Interesse, Motivation und Lernen
Eisl Michael & Landgraf Philipp
Vertiefung Allgemeine Psychologie: Wissenspsychologie, SS 2010
Inhalt
Geschichtlicher Überblick Das Konstrukt Interesse Situationales vs. individuelles Interesse Emotionales vs. Kognitives Interesse Textbasiertes Interesse Einfluss des Umfeldes Jigsaw bzw. Gruppenpuzzle Aufmerksamkeit als Mediator zwischen
Interesse und Lernen Untersuchungen
Geschichtliches
Erziehung und Bildungspsychologie: Theorien über den Zusammenhang von Motivation, Emotion und Kognition
stark praxisorientiert Anwendung in Schulen und anderen
Bildungseinrichtungen.
Geschichtliches Einfluss psychologischer Bereiche wie z.B.
Begabungsforschung intraindividuelle Entwicklungen jedoch häufig
unbeachtet In den 1970ern Wende vom Behaviorismus zu
kognitiven Theorien -> Neuorientierung der Bildungspsychologie,
stärkere Rolle der Motivationsforschung ->Theorien zur Lernmotivation auf Basis
kognitiver Konstrukte wie Gedanken und Einstellungen der Lernenden.
Annahme, Interesse sei eine durch Anlage und Umwelt bestimmte Persönlichkeitseigenschaft
Geschichtliches Beispiele für kognitive Theorien:
Achievement Goal Theorie (Ames et al., 1992); beschreibt Auswirkung von gesetzten Zielen auf die individuelle Lernleistung.
Task Value Theory (Eccles et al., 1983); Lernmotivation wird vom subjektiven Wert einer Aufgabe bestimmt. Anreiz, Nützlichkeit, intrinsicher Wert und Aufwand spielen eine Rolle.
Theorie der Selbstwirksamkeit (Bandura 1977); die selbst wahrgenommene Aussicht auf Erfolg beeinflusst die Motivation.
Geschichtliches- Kritik am Kognitivismus Meyer&Turner (2002): kognitive Ansätze
vernachlässigen häufig emotionale, affektive, situationsspezifische und unterbewusste Aspekte von Motivation
Affekt wurde als kognitive Ergebnisvariable betrachtet Zielbeherrschung, hoher Aufgabenwert und
erhöhte Selbstwirksamkeit -> positiver Affekte Jedoch keine Erklärung, warum Personen sich z.B. für
gewisse Themen interessieren und für andere nicht. Forderung nach Klärung der Zusammenhänge
zwischen Motivation, Lernen und Zielerreichung. Praktische Umsetzung dieser Erkenntnisse um
Interesse und Motivation in Ausbildungsstätten z.B. durch gezielte Lehrpläne, neue Sitzordnung etc. zu fördern
Interessensforschung
Textbasierte Lernen war eines der ersten Gebiete, in dem die Interessensforschung zum Einsatz kam.
Viele traditionelle Ansätze zur Untersuchung des Einflusses von Interesse auf die Lernleistung und die Ausbildung von Interesse
Aktuelle Schwerpunkte: Beziehung zwischen Interesse, Lernen und Zielerreichung in unterschiedlichen Bildungsschichten.
Interessensforschung
Untersuchung von längerfristigem Interesse, Interessensveränderungen und Verbindung von kognitiver und affektiver Verarbeitung
Nachweis des Verfalls von Interesse an Unterrichtsgegenständen mit zunehmender Verschulung Möglicherweise durch Hinderung junger Schüler am
Ausprobieren und Kennenlernen neuer Inhalte Stärkste Abnahme des Interesses für Physik, Chemie
und Mathematik besonders bei Mädchen; evtl. mangelnde Bestärkung Es wird nicht davon ausgegangen, dass Kinder ihre
Fähigkeit zu Interesse verlieren.
