Universität Rostock
Philosophische Fakultät
Institut für Romanistik
HS:
Dozent: Dr. Svend Plesch
WS 2012
Pro-Seminararbeit
Miguel Ángel Asturias und die Stimme des indígena.Konzept eines kulturellen Brückenschlags in den Leyendas de
Guatemala
Verfasser: Simon Plettner
Spanisch, Bachelor
3. Fachsemester
Joliot-Curie-Allee 61
18147 Rostock
0381/4473992
Datum der Fertigstellung: 20.03.12
Inhaltsverzeichnis
1. Einführung in Problematik, Hypothese und Methodik......................................................1
1.1 Zugrunde gelegte Problematik.....................................................................................1
1.2 Hypothese....................................................................................................................2
1.3 Zur Fragestellung und Methodik.................................................................................2
2. Miguel Ángel Asturias – Autor und Werk, ein Kurzportrait..............................................4
3. Schlüsselbegriffe: indígena, indigenismo und nahualismo................................................5
3.1 Der Begriff ´indígena und die Bewegung des indigenismo.........................................5
3.2 Grundzüge guatemaltekischer Maya-Kultur................................................................7
3.3 Der ´nahualismo´ - eine indigene mesoamerikanische Glaubensvorstellung..............9
4. Die Leyendas de Guatemala.............................................................................................10
4.1 Zum Begriff der „leyenda“ und den Leyendas de Guatemala...................................10
4.2 Die „Leyenda de la Tatuana“.....................................................................................11
4.2.1 Inhaltsangabe.......................................................................................................11
4.2.2 Textimmanente Analyse und Interpretation anhand des Isotopieansatzes...........11
4.3 Zu möglichen Quellen der Inspiration und ästhetischer Wirkung.............................13
5. Resumen en castellano.....................................................................................................16
Anhang.................................................................................................................................17
1. Weitere Isotopien.........................................................................................................17
2. „Leyenda de la Tatuana“ Volltext................................................................................19
Literaturverzeichnis..............................................................................................................25
Plagiatserklärung..................................................................................................................27
Kulturkonzept Natur Kulturkonzept Technik
1. Einführung in Problematik, Hypothese und Methodik
1.1 Zugrunde gelegte Problematik
Kultur umgibt uns wie die Luft zum Atmen. Jedes menschliche Individuum wird durch sie
in seinen Werten und Einstellungen, seiner Weltanschauung und letztendlich in seinem
Handeln geprägt. So ergibt sich aus dem Kollektiv der Individuen die Gesellschaftsform.
Literatur spielt dabei eine Schlüsselrolle in der Tradition von Kultur. Ausgangspunkt dieser
Arbeit soll die Erfassung zweier oppositioneller, gar antagonistischer Kulturkonzepte sein,
die mit der Reconquista zu Ende des 15. Jahrhunderts erstmals und auf
lateinamerikanischem Boden in Berührung kamen. So war bis dato die Natur Kernaspekt
ursprünglicher ´Naturvölker´- also präkolumbinischer Kulturen des Kontinents. Sie prägte
das indigene Erleben und Auffassen von Welt und Umgebung. Das Aufeinandertreffen
zweier sich fremder Welten brachte jedoch eine Kultur-Kollision hervor, bei der fortan ein
neues Kulturkonzept als das vermeintlich überlegene importiert und der Blüte indigener
Weltauffasung langfristig das Licht genommen wurde. In neuerer Zeit lässt sich im Zuge
der europäischen Industrialisierung eine Fortsetzung dieser Problematik, wenn nicht gar
eine Zuspitzung feststellen, die bis heute fortwirkt. So beinhaltet der "als Befreiung
verstandene Anspruch der technologisch orientierten westlichen Zivilisation" (Janik 1976,
S. 18) als elementare Auswirkung seines Kulturkonzepts eine Umformung der Natur,
welche sich bis hin zur existenziellen materiellen Bedrohung indigener Kultur ausdehnt.
Grafisch könnten diese Kulturkonzepte wie folgt dargestellt werden:
1
´Equilibrio´/Entfaltung- Verbundenheit, Anpassung, nur wo nötig Beherrschung
= spirituelle Einigkeit mit Natur VerhältnisMensch zu Natur
Entwicklung/Fortschritt -Rohstoffe/ Erholung & Urlaub = Unterwerfung, Umformung,
Veränderung
1.2 Hypothese
An dieser Problematik soll sich die Fragestellung orientieren. Die Hypothese dieser Arbeit
vermutet, dass „Kultur“ ebenfalls eine Vermittlungsfunktion inne hat. Ausgedrückt durch
das selbstreflexive Interesse des Individuum von „fremden Kulturen“ zu lernen. So wird
auch davon ausgegangen, dass der behandelte Autor Miguel Ángel Asturias in Literatur die
Möglichkeit zur Vermittlung sah. Es wird also vermutet, dass Asturias durch seine
literarische Arbeit eine Chance sah, Verstehen und Annäherung zwischen der indigenen
und der westlichen Kultur zu befruchten, quasi als kulturellen ´Brückenschlag´.1
Terminologisch genauer soll dieser Versuch vorrangig auf die indigene Maya-Kultur
Guatemalas und den vornehmlich europäischen Rezipienten begrenzt werden. Der
Gegenstand literarischer Arbeit wird dabei auf die Leyendas die Guatemala eingegrenzt.
Da diese Fragestellung in ihrer Ganzheit äußerst spekulativ anmutet, soll sich
ausschließlich auf folgende Aussage des Autors aus einem Gespräch mit G. Lorenz gestützt
werden: (Hervorhebungen eigene, Original leider nicht in spanischer Ausgabe zur Hand)
"ASTURIAS: [...] Aber mitunter kommen bittere Gefühle auf. Sie persönlich kennen meinen Kontinent sehr
gut, aber wie viele in Europa denken so wie Sie? Und doch müßte es so sein, wenn sich wirklich etwas ändern
sollte.
LORENZ:
Dank der Literatur Lateinamerikas ist jetzt eine Möglichkeit gegeben, den Kontinent besser als bisher
kennenzuleren...
ASTURIAS:
Sehen Sie, da zeigt sich, daß der Weg immer über den Geist führen muß..."
