Materialwissenschaft I - Keramik-Kapitel 4 4-1
4. Strukturkeramiken
Unter dem Sammelbegriff Strukturkeramik sind diejenigen keramischen
Werkstoffe zusammengefasst, welche hauptsächlich für Bauteile
verwendet werden, die mechanische Funktionen erfüllen. Sie werden
vornehmlich im Maschinenbau, in der chemischen Verfahrenstechnik
und in der Biotechnik eingesetzt. Der Grund, der für den Einsatz von
Strukturkeramiken spricht, ist die Kombination der folgenden
Eigenschaften:
• ausgezeichnete Hochtemperaturbeständigkeit/Korrosionsbeständigkeit
• hohe Festigkeit bei hohen Temperaturen • grosse Härte • geringe Dichte (wichtig für schnell bewegte Bauteile) • gute Abrasionsbeständigkeit gegen eine Vielzahl von Medien
Diese Vorteile müssen die Nachteile der Keramiken, wie höhere
Herstellkosten und der nur statistisch beschreibbaren mechanischen
Eigenschaften aufwiegen. Dieses Kapitel behandelt hauptsächlich die
vier wichtigsten Vertreter der Strukturkeramiken:
• Aluminiumoxid • Zirkonoxid • Siliziumkarbid • Siliziumnitrid
Die gebräuchlichen Stukturkeramiken sind alle entweder Oxide, Nitride
oder Karbide. Die verschiedenen Anionen bewirken unterschiedliche
charakteristische Eigenschaften. Der kovalente Bindungsanteil, und
damit auch die Härte, nimmt in der Reihe Oxid - Nitrid - Karbid zu.
Materialwissenschaft I - Keramik-Kapitel 4 4-2
SiO2 Si3N4 SiC B4C C Diamond
Elektronegativitätsdifferenz 1.54 1.1.4 0.65 0.5 0 kovalenter Bindungsanteil
[%] 68 75 85 92 100
Bildungsenthalpie1 (bei 298K) ∆Hf [kJ/mol] -910 -828 -72 -62 -2
Härte ( Knoop, kg/mm2) 820 2200 2700 3500 7000
Bild 4-1: Vergleich der Siliziumverbindungen.
Vorbemerkung zu den angegebenen Materialkennzahlen:
In den folgenden Unterkapiteln sind für jeden der besprochenen
Werkstoff am Anfang neun physikalische Kennzahlen angegeben. Es ist
wichtig zu wissen, dass die aufgeführten Werte stark von den
Herstellbedingungen der Proben abhängig sind. So hat zum Beispiel ein
geringer Anteil an Restporosität im Material einen recht großen Einfluss
auf die Dichte, das Wärmeleitungsvermögen und die mechanischen
Eigenschaften. Selbst dichte Proben weisen je nach Korngrössen
Unterschiede in den mechanischen Eigenschaften auf. Ein weiterer
Faktor ist die Reinheit der Werkstoffe. Die angegebenen Werte sind
Durchschnitte für industriell hergestellte Bauteile. Es ist klar, dass unter
hoch optimierten Laborbedingungen hergestellte Keramiken deutlich
bessere Werte zeigen können. Alle angegebenen Werte wurden bei
Raumtemperatur gemessen wenn nichts anders angegeben ist.
Bedeutung der Kennzahlen
Die folgenden Werte sind jeweils aufgeführt:
ρ Dichte (g/cm3)
E E Modul (GPa) 1 Minerals Engineering; Fracture toughness and surface energies of covalent minerals: theoretical
estimates, Minerals Engineering, In Press, Corrected Proof, Available online 5 November 2003, D. Tromans and J. A. Meech
Materialwissenschaft I - Keramik-Kapitel 4 4-3
KIC Bruchzähigkeit (MN/m1/2)
σB Biegebruchspannung (MN/m2=MPa)
m Weibullmodul (m; dimensionslos)
H Härte (in Knoop, oder Vickers (Hv10))
α Wärmeausdehnungskoeffizient (K-1)
λ Wärmeleitkoeffizient (W/mK)
Smp Schmelzpunkt (°C)
Quellen für die Kennzahlen sind:
- Technische keramische Werkstoffe, Deutscher Wirtschaftsdienst
- CRC Handbook of Chemistry and Physics
Materialwissenschaft I - Keramik-Kapitel 4 4-4
4.1. Aluminiumoxid α - Al2O3
Am häufigsten wird Al2O3 (Englisch: Alumina) in seiner α-Modifikation,
auch Korund genannt, verwendet. Die einkristalline Form von Al2O3 ist
der Saphir (Merke: Das Saphir-Uhrglas ist kein Glas, sondern ein farbloser
Einkristall!). Ist ein Saphir mit Chromoxid dotiert hat er eine tiefrote
Farbe und heisst Rubin.
Kennzahlen Al2O3:
Spez. Gewicht ρ (g/cm3)
E (GPa) KIC (MN/m1/2) σB( MPa) m (1) Härte
(Hv10) α (x10-6 K-1) λ (W/mK) Schmelzp.
(°C)
3.98 400 3.4 400 ~10 2100 5.5 - 10 36 (bei RT) 2050
Struktur
α-Al2O3 hat rhomboedrische Kristallstruktur (Kristallklasse gehört ins
trigonale Kristallsystem).
Strukturdaten: a=b=4.75 Å, c=12.99 Å; a=b=90°, g=120°
Die Sauerstoffanionen im Aluminiumoxid bilden dichtest besetzte
Ebenen, welche hexagonal gestapelt sind (A-B-A-B). Die Kationen
besetzen zwei Drittel der zwischen den Sauerstoffebenen vorhandenen
Oktaederlüken. Die drei Mölichkeiten zwei Atome in drei Lükentypen zu
verteilen ergeben drei verschiedene Typen von Kationenebenen, welche
sich im Al2O3 regelmässig abwechseln.
Materialwissenschaft I - Keramik-Kapitel 4 4-5
Bild 4-2: Struktur von Al2O3, grosse Kreise entsprechen
Sauerstoff, kleine schwarze Aluminium, kleine leere
Kreise sind unbesetzte Oktaederlücken [2].
Die Aluminiumionen haben eine Koordinationszahl von 6, die
Sauerstoffionen eine solche von 4.
Die Ionenradien betragen 0.53 Å für Al3+ und 1.38 Å für O2-.
Aluminiumoxid wird aus Bauxit – einem Sedimentgestein aus Oxiden
und Hydroxyden von Aluminium und Eisen, sowie aus verschiedenen
Silikaten – über den Bayer-Prozess (siehe Keramik I) extrahiert.
Modifikationen:
Die Oxide und Hydroxyde des Aluminiums kommen in etlichen Formen
vor. Diese sind aber bei Raumtemperatur alle metastabil und wandeln
nach einer Wärmebehandlung in α-Al2O3 um. Einige der
Umwandlungsreaktionen, zum Beispiel diejenige von Theta zu Alpha
Aluminiumoxid, sind mit einer Volumenänderung verbunden, was die
Verwendung dieser Modifikationen in der Formgebung für
2 L. D. Hart (ed.), Alumina Science and Technology Handbook, The American Ceramic Society, Westerville,
Ohio, 1990.
Materialwissenschaft I - Keramik-Kapitel 4 4-6
Keramikbauteile einschränkt da während der Sinterung ein villständiger
Umbau der struktur und somit auch des Pulvergefüges stattfindnen
würde.
Bild 4-3: Umwandlungsschema von Aluminiumoxiden und Hydroxyden [3].
