Erfahrungsbericht
„Navajeevan School for the deaf“ in Indien
Navajeevan
School-Assembly
1. Durch die Fachzeitschrift „Hörgeschädigtenpädagogik“ (Ausgabe 2008) bin ich auf einen
Artikel über die Gehörlosenschule „Navajeevan“ in Indien gestoßen. Darin wurde von einer
deutschen Sonderschullehrerin der Unterrichtsalltag und das Leben in Navajeevan
beschrieben, was mein Interesse sehr geweckt hat. Da in dem Artikel die E-mail Adresse des
Schulgründers Father Marreddy angegeben war und dieser alle Studenten herzlich zu einem
Praktikum einlud, habe ich eine E-mail direkt an ihn geschrieben. Ich erhielt von ihm eine
sehr nette Antwort und die Nummer eines deutschen Freundes, um mit diesem alle nötigen
Fragen und Informationen auszutauschen. Die beiden stehen schon seit mehr als 30 Jahren
in Kontakt miteinander und besuchen sich regelmäßig gegenseitig. Der Freund unterstützt
und hilft Father Marreddy dabei in Deutschland Spenden für die Projekte in Indien zu
sammeln. Durch ihn konnte ich letztlich alle Unsicherheiten überwinden und er konnte mir
sehr hilfreiche Tipps geben, was dazu führte, dass ich meinen Flug buchte und beschloss für
vier Monate an der Schule zu bleiben.
2. Durch die Gespräche mit ihm konnte ich mich gut auf Indien vorbereiten. Außerdem habe
ich mir einen Reiseführer gekauft und im Internet recherchiert. Da in Indien die
Amtssprache Englisch ist, musste ich dafür keinen extra Sprachkurs besuchen. Die Lehrer
sprachen so gut sie konnten Englisch mit mir, die Nonnen und Priester konnten sehr gut
Englisch sprechen. Die älteren gehörlosen Kinder konnten auch etwas Englisch. Ihre
Gebärden waren anders als die der Deutschen Gebärdensprache. Trotzdem konnte man sich
schnell und recht problemlos mit den gehörlosen Kindern verständigen. Die
Unterrichtssprache war allerdings Telugu. Die ersten wichtigen Wörter konnte ich von dem
deutschen Freund lernen und andere wichtige Sätze wurden mir vor Ort beigebracht.
3. Ich musste für Indien ein Visum beantragen. Dazu musste ich online einen Antrag ausfüllen
und mit diesem zu „Cox and Kings“ in München gehen. Dort habe ich spezielle Passfotos
machen lassen müssen und diese zusammen mit meinem Reisepass und dem Antrag dort
abgegeben. Nach circa 3 Tagen konnte ich mein Visum abholen. Es hat in etwa 65 €
gekostet.
4. Ich bin mit Emirates mit Zwischenhalt in Dubai nach Hyderabad geflogen. Der Flughafen ist
mit dem Auto circa 4 Stunden entfernt. Father Marreddy holt seine Gäste und Praktikanten
am liebsten persönlich dort ab und bringt sie nach dem Praktikum dort auch wieder hin. Ein
Nachtbus würde allerdings auch fahren. Die Kleinstadt in der die Schule ist, heißt Nandyal.
5. Ich habe über den DAAD eine Auslandskrankenversicherung abgeschlossen, die mich für
die 4 Monate in etwa 100 € gekostet hat. Außerdem hatte ich noch meine normale
Versicherung.
6. Ich habe vor dem Praktikum meine Erwartungen niedergeschrieben. Ich habe große Klassen
und kleine nicht schallgedämmte Klassenzimmer erwartet. Außerdem dachte ich, dass die
Klassenzimmer sehr einfach ausgestattet sind. Ich bin davon ausgegangen, dass die Schüler
alle ältere Hörgerätemodelle haben und dass es mehr hochgradig Hörgeschädigte gibt als in
Deutschland. Ferner dachte ich, dass die Schüler sehr diszipliniert, offen und herzlich sind.
Ich hatte bereits erwartet, dass es anfangs Verständnisprobleme mit den Schülern geben
würde, da die Gebärdensprache anders ist. Dass die Lehrer sehr offen und interessiert an
Deutschland sind, habe ich auch erwartet.