Vollständiges Gespräch in (Lorenz 1970, S. 361)
1.3 Zur Fragestellung und Methodik
Aus dieser Hypothese ergibt sich die folgende Fragestellung: 1. Wenn ja, mit welchen
Mitteln und inwieweit ist dieser vermutete Versuch eines ´Brückenschlags´ in den
Leyendas de Guatemala zu finden? In einem zweiten Aspekt der Fragestellung soll
1 Nachdem ich diese Hypothese erarbeitet und formuliert hatte, bin ich in einer zweiten Lektüre auf folgendes Zitat des
guatemaltekischen Lyrikers und ehemaligen Sekretär Asturias´ gestoßen. Es enthält auch eben diese Idee: Asturias
wurde "»in seinem Leben nicht der Brückenschläger, sondern die Brücke zwischen dem Gestern und dem Heute, dem
Indio und dem Weißen«"Lorenz 1968, S. 9
2
außerdem untersucht werden, ob und inwiefern in den Leyendas de Guatemala die Stimme
des indígena erkennbar wird. Asturias Biografie lässt die Annahme entstehen, dass jener
Versuch vornehmlich dem westlichen, europäischen Rezipienten galt. Ein ´Verständlich-
Machen´ wird also vornehmlich aus indigenistischer Perspektive vermutet. Da Aussagen
über Intention und Motivation eines Autoren stets spekulativen Charakter beibehalten,
stellt sich zu Recht die Frage, welcher Erkenntisgewinn erwartbar ist. Doch bringt die
Hypothese trotzdem Frucht, ergibt sich daraus doch ein Analyse- und Interpretaions-
Modell, dass es ermöglicht durch seinen weit gespannten Rahmen sowohl spezifische
kulturelle Einzelelemente im Text zu präzisieren, als auch ein Zusammenspiel
verschiedener kultureller Elemente zu interpretieren. So kann z.B. der Fokus entweder nur
auf das Auftauchen von Maya-Elementen gelegt werden. Andererseits wäre ebenfalls ein
Zusammentreffen mit beispielsweise christlichen oder technokratischen Elementen
analysierbar. Aus dessen Interpretation wiederum ließen sich für den individuellen
Rezipienten letztendlich gar Rückschlüsse auf die eigene Wahrnehmung und den Umgang
mit Individuen der jeweils fremdartigen Kultur ziehen. Dies trägt außerdem die
unabdingbare Notwendigkeit mit sich, kulturelles Vorwissen zu erlangen, was auch eine
Grundvorraussetzung der gewählten methodischen Ansätze ist. Angewandt werden die
kulturwissenschaftlichen Ansätze des ´close-reading´ und ´wide-reading´. Es wird bei
dieser Betrachtung der grundsätzlichen Annahme kulturwissenschaftlicher Ansätze
Rechnung getragen, "dass die kulturelle Dimension einem literarischen Text inhärent ist
und gerade nicht äußerlich, von ihm abgeschieden, z.B. als ´kultureller Kontext´, ´sozialer
Hintergrund´ oder soziokulturelle Umgebung´." (Hallet 2010, S. 293). ´Kontext´ wird hier
also nicht verstanden als einbettende Umgebung des Textes, sondern vielmehr als
Schlüssel, mit dessen Hilfe sich die ´kulturelle Dimension´ eines literarischen Textes
aufschließen lässt. Wobei der Einzeltext als "soziokulturell relevante Stimme inmitten einer
Vielzahl anderer Stimmen" (Hallet 2010, S. 296) verstanden wird.
Zunächst sollen nun also Autor und Schlüsselbegriffe im Sinne des ´wide-reading´
vorgestellt wird. Bevor in einem zweiten Schritt textimmanent das ´close-reading´
angewandt wird. So soll im zweiten und dritten Kapitel lediglich Vorwissen generiert
werden, ohne dabei Vorannahmen zu suggerieren. Dies unterstützt den zweiten Schritt der
Arbeit, welcher sich im vierten Kapitel mit der textinternen Analyse und Interpretation
befasst.
3
2. Miguel Ángel Asturias – Autor und Werk, ein Kurzportrait
Am 19.10.1988 wird Miguel Ángel Asturias als Sohn eines mestizischen Juristen und einer
indigenen Lehrerin in (heute) Guatemala Stadt geboren. Bereits kurz nach seiner Geburt
wird die Familie aus wohlhabenden Verhältnissen aus politischen Gründen von dem
Diktator Cabrera aus der Stadt verbannt. Seine Kindheit verlebt Asturias größtenteils in der
ländlichen Region des Distrikts Baja Verapaz. Dort wird er von seiner Mutter unterrichtet,
und auch seine indigene Großmutter hat großen Anteil an seiner Erziehung. Sie ist es auch,
die ihm die Legenden der Maya erzählt. Nach dem die Familie mit der Begnadigung des
Vaters wieder in die "»verschlossene Welt« der Weißen und Mestizen" (Lorenz 1968, S.
12) zurückkehrt, nimmt Asturias 1917 das Jura-Studium an der San Carlos Universität auf.
Im selben Jahr wird seine Heimatstadt von einem starken Erdbeben getroffen. Der
Schrecken darüber prägt seinen Wandel hin zu einer literarischen Laufbahn. "»Das
Erdbeeben änderte alles, änderte es total.« [...] »Von den Ereignissen angeregt, begann ich
zu schreiben [...]« " (Lorenz 1968, S. 18), sagt er selbst. Trotzdem setzt er sein Rechts-
Studium fort. Bis hin zu einer Dissertation – summa cum laude – über ´Das soziale
Problem des Indios´. Doch damit nicht genug, sein Studium führt er - dem Vater zum trotz
- in Europa weiter. In seiner kurzen Zeit in London begegnet er im British Museum aufs
Neue seinen eigenen Wurzeln und seiner Kindheit, der Maya-Kultur. Zum weiteren
Studium wechselt er nach Paris, wo er "einen der wichtigsten Impulse" (1992, S. 257), den
Surrealismus um André Breton kennen lernt. Durch vertiefende Studien der Maya-
Geschichte und -Kultur trifft er außerdem nach eigener Aussage auf "»die bewegendste
Kraft« (Lorenz 1968, S. 28) seiner späteren literarischen Arbeit. Unter Anleitung des
Anthropologen und Maya-Forscher George Raynaud übersetzt er aus Mayaglyphen das
Popol Vuh und Los Anales de los Xahil, sakrale Schriften der Maya-Quiché und Maya-
Cakchiqueles. Das angeeignete Verständnis und Kulturwissen findet sich später im
bekannten Roman Hombres de Maiz (1949). In Paris entsteht ebenfalls sein ´Erstlings-
Werk´, die Leyendas de Guatemala.. Ende der 1930er kehrt er dann nach Guatemala
zurück, wo er 1928 die ´Universidad Popular de Guatemala´ gründet, welche heute seinen
Namen trägt. Eine Bildunseinrichtung, deren Ziel vorrangig die Bekämpfung des
Analphabetismus sei. Denn, so sagt er selbst, "»[...] Nur dann, wenn alle an den kulturellen
Möglichkeiten teilhaben können, die unsere Zeit bietet, ist die Möglichkeit für soziale und
politische Gerechtigkeit gegeben.«" (Lorenz 1968, S. 46) Soziale Verantwortung sieht er
ebenfalls beim Stand des Autor: "»Ich bin der Meinung, daß der lateinamerikanische
4
Schriftsteller einen wesentlichen und fortdauernden Auftrag hat: In seinem Werk die
Realität seines Landes zu reflektieren...«" (Lorenz 1968, S. 46) Diesem Auftrag kommt er
selbst mit den Werken El señor presidente (1946) und der sogenannten Bananentrilogie
(1949 – 1960) nach. Am 10. Dezember 1967 wird ihm in Stockholm der Literatur-
Nobelpreis überreicht. Ein Jahr zuvor hatte er – von regionalem Interesse – den Dr.hc., den
Ehrendoktor der Universität Rostock anerkannt bekommen.