Böhmit
Böhmit ist das Aluminiumhydroxyd, welches sich mit der kleinsten
Korngrösse herstellen lässt. Er dient deshalb aus Ausgangspulver für
viele Al2O3 Anwendungen..
γ-Al2O3
Diese Modifikation lässt sich mit einer hohen spezifischen Oberfläche
herstellen. g-Al2O3 wird deswegen unteranderem als Katalysatorträger
eingesetzt.
α- Al2O3
3 K. Wefers, C. Misra, Oxides and Hydroxides of Aluminum, Alcoa
Technical Paper No. 19, Alcoa Laboratories, 1987.
Materialwissenschaft I - Keramik-Kapitel 4 4-7
Diese Form ist die Hochtemperaturform die oberhalb 1070°C vorliegt. Sie
wird als feinstgemahhlenes Pulver ( Korngrösse < 0.5 µm) dotiert mit 500
ppm MgO für die Herstellung von Ingenieurkeramik verwendet. Dichtes
α-Al2O3 wird bei Sintertemperaturen von >1400 °C erhalten mit
gleichmässigem Korn im Gefüge.
Bild 4-4: Gefüge von Al2O3 Keramik.
ZrO2 verstärktes Aluminiumoxid ZTA (Zirconia Toughned Alumina)
Durch Einlagerung von ZrO2-Teilchen in die Al2O3 Matrix ist es gelungen,
die Zähigkeit von Aluminiumoxid zu verbessern. Der
Verstärkungsmechanismus beruht auf der Energie aufzehrenden
Phasenumwandlung des ZrO2 von der tetragonalen in die monokline
Gitterstruktur. So kann der KIC von Al2O3 von 3.4 MPa m1/2 auf bis zu 5.1
MPa m1/2 gesteigert werden. Das Ausmass der Verstärkungswirkung wird
über den Phasenanteil und die Korngrösse des ZrO2 gesteuert. Diese
Phasentransformation ist martensitisch, d. h. sie läuft displaziv mit
Schallgeschwindigkeit ab. Sie wird durch eine äussere mechanische
Spannung getriggert und ist die intelligente Antwort des Materials auf
eine Überlastung.
Materialwissenschaft I - Keramik-Kapitel 4 4-8
4 µm
Bild 4-5: ZTA mit 4 Masse-% ZrO2. Aufgrund des
Massenkontrastes im REM erscheinen die ZrO2 Körner
hell.
Anwendungen
Die mengenmässig bedeutendste Anwendung von (allerdings qualitativ
schlechtem) Al2O3 ist die Isolation von Zündkerzen für
Verbrennungsmotoren.
Einatzgebiete für hochwertiges Aluminiumoxid sind Chipträger dund
Hüftgelenkskugeln oder andere medizinische Implantate, Pumpenkolben
für den Betrieb mit aggressiven oder abrasiven Medein, Fadenführer für
die Textilindustrie und Hochtemperaturbauteile.
Materialwissenschaft I - Keramik-Kapitel 4 4-9
Bild 4-6: Hüftgelenkspfannen (links) und -kugeln (Mitte) aus Aluminiumoxid. Ganz rechts sind Gelenkspfannen aus Polyethylen, dazwischen zwei verschiedene Schafttypen [4].
4 Larry L. Hench, Bioceramics, J. Am. Ceram. Soc. 81 (1998) 1705.
Materialwissenschaft I - Keramik-Kapitel 4 4-10
4.2. Zirkonoxid ZrO2
Durch seine Fähigkeit die Energie eines laufenden Risses durch
Phasenumwandlung aufzufangen ist Zirkonoxid dem Aluminiumoxid in
den mechanischen Eigenschaften bei Raumtemperatur teilweise
überlegen. Eine gute Zusammenfassung über die martensitische
Umwandlung von ZrO2 Keramiken ist bei Richard H. J. Hannink zu finden
im Artikel " Transformation Toughening in Zirconia-Containing
Ceramics" (J. Am. Ceram. Soc., 83 [3] 461–87 , 2000).
Kennzahlen ZrO2:
ρ (g/cm3) E (GPa) KIC (MN/m1/2) σB( MPa) m (1) Härte (Hv10) α (x10-6 K-1) λ (W/mK) Schmelzp. (°C)
5.89 200 6-12 100-1200 ~15-20 1300 10 2 (bei RT) 2680
Die Strukturen von ZrO2
ZrO2 zeichnet sich durch seine Polymorphie aus. Beim Abkühlen von
reinem ZrO2 aus der Schmelze kristallisieren die Körner zuerst kubisch,
wandeln danach in eine tetragonale Phase um und verbleiben
schliesslich in einer monoklinen Tieftemperaturphase.
2680 2370 1170,C C CSchmelze kubisch fest tetragonal monoklin° ° °⎯⎯⎯→ ⎯⎯⎯→ ⎯⎯⎯→ Gl.: 4-1
Materialwissenschaft I - Keramik-Kapitel 4 4-11
Sauerstoff
Zirkon
monoklin
tetragonal kubisch
Sauerstoff
Zirkon
monoklin
tetragonal kubisch
Bild 4-7: Die drei festen Phasen des Zirkonoxids.
Kristallsystem Raumgruppe Gitterdaten [Å] Dichte (g/cm3) Kubisch a=b=c α=β =γ=90°
Fm3m a = 5.124 6.090 (berechnet)
Tetragonal a=b≠c α=β=γ=90°
P42/nmc a = 5.094 c = 5.177
6.100 (berechnet)
Monoklin a≠b≠c≠a α=γ=90° β>90°
P21/c a = 5.156 b = 5.191 c = 5.304 β = 98.9°
5.830
Tabelle 4-1: Strukturdaten der Phasen von ZrO. Bei der Umwandlung kubisch-tetragonal
erfolgt nur eine minimale Änderung der Gitterparameter. Bei der Umklappung von
tetragonal zu monoklin ändert sich die Dichte hingegenum ca 5%.
Die diffusionslose Umklappung von tetragonal zu monoklin ist mit einer
Volumenzunahme von 3-5% verbunden. Diese Tatsache führt dazu, dass
keine Bauteile aus undotiertem ZrO2 hergestellt werden können, da diese
bei der Phasenumwandlung während der Abkühlung von der hohen
Sintertemperatur (dort liegt das Material in seiner teragonalen Phase
Materialwissenschaft I - Keramik-Kapitel 4 4-12
vor) in die monokline Phase wieder in Pulver zerfallen. In den zur
Keramikzwecken verwendeten Zirkonoxidpulvern muss verhindert
werden, dass diese Phasenänderung eintritt. Erreicht wird dies durch
Zugabe von Dotierelementen, vor allem Y2O3 aber auch CaO, MgO oder
CeO2. (siehe hierzu das Phasendiagramm ZrO2-Y2O3). Diese Oxide
verschieben die tetragonal-monoklin Umwandlung zu so tiefen
Temperaturen, dass sie nicht mehr stattfindet (kinetisch gehemmt).
Die unterschiedlichen ZrO2 Werkstoffe
TZP (Tetragonal Zirconia Polycrystals)
Im System ZrO2-Y2O3 gibt es zwei interessante Zusammensetzungen. Bei
ca. 3 mol YO3/2 liegt das Gebiet des TZP -Materials. Es wird bei hoher
Temperatur (1300-1400°C) gesintert. Bei Raumtemperatur liegt dann das
dichte Material in seiner metastabilen, tetragonalen Symmetrie vor. Die
Körner sind sehr klein (0.3 µm). Das Material ist sehr zäh (KIC~6
(MNm3/2)und hochfest mit einer Bruchfestigkeit von mehr als 1000 MPa.
