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  • Sequenzen und CollaborationsZeitgenssische Kunst trifft Art Brut

  • Abbildung Cover: Margarethe Bamberger / Heidi Zednik / Donna E. Price

  • Herausgegeben von:

    Helmut PumAtelier Diakoniewerk

    und

    Ferdinand Reisenbichler Kunstwerkstatt Lebenshilfe O/Gmunden

    Sequenzen und CollaborationsZeitgenssische Kunst trifft Art Brut

    2014

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    Inhaltsverzeichnis

    Helmut Pum Vorwort 6Ferdinand Reisenbichler Die Gmundner 7

    Dokumentation Sequenzen und Collaborations 9

    Heidi ZednikDonna E. PriceErnst SchmidSylvia VorwagnerAnette Friedel Christian RebhanFerdinand ReisenbichlerGertraud GruberBirdman Hans LangnerFranz KrumholzHelmut PumPeter AssmannJutta SteinbeiEli KumpfhuberMargarethe BambergerFerdinand GtzFlorian Sedmak

    Gastautoren

    Robert Ritter Kunst und Inklusion 30Peter Assmann Der Knstlergeist im Gesprch kunsthistorische Anmerkungen zu den Sequenzen 2014 in der Deutschvilla in Strobl 31Margit Zuckriegl Alles ist ein Bild Anmerkungen zu einer originren Kontingenz von Bildern 34Angelica Bumer Art Brut und viele Fragen 36Rene Weber Kreativprozess als Lifestyle 38

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    Helmut Pum VorwortDie Broschre Sequenzen und Collaborations ist eine Zusammen-schau von knstlerischen Projekten ber einen Zeitraum von drei Jahren mit dem gemeinsamen Motto Zeitgenssische Kunst trifft Art Brut. Die Projekte werden von der Kunstwerkstatt der Lebens-hilfe Gmunden und dem Atelier des Diakoniewerkes veranstaltet und sind als Selbstverstndnis, Ergnzung und Wechselwirkung zur souvernen eigenstndigen knstlerischen Arbeit sowohl der ein-zelnen beteiligten KnstlerInnen aus und in den Kunstwerksttten als auch im Zusammenspiel mit den im freischaffenden Kontext ste-henden KnsterInnen gedacht.

    Im inhaltlichen Sinne forcieren wir eine Perspektive, die im Zusam-menspiel von Art Brut mit zeitgenssischer Kunst keinen Wider-spruch sieht, auch wenn beide nach unterschiedlichen - aber sich ergnzenden - Kriterien abgehandelt werden mssen. Auch erfolgt daraus nicht zwangsweise, dass eine vorherige Zuordnung passie-ren muss von Menschen mit Behinderung, Outsidern und Autodi-dakten zu Art Brut und von professionellen KnstlerInnen zu zeit-genssischer Kunst.

    Geht man bei der Bedeutung von Kunst bei reflektiver Sicht letzt-lich mit der in sich doppelt gestellten Frage Was ist wirklich wirk-lich? heran, so ist bei intuitiver Wahrnehmung und direktem au-thentischen Ausdruck dieser bereits Antwort und Ursache an sich und wirft daher auch keine Frage mehr auf. Braucht die Reflexion in einer verlaufenden Zeit die Annahme von zumindest zwei Wirk-lichkeiten, um sie miteinander vergleichen und Rckschlsse zie-hen zu knnen, so erkennt die Wahrnehmung die unendliche Flle an Mglichkeiten und setzt eine nach der anderen jeweils im Jetzt in einer Struktur der Antworten um. Letztlich sind es individuelle Entscheidungen und deren Verhltnisse, welche persnliche knst-lerische Sprache von einem Einzelnen gewhlt, entwickelt und ent-faltet wird.

    Zeitgenssische Kunst und Art Brut stehen weiters in einem engen sozialen und gesellschaftspolitischen Zusammenhang und erh-hen - falls man eine Klrung ber die inhaltliche Linie verlsst - die Anzahl an sekundren Themenstellungen wie zwischenmenschli-che Beeinflussung, Manipulation in Abhngigkeitsverhltnissen, Imagegewinn, persnliche Vorteile, Position in der Kunstszene, etc.Die Herausgabe dieser Broschre beinhaltet somit den Versuch, ei-nen grtmglichen gemeinsamen Nenner, eine geschichtliche und jetzige und vielleicht grundstzliche Bedeutung von Art Brut und diese vor allem im inhaltlichen Sinne aufzuzeigen. Dafr haben wir Persnlichkeiten aus den verschiedensten Fachbereichen und mit unterschiedlichen Zugngen eingeladen.

    In einem ersten Doku-Kapitel werden wir knstlerische Positionen inklusive der verschiedenen Arten der Collaborations und Interven-tionen der TeilnehmerInnen bei den Projekten prsentieren. Hier gilt auch der ganz besondere Dank an diejenigen KnstlerInnen, die zustzlich zu ihren bildnerischen Beispielen auch mit schrift-lichen Statements und Texten versucht haben, sich ihren eigenen knstlerischen Prozessen und/oder durchgefhrten Interventionen anzunhern, ein durchwegs eher unblicher, schwierigerer und des-halb im Sinne der Chance grerer Transparenz und Prozesseinsicht umso mehr wertzuschtzender Vorgang.

    Robert Ritter, Leiter der Kunstwerksttten im Diakoniewerk, the-matisiert im weitesten Sinne Kunst und Inklusion. Hier werden die klassische Behindertenarbeit und (pd)agogische Prozesse mit knstlerischer Arbeit verglichen und in diesem Zusammenhang die Bedeutung von Inklusion hinterfragt.

    Jeweils ein wissenschaftlicher Artikel wird von Peter Assmann, Knstler als auch Kunstwissenschaftler, und Margit Zuckriegl, Leite-rin der Fotogalerie im Museum der Moderne Salzburg, beigetragen. Margit Zuckriegl knpft bei ihren berlegungen an die knstleri-sche Hauptperson der Biennale 2013 Venedig an, den Autodidakten Marino Auriti, von dessen enzyklopdischem Palast das weitere Konzept und die Prsentation der Biennalebeitrge abgeleitet wor-den sind. Und sie stellt auch weitere berlegungen zu daraus sich ergebenden Entwicklungen neuer Begrifflichkeiten an. Peter Ass-mann war vorrangig knstlerischer Teilnehmer bei Sequenzen 2014 und bezieht zustzlich zu kunstwissenschaftlichen Betrachtungen auch in gleichwertigem Mae als Knstler Stellung.