3. Schlüsselbegriffe: indígena, indigenismo und nahualismo
"La belleza está en la naturaleza; la belleza existe en la
naturaleza: es la música de los pájaros, el color de sus
plumas; son la irregularidad de sus costas marinas y de
sus montes caprichosos." Miguel Angel Asturias (Lopez
Alvarez 1974, S. 171)
3.1 Der Begriff ´indígena und die Bewegung des indigenismo
Die Bezeichnung ´indígena´ (dt. indigen) ist nicht ohne Diskussion und ihre Verwendung
soll deshalb kurz erklärt werden. Dieser Begriff wird aus zwei Gründen gewählt. Will man
eine eindeutige Bezeichnung verwenden, um beschreibende Bezeichnungen zu vermeiden,
wie z.B.´Angehöriger der eingeborenen Volksstämme´, so ließe sich ersatzweise auch auf
den Begriff ´indio´ zurückgreifen. Zum einen ist dieser Begriff aber schlichtweg historisch
falsch, was sich durch ein "Missverständnis der Entdecker" (de Rottmann Schultheiß
Oktober/2007, S. 56), oder besser Eroberer erklärt. Zum anderen wird ´indio´ als politisch
nicht korrekt abgelehnt.2
Der ´indigenismo ´ lässt sich in eine literarische und eine sozio-ökonomisch politische
Form einteilen.3 Er hat einerseits den Erhalt der indigenen Kultur und Sprache zum
2Der anfangs neutral genutzte Begriff ´indio´ enthielt im Laufe der Zeit eine "negative Konnotation" und "wurde als
Synonym fur Rückstandigkeit, Irrationalitat, Sturheit, Armut, Dummheit und Faulheit verwendet." Dies lässt sich auch im
heutigen (guatemaltekischen) Sprachgebrauch feststellen: "No seás indio! ‚Versteh doch endlich!’, puro indio ‚So ein
Starrkopf!’, ala, qué indio ‚So ein Frechdachs!’, toda la indiada ‚die ganze Mischpoke bzw. Verwandtschaft’, por tus
indiadas ‚wegen deiner Launen’."de Rottmann Schultheiß Oktober/2007, S. 56
3vgl. Larrouse Wörterbuch für Guatemala, zitiert aus de Rottmann Schultheiß Oktober/2007, S. 48(Original leider nicht
5
Anliegen. Andererseits ist er in aktueller Form allgemein auch um die Verbesserung der
materiellen Lebensbedingungen der indigenen (latein-)amerikanischen Völker bemüht. Er
kann grundsätzlich als Versuch einer Reaktion auf die bis heute andauernde
`Europäisierung´ oder `Zivilisierung´ aufgefasst werden, die wir seit der Reconquista
vornehmlich in Lateinamerika feststellen. Dabei lässt sich der (latein-)amerikanische
Kontinent innerhalb der Bewegung geografisch in drei Räume einteilen. Im Norden die
USA und Mexiko. Im mesoamerikanischen Raum unter anderem Guatemala. Zu guter
Letzt auf dem iberoamerikanischen Kontinent vor allem der andinen Raum mit Peru und
Bolivien. Ein besonderer Fokus wird in dieser Arbeit auf den guatemaltekischen Raum
gelegt. Trotzdem soll zur Verständigung im weiteren eine kurze Schilderung der
Entstehung in globaler Umschau erfolgen. Zur Entstehungsgeschichte ließen sich bereits
Vorläufer im 16. Jahrhundert finden.4
In jüngerer Geschichte lässt sich dazu als bedeutendes Ereignis wohl der"I Congreso
Indigenista Americano" (de Hoyos Sáinz 1949, S. 180) nennen, welcher 1940 stattfand und
die Gründung nationaler Institute zur Erforschung des ´Problems des Indios´ zur Folge
hatte, so in Guatemala bis heute das ´Instituto Indígenista Nacional de Guatemala´.
Historischer Kontext war die Herausbildung eines "Mestizenstaat mit westlichen
Bräuchen" (de Rottmann Schultheiß Oktober/2007, S. 49), welche nach den Ende der
Unabhängigkeitskriege wohl nahezu überall auf dem lateinamerikanischen Kontinent
stattfand. Diese zog den Versuch einer Akkulturation der indigenen Völker mit sich. Genau
an dieser Stelle findet sich aber auch ein erster Kritikpunkt speziell zum literarischen
´indigenismo´. Denn obwohl er als Reaktion auf diese Problematik im Sinne indigener
Interessen verstanden werden kann, muss er grundsätzlich wohl doch als "obra de
mestizes" (Comejo Polar 1978, S. 18) aufgefasst werden. So weißt Comejo Polar darauf
hin, dass anhand der formalen Struktur in indigenistischer Literatur ein"signo
occidentalizado" (Comejo Polar 1978, S. 18), also eine Orientierung an westlicher
Literatur erkennbar sei. So ließe sich sogar von europäischen Epochenbegriffe in selber
chronologischer Abfolge sprechen, etwa von einem "indigenismo romántico o [...]
zur Hand): "indigenismo m. Tendencia cultural o escuela literaria que estudia especialmente los tipos y asuntos
indígenas. // Movimiento políticosocial americano que revaloriza la cultura y la vida del indio de América Latina. […] //
condición de indígena (S. 330)."