PSZ (Partial Stabilized Zirconia)
Wird mehr Y2O3 im ZrO2 gelöst, so liegt das Material nach der Sinterung
in seiner kubischen Modifikation vor. Es wird bei hoher Temperatur von
1600-1700 °C gesintert. Anschließend wird das Material bei
Temperaturen im Zweiphasengebiet kubisch + tetragonal getempert.
Dabei scheiden sich in den kubischen Körnern kohärente tetragonale
Ausscheidungen aus. Diese können dann durch äussere Spannungen
induziert umwandeln.
Materialwissenschaft I - Keramik-Kapitel 4 4-13
Bild 4-8: Das System ZrO2-Y2O3 mit den zwei ZrO2 Werkstoffen TZP (Tetragonal Zirconis polycrystals) und PSZ (Partial Stabilized Zirconia). Y2O3 Dotierung zieht alle Phasengrenzen zu tiefere Temperaturen.
Im System ZrO2 - MgO (oder auch CaO) gibt es das PSZ bei etwa 8-10
mol% MgO.
m-
t-
t+c
c - feste Lösung
Gehalt
m-
t-
t+c
c - feste Lösung
Gehalt
m-
t-
t+c
c - feste Lösung
Gehalt
m-
t-
t+c
c - feste Lösung
Gehalt
Bild 4-9: Das System ZrO2 - MgO mit PSZ bei 8-10 mol % MgO
Materialwissenschaft I - Keramik-Kapitel 4 4-14
Das Material wird bei 1600-1800°C gesintert und dann im Phasenfeld t+c
eine Ausscheidungsglühung durchgefürt. Dies fürht zu kohärenten t-
Ausscheidungen die bis kurz vor der kritischen Grösse gebracht werden.
Durch äussere Spannungen wandeln diese dann um.
ZTA (Zirconia Toughened Alumina)
Zrirkonoxid kann auch bis ca. 15 vol% in Al2O3 eingelagert werden. Al löst
sich nicht in ZrO2 und Zr löst sich nicht in Al2O3. Es liegen also beide
Phasen im Gleichgewicht vor. Sind die ZrO2 Teilchen klein genug, dann
wandeln sie nicht um und liegen bei RT in der tetragonalen Modifikation
metastabil vor.
Bild 4-10: Gefüge von a.) Mg-PSZ mit t - Ausscheidungen in den C-Körnern. b.) TZP mit einer Korngrösse von ca. 0.3 µm. c.) ZTA mit hellen ZrO2 Körner (im SEM) in der grauen Al2O3 Matrix.
Die Gefüge dieser Werkstoffe sind in Bild 4-10 gezeigt. PSZ zeichnet sich
aus durch relativ grosse kubischen Körner im µm Bereich. Diese besitzen
kohärente tetragonale Ausscheidungen die bei Raumtemperatur
metastabil sind mit einer Grösse im sub- µm Bereich.
Materialwissenschaft I - Keramik-Kapitel 4 4-15
TZP hat nach dem sintern 0.3 µm Körner.
ZTA weist relative grosse Körner im µm Bereich und dazwischen kleine t-
ZrO2 Körner.
Die martensitische Phasenumwandlung bei ZrO2
Die Umwandlung von der tetragonalen in die monokline Form erfolgt
displaziv (also diffusionslos und sehr schnell) und ist mit einer 5 % igen
Volumenzunahme verbunden. Lose t-Körner vergrössern schlagartig ihr
Volumen bei der t→m Umwandlung. Körner die in einer Matrix
eingespannt sind wandeln bei Unterkühlung auch dann um wenn sie
gross genug sind den monoklinen Keim bis zu seiner kritischen Grösse
aufzunehmen.
Die Transformation ganz zu unterdrücken ist aber nicht erwünscht, denn
gerade darauf beruhen die guten mechanischen Eigenschaften der
Zirkonoxid-Strukturkeramik. Die Umwandlung soll jedoch erst durch die
äusseren mechanischen Spannungen getriggert werden können. Die
Volumenzunahmen der Körner drückt dann den von aussen kommenden
Riss zu, was zur hohen Zähigkeit von ZrO2. führt. Im Folgenden sind zwei
zähigkeitssteigernden Mechanismen skizziert:
Materialwissenschaft I - Keramik-Kapitel 4 4-16
a b c
tetragonal monoklin monoklin
a b c
tetragonal monoklin monoklin
Bild 4-11: Bei der Transformation von der tetragonalen in die monokline Symmetrie ( von a.) nach b.) macht das Korn eine große Volumenvergrößerung durch (~5%) die gegen die Matrix arbeiten will und da sie dies nicht kann, elastische Energie induziert die der Umwandlung entgegenwirkt. Dadurch kann die tetragonale Symmetrie metastabil bis unter ihre "nicht eingesperrte" Umwandlungstemperatur bis auf Raumtemperatur hinunter erhalten bleiben. Die Transformation kann durch elastische Spannungen dann induziert werden.
Normalerweise ist man bestrebt die tertragonalen Körner in ihrer
metastabilen Modifikation bis zur Raumtemperatur zu erhalten. Sind
jedoch einzelne Körner in der Matrix beim Abkühlen von der
Sintertemperatur umgewandelt, dann bilden sich Mikrorisse um diese
Körner aus.
Verstärkungsmechanismen
Umwandlungsverstärkung durch Mikrorissbildung
Ein umwandelndes Korn führt durch seine Volumenzunahme im
Umgebungsbereich zur Bildung von Mikrorissen. Trifft ein laufender Riss
auf das Korn wird durch das Spannungsfeld das Mikrorisssystem
aufgeweitet und absorbiert so die Rissenergie. Er wird gestoppt.
Materialwissenschaft I - Keramik-Kapitel 4 4-17
Kritischer Riss
Laufender Riss Energie wird absorbiert
Bild 4-12: Die Energie eines laufenden Risses wird durch im Gefüge vorhandene Mikrorisse absorbiert [1].
Spannungsinduzierte Umwandlungsverstärkung
Die tetragonalen Körner des ZrO2 liegen nach der Sinterung in einer
metastabilen Form vor. Eigentlich sollten sie bei Raumtemperatur in der
monoklinen Form sein. Durch die hohen Druckspannungen des Gefüges
(der Matrix) und durch die Kleinheit der ZrO2 Körner konnte die
Phasenänderung beim Abkühlen von der Sintertemperatur aber nicht
stattfinden. Eine wichtige Konsequenz dieser Umwandlungsdeformation
ist, dass sie zu einer zusätzlichen Druckspannung führt die gegen die
weitere Umwandlung anderer Körner in der Matrix gerichtet ist. Dabei
müssen aber die ZrO2 Teilchen klein genug sein, damit sie nicht von
selbst schon bei der Abkühlung nach der Herstellung durch die
thermischen Spannungen umwandeln. Eine Obergrenze ist etwa 1µm in
einer ZrO2. Matrix. In Al2O3 können sie etwas grösser sein da diese
Matrix wesentlich steifer ist als ZrO2. Vor der Umwandlung muss zuerst
ein monokliner Keim für die Phasenumwandlung vorhanden sein. Legt
man mechanische Spannung an dieses metastabile tetragonale Material,
so bildet sich in einem tetragonalen Korn ein monokliner Keim. Dieser
Keim braucht Oberflächenenergie, gewinnt aber wiederum
Volumenenergie.