Interesse
Begriff im Alltag verwendet in Z.h. mit motivationale Voraussetzungen positiven Gefühlen ähnlich Präferenzen,
Leidenschaften oder Anziehung. Neugier und Spaß am Lernen
Eigenschaft des sich entwickelnden Selbst
Differenzierung und Stabilisierung von Interessen als wichtiges Erziehungsziel
Interesse verbessert die Integration von neuer Information und Vorwissen
Interessensentwicklung
Starke Verschiebung der Interessen in der Pubertät
Häufig Anpassung an gender-role-Stereotype
Gisbert (1998, 2001): Durch sorgfältige Auswahl der Studienrichtung und Abwägung der Zukunftschancen bleibt langfristiges Interesse auch bei geschlechtsuntypischen Inhalten bestehen.
Auf lange Sicht werden Interessen ein wichtiger Bestandteil der Persönlichkeit.
Interessensbedingte Motivation
motivationaler Zustand, bedingt durch situationales oder individuelles Interesse
Ein motivationaler Zustand kann durch gewisse Prozesse und Veranlagungen verstärkt werden.
Der mit interessiertem Engagement verbundene Affekt wird meist als positiv beschrieben.
interessensbedingtes Handeln ist somit mit intrinsischer Motivation vergleichbar
Situationales vs. Individuelles Interesse
Situationales Interesse: durch bestimmte Aspekte des Umfeldes
ausgelöst kann (muss aber nicht) von Dauer sein.
Die Unterscheidung zwischen ausgelöstem vs. andauerndem situationalem Interesse wird oft verabsäumt.
Jedoch unterscheiden sich Interesse-auslösende Faktoren sich von den aufrechterhaltenden Faktoren
Situationales Interesse
Mitchell (1993): Gruppenarbeit, Rätsel und computergestützes Arbeiten löste Interesse Jugendlicher für Mathematik aus
Doch nur wahrgenommene Wichtigkeit und persönliches Engagement konnten dieses aufrechterhalten.
bei Studenten waren aufrechterhaltende Faktoren bessere Prädiktoren für das andauernde Interesse an der Studienrichtung als auslösende Faktoren.
Auslösende Faktoren bewirken nur kurzfristige Veränderungen der kognitiven und affektiven Verarbeitung
aufrechterhaltende Faktoren können zu langfristigen Veränderungen führen
Das Vier-Phasen-Modell der Interessensentwicklung
Hidi und Renninger (2003) Phase 1: Situationales Interesse für einen
bestimmten Inhalt wird ausgelöst Bleibt dieses erhalten folgt
Phase 2: Andauerndes situationales Interesse. Phase 3: wird als aufkommendes individuelles
Interesse bezeichnet. Sich entwickelndes Interesse wird durch Neugier
verstärkt, dazu kommt das Bedürfnis sich mit dem Inhalt zu identifizieren.
Phase 4: Diese letzte Phase wird als gut entwickeltes individuelles Interesse bezeichnet.
Situationales vs. Individuelles Interesse
Individuelles Interesse sowohl eine andauernde Neigung sich mit
Inhalten auseinander zu setzen als auch ein motivationaler Zustand.
Dieser duale Ansatz des individuellen Interesses wird allerdings selten berücksichtigt.
Es gibt auch moderne Ansätze, die wiederholte intereressierte Auseinandersetzung und infolgedessen die Entwicklung von Interesse als Veranlagung sehen.
emotionales vs. kognitives Interesse
Frühe Studien (Schank; Kitsch, 1979; 1980) unterschieden zwischen emotionalem und kognitivem Interesse
Vom aktuellen Forschungstandpunkt aus kann gesagt werden, dass diese Unterteilungen beide situationales Interesse beschreiben.
emotionales vs. kognitives Interesse
Harp&Mayer (1997): „emotionale und kognitive Einflüsse auf situationales Interesse führen zu unterschiedlicher Verarbeitung“.
Vergleich der Auswirkung verschiedener Textarten auf die Verarbeitung. kohärenter Text (kognitives Interesse) vs. kurze,
emotionale Textfragmente und Illustrationen (emotionales Interesse )
Kohärente Texte führten zu besserem Verständnis und Lerneffekten wissenschaftlicher Erklärungen
-> Annahme eines qualitativen Unterschied zwischen den 2 Arten von Interesse.
emotionales vs. kognitives Interesse
Hidi, Renninger und Krapp (2004): Unterscheidung zwischen emotionalem und kognitivem Interesse künstlich
vielmehr ständige Interaktion beider Komponenten bei der Entwicklung von Interesse.
keine neurowissenschaftlichen Hinweise auf ausschließlich emotionale oder kognitive Prozesse
Text-basiertes Interesse
Untersuchung von Textcharakteristika, die situationales Interesse auslösen können.