4 So zum Beispiel bei Bartolomé de las Casas und den von ihm erwirkten ´Leyes de Indias´. Zur Problematik der
Kultur-Kollision zwischen Autochthonem und Europäer sei hier auf den "in Guatemala oft verwendeten Diminutiv
"indito" hingewiesen, der als "Synonym für schwach, unfähig, arm, rückständig, unmündig, dumm und naiv" wohl v.
a. in Guatemala häufige Verwendung fand. Vgl. Herbert 202: 144, zitiert aus de Rottmann Schultheiß Oktober/2007,
S. 49 (Original leider nicht zur Hand.)
6
indigenismo realista." (Comejo Polar 1978, S. 18). Ebenfalls würde die Entscheidung
darüber was ´indigenismo´ ist somit ebenfalls unter okzidentaler Orientierung beschlossen.
Orientiert also an einer Gesellschaft, charakterisiert durch ihren Glauben an Entwicklung
und Fortschritt und ihre Abhängigkeit von kapitalistischen Wirtschaftsstrukturen. So wird
die Aussage Vargas Llosa verständlich, der vor allem auf den andinen Raum bezogen zitiert
wird mit folgenden Worten: "los escritores peruanos decubrieron al indio cuatro siglos
después que los conquistadores españoles y su comportamiento con él no fue menos
criminal que el de Pizarro." (Comejo Polar 1978, S. 18) Insofern müsse in jedem Falle der
Unterschied zwischen "literatura indígena" und "literatura indígenista" (Comejo Polar
1978, S. 17) beachtet werden. Nichtsdestotrotz vertritt der indigenismo bei jeglicher
Pluralität indigene Interessen und nimmt sich der Problematik an. Er befindet sich insofern
dennoch auf dem "curso histórico de las naciones que guardan el vigor de los pueblos que
la conquista no pudo liquidar." (Comejo Polar 1978, S. 21) Dies ist wohl nicht zuletzt vor
allem dem sozio-ökonomisch politischem Einsatz indigenistischer Vertreter zuzuschreiben.
So hat sich zu Beginn der 1980er Jahre eine Bewegung formiert, die bilanzierend erkennen
lässt, dass "die indígenas heute ihr Schicksal tatsächlich in ihre eigenen Hände genommen"
haben (de Rottmann Schultheiß Oktober/2007, S. 50). In diesem "Kampf gegen die
Unterdrückung und für die soziale Eingliederung" (de Rottmann Schultheiß Oktober/2007,
S. 50) haben sich die Maya Guatemalas entgegen anderer Nationen für eine intellektuelle
´Waffe´ entschieden, dem "Studium ihrer Sprache als Kulturträger" (de Rottmann
Schultheiß Oktober/2007, S. 50).
Um diesen Gedanken aufzunehmen, sollen nun im weiteren einige Grundzüge der
guatemaltekischen Maya-Kultur dargestellt werden. Denn diese kann ohne Zweifel als die
umliegende Kultur, und somit als Schlüssel zu den Leyendas de Guatemala bezeichnet
werden.
3.2 Grundzüge guatemaltekischer Maya-Kultur
Zur Stimme der indígenas und damit zu Elementen der „kulturellen Dimension“ in den
Leyendas de Guatemala, sowie auch allgemein im literarischen Werk Asturias´, lassen sich
mehrere Feststellungen machen. Zum einen muss die grundsätzliche Ausrichtung auf orale
Tradition genannt werden. Asturias selbst betont deren Bedeutung und erläutert: "Es
natural, no tienen otro medio de informaciones y de guardar sus informaciones que su
7
propia memoria..." (Lopez Alvarez 1974, S. 164). Dem folgend erklärt Asturias die
Gewohnheit der mündlichen Erzählungen oder Berichte5 aller guatemaltekischen
indígenas, genauer der "indígenas guatemaltecos, maya quichés, maya cakchiqueles"
(Lopez Alvarez 1974, S. 163). Diese „relatos“ tragen die populären Mythen, sie dienen
quasi als Gedächtnis des Volkes Bei dieser Form der Tradition wird weder zwischen
Realem und Irrealem, noch zwischen Traum und ´Wirklichkeit´ unterschieden. So ergibt
sie die Verwandlung dessen, "lo que es un hecho real en una leyenda y lo que es una
leyenda en un hecho real." (Lopez Alvarez 1974, S. 164).6
Eine weitere Grundeigenschaft wurde bereits zu Anfang dieses Kapitels mit Asturias
zitierten Worten zur Schönheit der Natur angedeutet. Asturias führt dies weiter aus, und
betont dabei die Rolle des Menschen, genauer wohl des indígena:
"Todo existía, sí: pero no era mágico, no estaba al servicio humano, no tenía relación con el hombre,
en el sentido en que esta relación se hace paternidad, es decir, se hace umbilicalidad, se hace hoja o
hijo del que crea, sostiene y disfruta. No tenía prolongación. Era estática. Existente. Bella. Pero sin
la dinámica del arte, de la magia, el elemento que el hombre endiosador, el hombre artista-mago, iba
a darle. A partir de aquí intervienen los dioses mayas y crean los llamados MAGICOS-HOMBRES-
MAGICOS." (Lopez Alvarez 1974, S. 171)
Hieraus kann man zum einen die Nähe und den elementaren Bezug der Maya zur Natur
erkennen. Was nicht zuletzt immer wieder als ausreichend erachtet wurde, den indígena als
rückständig und primitiv zu diffamieren. Doch diese empfundene Einigkeit mit der Natur
geht noch weiter. Wie bereits im Zitat erkennbar umfasst die Weltanschauung der Maya
eine bedeutsame elementare spirituelle Ebene. Grossmann formuliert die Relation des
indígena zur Natur wie folgt: "Spiritualisierung des Natürlichen bei gleichzeitiger
Kosmisierung des Menschlichen" (Grossmann 1969, S. 76). Janik erklärt sogar, dass man
im Kontext des hispanoamerikanischen Roman eigentlich von "»magischer
Naturauffassung«" statt von "»magischer Wirklichkeitsauffasung«" (Janik 1976, S. 23)
sprechen müsste. Was nur deshalb nicht geschieht, um den europäischen Rezipienten nicht
zu verwirren, da dieser Natur schlicht als Landschaft missverstehen könnte. Der Natur wird
vom indígena also eine vielfach bedeutsamere Rolle zugesprochen. Die spirituelle Ebene
5 vgl. "relatos" im Original in Lopez Alvarez 1974, S. 164
6 Es handelt sich hierbei um die Grundzutat dessen, was später als der ´realismo mágico´ Asturias´ bekannt wird. Da
diesem Begriff bereits eine Unmenge an Literaturkritik gewidmet wurde, findet er in dieser Arbeit nicht gesondert
Erwähnung. Vgl. z.B. die Bibliografie von de Andrea mit 21 Einträgen direkt mit "realismo mágico´ im Titel.