    Angelica Bumer, Herausgeberin von Art Brut in Austria 2007, wurde von uns eingeladen, ber ihre Herausgabe des Buches im Jahre 2007 ein Resmee zu ziehen und eventuelle Entwicklungen und Perspektiven zu reflektieren. Sie ntzt dies auch, um zu unse-rem Broschrenmotto zeitgenssische Kunst trifft Art Brut eine persnliche Gegenposition zu beziehen und eine Art Brut - Zwi-schenszene zu lokalisieren. Da wir auch wenn wir uns als Heraus-geber im inhaltlichen Sinne anders positionieren und eine andere Perspektive ins Auge fassen der Offenheit von Diskursen und der verschiedensten Meinungen, die in der groen Art-Brut-Szene in sterreich zu finden sind, gerne Rechnung tragen, werden wir mit-tels der vorliegenden Broschre und in der geplanten alljhrlichen Erscheinung auch in der Folge eine Diskussionsplattform zur Verf-gung stellen. Auf jeden Fall wird sich aber noch genauer begrnden mssen, ob sich eine eher bewahrende distanzierte Haltung gegen-ber einer dynamisch offenen und direkteren durchsetzen wird.

    Als Quereinsteiger bei Sequenzen 2014, Querdenker, Sprachakrobat (Wahrnehmungsdialog: Keiner sagt etwas und ein Wort ergibt das andere) und Musiker ist Ren Weber anfangs eigentlich nur als Besucher und Begleitung eines Projektteilnehmers aufgetreten im Laufe der Projekttage mit Diskussionen und spontanen malerischen Beteiligungen immer mehr in die Art Brut Thematik geschlittert und hineingewachsen und rundet mit seiner persnlichen Kreativ-Le-bensphilosophie und seinen Texten, Bildbeispielen und Zitierungen die Gesamtbeitrge ab.

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    Ferdinand Reisenbichler Die Gmundner DIE GMUNDNERAls ich 1992 im Rahmen einer Neuorganisation des Arbeitsbereiches in der Tagesstruktur der Lebenshilfe Gmunden die Kunstwerkstatt ein freies Atelier fr Menschen mit Behinderung - initiiert habe, wusste ich nicht, wohin uns dieser Weg fhren wird. Das einzige Ziel des Ateliers war es Menschen mit knstlerischen Ambitionen einen professionell gestalteten Freiraum zu geben.

    Im Laufe der Zeit haben wir gesehen, dass unsere knstlerischen uerungen bemerkt und geschtzt werden. Die Aufnahme in das Kompendium Art Brut in sterreich von Angelica Bumer, die Nominierungen fr und Preistrgerschaft beim EUWARD ( Europ-ischer Kunstpreis fr Menschen mit Behinderung), die Kooperati-onen mit groen Firmen und viele andere Ereignisse vernderten unseren Stellenwert und unser Selbstbewusstsein. Dank der vorbe-haltlosen Untersttzung der Trgerorganisation war es uns immer mglich neue und experimentelle Wege zu beschreiten, und das haben wir auch weidlich getan.

    Nicht jeder unserer Wege hatte ein Ziel, nicht jeder fhrte uns wei-ter, aber alle trugen sie dazu bei, dass wir mit Lust immer noch die Herausforderung suchen und die momentan gegebenen Grenzen infrage stellen. Heute arbeiten wir als Knstlerkollektiv zusammen und setzen unsere Fhigkeiten zum Wohl der KnstlerInnen und des Ateliers ein.

    Wir sind ein leises Atelier, machen uns nicht wichtig, ben uns in Bescheidenheit, halten unsere Preisgestaltung in einem sozial vertrglichen Rahmen, drngen uns weder nach vorne noch auf. Den Kunstmarkt betrachten wir als eine Spielwiese, auf der wir uns aufhalten, aber von dem wir uns nicht vereinnahmen lassen. Wir entziehen uns der Unwahrheit des Kunstbetriebs und sind auf Eigenstndigkeit und Unabhngigkeit bedacht. Das bringt mgli-cherweise nicht die fette Kohle, aber dafr haben wir Freiraum fr persnliche und knstlerische Entwicklung, und dies ist wohl das Wesentliche am Kunstschaffen die eigene Entwicklung als Mensch voranzutreiben.

    ART BRUT?In den letzten Jahren sehen wir uns vermehrt in eine begriffliche Diskussion verwickelt. Ich nehme fr meine KollegInnen den Faden auf und muss gestehen, dass es fr uns vllig belanglos ist, unter welcher Etikettierung diese Form der Kunst gehandelt wird. Der Vor-teil eines berbegriffs ist, dass der Inhalt mundgerecht fr den Adressaten aufbereitet wird und der Zugang, das Verstndnis und die Bewertung vereinfacht werden.

    KUNST im Wandel!Alles ist in Bewegung. Werte und Normen verndern sich. Neue Bezugspunkte entstehen, der Kontext erweitert sich und verndert die Gegebenheiten. Der Kunstbegriff beginnt zu schwanken, noch sparsam, aber doch unbersehbar. Dass die Art Brut wieder vermehrt in den Mittelpunkt des Interesses rckt, ist fr mich ein Zeichen dieses Wandels. Der Mensch sucht universellere Werte in diesen vagen Zeiten. In den Arbeiten von Menschen mit Behinderung sind diese Werte noch zu finden. Au-thentizitt, unkonventionelle Lsungen, Humor, essentialisierte Su-jets, ungeknstelter Ausdruck, bedingungslose Wahrheit und das JA zum Leben sind Subliminals, die in allen Bildern mitschwingen. Der Kunstbetrieb hat seine Wahrheit verkauft und wird sich einer Neudefinition nicht entziehen knnen.

    NACHHALTIGKEIT & KUNSTNachhaltigkeit ist eines der populrsten Schlagwrter dieser Zeit. Nachhaltigkeit bezieht sich auf Ressourcen, die schonend und par-tizipierend gentzt werden. Auch in der Kunst ist Nachhaltigkeit ein wichtiges Thema .

    Wir nutzen unsere Ressourcen schonend, geben Gas wenn es notwendig ist, verlangsamen den Prozess, wenn Sammlung, Ruhe und Orientierung angesagt ist. Wir lassen Raum fr Entwicklung, unterwerfen uns keinem Markt, lassen uns nicht treiben und sind doch permanent in Entwicklung begriffen. Die Arbeit an der Knst-lerpersnlichkeit geht Hand in Hand mit der Arbeit am sozialen In-dividuum und wird zu einer ganzheitlich zu begreifenden Entwick-lungsarbeit. Die Bilder entwickeln sich aus einem aktuellen Anlass, bieten, durch die serielle Arbeit, die Mglichkeit der thematischen Vertiefung und Weiterentwicklung. In den Ausstellungen werden die KnstlerInnen sichtbar und schaffen, zusammen mit ihren Bildern, einen nachhaltigen Eindruck bei den Besuchern. Die Wahrheit der Person unterstreicht die Wahrheit ihres Werkes und macht auf eindrucksvolle Weise einen sehnsuchtsbeladenen Gegenentwurf zur Selfie-Gesellschaft greif- und sichtbar. Art Brut ist, bedingt durch seine Protagonisten, auf partizipierende Nachhaltigkeit aus-gerichtet.