Dazu zählen laut frühen Studien: Neuheit des Textes unerwartete Informationen Intensität Konkretheit visueller Eindruck Wichtigkeit/ Wertigkeit
Text-basiertes Interesse
Schraw, Brunning und Svoboda (1995): 6 Quellen text-basierten Interesses: Verständlichkeit Vorwissen Lebhaftigkeit/ Klarheit (vividness) Engagement des Lesers Emotionalität
Text-basiertes Interesse
Faktoren weitgehend unabhängig; starker Zusammenhang mit wahrgenommenem Interesse
Vorwissen hat nur geringen Einfluss auf das wahrgenommene Interesse -> Wissen alleine ist für situationales Interesse nicht ausreichend
Einfluss des Umfeldes
…auf die Entwicklung von situationalem Interesses positive Auswirkung von Zusammenarbeiten
auf individuelles Interesse. Z.B. höheres Interesse für Physik in reinen
Mädchenklassen. Weitere Suche nach auslösenden
Umgebungs-Faktoren Die sogenannte Jigsaw-Lerntechnik
(Aronson, Blaney, Stephen, Sikes&Snapp), eine kooperative Lerntechnik zeigte ebenfalls eine Erhöhung des situationalen Interesses
Jigsaw bzw. Gruppenpuzzle (Berger&Hänze,2004)
Physikunterricht (12. Jahrgang) Rasterelektrodenmikroskop Mikrowellenofen
2 Gruppen Frontalunterricht Gruppenpuzzle
Ergebnis Puzzle günstig für intrinsische Motivation Ist aber Thema abhängig Leistungen unterschieden sich nicht Expertengruppe
Aufmerksamkeit als Mediator zwischen Interesse und Lernen
• Interesse ist definiert durch jede Aktivität, auf die mühelos und automatisch Aufmerksamkeit gelenkt wird (Erlyon, Reh und Siegelman, 1964)
• Interesse hat einen positiven Einfluss auf das Lernen (Berlyne, 1960)
• Die Beziehung zwischen Interesse und Lernen wird durch die Aufmerksamkeit moderiert (Renninger & Wozniak, 1985)
Aufmerksamkeit als Mediator zwischen Interesse und Lernen
Kindergartenkinder sind sich bewusst, dass Interesse ihre Aufmerksamkeit und das Lernen beeinflusst (Miller & Weiss, 1982)
Aufmerksamkeit ist eine Begleiterscheinung die gleichzeitig mit dem Lernen auftritt, aber keinen kausalen Zusammenhang hat (Schiefele,1998)
Studie (Schiefele,1998)
Textsegmente bearbeiten (lesen) Annahme: Leser unterscheiden Wichtigkeit und Interesse Und leiten so ihre Aufmerksamkeit. Gemessen Lesegeschwindigkeit
3 Vorhersagen A) Interesse als Hinweis für besseres Lernen
(bestätigt)
B) Interesse erzeugt Aufmerksamkeit und führt zu langsamerem Lesen und anderen Aufgaben- Reaktionszeiten. (nicht bestätigt)
C) die erhöhte Reaktionszeit könnte einen kausalen Zusammenhang beweisen (nicht bestätigt)
Widerspruch gegen Ergebnisse (Hidi 1995,2001)
Langsames Lesen u. Reaktionszeit Wichtigkeit bestimmen: Leser müssen auf
altes Wissen zugreifen, kontinuierlich vergleichen, durch kognitiver Aufwand brauchen sie länger
Nicht die gleichen Prozesse für interessante vs. wichtige Informationen
Interessante Informationen müssen nicht verglichen werden, daher schnellere Verarbeitung
Untersuchung
Widersprüchliche Annahmen (McDaniel, Waddill,Findstad und Bourg 2000)
Interesse -> mehr Aufmerksamkeit –> mehr Aufwand -> langsameres Lesen
vs.
