppenelektrisch negativ geladen und die protonierten ungeladen. Daher ist die Kon-kurrenz zwischen Protonen und Kationen aus dem Hintergrundelektrolyten weitstarker als bei Polymeren, die Aminogruppen (ungeladen im deprotonierten Zu-stand) als funktionelle Gruppen enthalten.Die Konkurrenz von Protonen und Inertsalzkationen um die Reaktion mit de-protonierten Gruppen kann im Rahmen eines gegenuber Schema 3.13 erweitertenReaktionsschemas diskutiert werden.

L + H LH

L + M LM (3.89)

Wie bei der Protonenbindung wird auch die Bindung von Kationen M (zum Bei-spiel Alkaliionen) an das Polymer nicht durch eine einzige konditionale Gleichge-wichtskonstante, sondern durch einen (konzentrationsabhangigen) Assoziations-quotienten Qa,M beschrieben.

Qa,M =[LM]

[L][M]≈ [LM]

[L]Mtot

(3.90)

(Da der Hintergrundelektrolyt im Uberschuß vorliegt, stimmt die Konzentration[M] in guter Naherung mit der Gesamtkonzentration Mtot an Alkaliionen uberein.)Nach Schema 3.89 konnen die ionisierbaren Gruppen der Polyelektrolyte entwederprotoniert (LH), mit Metallionen abgesattigt (LM) oder frei (L) vorliegen. DieMengenbilanz

Ltot = [LH] + [LM] + [L] (3.91)

fordert eine konstante Summe der Konzentrationen dieser drei Arten von Grup-pen. Auch mit dem erweiterten Schema behalten die in Abschnitt 3.1.2 uber dieStoffmengenbilanz 3.14 eingefuhrten Gleichungen ihre Gultigkeit, wenn dort [L]durch (Ltot − [LH]) ersetzt wird.Die Auswertung potentiometrischer Titrationen (Anhang B) liefert die Konzen-tration Ltot an protonierbaren Gruppen insgesamt und fur jeden pcH-Wert dieKonzentration [LH] an protonierten Gruppen LH. Wahrend in 23Na-Kernreso-nanz-Experimenten [74] die Bindung von Natriumionen an Polyelektrolyte be-obachtet werden kann, kann bei potentiometrischen Messungen nur die Summe([LM] + [L]) bestimmt werden. Die erhaltenen Bindungsisothermen θ(pcH,Mtot)fur Protonen an Polyionen sind von der Art und der Konzentration des Inertsalzesabhangig. Die Dissoziationsquotienten Qd(pcH,Mtot) fur die Protonierungsreak-tion sind mit Gleichung 3.75 ebenfalls experimentell zuganglich in der folgenden

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KAPITEL 3. THERMODYNAMIK DER PROTONIERUNG 75

Definition.

Qd(pcH,Mtot) =(Ltot − [LH])[H]

[LH](3.92)

Fur die Bindungsisotherme der Protonen ergibt sich daraus die folgende Bezie-hung,

θ(pcH,Mtot) =[H]

[H] + Qd(pcH,Mtot)(3.93)

und bei Anwesenheit von Inertsalzkationen der Konzentration Mtot gilt formaldie folgende Gleichung.

Qd(pcH,Mtot) = Qd(pcH,Mtot = 0) · 1 + MtotQa,M(pcH,Mtot) (3.94)

Die experimentellen Ergebnisse zeigen, daß sich die Bindungsisothermen fur Pro-tonen an kurzkettige Polyelektrolyte gut mit Langmuir-Freundlich-Isother-men anpassen lassen. Am Wendepunkt dieser Isothermen ist Qd = [H] undpKLF = pcH erfullt. Fur zwei verschiedene Arten oder Konzentrationen Mtot,1

und Mtot,2 an Inertsalz werden unterschiedliche Werte pcH1 bzw. pcH2 gefunden,bei denen θ = 1/2 erreicht wird. Fur die korrespondierenden pKLF-Parameterergibt sich daher die folgende Differenz.

∆pKLF = pKLF(Mtot,2)−pKLF(Mtot,1) ≈ lg1 + Mtot,1Qa,M(Mtot,1, pcH)

1 + Mtot,2Qa,M(Mtot,2, pcH)(3.95)

In Gleichung 3.95 ist die pcH-Abhangigkeit des Dissoziationsquotienten Qd imVergleich zur Inertsalzabhangigkeit von pKLF vernachlassigt. Qualitativ ist zuerkennen, daß mit zunehmendem Wert von Qa,M und mit zunehmender Konzen-tration Mtot die pKLF-Parameter zu geringeren Werten verschoben werden.Unter der Annahme, daß die Wechselwirkung der Inertsalzkationen mit den Po-lyionen von elektrostatischer Natur ist, sind die Werte von Qa,M im wesentlichendurch den Abstand der Ionen bestimmt. Die Radien der solvatisierten Kationennehmen von Kaliumionen uber Natriumionen zu Tetramethylammoniumionen zu[29]. Dementsprechend wird beobachtet, daß die pKLF-Werte in dieser Reihen-folge abnehmen.2 Mit dem erweiterten Reaktionsschema 3.89 lassen sich also diebeobachteten Trends erklaren, wohingegen eine quantitative Auswertung nichtmoglich ist.

2Bei Zunahme der Konzentration von 0, 100M auf 1, 00M Natriumchlorid wird bei den nie-dermolekularen Polyelektrolytproben eine Differenz ∆pKLF . 0, 4 festgestellt (Tabelle 3.1).Unter der sehr groben Annahme, daß sich die Dissoziationsquotienten Qa,M in diesem Bereichnicht stark mit pcH oder mit Mtot andern, ergibt sich fur die Bindung von Natriumionen einWert pQa,M ≈ 0, 3.Bei hinreichend hoher Konzentration an Inertsalz konnen die Protonierungsreaktionen auch alsIonenaustausch zwischen Inertsalzkationen und Protonen verstanden werden, sofern die Kon-zentration [L] an komplett unbesetzten Bindungsstellen in der Mengenbilanz 3.91 vernachlassigt

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KAPITEL 3. THERMODYNAMIK DER PROTONIERUNG 76

Hochmolekulare Proben

Fur die hochmolekularen Polyelektrolyte unterscheidet sich die Abhangigkeit derpQ-Werte von θ und von pcH prinzipiell von der kurzkettiger Proben. Im pQ-(1 − θ)-Diagramm ist ein Wendepunkt mit horizontaler Tangente oder ein hori-zontaler Bereich zu erkennen. Fur geringe Deprotonierungsgrade steigt pQ mitdem Deprotonierungsgrad zunachst stark an. Nach Uberschreiten des horizonta-len Bereiches steigt die Kurve bei Protonierungsgraden unterhalb von θc erneutan.Bei der linearen Extrapolation von (1 − θ) gegen null wird nahezu der gleicheGrenzwert erhalten, wenn die experimentellen Daten entweder fur θ ≪ θc oderfur θ ≫ θc extrapoliert werden. Die Grenzwerte pQ(θ → 1) sind in die Tabel-le 3.2 mit eingetragen. Die Tabelle zeigt, daß sich auch die Parameter fur dielangkettigen Polyelektrolyte systematisch mit der Art und der Konzentration anHintergrundelektrolyt andern.In den Abbildungen, in denen die scheinbare Saurestarke pQ gegen den pcH-Wertder Losung aufgetragen ist, ist eine Region geringer Steigung bei pcH ≈ pcHc zuerkennen. Fur pcH-Werte, die unterhalb und oberhalb dieses kritischen Wertesliegen, andert sich pQ in etwa linear mit dem pcH-Wert. Die Steigungen sindsehr ahnlich, allerdings sind die Geraden vertikal gegeneinander verschoben. Die-ses Verhalten entspricht dem der beiden Langmuir-Freundlich-Isothermen,die abschnittsweise die Bindungsisotherme fur Protonen an eine langkettige Po-ly(methacrylsaure) beschreiben und bei gleichem Heterogenitatsparameter unter-schiedliche Werte von pKLF besitzen.Das ungewohnliche Verhalten der Bindungsisothermen und der pQ-Werte wirdbei allen untersuchten Poly(methacrylsauren) mit molaren Massen ab Mn =5760 g mol−1 beobachtet. Die abrupte Anderung in der Steigung der Isothermenwird durch keine lineare Uberlagerung von integralen Bindungsisothermen nachGleichung 3.26 beschrieben, sofern jede einzelne Isotherme der Uberlagerung einestetig nach dem pcH-Wert der Losung differenzierbare Funktion ist. Da dieses un-gewohnliche Titrationsverhalten erst bei hoheren Kettenlangen erkennbar wird,kann ein kooperativer Effekt vermutet werden. Dieser wird auch als Strukturuber-gang diskutiert [48], [57], [66], [119], [125].Solche Ubergange werden bei Polyelektrolyten beobachtet, die neben den ionisier-baren Gruppen hydrophobe Gruppen enthalten (beispielsweise Ethylgruppen [66]oder Thiophenfunktionen [126]), wahrend sich Polyelektrolyte wie Poly(acrylsau-ren), die nur ionisierbare, hydrophile funktionelle Gruppen besitzen, unabhangigvon ihrer molaren Masse von den kurzkettigen Poly(methacrylsauren) qualitativ

werden kann. In diesem Fall werden bei erhohter Protonenaktivitat an die Carboxylatgruppengebundene Kationen aus dem Inertsalz durch Protonen verdrangt und freigesetzt.

LM + H LH + M (3.96)

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KAPITEL 3. THERMODYNAMIK DER PROTONIERUNG 77

nicht unterscheiden [21], [35], [44], [68]. Damit zeigen die Poly(methacrylsauren)die besondere Eigenschaft, daß sich die Form ihrer Bindungsisothermen starkmit der Polymerkettenlange andert. In Kapitel 4 wird die starke Anderung derIsothermensteigung in der Nahe von pcHc unter der Annahme attraktiver Wech-selwirkungen zwischen den hydrophoben Gruppen der Polyionen modelliert.

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KAPITEL 3. THERMODYNAMIK DER PROTONIERUNG 78

Abbildung 3.18: pQ-(1 − θ)-Auftragung (3)Fur die langkettigen Poly(methacrylsauren) H-PMA-5760 und H-PMA-11300 ist dieAbhangigkeit des pQ-Wertes vom Deprotonierungsgrad (1 − θ) fur unterschiedlicheHintergrundelektrolyte dargestellt (0, 100 M Tetramethylammoniumchlorid – schwarzePunkte; 0, 100 M Kaliumchlorid – rote Punkte; 0, 100 M Natriumchlorid – blaue Punkte;1, 00 M Kaliumchlorid – rote Dreiecke; 1, 00 M Natriumchlorid – blaue Dreiecke).

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KAPITEL 3. THERMODYNAMIK DER PROTONIERUNG 79

Abbildung 3.19: pQ-(1 − θ)-Auftragung (4)Fur die langkettigen Poly(methacrylsauren) S-PMA-63300 und H-PMA-58900 ist dieAbhangigkeit des pQ-Wertes vom Deprotonierungsgrad (1 − θ) fur unterschiedlicheHintergrundelektrolyte dargestellt (0, 100 M Tetramethylammoniumchlorid – schwarzePunkte; 0, 100 M Kaliumchlorid – rote Punkte; 0, 100 M Natriumchlorid – blaue Punkte;1, 00 M Kaliumchlorid – rote Dreiecke; 1, 00 M Natriumchlorid – blaue Dreiecke).

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KAPITEL 3. THERMODYNAMIK DER PROTONIERUNG 80

Abbildung 3.20: pQ-pcH-Auftragung (3)Fur die langkettigen Poly(methacrylsauren) H-PMA-5760 und H-PMA-11300 ist dieAbhangigkeit des pQ-Wertes vom pcH-Wert fur unterschiedliche Hintergrundelektro-lyte dargestellt (0, 100 M Tetramethylammoniumchlorid – schwarze Punkte; 0, 100 MKaliumchlorid – rote Punkte; 0, 100 M Natriumchlorid – blaue Punkte; 1, 00 M Kali-umchlorid – rote Dreiecke; 1, 00 M Natriumchlorid – blaue Dreiecke).

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KAPITEL 3. THERMODYNAMIK DER PROTONIERUNG 81

Abbildung 3.21: pQ-pcH-Auftragung (4)Fur die langkettigen Poly(methacrylsauren) S-PMA-63300 und H-PMA-58900 ist dieAbhangigkeit des pQ-Wertes vom pcH-Wert fur unterschiedliche Hintergrundelektro-lyte dargestellt (0, 100 M Tetramethylammoniumchlorid – schwarze Punkte; 0, 100 MKaliumchlorid – rote Punkte; 0, 100 M Natriumchlorid – blaue Punkte; 1, 00 M Kali-umchlorid – rote Dreiecke; 1, 00 M Natriumchlorid – blaue Dreiecke).

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KAPITEL 3. THERMODYNAMIK DER PROTONIERUNG 82

3.3 Protonierungsgleichgewichte von Indikatoren

Indikatoren [43] sind schwache Sauren oder Basen mit der besonderen Eigen-schaft, daß einige oder alle ihrer Makrospezies Licht im sichtbaren Bereich ab-sorbieren. Sie ermoglichen, die Protonierungsgleichgewichte von Polyelektrolytenmittels optischer Detektion zu untersuchen.So erlaubt der Einsatz von Indikatoren die Untersuchung der schnellen Kinetik derPolyelektrolytprotonierung (Kapitel 6 und 7), wenn die Reaktionsgeschwindigkeitder Indikatorprotonierung großer oder zumindest von der gleichen Großenordnungwie die der Polyelektrolytprotonierung ist. Potentiometrische Untersuchungsme-thoden sind hier bedeutend zu langsam. Auch zur Untersuchung der Tempe-raturabhangigkeit von Protonierungsgleichgewichten (Kapitel 5) bietet sich derEinsatz von Indikatoren an.

3.3.1 Protonierungsgleichgewichte

Da Indikatoren lediglich eine spezielle Gruppe schwacher Sauren oder Basen sind,laßt sich der in Abschnitt 3.1 vorgestellte Formalismus auf ihre Protonierungs-gleichgewichte anwenden. Wenn ein Indikator ausgehend von der vollig deproto-nierten Form In maximal NIn-fach protoniert werden kann, liegen in pcH-abhangi-gen Gleichgewichten die folgenden verschiedenen Makrospezies vor (analog Sche-ma 3.1).

In + NIn H . . . InHi + (NIn − i) H . . . InHNIn(3.97)

Die Absorption A einer Losung, die als einzige absorbierende Spezies die Makro-spezies InHi (i = 0, 1, . . . , NIn) enthalt1, ist bei gegebener optischer Lange d nachdem Gesetz von Beer und Lambert [45] durch die Konzentrationen [InHi] derMakrospezies InHi (i = 0, 1, . . . , NIn) und die zugehorigen Absorptionskoeffizien-ten εInHi

bestimmt.

A(λ, pcH) = d

NIn∑

i=0

εInHi(λ) [InHi] (pcH) (3.98)

Die Absorptionskoeffizienten εInHijeder Makrospezies sind Funktionen der Wel-

lenlange λ, und die Konzentration [InHi] der Spezies ist bei gegebener Einwaage-konzentration Intot vom pcH-Wert der Losung abhangig. (Daruberhinaus andernsich im allgemeinen beide Großen mit Temperatur und Druck.) Gleichung 3.98

1Dieses konnen waßrige Losungen sein, die ausschließlich den Indikator, den Indikator undPuffersubstanzen oder den Indikator und Polyionen enthalten. Es ist lediglich sicherzustellen,daß die Absorption der Losung uber einen Wellenlangenbereich aufgenommen wird, in demPuffersubstanzen und Polyionen nicht absorbieren. Diese Bedingung ist bei den gebrauchlichenPuffersubstanzen und den untersuchten Polyionen bei Detektionswellenlangen zwischen 350 nmund 800 nm erfullt.

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KAPITEL 3. THERMODYNAMIK DER PROTONIERUNG 83

definiert daher eine Schar von Absorptionskurven A(λ, pcH). Nach Gleichung3.10 und 3.98 ist die auf den optischen Weg d und die EinwaagekonzentrationIntot =

∑NIn

i=0 [InHi] bezogene Absorption einer Indikatorlosung durch die folgen-de Gleichung bestimmt.

A′(λ, pcH) =A(λ, pcH)

Intotd=

∑NIn

i=0 εInHi(λ)KIn,i[H]i

∑NIn

j=0 KIn,j[H]jmit [H] = 10−pcH M

(3.99)

Darin bedeuten KIn,i (i = 0, 1, . . . , NIn) die kumulativen konditionalen Indikator-konstanten, die analog zu Gleichung 3.3 definiert sind. Die Große A′(λ, pcH) istunabhangig von Intot und ahnelt als Funktion der Protonenkonzentration der Bin-dungsisotherme θIn fur Protonen an die Indikatorionen (analog Gleichung 3.17).

θIn =

∑NIn

i=0 (i/NIn)KIn,i[H]i∑NIn

j=0 KIn,j[H]j(3.100)

Die Beziehungen 3.99 und 3.100 zeigen, daß sowohl die Absorption pro Schicht-dicke als auch die Bindungsisotherme fur Protonen in sehr ahnlicher Weise vompcH-Wert der Losung abhangen. Lediglich die Wichtung, mit der die Konzentra-tion einer Spezies InHn eingeht, ist unterschiedlich: im Falle der Absorption istsie durch den Absorptionskoeffizienten der Makrospezies gegeben, im Falle derBindungsisotherme durch das Verhaltnis der in der betrachteten Makrospeziesgebundenen Protonen zur maximal moglichen Anzahl NIn gebundener Protonen.

3.3.2 Absorptionsspektren

Zur Illustration der Gleichung 3.99 sind in den Abbildungen 3.22 und 3.23 dieAbsorptionen von Indikatorlosungen bei unterschiedlichen pcH-Werten darge-stellt. Diese Absorptionsspektren werden in Durchflußexperimenten aufgenom-men, bei denen die untersuchte waßrige Losung des Indikators neben Inertsalzund 1, 00×10−3 M Salzsaure die in Abschnitt 2.2.1 beschriebenen Puffersubstan-zen enthalt. Durch Zugabe von Natronlauge werden unterschiedliche pcH-Werteim Bereich zwischen etwa pcH = 2 und pcH = 12 in der Losung realisiert. DieseWerte werden fur die Puffermischung bei Messungen in Anwesenheit von 0, 100 MNatriumchlorid oder auch 1, 00 M Inertsalz berechnet (Anhang A). Alle Absorp-tionswerte werden um die auftretende Verdunnung korrigiert.Die Absorptionsspektren von waßrigen Losungen des Indikators Bromthymol-blau (NIn = 2), der auch in kinetischen Messungen eingesetzt wird, andern sichin sehr einfacher Weise mit dem pcH-Wert (Abbildung 3.22). Dagegen sind dieAbsorptionsspektren des Fluorescein-Derivats 2′,7′-Bis-(2-carboxyethyl)-5-(und-6)-carboxyfluorescein (BCECF) viel komplexer (Abbildung 3.23), da bei diesem

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KAPITEL 3. THERMODYNAMIK DER PROTONIERUNG 84

Indikator2 [63] insgesamt sechs unterschiedliche Makrospezies eine Rolle spielen(NIn = 5). Die chemischen Strukturformeln der Indikatoren finden sich in Ab-schnitt 2.1.2.Bei Messungen mit Bromthymolblau wird im pcH-Bereich 3 . pcH . 10 bei derWellenlange λisos = 500 nm ein isosbestischer Punkt beobachtet. Dementspre-chend liegen in diesem pcH-Bereich nur zwei absorbierende Spezies im Gleichge-wicht vor. Die Konzentration der vollstandig protonierten Indikatorspezies InH2

kann gegenuber [InH] und [In] vernachlassigt werden, und aus Gleichung 3.10erhalt man die folgenden Beziehungen.

[InH] = Intot1

1 + 10pcH−pKIn[In] = Intot

10pcH−pKIn

1 + 10pcH−pKIn(3.101)

Zur Beschreibung der Absorption ist nur die zweite konditionale Dissoziations-konstante K∗

In des Indikators bzw. der zugehorige pKIn-Wert von Interesse.

K∗In =

1

KIn,1

=[In][H]

[InH](3.102)

Die Absorption der Losung ist bei bekannter Einwaagekonzentration Intot durchdie folgende Gleichung gegeben,

A

Intotd=

εInH − εIn

1 + 10pcH−pKIn+ εIn (3.103)

und durch Anpassen dieser Funktion an die experimentellen Daten lassen sich dieAbsorptionskoeffizienten εInH und εIn sowie der pKIn-Wert bestimmen (Tabelle3.3).

[NaCl] pKIn εIn/(104 M−1cm−1) εInH/(104 M−1cm−1)

0, 100 M 7, 05 ± 0, 05 3, 84 bei 618 nm 0 bei 618 nm0, 188 bei 433 nm 1, 63 bei 433 nm

1, 00 M 7, 00 ± 0, 05 3, 67 bei 618 nm 0 bei 618 nm0, 178 bei 433 nm 1, 61 bei 433 nm

Tabelle 3.3: Indikator BromthymolblauAus pcH-abhangigen Absorptionmessungen waßriger Losungen von Bromthymolblaubei 25oC werden die Absorptionskoeffizienten εInH und εIn der einfach protonierten undvollstandig deprotonierten Indikatorform an den Absorptionsmaxima λInH = 433 nmund λIn = 618 nm bestimmt. Wie die Absorptionskoeffizienten ist auch der pKIn-Wertfur den zweiten Dissoziationsschritt von der Konzentration an Inertsalz abhangig.

2Fur Untersuchungen mit dem Indikator BCECF im Rahmes eines Blockpraktikums dankeich Frau Dipl. Chem. Tanja Pietzker.

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KAPITEL 3. THERMODYNAMIK DER PROTONIERUNG 85

Abbildung 3.22: Absorptionsspektren von BromthymolblauIm oberen Bild sind die Absorptionspektren waßriger Losungen von Bromthymolblauzwischen pcH = 2, 3 und pcH = 12, 4 dargestellt (Gesamtkonzentration Intot = 2, 00 ×10−5 M; optische Lange d = 1, 000 cm; 25oC; 0, 100 M Natriumchlorid). Im unteren Bildsind die Absorptionen bei den Wellenlangen λ = 433 nm (rote Punkte) und λ = 618 nm(schwarze Punkte) gegen den pcH-Wert der Losung aufgetragen. Die durchgezogenenKurven sind die Anpassungen der Gleichung 3.103 an die experimentellen Daten.

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KAPITEL 3. THERMODYNAMIK DER PROTONIERUNG 86

Abbildung 3.23: Absorptionsspektren von BCECFDas obere Bild zeigt Absorptionspektren von 2′,7′-Bis-(2-carboxyethyl)-5-(und-6)-carb-oxyfluorescein (BCECF) bei pcH-Werten zwischen pcH = 2, 3 und pcH = 12, 4 (Ge-samtkonzentration Intot = 3, 00× 10−6 M; optischer Weg d = 5, 000 cm; 25oC; 0, 100 MNatriumchlorid). Im unteren Bild sind die Absorptionen bei ausgewahlten Wellenlangengegen den pcH-Wert der Losung aufgetragen (503 nm – schwarze Punkte, 486 nm – rotePunkte, 475 nm – blaue Punkte, 465 nm – schwarze Dreiecke, 451 nm – rote Dreiecke,398 nm – blaue Dreiecke, 330 nm – grune Dreiecke).

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Kapitel 4

Statistische Beschreibung der Protonierung

Das Gleichgewicht der Protonierung von Polyelektrolyten kann nicht nur mit denmakroskopischen Großen der Thermodynamik beschrieben sondern auch auf derGrundlage der statistischen Mechanik mit mikroskopischen Parametern diskutiertwerden. Neben den in Kapitel 3 eingefuhrten Makrospezies und Makrokonstan-ten werden nun Mikrospezies und Submikrospezies und die zugehorigen Gleich-gewichtskonstanten (oder die entsprechenden Energiegroßen) betrachtet. DieseHerangehensweise umfaßt die Beschreibung durch makroskopische Großen undermoglicht es, das Bindungsverhalten von Protonen an Polyelektrolyte bei Vor-gabe weniger Modellparameter zu simulieren. Auch der Einfluß unterschiedlicherKonformationen von Polyionen kann in diesem statistischen Modell angemessenberucksichtigt werden.

4.1 Grundlagen fur Simulationen

Als Grundlagen fur die Berechnung von Protonierungsgleichgewichten werden indiesem Abschnitt das Ising-Modell [105], [114] [134] und das semigroßkanonischeEnsemble [17], [18], [75] vorgestellt.

4.1.1 Protonierungszustande und Konformationen

Spezies

Polyionen und auch Ionen einfacher Sauren und Basen konnen im Gleichgewichtin unterschiedlichen Protonierungszustanden und Konformationen vorliegen. Furdie statistische Beschreibung werden Ionen der gleichen Substanz zu unterschied-lichen Spezies zusammengefaßt. Makro-, Mikro- und Submikrospezies [81] werdenunterschieden.

Makrospezies Ionen, die in der Stoichiometrie (im Falle von Protonierungenalso in der Anzahl gebundener Protonen) ubereinstimmen, bilden eine Makro-spezies. Fur jede N -fach protonierbare Base B sind (N + 1) unterschiedliche Ma-krospezies BHn (n = 0, 1, 2, . . . , N) moglich. Wenn nicht zu viele verschiedeneMakrospezies im Gleichgewicht vorliegen, konnen ihre Konzentrationen durchpotentiometrische Messungen bestimmt werden.

87

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KAPITEL 4. STATISTIK DER PROTONIERUNG 88

Mikrospezies Ionen einer Makrospezies, die an den gleichen Positionen proto-niert sind, bilden die Untermenge der Mikrospezies. Eine gegebene MakrospeziesBHn wird durch

(Nn

)Mikrospezies realisiert, die sich durch die Anordnung von

protonierten und deprotonierten binding sites unterscheiden. Verschiedene Mi-krospezies konnen in Einzelfallen in Kernresonanz-Experimenten [130] einzelnbeobachtet werden.

Submikrospezies Zu einer als Submikrospezies bezeichneten Menge werdenalle die Ionen zusammengefaßt, die sowohl in allen Positionen der protoniertenund deprotonierten Gruppen als auch in allen berucksichtigten Strukturparame-tern ubereinstimmen. Nur in sehr wenigen Fallen konnten Gleichgewichtskon-stanten fur Reaktionen zwischen Submikrospezies experimentell bestimmt [81]werden. Wahrend sich mit dem Konzept von Mikro- und Makrospezies die Gleich-gewichte nur der reinen Protonierung beschreiben lassen, erlaubt die Berucksich-tigung verschiedener Submikrospezies, zusatzlich den Zusammenhang von Proto-nierungsgrad und Konformation von Polyionen zu diskutieren.

Variable

Beschreibung einer Mikrospezies Um Mikrospezies mit verschiedenen Pro-tonierungsmustern der binding sites zu unterscheiden, werden site variables ein-gefuhrt. Jede dieser Variablen si (i = 1, 2, . . . , N) charakterisiert eindeutig denProtonierungszustand einer Gruppe i. Durch die Angabe aller N site variables

ist eine Mikrospezies unverwechselbar bestimmt, der Vektor s1, s2, . . . , sN stehtdaher fur diese eine Spezies. In den hier diskutierten Fallen, in denen eine pro-tonierbare Gruppe entweder ein oder kein Proton tragen kann, haben diese Vari-ablen genau zwei diskrete Werte.1

Im folgenden entspricht si = 0 einer deprotonierten Gruppe und si = 1 einerprotonierten Gruppe. Abbildung 4.1 illustriert die Beschreibung eines Proto-nierungsmusters mit site Variablen 0 und 1. Diese Wahl der Werte von si ge-staltet Rechnungen besonders einfach und erweist sich insbesondere fur die Be-schreibung der Protonierung von Polyaminen als sinnvoll. Dagegen lassen sichdie Protonierungseigenschaften von Polycarboxylaten und von Polyelektrolyten,die chemisch unterschiedliche Gruppen tragen, anschaulich einfacher mit anderenVariablenwerten diskutieren. Problemangepaßte Variablensatze gehen durch einegeeignete Tranformation aus den site variables si = 0 (deprotoniert) und si = 1(protoniert) hervor. Diese werden erst ab Abschnitt 4.1.4 diskutiert.

Beschreibung einer Submikrospezies Wahrend eine Mikrospezies durchden Variablensatz s1, s2, . . . , sN eindeutig bestimmt ist, sind zur Charakte-

1Im ursprunglichen Ising-Modell [3] zur Beschreibung der magnetischen Eigenschaften vonMaterie wird jedem der beiden moglichen Spinzustande up und down eine diskrete Variablesi = +1/2 bzw. si = −1/2 zugeordnet.

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KAPITEL 4. STATISTIK DER PROTONIERUNG 89

Abbildung 4.1: MikrospeziesMit den Werten si = 0 fur deprotonierte und si = 1 fur protonierte Gruppenbeschreibt der Vektor 1, 0, 1, 0, 1 die oben dargestellte Mikrospezies eines Metha-crylsaure-Oligomers mit N = 5 protonierbaren Gruppen. Der Vektor 1, 1, 0, 0, 1charakterisiert die untere Mikrospezies. Die beiden Mikrospezies unterscheiden sichin ihrem Protonierungsmuster, stimmen jedoch in der Anzahl n =

∑Ni=1 si = 3 der

gebundenen Protonen uberein. Es handelt sich daher um zwei Mikrospezies, die zurgleichen Makrospezies BH3 zusammengefaßt werden.

risierung einer Submikrospezies weitere Variablen σi notwendig. Die Angabes1, s2, . . . , sN ; σ1, σ2, . . . legt eine Submikrospezies fest. Die Anzahl der Vari-ablen σi ist davon abhangig, wie detailliert verschiedene Submikrospezies unter-schieden werden. Diese Variablen konnen fur Bindungswinkel stehen und erlaubenso, unterschiedliche Konformationen (beispielsweise verschiedene Rotamere) ei-ner Mikrospezies zu unterscheiden. Werden die Variablen σi mit Bindungswinkelnidentifiziert, so nehmen sie kontinuierliche Werte an. Oft kann die Beschreibungauf die Berucksichtigung weniger diskreter Konformationen reduziert werden, dieden lokalen Energieminima der Molekulstruktur entsprechen. In organischen Po-lymeren konnen dies zum Beispiel trans- und gauche-Konformationen sein. Inner-halb dieser rotational isomeric state approximation [78] nehmen wie die si auchdie Variablen σi diskrete Werte an.

4.1.2 Semigroßkanonische Zustandssumme

Ensemble

Die statistische Beschreibung von Protonierungsgleichgewichten (und auch an-derer Adsorptionsphanomene) erfolgt problemangepaßt auf der Grundlage einessemigroßkanonischen Ensembles [17], [18], [75]. Dieses makroskopische Systembesteht aus gebundenen Protonen H sowie aus protonierbaren Molekulen, klei-nen Ionen oder Polyionen P (im folgenden immer als Polyionen bezeichnet) bei

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KAPITEL 4. STATISTIK DER PROTONIERUNG 90

gegebener Temperatur T . Bezuglich der Polyionen ist das Ensemble kanonisch(konstante Teilchenzahl NP), aber es ist großkanonisch bezuglich der gebunde-nen Protonen (freie Protonen besitzen die Aktivitat aH). Wasser als Losungsmit-tel und Inertsalzionen werden hier nicht mikroskopisch betrachtet, sondern ihreEinflusse auf die Protonierungsgleichgewichte sind im Sinne von Mittelwertenin den Modellparametern enthalten. Jedes Polyion stellt eine bestimmte AnzahlBindungsstellen zur Verfugung, die durch Protonen besetzt werden konnen. DasModellsystem ist in Abbildung 4.2 skizziert.

Zustandssumme

Zur Berechnung der statistischen Eigenschaften des semigroßkanonischen Ensem-bles werden die Polyionen P als voneinander unabhangige, aquivalente und unter-scheidbare Untersysteme angenommen, die jeweils die gleiche maximale AnzahlN von Protonen binden konnen. Damit ist N auch die Anzahl der binding sites,uber die jedes Polyion verfugt. In einem Subsystem befinden sich n gebundeneProtonen (n = 0, 1, . . . , N).Die kanonische Zustandssumme q(n, T ) jedes einzelnen Untersystems ist unteranderem davon abhangig, wie viele Protonen es enthalt. Sie kann im Prinzip alsSumme uber alle Zustande j mit Energie εj(n) berechnet werden und wird imfolgenden als gegeben angenommen (k ist die Boltzmann-Konstante).

q(n, T ) =∑

j

exp

(

−εj(n)

kT

)

(4.1)

Bevor auf das semigroßkanonische System ubergegangen wird, wird die kanoni-sche Zustandssumme Q(NH, NP, T ) fur ein makroskopisches System berechnet,das aus NP Polyionen und einer gegebenen Anzahl NH gebundener Protonenbesteht. Dieses System kann realisiert werden, indem die NH Protonen auf un-terschiedliche Weise auf NP Untersysteme verteilt werden. mn (n = 0, 1, . . . , N)sei die Anzahl der Subsysteme, die genau n gebundene Protonen enthalten. Furgegebene Anzahlen NH und NP sind die folgenden Bedingungen einzuhalten.

N∑

n=0

mn = NP

N∑

n=0

n · mn = NH (4.2)

Der Satz m0,m1, . . . ,mN bestimmt eine der Realisierungsmoglichkeiten desGesamtsystems, die unabhangig voneinander angenommen werden konnen.

Q(NH, NP, T ) =∑

m0,m1,...,mN

Q(m0,m1, . . . ,mN, T ) (4.3)

Die Zustandssumme Q(m0,m1, . . . ,mN, T ) dieser Realisierung des Systemslaßt sich nach dem folgenden Produktansatz auf die Zustandssummen q(n, T )

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KAPITEL 4. STATISTIK DER PROTONIERUNG 91

der Untersysteme zuruckfuhren (die Fakultaten korrigieren die Anzahl der Reali-sierungsmoglichkeiten um die Vertauschungen der aquivalenten Subsysteme, diedas Gesamtsystem unverandert belassen).

Q(m0,m1, . . . ,mN, T ) =NP! q(0, T )m0 · q(1, T )m1 · . . . · q(N, T )mN

m0! · m1! · . . . · mN !(4.4)

Nach Gleichung 4.3 und 4.4 kann die kanonische Zustandssumme Q(NH, NP, T )folgendermaßen auf die Zustandssummen q(n, T ) zuruckgefuhrt werden.

Q(NH, NP, T ) =∑

m0,m1,...,mN

NP! q(0, T )m0 · q(1, T )m1 · . . . · q(N, T )mN

m0! · m1! · . . . · mN !(4.5)

Q(NH, NP, T ) ist fur eine gegebene Anzahl NH von Protonen berechnet. Das be-trachtete statistische Modellsystem ist jedoch bezuglich der gebundenen Protonenoffen; NH ist in der semigroßkanonischen Beschreibung nicht konstant, sondernkann die Werte NH = 0, 1, . . . , (N · NP) annehmen. Entsprechend ist die semi-großkanonische Zustandssumme ΞSGC fur das Gesamtsystem durch Gleichung4.7 gegeben.2

ΞSGC(λH, NP, T ) =

N ·NP∑

NH=0

Q(NH, NP, T )λNHH (4.7)

Die Zahl λH ist die absolute Aktivitat (auch Fugazitat genannt) der Protonen,die durch ihr chemisches Potential µH bestimmt ist [49], [76].

λH = exp(

+µH

kT

)

(4.8)

Da die Reihenfolge der Summationen beliebig ist, kommt man mit Gleichung 4.5und 4.7 durch Sortieren von Termen auf das folgende Zwischenergebnis,

ΞSGC(λH, NP, T )

=∑

m0,m1,...,mN

N ·NP∑

NH=0

NP! · q(0, T )m0 · q(1, T )m1 · . . . · q(N, T )mN

m0! · m1! · . . . · mN !λNH

H

=∑

m0,m1,...,mN

NP! [q(0, T )]m0 · [q(1, T )λH]m1 · . . . ·[q(N, T )λN

H

]mN

m0! · m1! · . . . · mN !(4.9)

2Bei Kenntnis der kanonischen Zustandssumme Q(NH, NP, T ) kann die großkanonische Zu-standssumme (fur das fur Protonen und Polyionen offene System) ΞGC(λH, λP, T ) berechnetwerden, indem uber alle Werte NH und NP unter Berucksichtigung der Fugazitaten λH und λP

summiert wird.

ΞGC(λH, λP, T ) =∑

NH,NP

Q(NH, NP, T )λNH

H λNP

P (4.6)

λP ist analog zu Gleichung 4.8 mit dem chemischen Potential der Polyionen verknupft.

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KAPITEL 4. STATISTIK DER PROTONIERUNG 92

und nach dem Multinomial-Theorem kann die semigroßkanonische Zustandssum-me fur das Gesamtsystem ΞSGC(λH, NP, T ) als die NP-te Potenz einer Große Ξausgedruckt werden.

ΞSGC(λH, NP, T ) = [Ξ(λH, T )]NP (4.10)

Dabei ist Ξ(λH, T ) die semigroßkanonische Zustandssumme fur eines der NP Sub-systeme (Polyionen).

Ξ = Ξ(λH, T ) =N∑

n=0

q(n, T )λnH (4.11)

Diese Zustandssumme hangt von der Protonenaktivitat ab und reicht zusammenmit Gleichung 4.10 zur Beschreibung des Gesamtsystems aus. Da sich Ξ auf eineinzelnes Untersystem bezieht, laßt sich diese Zustandssumme mit geeignetenParametern berechnen, die dem Polyion angepaßt sind.

Beziehung zur Thermodynamik

Mittelwerte Da das betrachtete System bezuglich der Protonen großkanonischist, berechnet sich die mittlere Anzahl 〈NH〉 der gebundenen Protonen im makros-kopischen System nach der folgenden Beziehung [49].

〈NH〉 = λH

(∂ ln ΞSGC(λH, NP, T )

∂λH

)

NP,T

(4.12)

Nach Gleichung 4.10 laßt sich diese mittlere Anzahl gebundener Protonen auchmit der semigroßkanonischen Zustandssumme Ξ = Ξ(λH, NP, T ) berechnen,

〈NH〉 = NPλH

(∂ ln Ξ

∂λH

)

T

(4.13)

und weiter folgt die mittlere Anzahl 〈n〉 von gebundenen Protonen pro Subsystemsowie – durch Division durch die Anzahl N von binding sites eines Polyions – derAssoziationsgrad θ im thermodynamischen Mittel.

〈n〉 =〈NH〉NP

=

(∂ ln Ξ

∂ ln λH

)

T

(4.14)

θ =〈n〉N

=1

N

(∂ ln Ξ

∂ ln λH

)

T

=1

N

∑Ni=0 iq(i, T )λi

H∑N

j=0 q(j, T )λjH

(4.15)

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KAPITEL 4. STATISTIK DER PROTONIERUNG 93

Gegebenes Medium Um Protonierungsphanomene in einem gegebenen Me-dium zu beschreiben, in dem (beispielsweise durch eine hinreichend hohe Kon-zentration von Inertsalz) der mittlere Aktivitatskoeffizient fI fur Protonen un-abhangig von der Protonenkonzentration und unabhangig von der Konzentrationan Polyionen P ist, kann λH durch die Protonenkonzentration [H] ausgedrucktwerden.3 Dann hat die semigroßkanonische Zustandssumme Ξ die folgende Form

Ξ =N∑

n=0

q(n, T )

exp

(

+µo−

kT

)

fI

n

[H]n (4.18)

und wird proportional zum binding polynomial (Gleichung 3.11).

Ξ ∝N∑

n=0

Kn[H]n (4.19)

Die hier auftretenden kumulativen konditionalen Assoziationskonstanten Kn sindzu den Zustandssummen q(n, T ) proportional.

Kn ∝ q(n, T )fnI exp

(

+nµo−

kT

)

(4.20)

Bindungsisothermen fur Protonen an Polyelektrolyte sind nach Gleichung 4.15unabhangig von dem Proportionalitatsfaktor, der die semigroßkanonische Zu-standssumme und das binding polynomial verknupft.4 Unabhangig davon, ob Ξ

3Mit Gleichung 4.8 ist das chemische Potential µH hier als partielle Ableitung eines ther-modynamischen Potentials nach der Teilchenzahl definiert. (In anderen Kapiteln dieser Arbeitwird ein chemisches Potential als entsprechende Ableitung nach einer Stoffmenge verstanden.)Daher gilt die folgende Beziehung,

µH = µo−H + kT ln aH = µo−

H + kT ln(fI/M−1

)+ kT ln ([H]/M) (4.16)

und es folgt ein Zusammenhang zwischen λH und der Protonenkonzentration [H].

λH = fI[H] exp

(

+µo−

H

kT

)

(4.17)

4In der kanonischen Beschreibung von Protonierungsgleichgewichten konnen die kumulativenkonditionalen Assoziationskonstanten uber die Zustandssummen q(n, T ) der Makrospezies undqH(T ) der Protonen ausgedruckt werden.

Kn =q(n, T )

q(0, T )qnH

(4.21)

Dann tritt auch die Zustandssumme qH(T ) als ein Proportionalitatsfaktor der semigroßkanoni-schen Zustandssumme auf.Solange nur Bindungsisothermen berechnet werden, braucht weder die im Modell angenom-mene Unterscheidbarkeit der aquivalenten Subsysteme noch der Einfluß eines symmetrischenProtonierungsmusters einer Mikrospezies naher diskutiert zu werden.

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KAPITEL 4. STATISTIK DER PROTONIERUNG 94

als binding polynomial oder als semigroßkanonische Zustandssumme verstandenwird, kann die Bindungsisotherme durch Differentiation der Großen nach der ab-soluten Aktivitat (Gleichung 4.15) oder nach dem pcH-Wert (Gleichung 3.18)erhalten werden.

θ =1

N

(∂ ln Ξ

∂ ln λH

)

T

= − 1

N

(∂ lg Ξ

∂pcH

)

T

(4.22)

Mikro- und Submikrospezies

Im statistischen Modell ist jedes Subsystem durch die Anzahl n gebundener Pro-tonen charakterisiert. Entsprechend korrespondieren die kanonischen Zustands-summen q(n, T ) dieser Untersysteme zur Beschreibungsebene der Makrospezies.Da jede Makrospezies BHn durch Mikrospezies s1, s2, . . . , sN realisiert wird, istq(n, T ) die Summe aller Zustandssummen der zugehorigen Mikrospezies

q(n, T ) =∑

s1,s2,...,sN

q(s1, s2, . . . , sN, T ) · δs1,s2,...,sN,n (4.23)

und der zugehorigen Submikrospezies.

q(n, T ) =∑

s1,s2,...,sN ;σ1,σ2,...

q(s1, s2, . . . , sN ; σ1, σ2, . . ., T ) · δs1,s2,...,sN,n (4.24)

Die Summationen sind so auszufuhren, daß samtliche Variablen alle moglichenWerte annehmen. Um nur Mikro- und Submikrospezies zu zahlen, die zu dergleichen Makrospezies BHn gehoren, ist δs1,s2,...,sN,n gleich eins, wenn die Vari-ablensatze s1, s2, . . . , sN und s1, s2, . . . , sN ; σ1, σ2, . . . zu einer Gesamtzahlvon n gebundenen Protonen fuhren; anderenfalls ist δs1,s2,...,sN,n gleich null. Mitder Wahl si = 0 (deprotonierte Gruppe) und si = 1 (protonierte Gruppe) giltδs1,s2,...,sN,n = δ∑N

i=0 si, n(Kronecker-Symbol).

Die kanonischen Zustandssummen sind durch Gleichung 4.25 und 4.26 mit denentsprechenden freien Energien verbunden.

F (s1, s2, . . . , sN) = −kT ln q(s1, s2, . . . , sN, T ) (4.25)

F (s1, s2, . . . , sN ; σ1, σ2, . . .) = −kT ln q(s1, s2, . . . , sN ; p1, p2, . . ., T )

(4.26)

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KAPITEL 4. STATISTIK DER PROTONIERUNG 95

Abbildung 4.2: Statistisches ModellJedes von insgesamt NP Polyionen im System (skizziert als schwarze Ketten) besitzt Nbinding sites, die durch Protonen (rote Symbole) besetzt werden konnen. Wahrend dieZahl NP der Polyionen im System konstant ist, andert sich die Anzahl NH gebunde-ner Protonen mit der Aktivitat aH und dem chemischen Potential µH freier Protonen.Bezuglich der Protonen ist das System offen, aber geschlossen bezuglich der Polyio-nen. Die Ionen in den grun umrandeten Flachen gehoren zum semigroßkanonischenEnsemble.

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KAPITEL 4. STATISTIK DER PROTONIERUNG 96

4.1.3 Parametrisierungen

Freie Energie

Die freie Energie F (s1, s2, . . . , sN) einer Mikrospezies s1, s2, . . . , sN hangt vonder Anzahl gebundener Protonen und dem Protonierungsmuster der Polyionenab. Da die site variables genau zwei diskrete Werte si = 0 und si = 1 annehmenkonnen, wird die freie Energie im Sinne einer cluster expansion folgendermaßenentwickelt.5

F (s1, s2, . . . , sN) = F (0, 0, . . . , 0)−N∑

i=1

M ′isi+

i<j

Eijsisj+∑

i<j<k

Lijksisjsk+. . .

(4.31)

In Gleichung 4.31 werden Terme mit dem Parameter M ′i gezahlt, wenn die si-

te-Variable si den Wert eins hat (Protonierung einer Gruppe). Die ParameterEij gehen in die freie Energie ein, wenn beide Variablen si = sj den Wert einsbesitzen (Paar-Wechselwirkungen), und Terme mit den Parametern Lijk werdenaufsummiert, wenn drei Variable si = sj = sk den Wert eins aufweisen (Triplett-Wechselwirkungen).

5Mit den Werten si = 0 und si = 1 der site variables gilt (1 − si) = 0, wenn si den Wert einshat, und (1 − si) = 1, wenn si = 0 ist. Daher kann die freie Energie fur N = 1 folgendermaßenentwickelt werden.

F (s1) = F (0)(1 − si) + F (1)si = F (0) + [F (1) − F (0)] s1 (4.27)

Fur N = 2 binding sites gilt eine entsprechende Entwicklung.

F (s1, s2) = F (0, 0)(1 − s1)(1 − s2) + F (1, 0)(1 − s2)s1 + F (0, 1)(1 − s1)s2 + F (1, 1)s1s2

= F (0, 0) + [F (1, 0) − F (0, 0)] s1 + [F (0, 1) − F (0, 0)] s2

+ [F (1, 1) − F (0, 1)] − [F (1, 0) − F (0, 0)] s1s2 (4.28)

Die Verallgemeinerung auf N sites fuhrt zu Gleichung 4.31. Die auftretenden Koeffizienten vonsi, sisj und sisjsk sind die Parameter M ′

i , Eij bzw. Lijk; Produkte hoherer Ordnung von site

variables werden hier nicht berucksichtigt.In einer aquivalenten Entwicklung von F (s1, s2, . . . , sN ) nehmen i, j und k alle Werte zwischen1 und N an.

F (s1, s2, . . . , sN ) = F (0, 0, . . . , 0)−N∑

i=1

M ′

isi +1

2!

i,j

Eijsisj +1

3!

i,j,k

Lijksisjsk + . . . (4.29)

Mehrfachzahlungen aquivalenter Terme werden durch die Faktoren 1/2!, 1/3! korrigiert, dennfur die Parameter gelten die folgenden Beziehungen.