    DER SCHRITT WEITER Als ich vor einigen Jahren Helmut Pum im Rahmen eines Art Brut Museumsprojekts kennenlernte, war meine Sehnsucht nach Zu-sammenarbeit und Austausch sehr gro. Helmut brachte neue Gedanken, neue Vorgehensweisen, neue Fhigkeiten und die Mg-lichkeit sich fachlich auszutauschen ein. Nach unserem ersten ge-meinsamen Projekt war klar, dass wir uns perfekt ergnzen. Das wir beide als Knstler, Atelierleiter beziehungsweise als knstlerische Verantwortliche in den Sozialeinrichtungen fungierten, war als Grundlage unserer Zusammenarbeit von groem Wert.

    Aus unserer Zusammenarbeit wurden die SEQUENZEN ins Leben gerufen, ein jhrlich stattfindendes einwchiges Groraumatelier, in dem zeitgenssische Knstler und Art Brtler gemeinsam ar-beiten, leben und die entstandenen Werke ausstellen. Begleitend dazu begann das Gmundner Atelier mit dem Projekt COLLABORA-TION. Auch in diesem Projekt treffen sich zeitgenssische Knst-lerInnen und Art Brut Knstler in einem eigens dafr adaptierten Atelier-Raum. Dort entstehen Be- und berarbeitungen und zirku-lre Prozesse.

    Die Erfahrungen aus diesen Projekten sowie die Qualitt der Gemeinschaftsarbeiten waren zutiefst berzeugend. Hier traf KnstlerIn auf KnstlerIn, ohne Vorzeichen, ohne Stigma, ohne Infragestellen, ohne Berhrungsngste, ohne Vorurteile. In den Gemeinschaftswerken dokumentiert sich eine neue Qualitt von Kunst, die nur passieren kann, wenn sich die Beteiligten wertscht-zen und vorbehaltlos aufeinander als gereifte, gleichberechtigte Knstlerpersnlichkeiten zugehen.

    KUNST ALS SEISMOGRAF FR GESELLSCHAFTLICHE VERNDERUNGEN Als ich vor acht Jahren meine KnstlerkollegInnen aus der Kunst-werkstatt als Mitglieder zur Aufnahme in den traditionsreichen Kunstverein Knstlergilde Salzkammergut vorschlug, endete dies mit einem Eklat. Der damalige Prsident drohte mit seinem soforti-gen Rcktritt, sollten die behinderten KnstlerInnen als vollwerti-ge Mitglieder aufgenommen werden.

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    Im April 2014 wurden nun die vorgeschlagenen KnstlerInnen aus der Kunstwerkstatt einstimmig in den Kunstverein als gleichberech-tigte Mitglieder aufgenommen. Damit sind in Gemeinschaftsaus-stellungen, auf der Kunstmesse, bei knstlerischen Aktionen im-mer auch Menschen mit Behinderung mit ihrer knstlerischen und menschlichen Kompetenz beteiligt.

    Die Begegnungen und das Zusammenarbeiten in den SEQUENZEN und COLLABORATIONS waren mitentscheidend fr die Aufnahme. Die hier gewonnenen Eindrcke ber die komplexen, professionel-len und unkonventionellen Herangehensweisen von Menschen mit Behinderung an die Kunst und deren hohe Qualitt schufen eine aufrichtige Wertschtzung, die letztendlich die Aufnahme in den Kunstverein untersttzte.

    Ich bin ein alter Hase, was die Auseinandersetzung mit Art Brut betrifft, und ein an der Basis handelnder Akteur. Aus diesem Back-ground und aus dem Obgenannten heraus wiederspreche ich der von mir sehr wertgeschtzten Grand Dame der Art Brut Angelica Bumer mit Nachdruck. Die gemeinsame Prsentation von Werken zeitgenssischer Knstler mit Art Brut, die Zusammenarbeit von be-hinderten und nichtbehinderten Knstlern, ist fr mich zweifellos ein richtiger, wichtiger und bereichernder Schritt und ein Geschenk fr den kunstinteressierten Betrachter.

    Meine Knstlerkolleginnen wurden lange auf den Weg Zu- und In-Sich, als Vorbereitung fr den Weg in die Gesellschaft, beglei-tet. Jetzt ist es Zeit, den gefestigten Knstlerpersnlichkeiten den Schritt weiter in die Mitte der Soziett zu ermglichen. Die Begeg-nungen mit zeitgenssischen Knstlern auf Augenhhe ist eine logische Konsequenz dieses Weges.

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    Dokumentation Sequenzen und Collaborations Eine berleitungDas Offene Atelier im Art Brut Center Gugging bietet, prinzipiell je-dem, der es mchte, eine Teilnahme an. Dafr gengen eine gegen-seitige zeitliche Anwesenheitsvereinbarung innerhalb der Arbeits-tagesstruktur und die Bereitschaft, ohne zwingenden Anspruch an Kunstproduktion primr knstlerisch prozessorientiert zu arbeiten. Das Angebot gilt gleichermaen fr Professionisten als auch fr Au-todidakten. Die verantwortliche Leitung/Begleitung im Atelier gibt, nur bei geuertem Wunsch, allfllige Untersttzung, ansonsten obliegt es jedem Einzelnen innerhalb der Ateliergruppensituation seinen eigenen Ablauf zu vollziehen.Dies ist laut meinem Wissen im Vergleich zu anderen im sozi-alpdagogischen oder psychiatrischen Umfeld liegenden Ateliers eine Besonderheit und zielt wohl darauf ab, ber diesen eigenen knstlerischen Prozess und innerhalb der vorhin angegebenen Rah-menbedingungen Zugang, Einblick und Einsicht in das zu bekom-men, worum es hier geht, nmlich um Art Brut.Abgesehen von diesem Angebot der offenen Tre achtet Gugging sehr sorgfltig auf seine eigene weitere ffentlichkeitsarbeit und Bewahrung und Bewahrheitung des Zentrums - Art Brut und sei-nem Verhltnis zur zeitgenssischen Kunst(Szene?).