7. Bei den meisten meiner Erwartungen lag ich richtig. Die Klassen waren tatsächlich groß,
allerdings unterschiedlich. So waren in der ersten Klasse 19 Schüler und in der zweiten
Klasse nur 8 Schüler. In Deutschland ist eine Schüleranzahl von 8-10 Schülern normal. Die
Klassenzimmer waren alle nicht schallgedämmt, teilweise wurde wegen Platzmangel und
der Hitze auch auf den Gängen unterrichtet. Die Vorschulklasse wurde sogar mit der ersten
Klasse in einem Raum, getrennt durch einen Schrank unterrichtet. Die Klassenzimmer
waren tatsächlich einfach ausgestattet und in den niedrigeren Klassen gab es keine Tische
und Stühle. Es gab in jedem Raum eine einfache kleine Tafel, einen Ventilator und an den
Wänden hingen Poster. Die Schüler hatten tatsächlich alle sehr alte Hörgerätemodelle, ich
hatte allerdings nicht erwartet, dass sie so alt sind. Mit der Erwartung, dass es mehr
hochgradig Hörgeschädigte als in Deutschland gibt, lag ich richtig. Die Schüler waren in der
Tat sehr diszipliniert, mehr als ich es erwartet hatte, und sehr offen und herzlich. Außerdem
waren sie unglaublich motiviert, was ich nicht in diesem Ausmaß erwartet hatte. Zu Beginn
gab es Verständnisprobleme, sie wurden aber schneller und einfacher überwunden, als ich
dachte. Die Schüler haben mich sehr schnell richtig verstanden und auch sehr schnell meine
Gebärden einfach übernommen oder mir geduldig ihre beigebracht. Die Lehrer waren
anfangs nicht sehr offen und eher distanziert. Das hat sich allerdings sehr schnell
normalisiert und sie wollten viel über Deutschland wissen. Daher habe ich einen Vortrag
über das deutsche Schulsystem und vor allem über die Sonderpädagogik in Deutschland
gehalten. Besonders bin ich dabei auf die Hörgeschädigtenpädagogik und auf deren
Unterschiede zwischen Indien und Deutschland eingegangen.
(Unterricht in der 1.Klasse)
(Hörerziehung in der 2. Klasse)
8. Die meiste Zeit des Praktikums habe ich im Unterricht hospitiert. Ich habe dabei immer
versucht mich so gut wie möglich einzubringen. Wenn ein Lehrer z.B. neue Gebärden
eingeführt hat, habe ich den Schülern anschließend meine Gebärden dazu gezeigt. Wenn ein
Lehrer ausgefallen ist, habe ich die Klassen spontan übernommen, wobei das meine eigene
Entscheidung war und keiner das von mir verlangt hat. Da diese Stunden dann meist sehr
spontan waren, habe ich versucht, durch Lernspiele das vorhandene Wissen der Schüler zu
sichern. Ich habe allerdings auch vorher geplante und ausgearbeitete Stunden gehalten, was
jedoch auch meine freie Entscheidung war und niemand von mir verlangte. Oft haben mich
die Schüler am Ende der Stunde ausgefragt, wie das Leben in Deutschland ist, welche Tiere
wir haben und essen usw.
Wenn die Schule aus war, habe ich meistens mit den Kindern Volleyball, Federball,
Seilhüpfen oder Karten gespielt. Manchmal habe ich mich auch einfach nur mit den
Schülern unterhalten und somit neue Gebärden gelernt.
9. Ich konnte beim Unterrichten bereits Erlerntes aus dem Studium oder aus vorherigen
Praktika umsetzen. Dafür waren auch meine bisherigen Gebärdensprachkenntnisse hilfreich.
10. In meinem Praktikum war ich immer ausgelastet, da in Navajeevan bis nachmittags
unterrichtet wird. Wenn Spielzeit war, also die Schule aus war, habe ich auch mit den
Kindern gespielt. Das heißt, ich war den ganzen Tag mit den Kindern zusammen, ich hätte
mich nach der Schule allerdings auch zurückziehen und ausruhen können. Da mir das
Zusammensein mit den Kindern und das Spielen aber so viel Spaß gemacht hat, wollte ich
mich meistens nicht ausruhen.
11. Ich habe mehrere Sätze auf Telugu gelernt, indem die Lehrer, Nonnen oder Priester mir die
Sätze immer wieder vorgesagt und mich abgefragt haben. Von den Kindern habe ich viele
neue Gebärden gelernt. Außerdem wollten die Kinder mir Cricket beibringen, was sie jedoch
schnell wieder aufgegeben haben.
12. Das Praktikum hat mir sehr viel Spaß gemacht, vor allem weil die Kinder so unglaublich
motiviert waren und immer sehr fröhlich. Außerdem konnte man ihnen schon durch kleine
Dinge eine so große Freude machen. Sie waren sehr respektvoll und immer höflich zu ihren
Lehrern und auch zu mir.