Eij = Eji Lijk = Lkij = Ljki = Ljik = Lkji = Likj (4.30)

Parameter, in denen zwei oder mehr Indices ubereinstimmen, werden gleich null gesetzt, Eii =Lijj = Liik = Liji = 0. Sie werden in entsprechend geringer indizierte Parameter mit einbezogen(Eii in M ′

i , Lijj in Eij).

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KAPITEL 4. STATISTIK DER PROTONIERUNG 97

Sofern die Variablen σi diskrete Werte besitzen, ist eine solche Entwicklung auchfur die freie Energie von Submikrospezies moglich. Sie erweist sich jedoch alsschwieriger, da die σi im allgemeinen mehr als zwei diskrete Werte annehmenkonnen, und wird mit dem Konzept der Transfermatrizen (Abschnitt 4.3.1) zurBerechnung von Zustandssummen umgangen.

Zustandssumme

Die semigroßkanonische Zustandssumme kann nach Gleichung 4.11 und 4.23 aufder Ebene der Mikrospezies folgendermaßen berechnet werden.6

Ξ =∑

s1,s2,...,sN

exp [−βF(s1, s2, . . . , sN)] β =1

kT(4.35)

Mit diskreten Variablen σi gilt mit Gleichung 4.24 eine entsprechende Beziehungauch auf der Ebene der Submikrospezies.

Ξ =∑

s1,s2,...,sN ;σ1,σ2,...

exp [−βF(s1, s2, . . . , sN ; σ1, σ2, . . .)] (4.36)

In den Gleichungen 4.35 und 4.36 sind die folgenden Energiegroßen neu ein-gefuhrt,

F(s1, s2, . . . , sN) = Foffset −N∑

i=1

Misi +∑

i<j

Eijsisj

+∑

i<j<k

Lijksisjsk + . . . (4.37)

die uber die Parameter Mi von der Protonenaktivitat λH abhangen.

Mi = M ′i + kT ln λH (4.38)

6Durch Einsetzen der Beziehung 4.23 in die Gleichung 4.11 der semigroßkanonischen Zu-standssumme erhalt man die folgende Doppelsumme.

Ξ =

N∑

n=0

(∑

s1,s2,...,sN

q(s1, s2, . . . , sN, T )δ∑Ni=0

si,n

)

λnH (4.32)

=∑

s1,s2,...,sN

exp [−βF (s1, s2, . . . , sN )] (λH)∑

Ni=0

si (4.33)

=∑

s1,s2,...,sN

exp [−βF(s1, s2, . . . , sN )] (4.34)

Die Energiegroße F wird durch Gleichung 4.37 mit neuen Parametern Mi definiert, die von derProtonenaktivitat λH abhangen. Fur die spezielle Wahl der site variables si = 0 (deprotoniert)

und si = 1 (protoniert) gilt n =∑N

i=1 si.

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KAPITEL 4. STATISTIK DER PROTONIERUNG 98

4.1.4 Variablentransformationen

Ausgehend von den Werten si = 0 (deprotoniert) und si = 1 (protoniert) kannein beliebiges anderes Paar von Variablen si = ai und si = (ai + bi) bestimmtwerden, indem die site variables fur eine einzelne Gruppe oder fur alle binding

sites der folgenden linearen Transformation unterzogen werden.

si → si = ai + bisi bi 6= 0 (4.39)

si =

01

→ si =

ai deprotonierteai + bi protonierte

Gruppe (4.40)

Durch Rucktransformation werden die ursprunglichen Werte der site variables

wiederhergestellt.

si = ai + bisi mit ai = −ai

bi

und bi =1

bi

(4.41)

Solche Transformationen erlauben, Wechselwirkungen zwischen Gruppen in einerWeise zu berucksichtigen, die ihrer chemischen Natur angemessen sind. So bietensich zur statistischen Beschreibung von Polyaminen die Werte si = 0 (deproto-niert, keine Wechselwirkung) und si = 1 (protoniert, Wechselwirkung zwischenGruppen) an, da in diesem Fall eine elektrostatische Abstoßung zwischen denpositiv geladenen protonierten Gruppen zu berucksichtigen ist. Dagegen sind furPolycarbonsauren die Variablenwerte si = 1 (deprotoniert, Wechselwirkung) undsi = 0 (protoniert, keine Wechselwirkung zwischen binding sites) eine problem-angepaßte Wahl. Diese Variablen lassen sich durch eine Transformation nachGleichung 4.39 mit ai = 1 und bi = −1 bilden.7 Im allgemeinen charakterisierendie Werte si = di deprotonierte und si = pi protonierte binding sites.Die Energiegroße F(s1, s2, . . . , sN) ist in Gleichung 4.37 in den Variablenwertendi = 0 und pi = 1 (protoniert) gegeben. In den nach Gleichung 4.39 transformier-ten Variablen ergibt sich die Energiegroße in der folgenden Form.

F(s1, s2, . . . , sN) = FpcHoffset −

N∑

i=1

Misi +∑

i<j

Eij sisj +∑

i<j<k

Lijksisj sk + . . .

(4.44)

7Auch die Ladungszahl zi der deprotonierten (oder protonierten) Gruppe kann als Variab-lenwert einer deprotonierten oder protonierten Gruppe genutzt werden.

si =

01

→ si =

zi deprotoniertezi + 1 protonierte

Gruppe mit ai = zi, bi = 1 (4.42)

si =

01

→ si =

zi − 1 deprotoniertezi protonierte

Gruppe mit ai = zi − 1, bi = 1 (4.43)

Diese Beschreibung ist besonders fur die Berucksichtigung von Coulomb-Wechselwirkungenproportional zu dem Produkt zizj von Interesse.

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KAPITEL 4. STATISTIK DER PROTONIERUNG 99

Die neuen Parameter hangen mit den ursprunglichen in der folgenden Weise zu-sammen, sofern hohere Terme als Triplett-Wechselwirkungen vernachlassigt wer-den.

FpcHoffset = Foffset +

N∑

i=1

Miai

bi

+∑

i<j

Eijaiaj

bibj

−∑

i<j<k

Lijkaiajak

bibjbk

(4.45)

Mi =1

bi

(

Mi +N∑

j=1

Eijaj

bj

−∑

j<k

Lijkajak

bjbk

)

(4.46)

Eij =1

bibj

(

Eij −N∑

k=1

Lijkak

bk

)

(4.47)

Lijk =1

bibjbk

Lijk (4.48)

Wenn Foffset eine additive Konstante ist (insbesondere pcH-unabhangig), ist zubeachten, daß die transformierte Große FpcH

offset von der Protonenkonzentrationabhangt.

4.1.5 Ubergange zwischen Protonierungszustanden

Die folgenden Rechnungen sind unabhangig von der Wahl der Variablenwertezur Beschreibung von deprotonierten und protonierten Gruppen. Ganz allgemeincharakterisiert die site variable si = di eine deprotonierte Gruppe, und es giltsi = pi fur protonierte binding sites. Die Entwicklung der semigroßkanonischenEnergiegroße wird dann (Gleichung 4.37) durch die folgende Beziehung gegeben.

F(s1, s2, . . . , sN) = Foffset − pcHln (10)

β

N∑

i=1

di

pi − di

−N∑

i=1

Misi +∑

i<j

Eijsisj +∑

i<j<k

Lijksisjsk + . . .

(4.49)

In Gleichung 4.49 ist nach Gleichung 4.38 der Wert Foffset pcH-unabhangig.

Variable

Die Reaktion einer Mikrospezies s1, s2, . . . , sN mit hydratisierten Protonen,bei der die k-te von N Gruppen protoniert wird, kann folgendermaßen formuliertwerden.

s1, s2, . . . , sk = dk, . . . , sN + H s1, s2, . . . , sk = pk, . . . , sN (4.50)

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KAPITEL 4. STATISTIK DER PROTONIERUNG 100

Wahrend alle anderen site variables ihre Werte unverandert beibehalten, wird dieVariable sk verandert. Vor der Reaktion ist die Gruppe k deprotoniert (sk = dk),nach der Reaktion ist sie protoniert (sk = pk). Allgemein kann diese Protonierungals Ubergang von der Mikrospezies s1, s2, . . . , sN auf die Protonierungsforms′1, s′2, . . . , s′N verstanden werden.

si → s′i = si + ∆iδi,n ∆i = pi − di (4.51)

(Fur die spezielle Variablenwahl si = 0 fur eine deprotonierte und si = 1 fur eineprotonierte Gruppe gilt daher ∆i = +1.) In einem anderen Satz s1, s2, . . . , sNvon Variablen, der aus dem beliebigen Variablensatz s1, s2, . . . , sN durch Trans-formation nach Gleichung 4.39 hervorgeht, fuhrt die gleiche Protonierungsreak-tion zu der folgenden Anderung der Variablen.

si → s′i = si + ∆iδi,k ∆i = pi − di = bi∆i (4.52)

Energieanderung

Die Protonierung der Gruppe k einer Mikrospezies ist mit einer Anderung derEnergiegroße F(s1, s2, . . . , sN) verbunden.

F(s′1, s′2, . . . , s

′N) = F(s1, s2, . . . , sN) + ∆F(s1, s2, . . . , sN ; k) (4.53)

Diese Anderung kann durch Einsetzen von Gleichung 4.51 in die Entwicklung4.37 berechnet werden.

∆F(s1, s2, . . . , sN ; k) = ∆k

(

−Mk +N∑

i=0

Eiksi +∑

i<j

Lijksisj

)

(4.54)

Mit einem transformierten Variablensatz s1, s2, . . . , sN findet man entsprechendmit Gleichung 4.52 und 4.44 den folgenden Wert.

∆F(s1, s2, . . . , sN ; k) = ∆k

(

−Mk +N∑

i=0

Eiksi +∑

i<j

Lijksisj

)

(4.55)

Die Protonierung der gleichen Gruppe einer Mikrospezies muß unabhangig vonder Wahl der Variablen mit der gleichen Anderung ∆F(s1, s2, . . . , sN ; k) einher-gehen. Daher konnen die folgenden Rucktransformationen fur die Parameter Mi,Eij und Lijk gewonnen werden.

Mk = bk

(

Mk −N∑

i=1

Eikai −∑

i<j

Lijkaiaj

)

(4.56)

Eik = bk

(

Eikbi +N∑

j=1

Lijkajbi

)

(4.57)

Lijk = bibjbkLijk (4.58)

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KAPITEL 4. STATISTIK DER PROTONIERUNG 101

Wenn alle Kopplungen zwischen Gruppen ausgeschlossen sind (Eij = Lijk = 0 furalle i, j, k = 1, 2, . . . , N), hat die Anderung ∆F(s1, s2, . . . , sN ; k) nach Gleichung4.54 den Wert ∆F0(k),

∆F0(k) = −∆kMk (4.59)

durch den der mikroskopische pK-Wert der Gruppe k, pK0k (ohne Wechselwir-

kungen) definiert wird.

β∆F0(k)

ln (10)= pcH − pK0

k (4.60)

Mikroskopische Protonierungskonstanten

Der thermodynamische Mittelwert 〈sk〉 einer Variablen sk wird im semigroßka-nonischen Ensemble folgendermaßen berechnet.

〈sk〉 =1

Ξ

s1,s2,...,sN

sk exp [−βF(s1, s2, . . . , sN)] =

(∂ ln Ξ

∂(βMk)

)

T

(4.61)

Aus dem Wert 〈sk〉 kann der mittlere Protonierungsgrad 〈θk〉 der Gruppe be-stimmt werden.

〈θk〉 =〈sk〉 − dk

pk − dk

(4.62)

Der Protonierungsgrad θ des Polyions ist dann das arithmetische Mittel uber diemittleren Protonierungsgrade aller Gruppen.

θ =1

N

N∑

k=1

〈sk〉 − dk

pk − dk

(4.63)

Bei Ausschluß samtlicher Wechselwirkungen zwischen Gruppen entfallen in derEntwicklung 4.37 alle Terme, die einem Produkt von site variables proportionalsind, und die semigroßkanonische Zustandssumme wird Ξ0.

Ξ0 = exp (−βFoffset)∑

s1,s2,...,sN

exp

(

βN∑

i=1

Misi

)

∝∑

sk=dksk=pk

exp (βMksk)∑

s1,s2,...,sNsi 6=sk

exp

(

β∑

i6=k

Misi

)

(4.64)

Nach Gleichung 4.61 ergibt sich aus Ξ0 der thermodynamische Mittelwert 〈sk〉0der Variablen sk fur den Fall, daß alle sites voneinander unabhangig sind,

〈sk〉0 =dk + pk exp (β∆kMk)

1 + exp (β∆kMk)(4.65)

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KAPITEL 4. STATISTIK DER PROTONIERUNG 102

und der mittlere Protonierungsgrad der Gruppe wird nach Gleichung 4.62 be-rechnet.

〈θk〉0 =1

1 + exp (−β∆kMk)=

1

1 + exp [β∆F0(k)]=

1

1 + 10pcH−pK0k

(4.66)

Ohne Wechselwirkungen zwischen Gruppen wird die Protonierung einer Grup-pe daher durch eine Langmuir-Isotherme (Gleichung 3.19) beschrieben, deren

Parameter pK(k)L mit dem mikroskopischen pK-Wert der Gruppe ubereinstimmt

(Gleichung 4.60). Dieser Wert ist invariant unter Variablentransformation.

β∆kMk

ln (10)= pK0

k − pcH (4.67)

Ohne Wechselwirkungen auszuschließen, ergeben sich mikroskopische pK-Werteeiner Gruppe k, wenn die Werte aller ubrigen site variables festgelegt sind. Derthermodynamische Mittelwert der Variablen sk wird dann durch Summation uberdie Variablenwerte sk = dk und sk = pk fur die betrachtete Gruppe gebildet,

〈sk〉s1,...,sk−1,sk+1,...,sN =

∑sk=dksk=pk

sk exp [−βF(s1, s2, . . . , sN)]∑

sk=dksk=pk

exp [−βF(s1, s2, . . . , sN)](4.68)

und der mittlere Protonierungsgrad der Gruppe wird nun durch einen anderenpK-Wert beschrieben.

〈θk〉s1,...,sk−1,sk+1,...,sN =1

1 + exp [β∆F(s1, s2, . . . , sN ; k)]

=[1 + 10pcH−pKk(s1,...,sk−1,sk+1,...,sN)

]−1(4.69)

Dieser mikroskopische pK-Wert der Gruppe k weicht um die Wechselwirkungs-anteile der beobachteten Gruppe mit allen anderen Gruppen des Polyions vondem Wert pK0

k ab, der bei Ausschluß aller Wechselwirkungen gilt.

pKk(s1, . . . , sk−1, sk+1, . . . , sN)

= pK0k −

β∆k

ln (10)

N∑

i=1

Eiksi +∑

i<j

Lijksisj

(4.70)

Die diesem mikroskopischen pK-Wert entsprechende mikroskopische Dissozia-tionskonstante kann auch in den Konzentrationen der Mikrospezies ausgedrucktwerden.

Kk(s1, . . . , sk−1, sk+1, . . . , sN) =[s1, . . . , sk = dk, . . . , sN ][H]

[s1, . . . , sk = pk, . . . , sN ](4.71)

Unter Berucksichtigung von Submikrospezies gelten analoge Gleichungen, dennauch hier gehen zur Berechnung des Protonierungsgrades die thermodynamischen

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KAPITEL 4. STATISTIK DER PROTONIERUNG 103

Mittelwerte der site variables ein und nicht die der zusatzlichen Variablen σi. Al-lerdings ist bei der Berechnung von Ξ auch uber alle Werte dieser Variablen zusummieren. Die Anderung in der Energiegroße F(s1, s2, . . . , sN ; σ1, σ2, . . . ; k) beiProtonierung der Gruppe k ist auch von der Parametrisierung in den zusatzli-chen Variablen abhangig. Dementsprechend sind die resultierenden submikrosko-pischen pK-Werte im allgemeinen von den Variablen σi abhangig. Die entspre-chenden Submikrokonstanten fur eine Gruppe

Kk(s1, . . . , sk−1, sk+1, . . . , sN ; σ1, σ2, . . .)

=[s1, . . . , sk = dk, . . . , sN ; σ1, σ2, . . .][H]

[s1, . . . , sk = pk, . . . , sN ; σ1, σ2, . . .](4.72)

unterscheiden sich in verschiedenen Konformationen, die durch die zusatzlichenVariablen σi charakterisiert werden.

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KAPITEL 4. STATISTIK DER PROTONIERUNG 104

4.2”Kleine“ Ionen

Zur Illustration der dargestellten statistischen Grundlagen werden nun die Proto-nierungsgleichgewichte von Ionen mit wenigen ionisierbaren Gruppen untersucht.Wenn die Anzahl N von binding sites klein ist, laßt sich die semigroßkanonischeZustandssumme in einfacher Weise durch direktes Aufsummieren von Termen be-rechnen. Die Anzahl der auftretenden mikroskopischen Parameter ist so gering,daß ihre Bedeutung gut diskutiert werden kann.

4.2.1 Ionen mit nur einer Gruppe

Im Fall N = 1 sind die Makrospezies BH0 und BH1 zu unterscheiden. Jede Makro-spezies wird durch genau eine Mikrospezies realisiert. Mit den Variablenwertend1 = 0 und p1 = 1 ist BH0 = 0 und BH1 = 1 sowie ∆i = +1. Fur diesemigroßkanonische Zustandssumme gilt folgende einfache Beziehung,

Ξ =∑

s1=0s1=1

exp [−βF(s1)] mit F(s1) = Foffset − M1s1

= exp (−βFoffset) [1 + exp (βM1)]

= exp (−βFoffset) [1 + z1] (4.73)

und die Bindungsisotherme fur Protonen an das Ion

θ = −(

∂ lg Ξ

∂pcH

)

T

= +z1

(∂ ln Ξ

∂z1

)

T

=z1

1 + z1

=1

1 + 10pcH−pK01

(4.74)

ist eine Langmuir-Isotherme. In den Gleichungen wurde die Abkurzung z1 ver-wendet. Der Parameter zi hangt allgemein mit dem mikroskopischen pK-Wert ei-ner Gruppe bei Ausschluß von Wechselwirkungen und dem pcH-Wert der Losungzusammen und ist invariant unter Variablentransformation.

zi = exp (β∆iMi) = 10pK0i−pcH = 10pK0

i [H] M−1 (4.75)

4.2.2 Ionen mit zwei Gruppen

Bei Ionen mit N = 2 Gruppen sind drei Makrospezies BH0, BH1 und BH2 zuberucksichtigen und vier Mikrospezies zu unterscheiden. Am Beispiel von Diami-nen und Dicarbonsauren wird die Bedeutung der Transformation von site varia-

bles deutlich.

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KAPITEL 4. STATISTIK DER PROTONIERUNG 105

Diamine

Im Falle von Diaminen sind die Makrospezies durch die folgenden Mikrospeziesrealisiert,

H2N − R − NH2+H3N − R − NH2 H2N − R − NH+

3︸ ︷︷ ︸

+H3N − R − NH+3

BH0 BH1 BH2

(4.76)

die mit den Werten d1 = d2 = 0 und p1 = p2 = 1 als 0, 0, 1, 0, 0, 1 und1, 1 notiert werden. Die Energiegroße F(s1, s2) berucksichtigt auch die Paar-Wechselwirkung zwischen zwei protonierten Gruppen.

F(s1, s2) = Foffset − M1s1 − M2s2 + E12s1s2 di = 0, pi = 1 (4.77)

Da F(s1, s2) gegeben ist, kann die semigroßkanonische Zustandssumme nach Glei-chung 4.35 berechnet werden.

Ξ =∑

s1=0,s1=1s2=0,s2=1

exp [−βF(s1, s2)]

= exp (−βFoffset) [1 + exp (βM1) + exp (βM2) + exp (βM1 + βM2 − βE12)]

= exp (−βFoffset) [1 + z1 + z2 + z1z2u12] (4.78)

Die folgenden Abkurzungen sind zweckmaßig zur Charakterisierung der Paar-Wechselwirkungen.

uij = exp (−βEij) = 10−ǫij uij = exp(

−βEij

)

(4.79)

ǫij =βEij

ln (10)ǫij =

βEij

ln (10)(4.80)

Diese Großen sind nicht invariant unter Variablentransformation.Da zi nach Gleichung 4.75 der Protonenkonzentration proportional ist, konnendie kumulativen konditionalen Assoziationskonstanten Kn fur das Diamin direktan Gleichung 4.78 abgelesen werden,

Ξ ∝ K0 + K1[H] + K2[H]2 (4.81)

K0 = 1 (4.82)

K1 =(

10pK01 + 10pK0

2

)

M−1 (4.83)

K2 = 10pK01+pK0

2 u12 M−2 (4.84)

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KAPITEL 4. STATISTIK DER PROTONIERUNG 106

und mit Hilfe von Gleichung 3.7 lassen sich die makroskopischen pK-Werte desDiamins berechnen.

pK1 = + lgK2

K1

= + lg10pK0

1+pK02

10pK01 + 10pK0

2

− ǫ12 (4.85)

pK2 = + lgK1

K0

= + lg(

10pK01 + 10pK0

2

)

(4.86)

Mit zunehmender Große des Wechselwirkungsparameters ǫ12 > 0 verringert sichder erste pK-Wert. Die Saurestarke der Protonierungsform BH2 nimmt zu, denndurch Abgabe eines Protons wird die repulsive Wechselwirkung zwischen denbeiden protonierten Gruppen aufgehoben. Dagegen tritt weder in der Makrospe-zies BH1 noch in BH0 eine elektrostatische Abstoßung zwischen Gruppen auf.Entsprechend ist die Bildung von BH0 aus BH1 unter Abgabe eines weiteren Pro-tons unabhangig vom Parameter ǫ12, und der Wert von pK2 hangt nur von denmikroskopischen Parametern pK0

1 und pK02 der einzelnen Gruppen ab.

Dicarbonsauren

Die Makrospezies einer Dicarbonsaure sind ebenfalls durch vier Mikrospezies rea-lisiert,

−O2C − R − CO2− HO2C − R − CO2

−O2C − R − CO2H HO2C − R − CO2H (4.87)

wobei im Gegensatz zum Diamin nicht bei der vollstandig protonierten Mikrospe-zies sondern bei der vollstandig deprotonierten Spezies repulsive elektrostatischeWechselwirkungen zu berucksichtigen sind.Solange die site variables die Werte d1 = d2 = 0 und p1 = p2 = 1 haben,erhalt man die im vorhergehenden Abschnitt dargestellten Ergebnisse auch furdie Dicarbonsaure. Wenn beide Gruppen protoniert vorliegen, geht der ParameterE12 weiterhin in die Energie F(s1, s2) ein. Daher konnen E12 und ǫ12 im Falle derDicarbonsaure nicht direkt mit der elektrostatischen Abstoßungsenergie zwischenCarboxylatgruppen identifiziert werden. Die Beschreibung bleibt zwar korrekt,wird aber anschaulicher, wenn die Variablen transformiert werden.Durch die Transformation der Variablen nach Gleichung 4.39 mit a1 = a2 = 1und b1 = b2 = −1 erhalt man einen Satz s1, s2, . . . , sN von transformiertenVariablen. Die zugehorigen transformierten Parameter Mi und E12 sind mit denursprunglichen uber Gleichung 4.46 und 4.47 verknupft.

Mi = E12 − Mi i = 1, 2 (4.88)

E12 = E12 (4.89)

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KAPITEL 4. STATISTIK DER PROTONIERUNG 107

Das Einsetzen dieser Gleichungen in die oben berechnete Zustandssumme (Glei-chung 4.78) ergibt die folgende Beziehung.1

Ξ = exp (−βFoffset)[

1 + exp(

−βM1 + βE12

)

+ exp(

−βM2 + βE12

)

+ exp(

−βM1 − βM2 + βE12

)]

Ξ ∝[1 + (z1 + z2)u

−112 + z1z2u

−112

](4.90)

Aus dieser Gleichung konnen wie im oberen Beispiel die makroskopischen pK-Werte der Dicarbonsaure ermittelt werden.

pK1 = + lg10pK0

1+pK02

10pK01 + 10pK0

2

(4.91)

pK2 = + lg(

10pK01 + 10pK0

2

)

+ ǫ12 (4.92)

Im Fall der Dicarbonsaure ist also der erste pK-Wert unabhangig vom Parameterǫ12 > 0, der die Abstoßung von Carboxylatgruppen berucksichtigt. Diese fuhrtdazu, daß der zweite pK-Wert erhoht wird. Die Saurestarke der Spezies BH1

nimmt mit steigender repulsiver Wechselwirkung zwischen den Gruppen ab.Anstatt eine Variablentransformation vorzunehmen, kann auch sofort von der all-gemeinen Entwicklung 4.49 mit site variables ausgegangen werden, die die Werted1 = d2 = 1 und p1 = p2 = 0 annehmen. Dann hat in der Entwicklung

F(s1, s2) = Foffset +2 ln (10)

βpcH − M1s1 − M2s2 + E12s1s2 (4.93)

der Parameter E12 die Bedeutung einer Wechselwirkungsenergie zwischen depro-tonierten Gruppen und stimmt in dieser Wahl der Variablenwerten mit E12 uber-ein. Die semigroßkanonische Zustandssumme kann nun erneut nach Gleichung4.35 berechnet werden.

Ξ = exp (−βFoffset) 10−2pcH [1 + exp (βM1) + exp (βM2)

+ exp (βM1 + βM2 − βE12)]

= exp (−βFoffset)[

10−2pcH + 10−pcH−pK01 + 10−pcH−pK0

2 + 10−pK01−pK0

2−ǫ12]

Dabei wurde berucksichtigt, daß mit ∆i = pi − di = −1 nach Gleichung 4.67 nunexp (+βMi) = 10pcH−pK0

i gilt. Nach Division durch den letzten Term der Summe(pcH-unabhangig) erhalt man folgende Proportionaliat, die die pcH-Abhangigkeitder Zustandssumme richtig beschreibt.

Ξ ∝ 10pK01+pK0

2+ǫ12 [H]2 M−2 +(

10pK01 + 10pK0

2

)

[H] M−1 + 1 (4.94)

1Die Konstante Foffset wird nicht transformiert, damit der Faktor exp (−βFoffset) weiterhinpcH-unabhangig bleibt.

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KAPITEL 4. STATISTIK DER PROTONIERUNG 108

Aus dieser Gleichung konnen wie oben die kumulativen konditionalen Assoziati-onskonstanten abgelesen werden, und es ergeben sich die makroskopischen pK-Werte der Dicarbonsaure.

pK1 = lg10pK0

1+pK02

10pK01 + 10pK0

2

(4.95)

pK2 = lg(

10pK01 + 10pK0

2

)

+ ǫ12 (4.96)

In diesen Gleichungen beschreibt der Parameter ǫ12 > 0 nun die repulsive Wech-selwirkung zwischen deprotonierten Gruppen. Falls beide mikroskopischen Kon-stanten pK0

1 und pK02 den gleichen Wert pK0 haben, gelten die folgenden Bezie-

hungen.

pK1 = pK0 − lg (2) pK2 = pK0 + lg (2) + ǫ12 (4.97)

4.2.3 Ionen mit mehr als zwei Gruppen

Bei Ionen mit mehr als zwei Gruppen konnen verschiedene Paar-Wechselwirkun-gen und daruber hinaus Triplett-Wechselwirkungen berucksichtigt werden. DieTriplett-Wechselwirkung tritt erstmals bei Ionen mit N = 3 Gruppen auf.

F(s1, s2, s3) = Foffset − M1s1 − M2s2 − M3s3

+E12s1s2 + E13s1s3 + E23s2s3 + L123s1s2s3 (4.98)

Die semigroßkanonische Zustandssumme laßt sich folgendermaßen schreiben

Ξ = exp (−βFoffset) [1 + z1 + z2 + z3 + z1z2u12 + z1z3u13 + z2z3u23

+z1z2z3u12u13u23w123] (4.99)

mit dem Parameter v123 zur Charakterisierung der Triplett-Wechselwirkung.

wijk = exp (−βLijk) = 10−λijk wijk = exp(

−βLijk

)

(4.100)

λijk =βLijk

ln (10)λijk =

βLijk

ln (10)(4.101)

Diese Großen sind ebenfalls nicht invariant unter Variablentransformation.Schon das Beispiel N = 3 zeigt, daß die Anzahl unterschiedlicher Parameter, diein die Energiegroße F(s1, s2, . . . , sN) eingehen, mit der Anzahl N von Gruppenschnell ansteigt. Die semigroßkanonische Zustandssumme besteht (auf der Ebeneder Mikrospezies) aus 2N Summanden und wird ebenfalls schnell unubersichtlich,wenn Ionen mit einer großeren Zahl von binding sites beschrieben werden.Mit zunehmender Zahl von Gruppen nimmt im allgemeinen auch der Abstand ei-niger Gruppen voneinander zu, da sie sich an verschiedenen Orten in immer großerwerdenden Ionen befinden. In vielen Fallen konnen in guter Naherung Wechsel-wirkungen zwischen Gruppen vernachlassigt werden, wenn sie hinreichend weit

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KAPITEL 4. STATISTIK DER PROTONIERUNG 109

voneinander entfernt sind. Somit treten einige Wechselwirkungsparameter in derEnergiegroße F(s1, s2, . . . , sN) nicht auf, und die Zustandssumme vereinfacht sichebenfalls. Daruber hinaus konnen mehreren Parametern die gleichen Zahlenwertezugeordnet werden, sofern die Ionen eine gewisse Symmetrie aufweisen. Im Rah-men solcher Naherungen konnen die Protonierungseigenschaften von oligomerenEinheiten oder Dendrimeren vorausberechnet werden [100], [113], sobald die mi-kroskopischen Parameter aus der Untersuchung von Monomeren und Dimerenbekannt sind.

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KAPITEL 4. STATISTIK DER PROTONIERUNG 110

4.3 Kettenformige Polyionen

Mit dem in Abschnitt 4.1 dargestellten Formalismus kann die semigroßkanonischeZustandssumme und somit die Bindungsisotherme fur Protonen an Polyionen furjede Anzahl N von binding sites berechnet werden.

Anzahl binding sites NAnzahl der Mikrospezies 2N

Anzahl mikroskopischer pK-Werte N2N−1

Anzahl Parameter pK0i N

Anzahl Paar-Wechselwirkungsparameter Eij N(N − 1)/2Anzahl Triplett-Wechselwirkungsparameter Lijk N(N − 1)(N − 2)/6

Tabelle 4.1: ParameterMit zunehmender Anzahl N von binding sites steigt die Anzahl der Mikrospezies undder Parameter schnell an. Auf submikroskopischer Ebene sind weitere Parameter zuberucksichtigen.

Werden alle in Tabelle 4.1 aufgefuhrten Parameter und daruber hinaus weitereKoeffizienten der Produkte sisjsksl von vier und mehr site variables berucksich-tigt, so ist die Beschreibung der Protonierungsgleichgewichte von Polyionen aufder Ebene der Mikrospezies exakt, aber sehr aufwendig. Der Wert eines gutenModells fur Polyelektrolyte besteht darin, die Protonierungsgleichgewichte vonPolyionen mit moglichst wenigen Parametern gut zu beschreiben. Daher werdenim folgenden gewisse Naherungen fur die mikroskopischen pK-Werte der sites

und fur die Wechselwirkungen zwischen Gruppen eingefuhrt.

4.3.1 Transfermatrizen

Zur Berechnung der semigroßkanonischen Zustandssumme fur kettenformige Po-lyionen kann von der Diskussion der parametrisierten semigroßkanonischen Ener-gie auf Transfermatrizen [50], [76], [80], [133] ubergegangen werden. Sofern nurWechselwirkungen zwischen binding sites berucksichtigt werden, die nicht zu weitvoneinander entfernt sind1, haben diese quadratischen Matrizen eine niedrige

1Die binding sites eines kettenformigen Polyions werden im folgenden als von Kettenanfangzu Kettenende in aufsteigender Weise numeriert angenommen. Wenn nur Wechselwirkungenzwischen Gruppen berucksichtigt werden, die nicht zu weit voneinander entfernt sind, werdenParameter mit sehr unterschiedlichen Indices gleich null.

Eij ≈ 0 fur j ≫ i + 1 (4.102)

Lijk ≈ 0 fur j ≫ i + 1, k ≫ j + 1 oder k ≫ i + 1 (4.103)

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KAPITEL 4. STATISTIK DER PROTONIERUNG 111

Dimension. Dann sind sie das Mittel der Wahl zur Berechnung der semigroß-kanonischen Zustandssumme und der Protonierungseigenschaften kettenformigerPolyionen. Im folgenden sind Gleichungen zusammengestellt, die die Berechnungder Zustandssummen und der Bindungsisothermen erlauben. Die Transfermatri-zen selbst werden in den folgenden Abschnitten vorgestellt.Auf der Grundlage der Energiegroße F(s1, s2, . . . , sN) in der mikroskopischenBeschreibung oder F(s1, s2, . . . , sN ; σ1, σ2, . . .) in der submikroskopischen Be-schreibung (mit diskreten Variablen σi) sind geeignete Transfermatrizen T(i)

(i = 1, 2, . . . , N) fur jede Polymereinheit zu bestimmen.

T(i) =

T(i)11 T

(i)12 . . . T

(i)1D

T(i)21 T

(i)22 . . . T

(i)2D

· · · · · · . . ....

T(i)D1 T

(i)D2 . . . T

(i)DD

(4.104)

Die Elemente T(i)mn der Transfermatrizen sind die Wahrscheinlichkeiten dafur, die

Polymereinheit i in einem Zustand m vorzufinden unter der Bedingung, daß dievorhergehende Einheit (i − 1) sich im Zustand n befindet. Fur die Berechnung vonBindungsisothermen brauchen die Eintrage nicht gleich diesen bedingten Wahr-scheinlichkeiten zu sein, sondern die Proportionalitat reicht aus. Die Dimension Dder quadratischen Matrizen ist umso hoher, je mehr Wechselwirkungen zwischensites oder Bindungen berucksichtigt werden.Mit derart definierten Transfermatrizen laßt sich die semigroßkanonische Zu-standssumme Ξ als die Spur eines Matrizenproduktes ausrechnen.

Ξ = Tr(T(N) . . .T(2)T(1)

)(4.105)

Alternativ kann die Zustandssumme Ξ als Summe aller Elemente des Produktesder Transfermatrizen berechnet werden.

Ξ = (1, 1, . . . , 1)(T(N) . . .T(2)T(1)

)

11...1

(4.106)

In beiden Formulierungen unterscheiden sich lediglich die Transfermatrizen furden Kettenanfang (oder das Kettenende), die in jedem Fall speziell diskutiertwerden mussen.Der thermodynamische Mittelwert einer linearen Funktion f(sk) einer site varia-

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KAPITEL 4. STATISTIK DER PROTONIERUNG 112

ble ergibt sich ebenfalls durch Matrixmultiplikation,

〈f(sk)〉 =1

Ξ(1, 1, . . . , 1)

(T(N) . . .T(k+1)

)(S(k)T(k)

)(T(k−1) . . .T(1)

)

11...1

(4.107)

wobei an die k-te Position in dem Matrizenprodukt eine Matrix S(k) einzufugenist. Im einfachsten Fall kann somit der thermodynamische Mittelwert der Vari-ablen sk selbst bestimmt werden.Auf submikroskopischer Ebene wird zur Berechnung des Mittelwertes einer linea-ren Funktion f(σk) entsprechend eine geeignete Matrix Σ(k) eingesetzt.

〈f(σk)〉 =1

Ξ(1, 1, . . . , 1)

(T(N) . . .T(k+1)

)(

Σ(k)T(k))(

T(k−1) . . .T(1))

11...1

(4.108)

Mit diesen Gleichungen lassen sich bei gegebenen Transfermatrizen fur jede An-zahl N von Polymereinheiten die mittleren Protonierungsgrade aller binding sites

(damit die Bindungsisothermen fur Protonen an das Polyion) und die mittlereAnordnung jeder Bindung (damit die Konformation des Polyions) bestimmen.Fur den Grenzfall unendlich vieler identischer Polymereinheiten (N → ∞) sindEffekte am Anfang oder am Ende der Polymerkette zu vernachlassigen. AlleTransfermatrizen besitzen die gleiche Form, und die Zustandssumme kann ausder N -ten Potenz einer Transfermatrix T berechnet werden als Summe aller Ma-trixelemente

Ξ = (1, 1, . . . , 1)TN

11...1

fur N → ∞ (4.109)

oder aus der Spur der Produktmatrix.

Ξ = Tr(TN

)fur N → ∞ (4.110)

Die Spur ist invariant bei einer Ahnlichkeitstransformation, die die Matrix Tdiagonalisiert. Somit kann die Spur des Matrizenproduktes TN durch die N -tePotenz des großten Eigenwertes λT der Transfermatrix angenahert werden.

Ξ ≈ λNT

fur N → ∞ (4.111)

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KAPITEL 4. STATISTIK DER PROTONIERUNG 113

Mit Gleichung 4.22 erhalt man durch Differenzieren nach dem pcH-Wert die Bin-dungsisotherme fur Protonen an das betrachtete Polyion.

θ(pcH) = − 1

N

(∂ lg Ξ

∂pcH

)

T

≈ −(

∂ lg λT

∂pcH

)

T

(4.112)

4.3.2 Modelle ohne Wechselwirkung

Wenn alle Gruppen eines Polyions voneinander unabhangig protoniert werdenkonnen, entfallen in der Entwicklung der Energiegroße F(s1, s2, . . . , sN) samtlicheWechselwirkungsparameter. Mit den Variablenwerten di = 0 und pi = 1 hat diesemigroßkanonische Energie eine einfache Form.

F(s1, s2, . . . , sN) = Foffset−N∑

i=1

Misi fur di = 0 pi = 0 i = 1, 2, . . . , N

(4.113)

Nach Gleichung 4.35 wird die semigroßkanonische Zustandssumme berechnet,

Ξ = exp (−βFoffset)N∏

i=1

(1 + zi) (4.114)

die auch fur jede andere Variablenwahl gilt, weil alle zi unter Variablentransfor-mation invariant sind. Die Bindungsisotherme fur Protonen an ein Ion mit NGruppen erweist sich als eine Uberlagerung von N Langmuir-Isothermen.

θ = − 1

N

(∂ lg Ξ

∂pcH

)

T

= − 1

N

N∑

i=1

(∂ lg (1 + zi)

∂pcH

)

T

=1

N

N∑

i=1

1

1 + z−1i

(4.115)

Falls alle wechselwirkungsfreien Gruppen den gleichen mikroskopischen pK-WertpK0 besitzen, ist die Bindungsisotherme fur Protonen an das Polyion daher ei-ne Langmuir-Isotherme, deren Parameter pKL mit den mikroskopischen pK-Werten der Gruppen ubereinstimmt. Unter diesen Bedingungen kann die Zu-standssumme Ξ nach dem Binomial-Theorem in ein Polynom in z = zi umge-schrieben werden,

Ξ ∝ (1 + z)N =N∑

n=0

(N

n

)

zn =N∑

n=0

(N

n

)(

10pK0)n

[H]n (4.116)

und die kumulativen Assoziationskonstanten lassen sich direkt ablesen (siehe auchGleichung 3.45).

Kn =

(N

n

)

KnL,a KL,a = 10pK0

M = 10pKL M (4.117)

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KAPITEL 4. STATISTIK DER PROTONIERUNG 114

Die semigroßkanonische Zustandssumme kann nach Gleichung 4.106 auch mitHilfe von Transfermatrizen berechnet werden.

T(i) =

(

T(i)11 T

(i)12

T(i)21 T

(i)22

)

=

(1 1zi zi

)

i = 2, 3, . . . , N T(1) =

(1 0z1 0

)

(4.118)

Dabei ist der Zustand 1 durch die Variable si = 0 und der Zustand 2 durchdie Variable si = 1 bestimmt (willkurliche Definition). Weil in diesem ModellWechselwirkungen zwischen Gruppen ausgeschlossen sind, sind die bedingtenWahrscheinlichkeiten unabhangig davon, in welchem Zustand sich die vorher-gehende Gruppe befindet. Daher haben beide Spalten der Matrix die gleichenEintrage. (Der Faktor exp (−βFoffset) wird unberucksichtigt gelassen, da er alspcH-unabhangige Konstante nicht in die Bindungsisothermen eingeht.) Die Ele-

mente T(1)m2 der Transfermatrix fur die erste Gruppe mussen gesondert diskutiert

werden, da keine vorhergehende Gruppe existiert.Die Eigenwerte der Transfermatrizen T(i) (i 6= 1) sind

λT =

01 + zi

(4.119)

Da ein Eigenwert gleich null ist, berechnet sich mit der Transfermatrixmethodedie Bindungsisotherme bei gleichem z = zi mit

Ξ = (1, 1)TN

(11

)

= (1 + z)N (4.120)

und

θ(pcH) = −(

∂ ln (1 + z)

∂pcH

)

T

=z

1 + z(4.121)

zu einer (Langmuir-Isotherme) nicht nur fur unendlich viele Gruppen, sondernin diesem speziellen Fall fur jede Anzahl N .Wechselwirkungsfreie Gruppen sind im allgemeinen eine sehr grobe Vereinfa-chung. Nur wenn die protonierbaren Gruppen eines Polyions raumlich weit ge-trennt sind und ihre Ladungen durch eine hohe Konzentration von Gegenioneneffektiv abgeschirmt sind, wird ein Titrationsverhalten erwartet, das dem wech-selwirkungsfreien Modell nahe kommt.

4.3.3 Wechselwirkung zwischen binding sites

Statistisches Modell

Berucksichtigt man nur Paar-Wechselwirkungen zwischen Gruppen, die auf derPolymerkette benachbart sind bleiben in der Energiegroße F(s1, s2, . . . , sN) nur

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KAPITEL 4. STATISTIK DER PROTONIERUNG 115

die Wechselwirkungsparameter Ei−1,i mit i = 2, 3, . . . , N zu berucksichtigen [16],[92] [120]. Fur beliebige Variablenwerte di 6= pi fur deprotonierte bzw. protonierteGruppen gilt dann nach Gleichung 4.49 die folgende Entwicklung.

F(s1, s2, . . . , sN) = Foffset + pcHln (10)

β

N∑

i=1

di

pi − di

−N∑

i=1

Misi +N∑

i=2

Ei−1,isi−1si (4.122)

In der speziellen Variablenwahl di = 0 und pi = 1 ist Eij die Wechselwirkungs-energie zwischen protonierten Gruppen. Infolgedessen ist die bedingte Wahr-scheinlichkeit T

(i)22 fur den Fall, daß sich die Gruppe i im Zustand 2 (si = 1)

befindet, wenn sich die vorhergehende Gruppe (i − 1) ebenfalls in Zustand 2befindet (si−1 = 1), um den Faktor ui−1,i gegenuber dem Modell ohne Wechsel-wirkung verandert. Die Transfermatrizen konnen folgendermaßen notiert werden.

T(i) =

(1 1zi ziui−1,i

)

i = 2, 3, . . . , N T(1) =

(1 0z1 0

)

(4.123)

In der Variablenwahl di = 1 und pi = 0 ist Ei−1,i die Abstoßungsenergie zwischenzwei benachbarten deprotonierten Gruppen und die Transfermatrizen sind vonder folgenden Form.

T(i) = 10−pcH

(1 1

z−1i z−1

i ui−1,i

)

i = 2, 3, . . . , N

T(1) = 10−pcH

(1 0

z−11 0

)

(4.124)

Wenn alle Gruppen den gleichen mikroskopischen pK-Wert (ohne Wechselwir-kungen) pK0 besitzen und die Wechselwirkungsparameter ui−1,i = 10−ǫi−1,i furalle Paare von Gruppen gleich u = ui−1,i = 10−ǫ sind, haben die Transfermatrizendie folgende Form

T(i) =

(1 1z zu

)

(4.125)

fur die Variablenwahl di = 0 und pi = 1 sowie

T(i) = 10−pcH

(1 1

z−1 z−1u

)

=

(H HK Ku

)

H = 10−pcH K = 10−pK0

(4.126)

fur die Variablenwahl di = 1 und pi = 0.Nach Gleichung 4.106 werde mit diesen Matrizen die semigroßkanonische Zu-standssumme und durch Differenzieren die Bindungsisotherme fur Protonen an

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KAPITEL 4. STATISTIK DER PROTONIERUNG 116

Polyionen mit N Gruppen berechnet. Wie Abbildung 4.3 zeigt, ist die Form derIsothermen davon abhangig, ob repulsive Wechselwirkungen zwischen benachbar-ten protonierten oder zwischen benachbarten deprotonierten Gruppen auftreten.Wenn die Zahl der Gruppen hinreichend groß ist, wird die Form der Bindungsi-sothermen immer weniger abhangig von der Anzahl der binding sites.Fur den Grenzfall unendlich vieler Gruppen wird der großte Eigenwert der Trans-fermatrizen berechnet. Fur Carboxylatgruppen erhalt man die Sakulargleichung,

∣∣∣∣

(H − λT) HK (Ku − λT)

∣∣∣∣= 0 (4.127)

und der großere der beiden Eigenwerte ist λT.

λT =H + Ku

2+

√(

H + Ku

2

)2

+ HK(1 − u) (4.128)

Die Bindungsisotherme fur Protonen an eine Polymerkette mit unendlich vielenbinding sites wird daraus folgendermaßen berechnet.

θ =H

λT

(∂λT

∂H

)

T

=H

2λT

1 +H + K(2 − u)

2λT − H + Ku

(4.129)

Fur den Fall, daß repulsive Wechselwirkungen zwischen protonierten sites zuberucksichtigen sind (Polyamine), konnen die Transfermatrizen fur die Variablen-wahl di = 0 und pi = 1 betrachtet werden. Das charakteristische Polynom lautet

λ2T− λT(1 + zu) + z(u − 1) (4.130)

und liefert den großeren Eigenwert λT.

λT =1 + zu

2+

√(

1 + zu

2

)2

+ z(1 − u) (4.131)

Als Bindungsisotherme fur Protonen an das Modell-Polyamin erhalt man diefolgende Funktion.

θ =z

2λT

(

u +zu2 − u + 2

2λT − zu − 1

)

(4.132)

In Abbildung 4.4 sind Bindungsisothermen fur Protonen an Polyionen dargestellt,bei denen eine Abstoßung entweder zwischen protonierten Gruppen oder zwischendeprotonierten Gruppen zu berucksichtigen ist.Bei Carboxylaten treten repulsive Wechselwirkungen zwischen deprotoniertenGruppen auf. Der Einfluß von ǫ ist daher stark im basischen Bereich. Mit zu-nehmender Wechselwirkung wird die Deprotonierung erschwert, und die Kurvenverschieben sich entsprechend zu hoheren pcH-Werten, wenn ǫ zunimmt.

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KAPITEL 4. STATISTIK DER PROTONIERUNG 117

Bei Aminen ist die Abstoßung von protonierten Gruppen zu berucksichtigen. Ent-sprechend ist bei hohen Protonierungsgraden der Einfluß des Wechselwirkungs-parameters groß und bei hohen pcH-Werten gering. Die Aktivitat von Protonenmuß mit steigendem ǫ immer mehr erhoht werden, um eine hohe Protonierungdes Polyions zu erzielen.Bei hinreichend hohen Werten von ǫ wird die weitere Protonierung (Amine) bzw.Deprotonierung (Carboxylate) erschwert, wenn θ ≈ 1/2 erreicht ist. Dementspre-chend verlaufen die Kurven in dieser Region flach. Bei halber Protonierung ist dieMikrospezies, bei der abwechselnd protonierte und deprotonierte Gruppen auf-treten, die energetisch gunstigste. Bei jedem weiteren Protonierungs bzw. Depro-tonierungsschritt dieser Mikrospezies mussen zwei repulsive Wechselwirkungenuberwunden werden.