    Sequenzen 2012 und 2013 Papiermachermuseum Steyrermhl, ObersterreichDie vorhin genannten ueren Rahmenbedingungen, die allem An-schein nach bessere Voraussetzungen zur Einsicht in Art Brut und auch so etwas wie ein quivalent zu den inhaltlichen Strukturen bieten, knnen noch weiter forciert werden. Bei den ersten Veran-staltungen der Projektserie Sequenzen 2012 und 2013 wurde die bliche Tagesarbeitsstruktur innerhalb des Ablaufes in der Sozial-einrichtung aufgehoben, nach auen an einen anderen Projektort verlagert und zeitlich mit zumindest drei durchgehenden 24-Stun-denarbeitstagen definiert. Fr 72 Stunden konnte also jeder knst-lerische Teilnehmer machen, was und wie er mochte und nahezu alles (essen, schlafen, knstlerische Arbeit, ) spielte sich in einem einzigen groen Raum ab. Gleichzeitig wurde auch das in einem Ate-lier innerhalb der Sozialeinrichtung notwendige(?) Rollenverhltnis der knstlerischen Assistenz bzw. Atelierleitung aufgehoben. Dieses Freilassen jeglicher praktischer Vorgaben sollte sich auch auf die Freiheit (und auch den Zwang zur Freiheit) der inhaltlichen knstlerischen Vorgehensweise auswirken. Jedem blieb es selbst berlassen, ob er sich auf eine selbstbezgliche Arbeit oder einen Kontakt oder Intervention einlie oder nicht.

    Sequenzen 2014 Deutschvilla, Strobl am Wolfgangsee, SalzburgBei den Sequenzen 2014 in der Deutschvilla starteten am ersten Tag alle knstlerischen Teilnehmer parallel zum Workshop mit der Prsentation der eigenen knstlerischen Arbeiten in einem der vier-zehn Rume der Deutschvilla. Whrend des folgenden einwchigen Workshops waren direkt und indirekt Synergien, gegenseitige Be-einflussungen und Interventionen des knstlerischen Prozesses und/oder der Art und Weise der Prsentation der Beteiligten er-wnscht, und es galt die Aufforderung, diese letztlich in einer zwei-ten Ausstellung knstlerisch zu thematisieren. Ziel war nicht eine Nebeneinander- oder Gegenberstellung von Arbeiten verschiede-ner Knstler vorzunehmen, sondern die gegenseitige Einflussnah-me inhaltlicher knstlerischer Prozesse sichtbar zu machen.

    Collaborations 2013 bis 2014 Kunstwerkstatt Lebenshilfe O / Gmunden, ARThaus4Begleitend zu den Sequenzen begannen unter der Koordinierung von Ferdinand Reisenbichler die Collaborations in Gmunden bereits mit weiterfhrenden und verdichteten Mglichkeiten von knstleri-schen Dialogen zu arbeiten und dies auch mit umfangreichen Seri-en und intensiver Ausdauer einzelner Knstlerpaarungen. Die nachfolgende Dokumentation von einzelnen Arbeiten aus die-sen Projekten, die knstlerischen Ergebnisse und die Meinungen und Auffassungen der AutorInnen sollen hier nun einen berblick und Einblick in die Arbeitsprozesse geben.

    Helmut Pum

    Helmut Pum, Auszeit / Intervention: Heidi Zednik

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    kollaboration + art brut + zeitgenssische kunst = SEQUENZEN (2014)vorwortkollaborieren ist fr mich nicht neu. ich habe schon mit vielen knst-lern zusammengearbeitet, von tnzern bis dichter, von musiker bis maler. Mit manchen knstlerinnen habe ich ber jahre hinweg kolla-boriert, mit anderen nur ein projekt gemacht. jedes mal war es eine sehr bewute kombination von knstlern.

    einmal war ich teil eines monatelangen experiments 20 knstler aus allen medien kollaborierten, nur mit einer performance als end-produkt, egal wie abstrakt oder schrg die performance wurde. das projekt war nur interessant als experiment, sonst nichts.

    in einer kollaboration hat der individuelle knstler immer enormen wert, auch wenn durch die kollaboration eine komplette vermi-schung der individualitten entsteht. wenn ein knstler pltzlich aus einer kollaboration ausfllt, ndert sich alles.

    geschichte (1988 2014)ich beginne mit meiner version von geschichte und definitionen - die einzige mglichkeit, die vielen stufen meines weges zu sequen-zen 2014 zu zeichnen. eine lange linie, die als punkt beginnt und als zeichnung endet. geschichte reflektiert immer zeit und ort. knstler ist zugleich knstlerin. ab jetzt schreibe ich in der gegenwart die geschichte hat kein ende.

    1988meine erste begegnung mit art brut ist whrend meiner universi-ttszeit (mag. art, usa) es macht mich aufmerksam art brut ist roh und direkt. es ist genau das, was ich, zum groteil ohne erfolg, in meinen eigenen arbeiten zu zeigen versuche. ich ahne, wie mei-ne kunst werden soll - die visuelle gestaltung eines moments aber mir fehlen konsequenz und eine vollstndige landkarte, wie ich dorthin komme. art brut = outsider kunstes ist zeit um-zu-definieren oder einfach nicht zu definieren. ich ver-wende art brut und outsider kunst gleichwertig. fr mich existiert kein unterschied zwischen outsider knstlerinnen und typisch de-finierten zeitgenssischen knstlern. der kern bleibt gleich: kunst.

    kollaborationum aktiv umzulernen, was auf der kunstuniversitt gelehrt wurde, arbeite ich weitgehend mit knstlerkollegen tnzern, musikern, schriftstellern, dichtern und bildenden knstlerinnen. kollaborieren : kol|la|bo|rie|ren. franzsisch collaborer, eigentlich = mitarbeiten < sptlateinisch collaborare >

    kollaborieren, wenn es funktioniert, schleudert mich aus meiner engen mal-schrift-sphre in ein elektrisches bndel kreativitt. konzentration und absolutes selbstvertrauen als knstlerin, auch meine eigene sprache, ist wesentlich. sodass ich einen anderen knstler mit einer genauso starken stimme in eine kreative bezie-hung einlasse. die meisten kollaborativen beziehungen haben ei-nen natrlichen anfang und ende, als ob die energie, die durch den mix entstanden ist, einfach befriedigt ist.

    sterreich gebrtige amerikanerin, ist sterreich meine heimat. als lesbe fh-le ich mich nie anders. outsider kunst ist selbstverstndlich sie fragt nicht, sie ist einfach. es ist nicht berraschend, dass outsider kunst immer wieder in meinem leben auftaucht.

    Heidi Zednik / Ferdinand Reisenbichler

    Heidi Zednik

    Donna E. Price / Intervention: Heidi Zednik

    Zednik Reisenbichler Price

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    fnf tage lang beobachte ich: erstaunliche widmung und konzentra-tion, gelchter und verspieltheit. ich sehe und bin teil einer gemein-schaft. wir teilen miteinander, schlagen vor, tauschen materialien aus, kollaborieren. wir gestalten interventionen ein total neues konzept von kollaboration entfaltet sich. es eskaliert tglich, wird berauschend. keine egos prallen auf einander. wir lernen vonein-ander, miteinander. wir beobachten, wir inspirieren. wir machen wahnsinnig viel kunst.

    jetztim nachhinein, als wir von der skepsis der galeristen, museums-direktoren, programm/geschftsfhrer und ihrer anschlieenden berraschung mit unserem resultat erfuhren, wussten wir, dass et-was neues entstanden ist. als teil einer fortlaufenden vernderung, verstehe ich immer deut-licher, dass ich als kollaboratorin eine bessere knstlerin bin. ich bewege mich zunehmend richtung kollaboration. die solo arbeit bleibt wichtig, um mich weiterzuentwickeln. als knstlerin verliere ich nichts an individualitt, sondern bekomme eine strkere stim-me. durch kollaboration entsteht ein knstlerischer big bang. die effekte hallen immer weiter wir sind nur am anfang.