Materialwissenschaft I - Keramik-Kapitel 4 4-18
r kritisch<KGwandelt nicht um
σ
r kritisch<KGwandelt um
tm
r kritisch
tm
r kritisch
t
r kritisch
m
σ
t
r kritisch
m
σ
∆G K
eim
bild
ungs
ener
gie
∆GOberfl =4π r2∆γt→m
∆G Volumen =4/3 πr3 ∆Gt→m
r
∆G
r kritisch<KGwandelt nicht um
σ
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∆G Volumen =4/3 πr3 ∆Gt→m
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∆GOberfl =4π r2∆γt→m
∆G Volumen =4/3 πr3 ∆Gt→m
r
∆G
Bild 4-13: Kritische Keimgrösse der t→m ZrO2 Umwandlung und kritische Korngrösse. Ist das
Korn im t-Material zu klein, sodass der Keim durch die äussere Spannung erzeugt nicht mit
seiner kritischen Grösse im Korn Platz hat und ein neuer Keim entsteht bei weiterer Erhöhung
der Spannung, dann wandelt das Korn nicht weiter spontan in die monokline Symmetrie um.
Ist das Korn jedoch größer als die kritische Keimgrösse, dann wandelt es ab einer rkrit weiter
von selbst um.
Ab einer bestimmten kritischen Keimgrösse kommt bei weiterer
Vergrösserung des Keims mehr Energie heraus als man zur Umwandlung
hineinstecken muss. Ab dieser Keimgrösse läuft die Umwandlung dann
spontan weiter. Passt der Keim aber nicht in das Korn (ist also das Korn
kleiner als der kritische Keimdurchmesser) dann läuft die Umwandlung
nicht spontan ab. Es gibt keine Zähigkeitssteigerung. Man hat nun mit
der Korngrösse, die man durch Glühungen in ihrer Grösse einstellen
kann, ein Instrument um genau einzustellen wieviel Körner bei einer
äusseren Spannung umwandeln. Man kann also in gewissen Grenzen die
Zähigkeit dieses Werkstoffes über eine Glühung einstellen.
Materialwissenschaft I - Keramik-Kapitel 4 4-19
Span
nung
Zähigkeit KIC
Span
nung
Zähigkeit KIC
Bild 4-14: Zähigkeiten einiger ZrO2 Werkstoffe. Das Maximum lässt darauf schließen, dass mit zunehmender Korngrösse die Festigkeit dieser Proben zuerst durch die kritische Fehlergrösse und dann durch die Umwandlungsverstärkung kontrolliert wird.
Die Zunahme an Zähigkeit durch ZrO2 Umwandlungsverstärkung kann
quantitativ erfasst werden und wird beschrieben durch:
Gl.: 4-2
Dabei ist C eine Konstante ~1, E ist der E-Modul der Matrix, Vtrans ist der
Volumenanteil der umwandelt (oder umgewandelt ist) εtrans ist die
Volumenvergrösserung durch die Umwandlung, h die Breite der
Prozesszone um die Rissspitze und ν die Querkontraktionszahl. Diese
Gleichung sagt also, dass es auf das Volumen um die Rissspitze herum
darauf ankommt. Dort sind die Spannungen am höchsten und auch nur
in der Lage die t-Körner zur Umwandlung zu triggern.
IC trans transK C E V v h / (1- )ε ν∆ =
Materialwissenschaft I - Keramik-Kapitel 4 4-20
Bild 4-15: Herzförmige Prozesszone an der Rissspitze. Die Umwandlung t→m in der 120° Zone führt erstmal zu einer Zähigkeitsverminderung (Bild a.)). Zähigkeitserhöhung ergibt sich durch die Druckspannungen die die Flanke des Risses zudrückt (Bild b.).
„Fully Stabilized Zirconia (FSZ)“:
FSZ: 8 % Y2O3
Durch Zugabe von 8 mol-% Y2O3 wird die kubische Struktur bis auf
Raumtemperatur stabilisiert. Weil vierwertiges Zirkon durch dreiwertiges
Yttrium ersetzt wird enthält FSZ eine signifikante Anzahl
Sauerstoffleerstellen (die Konzentration der Sauerstoffleerstellen ist halb
so gross wie die Konzentration der Yttriumionen) um die
Ladungsneutralität des Gitters zu erhalten. Über diese Leerstellen
können nun Sauerstoffionen wandern, das Material ist als
Sauerstoffsonde (zum Beispiel als λ-Sonde in Autos) einsetzbar und in
Hochtemperatur-Brennstoffzellen.
FSZ ist also weniger eine Struktur-, sondern eher der Gruppe der
Funktionskeramiken zuzuordnen. Seine elektrischen Eigenschaften
werden in der Vorlesung Keramik II eingehender besprochen werden.
Materialwissenschaft I - Keramik-Kapitel 4 4-21
Anwendungen
Zirkonoxid wird überall dort eingesetzt, wo ein keramischer Werkstoff
mit guter Zähigkeit verlangt wird, zum Beispiel bei Ziehmatritzen für die
Drahtherstellung oder bei Kolbeneinsätzen für Verbrennungsmotoren,
als Lichtleiterstecker für Glasfaserkabel sowie als Gelenkimplantat und
Zahn- und Zahnbrückenmaterial.
Die elektrischen Anwendungen von FSZ werden im Skript Keramik II
behandelt.
Materialwissenschaft I - Keramik-Kapitel 4 4-22
4.3. Siliziumcarbid SiC
Hochreines Siliziumcarbid ist farblos, die technischen Produkte sinddurch
Restkohlenstoff grünlich bis schwarz gefärbt. SiC kommt nicht natürlich
vor, es muss künstlich hergestellt werden. Aufgrund seiner kovalenten
Bindung ist SiC ein guter Wärmeleiter bei gleichzeitig geringem
Wärmeausdehnungskoeffizienten. Reines SiC ist ein Isolator, kann aber
durch Dotierung mit Al p-leitend oder mit N n-leitend gemacht werden.
SiC ist chemisch äusserst beständig, weder siedende Säuren noch Basen
können es korrodieren. Es wird lediglich von basischen Schmelzen sowie
von Chlor- und Schwefelgas bei hohen Temperaturen angegriffen.
Bei hohen Temperaturen wird SiC an Luft oxydiert.
Kennzahlen SiC:
ρ (g/cm3) E (GPa) KIC (MN/m1/2) σB( MPa) m (1) Härte
(Hv10) α (x10-6 K-1) λ (W/mK) Zersetzungs T (°C)
3.2 370 3.5 400 ~8-15 9500 4.3 100 (bei RT) 2300
Struktur
Bei SiC tritt Polytypie auf. b-SiC hat eine kfz Struktur vom Zinkblendetyp.
Daneben gibt es eine Vielzahl möglicher Modifikationen mit
ungeordneter Abfolge von Bereichen mit kfz und hexagonaler
(Wurzitstruktur) Stapelung, sie alle sind unter dem Begriff α-SiC
zusammengefasst.
β-SiC ist metastabil, es wandelt sich oberhalb von 1600 °C in einen α-Typ
um.
Materialwissenschaft I - Keramik-Kapitel 4 4-23
Synthese:
Der grösste Teil der Weltproduktion erfolgt nach dem Acheson-
Verfahren, welches 1891 vom gleichnamigen Herrn erfunden wurde.