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KAPITEL 4. STATISTIK DER PROTONIERUNG 118

Abbildung 4.3: KettenlangenDie Bindungsisothermen fur Protonen an Polyionen, die Carboxygruppen (obe-res Bild) oder Aminogruppen (unteres Bild) enthalten, werden bei festem Paar-Wechselwirkungsparameter ǫ = 0, 7 fur verschiedene Anzahlen N von Gruppen be-rechnet (N = 1, 2, 4, 6, . . . , 20). Im Falle der Carboxylate wird ein Wert pK0 = 5, furdie Amine pK0 = 9 eingesetzt. Mit zunehmender Kettenlange wird der Einfluß derAnzahl ionisierbarer Gruppen auf das Titrationsverhalten der Polyelektrolyte gerin-ger. Im Falle der Polycarboxylate verschieben sich Punkte halber Protonierung mitzunehmender Anzahl von Gruppen hin zu hoheren pcH-Werten. Polyamine zeigen einentgegengesetztes Verhalten.

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KAPITEL 4. STATISTIK DER PROTONIERUNG 119

Abbildung 4.4: Polycarbonsauren und PolyamineUnter Annahme von repulsiven Wechselwirkungen zwischen benachbarten binding sites

sind simulierte Bindungsisothermen fur Protonen an kettenformige Polyionen darge-stellt. Das obere Bild bezieht sich auf Carboxylate, bei denen repulsive Wechselwir-kungen zwischen deprotonierten Gruppen (pK0 = 5) auftreten. Im unteren Bild istdas Verhalten von Polyaminen simuliert, bei denen zwischen protonierten Gruppen(pK0 = 9) Wechselwirkungen zu berucksichtigen sind. Die Kurven sind fur Wechsel-wirkungsparameter zwischen ǫ = 0, 0 und ǫ = 2, 0 (in Schritten von 0, 2 Einheiten)dargestellt. Mit zunehmender Wechselwirkung verschieben sich die Werte θ = 1/2 zugeringen (Amine) oder hoheren (Carboxylate) pcH-Werten.

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KAPITEL 4. STATISTIK DER PROTONIERUNG 120

Vergleich mit experimentellen Daten

Fur nicht zu große Werte der Wechselwirkungsparameter ǫ besitzen die nach demModell berechneten Bindungsisothermen eine ahnliche Form wie Langmuir-

Freundlich-Isothermen. Diese wurden in Kapitel 3 als Funktionen mit zweiParametern eingefuhrt und beschreiben die experimentell ermittelten Bindungs-isothermen von Protonen an kurzkettige Poly(methacrylsauren) recht gut (Ab-schnitt 3.2).Unter der Annahme, daß sich das Bindungsverhalten von Protonen an die kurz-kettigen Polyelektrolyte (N ≥ 10) nicht mehr stark von dem an unendliche Poly-merketten unterscheidet (siehe auch Abbildung 4.3), konen durch Anpassung derGleichung 4.129 an die experimetellen Daten die mikroskopischen pK-Werte derCarboxygruppen und die Wechselwirkungsparameter ǫ zwischen nachsten Nach-barn bestimmt werden (Abbildung 4.5, Tabelle 4.2).Wahrend sich die mikroskopischen pK-Werte bei Anderung des Inertsalzes nurum 0, 1 Einheiten andern, nehmen die Parameter ǫ in der Reihe Tetramethylam-moniumchlorid (0, 100 M), Kalium- und Natriumchlorid (0, 100 M), Kaliumchlo-rid (1, 00 M) und Natriumchlorid (1, 00 M) systematisch ab. In gleicher Reihen-folge nimmt der Parameter bLF der Langmuir-Freundlich-Anpassungen zu.Sein Wert weicht umso mehr von eins ab, je starker sich benachbarte deproto-nierte Gruppen abstoßen. Damit ist der Zusammenhang zwischen dem Heteroge-nitatsparameter bLF und einer Wechselwirkung zwischen Gruppen hergestellt.

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KAPITEL 4. STATISTIK DER PROTONIERUNG 121

S-PMA-1100 pK0 ǫ pKLF bLF

(TMA)Cl (0, 100 M) 4, 8 ± 0, 1 1, 1 ± 0, 1 5, 63 ± 0, 07 0, 49 ± 0, 08KCl (0, 100 M) 4, 8 ± 0, 1 1, 0 ± 0, 1 5, 50 ± 0, 05 0, 50 ± 0, 06NaCl (0, 100 M) 4, 8 ± 0, 1 1, 0 ± 0, 1 5, 48 ± 0, 05 0, 52 ± 0, 06KCl (1, 00 M) 4, 9 ± 0, 1 0, 69 ± 0, 05 5, 25 ± 0, 05 0, 65 ± 0, 05NaCl (1, 00 M) 4, 9 ± 0, 1 0, 54 ± 0, 1 5, 20 ± 0, 05 0, 71 ± 0, 05

H-PMA-1210 pK0 ǫ pKLF bLF

(TMA)Cl (0, 100 M) 4, 9 ± 0, 1 1, 2 ± 0, 1 5, 81 ± 0, 07 0, 46 ± 0, 06KCl (0, 100 M) 4, 8 ± 0, 1 1, 1 ± 0, 1 5, 65 ± 0, 05 0, 49 ± 0, 07NaCl (0, 100 M) 4, 9 ± 0, 1 1, 1 ± 0, 1 5, 61 ± 0, 05 0, 52 ± 0, 06KCl (1, 00 M) 4, 8 ± 0, 1 0, 77 ± 0, 05 5, 28 ± 0, 06 0, 62 ± 0, 05NaCl (1, 00 M) 4, 9 ± 0, 1 0, 59 ± 0, 05 5, 21 ± 0, 05 0, 69 ± 0, 05

H-PMA-2150 pK0 ǫ pKLF bLF

(TMA)Cl (0, 100 M) 5, 0 ± 0, 1 1, 2 ± 0, 1 5, 98 ± 0, 05 0, 48 ± 0, 05KCl (0, 100 M) 5, 1 ± 0, 1 1, 1 ± 0, 1 5, 80 ± 0, 06 0, 51 ± 0, 06NaCl (0, 100 M) 5, 1 ± 0, 1 1, 0 ± 0, 1 5, 78 ± 0, 05 0, 55 ± 0, 05KCl (1, 00 M) 5, 0 ± 0, 1 0, 75 ± 0, 05 5, 42 ± 0, 06 0, 63 ± 0, 05NaCl (1, 00 M) 5, 1 ± 0, 1 0, 57 ± 0, 05 5, 39 ± 0, 05 0, 70 ± 0, 05

Tabelle 4.2: Wechselwirkung zwischen benachbarten GruppenAn die experimentellen Daten (Abschnitt 3.2) wird die Gleichung 4.129 angepaßt. Da-mit werden die mikroskopischen pK-Werte pK0 fur Carboxygruppen und die Parameterǫ fur die Wechselwirkung zwischen nachsten Nachbarn bestimmt. Das Titrationsverhal-ten der kurzkettigen Polyelektrolyte kann mit dem Modell gut erklart werden, obwohldie Anzahl von Gruppen mit N = 10 (S-PMA-1100), N = 14 (H-PMA-1210) undN = 25 (H-PMA-2150) von der der unendlichen Kette noch entfernt ist. Alle Wertebeziehen sich auf 25oC. Zum Vergleich sind in den letzten beiden Spalten die Parame-ter angegeben, die aus der Anpassung von Langmuir-Freundlich-Isothermen an dieexperimentellen Daten ermittelt wurden.

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KAPITEL 4. STATISTIK DER PROTONIERUNG 122

Abbildung 4.5: Vergleich von BindungsisothermenIm oberen Bild ist die Anpassung der Gleichung 4.129 an experimentelle Daten (H-PMA-1250; 1, 00 M Kaliumchlorid als Inertsalz) dargestellt. Die Residue dieser Anpas-sung auf der Grundlage von repusiven Wechselwirkungen benachbarter Carboxylat-gruppen zeigt die mittlere Auftragung. Zum Vergleich ist im unteren Bild die Residueder Anpassung einer Langmuir-Freundlich-Isotherme nach Gleichung 3.22 an dieexperimentellen Daten dargestellt. Die Parameter der Anpassungen sind Tabelle 4.2 zuentnehmen.

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KAPITEL 4. STATISTIK DER PROTONIERUNG 123

4.3.4 Wechselwirkung zwischen hydrophoben Gruppen

Statistisches Modell

Wie im vorherigen Modell werden Wechselwirkungen zwischen protonierten oderdeprotonierten Gruppen berucksichtigt, die nachste Nachbarn auf der Polymer-kette sind. Der Protonierungszustand aller Gruppen wird durch die Variablen si

festgelegt. Daruber hinaus werden nun unterschiedliche Konformationen des Po-lyions berucksichtigt. Diese Konformationen werden dadurch ermoglicht, daß dieBindungswinkel in der Kohlenstoffkette nicht fest sind, sondern bei konstantenBindungslangen durch Rotationen unterschiedliche Ausrichtungen der Gruppen(ionisierbare Gruppen und hydrophobe Gruppen) zueinander moglich sind. Ab-bildung 4.6 zeigt die verschiedenen Anordnungen von benachbarten Gruppen furPoly(methacrylsauren). Die CH2-Einheit, die benachbarte Polymereinheiten ver-bruckt, ist nicht dargestellt. Infolge der asymmetrischen Kohlenstoffatome derPolymerkette sind fur jede der drei Konformationen zwei unterschiedliche Ste-reoisomere zu berucksichtigen. Im folgenden wird angenommen, daß sich die auf-tretenden Wechselwirkungen durch uber die Stereoisomeren gemittelte Parameterbeschreiben lassen.Die relative Anordnung der Gruppen zueinander wird durch die Bindung zwi-schen ihnen bestimmt. In diesem Modell wird jede Bindung so behandelt, als seisie in einem von drei diskreten Zustanden zu finden, die zu den lokalen Ener-gieminima der Anordnungen korrespondieren (rotational isomeric state approxi-

mation [78]). Jeder der drei Zustande der Bindungen wird durch einen anderenWert der zugeordneten Submikrovariablen σi definiert. In dem Fall, daß die Car-boxylatgruppen der Einheit i und der Einheit (i − 1) zueinander in anti -Positionangeordnet sind, nimmt die Variable σi den Wert null an. Mit diesem Wert ist ei-ne minimale Abstoßung zwischen gleichnamig geladenen Gruppen verbunden. Inden beiden gauche-Konformationen – gauche-(+)-Konformation und gauche-(-)-Konformation mit σi = +1 bzw. σi = −1 – ist eine großere Abstoßung zwischenden Gruppen zu berucksichtigen.

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KAPITEL 4. STATISTIK DER PROTONIERUNG 124

Abbildung 4.6: KonformationenIn Newman-Projektionen sind die Ausrichtungen der ionisierbaren und hydrophobenGruppen an solchen Kohlenstoffatomen der Poly(methacrylsauren) dargestellt, die aufdem Polymergerust nur durch eine verbruckende Methylengruppe voneinander getrenntsind (ubernachste Nachbarn). Die verbruckenden CH2-Gruppen sind nicht eingezeich-net und fur das Modell unerheblich. Je nach Stereokonfiguration der betrachtetenKohlenstoffatome sind die Gruppen unterschiedlich angeordnet. Die repulsive Wech-selwirkung zwischen Carboxylatgruppen ist minimal in den anti -Anordnungen (oben),wahrend in den gauche-Konformationen durch geringeren Abstand dieser Gruppen dieAbstoßung zunimmt.

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KAPITEL 4. STATISTIK DER PROTONIERUNG 125

Die semigroßkanonische Energie kann auf submikroskopischer Ebene folgender-maßen parametrisiert werden.

F(s1, s2, . . . , sN ; σ2, σ3, . . . , σN) = Foffset + pcHln (10)

β

N∑

i=1

di

pi − di

−MN∑

i=1

si + EN∑

i=2

si−1si

(1 − σ2

i

)+ E ′

N∑

i=2

si−1siσ2i

+G

N∑

i=2

σ2i + H

N∑

i=3

σ2i−1σ

2i (4.133)

In diesem Modell werden die beiden gauche-Arten nicht unterschieden, entspre-chend geht nur der Betrag von σi in die semigroßkanonische Energiegroße ein.Außerdem wird angenommen, daß die Parameter Mi = M und Gi = G fur alleGruppen und alle Bindungen die gleichen Werte haben. Ebenso unterscheidensich die Wechselwirkungsparameter Ei−1,i = E, E ′

i−1,i = E ′ und Hi−1,i = H nichtfur verschiedene benachbarte Gruppen oder Bindungen.Wie im vorherigen Modell enthalt der Parameter M den mikroskopischen pK-Wert einer Gruppe ohne Wechselwirkung. Der Parameter G gibt an, um wel-chen Betrag sich eine der gauche-Anordnungen im Vergleich zur anti -Anordnungenergetisch unterscheidet. Sind zwei benachbarte ionisierbare Gruppen in anti -Konformation zu finden (σi = 0), so geht der Wechselwirkungsparameter E indie semigroßkanonische Energie ein; bei gauche-Anordnung wird die Wechselwir-kung zwischen binding sites durch den Parameter E ′ beschrieben. Der Parame-ter H bezeichnet die Wechselwirkung zwischen Bindungen, also den Einfluß vondrei benachbarten Gruppen auf die Energie der Submikrospezies. Fur numerischeRechnungen werden die folgenden Parameter eingefuhrt.

u = exp (−βE) = 10−ǫ1 (4.134)

v = exp (−βE ′) = 10−ǫ2 (4.135)

g = exp (−βG) = 10−γ (4.136)

h = exp (−βH) = 10−η (4.137)

Im folgenden werden fur die site variables entweder die Werte di = 0 und pi = 1(Polyamine) oder die Werte di = 1 und pi = 0 (Polycarboxylate) vorausgesetzt.Fur das Aufstellen der Transfermatrizen werden Einheiten der Polyelektrolytkettebetrachtet, die aus der Bindung zur vorhergehenden Einheit und einer ionisierba-ren Gruppe bestehen. Jede neu an die Kette gefugte Einheit kann sich in einemvon sechs Zustanden befinden.

1. Die hinzukommende Bindung ist an die bestehende Kette derart angefugt,daß die hinzukommende ionisierbare Gruppe in anti -Stellung zur bestehen-den Gruppe ausgerichtet ist (σi = 0). Die site variable der Gruppe hat denWert si = 0.

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KAPITEL 4. STATISTIK DER PROTONIERUNG 126

2. Die neue und die vorhergehende ionisierbare Gruppe sind zueinander inanti -Position angeordnet (σi = 0), und die Variable der neuen Gruppe hatden Wert si = 1.

3. Die neue Einheit wird so angefugt, daß die ionisierbaren Gruppen der neuenund der vorhergehenden Einheit in gauche-(+)-Position zueinander ange-ordnet sind (σi = +1). Die site variable der neuen Gruppe hat den Wertsi = 0.

4. Fur die Bindung zur neuen Einheit gilt σi = +1, und die site variable derneuen Gruppe ist si = 1.

5. Die neue Bindung wird so geknupft, daß die ionisierbare Gruppe der neuenEinheit zur vorhergehenden Einheit in gauche-(-)-Anordnung (σi = −1)steht. Die site variable der neuen Gruppe ist si = 0.

6. Die hinzukommende Einheit ist in einer Konformation an die bestehen-de Polymerkette angefugt, in der die ionisierbaren Gruppen in gauche-(-)-Position zueinander stehen (σi = −1). Die Variable si hat den Wert eins.

Entsprechend diesen sechs Zustanden gilt unter Berucksichtigung der Parametri-sierung der semigroßkanonischen Energie F(s1, s2, . . . , sN ; σ1, σ2, . . .) die folgendeTransfermatrix fur die Variablenwahl di = 0 und pi = 1 (sinnvoll fur Polyamine),

T(i) =

1 1 1 1 1 1z zu z zu z zug g gh gh gh ghzg zgv zgh zghv zgh zghvg g gh gh gh ghzg zgv zgh zghv zgh zghv

(4.138)

und mit di = 1 und pi = 0 gilt die folgende Transfermatrix (sinnvoll fur Polycar-boxylate).

T(i) = 10−pcH

1 1 1 1 1 1z−1 z−1u z−1 z−1u z−1 z−1ug g gh gh gh gh

z−1g z−1gv z−1gh z−1ghv z−1gh z−1ghvg g gh gh gh gh

z−1g z−1gv z−1gh z−1ghv z−1gh z−1ghv

=

H H H H H HK Ku K Ku K KuHg Hg Hgh Hgh Hgh HghKg Kgv Kgh Kghv Kgh KghvHg Hg Hgh Hgh Hgh HghKg Kgv Kgh Kghv Kgh Kghv

(4.139)

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KAPITEL 4. STATISTIK DER PROTONIERUNG 127

In den Transfermatizen zur Beschreibung der Polycarboxylate sind die Abkurzun-gen H = 10−pcH und K = 10−pK0

eingefuhrt.Zur Beschreibung der ersten beiden Einheiten der Polymerkette haben die Trans-fermatrizen eine andere Form, die zu berucksichtigen ist, wenn fur eine gegebeneAnzahl N von Gruppen die Zustandssumme als die Summe aller Elemente einesMatrizenproduktes berechnet wird.

T(1) =

1 0 0 0 0 0z 0 0 0 0 00 0 0 0 0 00 0 0 0 0 00 0 0 0 0 00 0 0 0 0 0

bzw. T(1) =

H 0 0 0 0 0K 0 0 0 0 00 0 0 0 0 00 0 0 0 0 00 0 0 0 0 00 0 0 0 0 0

(4.140)

T(2) =

1 1 0 0 0 0z zu 0 0 0 0g g 0 0 0 0zg zgv 0 0 0 0g g 0 0 0 0zg zgv 0 0 0 0

bzw. T(2) =

H H 0 0 0 0K Ku 0 0 0 0Hg Hg 0 0 0 0Kg Kgv 0 0 0 0Hg Hg 0 0 0 0Kg Kgv 0 0 0 0

(4.141)

Bei der Transfermatrix T(1) wird berucksichtigt, daß keine vorhergehende Einheitexistiert und daher weder die Wechselwirkung der binding sites noch die zwischenBindungen berucksichtigt werden kann. Bei der zweiten Einheit der Kette istnur die Wechselwirkung zwischen ihrer ionisierbaren Gruppe und der Gruppeder vorhergehenden Einheit zu beachten, wahrend Wechselwirkungen zwischenBindungen nicht auftreten konnen.Zur Bestimmung des mittleren Protonierungsgrades jeder Gruppe wird mit Hilfeder Matrix S der thermodynamische Mittelwert jeder site variable berechnet. Dermittlere Anteil an anti -konfigurierten Bindungen ergibt sich entsprechend mit derMatrix Σ.

S =

0 0 0 0 0 00 1 0 0 0 00 0 0 0 0 00 0 0 1 0 00 0 0 0 0 00 0 0 0 0 1

Σ =

1 0 0 0 0 00 1 0 0 0 00 0 0 0 0 00 0 0 0 0 00 0 0 0 0 00 0 0 0 0 0

(4.142)

Ergebnisse

Abbildung 4.7 zeigt die Bindungsisotherme fur Protonen an ein Modell-Polyion,bei dem Wechselwirkungen zwischen benachbarten binding sites und zwischen

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KAPITEL 4. STATISTIK DER PROTONIERUNG 128

Bindungen berucksichtigt werden. Der Anteil der Bindungen in anti -Orientierungist ebenfalls gegen den pcH-Wert aufgetragen. Die Parameter sind so gewahlt,daß attraktive Wechselwirkungen zwischen den hydrophoben Methylgruppen auf-treten. Die repulsiven Wechselwirkungen zwischen protonierbaren Gruppen sindhoher in gauche als in anti -Orientierung. Infolgedessen nimmt der anti -Anteil beisteigender Deprotonierung des Polymers zu.Die nach dem pcH-Wert differenzierte Bindungsisotherme zeigt qualitativ dasgleiche Verhalten wie die Bindungsisothermen fur Protonen an langkettige Po-ly(methacrylsauren): innerhalb eines engen pcH-Bereiches andert sich die Stei-gung der Bindungsisothermen sehr stark (Abschnitt 3.2). In der Simulation wirddieses Verhalten nur dann beobachtet, wenn hydrophobe Wechselwirkungen zwi-schen Methylgruppen angenommen werden (H < 0). Dieses Ergebnis steht inEinklang mit dem Experiment: ein ungewohnliches Titrationsverhalten wird beisolchen Polyelektrolyten gefunden, die neben den ionisierbaren Gruppen uberhydrophobe Gruppen verfugen [48], [57], [66], [90] [119], [125]. Die Simulationenzeigen, daß dieser Effekt kooperativ ist, denn bei N = 5 Gruppen tritt er nichtsichtbar in Erscheinung, wie Abbildung 4.8 zeigt. Fur einige Polymere werdensolche Ubergange auch als helix coil-transitions diskutiert [25].Samtliche Parameter, die in das Modell eingehen, sind Mittelwerte uber ver-schiedene Stereoisomere [85]. Da die Monomereinheiten in den experimentell un-tersuchten Poly(methacrylsauren) ataktisch verknupft sind, wird auch in diesemModell nicht zwischen verschiedenen Stereoisomeren unterschieden. Alle Parame-ter sind also als uber verschiedene Stereokonfigurationen gemittelt aufzufassen.Daruber hinaus hangen die Wechselwirkungsparameter von der Art und Kon-zentration der Hintergrundelektrolyte ab. Auch ihre Ionen konnen mikroskopischberucksichtigt werden [104].Mit den Simulationen kann das ungewohnliche Titrationsverhalten der langket-tigen Poly(methacrylsauren) qualitativ gut beschrieben werden.2

2 In dieser Arbeit werden Modellrechnungen auf der Grundlage parametrisierter semigroß-kanonischer Energien vorgestellt. Einen anderen Zugang bieten Monte-Carlo-Simulationen furkettenformige Polyelektrolyte [91], [132].

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KAPITEL 4. STATISTIK DER PROTONIERUNG 129

Abbildung 4.7: Einfluß von Konformationen auf die Protonierung (1)Unter Berucksichtigung der Wechselwirkungen zwischen benachbarten protoniertenGruppen und benachbarten Bindungen wird die Bindungsisotherme fur Protonen anPoly(methacrylsaure) simuliert (schwarze Kurve im oberen Bild). Fur die hydropho-ben Methylgruppen werden attraktive Wechselwirkungen, fur die Carboxylatgruppenrepulsive Wechselwirkungen angenommen (pK0 = 5; ǫ1 = 0, 2; ǫ2 = 1, 2; γ = 1.2;η = −1, 2; N = 25). Mit zunehmender Deprotonierung nimmt der Anteil der Bin-dungen in anti -Konformation (rote Kurve im oberen Bild) zu. Das untere Bild zeigtdie nach dem pcH-Wert differenzierte Bindungsisotherme. Diese verhalt sich qualita-tiv ahnlich wie die entsprechenden Ableitungen der Bindungsisothermen hochkettigerPoly(methacrylsauren).

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KAPITEL 4. STATISTIK DER PROTONIERUNG 130

Abbildung 4.8: Einfluß von Konformationen auf die Protonierung (2)Wie in Abbildung 4.7 sind die Bindungsisotherme fur Protonen an den Modell-Polyelektrolyten und der relative Anteil an anti -konfigurierten Bindungen als Funktiondes pcH-Wertes dargestellt. Wie das untere Bild zeigt, ist bei N = 5 Gruppen nochkeine starke ungewohnliche Anderung der Isothermensteigung mit dem pcH-Wert zuerkennen, wie sie bei den hochmolekularen Poly(methacrylsauren) experimentell beob-achtet wird.

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Kapitel 5

Temperaturabhangigkeit der

Polyelektrolytprotonierung

Durch Temperatursprung-Experimente lassen sich Informationen sowohl uber dieTemperaturabhangigkeit des Gleichgewichtes als auch uber die Reaktionsdyna-mik der untersuchten Systeme erhalten. In diesem Kapitel werden die experimen-tellen Daten zur Analyse der Temperaturabhangigkeit der Protonierungsgleichge-wichte genutzt (Amplitudenauswertung). Die zeitlich aufgeloste Einstellung derchemischen Gleichgewichte (Reaktionsdynamik der Polyelektrolytprotonierung)wird in den Kapiteln 6 und 7 beschrieben und diskutiert.Alle Messungen beziehen sich auf einen außeren Druck von p = 1 bar. Die er-mittelten Temperaturabhangigkeiten gelten in einem Bereich von 295 K ≤ T ≤298 K, dem Bereich der Temperatursprung-Experimente.

5.1 Proben, Detektion und Messungen

Die untersuchten Proben enthalten als Indikator Bromthymolblau in einer Kon-zentration von 2, 0 × 10−5 M, eine variable Konzentration an Polyelektrolyten(H-PMA-2150, H-PMA-11300 oder H-PMA-58900) und als Hintergrundelektro-lyt Natriumchlorid in einer Konzentration von 0, 100 M oder 1, 00 M. In allenLosungen wird durch Zugabe sehr geringer Mengen Salzsaure oder Natronlaugedie Protonenkonzentration auf einen pcH-Wert von 7, 00 eingestellt.Durch Einsatz des Saure-Base-Indikators Bromthymolblau kann das Protonie-rungsgleichgewicht der Polyelektrolyte in Experimenten mit optischer Detektionuntersucht werden. In Abbildung 5.1 ist die Absorptionsanderung δA(t) (divi-diert durch die optische Lange d) fur das Polymer H-PMA-11300 aus Tempe-ratursprungdaten bestimmt und als Funktion der Zeit aufgetragen. Der Tem-peratursprung erfolgt bei t = 0. Sowohl die gesamte Absorptionsanderung∆A = δA(t → ∞) als auch die Form der Kurven ist stark von der Einwaage-konzentration an Polyelektrolyt abhangig.Im folgenden werden Rechnungen durchgefuhrt, mit deren Hilfe die Absorpti-onsanderung ∆A als Funktion der Konzentration an Polyelektrolyt diskutiertwerden kann.

131

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KAPITEL 5. TEMPERATURABHANGIGKEITEN 132

Abbildung 5.1: Temperatursprung-MessungenFur verschiedene Konzentrationen Ltot an titrierbaren Gruppen in der Probelosung istdie Absorptionsanderung δA(t) (dividiert durch die Schichtdicke d der Probe) bei derWellenlange λ = 618 nm als Funktion der Zeit aufgetragen. Alle Kurven beziehen sichauf Temperatursprung-Experimente mit Losungen von H-PMA-11300, einen pcH-Wertvon 7, 00, eine Gesamtkonzentration an Indikator von Intot = 2, 0 × 10−5 M und eineInertsalzkonzentration [NaCl] = 0, 100 M. In der Reihenfolge zunehmender Absorpti-onsanderung bei 400µs betragt die eingesetzte Konzentration an titrierbaren GruppenLtot = 0 M; 4, 24 × 10−6 M; 8, 48 × 10−5 M und 7, 42 × 10−3 M.

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KAPITEL 5. TEMPERATURABHANGIGKEITEN 133

5.2 Amplitudenauswertung

5.2.1 Temperaturabhangigkeit der Absorption

In Temperatursprung-Experimenten wird die Temperatur der Probelosung aus-gehend von einer Starttemperatur T0 auf die Endtemperatur T∞ = T0 + ∆T umeinen Betrag

∆T = T∞ − T0 (5.1)

erhoht und die Absorptionsanderung

∆A = A∞ − A0 (5.2)

der Probe bestimmt. Die Temperaturdifferenz ist so klein gewahlt, daß fur dieresultierenden Anderungen in allen Parametern lineare Naherungen erlaubt sind.Die Absorptionsanderung bei konstantem Druck p kann daher durch

∆A =

(∂A

∂T

)

p

∆T (5.3)

berechnet werden. Nach dem Lambert-Beerschen Gesetz [45] ist bei gegebenerSchichtdicke d der Probe die Temperaturabhangigkeit der Absorption gemaß

(∂A

∂T

)

p

=∑

i

[

εi

(∂ [Xi]

∂T

)

p

+ [Xi]

(∂εi

∂T

)

p

]

d (5.4)

auf die Temperaturabhangigkeit der Gleichgewichtskonzentrationen [Xi] und dieTemperaturabhangigkeit der Absorptionskoeffizienten εi der absorbierenden Io-nen oder Molekule Xi in der Probe zuruckzufuhren.Die Temperaturabhangkeit der Gleichgewichtskonzentrationen enthalt die ge-suchte Information uber die Temperaturabhangigkeit der Gleichgewichte; die-se wird im nachsten Abschnitt 5.2.2 diskutiert. Die Kenntnis der Temperatur-abhangigkeit der Absorptionskoeffizienten ist Voraussetzung, um aus einer ex-perimentell bestimmten Absorptionsanderung die Temperaturabhangigkeit derGleichgewichtskonzentrationen zu berechnen.

5.2.2 Temperaturabhangigkeit der Gleichgewichtskonzentrationen

Die Konzentrationen der Ionen oder Molekule in einem reversiblen Reaktions-system andern sich im allgemeinen mit der Temperatur infolge der Temperatur-abhangigkeit

1. der Gleichgewichtskonstanten dieser Systeme,

2. der Aktivitatskoeffizienten,

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KAPITEL 5. TEMPERATURABHANGIGKEITEN 134

3. des Volumens der Losung, da aufgrund einer Volumenanderung

(a) samtliche Einwaagekonzentrationen verandert werden,

(b) Gleichgewichte verschoben werden konnen,

(c) Aktivitatskoeffizienten sich mit der Ionenstarke und der Konzentrationan Hintergrundelektrolyt andern.

Alle Experimente werden in Anwesenheit von Hintergrundelektrolyt (0, 100 Moder 1, 00 M Natriumchlorid) durchgefuhrt. Der Inertsalzuberschuß gewahrlei-stet die Konstanz der mittleren Aktivitatskoeffizienten fur alle an den betrachte-ten Reaktionen beteiligten Ionen, so daß bei der Auswertung mit konditionalenGleichgewichtskonstanten und Gleichgewichtsquotienten gearbeitet werden kann.Das System (Wasser + Inertsalz) wird im folgenden als

”Medium“ bezeichnet.

Somit findet sich die Temperaturabhangigkeit der Aktivitatskoeffizienten in derzu ermittelnden Temperaturabhangigkeit der konditionalen Gleichgewichtskon-stanten oder -quotienten wieder. Mit der bekannten Volumenausdehnung liegtdie Konzentrationsanderung von Hintergrundelektrolyt bei Temperaturanderungunterhalb des Fehlers der Inertsalzeinwaage. Daher brauchen Volumeneinflusseauf die Aktivitatskoeffizienten nicht berucksichtigt zu werden, und die in denPunkten 2 und 3c genannten Temperatureinflusse gehen im weiteren in die Be-schreibung nicht ein.

Reaktionen und Mengenbilanzen

In den Proben sind die folgenden Protonierungsreaktionen zu berucksichtigen.Die Ladungen der Ionen werden nicht angegeben.

In + H InH (5.5)

L + H LH (5.6)

OH + H H2O (5.7)

Fur das Indikatordianion des Bromthymolblaus steht In, entsprechend reprasen-tiert InH die einfach protonierte Indikatorspezies. Die protonierten und deproto-nierten Gruppen der Polyelektrolyte werden mit LH und L abgekurzt.Konzentrationen und Stoffmengen einer Spezies X werden im folgenden mit [X]und nX notiert. X0 bedeutet die Einwaagestoffmenge an X, Xtot steht fur dieEinwaagekonzentration (bei gegebenem Volumen V der Probe).Die Stoffmengenbilanzen lauten somit

In0 = nIn + nInH = V ([In] + [InH]) = V · Intot = const . (5.8)

fur die beiden Indikatorspezies,

L0 = nL + nLH = V ([L] + [LH]) = V · Ltot = const ′. (5.9)

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KAPITEL 5. TEMPERATURABHANGIGKEITEN 135

fur die reaktiven Gruppen der Polyelektrolyte, die protoniert oder deprotoniertvorliegen konnen, sowie

W0 = nInH + nLH + nH − nOH (5.10)

= V ([InH] + [LH] + [H] − [OH])

= V · Wtot = const ′′.

fur die Stoffmengenbilanz von Protonen unter Berucksichtigung der Wasserdisso-ziation.1

Gleichgewichtskonstanten und -quotienten

Die Protonierungsgleichgewichte von Indikator und Wasser konnen mit den kon-ditionalen Dissoziationskonstanten K∗

In und K∗W beschrieben werden,

K∗In =

[H][In]

[InH]K∗

W = [H][OH] (5.15)

die bei gegebenem Medium Funktionen des Druckes p und der Temperatur T sind.Zur Beschreibung der Protonierungsgleichgewichte der Polyelektrolyte wurden inKapitel 3 Dissoziationsquotienten

Qd =[H][L]

[LH](5.16)

1Fur die Gleichgewichte 5.5, 5.6 und 5.7 gilt die folgende Mengenbilanz fur Protonen undHydroxidionen unter Berucksichtigung der Menge des Wassers.

H0 = nH2O + nH + nInH + nLH = const ′′′. (5.11)

OH 0 = nH2O + nOH = const ′′′′. (5.12)

Damit wird

W0 = H0 − OH 0 = nH − nOH + nInH + nLH = const ′′. (5.13)

eine Bilanzgleichung fur Protonen, die die Stoffmenge an Wasser nicht mehr enthalt.Alle Spezies werden als in summa ungeladene Substanzen in die Proben eingebracht. Dahergelangen im allgemeinen auch inerte Gegenionen (zum Beispiel Natrium- und Chloridionen)in das System. Sobald die tatsachlich eingesetzten Substanzen angegeben sind, werden diekonstanten Stoffmengen nNa und nCl an inerten Ionen durch die Werte H0, OH 0, In0 und L0

bestimmt. Es folgt die Elektroneutralitatsbedingung der Losung.

0 = nH + nNa − nOH − nCl − 2nIn − nInH − nL (5.14)

= H0 − OH 0 − 2In0 − L0 + nNa − nCl

Da die Gleichung 5.14 fur die Elektroneutralitat der Losung aus den Massenbilanzen allerSpezies einschließlich der der inerten Kationen und Anionen folgt, ist sie keine neue Bedingung.Bei der Berechnung von Gleichgewichtskonzentrationen der reaktiven Spezies kann daher genaueine Massenbilanz unberucksichtigt bleiben und die Elektroneutralitatsbedingung 5.14 an ihreStelle treten. Oft wird so die Mengenbilanz W0 eliminiert.

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KAPITEL 5. TEMPERATURABHANGIGKEITEN 136

eingefuhrt, die ebenfalls von Druck und Temperatur abhangen aber daruber hin-aus Funktionen der Konzentration [H] an Protonen und damit des pcH-Wertesder Losung sind.Im vorgegebenen Medium und bei konstantem Druck laßt sich die Temperatur-abhangigkeit der konditionalen Gleichgewichtskonstanten in Analogie zur van’t

Hoff-Gleichung beschreiben.

(∂ ln (K∗

In/M)

∂T

)

p

=∆rH

∗In

RT 2= BIn

(∂ ln (K∗

W/M2)

∂T

)

p

=∆rH

∗W

RT 2= BW (5.17)

Hierbei bedeuten ∆rH∗In und ∆rH

∗W die Standardreaktionsenthalpien fur die In-

dikator- und Wasserdissoziation in den gegebenen Medien (R steht fur die all-gemeine Gaskonstante). Der Standardzustand (Symbol

”*“) ist uber Gleichung

5.18 definiert. Er korrespondiert zum Standardwert µ∗X des chemischen Potentials

µX, das fur jede der reagierenden Spezies X in diesem Medium nach

µX = µ∗X + RT ln ([X]/M) (5.18)

von der Konzentration [X] abhangt. Bei konstanten Aktivitatskoeffizienten istder Standardwert µ∗

X des chemischen Potentials zwar von der Konzentration anHintergrundelektrolyt, aber nicht von der Konzentration [X] abhangig.Somit hangen auch BIn und BW von der Konzentration an Inertsalz ab, nicht abervon der Konzentration der Ionen, die in die betrachteteten Reaktionen eingehen.Dies trifft nicht zu auf die Temperaturabhangigkeit des pcH-abhangigen Disso-ziationsquotienten Q = Q(p, T, [H](p, T )).

(∂ ln (Qd/M)

∂T

)

p

=

(∂ ln (Qd/M)

∂T

)

p,[H]

+

(∂ ln (Qd/M)

∂[H]

)

p,T

(∂[H]

∂T

)

p

(5.19)

Der erste Term in Gleichung 5.19 korrespondiert zur Reaktionsenthalpie fur dieProtonierungsreaktion einer Ligandgruppe L bei gegebenem pcH-Wert. In denzweiten Term von Gleichung 5.19 geht die pcH-Abhangigkeit des Dissoziations-

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KAPITEL 5. TEMPERATURABHANGIGKEITEN 137

quotienten bei konstantem Druck und konstanter Temperatur ein.2

(∂ ln (Qd/M)

∂T

)

p

=∆rH

∗∗L

RT 2+

(∂pQ

∂pcH

)

p,T

1

[H]

(∂[H]

∂T

)

p

(5.26)

(∂ ln (Qd/M)

∂T

)

p

= BL +

(∂pQ

∂pcH

)

p,T

1

[H]

(∂[H]

∂T

)

p

(5.27)

In allen Gleichungen tragen Großen, die fur ein gegebenes Medium einen bestimm-ten Wert annehmen, das Superscript

”*“ und

”**“, wenn dieser Wert zusatzlich

nur bei gegebenem pcH-Wert der Losung gilt.

2 Die freie Reaktionsenthalpie ∆rG der Protonierungsreaktion

L + H LH (5.20)

der reaktiven Gruppen L des Polyelektolyten bei gegebener Temperatur und gegebenem Druckkann formal in chemischen Potentialen und mittleren Aktivitaten ausgedruckt werden.

∆rG = µo−LH − µo−

L − µo−H + RT ln

aLH

aHaL(5.21)

Durch die Wahl der Stardardwerte µo−LH, µo−

L und µo−H der chemischen Potentiale werden die

mittleren Aktivitaten aLH, aL und aH von protonierten, deprotonierten Gruppen und Protonendefiniert. Bei gegebenem Medium mit Hintergrundelektrolyt im Uberschuß kann ein in guterNaherung konstanter Aktivitatskoeffizient fI fur Protonen in den Standardwert mit eingefuhrtwerden. Durch Ubergang auf einen anderen Standardzustand (o− → ∗) wird ein zu Gleichung5.18 analoger Zusammenhang hergestellt.

µH = µo−H + RT ln

(fI/M−1

)+ RT ln ([H]/M) = µ∗

H + RT ln ([H]/M) (5.22)

Fuhrt man denselben Formalismus fur die protonierten und deprotonierten Ligandgruppendurch, so ist zu berucksichtigen, daß sich deren Aktivitat bei konstantem Inertsalzuberschußnicht in derselben Weise als eine Funktion der Konzentration [L] und [LH] schreiben laßt.Vielmehr ist die Aktivitat der Gruppen abhangig vom Protonierungsgrad der Polyionen, die sietragen, und daher vom pcH-Wert der Losung. Somit bleiben auch die Standardwerte µ∗∗

L undµ∗∗

LH definiert uber

µL = µ∗∗

L + RT ln ([L]/M) µLH = µ∗∗

LH + RT ln ([LH]/M) (5.23)

Funktionen des pcH-Wertes. Eine Standardreaktionsenthalpie ∆rG∗∗

L

RT ln (Qd/M) = −∆rG∗∗

L = µ∗

H + µ∗∗

L − µ∗∗

LH (5.24)

wird im allgemeinen bei gegebenem Medium nicht nur eine Funktion der Temperatur unddes Druckes, sondern auch der Protonenkonzentration. Fur die Temperaturabhangigkeit desDissoziationsquotienten Qd folgt

(∂ ln (Qd/M)

∂T

)

p

= − 1

R

(∂∆rG

∗∗

L /T

∂T

)

p,[H]

− 1

RT

(∂∆rG

∗∗

L

∂[H]

)

p,T

(∂[H]

∂T

)

p

=∆rH

∗∗

L

RT 2+

(∂ ln (Qd/M)

∂[H]

)

p,T

(∂[H]

∂T

)

p

(5.25)

und Gleichung 5.26.

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KAPITEL 5. TEMPERATURABHANGIGKEITEN 138

Die veranderte Form der Temperaturabhangigkeit der pcH-abhangigen Dissozia-tionsquotienten nach Gleichung 5.27 unterscheidet Systeme mit pcH-abhangigenDissoziationsquotienten von solchen, in denen der pQ-Wert innerhalb der Meß-genauigkeit unabhangig von der Protonenkonzentration ist.Nach Kapitel 3 zeigt pQ keine pcH-Abhangigkeit fur einprotonige Sauren, fur Oli-gosauren in bestimmten pcH-Bereichen und fur Polysauren, die chemisch gleicheund unabhangige Gruppen enthalten. Im letzteren Fall ist der Dissoziationsquo-tient Qd eine konditionale Gleichgewichtskonstante oder auch eine Langmuir-Dissoziationskonstante und kann analog zu den konditionalen Konstanten K∗

In

und K∗W behandelt werden. Ihre Werte sind bei gegebenem Medium, konstan-

tem Druck und gegebener Temperatur unabhangig von den Konzentrationen derreagierenden Spezies und insbesondere unabhangig von der Konzentration anProtonen im System.

(∂ ln (K∗

L/M)

∂[H]

)

p,T

=

(∂ ln (K∗

In/M)

∂[H]

)

p,T

=

(∂ ln (K∗

W/M2)

∂[H]

)

p,T

= 0 (5.28)

Das interessante Verhalten von Polyelektrolyten korrespondiert zu einem pcH-abhangigen Dissoziationsquotienten Qd. Daher darf bei temperaturabhangigenAuswertungen die Anderung von pQ mit pcH in Gleichung 5.27 nicht vernach-lassigt werden.

Anderung der Indikatorkonzentration

Die Konzentration [In] des Indikatordianions ist festgelegt, wenn die StoffmengenIn0, L0 und W0, die konditionalen Gleichgewichtskonstanten K∗

In und K∗W, der

Wert des Dissoziationsquotienten Qd und das Volumen V der Probe gegeben sind.

[In] = [In](Qd(p, T, [H](p, T )), K∗In(p, T ), K∗

W(p, T ), V (p, T ), In0, L0,W0) (5.29)

Somit ergibt sich die Temperaturabhangigkeit der Konzentration [In] aus derTemperaturabhangigkeit dieser Großen. Die Temperaturabhangigkeit von Qd,K∗

In und K∗W wurde bereits diskutiert. Die Einwaagestoffmengen In0, L0 und

W0 sind temperaturunabhangig. Bei konstantem Druck p wird die Anderung desProbevolumens mit der Temperatur durch den isobaren Ausdehnungskoeffizien-ten αp der Losung beschrieben.3

αp =1

V

(∂V

∂T

)

p

(5.30)

Im folgenden wird die partielle Ableitung(

∂[In]∂T

)

pberechnet.

3Durch den Einfluß der partiellen molaren Volumina der Produkte und Edukte hangt dasVolumen auch von der temperaturabhangigen Zusammensetzung der Probe ab. Da die Konzen-trationen der reagierenden Spezies sehr klein gegen die Konzentration an Hintergrundelektrolytsind, braucht dieser Effekt im folgenden nicht berucksichtigt zu werden.

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KAPITEL 5. TEMPERATURABHANGIGKEITEN 139

Differenzieren der in Konzentrationen formulierten konditionalen Gleichgewichts-konstanten (Gleichung 5.15) und des Gleichgewichtsquotienten (Gleichung 5.16)ergibt folgende Gleichungen.

BIn =1

[H]

(∂[H]

∂T

)

p

+1

[In]

(∂[In]

∂T

)

p

− 1

[InH]

(∂[InH]

∂T

)

p

(5.31)

BL =1

[H]

(∂[H]

∂T

)

p

[

1 −(

∂pQ

∂pcH

)

p,T

]

+1

[L]

(∂[L]

∂T

)

p

− 1

[LH]

(∂[LH]

∂T

)

p

(5.32)

BW =1

[H]

(∂[H]

∂T

)

p

+1

[OH]

(∂[OH]

∂T

)

p

(5.33)

Durch Differenzieren der Mengenbilanzen 5.8, 5.9 und 5.10 nach der Temperaturerhalt man unter Berucksichtigung der Temperaturabhangigkeit des Volumens(Gleichung 5.30) die folgenden Beziehungen.

(∂[InH]

∂T

)

p

= −(

∂[In]

∂T

)

p

− αpIntot (5.34)

(∂[LH]

∂T

)

p

= −(

∂[L]

∂T

)

p

− αpLtot (5.35)

(∂[OH]

∂T

)

p

= +

(∂[H]

∂T

)

p

−(

∂[In]

∂T

)

p

−(

∂[L]

∂T

)

p

− αp (Intot + Ltot − Wtot)

(5.36)

Der Ubersichtlichkeit halber werden die Abkurzungen

x =1

[H]

(∂[H]

∂T

)

p

y = 1 −(

∂pQ

∂pcH

)

p,T

(5.37)

eingefuhrt. Unter Verwendung von Gleichung 5.34 wird die Temperaturableitungvon [InH] aus Gleichung 5.31 eliminiert.

BIn = x +

(1

[In]+

1

[InH]

) (∂[In]

∂T

)

p

+ αpIntot

[InH](5.38)

Ebenso konnen Abhangigkeiten von [LH] in Gleichung 5.32 mit der Beziehung5.35 substituiert werden.

BL = xy +

(1

[L]+

1

[LH]

)(∂[L]

∂T

)

p

+ αpLtot

[LH](5.39)

Nach Multiplikation mit [OH] und unter Verwendung der Beziehung 5.36 folgtaus Gleichung 5.33

[OH]BW = x ([H] + [OH])−(

∂[In]

∂T

)

p

−(

∂[L]

∂T

)

p

−αp (Intot + Ltot − Wtot) (5.40)

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KAPITEL 5. TEMPERATURABHANGIGKEITEN 140

Aus den Gleichungen 5.38 und 5.39 ergeben sich die Großen x und(

∂[L]∂T

)

pals

Funktionen von(

∂[In]∂T

)

p. Beide werden in die Gleichung 5.40 eingesetzt, und nach

Umordnen der Terme erhalt man die gesuchte Temperaturableitung 5.41 der Kon-zentration [In] als Funktion der Gleichgewichtskonzentrationen, der ParameterBIn, BL, BW und des Volumenausdehnungskoeffizienten αp.

(∂[In]

∂T

)

p

·

1 +

(1

[In]+

1

[InH]

) [

[H] + [OH] + y

(1

[L]+

1

[LH]

)−1]

= −[OH]BW + ([H] + [OH])BIn +

(1

[L]+

1

[LH]

)−1

(yBIn − BL)

−αp

[L] + [In] + ([H] + [OH])[In]

[InH]+ 2[OH]

−(

1

[L]+

1

[LH]

)−1 [

1 +[L]

[LH]− y

(

1 +[In]

[InH]

)]

(5.41)

Die Anderung der Indikatorkonzentration [In] mit der Temperatur ist nach Glei-chung 5.41 auf die Temperaturabhangigkeit der Gleichgewichtskonstanten (be-schrieben durch BIn, BL, BW) und die Volumenveranderung der Probe (propor-tional zu αp) zuruckzufuhren.