    (originaler text englisch. bersetzung heidi und margarete zednik)

    notizen: MFA (malen), university of north carolina, chapel hill, 1990 kollaboration-knstler: rachel bowman, terri godfrey, babs case

    (tanz), hilary benedict (tanz), alicia bailey, jasmine beach-ferrara (text), donna e. price, anette friedel, sylvia vorwagner, ferdinand reisenbichler

    spondere = eine kollaborative kollective. alicia bailey + heidi zednik

    The Big Draw = www.thebigdraw.org

    Heidi Zednik

    Eli Kumpfhuber / Peter Assmann / Christian Rebhan / Sylvia Vorwagner

    1996ich kaufe mein erstes art brut bild von der kunstwerkstatt lebens-hilfe gmunden.

    2005 als spondere lade ich die kunstwerkstatt ein, in einem internatio-nalen magnet austausch mitzumachen. magnet mafia + spondere + eingeladene knstler / sterreich-denver-asheville.ferdinand und ich treffen uns als knstler.

    2012mit meiner frau / knstlerkollegin donna e. price bersiedle ich nach sterreich, um mit zwei sterreichischen knstlerinnen (anette frie-del, sylvia vorwagner) das gruppen atelier ARThaus4 zu erffnen. teil des The Big Draw projekts arbeite ich zum ersten mal als knst-lerin mit art brut knstlern von der kunstwerkstatt. das erlebnis rttelt mich wach. eine spontane zeichen-kollaboration unter ART-haus4 knstlerinnen fhrt zu einer knstlerischen berraschung fr uns alle - die kollaborative knstlergruppe DASH/4.

    2013ferdinand ldt mich ein, bei Sequenzen 2013 mitzumachen. es ist erschpfend mitzumachen, hauptschlich weil ich unvorbereitet fr die seriositt-hingabe-intensitt der art brut knstler bin. es ist pure, rohe arbeit. als knstler muss ich zu mir selber stehen ich komme frh zum arbeitstisch, arbeite dort und gehe spt nach hau-se. es gibt keine musik, es wird wenig gesprochen. gesprche kom-men mit dem essen. ich stelle fest, ich habe viel disziplin zu lernen.

    2014ferdinand ldt mich ein, mit zeitgenssischen knstlerkollegen und kunstwerkstatt-knstlerinnen zu kollaborieren. das kollaborieren ist mhelos und lustig es ist selbtverstndlich. die darauffolgende ausstellung COLLABORATIONS ist erstaunlich. die arbeiten sum-men mit intensitt zeitgenssisches kunst-vokabular fliet in rohe kunst und wieder zurck. etwas frisches und verbndetes entsteht, es weckt auch das interesse des kunstpublikums.

    diese energie, dieses summen, diese erfahrungen von COLLABORA-TIONS werden alle in SEQUENZEN 2014 hineingeschttet.

    SEQUENZEN + Interventionen 2014 dieses mal bin ich vorbereitet. ich habe bereits mit vielen von den knstlern zusammen gearbeitet, war teil von Sequenzen 2013 und habe genug kunstmaterialien fr einen monat. ich bereite mich vor, wie fr eine artist in residence-zeit. die unklarheit von sequenzen 2014 wir fhlen uns alle wohl damit keiner von uns wei, wohin es fhrt. fnf tage lang: outsider knstlerinnen und zeitgenssische knstler arbeiten mit/neben/untereinander, kollaborieren spontan und ge-stalten tglich eine intervention. ein wahnsinnskonzept, htte es nicht so gut funktioniert.intervenieren: in|ter|ve|nie|renfranzsisch intervenir < lateinisch intervenire >(bildungssprachlich) [vermittelnd] in ein geschehen, einen streit o. . eingreifen, sich [als mittler] einschalten

    ich bin auch die haupt-fotodokumentiererin fr sequenzen 2014. das teilt meine rolle beobachter und teilnehmer, aber beide rollen sind aus der perspektive des knstlers. innerhalb Sequenzen gibt es keine outsider. wir sind alle knstler wir machen kunst. es ist unsere arbeit.

    Kumpfhuber Assmann Rebhahn Vorwagner

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    Collaboration und Sequenzen 2014

    Wenn ich das Bauen von einem Steinweg als Bespiel nehme, so wa-ren fr mich COLLABORATIONS und SEQUENZEN 2014 zwei wichtige Steine in meinem knstlerischen Weg ein Weg, wo die Grundstruk-tur konsequent sein muss. Als Teil von dem Projekt COLLABORATIONS, bekam ich die Gelegen-heit mit Ernst Schmid zu kollaborieren, in diesem Fall durch berar-beitung. Ich wusste sofort, wie ich intervenieren wollte. Ich war schon immer von Ernst Schmids Bilder fasziniert wie er ein alltgliches Produkt betrachtet, eine bestimmte Marke von Saft oder Shampoo, und dieses banale Produkt in ein visuell faszinierendes Kunstwerk umwandelt. Schmids Arbeiten haben fr mich groe Anziehungskraft seine gra-fische Qualitt, wie er seine Bilder aufteilt, in 2 oder 3 Teile aufspal-tet. Zwischen Linie und Buchstabe existiert leerer Raum (negative space) ich wollte diesen leeren Raum dreidimensional machen. Mit jedem leeren Raum, den ich ausschnitt, ffnete sich ein Fenster und so ein tieferer Einblick in die Welt alltglicher Produkte, und hoffent-lich auch in die Welt von Ernst Schmid. Die Idee Lcher in Schmids Arbeiten zu schneiden war aufregend, aber auch eine groe Ehre. Ich machte jeden Schnitt mit groer Wertschtzung vor Ernst Schmid und seiner Art zu malen. Sequenzen 2014 fand in der Deutschvilla (Strobl) statt, was ideal war. Von der Villa selber kam Ruhe, Leichtigkeit und Inspiration. Die-se Energie, diese Synergie, schaffte den perfekten Arbeitsplatz. Wie das Licht durch das Fenster strahlte, wie die Stiegen knirschten, wie die alten Kristallampen klingelten, wenn ein Hauch von Luft wehte das war alles Teil einer perfekten Woche.