Dabei reagiert Quarzsand mit Petrolkoks bei etwa 2400 °C gemäss:
Gl.: 4-3
Beispiele für solche Herstellverfahren sind etwa die Pyrolyse von
Methyltrichlorsilan,
Gl.: 4-4
oder Gasphasenreaktionen, wie:
Gl.: 4-5
Diese Methoden sind aber alle recht teuer und umweltbelastend, dafür
liefern sie um den Faktor 10 feinere Pulver als das Acheson-Verfahren.
Werkstoffmodifikationen
Die Triebkraft für den Sinterprozess ist die Abnahme der
Oberflächenenergie des Pulverhaufwerks. Hindernd wirkt die Korngren-
zenenergie, die dabei überwunden werden muss. Beim SiC sind die
beiden Energiebeträge praktisch gleich gross, die Triebkraft fürs Sintern
ist deshalb sehr klein (in Ingenieurkeramik II wird genauer auf den
Sinterprozess eingegangen). Ein Grünling aus reinem SiC sintert
überhaupt nicht. Es gibt aber verschiedene Möglichkeiten, um doch zu
einem dichten SiC-Körper zu gelangen.
COSiCCSiO 332 +⎯→⎯+
HClSiCSiClCH 333 +−⎯→⎯ β
HClSiCCHSiCl 444 +−⎯→⎯+ β
Materialwissenschaft I - Keramik-Kapitel 4 4-24
Hot Pressed SiC (HPSiC)
HPSiC: Fast dicht
Durch Aufbringen eines grossen äusseren Druckes wird der Grünkörper
in einer Graphitform während des Sinterprozesses zum Verdichten
gezwungen. Auf diese Weise lassen sich Bauteile mit 98% der theo-
retischen Dichte herstellen.
Sintered SiC (SSiC)
1975 entdeckte S. Prochazka bei General Electric, dass feines SiC Pulver
mit einer spezifischen Oberfläche von 15 bis 25 m2/g durch Zugabe von
etwa 1% Bor und Kohlenstoff bis auf eine Dichte von 99% verdichtet
werden kann. Dieser Werkstoff zeigt ausgezeichnete Hochtempera-
tureigenschaften, ist aber sehr spröde. Er erklärte das damit, dass Bor die
Korngrenzenenergie senkt und der Kohlenstoff die Oberflächenenergie
durch Reduktion der Oxidschicht erhöht. Somit wird die Triebkraft für
den Sinterprozess geschaffen.
Mit Al2O3-Zusätzen kann SiC ebenfalls dicht gesintert werden, es bildet
sich jedoch in den Korngrenzen eine Glasphase. Dadurch weist der
Werkstoff schlechtere Hochtemperatureigenschaften auf (Kriechen).
Materialwissenschaft I - Keramik-Kapitel 4 4-25
Bild 4-16: Flüssigphasengesintertes SiC, geätzt. Die Korngrenzen-glasphase erscheint hell.
Reaction Sintered SiC (RSiC)
Poröses SiC kann hergestellt werden, indem ein Schlicker mit bimodaler
SiC-Korngrössenverteilung mit Zusätzen von freiem Si und Kohlenstoff
vergossen wird. Danach wird das Bauteil bei sehr hohen Temperaturen
gesintert. Durch Neubildung von SiC aus Si und C werden die Körner
miteinander verbunden.
Die Porosität beträgt 20 - 30 %. Dieser SiC-Typ wird wegen seiner hohen
Festigkeit bis 1450 °C vorallem im Ofenbau verwendet.
Silicon infiltrated SiC (SiSiC)
Aus einem offenporigen SiC Körper kann man ein dichtes Bauteil
herstellen indem man die Poren mit metallischem Silizium füllt. Das ge-
schieht durch Tauchen der porösen Körper in einer Siliziumschmelze.
Materialwissenschaft I - Keramik-Kapitel 4 4-26
Bild 4-17: SiSiC, das metallische Silizium in den Kornzwischenräumen und Poren erscheint hell.
Die Warmfestigkeit von SiSiC ist natürlich die von metallischem Silizium
(Schmelzpunkt von metallischem Si: 1412 °C).
Materialwissenschaft I - Keramik-Kapitel 4 4-27
Heissisostatisch gepresstes SiC (HIPSiC)
Zur Nachverdichtung von SiC mit geschlossener Porosität wird dieses bei
1900 °C mit Drücken zwischen 100 bis 200 MPa unter Argon- oder
Stickstoffatmosphäre heissisostatisch gepresst.
Vergleich der Eigenschaften:
RSiC SiSiC SSiC HPSiC HIPSiC Dichte [g/cm3] 2.5-2.9 3.1 3.15 3.2 3.21 Biegefestigkeit [MPa]
80-100 400 500 600-700 600-700
E-Modul [GPa] 240 370 390 420 450 KIC [MN/m1/2] - 3-4 4-5 5-6 5-6 Weibullmodul [1] - 10 10 10 10-15 Wärmeleitfähigkeit [W/mK]
- 120 70 90 90-120
Wärmedehnung [10-6 K-1]
4.5 4.4 4.5 4.6 4.5
Elektrischer Widerstand [Ω/cm]
1011 10 103 105 105
Offene Porosität [%]
25 0 1-2 0 0
Obere Anwendungstemp. [°C]
2000 1400 1700 1300 1300
Tabelle 4-2: Vergleich der verschiedenen SiC Modifikationen.
Materialwissenschaft I - Keramik-Kapitel 4 4-28
Anwendungen
Qualitativ schlechtes SiC wird in der Rohstahlherstellung zur
Desoxydation der Schmelze und zur Kornfeinung des Stahles in hohen
Tonnagen verbraucht.
SiC mittlerer Qualität benutzt die Schleifmittelindustrie zur Herstellung
von Schleifpapier und -scheiben sowie von Läppsuspensionen.
Hochwertiges SiC wird als Keramikwerkstoff überall dort eingesetzt, wo
bei hohen Temperaturen hohe mechanische Anforderungen gestellt
werden oder wo gute Wärmeleitfähigkeit gefordert wird. Ein Beispiel für
letzteres ist ein Wärmetauscher, der in aggressiven Medien arbeitet.
ausserdem wird SiC für Heizelemente in Hochtemperaturöfen
verwendet.
Materialwissenschaft I - Keramik-Kapitel 4 4-29
4.4. Siliziumnitrid Si3N4
Siliziumnitrid ist, wie das im vorhergehenden Kapitel besprochene
Siliziumkarbid, ein künstlich hergestelltes Material. Der Bindungscharak-
ter ist zu zirka 70% kovalent.
Si3N4 zeichnet sich aus durch hohe Bruchfestigkeit, gute Bruchzähigkeit,
extrem hohe elektrische Durchschlagfestigkeit, Oxidationsbeständigkeit
bis 1200 °C und gute tribologische Eigenschaften.
Kennzahlen (für HPSi3N4)
ρ (g/cm3) E (GPa) KIC (MN/m1/2) σB( MPa) m (1) Härte
(Hv10) α (x10-6 K-1) λ (W/mK) Zersetzungsp.
(°C)
3.2 300 6-12 900-1200 ~15 1500 3.1 25
(bei RT) 19000
Die Struktur
Si3N4 tritt in einer α- und einer β-Modifikation auf. Die beiden Strukturen
unterscheiden sich in der Stapelfolge der Ebenen aus SiN4- Tetraedern in
der hexagonalen Elementarzelle. Für β-Si3N4 ergibt sich eine Stapelfolge
ABAB und für α-Si3N4 eine solche von ABCDABCD. Ergebnis dieser
Anordnung von Schichten ist die Ausbildung von Kanälen entlang der
z-Achse im β-Si3N4. In der Struktur des α-Si3N4 bilden sich anstelle der
Kanäle einzelne Hohlräume.