Naherungen fur Gleichung 5.41

Gleichung 5.41 gilt allgemein fur beliebige Konzentrationen an Indikatorspeziesund an protonierten und deprotonierten Gruppen sowie fur beliebige pcH-Werte.Im folgenden werden einige Spezialfalle diskutiert.

Indikator im Medium ohne Polyelektrolyt Bei Messungen ohne Polyelek-trolyt (oder andere schwache Elektrolyte wie Puffersubstanzen, die protonierbareGruppen L zur Verfugung stellen) gilt [L] = [LH] = 0, und Gleichung 5.41 ver-einfacht sich zu der folgenden Beziehung.

(∂[In]

∂T

)

p

·[

1 +

(1

[In]+

1

[InH]

)

([H] + [OH])

]

= −[OH]BW + ([H] + [OH])BIn

−αp

[

[In] + ([H] + [OH])[In]

[InH]+ 2[OH]

]

(5.42)

Im sauren Bereich mit den zusatzlichen Bedingungen

[OH] ≪ [H] [OH] ≪ [In] [OH]BW ≪ [H]BIn (5.43)

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KAPITEL 5. TEMPERATURABHANGIGKEITEN 141

folgt aus 5.42 die Naherungslosung 5.44(

∂[In]

∂T

)

p

= ΓIn,H (BIn + αp) − αp[In] (5.44)

mit der Ubertragungsfunktion ΓIn,H.

ΓIn,H =

(1

[H]+

1

[In]+

1

[InH]

)−1

(5.45)

Die Naherungslosung 5.44 ergibt sich direkt bei Analyse der Protonierungsreakti-on 5.5 des Indikators. Die Stoffmenge nIn ist bei festen Einwaagestoffmengen In0

und W0 durch die konditionale Konstante K∗In(p, T ) und das Volumen V (p, T )

bestimmt. Bei konstantem Druck kann die Temperaturabhangigkeit der Konzen-tration [In] an den drei Termen in Gleichung 5.46 diskutiert werden: die Tempe-raturabhangigkeit des Gleichgewichtes (proportional BIn), die Veranderung derKonzentration durch Volumenanderung ohne Verschiebung des Gleichgewichtesund die Verschiebung des Gleichgewichtes bei unveranderter Konstante K∗

In.(

∂[In]

∂T

)

p

=

(∂[In]

∂ ln (K∗In/M)

)

V

(∂ ln (K∗

In/M)

∂T

)

p

+

(∂[In]

∂V

)

K∗In

(∂V

∂T

)

p

=1

V

(∂nIn

∂ ln (K∗In/M)

)

V

BIn − αp[In] + αp

(∂nIn

∂V

)

K∗In

(5.46)

Die Stoffmenge nIn erfullt die Gleichung

V (In0 − nIn) K∗In = (W0 − In0 + nIn) nIn (5.47)

und liefert die folgenden partiellen Ableitungen.

ΓIn,H =

(∂[In]

∂ ln (K∗In/M)

)

V

=1

V

(∂nIn

∂ ln (K∗In/M)

)

V

=

(1

[H]+

1

[In]+

1

[InH]

)−1

(5.48)

(∂nIn

∂V

)

K∗In

= ΓIn,H (5.49)

Die Große ΓIn,H wird als Ubertragungsfunktion fur die Reaktion 5.5 bezeichnet.Mit der Ubertragungsfunktion folgt sofort die Gleichung 5.44.Mit der Bedingung

[H] ≪ [OH] (5.50)

folgt aus Gleichung 5.42 eine Naherungslosung fur den stark basischen Bereich.(

∂[In]

∂T

)

p

=

(1

[OH]+

1

[In]+

1

[InH]

)−1

(BIn − BW − αp) − αp[In] (5.51)

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KAPITEL 5. TEMPERATURABHANGIGKEITEN 142

Dieses Ergebnis erhalt man auch, wenn nur die Hydrolysereaktion

In + H2O InH + OH (5.52)

mit der konditionalen Gleichgewichtskonstanten

K∗In,OH =

[In]

[InH][OH]=

K∗In

K∗W

(5.53)

berucksichtigt wird. Die Stoffmenge nIn erfullt die Gleichung

K∗In,OH (In0 − nIn) (In0 − nIn − W0) = V nIn (5.54)

und durch Differenzieren erhalt man folgende Beziehung.

ΓIn,OH =1

V

(

∂nIn

∂ ln(K∗

In,OH/M)

)

V

=

(1

[OH]+

1

[In]+

1

[InH]

)−1

(5.55)

(∂nIn

∂V

)

K∗In,OH

= −ΓIn,OH (5.56)

Damit ergibt sich die Temperaturabhangigkeit der Indikatorkonzentration analogzu Gleichung 5.46.

(∂[In]

∂T

)

p

= ΓIn,OH (BIn − BBW) − αp[In] − αpΓIn,OH (5.57)

In diesem Fall nimmt die Indikatorkonzentration durch Volumenerhohung nichtnur infolge der Verdunnung (ohne Reaktionen) ab, sondern auch durch die Ver-schiebung des Gleichgewichtes auf die Seite der Edukte.Die Konzentration von Wasser tritt in der Ubertragungsfunktion nicht auf, dasie groß ist gegen die Konzentrationen der Indikatorionen und Hydroxidionen.Dieses folgt aus der Naherung, daß die Aktivitat von Wasser (in gegebenem Me-dium auch die Konzentration an Wasser) unabhangig von den Konzentrationender reagierenden Spezies ist, und somit K∗

W bei gegebenem Medium annaherndkonstant ist.

Neutraler Bereich Im neutralen Bereich pcH ≈ 7 sind bei hinreichend großenKonzentrationen an Indikatorspezies, deprotonierten und protonierten Gruppendie folgenden Bedingungen erfullt.

[H], [OH] ≪ y[LH] [H], [OH] ≪ y[L] [H]+[OH] ≪ [InH] [OH] ≪ [In] (5.58)

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KAPITEL 5. TEMPERATURABHANGIGKEITEN 143

Zusatzlich wird die folgende vereinfachende Annahme gemacht, die experimentelluberpruft werden muß (siehe Abschnitt 5.3).

|−[OH]BW + ([H] + [OH]) BIn| ≪∣∣∣∣∣

(1

[L]+

1

[LH]

)−1

(yBIn − BL)

∣∣∣∣∣

(5.59)

Dann folgt aus Gleichung 5.41 die Naherung 5.60.

(∂[In]

∂T

)

p

=

(y

[In]+

y

[InH]+

1

[L]+

1

[LH]

)−1

(yBIn − BL) − αp[In] (5.60)

Die Temperaturabhangigkeit der Indikatorkonzentration enthalt auch den Para-meter y, wenn die Protononenubertragung zwischen Indikatordianion und proto-nierten Gruppen die entscheidende Gleichgewichtsreaktion ist.Da αp nicht in Kombination mit der Ubertragungsfunktion in Gleichung 5.60 auf-tritt, laßt sich durch Volumenausdehnung das Gleichgewicht nicht verschieben,unabhangig davon, ob es sich um eine einprotonige Saure oder einen Polyelektro-lyten handelt.Falls y = 1 ist (zum Beispiel im Fall einer einprotonigen Saure), folgt

(∂[In]

∂T

)

p

= ΓIn,L (BIn − BL) − αp[In] (5.61)

mit der folgenden Ubertragungsfunktion.

ΓIn,L =

(1

[In]+

1

[L]+

1

[InH]+

1

[LH]

)−1

(5.62)

Dieses Ergebnis erhalt man direkt durch Analyse der Protonenubertragungsre-aktion

In + LH InH + L (5.63)

von einer protonierten Gruppe auf das Indikatordianion.

Saurer Bereich Um den Einfluß der Verdunnung auf die Dissoziation des Po-lyelektrolyten zu erkennen, wird Gleichung 5.41 fur Messungen im sauren Be-reich diskutiert. Wenn die Konzentration an Indikatorspezies klein ist gegen dieProtonenkonzentration, stehen den Polyionen praktisch nur Protonen als Reak-tionspartner zur Verfugung. Fur die Bestimmung ihrer Konzentration dienen dieIndikatorspezies als

”Sonde“. Unter der Annahme

[OH] ≪ [H] [In] ≪ [H] [InH] ≪ [H] (5.64)

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KAPITEL 5. TEMPERATURABHANGIGKEITEN 144

folgt Gleichung 5.65

(∂[In]

∂T

)

p

=

(1

[In]+

1

[InH]

)−1

BIn −BL

y + [H](

1[L]

+ 1[LH]

)

−αp[In] + αp

(1

[In]+

1

[InH]

)−1 (

1 +yΓL,H

[H] − ΓL,H (y − 1)

)

(5.65)

mit der Ubertragungsfunktion 5.66.

ΓL,H =

(1

[L]+

1

[LH]+

1

[H]

)−1

(5.66)

In diesem Grenzfall bestimmt die Temperaturabhangigkeit des Protonierungs-gleichgewichtes 5.6 die Anderung der Indikatorkonzentration. Der Polyelektro-lytcharakter y 6= 1 wird sowohl bei unverandertem Volumen in der Temperatur-abhangigkeit der Polyelektrolytprotonierung sichtbar als auch bei festen Gleich-gewichtskonstanten am Einfluß der Verdunnung erkennbar.

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KAPITEL 5. TEMPERATURABHANGIGKEITEN 145

5.3 Experimentelle Ergebnisse

Das Ziel der folgenden Auswertung experimenteller Daten ist die Uberprufung derim vorherigen Abschnitt 5.2 formulierten theoretischen Uberlegungen zu tempera-turabhangigen Absorptionsmessungen an Polyelektrolytlosungen. Alle Ergebnissebeziehen sich auch hier auf die Wellenlange λ = 618 nm und eine optische Langevon d = 1, 000 cm. Um aus den in Temperatursprung-Experimenten bestimmtenAbsorptionsanderungen ∆A Parameter fur die Temperaturabhangigkeit der Po-lyelektrolytprotonierung zu erhalten, mussen auch die Temperaturabhangigkeitdes Absorptionskoeffizienten εIn und die Temperaturdifferenz ∆T selbst bestimmtwerden.

5.3.1 Indikator

Um die Temperaturabhangigkeit des Absorptionskoeffizienten εIn des Indikator-dianions In zu untersuchen, werden statische Messungen (Spektralphotometer)mit Indikatorlosungen ohne Polyelektrolyt durchgefuhrt. Entgaste Losungen vonBromthymolblau einer Einwaagekonzentration von Intot = 2, 00×10−5 M werdenmit Natronlauge auf pcH = 11 eingestellt. Da die konditionalen pK-Werte furdie zweite Deprotonierungsstufe des Indikators pKIn = 7, 05 bzw. pKIn = 7, 00betragen (bei Anwesenheit von 0, 100 M bzw. 1, 00 M Natriumchlorid), liegt unterden experimentellen Bedingungen ausschließlich das Indikatordianion vor, und esgilt [In] = Intot. In Abbildung 5.2 sind die Absorptionswerte solcher Losungen,die 0, 100 M oder 1, 00 M Natriumchlorid als Inertsalz enthalten, fur verschiedeneTemperaturen zwischen 20oC und 30oC aufgetragen. (Absorptionsspektren desIndikators Bromthymolblau bei verschiedenen pcH-Werten sind im Abschnitt 3.3dargestellt.)Da bei der Wellenlange der Detektion (λ = 618 nm) ausschließlich die vollstandigdeprotonierte Indikatorform In absorbiert, berechnet sich die Anderung der Ab-sorption der Losung mit der Temperatur nach Gleichung 5.4 folgendermaßen.

(∂εIn

∂T

)

p

=1

[In]d

(∂A

∂T

)

p

− εIn

[In]

(∂[In]

∂T

)

p

(5.67)

Bei pcH = 11 ist die Konzentration von Hydroxidionen sehr viel großer als dieder Indikatorionen In. Daher tritt eine Verschiebung des Protonierungsgleich-gewichtes des Indikators bei Beobachtung der Spezies In experimentell nicht inErscheinung.1 Nach Gleichung 5.51 ist die Temperaturabhangigkeit der Konzen-tration [In] unter den experimentellen Bedingungen allein auf Verdunnungseffektezuruckzufuhren (die Konzentratation [InH] liegt in der Großenordung von 10−9 M

1Wurde die Indikatorform InH detektiert, so konnte die Verschiebung des Gleichgewichtesnicht unbedingt vernachlassigt werden, da die relative Anderung in der Konzentration [InH]durchaus meßbare Werte aufweisen kann.

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KAPITEL 5. TEMPERATURABHANGIGKEITEN 146

Abbildung 5.2: Absorption von IndikatorlosungenDie Absorption der Losungen mit 2, 00 × 10−5 M Bromthymolblau ist gegen die Tem-peratur T aufgetragen. Schwarze Symbole zeigen eine Meßreihe mit 0, 100 M Natrium-chlorid in der Probe, rote beziehen sich auf Messungen mit einer Inertsalzkonzentrationvon 1, 00 M Natriumchlorid. Der pcH-Wert der Losungen betragt 11.

und die Ubertragungsfunktion daher sehr nahe bei null),

(∂[In]

∂T

)

p

= −αp[In] (5.68)

und die Temperaturabhangigkeit des Absorptionskoeffizienten εIn laßt sich ausden experimentellen Daten nach der folgenden Gleichung berechnen.

(∂εIn

∂T

)

p

=1

Intotd

(∂A

∂T

)

p

+ αpεIn (5.69)

Die Ergebnisse sind in Tabelle 5.1 zusammengestellt. Fur den Ausdehnungskoef-fizienten wird der Wert αp = 2, 5× 10−4 K−1 fur Wasser bei 25oC und 1 bar [138]eingesetzt.Die gefundenen Werte (∂εIn/∂T )p ≈ 102 M−1cm−1K−1 konnen durch tempera-turabhangige Gleichgewichte zwischen verschiedenen chemischen Strukturen dergleichen Protonierungsform In erklart werden. Das Indikatordianion kann mitoffener oder geschlossener chemischer Struktur vorliegen, wie Abbildung 5.3 ver-deutlicht. Es handelt sich um zwei unterschiedliche Spezies A und B der gleichenProtonierungsform, die sich in ihren Absorptionskoeffizienten εA und εB unter-scheiden und miteinander im Gleichgewicht stehen. Diesem Gleichgewicht laßt

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KAPITEL 5. TEMPERATURABHANGIGKEITEN 147

sich eine konditionale Gleichgewichtskonstante K∗AB zuordnen.

K∗AB =

[A]

[B](5.70)

Der Absorptionskoeffizient εIn, der der Indikatorspezies In zugeordnet wird, setztsich dann aus den Absorptionskoeffizienten der Spezies gemaß ihrer Anteile zu-sammen.

εIn =[A]

[In]εA +

[B]

[In]εB =

1

1 + K∗AB

εA +K∗

AB

1 + K∗AB

εB (5.71)

Die Temperaturabhangigkeit der konditionalen Gleichgewichtskonstanten K∗AB

verursacht so großtenteils die Temperaturabhangigkeit des Absorptionskoeffizien-ten εIn, die der Indikatorform In zugeordnet wird. Die unterschiedlichen Werte derAbsorptionskoeffizienten bei verschiedenen Inertsalzkonzentrationen weist daraufhin, daß K∗

AB nicht nur temperaturabhangig ist, sondern auch von der Konzen-tration an Natriumionen abhangt.

[NaCl] 1d

(∂A∂T

)

p/(cm−1K−1) εIn bei 25oC

(∂εIn

∂T

)

p/(M−1cm−1K−1)

0, 100 M −1, 12 × 10−3 3, 84 × 104 M−1cm−1 −(48 ± 8)1, 00 M −1, 34 × 10−3 3, 67 × 104 M−1cm−1 −(58 ± 8)

Tabelle 5.1: Temperaturabhangigkeit des AbsorptionskoeffizientenDie Parameter fur die Temperaturabhangigkeit des Absorptionskoeffizienten εIn desBromthymolblau-Dianions werden aus den Geradensteigungen in Abbildung 5.2 be-rechnet.

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KAPITEL 5. TEMPERATURABHANGIGKEITEN 148

Abbildung 5.3: Strukturen des IndikatordianionsDas Dianion des Indikators Bromthymolblau kann in zwei verschiedenen Formen vor-liegen. Dieses Gleichgewicht kann die vergleichsweise hohe Temperaturabhangigkeit desAbsorptionskoeffizienten εIn erklaren.

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KAPITEL 5. TEMPERATURABHANGIGKEITEN 149

5.3.2 Polyelektrolyte

Die Abbildungen 5.4 und 5.5 zeigen die in Temperatursprung-Experimenten be-stimmten Absorptionsanderungen ∆A (pro Schichtdicke d) fur verschiedene Po-lyelektrolyte und verschiedene Konzentrationen an Inertsalz in Abhangigkeit vonder Gesamtkonzentration Ltot an protonierbaren Gruppen. In allen Messungenbetragt die Gesamtkonzentration an Indikator Intot = 2, 00× 10−5 M in den Pro-belosungen, die auf pcH = 7, 00 eingestellt sind und Natriumchlorid als Inertsalzin der Konzentration 0, 100 M oder 1, 00 M enthalten.Bei sehr kleinen Konzentrationen Ltot an titrierbaren Gruppen nimmt bei Tem-peraturerhohung die Absorption (∆A < 0 infolge der Temperaturabhangigkeitdes Absorptionskoeffizienten) ab, wahrend sie bei hoheren Konzentrationen anPolyelektrolyt (∆A > 0 durch Verschiebung der Protonierungsgleichgewichte)zunimmt. Bei sehr hohen Konzentrationen an Gruppen wird die Absorptionsande-rung unabhangig von der Konzentration Ltot und verbleibt auf einem konstantenMaximalwert.

Temperaturdifferenz

Die durch die Kondensatorentladung erzeugte Temperaturdifferenz ∆T in derProbe (genauer: in dem Volumenbereich der Probelosung, der von der optischenDetektion erfaßt wird) kann aus den gemessenen Absorptionswerten ∆A ermitteltwerden. Bei hinreichend hohen Konzentrationen an Polyelektrolyt in der Probeist die Absorptionsanderung unabhangig von der Konzentration Ltot an Grup-pen. Die Probelosung ist zudem durch den Polyelektrolyt gut gepuffert und dieAbsorptionsanderung pro Temperaturdifferenz hinreichend groß. Solche Probenwerden nicht nur in Temperatursprung-Experimenten untersucht, sondern dieAbsorption der Losung wird zusatzlich bei verschiedenen Temperaturen in stati-schen Experimenten bestimmt. Wieder laßt sich aus den experimentellen Datendie Temperaturableitung

(∂A∂T

)

perhalten. Die Temperaturdifferenzen ∆T konnen

dann aus den in Temperatursprung-Experimenten bestimmten Amplituden ∆Aberechnet werden.

∆T =

[(∂A

∂T

)

p

]−1

∆A (5.72)

Tabelle 5.2 zeigt die Ergebnisse. Bei den Temperatursprung-Experimenten wirdeine Temperaturdifferenz ∆T = (2, 4 ± 0, 2) K erzielt, die sich als unabhangigvon der Inertsalzkonzentration in der Probe erweist. Diese Temperaturdifferenzsteht in Ubereinstimmung mit in Testmessungen an waßrigen Losungen vonTris(hydroxymethyl)aminomethan als Puffersubstanz und Kresolrot als Indika-tor bei pcH = 8 erhaltenen Daten.

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KAPITEL 5. TEMPERATURABHANGIGKEITEN 150

Polymer [NaCl] (∆A/d)/cm−1 1d

(∂A∂T

)

p/(cm−1K−1) ∆T/K

H-PMA-2150 0, 100 M 3, 68 × 10−3 1, 57 × 10−3 2, 3H-PMA-11300 0, 100 M 3, 75 × 10−3 1, 61 × 10−3 2, 4H-PMA-58900 0, 100 M 3, 78 × 10−3 1, 53 × 10−3 2, 5H-PMA-2150 1, 00 M 3, 61 × 10−3 1, 51 × 10−3 2, 4H-PMA-11300 1, 00 M 4, 00 × 10−3 1, 61 × 10−3 2, 5H-PMA-58900 1, 00 M 3, 72 × 10−3 1, 55 × 10−3 2, 4

Tabelle 5.2: TemperaturdifferenzDer Betrag ∆T der bei Temperatursprung-Experimenten erzielten Temperaturerho-hung kann durch die statische Untersuchung der Probelosungen ermittelt werden. Indiesen Messungen sind die Losungen auf pcH = 7, 00 eingestellt, und die Einwaage-konzentration Ltot an Gruppen betragt zwischen 6, 2 × 10−3 M und 7, 6 × 10−3 M. DieIndikatorkonzentration hat in allen Losungen den Wert Intot = 2, 00× 10−5 M, die op-tische Schichtdicke betragt d = 1, 000 cm, und als Wellenlange fur die Detektion wirdλ = 618 nm gewahlt.

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KAPITEL 5. TEMPERATURABHANGIGKEITEN 151

Abbildung 5.4: Relaxationsamplituden (1)Die in Temperatursprung-Experimenten mit Poly(methacrylsauren) unterschiedlicherKettenlangen (von oben nach unten: H-PMA-2150, H-PMA-11300, H-PMA-58900) be-stimmten Absorptionsanderungen ∆A sind gegen die Einwaagekonzentration Ltot an ti-trierbaren Gruppen aufgetragen. Die Konzentration an Natriumchlorid betragt 0, 100 M(pcH = 7, 00, Intot = 2, 00 × 10−5 M).

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KAPITEL 5. TEMPERATURABHANGIGKEITEN 152

Abbildung 5.5: Relaxationsamplituden (2)Wie in Abbildung 5.4 sind die Absorptionsanderungen ∆A gegen die Einwaagekonzen-tration Ltot an Gruppen aufgetragen. Die Abbildungen beziehen sich (von oben nachunten) auf H-PMA-2150, H-PMA-11300 und H-PMA-58900, einen pcH-Wert von 7, 00und eine Konzentration an Natriumchlorid von 1, 00 M. Die Indikatorkonzentration be-tragt Intot = 2, 00 × 10−5 M.

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KAPITEL 5. TEMPERATURABHANGIGKEITEN 153

Protonierungsgleichgewichte

Mit den Gleichungen 5.3 und 5.4 findet man die folgende Beziehung fur die Tem-peraturabhangigkeit der Indikatorstoffmenge pro Volumen V der Probe.

1

V

(∂nIn

∂T

)

p

=

(∂[In]

∂T

)

p

+ αp[In] =∆A

εInd∆T− [In]

εIn

(∂εIn

∂T

)

p

+ αp[In] (5.73)

Nach Gleichung 5.60 ist diese Große gleich null bei solchen Systemen, in denen al-le Gleichgewichtskonstanten temperaturunabhangig sind. Eine Verschiebung derGleichgewichte nur durch die Verdunnung der Probe (bei Temperaturerhohung)tritt nicht auf. Mit der Mengenbilanz 5.8 und der Definition 3.14 des Assozia-tionsgrades θ des Polyelektrolyten kann Gleichung 5.60 umgeschrieben werden,und man erhalt die Gleichung einer hyperbolischen Kurve.

1

V

(∂nIn

∂T

)

p

=(yBIn − BL) [In](Intot−[In])

yIntotLtot

[In](Intot−[In])yIntotθ(1−θ)

+ Ltot

=C1Ltot

C2 + Ltot

(5.74)

Fur hinreichend hohe Werte der Konzentration Ltot an Gruppen wird ein EndwertC1 erreicht, und der Halbwert betragt C2.

C1 = (yBIn − BL)[In](Intot − [In])

yIntot

(5.75)

C2 =[In](Intot − [In])

yIntotθ(1 − θ)(5.76)

Die Große 1V

(∂nIn

∂T

)

pist in den Abbildungen 5.6 und 5.7 gegen die Konzentration

Ltot aufgetragen. Die nach Gleichung 5.74 an die Meßwerte angepaßte hyperbo-lische Kurve liefert zwei Parameter. (Mit einer logarithmischen Skalierung derKonzentrationsachse erhalt man sigmoide Kurven.) Die Parameter C1 und dielogarithmischen Werte von C2 sind in Tabelle 5.3 zusammengestellt. Mit diesenParametern kann auch die Absorptionsanderung ∆A berechnet werden (durch-gezogene Kurven in den Abbildungen 5.4 und 5.5).

∆A =

(∂εIn

∂T

)

p

− αpεIn

[In]d∆T + εInd∆TC1Ltot

C2 + Ltot

(5.77)

Die Anpassung der Kurven an die experimentellen Daten liefert die beiden Pa-rameter C1 und lg (C2/M). Insgesamt gibt es jedoch neben der Indikatorkonzen-tration [In] die vier Unbekannten BIn, BL, θ und y. Zunachst wird die Konzen-tration [In] bei pcH = 7, 00 und einer Einwaagekonzentration an Indikator vonIntot = 2, 00 × 10−5 M nach Gleichung 3.101 berechnet.

[In] =Intot

1 + 10pKIn−pcH=

9, 42 × 10−6 M fur [NaCl] = 0, 100 M1, 00 × 10−5 M fur [NaCl] = 1, 00 M

(5.78)

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KAPITEL 5. TEMPERATURABHANGIGKEITEN 154

Polymer [NaCl] C1/(10−8 M K−1) − lg (C2/M)

H-PMA-2150 0, 100 M 5, 5 ± 0, 2 3, 86 ± 0, 15H-PMA-11300 0, 100 M 5, 5 ± 0, 2 4, 06 ± 0, 12H-PMA-58900 0, 100 M 5, 5 ± 0, 2 4, 06 ± 0, 12H-PMA-2150 1, 00 M 6, 5 ± 0, 3 3, 40 ± 0, 06H-PMA-11300 1, 00 M 6, 4 ± 0, 3 3, 71 ± 0, 11H-PMA-58900 1, 00 M 6, 2 ± 0, 6 3, 54 ± 0, 15

Tabelle 5.3: Parameter der Temperaturabhangigkeit (1)Durch Anpassung einer Kurve nach Gleichung 5.74 an die in den Abbildungen 5.6 und5.7 aufgetragenen experimentellen Daten werden die Parameter C1 und − lg (C2/M)ermittelt.

Dabei werden die Indikatorkonstanten pKIn = 7, 05 (in Losungen mit 0, 100 MNatriumchlorid) und pKIn = 7, 00 (fur 1, 00 M Natriumchlorid als Hintergrund-elektrolyt) eingesetzt. Nicht alle verbleibenden Großen (yBIn − BL), y und θkonnen aus den beiden Parametern erhalten werden. Von all diesen Großen hatder Wert y ≈ 0, 7 den geringsten Einfluß auf die angepaßten Kurven und wird

daher nach Gleichung 5.37 fur jedes Polymer aus der Ableitung(

∂pQ∂pcH

)

p,Taus po-

tentiometrischen Daten berechnet (Abschnitt 3.2). Um die Art der Auswertung zuuberprufen, konnen aus den Parametern − lg (C2/M) die Werte − lg [yθ(1 − θ)]berechnet und mit den aus potentiometrischen Daten erhaltenen Werten ver-glichen werden (Tabelle 5.4).Bei der Auswertung der Amplituden ist zu bemerken, daß die Werte θ und yund − lg (C2) nicht mehr konsistent sind, wenn y = 1 gesetzt und somit die pcH-Abhangigkeit des Dissoziationsquotienten eines Polyelektrolyten vernachlassigtwurde. Durch die beachtete pcH-Abhangigkeit des Dissoziationsquotienten wer-den die Polyelektrolytdaten in korrekter Weise ausgewertet, wahrend die Annah-me einer lediglich temperaturabhangigen Gleichgewichtskonstanten fur die Pro-tonierung von Polyelektrolyten zu weit weniger konsistenten Ergebnissen fuhrt.Nach kritischer Uberprufung der Auswertungsmethode konnen die Parameter C1

diskutiert werden (Gleichung 5.75). Die Werte (yBIn − BL) unterscheiden sich furunterschiedliche Polyelektrolyte bei gleichen pcH-Werten und gleichen Konzen-trationen an Inertsalz innerhalb des Meßfehlers nicht. Die Temperaturabhangig-keit der Indikatorkonstanten K∗

In fur die zweite Deprotonierung des IndikatorsBromthymolblau ist bekannt [121]. Aus dem Wert ∆rH

∗In = (26 ± 2) kJ mol−1

laßt sich BIn = (3, 5 ± 0, 3) × 10−2 K−1 berechnen. Aus dem Parameter C1 folgtBL = (1, 7 ± 0, 3) × 10−2 K−1 und ein Enthalpiewert ∆rH

∗∗L = (12 ± 3) kJ mol−1

fur pcH = 7, 00 und eine Konzentration von Natriumchlorid von 0, 100 M.Es bleibt der Einfluß des Wassergleichgewichtes auf die experimentellen Ergeb-

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KAPITEL 5. TEMPERATURABHANGIGKEITEN 155

Polymer [NaCl] − lg (C2/M) − lg [yθ(1 − θ)] y

H-PMA-2150 0, 100 M 3, 86 ± 0, 15 1, 44 ± 0, 16 0, 70 ± 0, 05H-PMA-11300 0, 100 M 4, 06 ± 0, 12 1, 24 ± 0, 13 0, 70 ± 0, 05H-PMA-58900 0, 100 M 4, 06 ± 0, 12 1, 24 ± 0, 13 0, 75 ± 0, 05H-PMA-2150 1, 00 M 3, 40 ± 0, 06 1, 90 ± 0, 06 0, 64 ± 0, 05H-PMA-11300 1, 00 M 3, 71 ± 0, 11 1, 59 ± 0, 12 0, 76 ± 0, 05H-PMA-58900 1, 00 M 3, 54 ± 0, 15 1, 76 ± 0, 16 0, 61 ± 0, 05

Polymer [NaCl] y θ − lg [yθ(1 − θ)]

H-PMA-2150 0, 100 M 0, 70 ± 0, 05 0, 12 ± 0, 02 1, 2 ± 0, 2H-PMA-11300 0, 100 M 0, 70 ± 0, 05 0, 13 ± 0, 02 1, 1 ± 0, 1H-PMA-58900 0, 100 M 0, 75 ± 0, 05 0, 14 ± 0, 02 1, 0 ± 0, 1H-PMA-2150 1, 00 M 0, 64 ± 0, 05 0, 05 ± 0, 02 1, 6 ± 0, 2H-PMA-11300 1, 00 M 0, 76 ± 0, 05 0, 03 ± 0, 02 1, 7 ± 0, 3H-PMA-58900 1, 00 M 0, 61 ± 0, 05 0, 04 ± 0, 02 1, 6 ± 0, 2

Tabelle 5.4: Vergleich mit Ergebnissen von TitrationenDie in den Abbildungen 5.6 und 5.7 aufgetragenen Daten liefern den Parameter− lg (C2/M). Nach Gleichung 5.76 ist sein Wert fur verschiedene Polyelektrolyte durchden Assoziationsgrad θ und den Faktor y bestimmt. Der Wert y wird aus potentio-metrischen Daten ermittelt. Nach Gleichung 5.76 kann aus − lg (C2/M) die Große− lg [yθ(1 − θ)] berechnet (oberer Teil der Tabelle) und mit dem aus dem Assozia-tionsgrad θ und dem Wert y errechneten Wert (unterer Teil der Tabelle) verglichenwerden.

nisse zu diskutieren. Das Dissoziationsgleichgewicht von Wasser ist vergleichs-weise stark temperaturabhangig. Zur Abschatzung des Terms [OH]BW, der inder Naherung 5.60 vernachlassigt wird, werden die Dissoziationskonstanten desWassers temperaturabhangig ausgewertet, die sich auf eine auf null extrapolierteIonenstarke beziehen [138]. Die tabellierten Daten liefern folgenden Wert,

(∂ ln (KW/M2)

∂T

)

p

= 7, 6 × 10−2 K−1 (5.79)

und es folgt naherungsweise [OH]BW ≈ 8× 10−9 M K−1 fur pcH = 7. Die erhalte-nen Werte fur (yBW − BL), die die Temperaturabhangigkeit des Protonenuber-tragungsgleichgewichtes zwischen Polyelektrolyt und Indikatorionen beschreiben,sind von der Großenordnung 10−2 K−1. Fur alle Konzentrationen Ltot > 10−6 Mtritt eine Verschiebung des Wassergleichgewichtes daher in den hier vorgestelltenExperimenten nicht meßbar in Erscheinung, und die Naherung in Gleichung 5.60ist erlaubt.

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KAPITEL 5. TEMPERATURABHANGIGKEITEN 156

Polymer [NaCl] C1/(10−8 M K−1) (yBIn − BL)/(10−3 K−1)

H-PMA-2150 0, 100 M 5, 5 ± 0, 2 7, 7 ± 0, 3H-PMA-11300 0, 100 M 5, 5 ± 0, 2 7, 7 ± 0, 3H-PMA-58900 0, 100 M 5, 5 ± 0, 2 7, 7 ± 0, 3H-PMA-2150 1, 00 M 6, 5 ± 0, 3 8, 3 ± 0, 4H-PMA-11300 1, 00 M 6, 4 ± 0, 3 9, 7 ± 0, 3H-PMA-58900 1, 00 M 6, 2 ± 0, 6 7, 6 ± 0, 7

Tabelle 5.5: Parameter der Temperaturabhangigkeit (2)Mit den bekannten Großen [In], Intot und y kann nach Gleichung 5.75 aus den Para-metern C1 fur jedes Polymer der Wert (yBIn − BL) berechnet werden.

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KAPITEL 5. TEMPERATURABHANGIGKEITEN 157

Abbildung 5.6: Amplitudenauswertung (1)Die Stoffmengenanderung an Indikatorionen In pro Volumen ist gegen die Konzentrati-on Ltot an titrierbaren Gruppen der Poly(methacrylsauren) aufgetragen (von oben nachunten: H-PMA-2150, H-PMA-11300, H-PMA-58900). Die Losungen enthalten 0, 100 MNatriumchlorid als Inertsalz. Die ubrigen experimentellen Parameter konnen der Bild-unterschrift zu Abbildung 5.4 entnommen werden.

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KAPITEL 5. TEMPERATURABHANGIGKEITEN 158

Abbildung 5.7: Amplitudenauswertung (2)Wie in Abbildung 5.6 ist die Stoffmengenanderung an Indikatorionen In pro Tempera-turanderung und Volumen fur Losungen von H-PMA-2150, H-PMA-11300 und H-PMA-58900 (von oben nach unten) gegen die Konzentration Ltot an titrierbaren Gruppenaufgetragen ([NaCl] = 1, 00 M). Die ubrigen experimentellen Parameter konnen derBildunterschrift zu Abbildung 5.5 entnommen werden.

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Kapitel 6

Temperatursprung-Experimente

Temperatursprung-Experimente sind bereits in Kapitel 5 beschrieben worden,und aus der Differenz der beobachteten Absorption vor dem Temperatursprungund lange nach dem Ablauf aller chemischen Reaktionen wurden Parameterder Temperaturabhangigkeit der Protonierungsgleichgewichte ermittelt. In die-sem Kapitel wird die Absorption der Polyelektrolytlosungen als Funktion derZeit dargestellt und untersucht. Durch Diskussion der bei Temperatursprung-Experimenten auftretenden Prozesse zeigt sich, daß die erhaltenen Signale quan-titativ durch die Temperaturabhangigkeit des Absorptionskoeffizienten des Indi-katordianions und durch genau einen chemischen Relaxationseffekt erklart werdenkonnen.Ist der Kurvenverlauf diskutiert, konnen aus den Signalen die chemischen Re-laxationszeiten entnommen werden, die Informationen uber die Dynamik derProtonierungsreaktionen enthalten und in Zusammenhang mit dem Reaktions-mechanismus ausfuhrlich in Kapitel 7 behandelt werden.

6.1 Die zeitliche Anderung der Absorption

Die Auswertung der Spannungssignale der Detektions- und Verstarkereinheit derTemperatursprung-Apparatur erlaubt, die Absorption A(t) und die Absorptions-anderung δA(t) der Probe als Funktionen der Zeit zu bestimmen (Abschnitt2.2.4). Im weiteren beziehen sich alle Absorptionsangaben auf die Wellenlangeλ = 618 nm.Vor dem Temperatursprung (Beginn bei t = 0) fluktuiert die Absorption A(t)der Probelosung um einen zeitlichen Mittelwert A0, nach Ablauf der chemischenReaktionen fluktuiert sie um den Wert A∞. Die Anderung der Absorption durchdie Temperaturerhohung ist die Differenz ∆A.

∆A = A∞ − A0 (6.1)

Die zeitliche Entwicklung der Absorption wird durch die Große δA(t) beschrieben.

δA(t) = A(t) − A0 = A(t) − (A∞ − ∆A) (6.2)

Wie in Abbildung 6.1 zu erkennen ist, hangt nicht nur die gesamte Absorp-tionsanderung ∆A, sondern auch der zeitlichen Verlauf δA(t) stark von der Ein-waagekonzentration an titrierbaren Gruppen Ltot der in den Temperatursprung-Experimenten eingesetzten Polyelektrolytlosungen ab.

159

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KAPITEL 6. TEMPERATURSPRUNG-EXPERIMENTE 160

Abbildung 6.1: Temperatursprung-MessungenFur verschiedene Konzentrationen Ltot an titrierbaren Gruppen in der Probelosung istdie Absorptionsanderung δA(t) (optischer Weg in der Probe d = 1, 00 cm) bei der Wel-lenlange λ = 618 nm als Funktion der Zeit aufgetragen. Alle Kurven beziehen sich aufTemperatursprung-Experimente mit H-PMA-11300, auf einen pcH-Wert von 7, 00 undeine Gesamtkonzentration an Indikator von Intot = 2, 00 × 10−5 M und eine Inertsalz-konzentration [NaCl] = 0, 100 M. In der Reihenfolge zunehmender Absorptionsande-rung bei 400µs betragt die eingesetzte Konzentration Ltot an titrierbaren Gruppen0 M; 4, 24 × 10−6 M; 8, 48 × 10−5 M und 7, 42 × 10−3 M.

In Abbildung 6.2 ist eine Absorptions-Zeit-Kurve in unterschiedlichen Zeitberei-chen dargestellt. In der Langzeitmessung, die sich uber 1, 5 s erstreckt, sind nurder Startwert A0 und der Endwert A∞ zu erkennen. Bei Messungen im Zeitbe-reich bis zu wenigen Millisekunden ist der zeitliche Verlauf der Absorption gutzu beobachten. Innerhalb dieses Meßbereichs wird der Ubergang von dem Gleich-gewichtszustand, der zur Starttemperatur T0 korrespondiert, zu einem spaterenGleichgewichtszustand, der sich bei der Endtemperatur T∞ ausbildet, beobachtet.Wie die Langzeitmessung zeigt, sind nach einer Meßzeit von 1, 5 ms in der Absorp-tion keine Anderungen mehr zu verzeichnen. Die Gleichgewichte sind eingestellt.Daher konnen aus der zwischen den Zeitpunkten t = 0 und t = 1, 5 ms registrier-ten Anderung der Absorption Informationen uber die Temperaturabhangigkeitder Protonierungsgleichgewichte gewonnen werden (Kapitel 5). Die Abkuhlungder Probe nach dem Temperatursprung braucht bis t = 1, 5 s nicht berucksichtigtzu werden.Bei allen Messungen wird ein

”sehr schneller“ Effekt bei Zeiten von unter 20 µs

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KAPITEL 6. TEMPERATURSPRUNG-EXPERIMENTE 161

beobachtet, an den sich ein”langsamerer“ Effekt anschließt. Die charakteristische

Zeit des langsamen Effektes ist stark von der Konzentration an Polyelektrolyt inder Probe abhangig.Nach Kapitel 5 ist die beobachtete Absorptionsanderung auf zwei gegenlaufigeEffekte zuruckzufuhren: Bei allen Proben nimmt sie infolge der Verschiebung vonchemischen Gleichgewichten zu und verringert sich durch die Temperaturabhan-gigkeit des Absorptionskoeffizienten der Indikatorspezies In. Im folgenden wirdbeschrieben, wie diese beiden Phanomene den zeitlichen Verlauf der Absorptionbestimmen.

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KAPITEL 6. TEMPERATURSPRUNG-EXPERIMENTE 162

Abbildung 6.2: ZeitskalaFur eine wassrige Probe, die H-PMA-58900 (Ltot = 4, 11 × 10−3 M), als Inertsalz0, 100 M Natriumchlorid und als Indikator 2, 00× 10−5 M Bromthymolblau enthalt, istdie Absorptionsanderung δA(t) bei der Wellenlange λ = 618 nm als Funktion der Zeit inunterschiedlichen Zeitbereichen bestimmt worden (optische Schichtdicke d = 1, 00 cm).Die durchgezogene Kurve im unteren Bild ist mit Parametern τT = 8µs und τ = 120µs,∆A/d = 5, 0 × 10−4 cm−1 und [In]∆εIn = −1, 6 × 10−3 cm−1 berechnet worden (Glei-chungen 6.61, 6.62 und 6.63).

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KAPITEL 6. TEMPERATURSPRUNG-EXPERIMENTE 163

6.2 Die”sehr schnellen“ Anderungen

Um den zeitlichen Verlauf der Absorption uber den gesamten beobachteten Zeit-bereich beschreiben zu konnen, mussen auch die

”sehr schnellen“ Effekte dis-

kutiert werden. Diese treten im gleichen Zeitbereich auf wie die Temperatur-erhohung selbst, die oft als instantan angenommen wird.

6.2.1 Temperatur

Die im experimentellen Teil vorgestellte Temperatursprung-Anlage (Abschnitt2.2.4) nutzt die elektrische Entladung eines Kondensators (Kapazitat C, anlie-gende Spannung UC , elektrische Ladung Q = CUC) fur eine schnelle Tempera-turerhohung der Probe (Ohmscher Widerstand R, anliegende Spannung U). ImEntladungskreis addieren sich UC und U zu null. Die zeitliche Entwicklung derSpannung U(t), die an der Meßzelle anliegt, genugt naherungsweise1 der Diffe-rentialgleichung 6.3.

U = RQ = −RCU (6.3)

Mit der Anfangsbedingung U(t = 0) = U0 folgt die Losung.

U(t) = U0 exp

(

− t

RC

)

(6.4)

Dabei wird die Zeit t = 0 als Start der Kondensatorentladung definiert. AusGleichung 6.4 folgt die vom Kondensator abgegebene elektrische Leistung Pel.

Pel(t) =U(t)2

R=

U20

Rexp

(

− 2t

RC

)

(6.5)

Bei konstantem außerem Druck p = const . gilt Gleichung 6.6 fur die Enthalpie Hder Probelosung, die uber ihren Widerstand R die elektrische Leistung aufnimmt.

dH =U2

0

Rexp

(

− 2t

RC

)

dt (6.6)

Mit der Erhohung der Enthalpie der Probe mit Warmekapazitat Cp (bei konstan-tem Druck) ist nach

(∂T

∂H

)

p

=1

Cp

(6.7)

1Samtliche induktiven und (mit Ausnahme des Kondensators) kapazitiven Widerstande desEntladungskreises werden hier vernachlassigt. Daruberhinaus wird fur die Probelosung dasOhmsche Gesetz U/I = R = const . angenommen.

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KAPITEL 6. TEMPERATURSPRUNG-EXPERIMENTE 164

eine Temperaturanderung verbunden. Durch Integration bei naherungsweise kon-stanter Warmekapazitat Cp erhalt man den zeitlichen Verlauf der Temperatur inder Probe.

T (t) = T0 + ∆T

[

1 − exp

(

− t

τT

)]

= T∞ − ∆T exp

(

− t

τT

)

(6.8)

In Gleichung 6.8 bedeuten T0 = T (t = 0) die Temperatur vor dem Tempera-tursprung (Starttemperatur), T∞ = T (t → ∞) die Temperatur lange nach derKondensatorentladung und

∆T = T∞ − T0 =1

Cp

CU20

2(6.9)

der Betrag des Temperatursprunges. Die Temperatur nahert sich ausgehend vonihrem Startwert exponentiell ihrem Endwert an mit einer charakteristischen Zeit,

τT =RC

2(6.10)

die vom Widerstand der Probe und von der Kapazitat des Kondensators abhangt.

6.2.2 Elektrisches Feld

Zu Beginn der Kondensatorentladung liegt die Startspannung von U0 = 25 kV anden Elektroden der Meßzelle an. Der Betrag E der elektrischen Feldstarke in derMitte der Meßzelle zwischen den Elektroden vom Abstand 2, 0 cm ist dann vonder Großenordnung E0 ≈ 104 V cm−1. Die Feldstarke E(t) folgt in ihrer zeitlichenAnderung der Spannung (Gleichung 6.4).

E(t) = E0 exp

(

− t

τE

)

(6.11)

Die charakteristische Zeit τE ist doppelt so groß wie die der TemperaturanderungτT .

6.2.3 Druck

In Temperatursprung-Experimenten andert sich die Temperatur so schnell, daßdas Volumen der Probe nicht zu jedem Zeitpunkt seinen Gleichgewichtswert an-nimmt, der zum außeren Druck p = 1 bar und der aktuellen Temperatur kor-respondiert. Vielmehr bleibt direkt nach Beginn der Kondensatorentladung dasVolumen zunachst naherungsweise konstant, und infolgedessen steigt der Druckmit der Temperatur an. Fur Zeiten t ≈ τT gilt daher naherungsweise Gleichung6.12.

p(t) ≈ 1 bar + ∆pmax

[

1 − exp

(

− t

τT

)]

(6.12)

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KAPITEL 6. TEMPERATURSPRUNG-EXPERIMENTE 165

Die maximale Druckdifferenz

∆pmax ≈(

∂p

∂T

)

V

∆T =αp

κT

∆T (6.13)

kann mit den Werten fur Wasser [138] bei 25oC und 1 bar abgeschatzt werden. Mitαp = 2, 5×10−4 K−1 und κT = 4, 5×10−5 bar−1 ergibt sich bei einer Temperatur-erhohung von ∆T = 2, 5 K ein Wert ∆pmax = 15 bar. Diese Druckdifferenz ist eineobere Grenze und kann nicht erreicht werden, da das Probevolumen tatsachlichnicht konstant bleibt.Nach dem Temperatursprung ist der Druck in der Probe nicht homogen (Nicht-gleichgewichtszustand). Der Druck im Inneren der Probe baut sich ab und erreichtwieder Atmospharendruck, indem sich eine Schallwelle [47] aus dem Inneren derProbelosung an die Grenzflache zwischen Probelosung und Luft ausbreitet. Mitder Schallgeschwindigkeit in Wasser [138] von 1, 5×103 m s−1 und der Entfernungder Probenmitte zur Luftschicht von etwa 2 cm kann eine charakteristische Zeitvon τp = 15 µs fur den Druckabbau abgeschatzt werden.

6.2.4 Volumen

Solange der funktionale Verlauf des Druckes in der Probe unbekannt bleibt, kannauch die Zeitabhangigkeit des Volumens V der Probelosung nicht berechnet wer-den. Fur Zeiten, die groß sind gegen τT und τp, hat das Volumen ausgehend vomStartwert V0 = V (T0) den Endwert V∞ = V (T∞) erreicht.

V∞ = V0 (1 + αp∆T ) (6.14)

6.2.5 Die Anderung des Absorptionskoeffizienten

Der fur die Messungen bei λ = 618 nm einzig relevante Absorptionskoeffizient εIn

der beobachteten Indikatorspezies In kann sich infolge der zeitlichen Anderung derTemperatur T (t), des Druckes p(t) und des Betrages der elektrischen FeldstarkeE(t) verandern. Durch lineare Entwicklung um die Werte T = T∞, p = 1 bar undE = 0 nach dem Temperatursprung-Experiment kann der zeitliche Verlauf εIn(t)des Absorptionskoeffizienten abgeschatzt werden.