    Obwohl ich nicht so produktiv war, wie ich gehofft hatte, sind neue knstlerische Ideen / Gedanken entstanden. Das war genauso wich-tig fr mich, wie neue Werke zu gestalten. Art Brut Knstler und zeit-genssische Knstler vermischten sich mhelos in den Rumen. Die Tage entfalteten sich neue, aufregende Werke wurden leicht ohne Verzgerung geschaffen.

    Weil ich vorher noch nie so lange und so eng mit Art Brut Knstlern zusammengearbeitet habe, wusste ich nicht, was zu erwarten war. Was ich dann erlebte war Kooperation, Untersttzung und Wert-schtzung fr einander und alles, was knstlerisch entstand. Egos blieben im Hintergrund und eine wahre Liebe fr Kreativitt strkte die Tage.

    Zeitgenssische Kunst versucht zu oft eine Meinung, die nicht immer ntig ist, zu manifestieren. Die Art Brut Knstler machen Kunst um Kunst zu machen. Knstlerisch gestalten sie was sie sehen, lesen, verstehen oder fhlen. Der Inhalt ist roh und entsteht von einem un-belasteten Gedankenvorgang. In ihrer Konzentration waren die Art Brut Knstler unglaublich gezielt. Diesen Prozess mitzuerleben war eine Inspiration und hilft mir in meinem eigenen Prozess.

    Es ist sehr wichtig, den kollaborativen Prozess, besonders in der Kunst, zu untersttzen. Wir waren noch nie so verbunden/connec-ted und gleichzeitig getrennt/disconnected. Heutzutage kommt Information mit erschtternder Geschwindigkeit auf uns zu, aber zur gleichen Zeit verhungern wir an dieser Information. Durch das

    Florian Sedmak, Schwarm / Intervention: Heidi Zednik, Donna E. Price

    Sedmak Zednik Price

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    Kollaborieren mssen wir langsamer werden, miteinander reden, einfach in einem Raum zusammen sein und Zeit miteinander verbrin-gen mglichst ohne Ablenkung von auen. Der Kopf ist frei, um zu denken oder nicht, einfach pur zu reagieren. Die Interventionen von Sequenzen 2014 haben uns diesen Freiraum zu denken, zu reagieren - gegeben. Wir waren unbelastet von Mu-sik, Fernsehern, Tweets, Instagrams und dergleichen. Wir waren dort, um in einem Raum zu koexistieren und kreativ zu sein.Sequenzen 2014 wurde viel mehr als ursprnglich von Sequenzen erwartet wurde. Am Ende waren alle berrascht, wie wunderbar es wuchs und gedieh. (Originaltext englisch. bersetzung Heidi und Margarete Zednik)

    Donna E. Price

    Ernst Schmid / Collaboration: Donna E. Price

    Schmid Price

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    Wir leben in einer Zeit, in der es viele Vernderungen gibt und geben muss. Sowohl im Leben als auch in der Kunst ist es daher sehr wich-tig, authentisch zu sein und zu bleiben.

    Meine persnliche Erfahrung im Austausch mit den Knstlern der ART BRUT besttigt, dass Gleichberechtigung und Wertschtzung selbstverstndlich sein sollte.

    Fr mich ist es Arbeit in einer sehr hohen Schwingung, selbstver-stndliche Collaboration.Menschen, die sich gleichwertig fhlen und sind in ihrem Sein und in ihrer Kunst.

    Sylvia Vorwagner

    Sylvia Vorwagner / Intervention: Ferdinand Reisenbichler

    Sylvia Vorwagner Sylvia Vorwagner / Intervention: Birdman Hans Langner

    Vorwagner Reisenbichler Birdman

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    die begegnungen mit art brut knstlerInnen ist fr mich eine sehr reiche erfahrung geworden:vertiefen ........mich einlassen ..........offen sein - mich ffnen.......neue dimensionen - neue perspektiven ...etwas ehrliches, authentisches, direktes ......begegnung mit dem herzen, miteinander .........spiegel sein fr mich - fr ein zuviel im kopf, manulipationen.........

    wahrnehmung auf tieferer ebene ........... das ineinanderfliessen verschiedener welten .......zusammenarbeiten.......das nicht mehr unterscheiden ........ der humor ..........in verbindung gehen........ ich freue mich auf mehr und bin zutiefst dankbar fr die erfahrungen und mglichkeiten

    Anette Friedel

    Friedel

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    Rebhan Reisenbichler

    Christian arbeitet seit 2008 tglich an den Werktagen im Atelier. Jede Woche entstehen 50 bis 60 Bilder, um irgendwann aus- und einsortiert zu werden. Mittlerweile sind ca. 10 000 Bilder durch mei-ne Hnde gegangen und meine Aufmerksamkeit lie betrchtlich nach.

    Ich habe in den letzten zwei Jahren Christians Bilder oft nur mehr oberflchlich betrachtet. Die Flle ist berfordernd, zumal auch das gesamte Konvolut der anderen sieben KnstlerInnen geordnet und archiviert werden muss. Es wurde Zeit eine neue und intensivere Herangehensweise bzw. eine andere Kontaktform zu den Bildschp-fungen meiner Kollegen zu finden. Das COLLABORATIONS-Projekt, zu dem wir zeitgenssische Knst-lerInnen einluden, war eine Mglichkeit die Kunstwerke wieder neu und in einer anderen Funktion wahrzunehmen. Nun war ich als Knstler gefordert, mich mit den Bildern, denen ich sonst auswh-lend und archivierend begegnete, neu auseinanderzusetzen. Christian gab mir freie Hand bei der Auswahl seiner Bilder. Ich habe willkrlich Bilder ausgewhlt und mich knstlerisch mit ihnen be-schftigt. Die Bearbeitungen haben meinen Blick nachhaltig vern-dert. Kleine Details und Feinheiten wurden sichtbar, die ich sonst, bedingt durch die Flle, bersehen htte. Die Weiterfhrung seiner Textfragmente war eine Eintrittskarte in die Skurrilitt des Alltags. Der nahe Blick, der fr eine Intervention notwendig ist, hat meine Wahrnehmung der Bildwerke auf eine andere Ebene gefhrt.Ein tieferes Verstndnis und ein erweiterter Blickwinkel erleichtern mir im Nachhinein meine Aufgaben als Atelierleiter und schufen eine Wertschtzung, die auf einer wesentlich erweiterten Basis fut.

    Ferdinand Reisenbichler

    Christian Rebhan, Seite 28 Ferdinand Reisenbichler: Tagebucheintrag:manchmal, liebes Tagebuch, hab ich das Gefhl, dass meine Mama es nicht wirklich gut mit mir meint!

    Christian Rebhan: Ich sitze brav auf der Bank Ferdinand Reisenbichler: und pltzlich taucht da dieses bescheuerte Nashorn auf und zack-png, bin ich in meiner Traumastruktur gefangen. Scheie!