Interesse -> automatisierte Aufmerksamkeit -> weniger Aufwand -> schnelleres Lesen
Untersuchung
Entwicklung unterschiedlich interessanter Geschichten (McDaniel 2000)
Erste Hälfte der Geschichten gleich interessant, zweite Hälfte unterschiedlich
Bearbeitungszeit wurde gemessen und verglichen Erste Hälfte: kein Unterschied zwischen interessant
und weniger interessant Zweite Hälfte: interessantere Geschichten schneller
gelesen als uninteressante Ergebnisse stützen Hidi: spontan erzeugte
Aufmerksamkeit -> effizientere und schnellere Verarbeitung bei Interesse
Untersuchung
Bei Geschichten steht das Interesse im Vordergrund deshalb werden diese schneller gelesen
Bei Sachtexten auch mit der Wichtigkeit befasst zusätzliche kognitive Leistungen langsameres Lesen und Bearbeiten
In keiner Untersuchung wurde von der Art des Interesses gesprochen
Es wird allgemein in Frage gestellt, ob Lesezeiten und Reaktionszeiten der beste Weg sind um Aufmerksamkeit in Verbindung mit Interesse zu messen
Interesse
Individuelles Interesse nicht nur bei erfahrenen Personen sondern bei allen Alters- und Niveaustufen (Alexander,1997)
Vorlieben für bestimmte Interessensgebiete entwickeln sich schon sehr früh (Krapp, 1999)
Auch Kinder können schon Vorlieben/ kognitive Einstellungen für bestimmte Gegenstände entwickeln (Kasten&Krapp,1986)
Interesse
Renninger (2002) Interesse unterstützt die geistigen Anlagen und
hilft im Umgang mit schwierigerem Material Schiefele und Krapp (1996)
Interesse wirkt sich positiv auf das Verständnis eines Textes aus
Aber negativ auf das wortwörtliche Wiedergeben Ergebnisse bestätigen den Einfluss von Interesse
auf kognitive Mechanismen Alexander& Murphy (1998)
Interesse hat nicht nur Einfluss auf den Lerninhalt, sondern auch auf die Lernstrategie
Interesse
Weitere Untersuchungen Interesse hat in allen Schulstufen Einfluss
auf die Kurswahl (Renninger, 1998)
Interesse hat Einfluss auf dir Berufsauswahl (Godfredson, 1981)
Soziale Beziehungen haben Einfluss auf Interesse und dessen Aufrecherhaltung (Gisbert 1998, 2001)
Es zeigte sich, dass nicht nur Interesse allein an z.B. der Studienwahl beteiligt ist, sondern auch emotionale Erfahrungen (Drottz-Sjoeberg, 1989)
Zwei Phasen des Interesses
Zwei Phasen von individuellem Interesse Auftauchen des Interesses
Beziehung herstellen positive Erfahrung und Gefühle
Gut entwickeltes Interesse Gut entwickelte Kenntnisse Erfahrungen
Phasen sind kausal verbunden (Hidi&Renninger,2003) Aus situationalem Interesse wird entwickeltes
Interesse
Gemeinsamkeiten und Unterschiede
Gemeinsamkeiten (Renninger, 1990) Einfluss auf: Aufmerksamkeit Strategien Gedächtnis
Unterschiede (Ainley, 2002, Hirn&Renninger, 2003) Aufgabenschwierigkeit Frustration Unterstützung von außen
Interesse
Drei Eigenschaften von Interesse Interesse ist Kontextabhängig
es entwickelt sich durch Interaktion mit der Umgebung
es ist eine kognitive und affektive Variable
Weitere Forschung
Es wird ein Mediator gesucht, der die Beziehung zwischen auf Interesse beruhendem Lernen und funktionalen Prozessen vermitteln kann (Schiefele&Rheinberg,1997)
Mögliche Mediatoren Aufmerksamkeit (Ainley 2002)
Lernstrategien (Alexander&Murphy,1998)
Emotionale Erfahrungen (Krapp&Lewalter, 2001)
Fragen an die Zukunft
Heckhausen (2000) Warum sind Studenten mit höherem
Interesse an einem Lerninhalt besser in der Lage Inhalte leichter zu lernen, zu strukturieren und zu behalten?
Was ist der Unterschied zwischen situationalem Interesse und der Ausbildung von neuen Perspektiven?