εIn(T, p, E) = εIn(T = T∞, p = 1 bar, E = 0)

+ (T − T∞)

(∂εIn

∂T

)

p=1bar,E=0

+ (p − 1 bar)

(∂εIn

∂p

)

T=T∞,E=0

+E

(∂εIn

∂E

)

T=T∞,p=1bar

(6.15)

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KAPITEL 6. TEMPERATURSPRUNG-EXPERIMENTE 166

Im folgenden wird versucht, den Absorptions-Zeit-Verlauf unter drei stark ver-einfachenden Annahmen zu erklaren. Erstens wird angenommen, daß der Einflußder Druckanderung (∆pmax ≈ 15 bar) klein ist gegen den Einfluß der Tempera-turanderung (∆T ≈ 2, 5 K). Da die Indikatorspezies nur ein geringes Dipolmo-ment aufweisen, wird weiter angenommen, daß auch die elektrische Feldstarke aufden Absorptionskoeffizienten einen weit geringeren Einfluß hat als die Tempera-turerhohung. Die dritte Vereinfachung besteht in der Annahme, daß zu jedemZeitpunkt die folgende lineare Naherung (mit der bei p = 1 bar und E = 0geltenden Temperaturableitung) erlaubt ist.

(∂εIn

∂T

)

p

≈ εIn(t) − εIn(T∞)

T (t) − T∞

(6.16)

Mit Gleichung 6.8 erhalt man die folgende Zeitabhangigkeit der Werte εIn(t), dieder Absorptionskoeffizient zu verschiedenen Zeitpunkten im Temperatursprung-Experiment annimmt.

εIn(t) = εIn(T∞) − ∆εIn exp

(

− t

τT

)

(6.17)

In Gleichung 6.17 bedeutet ∆εIn die absolute Anderung im Absorptionskoeffizi-enten, die sich durch Erhohung der Temperatur von T0 auf T∞ ergibt.

∆εIn = εIn(T∞) − εIn(T0) = ∆T

(∂εIn

∂T

)

p

(6.18)

Gleichung 6.17 ist als Naherungslosung zu verstehen, die experimentell uberpruftwerden muß.

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KAPITEL 6. TEMPERATURSPRUNG-EXPERIMENTE 167

6.3 Die Chemische Relaxation

6.3.1 Prinzip

Zur Untersuchung der Reaktionsdynamik eines Systems wird das Reaktions-system bei vielen experimentellen Techniken [139] in einen Nichtgleichgewichts-zustand versetzt. Bei gegebenem Druck und gegebener Temperatur ist dieserZustand dadurch charakterisiert, daß die Konzentrationen der reagierenden Spe-zies andere Werte besitzen, als sie im Gleichgewicht annehmen.1 Da der erzielteNichtgleichgewichtszustand im allgemeinen nicht stabil [71] ist, geht das Systemvon diesem Anfangszustand auf einem irreversiblen Weg in seinen Gleichgewichts-zustand uber. Dieser Prozeß wird als chemische Relaxation bezeichnet. Die sichdabei andernden Systemeigenschaften (insbesondere Konzentrationen von reagie-renden Spezies) konnen dabei zeitaufgelost verfolgt werden und enthalten Infor-mationen uber die chemische Kinetik des untersuchten Reaktionssystems.In Temperatursprung-Experimenten wird zur Erzeugung des Nichtgleichgewichts-zustands die Temperaturabhangigkeit der Gleichgewichtskonzentrationen ausge-nutzt. Da sich die Werte aller Systemgroßen (insbesondere die Konzentrationen)im Endzustand (Gleichgewichtszustand bei erhohter Temperatur T = T∞) undim Ausgangszustand (Nichtgleichgewichtszustand, Starttemperatur T = T0) nursehr wenig voneinander unterscheiden, kann der Prozeß im Rahmen der linearenirreversiblen Thermodynamik beschrieben werden.

6.3.2 Aussagen der linearen irreversiblen Thermodynamik

Die irreversible Thermodynamik [40] postuliert, daß die thermodynamischen Va-riablen auch im Nichtgleichgewicht ihre Gultigkeit behalten und Beziehungenzwischen ihnen, die aus der Thermodynamik des Gleichgewichtes bekannt sind,auch bei irreversiblen Prozessen erhalten bleiben (mikroskopische Reversibilitat).

Ablauf von chemischen Reaktionen

Es wird ein geschlossenes System bei konstanter Temperatur T und konstantemDruck p betrachtet, in dem Nr unabhangige Reaktionen ablaufen. Zur Charakte-

1In stopped flow -Experimenten wird durch schnelles Zusammenspritzen zweier Losungen inder Mischung eine Zusammensetzung erzielt, die sich von der Zusammensetzung im Gleich-gewicht unterscheidet. Ebenso wird bei Messungen mit Blitzlicht- oder Laserlicht-Photolyseder Nichtgleichgewichtszustand realisiert, indem photochemisch Spezies (in Konzentratio-nen) erzeugt werden, die im Gleichgewicht nicht bestehen bleiben. Relaxationsverfahren wiedie Temperatursprung- und Drucksprung-Methode [47] sowie die Ultraschallabsorptions- undUltraschallgeschwindigkeits-Messungen [27], [28] realisieren (im Falle der Sprungmethoden aus-gehend von einem Gleichgewichtszustand) einen Nichtgleichgewichtszustand durch schnelleAnderung der Temperatur oder des Druckes. Bezuglich der aktuellen Werte T oder p habendie Konzentrationen der reaktiven Spezies im allgemeinen ihre Gleichgewichtswerte noch nichtangenommen.

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KAPITEL 6. TEMPERATURSPRUNG-EXPERIMENTE 168

risierung des Systems im Nichtgleichgewichtszustand sind mehr Variable notwen-dig als zu seiner Beschreibung im Gleichgewicht [12]. Als zusatzliche Variablenkonnen die Reaktionslaufzahlen ξi (i = 1, 2, . . . , Nr) gewahlt werden. Die freieEnthalpie des Systems wird als Funktion des Druckes, der Temperatur und derReaktionslaufzahlen ausgedruckt und (bei konstanter Temperatur T und kon-stantem Druck p) um den Gleichgewichtszustand

(p, T, ξeq

)entwickelt.

G(p, T, ξ) = G(p, T, ξeq

)+

Nr∑

i=1

Gi

(p, T, ξeq

)(ξi − ξeq,i)

+1

2

Nr∑

i,j

Gij

(p, T, ξeq

)(ξi − ξeq,i) (ξj − ξeq,j) + . . . (6.19)

In Gleichung 6.19 steht ξ fur die zu einem Spaltenvektor zusammengefaßten Re-aktionslaufzahlen, und ξeq enthalt als Vektor die Werte der Reaktionslaufzahlenim Gleichgewicht.

ξ = (ξ1, ξ2, . . . , ξNr)T

ξeq = (ξeq,1, ξeq,2, . . . , ξeq,Nr)T (6.20)

Die Großen Gi(p, T, ξ) und Gij(p, T, ξ) sind die folgenden partiellen Ableitungen.

Gi(p, T, ξ) =

(∂G

∂ξi

)

p,T,ξj ,j 6=i

Gij(p, T, ξ) =

(∂Gi

∂ξj

)

p,T,ξk,k 6=j

(6.21)

Die negativen Werte −Gi werden als Affinitat bezeichnet. Im Gleichgewicht hatdie freie Energie ein globales Minimum, somit sind die freien Reaktionsenthalpiengleich null,

Gi

(p, T, ξeq

)= ∆r

(i)G(p, T, ξeq

)= 0 (6.22)

und die Ableitungen Gij

(p, T, ξeq

)bilden die Elemente einer positiv definiten

Matrix G(p, T, ξeq

).

Die totale Zeitableitung der freien Enthalpie G(p, T, ξ) des Systems enthalt dieZeitableitungen der Druckes und der Temperatur und aller Reaktionslaufzahlen.

dG

dt=

(∂G

∂p

)

T,ξ

dp

dt+

(∂G

∂T

)

p,ξ

dT

dt+

Nr∑

i=1

(∂G

∂ξi

)

p,T,ξj ,j 6=i

dξi

dt(6.23)

Bei konstantem Druck und konstanter Temperatur laßt sich mit Gleichung 6.23die Entropieproduktion σ [70] berechnen, die mit den im System ablaufendenchemischen Reaktionen verbunden ist.2

σ = − 1

T

Nr∑

i=1

Gi(p, T, ξ)dξi

dt= X

d

dtξ = XJ (6.26)

2Nach dem zweiten Hauptsatz der Thermodynamik [61] kann die Entropie S eines isoliertenSystems niemals abnehmen. Wenn im System irreversible Prozesse ablaufen, nimmt sie zu und

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KAPITEL 6. TEMPERATURSPRUNG-EXPERIMENTE 169

In Gleichung 6.26 bedeuten J = (J1, J2, . . . , JNr)T und X = (X1, X2, . . . , XNr)

T

die zu Spaltenvektoren zusammengefaßten verallgemeinerten Flusse Xi und ver-allgemeinerten Krafte Ji.

Ji =dξi

dtXi = −Gi

T(6.27)

Die Flusse sind Funktionen der Krafte, die im Rahmen der linearen irreversiblenThermodynamik linear genahert werden.

J = LX (6.28)

In Gleichung 6.28 ist L(p, T, ξ) die Matrix der phenomenologischen Koeffizienten.Sie ist symmetrisch (Onsager-Relation). Die phenomenologischen KoeffizientenLij = Lji sind extensive Großen und hangen von den Reaktionslaufzahlen ab.Im Gleichgewicht ist die freie Enthalpie G minimal, und somit verschwinden dieverallgemeinerten Krafte Xi im Gleichgewicht. Die verallgemeinerten Flusse Ji

sind ebenfalls gleich null. Die lineare Entwicklung der Krafte nach den Reak-tionslaufzahlen fuhrt uber die Matrix G der zweiten Ableitungen Gij der freienEnthalpie auf die folgende Beziehung.

X(p, T, ξ) = − 1

TG

(p, T, ξeq

) (ξ − ξeq

)(6.29)

Eingesetzt in 6.28 ergibt sich das folgende System von Nr gekoppelten Differen-tialgleichungen erster Ordnung.

d

dtξ = − 1

TLG

(ξ − ξeq

)(6.30)

bleibt konstant, wenn alle Vorgange reversibel sind. Laufen die betrachteten Prozesse nicht ineinem isolierten System ab, so bilden das geschlossene System und seine Umgebung ein isoliertesSystem. Die Entropie SU der Umgebung wird durch irreversible Prozesse in einem isoliertenSystem nicht verandert. Daher gilt in jedem Fall die folgende Ungleichung.

0 ≤ dS + dSU = dσ (6.24)

Die Große σ kann nach ihrer Definition in Gleichung 6.24 nur zunehmen und andert sich nicht,wenn nur reversible Prozesse ablaufen. Ihre Zeitableitung σ ist die Entropieproduktion.

σ =dS

dt+

dSU

dt=

dSdt isoliertes Systemddt

(S − H

T

)= − 1

TdGdt geschlossenes System; p, T = const .

(6.25)

Im Falle des isolierten Systems bewirken irreversible Prozesse im System keine Entropieande-rung der Umgebung. Laufen irreversible Prozesse in einem geschlossenen System ab, so ist derAustausch von Arbeit und Warme mit der Umgebung moglich. Bei konstantem Druck wird dieEnthalpieanderung −dH des Systems von der Umgebung bei der Temperatur T (von Systemund Umgebung) reversibel aufgenommen. Unter anderen Bedingungen gehen statt dG

dt Zeitab-leitungen der anderen thermodynamischen Potentiale ein. Die Entropieproduktion kann auchganz allgemein ausgedruckt werden [40].

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KAPITEL 6. TEMPERATURSPRUNG-EXPERIMENTE 170

Die Reaktionsgeschwindigkeit vi jeder einzelnen, durch ξi charakerisierten Reak-tion wird durch die auf das Volumen V der Probe bezogene zeitliche Anderungder Reaktionslaufzahl durch Gleichung 6.31 definiert.

vi =1

V

dξi

dt(6.31)

Der Vektor v = (v1, v2, . . . , vNr)T der Reaktionsgeschwindigkeiten

v = − 1

TLGx (6.32)

hangt nach Gleichung 6.30 mit dem Vektor x = (x1, x2, . . . , xNr)T der Differenzen

von Nr Konzentrationen zu ihren Gleichgewichtswerten zusammen.

xi =ξi − ξeq,i

V(6.33)

Die Reaktionsgeschwindigkeiten sind also durch die Koeffizientenmatrix L undden Abstand vom Gleichgewicht bestimmt.Durch eine geeignete lineare Transformation (vermittelt durch die Matrix A−1)kann ein neuer Satz von Reaktionslaufzahlen ξ′ = A−1ξ oder Konzentrations-großen x′ = A−1x konstruiert werden, der die Differentialgleichung 6.34 erfullt.

d

dtξ′ = −

τ−11 0 . . . 00 τ−1

2 . . . 0...

. . ....

0 . . . 0 τ−1Nr

(ξ′ − ξ′

eq

)(6.34)

In der linearen Naherung ist die zeitliche Anderung jeder Reaktionslaufzahl pro-portional zur Differenz von ihrem jeweiligen Gleichgewichtswert.3 Durch die Glei-chung 6.34 werden die Relaxationszeiten τi definiert [7], [14], deren Kehrwerte dieDiagonalmatrix A−1LGA/T bilden.

Phenomenologische Geschwindigkeitsgesetze

Im folgenden wird der Spezialfall diskutiert, daß alle Reaktionspartner Yi ubernur eine einzige chemische Reaktion (Nr = 1) auf einen Gleichgewichtszustandhin reagieren. Diese Reaktion kann als Summe

i

νiYi = 0 (6.36)

3Die Losungen der Differentialgleichungen 6.34 sind im einfachsten Fall abklingende Ex-ponentialfunktionen. Die Integrationskonstanten Ci hangen von der anfanglichen Abweichungvom Gleichgewicht ab.

ξ′i(t) = ξ′eq,i − Ci exp

(

− t

τi

)

(6.35)

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KAPITEL 6. TEMPERATURSPRUNG-EXPERIMENTE 171

formuliert werden, in die die stochiometrischen Koeffizienten νi der Reaktions-partner Yi eingehen. Da nur eine einzige Reaktion betrachtet wird, hat der Vek-tor der Reaktionslaufzahlen (Gleichung 6.20) nur einen Eintrag ξ(= ξ1), und seinWert betragt ξeq(= ξeq,1) im Gleichgewicht. Die aktuellen Stoffmengen ni allerSubstanzen Yi sind durch die Reaktionslaufzahl ξ und die Stoffmengen neq,i imGleichgewicht bestimmt.

dni = νidξ ni − neq,i = νi(ξ − ξeq) (6.37)

Fur die freie Enthalpie des Systems gilt die Fundamentalgleichung,

dG = −S dT + V dp + ∆rG dξ (6.38)

und die freie Reaktionsenthalpie ist die folgende Ableitung.

G1(p, T, ξ) =

(∂G(p, T, ξ)

∂ξ

)

p,T

= ∆rG(p, T, ξ)

=∑

i

νiµ∗i + RT

i

νi ln (ci/M) (6.39)

Die zweite Ableitung der freien Enthalpie nach der Reaktionslaufzahl liefert mitGleichung 6.37 die folgende Beziehung.

G11(p, T, ξeq) =

(∂2G(p, T, ξ)

∂ξ2

)

p,T,ξ=ξeq

= RT∑

i

ν2i

neq,i

=RT

V

i

ν2i

[Yi](6.40)

Diese zweite Ableitung geht auch in die lineare Entwicklung der freien Reakti-onsenthalpie um den Gleichgewichtszustand (p, T, ξeq) ein.

∆rG(p, T, ξ) = ∆rG(p, T, ξeq) + G11(p, T, ξeq)(ξ − ξeq) + . . . (6.41)

= RT∑

i

ν2i

neq,i

(ξ − ξeq) + . . . (6.42)

Zur Ableitung wurde angenommen, daß die chemischen Potentiale mit geeignetenStandardwerten µ∗

i die Konzentrationen ci der Stoffe Yi anstelle von Aktivitateneingehen. Dies ist moglich, wenn die Aktivitatskoeffizienten fur alle reagierendenSubstanzen konstant gehalten werden. Entsprechend ist

K∗ =∏

i

[Yi]νi (6.43)

die konditionale Gleichgewichtskonstante fur das Reaktionssystem.Die zweite Ableitung G11(p, T, ξeq) bestimmt nach Gleichung 6.29 die verallgemei-nerte Kraft X(= X1), die das Reaktionssystem auf den Gleichgewichtszustandhin zutreibt. Die Reaktionsgeschwindigkeit v(= v1) ist nach Gleichung 6.31 uber

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KAPITEL 6. TEMPERATURSPRUNG-EXPERIMENTE 172

die zeitliche Anderung der Reaktionslaufzahl ξ bestimmt. Ihre Große hangt nachGleichung 6.32 auch von dem phenomenologischen Koeffizienten L(= L11) undder Auslenkung x der Konzentrationen (Gleichung 6.33) ab.

v = −LR

V

i

νixi

[Yi](6.44)

Die Summe uber alle in der Reaktion auftretenden Substanzen kann in eine Sum-me uber die Edukte (νi < 0) und eine weitere uber die Produkte (νi > 0) aufgeteiltwerden. Desweiteren wird das Konzentrationenprodukt der Edukte ausgeklam-mert.

v =

(

LR

V

i,νi<0

[Yi]νi

)

i,νi<0

(−νi)xi [Yi]−νi−1

j 6=i,νj<0

[Yj]−νj

− 1

K∗

i,νi>0

νixi [Yi]νi−1

j 6=i,νj>0

[Yj]νj

(6.45)

Das phenomenologische Geschwindigkeitsgesetz lautet

v = k∑

i,νi<0

(ci)−νi − k′

i,νi>0

(ci)νi (6.46)

mit den Geschwindigkeitskonstanten k und k′ fur die Hin- und Ruckreaktion. ImGleichgewicht ist die Reaktionsgeschwindigkeit gleich null, und mit

k

k′= K∗ (6.47)

ergibt sich das folgende Geschwindigkeitsgesetz durch Entwicklung aller aktuellenKonzentrationen ci = [Yi] + xi um die Gleichgewichtskonzentrationen [Yi].

v = k

i,νi<0

(−νi)xi [Yi]−νi−1

j 6=i,νj<0

[Yj]−νj

− 1

K∗

i,νi>0

νixi [Yi]νi−1

j 6=i,νj>0

[Yj]νj

(6.48)

Durch Vergleich mit Gleichung 6.45 ist zu erkennen, wie die phenomenologischeGeschwindigkeitskonstante k mit dem phenomenologischen Koeffizienten L zu-sammenhangt.

k =LR

V

i,νi<0

[Yi]νi (6.49)

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KAPITEL 6. TEMPERATURSPRUNG-EXPERIMENTE 173

Nach Gleichung 6.49 ist die Geschwindigkeitskonstante in der Nahe des Gleichge-wichtes unabhangig von der Große des Systems (L und V sind extensive Großen)und zu jedem Zeitpunkt unabhangig von der Zusammensetzung. Die Erweiterungvon einer einzelnen Reaktion auf ein Schema von Reaktionen ist innerhalb derirreversiblen Thermodynamik problemlos moglich [73].In der Nahe des Gleichgewichtszustandes konnen somit auch fur Reaktionssyste-me in Losung (fur Gasreaktionen ist die kinetische Basis auch durch Stoßtheoriegegeben) fur jede Reaktion Geschwindigkeitsgesetze nach Gleichung 6.46 aufge-stellt werden (Kapitel 7).

Relaxationseffekte

Da sich die Relaxationszeiten nach Gleichung 6.34 auf die lineare Kombination derursprunglichen Reaktionslaufzahlen beziehen, kann man sie im allgemeinen nichteiner einzelnen Reaktion zuordnen, sondern nur dem gesamten Reaktionssystem.Sind also Nr unabhangige Reaktionen im System moglich, so sind ebensovieleRelaxationseffekte moglich. Bei den in dieser Arbeit vorgestellten Experimentenmit Polyelektrolytproben wird jedoch genau ein chemischer Relaxationseffekt mitder Relaxationszeit τ beobachtet. Die Tatsache, daß genau ein chemischer Rela-xationseffekt beobachtet wird, muß in spateren Abschnitten diskutiert werden.Fur den Moment wird die zugehorige chemische Relaxationszeit τ als gegebenangenommen.

6.3.3 Zeitabhangigkeit der Indikatorkonzentration

Bei den Temperatursprung-Experimenten weicht die aktuelle Konzentration cIn

an Indikatordianionen nur wenig von ihrer Gleichgewichtskonzentration [In] ab.Da in allen Experimenten nur ein chemischer Relaxationseffekt beobabachtetwird, folgt mit Gleichung 6.34 die zeitliche Entwicklung der Stoffmenge nIn derDifferentialgleichung 6.50.

1

V (t)

dnIn(t)

dt= −1

τcIn(t) − [In](t) (6.50)

Die Gleichgewichtskonzentration [In](t) ist hier als zeitabhangig notiert, da sievon der aktuellen Temperatur T (t), dem Druck p(t) und dem Betrag der elek-trischen Feldstarke E(t) abhangt und sich diese Großen wahrend des Experi-mentes zeitlich andern. Kurz nach Beginn der Kondensatorentladung (t = 0) istdas Temperatursprung-Experiment mit den Effekten der Druckanderung und destransienten elektrischen Feldes uberlagert. Bei Zeiten t, die groß sind gegen diecharakteristischen Zeiten τp und τE, haben der Druck und die Feldstarke wie-der ihre Startwerte p(t < 0) = 1 bar und E(t < 0) = 0 erreicht, wahrend dieTemperatur im wesentlichen ihren Endwert T∞ beibehalt.

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KAPITEL 6. TEMPERATURSPRUNG-EXPERIMENTE 174

Durch lineare Entwicklung der Gleichgewichtskonzentration [In](T, p, E) um dieEndwerte der Parameter T = T∞, p = 1 bar und E = 0 folgt die zu Gleichung6.15 analoge Beziehung 6.51.

[In](T, p, E) = [In](T = T∞, p = 1 bar, E = 0)

+ (T − T∞)

(∂[In]

∂T

)

p=1bar,E=0

+ (p − 1 bar)

(∂[In]

∂p

)

T=T∞,E=0

+E

(∂[In]

∂E

)

T=T∞,p=1bar

(6.51)

Die Druckabhangigkeit der Gleichgewichtskonzentration kann in zum Kapitel 5analogem Formalismus auf die Druckabhangigkeit von Gleichgewichtskonstan-ten zuruckgefuhrt werden. Als zum Druck konjugierte Reaktionsgroße geht das(Standard-)Reaktionsvolumen der einzelnen Reaktionen ein. Aus Drucksprung-Experimenten ist bekannt, daß meßbare Effekte Druckanderungen von 100 barund daruber erfordern.Die Gleichgewichtskonzentrationen konnen auch durch ein elektrisches Feld beein-flußt werden. Bei Dissoziationsreaktionen geht das elektrische Standardreaktions-moment als zur Feldstarke konjugierte Große ein. Bei anderen Ionenreaktionenkann der Feldeffekt mit der Onsager-Gleichung [5] beschrieben werden.Im folgenden wird versucht, die experimentellen Daten unter Vernachlassigungder Druck- und Feldabhangigkeit der Gleichgewichtskonzentrationen uber den ge-samten Zeitbereich des Temperatursprung-Experiments zu beschreiben. Dann istdie Zeitabhangigkeit der Gleichgewichtskonzentration durch den zeitlichen Ver-lauf der Temperatur bestimmt, und in linearer Naherung (die partielle Tempera-turableitung wird bei p = 1 bar und E = 0 gebildet)

(∂[In]

∂T

)

p

≈ [In](t) − [In](T∞)

T (t) − T∞

(6.52)

folgt mit Gleichung 6.8 die Gleichgewichtskonzentration als Funktion der Zeit.

[In](t) = [In](T∞) − ∆[In] exp

(

− t

τT

)

(6.53)

In Gleichung 6.53 bedeutet ∆[In] die Gesamtanderung der Konzentration an In-dikator bei Erhohung der Temperatur von T0 auf T∞.

∆[In] = [In](T∞) − [In](T0) = ∆T

(∂[In]

∂T

)

p

(6.54)

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KAPITEL 6. TEMPERATURSPRUNG-EXPERIMENTE 175

Nimmt man weiterhin vereinfachend an, daß das Volumen V (t) bereits seinenEndwert V∞ erreicht hat, so folgt mit dem dynamischen Gesetz 6.50 die Differen-tialgleichung 6.55.

dcIn(t)

dt= −1

τ

cIn(t) − [In](T∞) + ∆[In] exp

(

− t

τT

)

(6.55)

Fur die Anfangsbedingung

cIn(t = 0) = [In](T0) = [In](T∞) − ∆[In] (6.56)

ergibt die Losung der Differentialgleichung 6.55 die Indikatorkonzentration cIn alsFunktion der Zeit.

cIn(t) = [In](T∞) − ∆[In]

τ − τT

[

τ exp

(

− t

τ

)

− τT exp

(

− t

τT

)]

(6.57)

Wahrend Gleichung 6.57 fur den Zeitbereich kurz nach Beginn der Kondensator-entladung nur eine Naherungslosung ist, beschreibt sie den Konzentrationsverlaufsehr genau zu Zeiten, die groß sind gegen die charakteristischen Zeiten fur denAbbau des Druckes und des elektrischen Feldes.

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KAPITEL 6. TEMPERATURSPRUNG-EXPERIMENTE 176

6.4 Die Form der Signale

Nach der Diskussion der wichtigsten Prozesse, die bei den Temperatursprung-Ex-perimenten eine Rolle spielen, kann die Form der experimentell erhaltenen Signaleerklart werden.Die Absorption A(t) der Probe mit Schichtdicke d kann nach dem Lambert-

Beerschen Gesetz [45] aus den Gleichungen 6.17 und 6.57 berechnet werden.

A(t) = εIn(t) cIn(t) d

= εIn(T∞) [In](T∞) d

[In](T∞)∆εIn − εIn(T∞)∆[In]τT

τ − τT

exp

(

− t

τT

)

d

−εIn(T∞)∆[In](T∞)τ

τ − τT

exp

(

− t

τ

)

d + O(∆2T

)(6.58)

Terme der Ordnung O(∆2T ) werden im folgenden vernachlassigt. Fur den Zeit-punkt t = 0 liefert Gleichung 6.58 den Wert A0,

A0 = εIn(T∞)[In](T∞) d − εIn∆[In] + [In](T∞)∆εIn d (6.59)

und aus der Grenzwertbetrachtung t → ∞ kann die gesamte Absorptionsande-rung berechnet werden.

∆A = A∞ − A0 = εIn(T∞)∆[In] + [In](T∞)∆εIn d (6.60)

Sie steht in Ubereinstimmung mit den aus Gleichung 5.4 resultierenden Uber-legungen, da in jedem Fall zu ∆2T proportionale Terme vernachlassigt wurden.Aus den Gleichungen 6.2, 6.58, 6.59 und 6.60 folgt die zeitabhangige Absorpti-onsanderung δA(t) = A(t) − A0

δA(t) = ∆A − A1 exp

(

− t

τT

)

− A2 exp

(

− t

τ

)

(6.61)

mit den Amplituden

A1 = [In](T∞)∆εIn d − τT

τ − τT

(∆A − [In](T∞)∆εIn d) (6.62)

A2 =τ

τ − τT

(∆A − [In](T∞)∆εIn d) (6.63)

ausgedruckt in den Meßgroßen ∆A und ∆εIn. Die Amplituden A1 und A2 addierensich zur Absorptionsanderung ∆A. Fur den Fall τT ≪ τ folgen die Amplituden

A1 = [In](T∞)∆εIn d (6.64)

A2 = ∆A − [In](T∞)∆εIn d (6.65)

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KAPITEL 6. TEMPERATURSPRUNG-EXPERIMENTE 177

und die Relaxationsamplitude A1 kann der Abnahme des ExtinktionskoeffizientenεIn mit der Temperatur zugeordnet werden, wahrend die Amplitude A2 durch diechemische Relaxation verursacht wird.Durch Anpassen von zwei Exponentialfunktionen an die Meßdaten laßt sich dieAmplitude A2 gut bestimmen. Aus dem Anfangs- und Endwert der Absorptionist außerdem ∆A zu erhalten. In Abbildung 6.3 ist die Differenz (∆A − A2) gegendie Konzentration Ltot an titrierbaren Gruppen in der Losung aufgetragen. AlleMeßpunkte schwanken um Mittelwerte, die mit der in Abschnitt 5.3 bestimmtenTemperaturabhangigkeit des Extinktionskoeffizienten und der Ausdehnung derLosung durch Temperaturerhohung erklart werden konnen.Die durchgezogene Kurve in Bild 6.2 ist mit den angegebenen Parametern nachGleichung 6.61 berechnet und beschreibt die experimentell bestimmte Absorpti-onsanderung auch im sehr kurzen Zeitbereich in guter Naherung. Somit zeigendie experimentell erhaltenen Absorptions-Zeit-Kurven eine Uberlagerung zweierEffekte. Der schnelle Effekt wird zum großten Teil durch die Temperaturabhan-gigkeit des Absorptionskoeffizienten verursacht, wahrend der langsamere Effektim wesentlichen durch die chemischen Reaktionen in der Probelosung verursachtwird. Dieser chemische Relaxationseffekt wird im folgenden Kapitel weiter unter-sucht.

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KAPITEL 6. TEMPERATURSPRUNG-EXPERIMENTE 178

Abbildung 6.3: Amplitude A1

Fur verschiedene Polymerlosungen (H-PMA-2150 – Quadrate, H-PMA-11300 – Kreise,H-PMA-58900 – Dreiecke) wird die Amplitude A1 des schnellen Effektes aus der Ab-sorptionsanderung ∆A und der Amplitude A2 des langsamen Effektes nach Gleichung6.61 berechnet. Unabhangig von der Polymerkonzentration werden innerhalb der Meß-genauigkeit die gleichen Werte A1/d berechnet. Fur Polymerlosungen mit einem pcH-Wert von 7, 00 und einer Indikatoreinwaage an Bromthymolblau von 2, 00 × 10−5 Mbetragt A1/d = − (1, 6 ± 0, 4) × 10−3 cm−1 in Anwesenheit von 0, 100 M Natriumchlo-rid (Bild oben), und A1/d betragt − (1, 9 ± 0, 7) × 10−3 cm−1 in Losungen mit 1, 00 MNatriumchlorid als Inertsalz (Bild unten).

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Kapitel 7

Kinetik der Protonierung

Protonierungsreaktionen gehoren zu den schnellsten bimolekularen Reaktionen,die in waßriger Losung ablaufen konnen. Nach Entwicklung der Relaxationsme-thoden [19], [23], [107] sind Daten uber die chemische Kinetik dieser Reaktionenexperimentell zuganglich geworden, und die Dynamik von Protonierungsreaktio-nen ist am Beispiel verschiedener schwacher Sauren und Basen studiert worden[30]. Auch die Protonierungsreaktionen in einigen Polyelektrolytsystemen sindbereits mit der Temperatursprung-Methode untersucht worden [42], [121], [123],ohne in der Auswertung den prinzipiellen Unterschied zwischen Systemen mit nurzwei Protonierungsformen im Gleichgewicht und mit Polyelektrolyten herauszu-arbeiten.Nach Kapitel 6 wird bei allen Messungen dieser Arbeit nur ein einziger chemischerRelaxationseffekt beobachtet. Die Differenz xY der aktuellen Konzentration cY

einer Spezies Y aus dem Reaktionssystem von ihrem Wert [Y] im Gleichgewicht

xY = cY − [Y] (7.1)

ist in linearer Naherung durch die folgenden Gleichungen gegeben [55], [56].

dxY

dt= −1

τxY xY = xY

0 exp

(

− t

τ

)

(7.2)

Auch die Auslenkung xIn der Konzentration des Indikatordianions, die durchoptische Detektion zeitaufgelost beobachtet werden kann, nimmt ausgehend voneinem Startwert xIn

0 nach einer einfachen exponentiellen Funktion der Zeit ab.Die dynamischen Parameter der Protonierungsreaktionen gehen in die Relaxa-tionszeit τ ein.In einem waßrigen System, das Polyionen, Indikatorionen und Inertsalz enthalt,sind vielfaltige Reaktionswege und viele unterschiedliche Spezies zu berucksich-tigen. Protonierungen, Protonenubertragungen und Hydrolysereaktionen mussendiskutiert sowie Makrospezies und Mikrospezies unterschieden werden. Es ist diegroße Anzahl unterschiedlicher Spezies, die im Gleichgewicht zu berucksichtigenist, die die Dynamik der Protonierung von Polyelektrolyten von der einfachererSauren und Basen unterscheidet.Wegen der Komplexitat des Problems wird die Berechnung der chemischen Re-laxationszeit fur das Polyelektrolytsystem schrittweise durchgefuhrt.

1. Alle Elementarreaktionen werden vorgestellt, die in dem untersuchten Sy-stem moglich sind. (Abschnitt 7.1)

179

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KAPITEL 7. KINETIK DER PROTONIERUNG 180

2. Das Reaktionsschema wird fur den Spezialfall gelost, daß nur zwei Makro-spezies BHn−1 und BHn im Gleichgewicht vorliegen (Abschnitt 7.2). (Damitkann die Protonierungskinetik

”kleiner“ Ionen gut erklart werden.)

3. Ein Reaktionsmechanismus, der nicht die tatsachlich vorliegenden Speziesberucksichtigt, sondern auf protonierten und deprotonierten Gruppen L undLH beruht, wird als die einfachste der moglichen Verallgemeinerungen von

”kleinen“ Ionen auf Polyelektrolyte diskutiert (Abschnitt 7.3).

4. Fur die Analyse der Protonierungskinetik von Polyelektrolyten werden mi-kroskopische Geschwindigkeitskonstanten als wohldefinierte Parameter ein-gefuhrt. Es wird gezeigt, wie sich die ublicherweise benutzten makroskopi-schen Geschwindigkeitskonstanten unter gewissen Bedingungen als Mittel-werte aus den Mikrokonstanten ergeben (Abschnitt 7.4).

5. Unter Verwendung mikroskopischer Geschwindigkeitskonstanten wird ge-zeigt, warum nur ein Relaxationseffekt beobachtet wird, wenn lediglich Pro-tonenubertragungsreaktionen zwischen Polyionen und Indikatorionen eineRolle spielen. Ferner wird dargestellt, wie die aus Messungen zugangliche,pcH-abhangige Geschwindigkeitsgroße, die den Protonenaustausch charak-terisiert, ein Mittelwert von makroskopischen oder mikroskopischen Ge-schwindigkeitskonstanten ist (Abschnitt 7.5).

6. Schließlich wird der komplette Reaktionsmechanismus diskutiert und furdie reziproke Relaxationszeit der folgende Ausdruck abgeleitet (Abschnitt7.6).

− 1

xInH

dxInH

dt= [H]

kInkL[L]

kIn[In] + kL[L]

(

1 +[In]

[InH]

)

+[OH]k′

InWk′LW[LH]

k′InW[InH] + k′

LW[LH]

(

1 +[InH]

[In]

)

+kLIn[L]

(

1 +[InH]

[In]

)

+X

=1

τfur X 6= X(t)

Hierbei bedeuten die Geschwindigkeitsgroßen kL, k′LW und kLIn Mittelwer-

te uber Makrogeschwindigkeitskonstanten, die sich zwar als pcH-abhangig,aber bei festem pcH-Wert als unabhangig von der Gesamtkonzentration anPolyelektrolyt erweisen. Zum Beispiel ist der Geschwindigkeitsparameter

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KAPITEL 7. KINETIK DER PROTONIERUNG 181

kLIn fur die Protonenubertragung zwischen Indikatorionen und Polyionender folgende Mittelwert.

kLIn =

∑Nn=1 [BHn−1] kBIn,n

∑Nj=1 (N − j + 1) [BHj−1]

Geschwindigkeitskonstanten wie kBIn,n, die sich auf Reaktionen zwischenMakrospezies beziehen, sind Mittelwerte uber mikroskopische Geschwin-

digkeitskonstanten(

ks′1,s′2,...,s′

Ns1,s2,...,sN

)

BIn.

kBIn,n =∑

s1,s2,...,sN

π(s1, s2, . . . , sN, n − 1) ·

·

s′1,s′2,...,s′N

(

ks′1,s′2,...,s′

Ns1,s2,...,sN

)

BInδ∑N

i=1 si,n−1 δ∑Ni=1 s′i,n

Alle Symbole und Ableitungen werden in den folgenden Abschnitten aus-fuhrlich dargestellt.

Die Diskussion des Reaktionsmechanismus, der reziproken Relaxationszeit undder gemittelten Geschwindigkeitsgroßen erlaubt, Parameter fur die Kinetik derProtonierung von Polyelektrolyten aus experimentellen Daten zu bestimmen (Ab-schnitt 7.7).

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KAPITEL 7. KINETIK DER PROTONIERUNG 182

7.1 Elementarreaktionen

Im Reaktionssystem liegen bei pcH = 7, 00 als reaktive Spezies unterschiedlichprotonierte Polyionen BHn, zwei Indikatorspezies InH und In, Protonen H undHydroxidionen OH vor. Mit der in Kapitel 3 eingefuhrten Notation stehen B undBH0 fur vollstandig deprotonierte Polyionen, BHn (n = 1, 2, . . . , N−1) fur partiellprotonierte Makrospezies und BHN fur vollstandig protonierte Polyelektrolyte.Ladungszahlen werden nirgends aufgefuhrt.Die reaktiven Spezies konnen die Konzentrationen, die im Gleichgewicht bei derTemperatur T∞ vorliegen, auf unterschiedlichen Reaktionswegen erreichen. DieseReaktionswege sind eine Abfolge von Elementarreaktionen, von denen die folgen-den zur Erstellung eines Reaktionsmechanismus fur das betrachtete System alsentscheidend angenommen werden.

1. Direkte Protonierungen

(a) der Polyionen BHn−1

BHn−1 + HkB,n

k′B,n

BHn fur n = 1, 2, . . . , N (7.3)

(b) der Indikatorspezies In

In + HkIn

k′In

InH (7.4)

(c) des Hydroxidions OH

OH + HkO

k′O

H2O (7.5)

2. Protonenubertragungen

(a) von der protonierten Indikatorspezies InH auf Polyionen BHn−1

BHn−1 + InHkBIn,n

k′BIn,n

BHn + In fur n = 1, 2, . . . , N (7.6)

(b) von Wasser auf Polyionen BHn−1

BHn−1 + H2OkBW,n

k′BW,n

BHn + OH fur n = 1, 2, . . . , N (7.7)

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KAPITEL 7. KINETIK DER PROTONIERUNG 183

(c) von Wasser auf die Indikatorspezies In

In + H2OkInW

k′InW

InH + OH (7.8)

(d) zwischen Polyionen BHn−1 und BHm+1 (Disproportionierungen)

BHn−1 + BHm+1

kBB,n,m

k′BB,n,m

BHn + BHm

fur n = 1, 2, . . . , N

und m = 0, 1, . . . , N − 1 (7.9)

Ungestrichene Symbole fur Geschwindigkeitskonstanten beziehen sich auf Reak-tionsschritte, durch die die Anzahl Protonen an den Polyionen (oder Hydroxid-ionen oder Indikatorspezies) erhoht wird. Der Index der Geschwindigkeitskon-stanten verweist auf die Art der Reaktion und gibt bei Beteiligung von Polyionendie erhohte Anzahl n von gebundenen Protonen an. Gestrichene Symbole fur Ge-schwindigkeitskonstanten beziehen sich auf die jeweilige Ruckreaktion. Die furReaktionen unter Beteiligung von Polyionen aufgefuhrten Geschwindigkeitskon-stanten beziehen sich auf Reaktionen von Makrospezies BHn.In Abbildung 7.1 ist der Reaktionsmechanismus (ohne Protonenubertragungsre-aktionen zwischen Polymerspezies, ohne die Dissoziation des Wassers) schema-tisch dargestellt.

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KAPITEL 7. KINETIK DER PROTONIERUNG 184

Abbildung 7.1: ReaktionsschemaIn Losung liegen bei pcH = 7, 00 verschiedene Protonierungsstufen BHn der Polyionenvor. Diese konnen durch direkte Protonierungsreaktionen (rot dargestellt) oder durchProtonenubertragungsreaktionen mit protonierten Indikatorspezies In (Reaktionsweggrun dargestellt) oder mit Wasser (Reaktionen blau dargestellt) die Anzahl der gebun-denen Protonen erhohen. Die Geschwindigkeitskonstanten sind a priori nicht gleich furunterschiedliche Polymerspezies. Protonenaustauschreaktionen zwischen Polymerspe-zies sind genauso wie die Dissoziationsreaktion des Wassers nicht dargestellt.

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KAPITEL 7. KINETIK DER PROTONIERUNG 185

7.2 Spezialfall: Zwei Makrospezies

Im einfachsten Fall liegen nur zwei Protonierungsformen BHn−1 und BHn vor.Dies ist beispielsweise der Fall, wenn Ionen mit nur einer protonierbaren Grup-pe untersucht werden oder in einem pcH-Bereich gearbeitet wird, in dem infolgegroßer Abstande benachbarter pK-Werte nicht mehr als zwei Makrospezies imGleichgewicht zu berucksichtigen sind. Dies ist insbesondere bei den Ionen vonschwachen Sauren und Basen der Fall, die nur wenige funktionelle Gruppen tragen(wie zum Beispiel Malonsaure, Tricarballylsaure oder Imidazol). Dann zeigt Ab-bildung 7.2 bereits alle moglichen Reaktionen der Ionen; Protonenubertragungenzwischen BHn−1 und BHn treten nicht in Erscheinung. Neben dem dargestell-ten Ausschnitt aus dem gesamten Reaktionsmechanismus ist noch die Reaktionvon hydratisierten Protonen und Hydroxidionen unter Bildung von Wasser zuberucksichtigen.

Abbildung 7.2: Ausschnitt aus dem ReaktionsschemaEine Protonierungsform BHn−1 kann durch hydratisierte Protonen H, protonierte In-dikatorspezies InH oder durch Wasser protoniert werden. Entsprechend kann das Indi-katordianion In direkt oder durch Protonenubertragung von BHn oder Wasser zu dereinfach protonierten Form InH reagieren.

7.2.1 Reaktionsgeschwindigkeit

Da nur zwei Protonierungsformen vorliegen, sei BHn−1 mit Y abgekurzt, dann istBHn = YH die protonierte Makrospezies. Zu jedem Zeitpunkt sind die folgendenMengenbilanzen erfullt (siehe auch Kapitel 5).

Ytot = cYH + cY (7.10)

Wtot = cInH + cYH + cH − cOH (7.11)

Intot = cInH + cIn (7.12)

Bei als konstant angenommenem Volumen der Probelosung ergeben sich aus die-sen Bilanzen die folgenden Beziehungen fur die Differenzen der aktuellen Kon-

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KAPITEL 7. KINETIK DER PROTONIERUNG 186

zentrationen und ihrer Werte im Gleichgewicht.

xYH + xY = 0 (7.13)

xYH + xInH + xH − xOH = 0 (7.14)

xInH + xIn = 0 (7.15)

Die Geschwindigkeitsgesetze fur die protonierten Spezies InH und YH sowie furhydratisierte Protonen H lauten in der Nahe des Gleichgewichtes folgendermaßen.

dcInH

dt= kIncIncH − k′

IncInH

+kInWcIn − k′InWcInHcOH

+k′YIncIncYH − kYIncInHcY (7.16)

dcYH

dt= kYcYcH − k′

YcYH

+kYWcY − k′YWcYHcOH

+kYIncYcInH − k′YIncYHcIn (7.17)

dcH

dt= −kYcYcH + k′

YcYH

−kIncIncH + k′IncInH

−kOcOHcH + k′OcH2O (7.18)

Dabei sind die Geschwindigkeitskonstanten kYIn(= kBIn,n) fur den Protonenaus-tausch, kY(= kB,n) fur die direkte Protonierung der Base Y sowie kYW(= kBW,n)fur die Protonierung von Y durch Wasser eingefuhrt. Die Konzentration des Was-sers, das als Losungsmittel im Uberschuß vorliegt, ist in die Geschwindigkeitskon-stanten kInW und kYW mit einbezogen.

7.2.2 Anzahl Relaxationseffekte

Es sind die zeitlichen Anderungen der sechs Großen xInH, xIn, xY, xYH, xH undxOH zu berucksichtigen, die uber drei Nebenbedingungen (Gleichung 7.13, 7.14und 7.15) gekoppelt sind. Die Große xH2O braucht nicht berucksichtigt zu wer-den, da Wasser in sehr großem Uberschuß vorliegt.1 Damit sind drei chemischeRelaxationseffekte zu erwarten.Die Protonierung von hydratisierten Hydroxidionen (Reaktion 7.5) ist zwar eineder schnellsten bimolekularen Reaktionen in Losung. Sie ist aber im Vergleich zu

1Wird die Konzentration von Wasser nicht in die Geschwindigkeitskonstanten mit einbezo-gen, so tritt zum Beispiel in dem Geschwindigkeitsgesetz 7.16 fur die Spezies InH der SummandkInWcIncH2O auf. Die Entwicklung um die Gleichgewichtskonzentrationen fuhrt auf die TermekInW[H2O]xIn und kInW[In]xH2O. Selbst wenn die Auslenkungen xH2O und xIn von etwa der glei-chen Großenordnung sind, ist bei Wasser als Losungsmittel der zweite Term gegen den ersten inhervorragender Naherung zu vernachlassigen, da in den ersten die Konzentration [H2O] ≫ [In]eingeht.

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KAPITEL 7. KINETIK DER PROTONIERUNG 187

den anderen Reaktionen in diesem Mechanismus nicht so schnell, daß die Annah-me eines immer eingestellten Gleichgewichtes gerechtfertigt ware. Die reziprokeRelaxationszeit, die nur die Reaktion 7.5 berucksichtigt, betragt τ−1

W .