Materialwissenschaft I - Keramik-Kapitel 4 4-30
Bild 4-18: Strukturen von β- und α-Si3N4.
α-Si3N4 β-Si3N4
Kristallsystem hexagonal trigonal (gleiche Achsenbedingungen wie hexagonal, aber höhere Symmetrie)
Raumgruppe P 63/m P 31c
Gitterparameter [Å] a = 7.61 c = 2.91
a = 7.76 c = 5.62
Dichte (berechnet) 3.192 3.183 N-Selbstdiffusion bei 1450 °C [cm-2s-1] 10-15 10-19
Tabelle 4-3: Strukturdaten der Phasen von Si3N
4.
Pulverherstellung
Siliziumnitrid wird hauptsächlich nach den folgenden drei Verfahren
hergestellt:
Direktnitridierung von Si
Nach diesem Verfahren wird das meiste Pulver hergestellt sowie das
reaktionsgebundene Si3N4 (RPSN). Die Reaktion ist stark exotherm und
der angebotene Stickstoff wird daher oft durch Ar verdünnt. Fe dient
häufig als Katalysator.
Gl.: 4-6 43223 NSiNSi Fe⎯→⎯+
Materialwissenschaft I - Keramik-Kapitel 4 4-31
Werden RBSN Bauteile hergestellt, dann wird aus Si -Metallpulver ein
Bauteil geformt welches dann bei ca. 1400°C in N2 nitridiert wird. Dabei
verringert sich durch neu entstehendes Si3N4 die Porosität von ca. 50 auf
12-25 % und das Bauteil behält seine äußeren Dimensionen. Die
resultierende Keramik ist sehr kriechbeständig, wenn auch wegen der
restlichen Porosität nicht übermäßig fest.
Reduktionsnitridation (Carbothermische Nitridation)
Feines SiO2-Pulver wird mit Kohlenstoff unter Stickstoffatmosphäre
reduziert. Der Reaktionsmechanismus ist:
Gl.: 4-7
Der als Verunreinigung im Gefüge (oder im Pulver) verbleibende
Kohlenstoff wirkt sich negativ auf die Sintereigenschaften von
reduktionsnitridiertem Si3N4 aus.
Silizium-Diimid-Route
Um Pulver höchster Reinheit herzustellen wird Siliziumtetrachlorid in
organischen Lösungsmitteln unter Zugabe von flüssigem Ammoniak zu
Si3N4 umgewandelt.
Gl.: 4-8
)(6)()(2)(6)(3 4322 GCOSNSiGNSCSSiO +⎯→⎯++
3432
4234
2))((3
4))(()(6)(
NHNSiGNHSi
ClNHGNHSiGNHGSiCl
+⎯→⎯
+⎯→⎯+
Materialwissenschaft I - Keramik-Kapitel 4 4-32
Si3N4 Körner wachsen extrem anisotrop. Dadurch ist das Gefüge dieser
Keramik ein "in-situ" Kurzfaser-verstärktes" material mit einer relativ
hohen Zähigkeit.
Bild 4-19: Geätzte Bruchfläche eines Bauteils aus SSN
Verschiedene Modifikationen der Si3N4 Keramiken:
Bei der Verdichtung von Si3N4 gilt dasselbe wie für SiC: Die Triebkraft für
das Sintern ist gering, bedingt durch den hohen kovalenten
Bindungsanteil.
Wegen der Zersetzung von Si3N4 ab 1900 °C kann zudem nicht so hoch
gesintert werden. Deshalb gibt man Sinterhilfsmittel (meist Oxide) zu,
die mit dem auf der Pulveroberfläche immer vorhandenen SiO2 und dem
Si3N4 eine Flüssigphase bilden. Der Stofftransport beim Sintern geschieht
dann über diese Flüssigphase (siehe Kapitel “Sintern” im Skript Keramik
I).
Hot Pressed Si3N4 (HPSN)
HPSN: Dicht dank Glasphase und Druck bei hoher Sintertemperatur
Siliziumnitridpulver wird mit Sinterhilfsmitteln (1-3% MgO) vermischt
und bei 1750-1800 °C bei Drücken von 15 - 30 MPa heissgepresst. Dabei
Materialwissenschaft I - Keramik-Kapitel 4 4-33
entsteht ein Sinterkörper aus β-Si3N4 mit 97-99% der theoretischen
Dichte. Durch den MgO-Zusatz bildet sich eine Korngrenzenglasphase.
Diese verringert die Warmfestigkeit von HPSN empfindlich.
Sintered Si3N4 (SSN)
SSN: Dicht dank grösserer Menge an Glasphase
Hier wird drucklos unter Stickstoffatmosphäre, dafür mit höherem
Gehalt an Sinterhilfsitteln (~5..10%) längere Zeit bei 1500 °C gesintert
und anschliessend kurz bis 1750 °C aufgeheizt. Die durch die Flüssigphase
induzierten Kapillarkräfte ziehen das Bauteil zusammen und führen zu
einem Sinterkörper mit <1% Restporosität. Die Warmfestigkeit von SSN
entspricht derjenigen von HPSN und ist stark durch die
Schmelztemperatur der Glasphase bestimmt.
Die SiAlONe = Mischkristalle (feste Lösungen) von Si3N4
Allgemein gehören sie zu den Oxinitridverbindungen. Hier werden Al2O3
und AlN als Sinterhilfsmittel zu dem Si3N4 Pulver hinzu gegeben. Das Al3+
kann im Gitter des Si3N4 das Si4+ ersetzen und das N3- das O2-. Dadurch
wird eine feste Lösung, einen Mischkristall gebildet. Die Ausdehnung des
Mischkristalls im entsprechenden Phasendiagram ist beträchtlich. Hierzu
schauen wir uns das Phasendiagram an. Das Grunddiagramm ist das
System Si-Al-O-N.
Materialwissenschaft I - Keramik-Kapitel 4 4-34
Bild 4-20: Das System Si-Al-O-N mit dem reziproken Salzsystem: Si3N4-4AlN-2Al2O3-3SiO2.5
In diesem Diagram ist die Ebene Si3N4-AlN-Al2O3-SiO2 ein Unterdiagram
auf dem alle kondensierte Phasen dieses Systems sich befinden. Da all
diese Kationen (Al3+ und Si4+) nur in einer festen Wertigkeit auftreten und
diese sich auch nicht ändern, kommen in diesem System alle
kondensierten Verbindungen (Festphasen und Flüssigkeiten) nur auf
diesem Unterdiagramm (Ebene) vor. Dieses Unterdiagram lässt sich als
ein reziprokes Salzsystem schreiben, bei dem die Stöchiometrie so
gewählt wird, dass die Ladungen auf den Kationenplätzen immer
konstant ist (nämlich 12+) und auf den Anoionenplätzen ebenfalls (12-).
Dabei kann sich das Verhältnis an Al3+ zu Si4+ Ionen durchaus ändern wie
auch dieses der N3- und O2-. Allgemein kann dann das System geschrieben
werden als:
Gl.: 4-9
oder:
Gl.: 4-10
5 L. J. Gauckler, et. al., J. Am. Ceram. Soc. 58,346 (1975)
)26()43()26()34()34()34()34(4
)43(3 232
324−+−+−+−+
−−− xxxxxxxx OSiOAlNAlNSi
23232443 OSiOAlAlNNSi −−−
Materialwissenschaft I - Keramik-Kapitel 4 4-35
In anderen Worten: Wenn wir ein Si4+ ersetzen durch ein Al3+, dann
müssen wir gleichzeitig auch auf den Anionenplätzen ein N3- durch ein
O2- ersetzen, nur dann bleibt die Verbindung elektrisch neutral.