8
des indígena charakterisiert sich aber noch um einen weiteren Aspekt. Dies ist das Konzept
oder der Glaube vom ´nahualismo´, welcher nun skizziert wird.
3.3 Der ´nahualismo´ - eine indigene mesoamerikanische
Glaubensvorstellung
Janik betont, dass die Maya-Kultur Guatemalas nicht als folkloristische aufgefasst werden
darf. Etwa im Sinne eines Museums-Objekts oder einer primitiven Minderheit. Sondern
ganz im Gegenteil als "in sich geschlossene und gegenüber der hispanisch geprägten
Kulturwelt parallele Kultur" (Janik 1976, S. 31). Folglich handelt es sich um eine nach wie
vor lebendige und aktive Kultur. So ist auch der ´nahualismo´ eine nach wie vor lebendige
Glaubensvorstellung. Welche nebenbei auch großen Einfluss auf die Literatur
Lateinamerikas hatte und hat.7 Die Ergründung des ´nahualismo´ stellt sich als komplex
heraus. So trifft man neben diesem Terminus auch noch auf die Formen des ´nagualismo´
und des ´tonalismo´8. Zwei Grundmuster lassen sich dennoch herauslesen. Grundsätzlich
entspricht der ´nahualismo´ dem Glauben, dass jedem Menschen bei seiner Geburt in
Verbindung mit einem ´nahual´ tritt. Dieses ´nahual´ hat die Form eines Tieres, "sea una
pájaro, una serpiente, un tigre, un puma, un conejo" (Lopez Alvarez 1974, S. 165) und
dient als Begleiter und Beschützer in Gefahr. Dies geht soweit, dass der indígena
beispielsweise bei Verletzungen den Schmerz des ´nahual´ spürt - und umgekehrt - und gar
selbst die Verletzung erhält, die sogenannte "Konsubstantibilität von Mensch und Tier"
(Janik 1976, S. 32) Zum anderen ist da der Glaube oder die Vorstellung, dass bestimmte
Individuen zu einer Metarmorphose vom Mensch zum Tier befähigt sind9.
7 vgl. dazuJanik 1976, S. 31, sowie Asturias in eigenen Worten in Lopez Alvarez 1974, S. 165
8 Vgl. Janik 1976, S. 32–42
9 Asturias verbindet die beiden letzt genannten Aspekte des ´nahualismo´ gar und erklärt: "como es herir a un tigre en
un puente y el tigre desaparecer del puente, y lejos de ahí, en otro lugar muy lejano, encontrar a un indígena que tiene
en el hombro la misma herida que se le causó al tigre. Es decir, que hay la creencia, según el nahualismo, de que el
hombre puede en momento de peligro transformarse en el animal que le protege, o viceversa." Lopez Alvarez 1974, S.
165
9
4. Die Leyendas de Guatemala
"Entre los indios existe una creencia en el Gran Lengua, el vocero
de la tribu. Y con cierto modo es lo que he sido: el vocero de mi tribu."
Miguel Angel Asturias (Lopez Alvarez 1974, S. 5)
4.1 Zum Begriff der „leyenda“ und den Leyendas de Guatemala
Asturias Leyendas de Guatemala können durch seine "unmittelbare Rückbesinnung der
Literatur auf die Volksliteratur in den 30er-Jahren" (Günther 1995, S. 351) als ein großer
Beitrag zur Wiederentdeckung der Maya-Mythen und damit Reaktivierung der
mittelamerikanischen indigenen Kultur in der lateinamerikanischen Literatur betrachtet
werden. Dies eröffnet die Frage, was man generell unter dem Begriff ´leyenda´ versteht.
Cárcamo-Huechante erwähnt die Definition des Diccionario de la Real Academia de la
Lengua Española. Dieses nennt im erweiterten Sinne eine Definition von „leyenda“als
"Relación de sucesos que tienen más de tradicionales o maravilloso que de históricos o
verdaderos" (Cárcamo-Huechante 2006, S. 3) So weißt Cárcamo-Huechante darauf hin,
dass sich bereits am Titel Leyendas de Guatemala sowohl die diskursive als auch die
symbolische Tragweite des Werkes erkennen lässt.10 Hier lässt sich auch eine Aussage zur
Hypothese dieser Arbeit treffen. Denn, wie Asturias selbst sagt, handelt es sich bei den
Leyendas de Guatemala um "leyendas populares", geschrieben unter anderem "para que
todo el mundo pueda participar en estas creencias y en estas formas de ser que son pura y
legítimamente americanas." (Lopez Alvarez 1974, S. 166) In den Gesprächen mit Lopez
Alvarez erwähnt Asturias ebenfalls, dass die spanische Religion, die katholisch-christliche
Religion und damit ihre konquistadorischen Vertreter die indigenen Mythen und ´leyendas´
grundsätzlich als Teufelswerk herabstufte: "Para ellos, los artes indígenas eran cosas del
diablo, fastos de Satanás..." (Lopez Alvarez 1974, S. 171) Dies finden wir unter anderem in
der „Leyenda de la Tatuana“ wieder: "Así en las leyendas del Cadejo, de tatuana, del
Sombrerón, serpentea la presencia diabólica y se agita todo un inquietante mundo
escondido." (Bellini und Soriano 1969, S. 25) Ob und wie Asturias insofern in der
beispielhaft gewählten ´Leyenda de la Tatuana´ tatsächlich einen kulturellen
Brückenschlag thematisiert, soll nun in einem analytischem Schritt betrachtet werden.