1

τW

= kO ([H] + [OH]) + k′O (7.19)

Mit den bekannten Geschwindigkeitskonstanten kO = 1, 4×1011 M−1s−1 und k′O =

2, 5 × 10−5 s−1 [20] erhalt man τW = 35 µs fur pcH = 7. In Temperatursprung-Experimenten mit einfachen Sauren und Basen werden Relaxationszeiten vongleicher Großenordnung erhalten. Die Annahme eines schnellen Gleichgewichtesist also nicht erlaubt.Viele Systeme mit nur zwei Protonierungsformen schwacher Sauren oder Basenund Indikatorionen sind bereits kinetisch untersucht worden [30], [24], [140]. Da-bei konnte stets nur eine Relaxationszeit ausgewertet werden. Die Ursache ist inden Relaxationsamplituden zu suchen. Daher werden im folgenden die maximalenKonzentrationsanderungen xH

0 und xOH0 berechnet und mit xIn

0 verglichen.Aus den konditionalen Dissoziationskonstanten der Indikatorprotonierung, derProtonierung der Substanz Y und der konditionalen Dissoziationskonstanten desWassers

K∗In =

[H][In]

[InH](7.20)

K∗Y =

[H][Y]

[YH](7.21)

K∗W = [H][OH] (7.22)

ergeben sich die folgenden Amplitudengroßen.

aIn =

(∂ ln (K∗

In/M)

∂T

)

p

∆T

=

1

[H]

(∂[H]

∂T

)

p

+1

[In]

(∂[In]

∂T

)

p

− 1

[InH]

(∂[InH]

∂T

)

p

∆T

=xH

0

[H]+

xIn0

[In]− xInH

0

[InH]

=xH

0

[H]+

xIn0

Inmit In =

(1

[In]+

1

[InH]

)−1

(7.23)

aY =xH

0

[H]+

xY0

Ymit Y =

(1

[Y]+

1

[YH]

)−1

(7.24)

aW =xH

0

[H]+

xOH0

[OH](7.25)

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KAPITEL 7. KINETIK DER PROTONIERUNG 188

Dabei ist hier die Verdunnung der Probe durch Temperaturerhohung vernachlas-sigt (siehe auch Kapitel 5). Die Großen xY

0 und xIn0 sind die durch die Tempe-

raturanderung ∆T erzielten Anderungen in den Gleichgewichtskonzentrationen.Durch Subtraktion der Gleichungen 7.23 und 7.24

xY0 = Y

(

aY − aIn +xIn

0

In

)

(7.26)

und durch Kombination mit der Amplitudengroße fur die Wasserdissoziation(Gleichung 7.25) erhalt man das folgende Zwischenergebnis.

[OH]aW + Y (aY − aIn) =

(

1 +[OH]

[H]

)

xH0 −

(

1 +Y

In

)

xIn0 (7.27)

Ausgehend von Gleichung 7.27 erhalt man xIn0 und xH

0 durch Einsetzen derGleichung 7.23, und mit Hilfe von Gleichung 7.25 folgt auch xOH

0.

xH0 =

[OH]aW + Y · aY + In · aIn

1 + 1[H]

([OH] + In + Y)(7.28)

xOH0 =

([H] − In − Y) aW − Y · aY − In · aIn

1 + 1[OH]

([H] + In + Y)(7.29)

xIn0 =

−[OH]aW − (aY − aIn) Y + ([H] + [OH]) aIn

1 + 1In

(Y − [H] − [OH])(7.30)

Um bei der Beobachtung von xIn moglichst große Relaxationsamplituden zu er-halten, wird die Kinetik solcher Systeme oft unter den Bedingungen

[YH] ≈ [Y] Y ≈ [Y]

2und [InH] ≈ [In] In ≈ [In]

2(7.31)

untersucht. Dann erreichen Y und In maximale Werte. Werden die Messungenim neutralen Bereich durchgefuhrt, sind bei Konzentrationen [Y] und [In] vongroßer als etwa 10−6 M die Werte In und Y groß gegen die Protonen- und Hy-droxidionenkonzentration. Daher ergeben sich die folgenden Gleichungen in guterNaherung,

xH0 = [H]

[OH]aW + Y · aY + In · aIn

In + Y(7.32)

xOH0 = [OH]

− (In + Y) aW − Y · aY − In · aIn

In + Y(7.33)

xIn0 = In

−[OH]aW − (aY − aIn) Y + ([H] + [OH]) aIn

In + Y(7.34)

und xH0 und xOH

0 sind klein gegen die Konzentrationsanderungen xIn0 und xY

0.Auch sind zu jedem Zeitpunkt die Abweichungen xH und xOH der Protonen-

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KAPITEL 7. KINETIK DER PROTONIERUNG 189

und Hydroxidionenkonzentrationen von ihren Gleichgewichtswerten [H] und [OH]klein, sowohl im Vergleich zu xInH als auch zu xYH.2

Daher ist die folgende Vereinfachung von Gleichung 7.14 im Sinne einer Boden-

stein-Naherung moglich.

xYH + xInH ≈ xYH + xInH + xH − xOH = 0 (7.35)

Somit gelten die Nebenbedingungen,

xInH = −xIn = xY = −xYH (7.36)

und nur ein Relaxationseffekt wird experimentell beobachtet.

7.2.3 Relaxationszeit

Differenzieren der Gleichung 7.35 nach der Zeit fuhrt auf eine Beziehung,

dxInH

dt+

dxYH

dt= 0 (7.37)

mit deren Hilfe die Konzentrationen an Protonen und Hydroxidionen errechnetwerden konnen3, sobald die Geschwindigkeitsgesetze 7.16 und 7.17 eingesetzt wer-den.

kIncIncH − k′IncInH + kYcYcH − k′

YcYH +

kInWcIn − k′InWcInHcOH + kYWcY − k′

YWcYHcOH = 0 (7.38)

Da Protonenubertragungsreaktionen zwischen Indikatorionen und den Ionen YHund Y keinen Einfluß auf die Konzentrationen der hydratisierten Protonen undHydroxidionen haben, treten diese Reaktionen hier nicht in Erscheinung.In Gleichung 7.38 sind bereits Terme, die sich auf die Reaktionen freier Protonenbeziehen, und Terme, die durch den basischen Reaktionsweg auftreten, sortiert.Da sich die Gleichgewichtskonzentrationen [InH], [In], [YH] und [Y] auch ein-stellen, wenn entweder der Reaktionsweg uber freie hydratisierte Protonen oderder basische Weg kinetisch blockiert wird, mussen beide Terme in Gleichung 7.38einzeln gleich null sein, und die steady state-Konzentrationen der Protonen undHydroxidionen konnen angegeben werden.

cH =k′

IncInH + k′YcYH

kIncIn + kYcY

(7.39)

cOH =kInWcIn + kYWcY

k′InWcInH + k′

YWcYH

(7.40)

2Um dies zu zeigen, kann die Relaxationsgleichung mit drei Relaxationseffekten gelost wer-den (Polynom dritten Grades). Fur nur zwei Effekte (Protonierung im sauren / basischen Be-reich unter Vernachlassigung von Reaktionswegen, an denen keine hydratisierten Hydroxidionen/ Protonen beteiligt sind) ist dies gut moglich [56] und fuhrt auf zwei Relaxationsamplituden,von denen die eine aus den oben genannten Grunden sehr viel kleiner ist als die andere.

3Dieses Ergebnis erhalt man auch durch die steady state approximation, in der die zeitlichenAnderungen der Konzentrationen gering konzentrierter Zwischenprodukte, hier [H] und [OH],gleich null gesetzt werden [62].

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KAPITEL 7. KINETIK DER PROTONIERUNG 190

Durch Einsetzen in das Geschwindigkeitsgesetz 7.16 erhalt man das folgende Er-gebnis.

dcInH

dt= k′

YIncIncYH − kYIncInHcY

+kIncIncH

−k′IncInH

→ kInk′YcIncYH − kYk′

IncInHcY

kIncIn + kYcY

+kInWcIn

−k′InWcInHcOH

→ kInWk′YWcIncYH − kYWk′

InWcInHcY

k′InWcInH + k′

YWcYH

(7.41)

Terme proportional cInHcY und proportional cIncYH werden sortiert.

dcInH

dt= −cInHcY

kYIn +kYk′

In

kIncIn + kYcY

+kYWk′

InW

k′InWcInH + k′

YWcYH

+cIncYH

k′YIn +

kInk′Y

kIncIn + kYcY

+kInWk′

YW

k′InWcInH + k′

YWcYH

(7.42)

Durch Definition einer konditionalen Gleichgewichtskonstanten K∗YIn fur die Pro-

tonenubertragung zwischen Indikator und YH findet man die folgenden Zusam-menhange,

K∗YIn =

K∗Y

K∗In

=[InH][Y]

[YH][In]

=k′

YIn

kYIn

=kInk

′Y

kYk′In

=kInWk′

YW

kYWk′InW

(7.43)

und es folgt das Geschwindigkeitsgesetz 7.44.

dcInH

dt= −cInHcY − K∗

YIncIncYH ·

·

kYIn +kYk′

In

kIncIn + kYcY

+kYWk′

InW

k′InWcInH + k′

YWcYH

(7.44)

Jetzt konnen alle aktuellen Konzentrationen um ihre zeitunabhangigen Werte imGleichgewicht entwickelt werden.4 Unter Berucksichtigung der Nebenbedingung7.36 erhalt man eine Differentialgleichung,

dxInH

dt= −xInH

kYIn +kYk′

In

kIn[In] + kY[Y]+

kYWk′InW

k′InW[InH] + k′

YW[YH]

·

· [Y] + K∗YIn[YH] + [InH] + K∗

YIn[In] (7.46)

4Die Bruche werden folgendermaßen entwickelt.

kYk′

In

kIncIn + kYcY=

kYk′

In

kIn[In] + kY[Y]

(

1 +kInxIn + kYxY

kIn[In] + kY[Y]

)−1

≈ kYk′

In

kIn[In] + kY[Y]

(

1 − kInxIn + kYxY

kIn[In] + kY[Y]

)

(7.45)

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KAPITEL 7. KINETIK DER PROTONIERUNG 191

an der die Relaxationszeit τ direkt abgelesen werden kann.

1

τ= − 1

xInH

dxInH

dt

=

kYIn +kYk′

In

kIn[In] + kY[Y]+

kYWk′InW

k′InW[InH] + k′

YW[YH]

·

· [InH] + K∗YIn[In] + [Y] + K∗

YIn[YH] (7.47)

Das Verhaltnis der Geschwindigkeitskonstanten k′In und kIn sowie kYW und k′

YW

ist durch die Gleichgewichtskonzentrationen bestimmt.

k′In = kIn

[In][H]

[InH]kYW = k′

YW

[YH][OH]

[Y](7.48)

Damit kommt man auf das folgende Ergebnis fur die reziproke Relaxationszeit.

1

τ=

kYIn + [H]kYkIn

kIn[In] + kY[Y]

[In]

[InH]+ [OH]

k′YWk′

InW

k′InW[InH] + k′

YW[YH]

[YH]

[Y]

·

·

[InH]

(

1 +[Y]

[YH]

)

+ [Y]

(

1 +[InH]

[In]

)

(7.49)

Die reziproke Relaxationszeit setzt sich nach Gleichung 7.49 aus zwei Faktorenzusammen. Der erste Faktor berucksichtigt die drei moglichen Reaktionstypen:Protonenaustausch zwischen Indikator- und Y-Spezies, Reaktionen mit hydra-tisierten Protonen sowie die Protonierung durch Wasser. Der zweite Faktor inGleichung 7.49 hangt von den Gleichgewichtskonzentrationen ab.

7.2.4 Grenzfall hoher Konzentration an Gruppen

Wenn die Konzentrationen [Y] und [YH] hinreichend groß sind gegenuber denIndikatorkonzentrationen,

kIn[In] ≪ kY[Y] k′InW[InH] ≪ k′

YW[YH] (7.50)

sind die folgenden Naherungen sinnvoll.

kYkIn

kIn[In] + kY[Y]=

kIn

[Y]

(

1 +kIn[In]

kY[Y]

)−1

≈ kIn

[Y]− k2

In[In]

kY[Y]2(7.51)

k′YWk′

InW

k′InW[InH] + k′

YW[YH]≈ k′

InW

[YH]− (k′

InW)2[InH]

k′YW[YH]2

(7.52)

Diese Naherungen werden in die Beziehung 7.49 eingesetzt, und die Gleichungwird ausmultipliziert. Vernachlassigt man zu [YH]−1, [Y]−1, [YH]−2 und [Y]−2

proportionalen Terme im Vergleich zu Termen, die proportional zu [YH] oder [Y]

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KAPITEL 7. KINETIK DER PROTONIERUNG 192

sind, dann erhalt man die folgende Naherungsformel, die die reziproke Relaxa-tionszeit fur hohe Konzentrationen an Y-Spezies richtig wiedergibt (siehe auchAbbildung 7.3).

1

τ≈

kIn[H]

([In]

[InH]+ 1

)

+ k′InW[OH]

(

1 +[InH]

[In]

)

+ kYIn[InH]

θ

+kYIn(1 − θ)

(

1 +[InH]

[In]

)

Ytot (7.53)

In 7.53 wurde der Assoziationsgrad θ = [YH]/Ytot eingefuhrt. Tragt man τ−1 ge-gen die Gesamtkonzentration Ytot auf, so erwartet man also eine Gerade, wenn Ytot

hinreichend groß ist. Aus ihrer Steigung laßt sich bei bekannten Indikatorkonzen-trationen und bekanntem Protonierungsgrad der schwachen Saure oder Base Ydie Geschwindigkeitskonstante kYIn fur die Protonenubertragung errechnen. Ex-perimente zeigen, daß der Ordinatenabschnitt durch den zu kIn proportionalenTerm bestimmt ist.5

Wenn die Konzentration an Y und YH sehr groß ist gegenuber allen anderenSpezies und gleichzeitig die Konzentrationen an hydratisierten Protonen undHydroxidionen so klein sind, daß die Reaktionswege uber freie Protonen sowieuber freie Hydroxidionen vernachlassigt werden konnen, laßt sich der Ausdruckfur die reziproke Relaxationszeit weiter vereinfachen. In erster Naherung kannangenommen werden, daß sich die Gleichgewichte ausschließlich uber folgendeProtonenubertragungsreaktion einstellen.

Y + InHkYIn

k′YIn

YH + In (7.54)

Dazu berechnet man eine reziproke Relaxationszeit τYIn, die sich von der Nahe-rungslosung 7.53 unterscheidet.

1

τYIn

= kYIn(1 − θ)

(

1 +[InH]

[In]

)

Ytot + kYIn[InH]

θ(7.55)

(Die Terme proportional zu [H] und [OH] treten nicht auf, wenn ausschließlich dieProtonenubertragungsreaktion zwischen Y-Spezies und Indikatorionen beruck-sichtigt wird.) Die Steigungen der Geraden in einer Auftragung der reziprokenRelaxationszeit gegen die Einwaagekonzentration von Ytot sind identisch. Die Or-dinatenabschnitte unterscheiden sich, da in der Realitat die Konzentrationen vonHydroxidionen und Protonen hochstens auf 10−7 M verringert werden konnen.

5Die direkte Protonierung des Indikators und die Protonenaustauschreaktion zwischen Hy-droxidionen und der Indikatorspezies InH sind diffusionskontrollierte Prozesse, fur die sich dieGeschwindigkeitskonstanten kIn und k′

InW abschatzen lassen [6], [15]. Sie liegen in der Großen-ordnung von etwa 1010 M−1 s−1 bis etwa 1011 M−1 s−1. Fur die Protonenubertragung zwischenInH und Y werden Werte von kYIn zwischen 106 M−1 s−1 bis hochstens 109 M−1 s−1 gemessen.

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KAPITEL 7. KINETIK DER PROTONIERUNG 193

Da die Geschwindigkeitskonstanten der Indikatorprotonierung aber extrem großsind, erreicht man auch bei diesen Konzentrationen im allgemeinen nicht denOrdinatenabschnitt, den die reziproke Relaxationszeit fur eine rein durch denIn-Y-Protonenaustausch bestimmte Reaktion hatte.

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KAPITEL 7. KINETIK DER PROTONIERUNG 194

Abbildung 7.3: Reziproke RelaxationszeitFur den Spezialfall, daß neben den Indikatorspezies nur zwei Protonierungsformen ei-ner schwachen Saure oder Base in Losung vorliegen, ist die reziproke Relaxationszeitals Funktion der Gesamtkonzentration Ytot durch Gleichung 7.49 gegeben (schwarzeKurve). Die rot eingezeichnete Gerade ist als Naherungsformel fur hohere Konzen-trationen nach Gleichung 7.53 berechnet. Die blau eingetragene Gerade gehort zurRelaxationszeit fur den Fall, daß nur die Protonenubertragung zwischen Y-Ionen undIndikatorionen berucksichtigt wird. Fur alle Kurven werden die fur das System Imi-dazol und Bromthymolblau in waßriger Losung mit 0, 1 M Kaliumchlorid bestimm-ten Konstanten [24], [140] genutzt (kY = 1, 5 × 1010 M−1s−1, kIn = 3 × 1010 M−1s−1,kYIn = 5 × 108 M−1s−1, k′

YW = 2, 3 × 1010 M−1s−1, k′InW = 2 × 1010 M−1s−1). Die

Kurven gelten fur pcH = 7, die Konzentrationen sind [H] = [OH] = 1 × 10−7 M sowie[InH] = [In] = 1× 10−5 M, und der Assoziationsgrad fur Protonen an Imidazol betragtθ = 0, 5.

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KAPITEL 7. KINETIK DER PROTONIERUNG 195

7.3 Diskussion von Gruppen L und LH

Die reziproke Relaxationszeit 7.49 ist fur den Spezialfall abgeleitet worden, daßnur zwei Protonierungsformen im Gleichgewicht vorliegen. Dann ergibt die Auf-tragung von τ−1 gegen die Einwaage Ytot die charakteristische Grafik 7.3. Einahnliches Bild erhalt man bei der Auftragung der reziproken Relaxationszeit ge-gen die Gesamtkonzentration Ltot an protonierbaren Gruppen fur mehrprotonigeSauren und auch fur Polyelektrolyte. Daher wird von einigen Autoren [121], [123]ein Reaktionsschema angenommen, das analog zum Schema 7.2 fur protonierteGruppen LH und deprotonierte Gruppen L formuliert wird (Abbildung 7.4). Andie Stelle einer protonierten Makrospezies tritt eine protonierte Gruppe, an dieeiner deprotonierten Makrospezies entsprechend die deprotonierte Gruppe. Derkonditionalen Gleichgewichtskonstanten K∗

Y entspricht dann formal der Dissozia-tionsquotient Qd.Wie in Kapitel 3 diskutiert, ist fur jede Anzahl N von Gruppen pro Molekul dieBeschreibung uber Makrospezies und uber Ligandgruppen L aquivalent. Dies giltjedoch in dieser Allgemeinheit nicht fur die chemische Kinetik. In der Statik die-nen die Konzentrationen [LH] und [L] nur als Abkurzungen fur gewisse gewichteteSummen der Konzentrationen von Makrospezies BHn. Die Existenz von GruppenL und LH ist nicht erforderlich. In Geschwindigkeitsgesetzten konnen jedoch de-finitionsgemaß nur Konzentrationen von Spezies auftreten, die tatsachlich auchin der Losung vorliegen.Geht man von der Teilnahme von Gruppen an Reaktionen aus (Gruppen werdendann als Spezies aufgefaßt, die – genauso wie Y – entweder in der protonier-ten Form LH oder in der deprotonierten Form L vorliegen), kann man das untenabgebildete Reaktionsschema (Abbildung 7.4) zugrunde legen und alle Geschwin-digkeitskonstanten umbenennen.Dann kann die reziproke Relaxationszeit analog zu Gleichung 7.49 sofort angege-ben werden.

1

τ=

kLIn + [H]kLkIn

kIn[In] + kL[L]

[In]

[InH]+ [OH]

k′LWk′

InW

k′InW[InH] + k′

LW[LH]

[LH]

[L]

·

·

[InH]

(

1 +[L]

[LH]

)

+ [L]

(

1 +[InH]

[In]

)

(7.56)

Als Naherung fur hinreichend hohe Konzentrationen an Gruppen erhalt man dieBeziehung 7.57 in Analogie zu Gleichung 7.53.

1

τ≈

kIn[H]

([In]

[InH]+ 1

)

+ k′InW[OH]

(

1 +[InH]

[In]

)

+ kLIn[InH]

θ

+kLIn(1 − θ)

(

1 +[InH]

[In]

)

Ltot (7.57)

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KAPITEL 7. KINETIK DER PROTONIERUNG 196

Abbildung 7.4: Reaktionsschema angenommen fur GruppenFormuliert man die Protonierungs-, Protonenubertragungs- und Hydrolysereaktionennicht mit unterschiedlich protonierten Spezies sondern mit protonierten und deproto-nierten Gruppen LH und L, so ist das Schema formal unabhangig von der Anzahl Nfunktioneller Gruppen pro Polyion.

Nimmt man an, daß lediglich die Protonenubertragungsreaktion

L + InHkLIn

k′LIn

LH + In (7.58)

als moglicher Reaktionsweg zur Einstellung des Gleichgewichtes eine Rolle spielt,folgt die Gleichung 7.59 fur Gruppen LH und L in Ubereinstimmung mit derBeziehung 7.55 fur die Makrospezies YH und Y.

1

τLIn

= kLIn(1 − θ)

(

1 +[InH]

[In]

)

Ltot + kLIn[InH]

θ(7.59)

Die Symbole der Geschwindigkeitskonstanten konnen der Abbildung 7.4 entnom-men werden.Es ist a priori nicht zu erwarten, daß diese Gleichungen die Protonierungskine-tik von Sauren und Basen beschreiben, wenn unter den gegebenen Bedingungenmehr als zwei Makrospezies im Gleichgewicht vorliegen. Experimentell findet manallerdings Relationen, die mit Gleichungen angepaßt werden konnen, die sich aufdie Reaktionen von Gruppen LH und L beziehen. Daher wird im folgenden disku-tiert, wie die Geschwindigkeitskonstanten kLIn, kL und k′

LW mit Geschwindigkeits-konstanten zusammenhangen, die in Geschwindigkeitsgesetzen mit Makrospeziesdefiniert sind. Außerdem ist die mogliche Anzahl von chemischen Relaxations-effekten genauer zu uberdenken: Fur ein Reaktionsschema nach Abbildung 7.4kann im Rahmen der Bodenstein-Naherung prinzipiell immer nur ein Relaxati-onseffekt beobachtet werden, unabhangig von der Anzahl N von protonierbarenGruppen pro Polyelektrolyt. Tatsachlich ist die schrittweise Protonierung unter-schiedlicher Makrospezies und damit mehr als ein chemischer Relaxationseffekt

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KAPITEL 7. KINETIK DER PROTONIERUNG 197

moglich. Um solche Fragestellungen adaquat diskutieren zu konnen, werden imfolgenden mikroskopische Geschwindigkeitskonstanten definiert.

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KAPITEL 7. KINETIK DER PROTONIERUNG 198

7.4 Mikroskopische Geschwindigkeitskonstanten

7.4.1 Mikrospezies

Jede Makrospezies BHn ist durch die Anzahl n von gebundenen Protonen defi-niert. Fur eine Art von Polyionen, die maximal N -fach protoniert werden kann,ist jede einzelne Makrospezies in Losung durch

(Nn

)verschiedene Mikrospezies

realisiert. Diese unterscheiden sich in den Positionen der n gebundenen Proto-nen. Wie bereits in Kapitel 4 erklart, ist jede Mikrospezies durch die Angabevon N site variables si vollstandig bestimmt. So steht s1, s2, . . . , sN fur einebestimmte Mikrospezies und [s1, s2, . . . , sN ] fur ihre Konzentration im Gleichge-wicht, sowie cs1,s2,...,sN

fur die aktuelle Konzentration der Mikrospezies zu jedemZeitpunkt. Jede site variable si einer Mikrospezies kann auf die Werte null odereins gesetzt werden, je nachdem ob die funktionelle Gruppe i deprotoniert oderprotoniert vorliegt.

si =

0 deprotonierte1 protonierte

Gruppe i (7.60)

Mit dieser Wahl der Werte der site variables konnen Makrospezies als Vereinigungvon Mikrospezies folgendermaßen notiert werden.

BH0 = 0, 0, . . . , 0

BH1 =

1, 0, . . . , 0,0, 1, . . . , 0,

...0, 0, . . . , 1

...

BHN = 1, 1, . . . , 1 (7.61)

Da verschiedene Mikrospezies s1, s2, . . . , sN zu einer Makrospezies BHn zusam-mengefaßt werden, fur die n =

∑Ni=1 si gilt, ist die Konzentration der Makro-

spezies zu jedem Zeitpunkt die Summe der Konzentrationen der entsprechendenMikrospezies.

cn =∑

s1,s2,...,sN

cs1,s2,...,sNδn,

∑Ni=1 si

mit cn = cBHn(7.62)

In Gleichung 7.62 lauft die Summation uber alle Mikrospezies (also uber s1 = 0, 1bis sN = 0, 1), die die Beziehung n =

∑Ni=1 si erfullen. (δij ist das Kronecker-

Symbol.) Entsprechend gelten die folgenden Bilanzen fur die Gleichgewichtskon-zentrationen [s1, s2, . . . , sN ] und die Differenzen xs1,s2,...,sN

der aktuellen Kon-zentrationen und der Gleichgewichtskonzentrationen (

”Auslenkungen“ aus dem

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KAPITEL 7. KINETIK DER PROTONIERUNG 199

Gleichgewicht).

[BHn] =∑

s1,s2,...,sN

[s1, s2, . . . , sN ] δn,∑N

i=1 si(7.63)

xn =∑

s1,s2,...,sN

xs1,s2,...,sNδn,

∑Ni=1 si

mit xn = xBHn(7.64)

7.4.2 Protonenubertragungsreaktion

Zunachst wird die Protonenubertragungsreaktion zwischen Polyionen und Indi-katorionen betrachtet, die im Reaktionsschema als

BHn−1 + InHkBIn,n

k′BIn,n

BHn + In fur n = 1, 2, . . . , N (7.65)

notiert ist. Die Reaktionsgeschwindigkeit vBIn,n fur diese Protonenubertragungs-reaktion, die zu einem n-fach protonierten Polyion fuhrt, hat in der Nahe deszeitunabhangigen Gleichgewichtes die folgende Form.

vBIn,n = −(

dxInH

dt

)

BIn,n

= kBIn,n [BHn−1] xInH + kBIn,n[InH]xn−1

−k′BIn,n [BHn] xIn − k′

BIn,n[In]xn (7.66)

Der Index (BIn, n) zeigt an, daß hier lediglich der Anteil der Anderung in xInH

diskutiert wird, der durch die Protonenubertragung zwischen den Indikatorionenund den Polyionen BHn−1 und BHn zustande kommt. Nach dem Gesetz der mi-kroskopischen Gleichgewichte ist im Gleichgewicht fur jede dieser N Reaktionendie folgende Bedingung erfullt.

kBIn,n[InH] [BHn−1] = k′BIn,n[In] [BHn] (7.67)

Damit kann die Geschwindigkeitskonstante der Ruckreaktion eliminiert werden.

vBIn,n = −(

dxInH

dt

)

BIn,n

= kBIn,n

(

xInH − [InH]

[In]xIn

)

[BHn−1]

+[InH]xn−1 −[InH] [BHn−1]

[BHn]xn

(7.68)

Gleichung 7.68 ist ein makroskopisches Geschwindigkeitsgesetz, in das die Kon-zentrationen und Auslenkungen der Makrospezies BHn−1 und BHn eingehen. Bei-de Makrospezies, sowohl das Edukt als auch das Produkt, sind als Mikrospeziesrealisiert. Infolgedessen ist die Makrogeschwindigkeitskonstante kBIn,n ein geeig-neter Mittelwert von mikroskopischen Geschwindigkeitskonstanten. Die Art derMittelwertbildung wird im folgenden zunachst an einem Beispiel und danach all-gemein analysiert.

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KAPITEL 7. KINETIK DER PROTONIERUNG 200

Einfaches Beispiel

Als einfaches Beispiel wird die Protonenubertragungsreaktion einer zweiproto-nigen Saure (N = 2) betrachtet, die von doppelt deprotonierten auf einfachdeprotonierte Makrospezies fuhrt (n = 1). Dies ist die Hauptreaktion, die zumBeispiel Malonsaure bei pcH = 7 eingeht, wenn sowohl die Indikatorionen InHund In als auch Malonat B = BH0 und Hydrogenmalonat BH = BH1 in sehr vielhoherer Konzentration vorliegen als hydratisierte Protonen, Hydroxidionen unddie vollstandig protonierte Form BH2. Die makroskopische Reaktion

BH0 + InHkBIn,1

k′BIn,1

BH1 + In (7.69)

umfaßt zwei Reaktionen, an denen die Mikrospezies 0, 0, 1, 0 und 0, 1 be-teiligt sind.

Reaktion 1: 0, 0 + InH

k1,00,0

(k1,0

0,0

)′1, 0 + In (7.70)

Reaktion 2: 0, 0 + InH

k0,10,0

(k0,1

0,0

)′0, 1 + In (7.71)

Fur die auf dem Wege der Reaktion 1 verursachte Anderung an Indikatorkon-zentration gilt (in Analogie zur Entwicklung von Gleichung 7.68) das folgendeGeschwindigkeitsgesetz.

v1,00,0 = −

(dxInH

dt

)

BIn,0,0,1,0

= k1,00,0

[0, 0]xInH − [InH][0, 0]

[In]xIn

+[InH]x0,0 −[InH][0, 0]

[1, 0]x1,0

(7.72)

Ein entsprechendes Geschwindigkeitsgesetz gilt auch fur die Reaktion 2.

v0,10,0 = −

(dxInH

dt

)

BIn,0,0,0,1

= k0,10,0

[0, 0]xInH − [InH][0, 0]

[In]xIn

+[InH]x0,0 −[InH][0, 0]

[0, 1]x0,1

(7.73)

Hierin bedeuten k1,00,0 und k0,1

0,0 die mikroskopischen Geschwindigkeitskonstanten,die die Reaktion der Mikrospezies 0, 0 zu 1, 0 (Reaktion 1) und zu 0, 1(Reaktion 2) beschreiben. Alle Konstanten beziehen sich hier auf die Protonen-ubertragungsreaktionen unter Beteiligung der Indikatorionen. Die Makrospezies

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KAPITEL 7. KINETIK DER PROTONIERUNG 201

BH1 kann auf zwei unabhangigen Reaktionswegen entstehen. Im einen Fall ist sierealisiert als Mikrospezies 1, 0, im anderen Fall als 0, 1. Die gesamte zeitlicheAnderung der Auslenkung xInH, die durch die Bildung der einfach protoniertenMakrospezies verbunden ist, ist daher die negative Summe der bereits berechne-ten Reaktionsgeschwindigkeiten.1

−(

dxInH

dt

)

BIn,1

= v1,00,0 + v0,1

0,0

= −(

dxInH

dt

)

BIn,0,0,1,0

−(

dxInH

dt

)

BIn,0,0,0,1

(7.79)

Durch Addition der Gleichungen 7.72 und 7.73 folgt das Geschwindigkeitsgesetz7.80.

vBIn,1 = −(

dxInH

dt

)

BIn,1

= v1,00,0 + v0,1

0,0

= +(k1,0

0,0 + k0,10,0

)[0, 0]xInH

−(k1,0

0,0 + k0,10,0

) [InH][0, 0]

[In]xIn

+(k1,0

0,0 + k0,10,0

)[InH]x0,0

−[InH][0, 0]

(

k1,00,0

x1,0

[1, 0]+ k0,1

0,0

x0,1

[0, 1]

)

(7.80)

Nach Gleichung 7.63 und 7.64 gelten auch die folgenden Bilanzen,

[BH0] = [0, 0] x0 = x0,0 (7.81)

[BH1] = [1, 0] + [0, 1] x1 = x1,0 + x0,1 (7.82)

1Das Indikatorion InH geht Parallelreaktionen vom folgenden Typ ein.

InH + XkX

k′

X

In + XH (7.74)

InH + YkY

k′

Y

In + YH (7.75)

Die Reaktionsgeschwindigkeiten fur einzelne Reaktionen sind vX und vY,

vX = kXcInHcX − k′

XcIncXH (7.76)

vY = kYcInHcY − k′

YcIncYH (7.77)

und fur die Konzentrationsanderung von InH ergibt sich die folgende Summe.

−dcInH

dt= vX + vY (7.78)

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KAPITEL 7. KINETIK DER PROTONIERUNG 202

die auf ein Geschwindigkeitsgesetz fuhren, das mit dem makroskopischen Ansatz7.68 fur n = 1 verglichen werden kann.

vBIn,1 = −(

dxInH

dt

)

BIn,1

= +(k1,0

0,0 + k0,10,0

)[BH0] xInH

−(k1,0

0,0 + k0,10,0

) [InH] [BH0]

[In]xIn

+(k1,0

0,0 + k0,10,0

)[InH]x0

−[InH] [BH0]

(

k1,00,0

x1,0

[1, 0]+ k0,1

0,0

x0,1

[0, 1]

)

(7.83)

Die makroskopische Geschwindigkeitskonstante kann offenbar als Summe der bei-den mikroskopischen Geschwindigkeitskonstanten verstanden werden.

kBIn,1 = k1,00,0 + k0,1

0,0 (7.84)

Dann kann ein zu Gleichung 7.68 analoges Geschwindigkeitsgesetz erhalten wer-den, wenn zusatzlich die folgende Gleichung erfullt ist.

k1,00,0

x1,0

[1, 0]+ k0,1

0,0

x0,1

[0, 1]= kBIn,1

x1

[BH1](7.85)

Diese Bedingung wird erfullt, wenn

• nur eine der beiden Mikrospezies berucksichtigt zu werden braucht oder

• die Mikrospezies 1, 0 und 0, 1 miteinander im schnellen Gleichgewichtstehen. Dann gilt die folgende Beziehung.2

x1

[BH1]=

x1,0

[1, 0]=

x0,1

[0, 1](7.90)

2Wenn die beiden Mikrospezies 1, 0 und 0, 1 im schnellen Gleichgewicht stehen,

0, 0 + InH (1, 0 + 0, 1) + In (7.86)

ist das Verhaltnis der Gleichgewichtskonzentrationen der Mikrospezies gleich dem Verhaltnisder Auslenkungen aus dem Gleichgewicht.

[1, 0]

[0, 1]=

c1,0

c0,1=

[1, 0] + x1,0

[0, 1] + x0,1(7.87)

x1,0

[1, 0]=

x0,1

[0, 1]oder

x1,0

x0,1=

[1, 0]

[0, 1](7.88)

Fur Gleichgewichtskonzentration cn und Auslenkung xn der Makrospezies folgt mit [BH1] =[1, 0] + [0, 1] und x1 = x1,0 + x0,1 die Beziehung 7.90.

x1

[BH1]=

x1,0 + x0,1

[1, 0] + [0, 1]=

x1,0

[1, 0]

1 +x0,1

x1,0

1 + [0,1][1,0]

=x1,0

[1, 0]=

x0,1

[0, 1](7.89)

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KAPITEL 7. KINETIK DER PROTONIERUNG 203

In beiden Fallen ist mit Gleichung 7.84 die Bedingung 7.85 erfullt, und eineBeschreibung der chemischen Kinetik der Protonenubertragungsreaktionen istmit makroskopischen Geschwindigkeitskonstanten moglich.

Erweiterung auf Polyelektrolyte

Auch bei der Verallgemeinerung auf Polyionen soll die Reaktion

BHn−1 + InHkBIn,n

k′BIn,n

BHn + In fur n = 1, 2, . . . , N (7.91)

fur ein bestimmtes n betrachtet werden. Das vorhergehende Beispiel zeigt, daßeine makroskopische Beschreibung der Reaktionskinetik mit Hilfe von Geschwin-digkeitsgesetzen, die die Konzentrationen von Makrospezies enthalten, moglichist, wenn alle Mikrospezies, die die gleiche Anzahl Protonen tragen, miteinan-der in schnellen Gleichgewichten stehen. Sowohl das Edukt BHn−1 als auch dasProdukt BHn ist in Mikrospezies realisiert, so daß die Protonenubertragungsre-aktionen zwischen Indikator und einem Paar von Polyionen tatsachlich uber Nr

einzelne Reaktionen parrallel erfolgt.In dem mit einer makroskopisch formulierten Reaktion auftretenden ProduktBHn liegen von N Gruppen insgesamt n Gruppen protoniert vor. Damit gibtes

(Nn

)Mikrospezies. Jede der Mikrospezies kann eines der n Protonen auf das

Indikatorion In ubertragen. Daher sind

Nr = n

(N

n

)

=N !

(N − n)!(n − 1)!(7.92)

Reaktionen unter Beteiligung verschiedener Mikrospezies zu berucksichtigen. DasEdukt dieser Protonenubertragungsreaktion ist die Makrospezies BHn−1, die in(

Nn−1

)Mikrospezies vorliegen kann. Jede Mikrospezies tragt (n − 1) Protonen und

(N − n + 1) deprotonierte Gruppen. Damit berechnet man die gleiche Zahl Nr

von Reaktionen.

Nr = (N − n + 1)

(N

n − 1

)

=N !

(N − n)!(n − 1)!(7.93)

Jede dieser Nr unterschiedlichen Reaktionen kann folgendermaßen notiert werden.

s1, s2, . . . , sN + InH s′1, s′2, . . . , s′N + In (7.94)

Als Edukt tritt die Mikrospezies s1, s2, . . . , sN auf, die (n − 1) Protonen tragt.Fur die ungestrichenen site variables gilt daher

∑Ni=1 si = (n − 1). Das Pro-

dukt s1, s2, . . . , sN kann durch N Variable s′i charakterisiert werden, und esgilt

∑Ni=1 s′i = n. In solchen Reaktionen kann jede Variable si, die den Wert null

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KAPITEL 7. KINETIK DER PROTONIERUNG 204

besitzt, auf den Wert eins gesetzt werden. Paare von Edukt- und Produktmikro-spezies unterscheiden sich im Protonierungszustand genau einer Gruppe j, dieim Edukt deprotoniert und im Produkt protoniert vorliegt. Allgemein laßt sichschreiben,

s′i = si + δij(1 − si) j = 1, 2, . . . , N (7.95)

und in (N − n + 1) Fallen andert die Variable si ihren Wert.Fur die Reaktion der Mikrospezies s1, s2, . . . , sN mit InH unter Bildung vons′1, s′2, . . . , s′N und In gilt das folgende Geschwindigkeitsgesetz (analog zu Glei-chung 7.68, 7.72 oder 7.73).

(

vs′1,s′2,...,s′

Ns1,s2,...,sN

)

BIn=

(

xInH − [InH]

[In]xIn

)

[s1, s2, . . . , sN ](

ks′1,s′2,...,s′

Ns1,s2,...,sN

)

BIn

[InH]xs1,s2,...,sN

(

ks′1,s′2,...,s′

Ns1,s2,...,sN

)

BIn

−[InH][s1, s2, . . . , sN ]xs′1,s′2,...,s′

N

[s′1, s′2, . . . , s

′N ]

(

ks′1,s′2,...,s′

Ns1,s2,...,sN

)

BIn

mitN∑

i=1

si = n − 1 undN∑

i=1

s′i = n (7.96)

An den mikroskopischen Geschwindigkeitskonstanten ist als Index der Satz vonsite variables notiert, der die Eduktmikrospezies charakterisiert. Das Superscriptist der Satz von Variablen, durch den die Produktmikrospezies bestimmt ist. DerIndex (BIn, n) zeigt an, daß sich die mikroskopische Geschwindigkeitskonstanteauf die Protonenubertragungsreaktion zwischen Polyionen und Indikatorspeziesbezieht.Um die Reaktionsgeschwindigkeit vBIn,n der makroskopischen Reaktion zwischender Makrospezies BHn−1 und dem Indikatorion InH zu BHn und In zu ermit-teln, ist eine Summe uber solche mikroskopischen Reaktionsgeschwindigkeiten zubilden. Denn bei den Mikroreaktionen handelt es sich um unabhangige Parallel-reaktionen, die alle zur Anderung der Indikatorkonzentration fuhren.

vBIn,n = −(

dxInH

dt

)

BIn,n

=∑

s1,s2,...,sN

s′1,s′2,...,s′N

δ∑Ni=1 si,n−1δ

∑Ni=1 s′i,n

(

vs′1,s′2,...,s′

Ns1,s2,...,sN

)

BIn(7.97)

Die Geschwindigkeiten der Mikroreaktionen konnen zunachst uber die als Pro-dukte entstandenen Mikrospezies s′1, s′2, . . . , s′N aufsummiert werden, die n-fach protoniert sind. Dabei werden alle Reaktionen erfaßt, die die Eduktspeziess1, s2, . . . , sN eingehen konnen; (N − n + 1) verschiedene Summanden ungleichnull sind zu berucksichtigen. Durch anschließende Summation uber alle moglichen

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KAPITEL 7. KINETIK DER PROTONIERUNG 205

Eduktspezies werden samtliche Reaktionswege einbezogen (Ruckreaktionen derProdukte).In Gleichung 7.97 kann die Beziehung 7.96 fur die einzelnen Reaktiongeschwin-digkeiten eingesetzt werden. Ebenso wie in Gleichung 7.96 drei Summanden auf-treten, kommt man so auf drei verschiedene Terme (1), (2) und (3), die einzelndiskutiert werden. Die Terme

(1) =

(

xInH − [InH]

[In]xIn

)∑

s1,s2,...,sN

[s1, s2, . . . , sN ]∑

s′1,s′2,...,s′N

(

ks′1,s′2,...,s′

Ns1,s2,...,sN

)

BIn

=

(

xInH − [InH]

[In]xIn

)

[BHn−1] ·

·∑

s1,s2,...,sN

[s1, s2, . . . , sN ]

[BHn−1]

s′1,s′2,...,s′N

(

ks′1,s′2,...,s′

Ns1,s2,...,sN

)

BIn(7.98)

und

(2) = [InH]∑

s1,s2,...,sN

xs1,s2,...,sN

s′1,s′2,...,s′N

(

ks′1,s′2,...,s′

Ns1,s2,...,sN

)

BIn

= [InH]xn−1

s1,s2,...,sN

xs1,s2,...,sN

xn−1

s′1,s′2,...,s′N

(

ks′1,s′2,...,s′

Ns1,s2,...,sN

)

BIn(7.99)

sowie

(3) = −[InH]∑

s1,s2,...,sN

[s1, s2, . . . , sN ]∑

s′1,s′2,...,s′N

xs′1,s′2,...,s′N

[s′1, s′2, . . . , s

′N ]

(

ks′1,s′2,...,s′

Ns1,s2,...,sN

)

BIn

= −[InH] [BHn−1]∑

s1,s2,...,sN

[s1, s2, . . . , sN ]

[BHn−1]·

·∑

s′1,s′2,...,s′N

xs′1,s′2,...,s′N

[s′1, s′2, . . . , s

′N ]

(

ks′1,s′2,...,s′

Ns1,s2,...,sN

)

BIn(7.100)

finden sich auch in der makroskopischen Geschwindigkeitsgleichung 7.68 wieder.Schnelle Gleichgewichte unter Mikrospezies mit gleicher Protonenzahl angenom-men, gelten die folgenden Beziehungen.

xs1,s2,...,sN

xn−1

=[s1, s2, . . . , sN ]

[BHn−1]mit

N∑

i=1

si = n − 1 (7.101)

xs′1,s′2,...,s′N

[s′1, s′2, . . . , s

′N ]

=xn

[BHn]mit

N∑

i=1

s′i = n (7.102)

Damit fuhrt die mikroskopische Betrachtung der Protonenubertragungsreaktionfur ein gegebenes n unter der Annahme schneller Gleichgewichte zwischen denMikrospezies zum makroskopischen Geschwindigkeitsgesetz 7.68, wobei sich die

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KAPITEL 7. KINETIK DER PROTONIERUNG 206

makroskopische Geschwindigkeitskonstante folgendermaßen aus den Mikrokon-stanten zusammensetzt.

kBIn,n =∑

s1,s2,...,sN

π(s1, s2, . . . , sN, n − 1) ·

·

s′1,s′2,...,s′N

(

ks′1,s′2,...,s′

Ns1,s2,...,sN

)

BInδ∑N

i=1 si,n−1 δ∑Ni=1 s′i,n

(7.103)

Die Große π(s1, s2, . . . , sN, n − 1) gibt die Haufigkeit an, mit der die Mikrospe-zies s1, s2, . . . , sN in der Makrospezies BHn−1 auftritt.

π(s1, s2, . . . , sN,m) =[s1, s2, . . . , sN ]

[BHm]mit

N∑

i=1

si = m (7.104)

Mit der Bilanzgleichung 7.63 folgt, daß die Summe dieser Haufigkeiten uber alleMikrospezies zu derselben Makrospezies gleich eins ist.Macht man die Annahme, daß alle Mikrogeschwindigkeitskonstanten, die durchMittelung die Makrokonstante kBIn,n ergeben, denselben Wert kmikro

BIn,n haben, sofindet man mit Gleichung 7.103 den folgenden, sehr einfachen Zusammenhang.

kBIn,n = (N − n + 1)kmikroBIn,n (7.105)

Der Faktor (N − n + 1) ist gleich der Anzahl Summationen uber die entstehendenunterschiedlichen Mikrospezies. Wenn der Formalismus in gleicher Weise mit denGeschwindigkeitskonstanten der Ruckreaktionen durchgerechnet wird, findet manentsprechend eine Beziehung,

k′BIn,n = n

(kmikro

BIn,n

)′(7.106)

in der der Faktor n von der Anzahl unterschiedlicher Mikrospezies herruhrt, diebei der Deprotonierung von BHn entstehen.Die Zusammenhange zwischen makroskopischen und mikroskopischen Geschwin-digkeitkonstanten wurden in diesem Abschnitt am Beispiel der Protonenubertra-gungsreaktionen diskutiert. Sie gelten analog fur Reaktionen der Polyionen mitfreien Protonen und mit Wasser, da nur die statistischen Eigenschaften von par-tiell protonierten Polyionen diskutiert werden und die Art des Protonenspenders,sei es InH, H oder H2O, keine Rolle spielt.

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KAPITEL 7. KINETIK DER PROTONIERUNG 207

7.5 Spezialfall: Protonenubertragungen

Bevor der Reaktionsmechanismus unter Berucksichtigung aller im Abschnitt 7.1vorgestellten Elementarreaktionen diskutiert wird, werden im folgenden nur Pro-tonenubertragungen zwischen Polyelektrolyt und Indikator untersucht.

7.5.1 Reaktionsgeschwindigkeit

Wenn sowohl Polyionen als auch Indikatorionen in viel hoherer Konzentrationvorliegen als hydratisierte Protonen und hydratisierte Hydroxidionen, konnen ingrober Naherung direkte Protonierungen und Reaktionen unter Beteiligung vonhydratisierten Hydroxidionen als Reaktionswege zur Einstellung des Gleichge-wichtes vernachlassigt werden.1 Damit sind nur die folgenden Protonenubertra-gungsreaktionen zu berucksichtigen.

BHn−1 + InHkBIn,n

k′BIn,n

BHn + In n = 1, 2, . . . , N (7.107)

BHn−1 + BHm+1

kBB,n,m

k′BB,n,m

BHn + BHm n = 1, 2, . . . , N

m = 0, 1, 2, . . . , (N − 1) (7.108)

Die protonierte Indikatorform kann an jede Makrospezies BHn−1, die nicht voll-standig protoniert ist (n = 1, 2, . . . , N), ein Proton ubertragen. Und das Indi-katordianion In laßt sich von jeder nicht vollstandig deprotonierten Spezies BHn

protonieren. Zu jedem Zeitpunkt gelten die folgenden Mengenbilanzen.

Btot =N∑

n=0

cn mit cn = cBHn(7.109)

Htot =N∑

n=1

ncn + cInH (7.110)

Intot = cInH + cIn (7.111)

Fur die Differenzen der aktuellen Konzentrationen von ihren Werten im Gleich-gewicht lassen sich aus den Bilanzen folgende Beziehungen erhalten (konstantes

1Tatsachlich tritt, wie auch in Abschnitt 7.2 gefunden, eine Korrektur auf, wenn Protonenund Hydroxidionen eine steady state-Konzentration [H] und [OH] von großer null haben. Diesebessere Naherung kann im Rahmen der Losung des kompletten Reaktionsschemas (Abschnitt7.6) erhalten werden.

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KAPITEL 7. KINETIK DER PROTONIERUNG 208

Volumen angenommen).