Es sind also 3SiO2 äquivalent zu 2Al2O3 und entsprechend ist Si3N4
äquivalent 4AlN und 4AlN sind äquivalent den 2Al2O3 und diese wieder
zu 3SiO2.
Die Einheit an diesem Unterdiagram sind dann also "Äquivalent %". Die
Einschränkung, dass wir keine Wertigkeitsänderungen zulassen (was
durchaus sinnvoll ist, da keine Verbindungen bekannt sind in denen Al
anders als 3-wertig und Si anders als 4+ wertig vorkommen) kommt
einer Reduktion der Freiheitsgrade um 1 gleich. Das reziproke Salzsystem
ist also kein quaternäres sondern ein quasi-ternäres System indem die
Phasenfelder den gleichen Regeln gehorchen wie in einem regulären
ternären System.
Bild 4-21: Der isotherme Schnitt bei 1800°C des Systems Si3N4-4AlN-2Al2O3-3SiO2 mit dem β-Si6-xAlxOxN8-x Mischkristall.
Dieser isotherme Schnitt zeigt vor allem den linienförmigen
Mischkristallbereich des Si3N4 in dem Si durch Al und gleichzeitig N
Materialwissenschaft I - Keramik-Kapitel 4 4-36
durch O ersetzt wird. Die Stöchiometrie dieser Linienverbindung schreibt
sich:
6 8
mit x 0 für Si N bis x 4.23 4
x x x xSi Al O Nβ − −−
= = Gl.: 4-11
Der experimentelle Befund, dass dieser Mischkristallbereich sehr schmal
ist, also kaum bis gar keine Querausdehnung hat bedeutet, dass diese
Verbindung keine Leerstellen toleriert, weder auf dem Kationen- noch
auf dem Anionenuntergitter. Dies macht auch Sinn, denn die
Kristallstruktur besteht aus SiN4 Tetraeder die zusammenklappen
würden wenn Leerstellen auf den Kationenplätzen eingebaut werden
würde. Weiter Linienverbindungen wurden in der AlN Ecke des Diagrams
gefunden. Die Strukturen dieser Verbindungen können von der Wurtzit
Struktur des AlN abgeleitet werden und werden oft als "Polytypen" des
AlN bezeichnet. Diese Bezeichnung ist allerdings nicht ganz richtig, da in
Polytypen (siehe SiC) die Zusammensetzung sich nicht ändern. Die
Körner dieser Verbindungen wachsen plättchenförmig. Ihre
Eigenschaften sind wenig
erforscht. In der Ecke zu SiO2 finden wir eine N2 haltige Schmelze die
zum Flüssigphasensintern benutzt werden kann.
Die Eigenschaft, dass dieses Diagramm ein "reziprokes" Diagramm ist
sieht man auch daran, dass die Verbindung
444286 NOAlSiNOAlSi xxxx also 4, x mit =− −−β über zwei komplett
unterschiedliche Ausgangsmischungen hergestellt werden kann.
Entweder aus einer Mischung aus entsprechenden Mengen an
Si3N4+AlN + Al2O3 Pulvern oder aus alleine den zwei Pulvern
44422 42 NOAlSiAlNSiO ⎯→⎯+ . Die letzte Reaktion geht mit ihrem
Reaktionsweg gezwungenermaßen durch das Gebiet der Schmelze
welche zur Verdichtung (Flüssigphasensinterung) benutzt wird. Wird die
Materialwissenschaft I - Keramik-Kapitel 4 4-37
Zusammensetzung dann ins Gleichgewicht gesintert, dann sollten keine
Flüssigkeitsreste (Glas in Korngrenzen) mehr im Gefüge sein. Tatsächlich
scheinen aber dünne, 1-2nm dünne Glasfilme in den Korngrenzen so
stabil zu sein, dass sie durch dieses Reaktionssintern nicht in feste
Lösung genommen werden können und später dann wieder die
Hochtemperatureigenschaften bestimmen (Kriechen bei der Temperatur
bei der das Glas erweicht).
Ein weiteres System das eine feste Lösung von einem Metalloxid in Si3N4
aufweist ist dies mit den entsprechenden Berylliumverbindungen. War
das Aluminiumion mit 0.053 nm in 4 er Koordination etwas grösser als
das Siliziumion mit 0.040 nm (und gleichzeitig ist O2- mit 0.124 nm
kleiner als N3- mit 0.132 nm) so ist Beryllium etwas kleiner im Ionenradius
mit 0.045 nm als Si4+. Wir können immer einen Substitutionsmischkristall
erwarten, wenn die Ionenradien der Gastionen weniger als 15-20% von
denen der Wirtsionen abweichen. Wir erwarten daher auch, dass Be2+ in
Si3N4 in feste Lösung geht, wenn auch vielleicht nicht so viel wie Al3+, da
beide, das Kation Be2+ wie auch das gleichzeitig substituierende O2-
kleiner sind als die Wirtsionen. Wie Bild zeigt findet sich auch in diesem
System Oxynitridmischkristallbereiche die wiederum
Linienverbindungen sind. Werden nun beide Diagramme kombiniert,
dann ergibt sich ein grosser Mischkristallbereich vor das Si3N4.
Materialwissenschaft I - Keramik-Kapitel 4 4-38
Bild 4-22: Das System Be-Si-Al-O-N mit der Ebene β-Si3N4 auf der der Mischkristallbereich mit seiner Zusammensetzung sich befindet. Diese Ebene stell diese Stöchiometrie mit einem konstanten Kation: Anionenverhältnis von 3:4 dar.6
Die guten mechanischen Eigenschaften, vor allem die hohe Zähigkeit von
β-Si3N4 Mischkristallen, beruhen auf seinem stengeligen Gefüge. Die
Körner wachsen während der Sinterung extrem anisotrop und bilden ein
"in situ" Faser verstärkten Werkstoff. Wird die flüssige Phase während
der Verdichtung zu gering in der Menge gewählt, dann bilden sich
globulare Körner aus. Das resultierende Gefüge weist wenig Widerstand
gegenüber Rissfortschritt auf und der Werkstoff ist spröde. Die
Glasphase ist also während der Verdichtung für die Lösung und
Widerausscheidung von Si3N4
6 L. J. Gauckler & G. Petzow,, Nitrogen Ceramics, F.L. Riley, ed. Noordhoff Pub., Leyden, 1977.
Materialwissenschaft I - Keramik-Kapitel 4 4-39
wichtig. Sie limitiert aber deutlich mit ihrer Erweichung bei hohen
Temperaturen die Kriechbeständigkeit dieses Werkstroffes.
Bild 4-23: Gefüge von Si3N4 Mischkristall hergestellt aus 6.25 wt% Y2O3 + 1 wt% Al2O3 als Sinterhilsmittel: (a) mit 2 wt% länlichen β-Keime im Ausgangspulver, 1850°C, 6 h, UBE E-10 α-Pulver; (b) keine Keime zugegeben, heissgepresst bei 1750°C für 2 h, UBE E-10 α-Pulver; (c) keine Keime zugegeben, heissgepresst bei 1750°C für 0.33 h, UBE E-10 α-Pulver; (d) keine Keime zugegeben, heissgepresst bei 1750°C für 2 h, ShinEtsu β-Pulver. Plasma etching highlights the β-Si6−zAlzOzN8−z growth layer on the b-Si3N4 cores (arrowed) in these SEM micrographs.7
7 J. Am. Ceram. Soc., 81 [11] 2821–30 (1998); Paul F. Becher,, et al.
Materialwissenschaft I - Keramik-Kapitel 4 4-40
Bild 4-24: Der Widerstand gegenüber dem Rissfortschritt (Fracture Resistance KIC [MPam1/2] nimmt sehr stark zu in Material a.) welches die meisten länglichen Körner aufweist und vor der Herstellung schon mit länglichen Keimen versehen wurde. Materialien b.) und c.) weisen weit weniger stengeliges Gefüge auf.8
Bild 4-25: Deutliche Rissablenkung in Material a.) mit stengeligem Gefüge und daher hoher Zähigkeit (KIC)9
8 J. Am. Ceram. Soc., 81 [11] 2821–30 (1998); Paul F. Becher,, et al. 9 Siehe Fusssnote 8
Materialwissenschaft I - Keramik-Kapitel 4 4-41
Trotz vieler Bemühungen die Glasphasenfilme aus den Korngrenzen der
Si3N4 Keramiken zu entfernen, durch z. B. der Mischkristallbildung oder
Kristallisationskeimen und entsprechenden Kristallisationsglühungen, ist
es bis heute nicht gelungen ein dichtes Si3N4 ohne Glasfilme in den
Korngrenzen herzustellen. Diese bestimmen nach wie vor die
Hochtemperatureigenschaften durch ihr Erweichen bei Temperaturen
um 1450°C. Neuere Forschung solche kovalent gebundene Keramiken
über die Pyrolyse organischer Silizium-Kohlenstoff-Stickstoff-
Verbindungen haben ermutigende erste Resultate erbracht, aber immer
noch keinen wirklichen Durchbruch.
α- Si3N4
Ausser β-Si3N4 kommt auch α- Si3N4 vor. Diese aufgeweitete Struktur
kann interstitiell die Kationen seltener Erdelemente in die Hohlräume der
Si-N-Si Ringe aufnehmen, und dies um so besser wenn einige Si durch Al
und N durch O ersetzt wurden und die Hohlräume dadurch noch
aufgeweitet worden sind. Die Phasenbeziehungen sind komplex wie
folgendes Diagram zeigt.
Bild 4-26: Die Lage des α SiAlON Mischkristalls im Phasendiagram mit den Seltenen Erdoxiden (RE) und SiAlON als Basisebene. Der α-SiAlON liegt auf der α-Ebene die durch die Linien Si3N4–RN:3AlN und Si3N4–AlN:Al2O3 begrenzt wird 10
10Phase Relationships and Stability of a*-SiAlON, Anatoly Rosenflanz*,† and I-Wei Chen*, J. Am. Ceram. Soc.,
82 [4] 1025–36 (1999)
Materialwissenschaft I - Keramik-Kapitel 4 4-42
Der α- Si3N4 Mischkristall befindet sich mit seinem Einphasengebiet auf
einer Ebene die sich vom β Mischkristall bis zur Ecke RN:3AlN erstreckt,
wobei R ein Seltenes-Erd Atom ist, also z. B. Yttrium.
Diese Verbindungen sind noch etwas härter als die β Mischkristalle und
sind heute in der Entwicklung als Schneidwerkstoffe da sie längere
Standzeiten bei Schneidoperationen versprechen.
Reaction Bonded Si3N4 (RBSN) (reaktionsgebundenes Siliziumnitrid)
RBSN: Porös, keine Schwindung
Feines Siliziumpulver als poröses Bauteil wird bei 1200-1400 °C mit N2
oder NH3 umgesetzt.
Diese Methode hat den Vorteil, dass dabei die äusseren Dimensionen des
Bauteils erhalten bleiben, es tritt keine Sinterschwindung auf. Die so
hergestellten Körper werden aber nicht dicht, sie haben eine Porosität
von 15-35 %.
Materialwissenschaft I - Keramik-Kapitel 4 4-43
Bild 4-27: Kriechgeschwindigkeiten als Funktion der Spannung
Der Vorteil des RBSN Materils liegt darin, dass es keine Glasphase in den
Korngrenzen aufweist, dafür aber weniger hoch belastbar ist. Die
Verformungsraten bei Belastung unter Temperatur sind wesentlich
kleiner als beim, Si3N4 das Glasphase in den KG besitzt.
Materialwissenschaft I - Keramik-Kapitel 4 4-44
Vergleich der Eigenschaften der verschiedenen Si3N4 Sorten:
RBSN SSN HPSN Rel. Dichte [%] 65-85 95-100 98-100 Biegefestigkeit bei RT [MPa] 200-350 700-1400 700-1500 KIC [MPa m1/2] 1.5-3 5-12 5-12 Härte [GPa] 5-10 14-18 14-18 Wärmeleitfähigkeit (W/mK) 4-15 20-40 20-40 Wärmedehnung [10-6 K-1] 2.5-3 2.5-3.8 2.5-3.8
Tabelle 4-4: Eigenschaften der verschiedenen Si3N4 Sorten.
Anwendungen
Siliziumnitrid wird als Hochtemperaturkonstruktionswerkstoff, zum
Beispiel für Hochtemperaturwälzlager, als Schneidwerkzeuge,
Motorenbauteil und als Isolierwerkstoff für die Mikroelektronik
verwendet.
4.5. Weitere Strukturkeramiken
Nebst den vier eingehend besprochenen Hauptvertretern gibt es noch
weitere technisch relevante strukturkeramische Werkstoffe. In ganz
speziellen Anwendungsnischen haben sich die Folgenden etabliert:
Bornitrid BN
BN kommt wie Kohlenstoff in zwei Modifikationen vor. Die dia-
mantähnliche Hochdruckform ist nach Diamant der zweithärteste
existierende Werkstoff. Er wird als Schneidwerkstoff verwendet. Die
graphitähnliche Niederdruckform wird wegen ihrer chemischen
Beständigkeit und ihrer guten Wärmeleitfähigkeit als Tiegelwerkstoff
eingesetzt
Materialwissenschaft I - Keramik-Kapitel 4 4-45
Bild 4-28: Härteverlauf über die Temperatur
Borcarbid B4C
Borcarbid hat eine ausgesprochen gute Warmhärte, ab 1000 °C ist es
härter als Diamant, kann aber nur unter Edelgasatmosphäre eingesetzt
werden (N2 -Atmosphäre geht nicht -> Bildung von BN).
Wolframcarbid WC
Wird als Hartphase für Zerspanungswerkzeuge verwendet. “Hartmetall”
besteht aus Wolframcarbidkörnern, die in eine Kobaltmatrix eingebettet
sind.
Materialwissenschaft I - Keramik-Kapitel 4 4-46
Bild 4-29: Wolframcarbidkörner in einer Kobaltmatrix
Ein weiterer wichtiger anorganisch-nichtmetallischer Werkstoff ist
Kohlenstoff. In Form von Diamant wird er zur Bearbeitung von
Werkstoffen hoher Härte eingesetzt. Graphit wird als Ofenauskleidung
und Formenmaterial für Hochtemperaturprozesse verwendet, allerdings
ist seine Anwendung auf reduzierende Umgebung beschränkt, da er
sonst oxydiert wird. Kohlenstoffasern werden für
Faserverbundwerkstoffe verwendet.
Materialwissenschaft I - Keramik-Kapitel 4 4-47
LITERATURVERZEICHNIS
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