10vgl.Cárcamo-Huechante 2006, S. 1
10
4.2 Die „Leyenda de la Tatuana“
4.2.1 Inhaltsangabe
In dieser Leyenda verteilt der Meister Mandelbaum seine Seele unter vier Wege auf. Einem
grünen, einem roten, einem weißen und einem schwarzen. Dieser letzte schwarze Weg
verkauft seinen Teil der Seele an einen Juwelenhändler. Als der Meister Mandelbaum
davon erfährt, wandelt er sich durch Metamorphose in menschliche Gestalt und macht sich
auf in die Stadt, um seine Seele zurück zu gewinnen. Doch der ausgemachte
Juwelenhändler lässt sich auf keinen Handel ein, und so klopft der Meister beim Verlassen
seine Sandalen aus, in dem Wissen, dass der Staub einen Fluch enthält. Der
Juwelenhändler gerät ein Jahr später, nach vierhundert Tagen, auf dem Rückweg vom
Sklavinnenmarkt in einen orkanartigen Sturm. Er hatte dort die Seele gegen die Sklavin
Tatuana eingetauscht. Diese ist letztendlich die einzige Überlebende des Unwetters und
trifft in plötzlich romantischer Atmosphäre auf den Meister. Abrupt werden beide
festgenommen und wegen Zauberei angeklagt und in den Kerker geworfen. Dort ritzt der
Meister der Tatuana ein Schiffchen auf den Arm und verhilft ihr somit auf magische Weise
zur Flucht vor dem sicher geglaubten Todesurteil. Am nächsten Morgen finden die
Gefängniswärter nichts als einen vertrockneten Baum vor.
4.2.2 Textimmanente Analyse und Interpretation anhand des Isotopieansatzes
Unter Anwendung des kulturwissenschaftlichen Ansatzes vom „close reading“ soll nun
musterhaft die „Leyenda de la Tatuana“ analysiert werden. Anliegen des „close reading“
ist, einen Erkenntnisgewinn aus struktuellen Einzelelementen und deren Zusammenwirken
zu erlangen, ohne textexterne Vorannahmen anzuwenden. Um sich dem Bedeutungsgehalt
der „Leyenda de la Tatuana“ möglichst präzise nähern zu können, soll versucht werden,
„Isotopien“ zu erarbeiten. Anhand des daraus entstehenden"Isotopieketten" (Heinemann
1991, S. 38) soll in einem zweiten Schritt versucht werden, Schlüsse zur „inhärenten
kulturellen Dimension“ des Einzeltextes und seine Bedeutung für die Fragestellung der
indigenen Stimme in Asturias Leyendas de Guatemala zu ermöglichen, sowie eine
möglicherweise vorhandene kulturelle Opposition im Text aufzuschließen. Daraus ergäben
sich Rückschlüsse für die Hypothese In der folgenden Tabelle wird auf die von
Heinemann/Viehwegger verwendete Terminologie zurückgegriffen.11
11Vgl. Heinemann 1991, S. 38–40: Diese stellen drei Formen der Semrekurrenz fest (1-einfache Wdh.,2-variierte
Wiederaufnahme, 3-grammatische Substitution). Außerdem nennen sie die ´Koreferenz´, den Bezug der Semen zur
11
Der Text wird in spanischer Sprache analysiert, um möglichst die Problematik der
Übersetzbarkeit zu umgehen. (Die Zeilenangabe entsprechen der Ausgabe Buenos Aires,
1949. Der Volltext dieser Ausgabe ist unter dem Aspekt der Nachvollziehbarkeit im
Anhang untergebracht.)
Abschnitt
(Seite;
Zeile)
Semen Isotopie Form d.
Isotopieket
te
Koreferenz Superthema
A (44; 1-5) Maestro/sacerdotes/
sabe/secreto/voca-
bulario de la
obsidiana/jeroglífi-
cos de las
constelaciones
Weisheit 2-variierte
Wiederauf-
nahme mit
Paraphrasen
Maya-Gelehrter
A (44;1-11)
M (48; 29f)
Hombres
blancos/creyéndoles
de oro/riqueza/lugar
de la Abundancia/
en nombre de Dios
y el
Rey/cruzes/espadas
/ / Spanisch-
katholische
Konquistadoren
.Auch heutige
profitgerichte-
te okzidentale
Welt.
Reconquista,
man denke
nur an die
heute noch
populäre
Legende von
´El Dorado´
B (44;14ff) Caminos/ cuatro/
opuestas
direcciones/ cuatro
extremidades/
negra/verde/roja/bla
nca
/ / Superthema Maya-Mythologie
Auf dem Weg zum Ort des
Todes (Xibalbá) kreuzen sich
die vier Wege der genannten
Farben. Der Schwarze Weg
bezirzt die Reisenden – der
Maya-Mythologie nach-
damit, dass er sagt, er sei der
König der Wege. Ausgerechnet
er führt aber direkt in den Tod
Wirklichkeit, als wichtige Bedienung. Ein Kritikpunkt des Isotopieansatzes besteht darin, dass nicht alle
Isotopierelationen durch bloße Semanalyse anhand von Isotopieketten erkannt werden können. So bedürfe es an
manchen Stellen eines Textes eines "Superthema" Heinemann 1991, S. 40, welches man über die Semrekurrenz hinaus
feststellen kann.
12
nach Xibalbá.12
F (45; 25)
N (49; 19)
túnica verde/barba
rosada
ramas/ florecitas de
almendro/ rosadas
Mandel
baum
2-var.
Wiederauf-
nahme mit
Synonymen
Mandelbaum /
G (46; 16f)
H (46; 28)
M (48; 32)
N (49; 3)
Esclava más bella/
esclava comprada/
luciendo las carnes/
Tatuana
Besonder
e Sklavin
2 – var.
Wiederauf-
nahme mit
Synoymen
Sklaven-
handel
/
4.3 Zu möglichen Quellen der Inspiration und ästhetischer
Wirkung
Durch diese semanalytische Analyse sind nun mehrere Elemente der inhärenten kulturellen
Dimension der „Leyenda de la Tatuana“ aufgeschlüsselt. Dabei wird nicht der Anspruch
auf Vollständigkeit erhoben, es ließen sich mit Sicherheit noch mehr kulturelle Elemente
finden. Doch beispielhaft zeigt bereits diese Analyse sowohl Elemente der indigenen
Kultur der Maya, als auch der konquistadorisch-christlichen respektive allgemein
europäischen Kultur auf.