N∑

n=0

xn = 0 mit xn = xBHn(7.112)

N∑

n=1

nxn + xInH = 0 (7.113)

xInH + xIn = 0 (7.114)

Die Konzentration der Indikatorionen andert sich mit der Zeit, weil diese Ionenmit den verschiedenen Makrospezies reagieren. Alle Reaktionen unter Beteiligungdes Indikators sind voneinander unabhangige Parallelreaktionen. Die beobachteteKonzentrationsanderung des Indikatoranions InH setzt sich daher additiv aus denvon den einzelnen Reaktionen verursachten Anderungen zusammen,

dcInH

dt=

N∑

n=1

(dcInH

dt

)

BIn,n

= −N∑

n=1

vBIn,n (7.115)

und fur jede einzelne Protonenubertragungsreaktion, die zur Bildung der SpeziesBHn fuhrt, gilt das folgende Geschwindigkeitsgesetz fur kleine Abweichungen vonden zeitlich konstanten Gleichgewichtsreaktionen.

− vBIn,n =

(dxInH

dt

)

BIn,n

= −kBIn,n[InH]xn−1 − kBIn,n [BHn−1] xInH

+k′BIn,n[In]xn + k′

BIn,n [BHn] xIn (7.116)

Dabei bedeuten kBIn,n und k′BIn,n die Geschwindigkeitskonstanten der Hin- und

Ruckreaktion der Protonenubertragung zwischen Polyionen BHn und Indikator-ionen. Die Disproportionierungsreaktionen treten im Geschwindigkeitsgesetz furInH nicht in Erscheinung, sondern beeinflussen die aktuellen Konzentrationen cn.Durch Gleichgewichtsbetrachtung kann die Geschwindigkeitskonstante der Ruck-reaktion ersetzt werden,

k′BIn,n = kBIn,n

[BHn−1] [InH]

[BHn] [In](7.117)

und es folgt ein Geschwindigkeitsgesetz fur jede einzelne Parallelreaktion.

− vBIn,n =

(dxInH

dt

)

BIn,n

= −xInH

(

1 +[InH]

[In]

)

kBIn,n [BHn−1]

−[InH]kBIn,n

(

xn−1 −[BHn−1]

[BHn]xn

)

(7.118)

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KAPITEL 7. KINETIK DER PROTONIERUNG 209

Durch Aufsummieren uber alle moglichen N Reaktionen erhalt man das Ge-schwindigkeitsgesetz 7.119.

dxInH

dt= −xInH

(

1 +[InH]

[In]

) N∑

n=1

kBIn,n [BHn−1]

−[InH]N∑

n=1

kBIn,n

xn−1 −[BHn−1]

[BHn]xn

(7.119)

7.5.2 Anzahl Relaxationseffekte

Im Geschwindigkeitsgesetz 7.119 kommen alle N Auslenkungen xn der verschie-denen Polyionenkonzentrationen aus dem Gleichgewicht, sowie xInH vor. Die Dif-ferenz xIn ist bereits mit Hilfe der Gleichung 7.111 eliminiert worden. Die zwei Bi-lanzen 7.109 und 7.110 bilden eine Nebenbedingung fur die verbleibenden (N − 1)Differenzen xn und xInH. Damit sind noch (N − 1) dieser Großen unabhangig von-einander, und nach Gleichung 6.34 sind ebensoviele Relaxationseffekte moglich.Experimentell ist bei kinetischen Messungen um pcH = 7 jedoch immer exakt einchemischer Relaxationseffekt beobachtet worden. Dabei wurden niemals Signaleerhalten, die auf eine Uberlagerung verschiedener Exponentialfunktionen leichtunterschiedlicher Relaxationszeiten hinweisen, weder bei Polyionen noch bei Io-nen

”kleiner“ Sauren und Basen. Dies ist zu erwarten, wenn der zweite Term in

Gleichung 7.120 entweder vernachlassigbar klein oder zeitlich konstant ist.

dxInH

dt= −xInH

(

1 +[InH]

[In]

) N∑

n=1

kBIn,n [BHn−1]

+[InH]N∑

n=1

kBIn,n

(xn−1

xInH

− [BHn−1]

[BHn]

xn

xInH

)

(7.120)

Der zweite Term in Gleichung 7.120

1. ist exakt null, wenn die verschiedenen Protonierungsformen BHn miteinan-der in schnellen Gleichgewichten stehen,

2. ist gegenuber dem ersten Term zu vernachlassigen, wenn die Indikatorkon-zentration [InH] hinreichend klein ist gegenuber der Gesamteinwaage Btot.

Die erste Erklarungsmoglichkeit stellt eine Bedingung an die Relaxationszeiten,die fur die Protonenubertragungsreaktionen zwischen den ProtonierungsformenBHn−1 und BHm+1 (Disproportionierungsreaktionen, siehe Abschnitt 7.1) einzelnberechnet werden.

1

τBB,n,m

= kBB,n,m

[BHn−1]

(

1 +[BHm+1]

[BHm]

)

+ [BHm+1]

(

1 +[BHn−1]

[BHn]

)

(7.121)

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KAPITEL 7. KINETIK DER PROTONIERUNG 210

Diese Relaxationszeiten τBB,n,m fur die Protonenubertragung zwischen verschiede-nen Makrospezies nehmen mit zunehmender Konzentration Btot schneller ab alsdie Relaxationszeiten τBIn,n fur die Protonenubertragung zwischen (Poly)-Ionenund den Indikatorspezies.

1

τBIn,n

= kBIn,n

[BHn−1]

(

1 +[InH]

[In]

)

+ [InH]

(

1 +[BHn−1]

[BHn]

)

(7.122)

Die Bedingung schneller Gleichgewichte zwischen verschieden protonierten Po-lyionen ist jedoch im allgemeinen nicht zu rechtfertigen.Vielmehr ist es die Indikatorkonzentration [InH], die es als Faktor des zweitenTerms ermoglicht, diesen Term zu vernachlassigen. Im folgenden Abschnitt wirdgezeigt, daß der erste Term von der Großenordnung der EinwaagekonzentrationLtot an protononierbaren Gruppen ist. Bei hinreichend kleiner Indikatorkonzen-tration kann dann der zweite Term in guter Naherung vernachlassigt werden.

7.5.3 Gemittelte Geschwindigkeitskonstanten

Wenn der zweite Term in Gleichung 7.120 vernachlassigt werden kann, genugt dieRelaxationszeit τBIn fur Protonenubertragungsreaktionen als einzig zugelasseneReaktionswege zur Einstellung des Gleichgewichtes der folgenden Beziehung.

1

τBIn

=

(

1 +[InH]

[In]

) N∑

n=1

kBIn,n [BHn−1] (7.123)

Wenn die Experimente bei konstantem pcH-Wert der Losung durchgefuhrt wer-den, sind die Verhaltnisse der Gleichgewichtskonzentrationen der Makrospezieskonstant fur unterschiedliche Einwaagekonzentrationen Btot. Dann kann Glei-chung 7.123 mit der Beziehung 7.59 verglichen werden, um die Bedeutung derGeschwindigkeitskonstante kLIn zu erkennen. Nach Gleichung 3.16 kann die Ge-samtkonzentration an Gruppen Ltot = NBtot und nach Gleichung 3.14 auch derBelegungsgrad θ eingesetzt werden.

1

τBIn

=

(

1 +[InH]

[In]

)

(1 − θ)

∑Nn=1 kBIn,n [BHn−1]

N(1 − θ)Btot

Ltot (7.124)

Nun kann zur Vereinfachung die Bilanz 3.9 eingesetzt werden, und durch Vergleichmit der Gleichung 7.59 fur die reziproke Relaxationszeit bei der Berechnung mitGruppen L und LH kann die Bedeutung von kLIn ermittelt werden.

kLIn =

∑Ni=1 [BHi−1] kBIn,i

∑Nj=1 (N − j + 1) [BHj−1]

(7.125)

(Bei der Summe im Nenner ist berucksichtigt, daß Summationen von j = 1 bis[N + 1] und bis N hier das gleiche Ergebnis liefern.) Fuhrt man nach Gleichung

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KAPITEL 7. KINETIK DER PROTONIERUNG 211

7.105 mikroskopische Geschwindigkeitskonstanten ein, die fur eine gegebene Ma-krospezies gleiche Werte kmicro

BIn,n haben, so wird deutlich, in welcher Weise derGeschwindigkeitsparameter kLIn ein gewichtetes Mittel uber mikroskopische Ge-schwindigkeitskonstanten ist.

kLIn =

∑Ni=1 (N + 1 − i) [BHi−1] k

microBIn,i

∑Nj=1 (N + 1 − j) [BHj−1]

(7.126)

Dieser Mittelwert ist von der Konzentration an Protonen abhangig, aber un-abhangig von der Einwaagekonzentration an Polymer.Es ist zu beachten, daß der pcH-abhangigen Geschwindigkeitsgroße kLIn nur indem Fall eine physikalisch-chemische Bedeutung zukommt, wenn nicht mehr alsein Relaxationseffekt auftritt und das Signal eine reine Exponentialfunktion ist,also der zweite Term in Gleichung 7.119 gegen den fuhrenden ersten Term zu ver-nachlassigen ist. Fur nur wenige Gruppen, insbesondere fur nur eine protonierbareGruppe pro Molekul ist der Term, der fur Polyelektrolyte vernachlassigt werdenkann, konstant und nicht null. Infolgedessen ist auch die reziproke Relaxations-zeit nicht korrekt zur Beschreibung der Protonierungskinetik

”kleiner“ Ionen oder

Molekule. Die Protonierungskinetik solcher Systeme wird im allgemeinen unterBedingungen untersucht, in der nur zwei Makrospezies im Gleichgewicht vorlie-gen und daher die Ergebnisse aus Abschnitt 7.2 angewendet werden konnen. FurN = 2 Gruppen pro Molekul ist dies der Fall, wenn der pcH-Bereich so gewahltwird, daß entweder [BH0] oder [BH2] im Gleichgewicht nicht vorkommt. Dannliegen namlich nur zwei Protonierungsformen im Gleichgewicht vor, und der imAbschnitt 7.2 diskutierte Spezialfall tritt ein.

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KAPITEL 7. KINETIK DER PROTONIERUNG 212

7.6 Losung des kompletten Reaktionsschemas

Im folgenden wird die reziproke Relaxationszeit fur den vollstandigen Reaktions-mechanismus berechnet. Dabei werden alle in Abschnitt 7.1 aufgefuhrten Ele-mentarreaktionen (Protonierungs-, Hydrolyse-, Protonenubertragungs- und Dis-proportionierungsreaktionen) berucksichtigt.

7.6.1 Geschwindigkeitsgesetze

Das Geschwindigkeitsgesetz fur die Indikatorionen InH kann folgendermaßen no-tiert werden.

dcInH

dt=

(dcInH

dt

)

In

+

(dcInH

dt

)

InW

+

(dcInH

dt

)

BIn

(7.127)

Die drei Summanden beziehen sich auf die direkte Protonierung des Indikators(Reaktion mit hydratisierten Protonen),

(dcInH

dt

)

In

= +kIncIncH − k′IncInH (7.128)

auf die Hydrolysereaktion (Protonierung durch Wasser),

(dcInH

dt

)

InW

= +kInWcIn − k′InWcInHcOH (7.129)

und auf die Protonenubertragungsreaktionen mit Polyionen.

(dcInH

dt

)

BIn

= −N∑

n=1

kBIn,ncn−1cInH +N∑

n=1

k′BIn,ncncIn mit cn = cBHn

(7.130)

In der letzten Gleichung wurde berucksichtigt, daß die Indikatorionen InH aufsamtliche nicht vollstandig protonierte Polyionen BHn ein Proton ubertragenkonnen (Parallelreaktionen).Das Geschwindigkeitsgesetz fur die Konzentration cn einer Makrospezies BHn

zeigt ebenfalls unterschiedliche Reaktionswege.

dcn

dt=

(dcn

dt

)

B

+

(dcn

dt

)

BW

+

(dcn

dt

)

BIn

+

(dcn

dt

)

BB

(7.131)

Um das Geschwindigkeitsgesetz fehlerfrei aufzustellen, muß berucksichtigt wer-den, daß eine bestimmte Makrospezies BHn sowohl als Reaktionsprodukt bei derProtonierung von BHn−1 entsteht (und durch die entsprechende Ruckreaktionverschwindet) als auch als Edukt bei der Bildung der Makrospezies BHn+1 ver-schwindet (und durch die entsprechende Ruckreaktion gebildet wird). Dies gilt bei

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KAPITEL 7. KINETIK DER PROTONIERUNG 213

direkten Protonierungen (kB,n), Hydrolysereaktionen (kBW,n) und Protonenubert-ragungsreaktionen unter Beteiligung des Indikators (kBIn,n). Daruberhinaus sindProtonenubertragungen zwischen BHn und BHm+1 (Disproportionierungen mitGeschwindigkeitskonstanten kBB,n,m) zu berucksichtigen.Fur die Makrospezies BHn mit n = 1, 2, . . . , (N − 1) berechnet man die folgendenAnteile an dem Geschwindigkeitsgesetz fur cn aus direkten Protonierungsreaktio-nen,

(dcn

dt

)

B

= +kB,ncn−1cH − k′B,ncn − kB,n+1cncH + k′

B,n+1cn+1 (7.132)

aus Hydrolysereaktionen(

dcn

dt

)

BW

= +kBW,ncn−1 − k′BW,ncncOH − kBW,n+1cn + k′

BW,n+1cn+1cOH

(7.133)

und aus Protonenubertragungsreaktionen mit den Indikatorspezies.(

dcn

dt

)

BIn

= +kBIn,ncn−1cInH − k′BIn,ncncIn − kBIn,n+1cncInH + k′

BIn,n+1cn+1cIn

(7.134)

Fur n = 0 entfallen in allen Beziehungen jeweils die Terme, die cn−1 oder einemit n − 1 indizierte Geschwindigkeitskonstante enthalten. Fur den Fall n = Nsind entsprechend alle Summanden zu streichen, die cn+1 oder mit n+1 indizierteKonstanten aufweisen.Wie im Abschnitt 7.2 erklart, wird die Konzentration von Wasser als Losungs-mittel im Uberschuß in die Geschwindigkeitskonstanten kInW und kBW,n (n =1, 2, . . . , N) mit einbezogen.

7.6.2 Bodenstein-Naherung

Zu jedem Zeitpunkt gelten als Nebenbedingungen zu den Geschwindigkeitsgeset-zen diese Mengenbilanzen:

Btot =N∑

n=0

cn mit cn = cBHn(7.135)

Wtot = cInH +N∑

n=1

n · cn + cH − cOH (7.136)

Intot = cInH + cIn (7.137)

Daraus ergeben sich die folgenden Bedingungen fur die Abweichungen der aktu-ellen Konzentrationen von ihren Werten im Gleichgewicht (konstantes Volumen

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KAPITEL 7. KINETIK DER PROTONIERUNG 214

angenommen).

N∑

n=0

xn = 0 mit xn = xBHn(7.138)

xInH +N∑

n=1

n · xn + xH − xOH = 0 (7.139)

xInH + xIn = 0 (7.140)

Um die reziproke Relaxationszeit fur Messungen im neutralen Bereich zu berech-nen, werden im Rahmen der Bodenstein-Naherung im folgenden die Auslenkun-gen xH und xOH in der Bilanz 7.139 gegen xInH und die Summe der gewichtetenAuslenkungen xn vernachlassigt.1 Wie in Abschnitt 7.2 erlautert, ist dies im neu-tralen Bereich in guter Naherung moglich, sofern nicht alle Protonenubertragun-gen zwischen BHn−1 und InH zufallig eine Standardreaktionsenthalpie von nullaufweisen. Innerhalb dieser Naherung gilt die folgende vereinfachte Beziehung,

xInH +N∑

n=1

n · xn = 0 (7.141)

und bei zeitunabhangigen Gleichgewichtskonzentrationen folgt Gleichung 7.142.

dcInH

dt+

N∑

n=1

n · dcn

dt= 0 (7.142)

Um die steady state-Konzentrationen an Protonen und Hydroxidionen zu be-rechnen, werden in diese Beziehung die Geschwindigkeitsgesetze 7.127 und 7.131eingesetzt.(

dcInH

dt

)

In

+N∑

n=1

n ·(

dcn

dt

)

B

+

(dcInH

dt

)

InW

+N∑

n=1

n ·(

dcn

dt

)

BW

= 0

(7.143)

Beitrage von Protonenubertragungsreaktionen und Disproportionierungsreaktio-nen treten nicht auf, da es sich um Reaktionen handelt, in denen weder hydrati-sierte Protonen noch Hydroxidionen beteiligt sind.Da die Reaktionswege uber hydratisierte Protonen und uber Hydroxidionen un-abhangig voneinander moglich sind, mussen beide Terme in Gleichung 7.143einzeln gleich null sein. So ergibt die Bodenstein-Naherung eine Bedingung

1Aus dem Wert (yBIn − BL) ≈ 10−2 K−1 aus Kapitel 5 laßt sich mit Hilfe der Gleichungen7.32, 7.33 und 7.34 abschatzen, daß die Betrage von xInH und xOH zehn Prozent der AuslenkungxInH nicht erreichen.

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KAPITEL 7. KINETIK DER PROTONIERUNG 215

zur Berechnung der Konzentration an Protonen (erster Term) und eine weite-re fur die Bestimmung der Hydroxidionenkonzentration (zweiter Term in Glei-chung 7.143). Durch Einsetzen der Geschwindigkeitsgesetze folgen die steady

state-Konzentrationen.2

cH =k′

IncInH +∑N

n=1 k′B,ncn

kIncIn +∑N

n=1 kB,ncn−1

(7.146)

cOH =kInWcIn +

∑Nn=1 kBW,ncn−1

k′InWcInH +

∑Nn=1 k′

BW,ncn

(7.147)

7.6.3 Reziproke Relaxationszeit

Zur Bestimmung der reziproken Relaxationszeit werden in dem Geschwindig-keitsgesetz 7.127 fur die Indikatorspezies InH samtliche Konzentrationen um ihrezeitunabhangigen Werte im Gleichgewicht entwickelt.

−dxInH

dt= −

(dxInH

dt

)

In

−(

dxInH

dt

)

InW

−(

dxInH

dt

)

BIn

(7.148)

2Die Summen konnen folgendermaßen berechnet werden.

N∑

n=1

n ·(

dcn

dt

)

B

= N

(dcN

dt

)

B

+

N−1∑

n=1

n ·(

dcn

dt

)

B

=(kB,NcN−1cH − k′

B,NcN

)

+

N−1∑

n=1

n ·kB,ncn−1cH − k′

B,ncn − kB,n+1cncH + k′

B,n+1cn+1

=(kB,NcN−1cH − k′

B,NcN

)

+N−1∑

n=1

nkB,ncn−1cH −N∑

n=2

(n − 1)kB,ncncH

−N−1∑

n=1

nk′

B,ncn +N∑

n=2

(n − 1)k′

B,ncn

=N∑

n=1

kB,ncn−1cH − k′

B,ncn

(7.144)

Die Summe fur den Reaktionsweg unter Beteiligung von Hydroxidionen berechnet sich analog.

N∑

n=1

n ·(

dcn

dt

)

BW

=

N∑

n=1

kBW,ncn−1 − k′

BW,ncncOH

(7.145)

In jedem Fall verschwindet der Faktor n vor den Geschwindigkeitskonstanten.

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KAPITEL 7. KINETIK DER PROTONIERUNG 216

Fur die einzelnen Anteile gelten in der Entwicklung die folgenden Geschwindig-keitsgesetze.

−(

dxInH

dt

)

In

= kIn[H]xInH − kIn[In]xH + k′InxInH (7.149)

−(

dxInH

dt

)

InW

= +kInWxInH + k′InW[OH]xInH + k′

InW[InH]xOH (7.150)

−(

dxInH

dt

)

BIn

= +N∑

n=1

kBIn,n [BHn−1] xInH +N∑

n=1

kBIn,n[InH]xn−1

+N∑

n=1

k′BIn,n [BHn] xInH −

N∑

n=1

k′BIn,n[In]xn (7.151)

Dabei wurde bereits die Nebenbedingung xInH = −xIn genutzt. Die AuslenkungenxH und xOH lassen sich aus den Gleichungen 7.146 und 7.147 berechnen.

xH =k′

InxInH +∑N

n=1 k′B,nxn

kIn[In] +∑N

n=1 kB,n [BHn−1]

+[H]kInxInH −

∑Nn=1 kB,nxn−1

kIn[In] +∑N

n=1 kB,n [BHn−1](7.152)

xOH = − kInWxInH − ∑Nn=1 kBW,nxn−1

k′InW[InH] +

∑Nn=1 k′

BW,n [BHn]

−[OH]k′

InWxInH +∑N

n=1 k′BW,nxn

k′InW[InH] +

∑Nn=1 k′

BW,n [BHn](7.153)

Einsetzen dieser Beziehungen und Umformen fuhrt zu den folgenden Gleichungen.

−(

dxInH

dt

)

In

=xInHkIn

kIn[In] +∑N

n=1 kB,n [BHn−1]·

·

[H]N∑

n=1

kB,n [BHn−1] +k′

In

kIn

N∑

n=1

kB,n [BHn−1]

−[In]N∑

n=1

k′B,n

xn

xInH

+ [In][H]N∑

n=1

kB,nxn−1

xInH

(7.154)

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KAPITEL 7. KINETIK DER PROTONIERUNG 217

−(

dxInH

dt

)

InW

=xInHk′

InW

k′InW[InH] +

∑Nn=1 k′

B,n [BHn]·

·

k′InW

kInW

N∑

n=1

k′BW,n [BHn] + [OH]

N∑

n=1

kBW,n [BHn]

+[InH]N∑

n=1

kBW,nxn−1

xInH

− [InH][OH]N∑

n=1

k′BW,n

xn

xInH

(7.155)

Durch Analyse des Gleichgewichtszustandes findet man die folgenden Verhaltnissevon Geschwindigkeitskonstanten fur die Hin- und Ruckreaktionen.

kIn

k′In

=[InH]

[In][H]

kB,n

k′B,n

=[BHn]

[BHn−1] [H](7.156)

kInW

k′InW

=[InH][OH]

[In]

kBW,n

k′BW,n

=[BHn] [OH]

[BHn−1](7.157)

kBIn,n

k′BIn,n

=[BHn] [In]

[BHn−1] [InH](7.158)

Somit konnen die Geschwindigkeitskonstanten k′In, kInW, k′

B,n, kBW,n und k′BIn,n

ersetzt werden.

− 1

xInH

(dxInH

dt

)

In

= [H]kIn

∑Nn=1 kB,n [BHn−1]

kIn[In] +∑N

n=1 kB,n [BHn−1]·

·(

1 +[In]

[InH]

)

+[In]

∑Nn=1 kB,n [BHn−1]

XB

(7.159)

− 1

xInH

(dxInH

dt

)

InW

= [OH]k′

InW

∑Nn=1 k′

BW,n [BHn]

k′InW[InH] +

∑Nn=1 k′

BW,n [BHn]·

·(

1 +[InH]

[In]

)

+[InH]

∑Nn=1 k′

BW,n [BHn]XBW

(7.160)

− 1

xInH

(dxInH

dt

)

BIn

=N∑

n=1

kBIn,n [BHn−1]

(

1 +[InH]

[In]

)

+[InH]

∑Nn=1 kBIn,n [BHn−1]

XBIn

(7.161)

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KAPITEL 7. KINETIK DER PROTONIERUNG 218

Dabei wurden die folgenden Abkurzungen verwendet.

XB =N∑

n=1

kB,n

(xn−1

xInH

− [BHn−1]

[BHn]

xn

xInH

)

(7.162)

XBW =N∑

n=1

k′BW,n

([BHn]

[BHn−1]

xn−1

xInH

− xn

xInH

)

(7.163)

XBIn =N∑

n=1

kBIn,n

(xn−1

xInH

− [BHn−1]

[BHn]

xn

xInH

)

(7.164)

Es ist zu beachten, daß XB, XBW und XBIn die einzigen Terme in den Geschwin-digkeitsgesetzen sind, die bei sehr kleinen Polymereinwaagen nicht verschwinden(siehe auch unten).Durch die Summation aller Geschwindigkeitgleichungen erhalt man den folgendenAusdruck, der bereits am Beginn dieses Kapitels vorgestellt wurde.

− 1

xInH

dxInH

dt= [H]

kInkL[L]

kIn[In] + kL[L]

(

1 +[In]

[InH]

)

+[OH]k′

InWk′LW[LH]

k′InW[InH] + k′

LW[LH]

(

1 +[InH]

[In]

)

+kLIn[L]

(

1 +[InH]

[In]

)

+X

=1

τfur X 6= X(t) (7.165)

Wenn nur ein Relaxationseffekt beobachtet wird, ist der Term X, der unten disku-tiert wird, zeitunabhangig, und die reziproke Relaxationszeit ist durch Gleichung7.165 gegeben. In dieser Gleichung sind auch bereits die gemittelten Geschwin-digkeitsgroßen

kL =

∑Nn=1 kB,n [BHn−1]

[L]=

∑Ni=1 [BHi−1] kB,i

∑Nj=1 (N − j + 1) [BHj−1]

(7.166)

k′LW =

∑Nn=1 k′

BW,n [BHn]

[LH]=

∑Ni=1 [BHi] k

′BW,i

∑Nj=1 j [BHj]

(7.167)

kLIn =

∑Nn=1 kBIn,n [BHn−1]

[L]=

∑Ni=1 [BHi−1] kBIn,i

∑Nj=1 (N − j + 1) [BHj−1]

(7.168)

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KAPITEL 7. KINETIK DER PROTONIERUNG 219

und die Konzentrationen [LH] und [L] an protonierten und deprotonierten Li-gandgruppen (Kapitel 3) eingefuhrt worden.Die Gleichungen 7.166, 7.167 und 7.168 geben die Art der Mittelwertbildung uberMakrogeschwindigkeitskonstanten an, die zu den Geschwindigkeitsgroßen kL, k′

LW

und kLIn fur die formale Reaktion von Ligandgruppen L und LH fuhren. Nimmtman an, daß alle Mikrogeschwindigkeitskonstanten, die zu der gleichen Makrospe-zies gehoren, die gleichen Werte kmicro

B,n ,(kmicro

BW,n

)′und kmicro

BIn,n haben (Gleichungen7.105 und 7.106), setzen sich die Makrogeschwindigkeitskonstanten folgenderma-ßen zusammen.

kB,n = (N − n + 1)kmicroB,n (7.169)

k′BW,n = n

(kmicro

BW,n

)′(7.170)

kBIn,n = (N − n + 1)kmicroBIn,n (7.171)

Und somit zeigen die folgenden Gleichungen die Art der Mittelung uber mikrosko-pische Geschwindigkeitskonstanten, die die experimentell zuganglichen Geschwin-digkeitsgroßen kL, k′

LW und kLIn ergeben.

kL =

∑Ni=1 (N − i + 1) [BHi−1] k

microB,i

∑Nj=1 (N − j + 1) [BHj−1]

(7.172)

k′LW =

∑Ni=1 i [BHi]

(kmicro

BW,i

)′

∑Nj=1 j [BHj]

(7.173)

kLIn =

∑Ni=1 (N − i + 1) [BHi−1] k

microBIn,i

∑Nj=1 (N − j + 1) [BHi−1]

(7.174)

(Wenn alle mikroskopischen Geschwindigkeitskonstanten zu Spezies, die mit nichtverschwindender Konzentration im Gleichgewicht vorliegen, denselben Wert hat-ten, dann wurde dieser Wert auch mit den gemittelten Geschwindigkeitsgroßenubereinstimmen. Manche Autoren ordnen jeder einzelnen funktionellen Gruppeeine Geschwindigkeitskonstante zu, die sich mit der Gesamtladung des Polyionsandert [88]. Auch dieser Ansatz enthalt also eine gewisse Mittelwertbildung.)In Gleichung 7.165 fur die reziproke Relaxationszeit hat die Große X diese Be-deutung:

X =N∑

n=1

AkB,n + B[BHn]

[BHn−1]k′

BW,n + [InH]kBIn,n

·

·

xn−1

xInH

− [BHn−1]

[BHn]

xn

xInH

(7.175)

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KAPITEL 7. KINETIK DER PROTONIERUNG 220

Darin stehen die Abkurzungen

A =kIn[H][In]

kIn[In] +∑N

i=1 kB,i [BHi−1](7.176)

B =k′

InW[OH][InH]

k′InW[InH] +

∑Ni=1 k′

BW,i [BHi](7.177)

fur die beiden Terme, die aus der Bodenstein-Naherung fur Protonen und Hy-droxidionen resultieren. Ist der Term X nicht zeitlich konstant, so ist eine Auswer-tung mit nur einer Relaxationszeit nicht moglich, und die Angabe der gemitteltenGeschwindigkeitskonstanten ist nicht sinnvoll. Falls X jedoch zeitunabhangig ist,erwartet man nur einen Relaxationseffekt.Geht die Polymereinwaage gegen null, so nehmen alle Abweichungen xn vonden Gleichgewichtskonzentrationen kleine Werte an. Da im Rahmen der Boden-

stein-Naherung fur Protonen und Hydroxidionen die Werte xH und xOH stetsals klein gegen xInH angenommen werden, wird bei verschwindend geringen Aus-lenkungen xn der Wert xInH ebenfalls klein, und die Extrapolation auf sehr kleinePolymereinwaagen fuhrt zu einem nicht verschwindenden Wert von X.Bei gegebenem pcH-Wert der Losung sind die Konzentrationsverhaltnisse zwi-schen Makrospezies unabhangig von der Gesamtkonzentration an Gruppen oderPolyionen. Die makroskopischen und mikroskopischen Geschwindigkeitskonstan-ten sind unabhangig von samtlichen Konzentrationen. Somit sind die gemitteltenGeschwindigkeitsgroßen kL, k′

LW und kLIn und auch der Offset X bei gegebenempcH-Wert und gegebener Indikatorkonzentration ebenfalls unabhangig von derPolymereinwaage.Relaxationszeiten aus Messungen, bei denen der pcH-Wert der Losung und dieIndikatorkonzentration konstant gehalten werden, lassen sich daher fur unter-schiedliche Konzentrationen an Polyelektrolyt nach Gleichung 7.165 korrekt aus-werten.

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KAPITEL 7. KINETIK DER PROTONIERUNG 221

7.7 Experimentelle Ergebnisse

Aus pcH-abhangigen Messungen der Protonierung von Polycarboxylaten ist be-kannt, daß im neutralen Bereich die reziproke Relaxationszeit mit zunehmenderKonzentration von Hydroxionen abnimmt und somit der zu [OH] proportiona-le Term in Gleichung 7.165 gegen den zur Protonenkonzentration proportionalenTerm vernachlassigt werden kann [121], [140].1 Daher wird zur Anpassung der ex-perimentellen Daten die folgende Funktion der reziproken Relaxationszeit nachGleichung 7.165 verwendet.

1

τ= [H]

kInkL[L]

kIn[In] + kL[L]

(

1 +[In]

[InH]

)

+ kLIn[L]

(

1 +[InH]

[In]

)

+ X (7.178)

Die experimentellen Parameter der Temperatursprung-Experimente sind bereitsin Abschnitt 5.3 angegeben. Alle Messungen werden bei pcH = 7, 00 und einerGesamtkonzentration an Indikator Intot = 2, 00×10−5 M sowie variabler Konzen-tration an Polyelektrolyt durchgefuhrt. Die Konzentration an Natriumchlorid alsInertsalz betragt 0, 100 M oder 1, 00 M in den untersuchten Polyelektrolytlosun-gen.

7.7.1 Linearer Bereich

In den Abbildungen 7.5 und 7.6 sind die reziproken Relaxationszeiten gegen dieGesamtkonzentration Ltot an titrierbaren Gruppen aufgetragen. Der Fehler in denRelaxationszeiten ist auf ∆τ/τ = 10% abgeschatzt. Die eingetragenen Geradensind beste Anpassungen an die experimentellen Werte fur hinreichend hohe Wertevon Ltot. In diesem Bereich hangt die reziproke Relaxationszeit linear von derPolyelektrolyteinwaage ab,

1

τ= a + bLtot fur kL[L] ≫ kIn[In] (7.179)

und aus den experimentellen Daten lassen sich zwei Parameter bestimmen.

a = kIn[H]

(

1 +[In]

Intot − [In]

)

+ X(Ltot ≫ Intot) (7.180)

b = kLIn(1 − θ)

(

1 +Intot − [In]

[In]

)

(7.181)

Der Assoziationsgrad θ ist aus Gleichgewichtsmessungen bekannt. Die Gleichge-wichtskonzentration an Indikatordianionen [In] hat bei pcH = 7, 00 den Wert

1Die Reaktionen unter Beteiligung von Protonen und Hydroxionen sind diffusionskontrollier-te Reaktionen [6], deren Reaktionsgeschwindigkeit im wesentlichen durch die Ladung und dieDiffusionskoeffizienten der reagierenden Spezies bestimmt ist. Die Geschwindigkeitskonstantenk′

InW und k′

BW,n in dem zu [OH] proportionalen Term beziehen sich auf Reaktionen, in denengleichnamig geladene Ionen miteinander reagieren. Diese Reaktionen sind langsamer als diedirekten Protonierungen der negativ geladenen Indikatorionen und Polyionen.

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KAPITEL 7. KINETIK DER PROTONIERUNG 222

[In] = 9, 42 × 10−6 M in Losungen mit einer Kochsalzkonzentration von 0, 100 Mund [In] = 1, 00 × 10−5 M bei [NaCl] = 1, 00 M (siehe auch Abschnitt 5.3).Fur Polymerkonzentrationen, die groß sind gegen die Indikatorkonzentration,wird nach Gleichung 7.175 der Summand X(Ltot ≫ Intot) vernachlassigbar kleingegen den Term kIn[H], da sich die Konstante kIn als um drei Großenordungengroßer als die Geschwindigkeitsgroße kLIn erweist. Daher ist es moglich, aus demOrdinatenabschnitt die Geschwindigkeitskonstante kIn fur die Indikatorprotonie-rung zu bestimmen. Die Steigung liefert die Geschwindigkeitsgroße kLIn, die beigegebenem pcH-Wert die Protonenubertragung von protonierten Indikatorionenauf partiell protonierte Polyionen charakterisiert. Die Ergebnisse der linearen An-passungen sind in den Tabellen 7.1 und 7.2 zusammengestellt.

Polymer [NaCl] a/(103 s−1) kIn/(1010 M−1s−1)

H-PMA-2150 0, 100 M 12, 8 ± 0, 7 6, 7 ± 0, 5H-PMA-11300 0, 100 M 10, 7 ± 0, 5 5, 7 ± 0, 5H-PMA-58900 0, 100 M 10, 5 ± 0, 9 5, 6 ± 0, 6H-PMA-2150 1, 00 M 10, 6 ± 0, 4 5, 3 ± 0, 2H-PMA-11300 1, 00 M 10, 0 ± 0, 4 5, 0 ± 0, 2H-PMA-58900 1, 00 M 8, 8 ± 0, 4 4, 4 ± 0, 2

Tabelle 7.1: Lineare Anpassung (1)Die Werte der reziproken Relaxationszeit zeigen fur hinreichend hohe KonzentrationenLtot an titrierbaren Gruppen der Polymere eine lineare Abhangigkeit von Ltot. Ausdem Ordinatenabschnitt a in den Abbildungen 7.5 und 7.6 kann die Geschwindigkeits-konstante kIn bestimmt werden.

Polymer [NaCl] b/(106 M−1s−1) θ kLIn/(105 M−1s−1)

H-PMA-2150 0, 100 M 1, 3 ± 0, 2 0, 12 ± 0, 02 7 ± 1H-PMA-11300 0, 100 M 1, 3 ± 0, 1 0, 13 ± 0, 02 7, 0 ± 0, 5H-PMA-58900 0, 100 M 1, 3 ± 0, 2 0, 14 ± 0, 02 7, 1 ± 0, 9H-PMA-2150 1, 00 M 2, 2 ± 0, 2 0, 05 ± 0, 02 11, 6 ± 0, 7H-PMA-11300 1, 00 M 1, 8 ± 0, 1 0, 03 ± 0, 02 9, 3 ± 0, 5H-PMA-58900 1, 00 M 1, 5 ± 0, 1 0, 04 ± 0, 02 7, 8 ± 0, 5

Tabelle 7.2: Lineare Anpassung (2)Mit den aus potentiometrischen Messungen ermittelten Werten des Assoziationsgradesθ bei pcH = 7, 00 konnen aus der Steigung b der Geraden in den Abbildungen 7.5 und 7.6die Geschwindigkeitsgroßen kLIn fur die Protonenubertragung zwischen Indikatorionenund Polyionen ermittelt werden.

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KAPITEL 7. KINETIK DER PROTONIERUNG 223

Uber Messungen mit verschiedenen Polymeren gemittelt, erhalt man die Ge-schwindigkeitskonstante kIn = (6 ± 1) × 1010 M−1s−1 fur Losungen, die 0, 100 MNatriumchlorid als Inertsalz enthalten. Dieser Wert stimmt gut mit dem Litera-turwert [121] von (5 ± 1) × 1010 M−1s−1 uberein und ist ein deutlicher Hinweisdarauf, daß der angenommene Reaktionsmechanismus fur die Protonierung vonPolyelektrolyten in sich schlussig ist. Die in Messungen mit 1, 00 M Natrium-chlorid bestimmte Geschwindigskonstante fur die Protonierung des IndikatorsBromthymolblau unterscheidet sich mit kIn = (4, 9 ± 0, 5) × 1010 M−1s−1 nichtsignifikant von ihrem Wert in Losungen mit der geringeren Inertsalzkonzentra-tion.Wie die Geschwindigkeitskonstante kIn kann aus den linearen Anpassungen dieGeschwindigkeitsgroße kLIn fur pcH = 7, 00 mit einem Fehler von etwa 10% be-stimmt werden. In Anwesenheit von 0, 100 M Natriumchlorid findet man fur alleuntersuchten Polymere einen Wert von kLIn = (7 ± 1) × 105 M−1s−1. Im Gegen-satz dazu verringern sich die Werte von kLIn in Anwesenheit von 1, 00 M Inertsalzvon (1, 2 ± 0, 7)×106 M−1s−1 bis (0, 8 ± 0, 1)×106 M−1s−1 mit zunehmender Ket-tenlange der Polymere.Die Geschwindigkeitsgroßen kLIn sind fur Polyionen um zwei bis drei Großenord-nungen geringer als die entsprechenden Geschwindigkeitskonstanten fur kleinereIonen. Fur den Protonenaustausch zwischen Bromthymolblau und Imidazol istein Wert von 5× 108 M−1s−1 bekannt [24], [140], und fur die Tricarbonsaure Tri-carballylsaure wurden Geschwindigkeitskonstanten von 2 × 107 M−1s−1 fur denProtonenaustausch mit Bromthymolblau bestimmt [140].Die Diffusion der Reaktionspartner zueinander hat bei den hohen Reaktionsge-schwindigkeiten einen großen Einfluß auf die Geschwindigkeit der Protonenuber-tragung. Die im Vergleich zu Imidazol verringerten Geschwindigkeitskonstantenfur Carboxylate konnen durch die elektrostatische Abstoßung dieser Ionen undder gleichnamig geladenen Indikatorionen begrundet werden. In Losungen mithohem Inertsalzgehalt sind die Ladungen von Polyionen effektiv abgeschirmt, sodaß hier eine großere Geschwindigkeitskonstante beobachtet wird als in Losungen,die nur 0, 100 M Natriumchlorid enthalten. Allein mit elektrostatischen Antei-len an der Diffusionsgeschwindigkeit lassen sich die uberraschend kleinen WertekLIn allerdings nicht erklaren. Vielmehr gehen bei Polyionen sterische Faktorenin die Geschwindigkeitsgroßen ein, die quantitativ nur bei Kenntnis der Struk-tur der Polyionen in Losung diskutiert werden konnen. (Bis heute liegen keineErgebnisse uber die Struktur von Polycarboxylaten in verdunnten Polymerlo-sungen vor. Von langgestreckten Polymerstabchen wird bei pcH = 7 aber nichtmehr ausgegangen.) Qualitativ kann zur Erklarung angenommen werden, daßfunktionelle Gruppen der Polyionen von den relativ großen Indikatormolekulennicht schnell erreicht werden konnen, wenn sich diese Gruppen im Inneren einesPolyion-Knauels befinden.

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KAPITEL 7. KINETIK DER PROTONIERUNG 224

Abbildung 7.5: Reziproke Relaxationszeiten (1)Die in Temperatursprung-Experimenten mit Poly(methacrylsauren) unterschiedlicherKettenlangen (von oben nach unten: H-PMA-2150, H-PMA-11300, H-PMA-58900) be-stimmten reziproken Relaxationszeiten τ−1 sind gegen die Einwaagekonzentration Ltot

an ionisierbaren Gruppen aufgetragen. Die Konzentration an Natriumchlorid betragt0, 100 M (pcH = 7, 00, Intot = 2, 00 × 10−5 M). Die Geraden werden nach Gleichung7.179 an die Daten fur Ltot > 2 × 10−3 M angepaßt.

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KAPITEL 7. KINETIK DER PROTONIERUNG 225

Abbildung 7.6: Reziproke Relaxationszeiten (2)Wie in Abbildung 7.5 sind die reziproken Relaxationszeiten τ−1 gegen die Einwaage-konzentration Ltot an Gruppen aufgetragen. Die Abbildungen beziehen sich (von obennach unten) auf H-PMA-2150, H-PMA-11300 und H-PMA-58900, einen pcH-Wert von7, 00 und eine Konzentration an Natriumchlorid von 1, 00 M. Die rot eingezeichnetenGeraden sind lineare Anpassungen von Gleichung 7.179 an experimentelle Daten mitLtot > 2 × 10−3 M.

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KAPITEL 7. KINETIK DER PROTONIERUNG 226

7.7.2 Nichtlinearer Bereich

Wenn die Polymerkonzentration so gering wird, daß die beiden Großen kIn[In]und kL[L] (Gleichung 7.178) vergleichbar große Werte erreichen, ist eine deutlicheAbweichung der experimentellen Daten von den Grenzgeraden zu verzeichnen, wiein den logarithmischen Auftragungen (Abbildungen 7.7 und 7.8) erkennbar wird.Wahrend durch eine lineare Anpassung die experimentellen Datenpunkte nur beihinreichend hohen Polyelektrolyteinwaagen gut beschrieben werden, konnen dieexperimentellen Ergebnisse durch eine reziproke Relaxationszeit nach Gleichung7.178 uber den gesamten Meßbereich unterschiedlicher EinwaagekonzentrationenLtot beschrieben werden. Die folgende Funktion wird an die Daten angepaßt.

1

τ=

C1Ltot

C2 + Ltot

+ bLtot + X (7.182)

Darin beschreiben die Parameter C1 und C2 die Abweichung vom linearen Ver-halten.

C1 = kIn[H]

(

1 +[In]

Intot − [In]

)

(7.183)

C2 =kIn[In]

kL(1 − θ)(7.184)

Der Parameter b konnte bereits aus der linearen Anpassung mit guter Genau-igkeit erhalten werden, und C1 kann in guter Naherung mit dem Parameter a(Gleichung 7.180) identifiziert werden. Somit konnen durch die Anpassung derFunktion uber den gesamten Meßbereich der Offset X und der Parameter C2

ermittelt werden. Aus C2 kann die gemittelte Geschwindigkeitskonstante kL furdie direkte Protonierung der Polyionen bei pcH = 7 bestimmt werden. In Tabelle7.3 und 7.4 sind die Ergebnisse zusammengestellt.

Polymer [NaCl] X/(103 s−1)

H-PMA-2150 0, 100 M 6 ± 2H-PMA-11300 0, 100 M 4 ± 2H-PMA-58900 0, 100 M 2 ± 1H-PMA-2150 1, 00 M 0, 9 ± 0, 6H-PMA-11300 1, 00 M 0, 9 ± 0, 6H-PMA-58900 1, 00 M 0, 6 ± 0, 4

Tabelle 7.3: Parameter der Kurvenanpassung (1)Durch Anpassung der Gleichung 7.182 an die experimentellen Daten (Abbildungen 7.7und 7.8) wird der Offset X ermittelt. Diese Große kann nur mit hohem Fehler bestimmtwerden.

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KAPITEL 7. KINETIK DER PROTONIERUNG 227

Polymer [NaCl] C2/(10−4 M) θ lg [kL/(M−1s−1)]

H-PMA-2150 0, 100 M 2 ± 1 0, 12 ± 0, 02 9, 5 ± 0, 2H-PMA-11300 0, 100 M 4 ± 1 0, 13 ± 0, 02 9, 0 ± 0, 3H-PMA-58900 0, 100 M 4 ± 1 0, 14 ± 0, 02 9, 0 ± 0, 3H-PMA-2150 1, 00 M 0, 4 ± 0, 1 0, 05 ± 0, 02 10, 0 ± 0, 3H-PMA-11300 1, 00 M 0, 2 ± 0, 1 0, 03 ± 0, 02 10, 3 ± 0, 6H-PMA-58900 1, 00 M 0, 1 ± 0, 1 0, 04 ± 0, 02 10, 7 ± 0, 9

Tabelle 7.4: Parameter der Kurvenanpassung (2)Zur Bestimmung der Geschwindigkeitskonstanten kL wird nach Gleichung 7.182 eineKurve an die experimentellen Daten angepaßt, die vier Parameter enthalt. Davon sindbereits zwei aus dem Grenzverhalten ermittelt.

Der Offset X hat auch fur geringe Konzentrationen Ltot einen im Vergleich zumOrdinatenabschnitt a kleinen Wert und ist mit großem Fehler behaftet. NachGleichung 7.175 gehen in X nur Geschwindigkeitskonstanten ein, deren gemittelteWerte sich aus den Parametern b und C2 weit genauer ermitteln lassen.Der Parameter C2 kann mit der Genauigkeit von einer halben Großenordnungaus den logarithmischen Auftragungen bestimmt werden, da sich innerhalb desKonzentrationsbereiches, in dem der Parameter die Kurvenform wesentlich be-einflußt, die reziproke Relaxationszeit nur um einen Faktor zwei bis drei andert.Die resultierende mittlere Geschwindigkeitsgroße kL fur die direkte Protonierungvon Polyionen hat bei pcH = 7, 00 einen Wert von etwa 109 M−1s−1 in Losungen,die 0, 100 M Natriumchlorid enthalten, und kL betragt 1010 M−1s−1 in Anwesen-heit von 1, 00 M Inertsalz. Bei gegebener Konzentration an Hintergrundelektro-lyt hangen diese Geschwindigkeitsgroßen kaum von der Molmasse der Polyionenab. Fur die Reaktion von hydratisierten Protonen mit kleineren Anionen wer-den ahnliche Werte der Geschwindigkeitskonstanten gefunden. In Anwesenheitvon 0, 100 M Kaliumchlorid als Inertsalz betragt die entsprechende Geschwindig-keitskonstante fur Acetat 4, 5 × 1010 s−1M−1 [19], und fur das Trianion der Tri-carballylsaure wurde ein Wert von 2 × 1010 M−1s−1 gemessen [140]. Die direktenProtonierungen von Polyionen sind wie die kleiner Ionen [31], [37] Reaktionen,die mit diffusionskontrollierter Reaktionsgeschwindigkeit ablaufen.Die experimentell gefundenen Werte fur die Geschwindigkeitsgroßen kL und kLIn

legen die Vermutung nahe, daß die Unterschiede in der chemischen Kinetik derProtonierung von Polyionen und von kleinen Ionen im wesentlichen auf die Struk-tur der Polymere zuruckzufuhren sind. Polyionen haben Bereiche im Inneren ihrergeknauelten Struktur, die fur die relativ großen Indikatorionen schlecht zugang-lich sind. Infolgedessen ist der Protonenaustausch zwischen Polyionen und Indika-torionen um Großenordnungen langsamer als er sich zwischen Indikatorionen undkleinen Ionen vollzieht. Protonen sind in waßriger Lßoung uberall in der Nahe der

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KAPITEL 7. KINETIK DER PROTONIERUNG 228

protonierbaren Gruppen der Polyionen verfugbar (Grotthus-Mechanismus). In-folgedessen haben die Geschwindigkeitsgroßen fur die direkten Protonierungsre-aktionen von Polyionen ahnliche Werte wie die Geschwindigkeitskonstanten derProtonierungsreaktionen von Mono- und Oligocarboxylaten.