13. Anfangs gab es Verständnisprobleme, da manche Lehrer nicht gut Englisch sprechen
konnten und der indische Dialekt gewöhnungsbedürftig ist. Auch manche Inder konnten
mich nicht gut verstehen, da ich vermutlich auch einen starken deutschen Dialekt hatte.
Doch nach ein paar Wochen hat sich das gelegt und beide Seiten hatten sich daran gewöhnt.
Da alle unverheirateten Lehrer Punjabi-Dresses und verheiratete Lehrer Saris trugen, habe
ich mir auch Punjabi-Dresses gekauft. Dazu trägt man immer einen Schal, der das Dekolleté
verdecken soll. Anfangs habe ich diesen Schal zum Spielen jedoch immer abgelegt, da er
gestört hat und es auch sehr schnell sehr heiß mit einem Schal bei 35 Grad wird. Nach ein
paar Tagen hatte man mich dann schließlich darauf aufmerksam gemacht, dass dies sehr
freizügig wäre und ich den Schal einfach immer tragen muss. Vermeiden hätte ich das
Fettnäpfchen können, indem ich vorher die Lehrer gefragt hätte. Allerdings dachte ich nicht
daran, dass das überhaupt ein Problem sein könnte, da es für uns Europäer einfach nicht
freizügig ist, wenn man einmal keinen Schal trägt.
14. Die Kontakte zu den anderen Kollegen am Arbeitsplatz waren anfangs leicht distanziert,
haben sich aber sehr schnell normalisiert. In den Pausen haben wir uns nett unterhalten und
man bekam regelmäßig nette Komplimente. Außerdem haben sie mich jeden Tag mehrmals
gefragt wie es mir geht und ob ich gut gegessen habe.
15. Jeden Sonntag bin ich zu Father Marreddy in die Messe gegangen. Dort habe ich andere
indische Frauen in meinem Alter kennengelernt und auch andere Nonnen und Priester. Da in
Navajeevan auch Lehrer ausgebildet werden, konnte ich auch dort ein paar Frauen in
meinem Alter kennenlernen. Eine Lehrerin hat mich einmal auf die Hochzeit ihres Bruders
eingeladen. Dort konnte ich auch ihre ganze Familie kennenlernen und sehen, wie sie leben.
16. Die Schule Navajeevan ist etwas außerhalb von der Kleinstadt Nandyal gelegen. Da es eine
Kleinstadt ist, gibt es dort eigentlich keine Touristen und auch Treffpunkte für Studenten. Es
gibt auch keine Diskotheken oder Bars, da das in Indien sehr unangesehen ist. Vor der
Schule ist ein freies Feld, auf dem immer Volleyball oder Badminton gespielt wird.
Allerdings spielen dort immer nur Angestellte oder Schüler. Da die Schule aber öfter
Praktikanten bei sich hat, ist die Wahrscheinlichkeit groß andere Praktikanten
kennenzulernen. Ich habe zweimal die Chance bekommen mit auf Schulausflüge zu gehen.
Einmal in Mahanandi, das ist eine große Tempelanlage, in der man auch baden kann. Mit
den Schülern war das eine sehr lustige und schöne Erfahrung. Bei dem zweiten Ausflug
waren wir in den Belum Caves. Das sind sehr schöne Höhlen, die circa 40 Meter unter der
Erde liegen. Auch das war ein sehr toller und lustiger Ausflug.
Die Schule hat bereits zwei indische Prepaid-Handys, die sie ihren Praktikanten zur
Verfügung stellt. Dadurch kann man billiger nach Hause und innerhalb von Indien
telefonieren.
Ausflug nach Mahanandi mit Schülern, Lehrern, Nonnen, Priestern und anderen Praktikanten aus
Deutschland
17. Durch die Kirchenbesuche konnte ich auch Kontakte außerhalb der Praktikumsstelle
knüpfen. Allerdings waren das nicht so viele, da ich nur sonntags dort war. Das heißt, die
meisten Kontakte habe ich an der Schule geknüpft, da ich dort die meiste Zeit der Woche
verbracht habe und auch dort gewohnt habe.
18. Meine Unterkunft war direkt an der Schule, aber in einem separaten Trakt. Es war ein
Zimmer (ca. 12 qm) mit einem normalen Bett, Teppichboden, einer Dusche, Waschbecken
und Toilette. Es war für deutsche Verhältnisse einfach eingerichtet, aber trotzdem sehr
sauber und völlig in Ordnung.