Zunächst sollen nun drei mögliche Quellen der Inspiration zu dieser Leyenda aufgezeigt
werden. So erläutert Jorge Campos in den Erklärungen im Anhang zur 1970 erschienenen
bonarensischen Ausgabe der Leyendas de Guatemala, dass es sich bei der „Leyenda de la
Tatuana“ um die "repetición de la leyenda de Chimalmat, la diosa que en la mitología
quiché se torna invisible por encantamiento" (Asturias 1977, S. 162) handeln könne. Leider
ist es mir im zeitlichen Rahmen der Arbeit nicht möglich gewesen, diese „Leyenda de
Chimalmat“ explizit ausfindig zu machen. Dennoch taucht die Göttin Chimalmat
namentlich an einer Stelle im Popol Vuh auf. Es handelt sich um das "Zwischenspiel der
Halbgötter" (Cordan 1995, S. 38–43). Dieser Textabschnitt aus dem Popol Vuh -hier in der
Übersetzung von Wolfgang Cordan- handelt von Siebenpapagei (auch Vucub Caquix).
Dieser ist so "überstolz auf sich selbst" (Cordan 1995, S. 38) und seinen ganzen Besitz,
dass die Götter beschließen, "seinen Reichtümern ein Ende" (Cordan 1995, S. 39) zu
machen. Chimalmat ist die Frau von Siebenpapagei. Wenn auch nicht vergleichbar, ist also
12vgl.Asturias 1977, S. 156
13
eine ähnliche Nähe zwischen diesen beiden Charaktern festzustellen, wie es sich zumindest
der Juwelenhändler in der Leyenda zur Tatuana herbeizusehnen scheint.13 Letztendlich
kommt Siebenpapagei zu Tode. Mit ihm seine Frau Chimalmat. Die göttlichen Jünglinge
erklären dies so: "Und das soll das Schicksal der Menschen sein, damit nicht Macht, nicht
Reichtum sie verblende." (Cordan 1995, S. 39). Eine Parallele zum Juwelenhändler und als
Superthema gar zur spanischen Reconquista oder zur Geld-orientierten europäischen
Weltanschauung (Kapitalismus) ist nicht zu verkennen.
Als weitere mögliche Quelle der Inspiration sei erwähnt, dass bereits vor Asturias
Leyendas de Guatemala eine volkstümliche Legende von einer Tatuana existierte.
Ebenfalls eine Sklavin, welche ebenfalls – so die Legende – wegen Zauberei in den Kerker
geschmießen wurde. Auch ihr gelang es durch ein an die Wand gemaltes Schiffchen zu
entkommen.14 Zu guter Letzt sei der guatemaltekische Literat und Dichter José Milla
(1822-1882) genannt. Marroquín macht in seiner Biografie zu Asturias darauf aufmerksam,
dass Milla´s Werk sehr prägend und inspirierend für den jungen Asturias gewesen sein
muss. So findet sich in Milla´s Roman „Don Bonifacio“ (1862) ebenfalls die Figur der
Tatuana wieder, welche dem Protagonisten Don Bonifacio durch Zauberei den Ausbruch
aus der Gefängniszelle ermöglicht..15
Im letzten Abschnitt soll nun die ästhetische Wirkung analysiert und zugleich interpretiert
werden. Dabei wird vom ersten analytischen Schritt des Isotopieansatzes ausgegangen.
Würde man in diesem desweiteren die Semen el Maestro/naturaleza humana/
nuevamente/desnundándose/forma vegetal (Abschnitt F: S. 38; Z. 10ff) sowie árbol seco
(Abschnitt N: S. 41; Z.15) hinzuziehen, ließe sich die einfache Isotopie vom Mandelbaum
auf ein Superthema erweitern. So hat die Schiffchen-Tätowierung des in menschliche
Gestalt verwandelten Mandelbaums die Kraft der Tatuana "siempre que te halles en
peligro" (Asturias 1977, S. 41) zu hellfen. Letztendlich rettet er sie damit vor dem Tod.
Dies lässt auf den ´nahualismo` schließen. Nicht ganz klar wird, warum es sich bei seiner
Metamorphose um eine Verwandlung aus pflanzlicher Gestalt handelt, wo der Glaube des
´nahualismo´ in erster Linie tierische ´nahuals´ kennt. Doch lässt sich in dem Protagonisten
13vgl. Lopez Alvarez 1974 (Abschnitt H: Z. 16-20)
14Für den Nachweis dessen konnten leider ausschließlich Internetquellen ausgemacht werden. So beispielsweise
http://www.viajeporguatemala.com/guatemala/cultura/leyendas/tatuana.html. Interessant ist hier ebenfalls die audio-
visuelle Darstellung dieser Volkslegende zu finden unter www.youtube.com, mit dem Stichwort „Leyenda de la
Tatuana“.
15Vgl Marroquín 1988, S. 51f
14
des verwandelten Mandelbaums in menschlicher Gestalt noch etwas zweites feststellen.
Denn zum Ende der Handlung wird eine nahezu romantische Annäherung zwischen
Mandelbaum und Tatuana beschrieben. Dies scheint gar untypsich für ein ´nahual´ zu sein.
Grossmann erklärt außerdem, dass in der Weltsicht des indígena jegliche persönliche
Offenbarung verboten sei. Wo sie sich nicht vermeiden ließe, da sie schlicht menschlich
sei, zöge sich sich "in den innersten Winkel Winkel des Herzens zurück, voller Scheu, sich
in Worten zu offenbaren." (Grossmann 1969, S. 76). Gerade diese persönliche Offenbarung
wird in der Szene vor der Verhaftung von Mandelbaum und Tatuana aber empfunden und
dargestellt. Eine Annäherung des indigenen an das europäische Weltempfinden zu deuten
ist damit vielleicht interpretativ möglich. Dadurch wird dem europäischen Rezipienten der
Zugang zur letztendlichen Dramatik vereinfacht und gar zugespitzt.