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KAPITEL 7. KINETIK DER PROTONIERUNG 229

Abbildung 7.7: Reziproke Relaxationszeiten (3)Wie in Abbildung 7.5 sind die reziproken Relaxationszeiten fur Polyelektrolytlosun-gen (von oben nach unten: H-PMA-2150, H-PMA-11300, H-PMA-58900) gegen dieEinwaagekonzentration Ltot an ionisierbaren Gruppen aufgetragen (pcH = 7, 00;Intot = 2, 00 × 10−5 M; 0, 100 M Natriumchlorid). Abweichungen der experimentellenDaten von einem linearen Zusammenhang (rote Kurve) werden durch die Gleichung7.178 beschrieben (schwarze Kurve).

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KAPITEL 7. KINETIK DER PROTONIERUNG 230

Abbildung 7.8: Reziproke Relaxationszeiten (4)Wie in Abbildung 7.6 sind die reziproken Relaxationszeiten τ−1 gegen die Einwaage-konzentration Ltot an Gruppen aufgetragen. Die Abbildungen beziehen sich (von obennach unten) auf H-PMA-2150, H-PMA-11300 und H-PMA-58900, einen pcH-Wert von7, 00 und eine Konzentration an Natriumchlorid von 1, 00 M.

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Kapitel 8

Zusammenfassung

8.1 Ausgangssituation

Polyelektrolyte vereinigen die vielfaltigen Eigenschaften von Polymeren mit de-nen der Elektrolyte und sind sowohl in der Natur als auch in vielen industriel-len Prozessen von großer Bedeutung (Kapitel 1). Dementsprechend werden Po-lyelektrolytsysteme intensiv mit physikalisch-chemischen Methoden untersucht.Gleichzeitig werden auch theoretische Uberlegungen zum Verstandnis und zurBeschreibung ihres im allgemeinen sehr komplexen Verhaltens vorangetrieben.Die Reaktion von Polyionen mit Protonen hat dabei einen besonderen Stellen-wert, da sie in waßriger Losung immer zu berucksichtigen ist.

8.1.1 Gleichgewicht

Das Gleichgewicht der Protonierung von Polyelektrolyten wird anhand von Bin-dungsisothermen fur Protonen an Polyionen, Dissoziationsquotienten und Vertei-lungsfunktionen von Gleichgewichtskonstanten diskutiert. Zusammenhange zwi-schen diesen Großen sind großtenteils bekannt, ebenso wie ihr Verhalten beimUbergang von wenigen auf viele ionisierbare Gruppen. Bekannt, aber noch nichtvollstandig verstanden ist ebenfalls, daß einige Polyelektrolyte, wie die in die-ser Arbeit untersuchten Poly(methacrylsauren), ein ungewohnliches Titrations-verhalten aufweisen. Dieses laßt sich an einem

”Abknicken“ des Graphen des

Assoziationsgrades mit dem pcH-Wert erkennen und wird als Strukturubergangdiskutiert. Eine Erklarung des Phanomens auf der Grundlage einer makroskopi-schen Beschreibung ist nicht moglich.

8.1.2 Kinetik

Wahrend zahlreiche Untersuchungen uber Protononierungsgleichgewichte vonPolyelektrolyten in der Literatur bekannt sind, ist nur wenig Information uberdie chemische Kinetik der Protonierungsreaktionen von Polyionen verfugbar. InVeroffentlichungen zu diesem Thema wird nur eine Geschwindigkeitskonstanteangegeben, die die direkte Protonierungsreaktion der Polyionen beschreibt. Dadas Protonierungsgleichgewicht nicht durch nur eine Gleichgewichtskonstante be-schrieben werden kann, sondern durch eine große Anzahl oder eine Verteilungdieser Konstanten, ist a priori nicht zu verstehen, daß kinetische Untersuchun-gen nur eine Geschwindigkeitskonstante liefern. Ebensowenig ist verstandlich, daßgenau ein linearer chemischer Relaxationseffekt beobachtet wird. Unter welchen

231

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KAPITEL 8. ZUSAMMENFASSUNG 232

Bedingungen dieses Ergebnis zu erwarten ist und wie die Geschwindigkeits”kon-

stanten“ zu deuten sind, die sich als pcH-abhangig erweisen, wurde bisher inkeiner Weise untersucht.

8.2 Ziele dieser Arbeit

Entsprechend den offenen Fragen werden in dieser Arbeit drei Themengebietebehandelt.

1. Bindungsisothermen fur Protonen an Poly(methacrylsauren) werden mithoher Genauigkeit experimentell bestimmt. Die makroskopische Theorie zuihrer Interpretation wird zusammenhangend dargestellt und auf auf dieexperimentellen Daten angewendet. Das besondere Titrationsverhalten derlangerkettigen Poly(methacrylsauren) entzieht sich prinzipiell einer makros-kopischen Beschreibung. In Simulationen, die auf einer geeigneten Parame-trisierung der semigroßkanonischen Energie beruhen, werden Bindungsiso-thermen fur Protonen an Polyionen berechnet. Mit wenigen Parameternwird das Verhalten samtlicher Poly(methacrylsauren) beschrieben.

2. Die chemische Kinetik der Protonierung von Polyionen wird als Parallel-reaktionen der unterschiedlichen Makro- und Mikrospezies diskutiert, diezu der beobachteten Anderung der Protonenkonzentration fuhren. Uber al-le Prozesse wird in geeigneter Weise gemittelt. So konnen die Bedingungendiskutiert werden, die zur Beobachtung genau eines linearen chemischen Re-laxationseffektes fuhren. Die experimetell zuganglichen Geschwindigkeits-großen konnen interpretiert werden. Damit wird erstmals die chemischeKinetik der Protonierungsreaktionen auf einer Ebene diskutiert, die fur dieBeschreibung des Gleichgewichtes bereits seit geraumer Zeit Standard ist.

3. Da die kinetischen Untersuchungen mit der Temperatursprung-Methodedurchgefuhrt werden, muß die Temperaturabhangigkeit der Gleichgewichts-konzentrationen in Polyelektrolytsystemen diskutiert werden. Fur Systememit kleinen Ionen ergibt sich diese im Bereich des Experimentes aus derTemperaturabhangigkeit nur einer Gleichgewichtskonstanten. Fur Polyelek-trolyte sind infolge der großen Anzahl von Gruppen stets zahlreiche Gleich-gewichtskonstanten zu berucksichtigen. In dieser Arbeit wird eine Methodeangeboten, mit der die Temperaturabhangigkeit der Gleichgewichtskonzen-trationen in Polyelektrolytsystemen formal korrekt abgeleitet werden kann.

8.3 Methoden und Messungen

Das Gleichgewicht und die Kinetik der Protonierung von Poly(methacrylsau-ren) werden mit potentiometrischen und spektralphotometrischen Methoden und

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KAPITEL 8. ZUSAMMENFASSUNG 233

in Temperatursprung-Experimenten untersucht. Dabei wird nicht nur die Ket-tenlange der Polyelektrolyte, sondern auch die Art und Konzentration des Inert-salzes variiert.Um mit hoher Prazision Bindungsisothermen von Protonen an Polyelektrolytebestimmen zu konnen, wird fur die potentiometrische Messung von Protonen-konzentrationenen ein Referenzsystem entwickelt. Dieses erlaubt die Ermittlungder Protonenkonzentration mit einem Fehler von weniger als 10% (Kapitel 2).Unter Berucksichtigung elektrostatischer Abstoßungen zwischen ionisierten Grup-pen und attraktiver Wechselwirkungen zwischen hydrophoben Gruppen werdenBindungsisothermen fur Protonen an Polyionen simuliert. Dabei werden Wechsel-wirkungen zwischen nachsten Nachbarn (binding sites und Bindungen) betrach-tet. Alle Simulationen erfolgen auf der Grundlage eines semigroßkanonischen En-sembles aus Polyionen und gebundenen Protonen. Die Zahl der Parameter wirdbewußt gering gehalten.Protonierungsreaktionen konnen extrem schnell ablaufen und erreichen in vielenFallen die Grenzen, die der Temperatursprung-Methode gesetzt sind. Um nach-zuweisen, daß sich Protonierungsreaktionen im Zeitbereich der Temperaturande-rung nicht schon in einem Ausmaß vollziehen, das in einer exakten Auswertungder experimentellen Daten nicht vernachlassigt werden darf, wird der Einflußder schnellen Apparate-Effekte auf die erhaltenen Meßkurven genau untersucht(Kapitel 6). Erst wenn die Form der Signale diskutiert ist, konnen aus den beob-achteten Relaxationseffekten alle zuganglichen Informationen uber die Protonie-rungskinetik gewonnen werden.

8.4 Ergebnisse

8.4.1 Gleichgewicht

Isothermen

Die Bindungsisothermen fur Protonen an Poly(methacrylsauren) unterscheidensich auch qualitativ bei kurzkettigen und langkettigen Proben (Kapitel 3). Alskurze Ketten werden Polyelektrolyte mit bis zu etwa 25 Monomereinheiten be-zeichnet; Polyelektrolytproben mit molaren Massen ab Mn = 5760 g mol−1 zeigendas Verhalten der langen Polymerketten.Die Bindung der Protonen an die niedermolekularen Polyelektrolyte kann mitguter Genauigkeit sowohl durch Langmuir-Freundlich-Isothermen als auchdurch Isothermen beschrieben werden, die auf der Annahme repulsiver Wech-selwirkungen zwischen auf der Polymerkette benachbarten Carboxylatgruppenberuhen.Der logarithmische Wert pQ des Dissoziationquotienten zeigt das fur Polycarb-oxylate erwartete Verhalten. Sein Wert steigt streng monoton mit dem pcH-Wertund fallt ebenfalls streng monoton mit dem Protonierungsgrad. Die Saurestarkeder Polyionen wird umso geringer, je mehr Protonen sie bereits abgegeben haben.

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KAPITEL 8. ZUSAMMENFASSUNG 234

Die beobachteten systematischen Anderungen mit der Art und der Konzentrationan Inertsalz konnen qualitativ erklart werden.Im Gegensatz zu den kurzkettigen Proben ist das Verhalten der hochmolekularenPolymerproben weit schwieriger zu beschreiben. In einem kleinen Bereich (etwa0, 5 pcH-Einheiten) um einen kritischen pcH-Wert andert sich die Steigung derIsothermen in einem Ausmaß, wie sie bei Phasenubergangen beobachtet wird.Der korrespondierende kritische Protonierungsgrad hangt von der Art und Kon-zentration des Inertsalzes aber nicht von der Kettenlange der Polyionen ab.Der aus der Bindungsisotherme berechnete pQ-Wert nimmt bei abnehmendemProtonierungsgrad zunachst zu, bleibt im Bereich um den kritischen Assoziations-grad annahernd konstant und steigt erst weiter an, wenn auch die Bindungsiso-therme wieder glatt verlauft. Offenbar reagiert das Polyion auf die fortschreitendeDeprotonierung mit einem Strukturubergang, wahrend dessen seine scheinbareSaurestarke unverandert bleibt.Die ungewohnliche Form der Bindungsisothermen fur Protonen an langkettigePoly(methacrylsauren) wird nur unter Berucksichtigung unterschiedlicher Kon-formationen des Polyions in Simulationen transparent. Hier kann gezeigt werden,wie sich in einem schmalen pcH-Bereich die mittlere Konformation der Bindungenstark andert. Erst mit der Annahme der Wechselwirkung zwischen Bindungen,die die Wechselwirkung zwischen drei benachbarten hydrophoben Gruppen be-schreibt, kann ein Verhalten simuliert werden, das den experimentellen Datenentspricht.Fur die Modellrechnungen werden samtliche Gleichungen unabhangig von derArt der Gruppen und der Wechselwirkung zwischen ihnen entwickelt. Der an-gegebene Formalismus ermoglicht, die semigroßkanonische Zustandssumme undsomit Bindungsisothermen fur beliebige kettenformige Polyelekrolyte zu berech-nen. Selbst die Anwesenheit nur chemisch gleicher funktioneller Gruppen ist keinenotwendige Bedingung. Die Beschreibung des Wechselspiels zwischen Protonie-rungsgrad und Konformationsanderung kann als die Kombination zweier Modelleangesehen werden: ein Ising-Modell fur die Protonierung wird mit der Theorieder Konformation von Polymeren nach Flory verknupft (Kapitel 4).

Temperaturabhangigkeiten

Die Temperaturabhangigkeit der Protonierungsgleichgewichte wird mit optischerDetektion mittels Indikator bestimmt. Bei der Auswertung werden samtlicheGleichgewichte, Verdunnungseffekte und (vor allem) die Tatsache diskutiert, daßder pQ-Wert bei Polyelektrolyten eine Funktion des pcH-Wertes der Losung ist.Die Berechnungen fuhren zu dem Ergebnis, daß die Konzentrationsanderungender Indikatorspezies mit der Temperatur von der Konzentration an ionisierbarenGruppen abhangen. Qualitativ werden fur Polyionen und fur kleine Ionen ahn-liche Abhangigkeiten berechnet und auch experimentell gefunden. Jedoch gehtbei Polyelektrolyten die pcH-Abhangigkeit des pQ-Wertes in die aus den Meß-

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KAPITEL 8. ZUSAMMENFASSUNG 235

daten gewonnenen Parameter ein und muß bei der Bestimmung von Reaktions-enthalpien berucksichtigt werden. Unter Annahme eines pcH-unabhangigen Dis-soziationsquotienten konnen die experimentellen Daten nicht konsistent ausge-wertet werden. Der in Kapitel 5 dargestellte Formalismus zur Berechnung derTemperaturabhangigkeit der Gleichgewichtskonzentrationen kann auf die Proto-nierungsreaktionen beliebiger Polyelektrolyte angewendet werden, sofern sie inAnwesenheit von Inertsalz im Uberschuß untersucht werden.

8.4.2 Kinetik

Der Reaktionsmechanismus fur ein waßriges System aus Polyionen und Indikator-ionen kann nicht nur – wie in der Literatur ublich – als die Reaktion einzelnerGruppen des Polyelektrolyten formuliert werden. Diese Beschreibung setzt un-abhangige Gruppen voraus, die in keinem konkreten Fall realisiert sind. Vielmehrkann der gesamte Reaktionsmechanismus als die Uberlagerung sehr vieler einzel-ner Reaktionen verstanden werden, an denen jeweils eine Makro- oder Mikrospe-zies des Polyelektrolyten teilnimmt. Die zugehorigen Geschwindigkeitskonstantensind von allen Konzentrationen, so auch vom pcH-Wert, unabhangig. Die expe-rimentell zuganglichen Geschwindigkeitsgroßen erweisen sich in dieser Beschrei-bung als Mittelwerte uber makroskopische und mikroskopische Geschwindigkeits-konstanten und uber die Konzentrationen der Spezies. Letztere sind von der Pro-tonenkonzentration abhangig, und so werden auch die experimentell zuganglichenGeschwindigkeitsparameter Funktionen des pcH-Wertes. Diese Art der Mittel-wertbildung ist nur sinnvoll, wenn experimentell genau ein chemischer Relaxati-onseffekt beobachtet wird. Es kann gezeigt werden, daß genau ein Relaxations-effekt erwartet werden kann, wenn die Indikatorkonzentration sehr viel geringerist als die Konzentration an protonierbaren Gruppen des Polyelektrolyten. Auchwenn nur sehr wenig Polyelektrolyt vorliegt, liefern die Experimente nur einenlinearen chemischen Relaxationseffekt (Kapitel 7).

8.5 Ausblick

Das Gleichgewicht und die Kinetik der Protonierungsreaktionen von Polyelek-trolyten sind zusammenhangend mit den Methoden der Thermodynamik, derstatistischen Mechanik und der chemischen Kinetik beschrieben und am Beispielvon Poly(methacrylsauren) unterschiedlicher molarer Massen untersucht worden.Dabei liegt den statistischen Berechnungen ein Modell zugrunde, das nur Wech-selwirkungen zwischen benachbarten ionisierbaren Gruppen und benachbartenBindungen berucksichtigt.Die in dieser Arbeit experimentell bestimmten Konstanten und Zahlenwerte be-ziehen sich nur auf Poly(methacrylsauren). Der vorgestellte theoretische Zugangund die dargestellten Zusammenhange lassen sich auf beliebige Polyelektrolytsy-steme anwenden.

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Anhang A

Berechnung theoretischer Titrationskurven

In Titrationsexperimenten wird einer vorgelegten Probelosung schrittweise Ti-terlosung zugesetzt und eine charakteristische Große der resultierenden Mischungbestimmt. Diese Meßgroße kann unter anderem der pH-Wert, die Absorption, dieelektrische Leitfahigkeit der Probe oder die abgefuhrte Reaktionswarme sein. DieAuftragung dieser Große gegen das Volumen zugegebener Titerlosung nennt manTitrationskurve fur das untersuchte System.1 Im folgenden wird der pcH-Werteiner Losung, die verschiedene Sauren und Basen enthalt, als Funktion des Vo-lumens zugesetzter Titerlosung berechnet. Abbildung A.1 zeigt als Beispiel dieTitrationskurve einer Mischung zweier Puffersubstanzen.

A.1 Parameter der Titration

A.1.1 Losungen

Probelosung

Die vorgelegte Probelosung hat vor Titrationsbeginn ein Volumen Vp. Sie enthaltschwache Sauren und Basen, die Puffersubstanzen Xk (Konzentrationen [Xk]p)sowie Salzsaure, Natronlauge und Natriumchlorid in der Konzentration [HCl]p,[NaOH]p und [NaCl]p. Dieser Probelosung konnen Losungen von Salzsaure, Na-tronlauge und Natriumchlorid (Volumina Vz,HCl, Vz,NaOH und Vz,NaCl, Konzentra-tionen [HCl]z, [NaOH]z und [NaCl]z) zugesetzt werden. Außerdem kann auch einVolumen Vm einer Mischung, die Salzsaure, Natronlauge und Natriumchlorid inKonzentrationen [HCl]m, [NaOH]m und [NaCl]m enthalt, zur Probelosung zuge-geben werden. Damit sind die meisten fur die experimentelle Praxis interessantenSituationen berucksichtigt, auch das Vortitrieren, Ansauern und Verdunnen derursprunglichen Probe.2 In vielen Fallen werden manche der aufgefuhrten Volu-mina und Konzentrationen auf den Wert null gesetzt.

1Oft wird auch die Bindungsisotherme von Protonen an einen schwachen Elektrolyten inAbhangigkeit vom pH- oder pcH-Wert oder von der Protonenkonzentration als Titrationskurvedieses Elektrolyten bezeichnet.

2 In dieser Programmbeschreibung stehen Natriumionen als Beispiel fur inerte Kationenund Cloridionen fur inerte Anionen. Solange nicht mehrwertige Inertionen (wie zum BeispielCalcium- oder Sulfationen) in das System eingebracht werden, behalten alle Gleichungen ihreGultigkeit, auch wenn mit einer anderen starken Saure als Salzsaure, mit einer anderen starkenBase als Natronlauge oder mit einer anderen Art von Inertsalz an Stelle von Natriumchloridgearbeitet wird. Entsprechendes gilt fur die Puffersubstanzen.

236

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ANHANG A. THEORETISCHE TITRATIONSKURVEN 237

Abbildung A.1: Titrationskurve50 ml einer Losung von Malonsaure und Tris(hydroxymethyl)-aminomethan (jeweils0, 005 M), die 0, 01 M Salzsaure und 0, 1 M Natriumchlorid enthalt, wird mit Natron-lauge (0, 1 M) titriert. Bei 25oC und der gegebenen Konzentration an Natriumchloridbetragen die pK-Werte pK1 = 2, 63 und pK2 = 5, 28 fur Malonsaure, pK = 8, 11 furTris(hydroxymethyl)-aminomethan und fur die Dissoziation des Wassers pKW = 13, 78.

Vor Titrationsbeginn hat das Volumen der Probe den Wert V0.

V0 = Vp + Vz,HCl + Vz,NaOH + Vz,NaCl + Vm (A.1)

Die Konzentrationen der verschiedenen Puffersubstanzen in der Losung betragen[Xk]0 vor der Titration,

[Xk]0 =[Xk]p Vp

V0

(A.2)

und die Einwaagekonzentrationen an Salzsaure, Natronlauge und Natriumchloridin der Probe haben die Werte [HCl]0, [NaOH]0 und [NaCl]0.

[HCl]0 =[HCl]Vp + [HCl]zVz,HCl + [HCl]mVm

V0

(A.3)

[NaOH]0 =[NaOH]Vp + [NaOH]zVz,NaOH + [NaOH]mVm

V0

(A.4)

[NaCl]0 =[NaCl]Vp + [NaCl]zVz,NaCl + [NaCl]mVm

V0

(A.5)

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ANHANG A. THEORETISCHE TITRATIONSKURVEN 238

Titerlosung

Die Titerlosung enthalt die starke Saure in der Konzentration [HCl]t, die starkeBase in der Konzentration [NaOH]t und Inertsalz der Konzentration [NaCl]t. Inder Regel wird entweder die Salzsaure- oder die Natronlauge-Konzentration gleichnull sein, da entweder mit Saure oder mit Base titriert wird. Das Volumen derder Probe zugesetzten Titerlosung wird mit v bezeichnet.

A.1.2 Puffersubstanzen und Gleichgewichtskonstanten

Typen von Puffersubstanzen

Puffersubstanzen unterscheiden sich in der Art ihrer funktionellen Gruppen, dieentweder protonierbar oder deprotonierbar sind. Puffersubstanzen konnen auchals Salze der entsprechenden Sauren oder als Hydrochloride eingesetzt werden.Unabhangig von ihrer chemischen Natur sind vier Typen zu unterscheiden:

1. rein saure Gruppen, Symbol (LH)

2. salzartige Gruppen, Symbol (LNa)

3. rein basische Gruppen, Symbol (B)

4. basiche Gruppen als Hydrochloride, Symbol (B · HCl)

Die rein sauren Gruppen reagieren durch Abgabe eines Protons sauer. Die salz-artigen Gruppen erhohen durch vollstandige Dissoziation die Konzentration anNatriumionen und konnen Protonen binden. Auch die rein basischen Gruppensenken als Protonenakzeptoren die Protonenkonzentration. Die basischen Grup-pen, die als Hydrochloride vorliegen, erhohen durch ihre Dissoziation die Konzen-tration an Chloridionen und konnen dann je nach pcH-Wert das Hydrochlorid-Proton abgeben oder gebunden halten. Die Dissoziation der Salze und der Hydro-chloride wird als vollstandig angenommen. In Schema A.6 sind die Reaktionender verschiedenen Typen von Puffersubstanzen zusammengestellt. Ladungszahlenwerden an allen Symbolen fallengelassen.

(LH) (L) + H

(LNa) → (L) + Na(L) + H (LH)

(B) + H (BH)

(B · HCl) → (B) + H + Cl(B) + H (BH) (A.6)

Typische Vertreter sind zum Beispiel Essigsaure fur die Klasse (LH), Natriumfor-miat fur (LNa), Tris(hydroxymethyl)-aminomethan fur (B), Anilin-Hydrochlorid

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ANHANG A. THEORETISCHE TITRATIONSKURVEN 239

oder Ammoniumchlorid fur (B · HCl), Tricarballylsaure und ortho-Phosphorsaurefur (LH)3, Kaliumhydrogenphthalat fur (LH)(LNa) und Histidin fur den Typ(LH)(B)2. Beschrankt man die Anzahl ionisierbarer Gruppen pro Formeleinheitauf M , sind 1

6M(2M2 + 9M + 13) unterschiedliche Typen von Puffersubstanzen

zu unterscheiden.3

3In den Puffersubstanzen schließen sich die Gruppen (LNa) und (B · HCl) gegenseitig aus.Um die Zahl der moglichen verschiedenen Puffersubstanzen mit hochstens M funktionellenGruppen von Typ 1 bis Typ 4 zu ermitteln, kann auf eine Beziehung fur die Anzahl Kombi-nationen von k unterscheidbaren Elementen zu einer r-elementigen Menge mit Wiederholungzuruckgegriffen werden.

Anzahl =

(r + k − 1

r

)

=(r + k − 1)!

r!(k − 1)!(A.7)

Die Anzahl Gruppen pro Molekul sei N .

1. N = 1: Fur nur eine Gruppe pro Molekul findet man die vier Puffersubstanzen (LH),(LNa), (B) und (B · HCl).

2. N > 1: Drei Gruppen von Puffersubstanzen lassen sich unterscheiden.

(a) Wenn nur die funktionellen Gruppen (LH) und (B) vorkommen, berechnet manmit k = 2 und r = N die folgende Anzahl Kombinationen mit Wiederholung.

Anzahl ′ =(N + 1)!

N != N + 1 (A.8)

(b) Wenn mindestens eine (LNa)-Gruppe vorkommt, konnen noch k = 3 Sorten vonfunktionellen Gruppen die verbleibenden r = N − 1 Platze einnehmen.

Anzahl ′′ =(N + 1)!

(N − 1)!2!=

N(N + 1)

2(A.9)

Die gleiche Anzahl erhalt man nochmals, wenn mindenstens eine (B · HCl)-Gruppevertreten ist.

3. Die Anzahl Puffersubstanzen, die N Gruppen tragen, betragt AN ,

AN = (N + 1) + 2N(N + 1)

2= (N + 1)

2(A.10)

und diese Beziehung gilt auch fur N = 1.

4. Die Anzahl A′

M moglicher Puffersubstanzen, die mindestens M Gruppen tragen, ergibtsich durch Summation.

A′

M =

M∑

N=1

AN =

M+1∑

i=1

i2 − 1 =1

6M

(2M2 + 9M + 13

)(A.11)

Die ersten Werte dieser Folge sind 4, 13, 29, 54, 90, . . .

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ANHANG A. THEORETISCHE TITRATIONSKURVEN 240

Gleichgewichtskonstanten

Bei gegebenen Sauredissoziationskonstanten und Aktivitatskoeffizienten konnenfur jeden Typ Quotienten von Konzentrationen an Protonen, deprotonierter Formund protonierter Form aufgestellt werden. Die Konzentrationen der i-fach ge-ladenen Kationen und Anionen der Puffersubstanzen werden mit [i±] bezeichnet,und fz steht fur die mittleren Aktivitatskoeffizienten fur Ionen mit der Ladungs-zahl z. Dann gilt zum Beispiel

K11

f 21

=[H][1−]

[0](A.12)

fur Puffersubstanzen der Typen (LH) und (LNa),

K1 =[H][0]

[1+](A.13)

fur die Typen (B) und (B · HCl),

K11

f 21

=[H][1−]

[0]K2

1

f2

=[H][2−]

[1−](A.14)

fur Puffersubstanzen (LH)2, (LH)(LNa) und (LNa)2 und

K1f2

f 21

=[H][1+]

[2+]K2 =

[H][0]

[1+]K3

1

f 21

=[H][1−]

[0](A.15)

fur Puffersubstanzen vom Typ (LH)(B)2 und (LNa)(B)2. Fur das Ionenproduktdes Wassers folgt eine entsprechende Gleichung.

KW1

f 21

= [H][OH] (A.16)

Die Ionenstarke I berechnet sich als mit dem Quadrat der Ladungszahlen gewich-tete Summe der Konzentrationen aller Ionen in Losung.

I =1

2

[H] + [OH] + [Na] + [Cl] +∑

i

i2 [i+] +∑

j

j2 [j−]

(A.17)

In Gleichung A.17 laufen die Summen uber alle Ionen samtlicher Puffersubstanzen(verkurzt notiert).Fall 1: Wenn die Titrationskurve fur eine Probe berechnet werden soll, in dersich die Aktivitatskoeffizienten wahrend der Titration nicht andern, konnen alleAktivitatskoeffizienten formal gleich eins gesetzt werden. An Stelle der auf eineIonenstarke von null extrapolierten Konstanten werden dann die konditionalenDissoziationskonstanten, gultig in dem gegebenen Medium (Wasser und Inertsalzim Uberschuß), eingesetzt.

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ANHANG A. THEORETISCHE TITRATIONSKURVEN 241

Fall 2: Sind konditionale Konstanten dem Problem nicht angepaßt, konnen un-ter gewissen Bedingungen4 die mittleren Aktivitatskoeffizienten fz fur z-fach ge-ladene Ionen naherungsweise nach der Davies-Formel [26] berechnet werden.

− lg fz = C

( √

I/M

1 +√

I/M− 0, 3I/M

)

z2 (A.18)

In die Naherung geht ein von der absoluten Temperatur T und der mittlerenrelativen Dielektrizitatskonstanten ǫr des Mediums (ǫr = 78, 85 fur reines Wasserbei T = 298, 15 K und 1 bar [138]) abhangiger Parameter C ein.

C =1, 817 × 106

(ǫrT/K)3/2(A.19)

A.1.3 Titrationskurve

Bei jedem von insgesamt Nt Titrationsschritten wird der Probelosung ein Volu-men ∆v an Titerlosung zugesetzt. Nach i Schritten ist daher ein Volumen v = i∆vzutitriert. In der Mischung ergeben sich die folgenden Einwaagekonzentrationenan Salzsaure, Natronlauge, Natriumchlorid und Puffersubstanzen.

[HCl] =[HCl]0V0 + [HCl]tv

V0 + v(A.20)

[NaOH] =[NaOH]0V0 + [NaOH]tv

V0 + v(A.21)

[NaCl] =[NaCl]0V0 + [NaCl]tv

V0 + v(A.22)

[Xk] = [Xk]0V0

V0 + v(A.23)

Natrium- und Chloridionen werden nicht nur durch die starke Saure, die starkeBase und das Inertsalz, sondern auch durch einige Typen von Puffersubstanzenin das System eingebracht. Die Konzentrationen dieser Ionen folgen aus [HCl],[NaOH], [NaCl] und den Einwaagekonzentrationen [Xk] der Puffersubstanzen, diejeweils nLNa,k Gruppen (LNa) und nB·HCl,k funktionelle Gruppen (B · HCl) proFormeleinheit tragen.

[Cl] = [HCl] + [NaCl] +∑

k

nLNa,k [Xk] (A.24)

[Na] = [NaOH] + [NaCl] +∑

k

nB·HCl,k [Xk] (A.25)

4Die Davies-Formel A.18 liefert gute Naherungen fur Ionenstarken I ≤ 0, 1M und nicht zuhoch geladene, annahernd kugelsymmetrische Ionen.

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ANHANG A. THEORETISCHE TITRATIONSKURVEN 242

Wahrend jedes Titrationsschrittes ist die Elektroneutralitatsbedingung (Glei-chung A.26) der Losung erfullt.

0 = [H] − [OH] + [Na] − [Cl] +∑

i

i [i+] −∑

j

j [j−] (A.26)

Die beiden Summen sind in Gleichung A.26 wieder verkurzt notiert, die Konzen-trationen aller Ionen samtlicher Puffersubstanzen mussen berucksichtigt werden.Die Konzentration von Hydroxidionen ist bei gegebenem Ionenprodukt des Was-sers (Gleichung A.16) eine Funktion der Protonenkonzentration. Die Konzentra-tion der verschiedenen Ionen der Puffersubstanzen kann mit Hilfe von Gleichung3.10 als Funktion der Einwaage [Xk], aller Sauredissoziationskonstanten, allerAktivitatskoeffizienten und der Protonenkonzentration [H] ausgedruckt werden.Damit kann [H] als einzige Unbekannte in Gleichung A.26 numerisch bestimmtwerden.

A.2 Programmablauf

Abbildung A.2 veranschaulicht den Programmablauf zur Berechnung von Titra-tionskurven.

Eingabe Eingegeben werden alle Volumina und Konzentrationen sowie die pK-Werte samtlicher Puffersubstanzen und der Wert pKW fur die Wasserdissoziation.Wenn bei gegebenem Medium gearbeitet wird, werden diese Werte als konditio-nale Konstanten aufgefaßt. Wird dagegen mit Aktivitatskorrektur gerechnet, mußzusatzlich die Temperatur T und die relative Dielektrizitatskonstante ǫr angege-ben werden. Das pro Titrationsschritt zugegebene Volumen ∆v und die Anzahlder Titrationsschritte Nt werden ebenfalls festgelegt.

Startkonzentrationen Aus den eingegebenen Daten konnen die Konzentra-tionen [HCl]0, [NaOH]0 und [NaCl]0 an starker Saure, starker Base und Inertsalzebenso wie die Konzentrationen [Xk]0 der Puffersubstanzen und das Volumen V0

bestimmt werden.

Titrationsbeginn Zu Titrationsbeginn betragt das Volumen zugegebener Ti-terlosung v = 0. Falls mit Aktivitatskorrektur gerechnet wird, werden zunachsteine Ionenstarke I1 = 0 und die Aktivitatskoeffizienten fz = 0 zugrunde ge-legt, um die Werte der Quotienten von Konzentrationen (wie in den GleichungenA.12 bis A.16) zu berechnen. Die Protonenkonzentration, die Gleichung A.26genugt, kann mittels Bisektionsverfahren5 errechnet werden. Mit der ermittel-

5Fur diese Berechnung bietet sich das Bisektionsverfahren an, da in den uberwiegendenpraxisrelevanten Fallen eine Protonenkonzentration 100 M ≤ [H] ≤ 10−14 M errechnet wird. DieSuche nach geeigneten Startwerten, die fur das schnellere Newton-Verfahren [108] notwendigist, entfallt daher.

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ANHANG A. THEORETISCHE TITRATIONSKURVEN 243

ten Konzentration an Protonen werden aus den Konzentrationsquotienten undden Einwaagekonzentrationen [Xk]0 der Puffersubstanzen die Konzentrationenaller Ionen im System und nach Gleichung A.17 die Ionenstarke I berechnet.Mit dem Wert von I werden Aktivitatskoeffizienten ermittelt, die auf neue Werteder Konzentrationsquotienten fuhren. Diese Iteration wird solange wiederholt, bisdie Anderung von Ionenstarke und Protonenkonzentration von einem Durchgangzum nachsten bestimmte Grenzen unterschreitet.Falls nicht mit Aktivitatskorrektur sondern mit Hilfe konditionaler Konstantengerechnet wird, braucht die Gleichung A.26 nur einmal pro Titrationsschritt nu-merisch nach der Protonenkonzentration gelost zu werden.

Titration Nachdem die Protonenkonzentration und (zur Aktivitatskorrektur)die Ionenstarke vor Titrationsbeginn ermittelt sind, wird das Volumen an Titer-losung in jedem Schritt von v auf v + ∆v erhoht und der Prozeß der Berechnungder Ionenstarke und der Protonenkonzentration wiederholt. Nach Nt Schrittenwird die Schleife der Titration verlassen.

Ausgabe Aus der errechneten Protonenkonzentration [H] kann der Wert pcH =− lg ([H]/M) angegeben werden, der gegen das Volumen v zugegebener Titerlo-sung aufgetragen zur Titrationskurve des Systems fuhrt. Ferner sind die Ionen-starke I, die Konzentrationen [OH], [Na] und [Cl] sowie die Aktivitatskoeffizientenf1, f2 und f3 fur jeden Titrationsschritt relevante Ergebnisse.

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ANHANG A. THEORETISCHE TITRATIONSKURVEN 244

Abbildung A.2: FlußdiagrammDie Berechnung einer Titrationskurve kann mit zwei Iterationsschleifen erreicht wer-den. In der außeren Schleife werden die durch die wachsende Zugabe an Titerlosungerreichten Einwaagekonzentrationen an starker Saure, starker Base, Inertsalz und derPuffersubstanzen berucksichtigt. In einer inneren Iteration werden die Ionenstarke unddie Protonenkonzentration selbstkonsistent bestimmt.

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Anhang B

Bindungsisothermen aus Titrationskurven

B.1 Bindungsisotherme

Titrationsexperimente liefern den pcH-Wert einer waßrigen Probelosung in Ab-hangigkeit von dem Volumen v zugegebener Titerlosung (waßrige Losung einerstarken Saure oder Base). Zur Diskussion der Protonierungsgleichgewichte der inder Probe enthaltenen Polyelektrolyte kann von den Titrationsdaten pcH(v) aufBindungsisothermen θ(pcH) fur Protonen an diese schwachen Sauren und Basengeschlossen werden.Als reversible Reaktionen sind bei den Saure-Base-Titrationen die Dissoziationvon protonierten Carboxylgruppen LH der Polyelektrolyte und die Dissoziationdes Wassers zu berucksichtigen.

LH H + L (B.1)

H2O H + OH (B.2)

Die bei Titrationen eingesetzte starke Saure, die starke Base und der Hintergrund-elektrolyt (als Beispiele Salzsaure, Natronlauge und Natriumchlorid) werden alsvollstandig dissoziiert angenommen.

HCl → H + Cl (B.3)

NaOH → Na + OH (B.4)

NaCl → Na + Cl (B.5)

Die eingewogene Menge Polyelektrolyt enthalt Stoffmengen LH 0 an protoniertenGruppen und LNa0 an deprotonierten Gruppen, die Natriumionen als Gegenionentragen. A0 sei die Stoffmenge der Salzsaure-Einwaage, B0 die Einwaagemenge anNatronlauge und I0 die Stoffmenge an Inertsalz. Aus den Gleichungen B.1 undB.3 bis B.5 ergeben sich die folgenden Stoffmengenbilanzen.

nLH + nL = LH 0 + LNa0 (B.6)

nCl = I0 + A0 (B.7)

nNa = I0 + B0 + LNa0 (B.8)

Anstelle der Mengenbilanz fur Protonen wird die Elektroneutralitatsbedingunggenutzt.

nH − nOH + nNa − nCl − nL = 0 (B.9)

245

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ANHANG B. BINDUNGSISOTHERMEN AUS TITRATIONSKURVEN 246

Unter Berucksichtigung der Mengenbilanzen B.6, B.7 und B.8 folgt die Differenz-große ∆n.

∆n = LH 0 − nLH = nH − nOH − A0 + B0 (B.10)

Die Stoffmengen an Protonen und Hydroxidionen konnen aus dem gemessenenpcH-Wert der Probe und der konditionalen Dissoziationskonstanten des Wassers(pKW-Wert) berechnet werden.

nH = (V + v) 10−pcH M (B.11)

nOH = (V + v) 10pcH−pKW M (B.12)

pKW = − lg([H][OH]/M2

)(B.13)

Die Großen A0 und B0 ergeben sich aus den Konzentrationen an Saure und Basein der Probelosung (Volumen V vor Titrationsbeginn) und in der Titerlosung(zutitriertes Volumen v). Damit ist die Differenz ∆n experimentell zuganglich.Im sehr sauren Milieu liegen praktisch keine deprotonierten Gruppen L vor,wahrend im sehr basischen Bereich die Stoffmenge an protonierten Gruppen LHim Gleichgewicht praktisch verschwindet. Somit lassen sich aus einer Auftragungder Differenz (Gleichung B.10) gegen den pcH-Wert der Losung (oder auch gegendas Volumen zugegebener Titerlosung) die Stoffmengen LH 0 und LNa0 der Ein-waage an protonierten und deprotonierten Gruppen als Anfangs- und Endwerteder Kurve erhalten.

∆n =

LH 0 fur pcH → +∞−LNa0 fur pcH → −∞ (B.14)

Mit bekannten Werten LH 0 und LNa0 kann die Bindungsisotherme nach Defini-tion 3.14 aus ∆n berechnet werden.

θ =[LH]

Ltot

=nLH

LH 0 + LNa0

=LH 0 − ∆n

LH 0 + LNa0

= 1 − ∆n + LNa0

LH 0 + LNa0

(B.15)

B.2 Fehlerbetrachtung

Die Große ∆n ist bei jedem einzelnen Titrationsschritt mit einem absoluten Feh-ler ∆∆n behaftet, der durch die unabhangigen Fehler ∆pcH im pcH-Wert, ∆pKW

im pKW-Wert und den Fehlern ∆V und ∆v im vorgelegten Volumen der Probeund dem zutitrierten Volumen Titerlosung bestimmt ist. Die Fehler ∆A0 und∆B0 in den Stoffmengen an Saure und Base lassen sich ebenfalls in ∆V und ∆vausdrucken, und es gehen zusatzlich die Fehler in den Saure- und Basekonzen-trationen der Probelosung und der zutitrierten Losung ein. Mit den GleichungenB.10 bis B.13 ergibt sich der absolute Fehler in ∆n.

∆∆n = ln (10) (V + v)[∣∣10−pcH − 10pcH−pKW

∣∣ ∆pcH + 10pcH−pKW∆pKW

]M

+ (∆V + ∆v)∣∣10−pcH − 10pcH−pKW

∣∣ M

+∆A0 + ∆B0 (B.16)

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ANHANG B. BINDUNGSISOTHERMEN AUS TITRATIONSKURVEN 247

Die Fehler in den Großen LH 0 und LNa0 ergeben sich aus ∆∆n im stark ba-sischen und stark sauren Bereich. Wird die Bindungsisotherme nach GleichungB.15 berechnet, so sind die Fehler in den fehlerbehafteten Großen LH0, LNa0 und∆n nicht voneinander unabhangig. Entsprechend kann der absolute Fehler in derBindungsisotherme nicht analog zu Gleichung B.16 durch Fehlerfortpflanzung be-rechnet werden. Die Bindungsisotherme nimmt nur Werte 0 ≤ θ(pcH) ≤ 1 an.Ein Fehler in θ, der Abweichungen zu Werten kleiner null und großer eins zulaßt,ist daher nicht sinnvoll. Vielmehr ist der pcH-Wert unsicher, bei dem ein gege-bener Wert θ erreicht wird. Daher werden Fehlerbalken in Auftragungen θ(pcH)gegen pcH entlang der pcH-Achse eingezeichnet. Diese Fehlerbalken ∆′pcH be-rechnen sich nach Gleichung B.17 aus dem Fehler in der Differenzgroße ∆n (dernach Gleichung B.16 zu großen Teilen durch den Meßfehler ∆pcH im pcH-Wertbestimmt ist).

∆′pcH =

∣∣∣∣∣

(∂∆n

∂pcH

)

p,T

∣∣∣∣∣

−1

∆∆n (B.17)

Die partielle Ableitung kann als Steigung im ∆n-pcH-Diagramm numerisch be-stimmt werden.

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Abbildungsverzeichnis

1.1 Nucleinsauren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31.2 Zuckerpolyelektrolyte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41.3 Synthetische Polyelektrolyte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71.4 Einfache Sauren und Basen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91.5 Modellvorstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10

2.1 Monomereinheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122.2 Sulfonphthaleine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162.3 Indikator BCECF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172.4 Titrationskurve des Referenzsystems . . . . . . . . . . . . . 212.5 Temperatursprung-Anlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24

3.1 Makrospezies . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323.2 Beschreibung von Polysauren . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333.3 Bindungsisothermen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353.4 Anpassung durch Langmuir-Isothermen . . . . . . . . . . . 413.5 Parametrisierte Bindungsisothermen . . . . . . . . . . . . . 473.6 Verteilungsfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 483.7 pQ-Werte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 523.8 Niedermolekulare Poly(methacrylsaure) . . . . . . . . . . . 583.9 Bindungsisothermen (1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 603.10 Bindungsisothermen (2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 613.11 Hochmolekulare Poly(methacrylsaure) . . . . . . . . . . . . 643.12 Bindungsisothermen (3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 663.13 Bindungsisothermen (4) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 673.14 pQ-(1 − θ)-Auftragung (1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 703.15 pQ-(1 − θ)-Auftragung (2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 713.16 pQ-pcH-Auftragung (1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 723.17 pQ-pcH-Auftragung (2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 733.18 pQ-(1 − θ)-Auftragung (3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 783.19 pQ-(1 − θ)-Auftragung (4) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 793.20 pQ-pcH-Auftragung (3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 803.21 pQ-pcH-Auftragung (4) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 813.22 Absorptionsspektren von Bromthymolblau . . . . . . . . . . 853.23 Absorptionsspektren von BCECF . . . . . . . . . . . . . . . 86

4.1 Mikrospezies . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 894.2 Statistisches Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 954.3 Kettenlangen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1184.4 Polycarbonsauren und Polyamine . . . . . . . . . . . . . . . 119

260

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ABBILDUNGSVERZEICHNIS 261

4.5 Vergleich von Bindungsisothermen . . . . . . . . . . . . . . . 1224.6 Konformationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1244.7 Einfluß von Konformationen auf die Protonierung (1) . . 1294.8 Einfluß von Konformationen auf die Protonierung (2) . . 130

5.1 Temperatursprung-Messungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 1325.2 Absorption von Indikatorlosungen . . . . . . . . . . . . . . . 1465.3 Strukturen des Indikatordianions . . . . . . . . . . . . . . . . 1485.4 Relaxationsamplituden (1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1515.5 Relaxationsamplituden (2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1525.6 Amplitudenauswertung (1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1575.7 Amplitudenauswertung (2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158

6.1 Temperatursprung-Messungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 1606.2 Zeitskala . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1626.3 Amplitude A1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178

7.1 Reaktionsschema . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1847.2 Ausschnitt aus dem Reaktionsschema . . . . . . . . . . . . . 1857.3 Reziproke Relaxationszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1947.4 Reaktionsschema angenommen fur Gruppen . . . . . . . . 1967.5 Reziproke Relaxationszeiten (1) . . . . . . . . . . . . . . . . 2247.6 Reziproke Relaxationszeiten (2) . . . . . . . . . . . . . . . . 2257.7 Reziproke Relaxationszeiten (3) . . . . . . . . . . . . . . . . 2297.8 Reziproke Relaxationszeiten (4) . . . . . . . . . . . . . . . . 230

A.1 Titrationskurve . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237A.2 Flußdiagramm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244

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Tabellenverzeichnis

2.1 Polymercharakteristika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132.2 CH-Analysen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142.3 Natrium-Analysen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152.4 Zweipunkteichung der Glaselektrode . . . . . . . . . . . . . 192.5 Referenzsystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202.6 Standardpuffer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222.7 Standardlosungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23

3.1 Titrationsverhalten kurzkettiger Polymerproben . . . . . . 593.2 Titrationsverhalten langkettiger Polymerproben . . . . . . 653.3 Indikator Bromthymolblau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84

4.1 Parameter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1104.2 Wechselwirkung zwischen benachbarten Gruppen . . . . . 121

5.1 Temperaturabhangigkeit des Absorptionskoeffizienten . . 1475.2 Temperaturdifferenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1505.3 Parameter der Temperaturabhangigkeit (1) . . . . . . . . . 1545.4 Vergleich mit Ergebnissen von Titrationen . . . . . . . . . . 1555.5 Parameter der Temperaturabhangigkeit (2) . . . . . . . . . 156

7.1 Lineare Anpassung (1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2227.2 Lineare Anpassung (2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2227.3 Parameter der Kurvenanpassung (1) . . . . . . . . . . . . . 2267.4 Parameter der Kurvenanpassung (2) . . . . . . . . . . . . . 227

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