    Christian Rebhan / Collaboration: Ferdinand Reisenbichler

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    Christian Rebhan: Ich tu so wie wenn ich die Gitti wre die sich niederlegt.Ferdinand Reisenbichler: und dann versuch ich zu verstehen, was die Gitti fhlt, wenn sie sich niederlegt, und ich komm daher!

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    Rebhan Gruber

    Christian Rebhan / Gertraud Gruber

    Christian Rebhan / Gertraud Gruber Christian Rebhan / Gertraud Gruber

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    Christian Rebhan / Gertraud Gruber

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    Birdman

    Seit vielen Jahren ist das Thema der bermalung ein groer Be-standteil meines knstlerischen Schaffens. Limitierung in Bezug auf Material ist mir nicht bekannt, fr mich ist jeglicher Gegenstand ein potentielles Kunstwerk bzw. kann in einen Vogel verwandelt werden. In Allem Vgel zu sehen und diese hervorzuheben ist die knstlerische Herausforderung, der ich mich stelle.Die Transformation von Gegebenem reizt mich besonders. Verborge-ne Vgel in einem Gegenstand bzw. einem Kunstwerk eines anderen Knstlers zu sehen bannt mich, seitdem ich knstlerisch ttig bin, mehr und mehr. Oftmals bedarf es nur der Lsung des gewohnten Blickwinkels und der Vogel ist, auch ohne mein Hinzufgen, schon da. Oder es braucht nur wenige Pinselstriche, manchmal sogar nur einen ergnzenden Punkt fr ein Auge.Zumeist berarbeite ich erstandene Kunstwerke, zum Beispiel vom Flohmarkt, von Knstlern, die mir nicht bekannt sind. In diesem Fall mache ich, was ich mchte, ohne jemanden zu fragen.Bei den Interventionen ist das anders. Die Knstler der zu bearbei-tenden bzw. zu ergnzenden Werke sind vor Ort. Man tritt in einen Dialog und bespricht gemeinsam die vorgeschlagene Intervention, oder man berlsst ganz einfach einem Knstler ein Kunstwerk und lsst sich berraschen, was er damit macht. Gemeinsam an einem

    Werk zu arbeiten ist aus meiner Sicht eine bereichernde knstleri-sche Dimension. Durch das Abgeben eines eigenen Werkes an ei-nen anderen Knstler entfaltet sich das Loslassen des Eigenen, und Vertrauen zum Gegenber entwickelt sich. Es kann dadurch eine starke Verbindung zu anderen Knstlern entstehen, Verschmelzung findet im Idealfall beim Werk als auch bei den Knstlern statt. Ich erlebe durch die Interventionen ein Hingefhrt werden zum wir.Die Auseinandersetzung mit den Interventionen und deren Umset-zung fllt mir sehr leicht, da ich mich nicht an eigenes Geschaffenes klammere. Nach der Fertigstellung eines Kunstwerkes lasse ich es in dem Moment wie einen Vogel fliegen und widme mich, ohne am Alten zu kleben, dem nchsten Werk. Dadurch kann ich es leichtfer-tig der Allgemeinheit zur Verfgung stellen. Im Gegenzug sehe ich die Werke der Anderen als Material, das mir frei zur Verfgung steht. Ich mache mir keine groen Gedanken sondern nehme mir, nach Absprache, was mich knstlerisch reizt.Durch die kreativen Impulse der Anderen wird mein eigenes Po-tential bereichert. Ich erhalte andere Sichtweisen auf mein von mir geprgtes Schaffen. Ein gegenseitiges Beschenken von Kreativitt findet statt. Meine schpferische Euphorie und der kindlich spiele-rische Schaffensdrang nehmen durch dieses Kunstprojekt im Laufe

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    Kumpfhuber Birdman Reisenbichler

    der Woche mehr und mehr zu. Meine Produktionsfhigkeit steigert sich von Tag zu Tag. Es entstehen Vogelschwrme, die ich als ver-schmelzendes Gesamtwerk wandfllend prsentiere. Durch Gemeinschaftswerke bzw. bermalungen potenziert sich aus meiner Sicht knstlerisches Potential, da das Gedankengut mehrerer Knstler in einem Werk vereint ist. Es ist immer wieder verblffend die Sichtweise anderer Knstler zu erfahren und zu er-leben, wie das eigene Werk transformiert wird und dadurch Neues geschaffen wird.Fr mich erschliet sich dadurch der Freiraum zum unendlichen Weitermachen, da sich dadurch die Mglichkeit ergibt, dass ein Kunstwerk niemals fertig sein wird. Es kann theoretisch durch un-zhlige Knstlerhnde gereicht werden und jeder trgt seinen Bei-trag dazu bei.Ich persnlich liebe diese Kunstform der Intervention sehr und er-lebe es als groe Herausforderung, die Werke der Anderen durch mein Hinzufgen zu ergnzen, ohne dass sie dadurch berlagert oder zu stark verfremdet werden. Ich finde wichtig, dass beide Handschriften der Knstler noch erkennbar bleiben.

    Birdman Hans Langner

    Eli Kumpfhuber / Intervention: Birdman Hans Langner

    Birdman Hans Langner /Intervention: Ferdinand Reisenbichler

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    Donna E. Price / Intervention: Birdman Hans Langner

    Vorderglasmalerei: In dieser Woche habe ich eine fr mich sehr respektvolle und achtsame Herangehensweise entwickelt. Bei Kunstwerken die hinter Glas gerahmt sind habe ich begonnen auf das Glas zu malen. Das ursprng-liche Kunstwerk bleibt dadurch unberhrt. Solange das

    Franz Krumholz / Intervention: Birdman Hans Langner

    Helmut Pum / Intervention: Birdman Hans Langner

    Price Birdman Krumholz Pum

    Glas vor dem Kunstwerk hngt verschmelzen bemaltes Glas und Kunstwerk. Es knnen jedoch auch beide ge-trennt voneinander existieren. Eine Intervention die letzt-endlich keine Intervention ist....