Pollmann weißt außerdem daraufhin, das man in dieser Leyenda den "Verlust jener Einheit
des Naturseins, die den Indianern vor dem Einbruch der Zivilisation eigen war" (Pollmann
1984, S. 24) finden könne. Zu erkennen ist dies in dem endgültigen Verlust des Seelen-
Teils des Meister Mandelbaums durch den Juwelenhändler. Als „Brückenschlag“ ließe sich
hier zum einen anführen, das der schwarze Weg, ein indigenes Element und Symbol des
Todes, die Seele in die Stadt verkaufte. Der indígena, so könnte man interpretieren, ist also
nicht ausschließlich als Opfer des Europäers (verkörpert durch den Juwelenhändler) zu
sehen, sondern trägt ebenfalls Verantwortung. Außerdem überdauert letztendlich der
Mandelbaum den Juwelenhändler, welcher unter Einsatz seines Lebens feststellen muss,
das nicht alles durch unbezahlbare Juwelen erwerblich ist. Ein Indiz für die Anerkennung
der elementaren Rolle der Natur auch für die westliche Welt. Und ein Plädoyer für ein
Aufeinander zu gehen und Voneinander lernen. Denn Respekt vor der Natur kann nur von
dem gelernt werden, der ihn bereits hat. Kritisch offen lassen muss man jedoch die Frage,
was der indígena von „Weißen“ lernen kann und muss. Was die in Abschnitt 1.3
formulierte Annahme berührt, dass Asturias Vermittlungs-Versuch vorrangig dem
europäischen Rezipienten galt.
15
5. Resumen en castellano
En el presente trabajo la hipótesis supone que la cultura como rasgo elemenental puede
traer una función de conectar a los pueblos, y con ello a los seres humanos individuales. En
otras palabras significa que la cultura funcione como nexo. Partiendo de un antagonismo
histórico que constantemente existe hoy en día en el continente latinoamericano, entre el
concepto cultural de la naturaleza y el concepto cultural de la técnica, aumenta la
posibilidad de conectarlos por la literatura como medio de cultura. En este sentido se trata
de un intento, transformando la suposición básica en forma concreta al autor Miguel Ángel
Asturias y su obra Leyendas de Guatemala. Analizando se constituye la prueba de que
Asturias empleó elementos tanto indígenas como occidentales para demonstrar una
oposición cultural y al mismo tiempo originar interés al receptor frente la cultura
extranjera. Ajustando metódos cientificos culturales llamados conceptos de ´close-reading´
y ´wide-reading por consecuencia sirven para abrir la dimensión cultural interna del texto.
De modo que la mayor parte del trabajo explique palabras y contenidos claves para asumir
conocimientos previos como llaves para la segunda parte de la analización e interpretación
textual. Concluyendo con el ´close-reading´, exactamente empleado por medio del
´Isotopieansatz´. Estos dos elementos hallados, tanto indígenas como occidentales, sirven
para deducir lo que se quiere expresar en la ´La Leyenda de la Tatuana´ abriendo la ventana
de la cultura respectivamente extranjera. En resumen el autor Miguel Ángel Asturias da al
receptor preferentemente occidental o aun mestizo, la posibilidad de entrar en un mundo
extranjero y desconocido. A su vez le motiva pensando e incluso reflejando en sus propios
rasgos culturales. De todos modos se concluye que Miguel Ángel Asturias utilizó su
trabajo literario como medio de cultura y en consecuencia como possibilidad de un nexo
cultural para que todos sean inspirados estando bajo el juicio de cada uno.
16
Anhang
1.weitere Isotopieketten
A (37;1-11)
E (38; 7-9)
Almendro/árbol/amaneció/bosque/ninguno losembraba/fantasmas/árbol que anda/Admiración de losrosales/nubes/ropas/cielo
/ / Popol Vuh Kreation d.Bäume, welchebis in denHimmel wachsen(=anda) (vgl.{Asturias 1977#19: 155}sowie{Cordan 1995#46: 30}
B (37; 12f)
D (38; 1f)
K (40; 16)M (40;23,28,31)
llenar/luna delBúho-Pescador/(2x) cuántaslunas /cuántas lunas/(2x) cuántaslunas/luna delBúho-Pescador
Monde =Angabe für
Zeit
1-einfacheWdh.
Búho-Pescador,"wie einer der
zwanzig Monatedes Jahres mit
vierhundert Tagenheißt" {Asturias1979 #14: 40}
= Maya-Zeitrechung
B (37; 14)C (37; 26)D (38; 5)G (38; 22)G (38; 40)E (38; 23)
alma/alma/alma/parte de su alma/pedacito dealma/la
Seele 1-einf. Wdh,bzw. im Fall„la“ → 3-
grammatischeSubstitution
Seelenglauben indieser Form
speziell ElementchristlicherReligion (?)
E (38; 6)
G (38; 23-37)
H (39; 19)
Mercader deJoyas sin precio/ caja de cristal/cerradores deoro/ cien arrobasde perlas/ joyas/sinprecio/oferta/amuletos/ojos denamik/plumascontra latempestad/mariguana/piedraspreciosas/ lagode esmeraldas/
KostbareWertgegens
tände imVorgang
einesMarkthand
el
2 – var.Wiederaufnah
me mitAnonymen
Es werdensowohl von
Maya als auchvon Europäern/Konquistadoren
als wertvollerachtete
Gegenständegenannt
/
vales
G (38; 35) Plumas contra latempestad
Unwetterals
todbringender Fluch
2 – var.Wiederaufnah
me mitParaphrasen
Koreferenz Maya-MythologieAnm.: Bezeichnend ist, dass
letztendlich gerade ein (hier anonymer)Baum den Tod bringt. Man könnt
interpretativ auch noch einen Schrittweiter gehen, und feststellen, dass derHändler durch seine Wurzeln den Todfindet. Zwar nicht durch seine eigenen,
aber dennoch könnte man imspirituellen Sinne einen längeren Atemder Natur ggü. dem Menschen oder garder ursprünglichen indigenen Kultur
ggü. der vermeintlich Geld-orientierteneuropäischen hinter der Handlung
vermuten
I (39; 36) sueño/barquito/ virtud/tatuaje/voluntad/pensamiento/aire/cierra los ojos/invisible/movimiento/escápo
MagischerRealismus
/Verschmelz
ung vonTraum undWirklichke
it)
2 – var.Wiederaufnah
me mitAnonymen
/
2.„Leyenda de la Tatuana“ in: Asturias, Miguel Angel (1949): Leyendas de Guatemala. Buenos Aires: Editorial Losada.Online verfügbar unter: http://ufdc.ufl.edu/UF00078366/00001/1
A
B
5
10
15
20
C
D
E
F
5
10
15
20
25
30
G
5
10
15
20
25
30
35
H
I
5
10
15
20
25
25
J
K
L
M
5
10
15
20
25
30
N
5
10
15
20
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