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Lebensart
Straße der Industriekultur |Gotha: Leinakanal und Schlachthof
Thüringen ist ein Land voller Traditionen inder deutschen Industrie. Es sind oft sehrschöne Industrie-Denkmäler erhalten ge-blieben, die als architektonisches Kleinodvon der bewegten Geschichte der Unter-nehmen erzählen. Mit unserer Serie zurStraße der Industriekultur wollen wir dieschönsten Denkmäler vorstellen und unsereLeser zu einer Fahrt einladen. Gemeinsammit dem Thüringer Wirtschaftsarchiv(TWA), dem Landesamt für Denkmalpflegeund Archäologie sowie der Thüringer All-gemeine (TA) gehen wir auf Suche nachden interessantesten steinernen Zeitzeugen.Heute besuchen wir Gotha mit dem Leina-kanal, dem Aquädukt und der alten Wurst-fabrik.
Frisches Nass aus dem Wald für Gotha
Thüringen verfügt mit dem Leinakanal übereinen Schatz, der sogar international einma-lig ist. Seit mehr als 650 Jahren versorgt derLeinakanal vom Thüringer Wald aus die Mittedes 12. Jahrhunderts gegründete StadtGotha. Gotha ist eine der wenigen Städteohne eigenen größeren Fluss. Gelegen an dereinstigen Handelsstraße Via Regia, wuchs
Gotha und benötigte einfach mehr Brauch-und Trinkwasser. Der Leinakanal bringt miteinem Gefälle von zwei Prozent frisches Nassaus dem Thüringer Wald auf einer Streckevon rund 29 Kilometern bis zum GothaerMarkt. Startpunkt der künstlichen Wassera-der ist der kleine Ort Schönau vor dem Walde,wo die wilde Leina einfach angezapft undzum Teil in den Kanal umgeleitet wird. AufBefehl des damaligen Landgrafen Balthasarwurden der Kanal und die Wallgräben inGotha angelegt. Im Jahre 1369 war das Bau-werk vollendet. Im 17. und 18. Jahrhunderterfolgten Erweiterungen, wie der Bau desFlößgrabens. Der Leina-kanal setzt sich insge-samt aus drei Gewässer-abschnitten zusammen:
z dem Kleinen Leinaka-nal, der am Hang desLangen Berges imThüringer Wald ent-springt,
z dem Flößgraben, deraus dem Wasser derApfelstädt oberhalbGeorgenthals abge-zweigt wird und
Von Tamara Hawich (TWA) und Dietmar Grosser (TA)
EIN AUSGEKLÜGELTES SYSTEM: (Bild links) Das Aquäduktbei Leina / Sundhausen, ein Teil des Leinakanals, erbaut1845-47 zur Überbrückung der Eisenbahnlinie |(Bild unten)Das Wasser fließt über die Brücke – Aquädukt bei Leina /Sundhausen
z dem eigentlichen Leinakanal, der von Em-leben nach Gotha fließt.
Am Leinakanal etablierten sich einst schät-zungsweise 20 Mühlen, wie die heute nocherhaltene Emlebener Mühle oder auch dieSundhäuser Mühle. Weitere technisch undkünstlerisch bemerkenswerte Bauten ent-standen im Zusammenhang mit dem Kanal,die den heutigen Status eines Industriedenk-males mehr als rechtfertigen: Ein besonderesHighlight ist das Aquädukt, das exakt beiLeina/Sundhausen steht und während desBaus der Bahnstrecke Gotha-Eisenach in denJahren 1845 bis 1847 errichtet wurde. Sinnder Sache war es, der neuen Bahnstreckeauszuweichen und die Stadt trotz der mo-dernen Verkehrsader weiter problemlos mitWasser zu versorgen.Außerordentliche Bauwerke sind danebennatürlich die Wasserkunst Gotha, der Lustka-nal (1730-1760), der kleine und der großeParkteich, außerdem allerlei Grotten, Brunnenund Wasserspiele in der Orangerie und inPrivatgärten. Der Freundeskreis Leinakanalsorgt dafür, dass der weltweit bedeutendeBau nicht vergessen wird.
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Wirtschaftsmagazin 05/2016
Automobilwerk Eisenach
Eisenacher Brauerei und Alte Mälzerei
Mewa Ruhla
Puppenfabrik Kämmer & Reinhardt Waltershausen
Schlachthof Gotha
Gebäude Deutsche Versicherungswirtschaft Gotha
Tobiashammer Ohrdruf
Uhrenfabrik Ruhla
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Die ersten Stationen der Straße der Industriekultur
Das Thüringer Wirtschaftsarchiv
e.V. (TWA) besteht seit 2010.
Es hat die Aufgabe, Quellen der
Unternehmensgeschichte zu sichern, zu
erschließen, zu verwahren und der Öf-
fentlichkeit zugänglich zu machen.
Neben dieser Serie bieten wir Ihnen hier
in loser Folge einen kleinen Einblick in
unsere Bestände. Es handelt sich um in-
teressante Neuzugänge in unser Archiv.
Ob Urkunden, Fotos, Prospekte, Verträge
oder Briefe, die Vielfalt macht den Reiz
der vorgestellten Archivalien aus. Wir
wünschen Ihnen viel Vergnügen beim
Lesen, Staunen und Erinnern.
Das TWA e.V. befindet sich in
Erfurt in der Lachsgasse 3.
www.twa-thueringen.de
IMPOSANT: Der ehemalige Schlachthof von Gotha: 1890/91 errichtet und bis 1990 in Betrieb. Nach einer umfangreichenSanierung ist der Komplex heute das Schlossparkcenter – eine beliebte Einkaufsadresse.
Unser Tipp:
Vom Wasser zur Wurst: Thüringer Wurstmit Wurzeln in Gotha
Ausreichend frisches Wasser ist besondersfür einen Schlachthof von Nöten. Das Städ-tische Schlachthaus am südwestlichen Stadt-rand von Gotha, das heute ein Industrie-denkmal ist, wurde 1890/91 im neugotischenStil errichtet. Es entstand nach Entwürfenvon Conrad Schaller. Das Schlachthaus sollteein Garant für eine dauernde gute Qualitätvon Fleisch und der schon damals berühmtenThüringer Wurst sein. Überhaupt hat dieseihre Bekanntheit wahrscheinlich durch diebereits im 19. Jahrhundert weit über dieThüringer Grenzen hinaus begehrte „GothaerWurst“ erlangt. Die populärste Sorte wardabei die Zervelatwurst. Schon vor 1850 ent-standen neben den zahlreichen Metzgereienauch erste Wurstfabriken zur Versorgung derwachsenden Bevölkerung. So die Fabrik vomGothaer Heinrich Auerbach. Weitere Wurst-
fabriken folgten. Gegen Ende der 1870erJahre gab es in Gotha allein sechzig Fleischer(Handwerksbetriebe und Wurstfabriken). EinDrittel befasste sich mit dem Exportgeschäft.Zur Ausfuhr kam an erster Stelle Wurst –Zervelatwurst, Sülze, Zunge, Leberwurst –,außerdem Schinken. Gekauft wurde die „Go-thaer Wurst“ in Deutschland, Österreich,Frankreich, England und Amerika. Täglichverließen die Stadt rund 50 ZentnerFleischwaren.
Doch dann stand plötzlich der gute Ruf der„Gothaer Wurst“ auf dem Spiel. Ein handfe-ster Skandal kam ans Licht! 1878 arbeiteteneinige Hersteller mit unlauteren Mitteln: Diehier fabrizierte Zervelatwurst färbte man mitAnilin und sogar ein verendetes Schweinhatte einer bei der Wurstverarbeitung ver-wendet! Und schon damals stürzte sich diePresse auf die Übeltäter. In den großen Städ-ten Frankfurt, Mainz, Koblenz, Köln und Düs-seldorf, bis dahin die wichtigste Kundschaft,sollen Plakate „Hütet Euch vor den Gothaer
Fleischwaren!“ gehangen haben. Ein Fiasko.Doch glücklicherweise gelang es den Gotha-ern, das Vertrauen der Käufer wiederzuge-winnen. Selbstanzeige, Strafverfolgung, öf-fentliche Erklärungen und letztlich dieEinführung einer strengen Kontrolle warenSchritte in die richtige Richtung.Der Skandal ließ in Gotha den Ruf nacheinem gut kontrollierbaren städtischenSchlachthof laut werden, ja letztlich beför-derte er tatsächlich den Bau dieser Einrich-tung. 100 Jahre war der Schlachthof in Be-trieb! Heute ist der historische Komplex deseinstigen Schlachthofes – einschließlich derfrüheren Ställe, Schlachthallen, des Kühl-und Kesselhauses, der Wäschereien, Werk-stätten und Verwaltungsbauten – saniert unddient als attraktives Einkaufszentrum.3
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