    Birdman Hans Langner

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    Aus einer Serie von Zirkusbildern von Franz Krumholz sticht ein symbolisches Bild einer Akrobatin hervor, die an Seilen hngend, krperverrenkende Bewegungen vollzieht, die Krperhaltungen ge-nau so auslotend wie die Schwerkraft, von der sie abhngt und mit deren Mglichkeiten sie spielt und riskiert. Die im Raum schwebende Skulptur arbeitet im Vergleich zur im Rah-men platzierten symbolischen Zeichnung ebenso mit der Schwer-kraft, jedoch als Realitt. Ausgangssituation ist - zumindest the-oretisch - eine Punktmalerei, real eine am Ende einer Nylonschnur mit einem Farbtropfen begonnene Gestaltung, die mit dem einge-trockneten Farbklumpen weiter arbeitet, die Grund- und Malflche und gleichzeitig die entstehende dreidimensionale Figur Schritt fr Schritt vergrert und formt, eine Symmetrie erzeugt und gleicher-

    Helmut Pum, Punktmalerei

    Franz Krumholz / Intervention: Helmut Pum

    Jutta Steinbei, Engel / Intervention: Heidi Zednik Heidi Zednik, Intervention / Intervention: Helmut Pum

    maen von der Schwerkraft als auch dem wesentlichen Verhalten der flssigen Farbe und einem Zeitverlauf und Trocknungsprozess abhngig ist.Es war naheliegend, die beiden Arbeiten, die im gleichen Raum vorher gegenber hngend platziert waren, als Intervention inein-ander zu hngen, damit die vielschichtige Bedeutung der Bildinhal-te zu erhhen als auch die Mehrdeutigkeit und Notwendigkeit der Rahmen, der in einem Fall als Prsentation ein zweidimensionales Format abschliet, im anderen Fall als Konstruktion einen Raum im Raum definiert und gefllt wird.

    Helmut Pum

    Krumholz Pum Steinbei Zednik

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    Steinbei Gruber Assmann Pum

    Gertraud Gruber codiert in ihren Bildern alles, was sich als Vorlage, Thema und Gedanken anbietet, zu einer eigenen Zeichensprache, leitet ihre zeichnerischen Umsetzungen von Gegenstnden, Foto-vorlagen, Baustellenbildern, Fliesenmustern, Husern und allen weiteren sich ergebenden Gelegenheiten ab, breitet sich auf der Zeichenflche von unten beginnend nach oben orientierend aus, zieht einen grafischen Raster in die Weite der Mglichkeiten. Beim oben angefhrten Bild erfolgte schon unmittelbar nach dem Beginn der ersten Zeichenphase von Gertraud Gruber eine Intervention mit und von Peter Assmann, mit der Vereinbarung, die weiteren Zei-chenphasen abwechselnd zu vollziehen und die Zeichnung mehr-mals hin und her zu tauschen.

    Peter Assmann griff nun die Wesenszge der zeichnerischen Struk-turierungen von Gertraud Gruber auf seine persnliche Weise auf und gruppierte, Figur an Figur reihend, eine Menschenmasse, die sich zwischen die von Gertraud Gruber wie Gebirgszge oder Hu-sergruppen und Hochbauten anmutenden Grafiken zwngt, sich durchwlzt wie nach einer Groveranstaltung im Grostadtdschun-gel. Besucht wird dieser Zeichendialog von einem Birdman-Vogel, der sich, wie zufllig, auf einem Grafikgebilde platziert und nun das Geschehen scheinbar so beilufig von oben betrachtet. Inmitten der Zeichnung fliet ein Gedankenzitat IST ES AUCH GEBAUT, NICHT NUR GEWACHSEN zwischen den Figurengruppen ein und spricht - whrend des Gestaltungsprozesses - auf besonders feine, acht-same und neugierige Art einen eventuellen Unterschied der Bewe-gungsstrukturen von bauen und wachsen an, die sich beide in der Weite ausdehnen, jedoch unterschiedliche Wesenheiten sind und bei ihrem Gang andere Spuren hinterlassen. Ein Wechsel pas-siert hier vom Zeichen- in den Gedankenprozess, eine Gratwande-rung zwischen Bild und Begriff, zwischen Einsicht und Erkenntnis, Wahrnehmung und Reflexion, mit der Orientierung, gleichermaen Bild-, Gedanken- und Begriffsschpfungen zu vollziehen.

    Helmut Pum

    Jutta Steinbei / Peter Assmann

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    Gruber Assmann Birdman

    Gertraud Gruber / Peter Assmann / Birdman Hans Langner

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    Bamberger Assmann Kumpfhuber Birdman Pum

    Peter Assmann, Wie sie hinauf kommen Intervention: Birdman Hans Langner, Helmut Pum

    Margarethe Bamberger / Intervention: BENZIN LSCHEN, RASCH, Peter Assmann

    Eli Kumpfhuber / Intervention: Peter Assmann

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    Gtz Reisenbichler Zednik

    Ferdinand Gtz / Intervention: Ferdinand Reisenbichler, Heidi Zednik

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    Schwrmen.Schwrmen ist eine richtige Idiotenarbeit. Arbeit fr einen Idioten. Und so einer war fr die alten Griechen jemand, der stur in seinem Haus geblieben ist und sich geweigert hat, von anderen zu lernen. Meine Idiotenarbeit besteht darin, tausende, abertausende sehr klei-ne weie Kreise auf einen Bogen DIN-A1 Papier zu kringeln und die Zwischenrume mit einem schwarzen Fineliner Typ 88 auszufllen. Idiotenarbeit, weil ineffizient: weie Pnktchen auf schwarzes Pa-pier zu tupfen ginge viel schneller. Der Schwarm heit so eine Zeichnung, wenn sie fertig ist. Fertig ist sie leider erst, sobald die Zwischenrume vollstndig geschwrzt sind. Das soll nicht heien, dass Der Schwarm nicht schon im einen und anderen Zwischenstadium hbsch anzuschauen ist. ---Ins Schwrmen bin ich geraten, als ich nach einer leicht unterbrech-baren Beschftigung im Alltag mit meinen Shnen gesucht habe. Gitarre spielen (muss man im Minutentakt weglegen, weil die Kinder etwas brauchen oder streiten) und Lesen (man verliert stndig den Faden und ist nicht prsent) waren als wenig geeignet ausgeschie-den. (Mittlerweile glaube ich, dass ich einen geistigen Ankerpunkt finden wollte). So habe ich mich mit Papier und Stiften in die Kche zu den Kindern gesetzt und zu kreiseln und ringeln und auszustri-cheln begonnen. Die Shne waren fasziniert. Ich auch.---ber mehrere Wege waren es Umwege? Ich wei es nicht. bin ich vom Filzstift zum Fineliner, von DIN-A4 zu DIN-A1 und von Bunt zu Schwarz gekommen. Ich habe am Nachmittag mitten im Familienle-ben gezeichnet und am Abend fr mich. Immer am groen Tisch, wo sich so viel vom Leben abspielt: Essen, Trinken, Aufgaben machen, Lesen, Besuch haben, man kennt das ja. In den Abendstunden allein, damals noch hufig mit Rotwein und (ebenfalls damals) immer mit Musik, bis in die Nacht hinein. Beim Schwrmen bin ich in der Arbeit von John Coltrane versunken und sowieso in der von Bach: Musik von Systematikern. Mnner, die bis zum uersten und noch weiter gegangen sind. Inzwischen gibt es eine neue Tonspur zum Schwr-men: Stille, Nichts, