Angrenzungen: Raumordnungen und gesellschaftliche Implikationen
Mădălina Diaconu
Das Feld in Floridsdorf
Der Wiener Arbeitsbezirk Floridsdorf liegt nördlich der Donau und ist nicht gerade eine feine Wohngegend, aber mit seinen immer noch existierenden Bauernhöfen, Weingärten und Kukuruzfeldern (Maisfeldern), seinen Industrieanlagen und Gemeindebauten ein sehr interessanter Bezirk. Floridsdorf war nach dem Zweiten Weltkrieg bis 1955 sowjetische Zone.
Gegenüber unserem Farbgeschäft an der Westseite der nord-südlich verlaufenden Brünner Straße lag ein sehr großes Getreidefeld, das mir endlos erschien.
Ich fragte meine Mutter: „Was kommt nach dem Feld?“ Sie antwortete: „Russland!“
Ich fragte meine Großmutter: „Was kommt nach dem Feld?“ Sie antwortete: „Leopoldau!“
Die Frage war: Was kommt zuerst?
(Johanna Kandl 2005)
1. Der nächste Fremde: Allgemeine Bestimmungen der Nachbarschaft
2. Der Fremde nebenan: Urbane Nachbarschaft
3. Globale Nachbarschaft
1. Der nächste Fremde: Allgemeine Bestimmungen der Nachbarschaft
Konstante der Sozialorganisation
Räumlich-soziale Kategorie
„soziale Wirklichkeit der nahe beieinander Wohnenden“ (E. Schmidt 2007)
Relationale Identität
Vicinus: kontinuierlicher Raum, graduelle Nähe
Nachbar: Eigentum und Besitz, diskreter Raum benachbarter Einheiten
Der juristische Begriff des Nachbarn
„kein einheitlicher juristischer Begriff des Nachbarn, der in allen öffentlich-rechtlichen und privatrechtlichen Gesetzen Gültigkeit hat“ (Illedits & Illedits-Lohr 1999)
1. wechselseitige Unterlassungs- und Duldungspflichten
2. subjektive Betroffenheit durch das Verhalten eines anderen
Stop bothering your neighbours!
Positive und negative Nachbarschaft
Solidarität, Hilfsbereitschaft, aber auch starke soziale Kontrolle
Dissens: „Good fences make good neighbours.“ (Buster Keaton: Neighbors, 1920, Norman McLaren: Neighbours, 1952; Götz Spielmann: Der Nachbar, 1992; Ulrich Seidl: Hundstage, 2001)
Norman McLaren, Neighbours (1952)
Kein eigener Status der Nachbarschaft
Heidegger: der Mensch als „Nachbar des Seins“, Nachbarschaft von Dichten und Denken
Otto von Bollnow: Familie – Freunde – Fremde
Ludwig Binswanger: „Wirheit“ vs. Gegnerschaft
Ferdinand Tönnies: Verwandtschaft – Freundschaft – Nachbarschaft als Gemeinschaften
Asymmetrische Nachbarschaften
Norbert Elias, John L. Scotson: „Etablierte und Außenseiter“ (Winston Parva)
Kafka, „Der Nachbar“
Fazit
Gemeinsame Grenze: der eigene Nachbar ist der nächste Fremde
Zwischen dem Eigenen/dem Fremden, der Verwandtschaft/Freundschaft
Vertrautheit: wächst mit der Zeit
Performativität: Rituale der guten Nachbarschaft
Faktizität, Sequentialität, Mobilität
Situativität
2. Der Fremde nebenan: Urbane Nachbarschaft
Physische Nähe und Anonymität
Bedeutungsverlust der Nachbarschaft und Revival der Nachbarschaft in der Stadtplanung
Dezentristen vs. Anti-Dezentristen: Suburbane vs. innerstädtische Nachbarschaften
Die Debatte um die Nachbarschaftin der Stadtplanung
Kollektive Identität, City branding
Gegen Vermassung und
Isolation: informelle, freiwillige Sozialvernetzung
Sicherheit, informelle Sozialkontrolle
Fördert die Verantwortung und Bürgerinitiativen
Nachhaltige Entwicklung
Home-workers, Familien mit Kleinkindern, Senioren
„Classism“: gated communities, autarke Nachbarschaften rebellieren gegen die Stadt
Verringerung der physischen Mobilität
Einschränkung der individuellen Freiheit
Soziale und ethnische Segregation, Ausgrenzungen
Physikalischer Determinismus, social engineering (nicht planbar)
„New tribalism“, „hopeless nostalgia“
3. Globale Nachbarschaft
Schrumpfung der Welt: erweiterte Nachbarschaft
Die unmittelbaren Nachbarn sind fremder geworden als die entfernten.
Kosmopolitismus als Ethik der globalen Nachbarschaft?
Danke für die Aufmerksamkeit!
PD DDr. Mădălina DiaconuInstitut für Philosophie, Universität Wien