19. Ich habe viele tolle und aber auch erschreckende Eindrücke von meinem Gastland Indien
gewonnen. Zu Beginn war es sehr erschreckend, dass es dort viele sehr arme und obdachlose
Menschen gibt. Außerdem hat mich das Kastensystem sehr schockiert, da die Menschen in
Indien nur innerhalb einer Kaste heiraten dürfen. Ferner fand ich die Tatsache, dass die
Eltern für ihre Kinder die Hochzeiten arrangieren und den Bräutigam oder die Braut
aussuchen sehr befremdlich. Auch dass Behinderte aus indischer Sicht wertlos sind und zur
untersten Kaste der „Unberührbaren“ gehören, hat mich schockiert. Daher ist der Beruf des
Sonderschullehrers hier nicht sehr angesehen. Trotzdem fand ich die indische Kultur sehr
spannend und ich bin sehr froh darüber, dass ich sie kennenlernen durfte.
Die positive Lebenseinstellung und die fröhliche Art der Inder, die sie trotz manchmal
schlimmer Bedingungen haben und auch die verschiedenen Religionen und ihre starke
Gläubigkeit haben mich sehr fasziniert. Auch ihre Gastfreundschaft und ihr Interesse an
Ausländern, fand ich immer wieder schön.
20. Mein Englisch konnte ich dank der Priester und Nonnen sehr verbessern, da sie sehr gut
Englisch sprechen konnten. Anfangs habe ich sie wegen ihrem indischen Dialekt und sie
mich wegen meinem deutschen Dialekt schlecht verstehen können, das hat sich allerdings
schnell gelegt. Aber auch in Telugu konnte ich ein paar wichtige Sätze lernen, das Schreiben
auf Telugu habe ich allerdings nicht gelernt, da es sehr schwer ist.
21. Durch das Praktikum fühle ich mich reifer für den Lehrerberuf. Dadurch dass die Schüler
immer sehr motiviert waren und sehr respektvoll mit ihren Lehrern umgegangen sind, freue
ich mich schon sehr auf mein Lehrerdasein. Ich habe hier außerdem auch gelernt, dass man,
um guten Unterricht zu machen, nicht in jeder Stunde so viele Medien und Materialien
braucht. Das wichtigste ist eine gute Beziehung zu den Kindern und Spaß am Unterrichten.
22. Die Gehörlosenschule Navajeevan ist auch zukünftig bereit ausländische Praktikanten
aufzunehmen. Sie nehmen gerne Lehramtsstudenten, aber auch Studenten aus anderen
Fachrichtungen. Als ich an der Schule war, waren beispielsweise auch Medizin- und
Jurastudenten da. Die Verpflegung und Unterkunft ist kostenlos. Eine kleine Spende wäre
allerdings nett, wird jedoch nicht erwartet.
23. Ich kann die Schule allen anderen Praktikanten sehr empfehlen, sofern sie offen für eine
ganz andere Kultur sind. An der Schule wird viel gelacht, jeder wird herzlich aufgenommen
und die Kinder sind sehr an Praktikanten interessiert, da sie oft noch nie weiße Menschen
und noch nicht viel von der Welt gesehen haben. Die Nonnen und Priester kümmern sich
ständig und sehr gut um jeden und man kann mit ihnen sehr gut reden und viel lachen. Im
Unterricht versuchen die Lehrer oft ihre Praktikanten miteinzubeziehen oder sie übersetzen
so gut sie können das eben gesagte auf Englisch. Durch die College-Studenten, die
Lehramtsanwärter, hat man auch Kontakte zu Gleichaltrigen, wobei auch die Lehrer nicht
sehr alt sind. Auch das Essen an der Schule ist sehr gut. Anfangs wurde für uns Praktikanten
extra ohne Chili gekocht, damit sich unser Magen langsam an die Schärfe gewöhnen kann.
An der Schule gibt es außerdem eine Wasserreinigungsmaschine, bei der man sich immer
frisches und sauberes Trinkwasser holen kann. Anfangs musste sich zwar mein Magen an
das Essen und Trinken gewöhnen, es ging aber sehr schnell.
Ich würde allen zukünftigen Praktikanten empfehlen, Medizin (v.a. Lopedium, Paracetamol
und Aspirin) aus Deutschland mitzubringen, da die Kinder immer wieder krank sind und
man sich schnell anstecken kann. Außerdem ist es schwierig hier Hygieneartikel, wie
Tampons, Deodorants und Toilettenpapier zu bekommen.
24. Für die Organisation durch Student und Arbeitsmarkt habe ich keine
Verbesserungsvorschläge, da ich sehr zufrieden damit war.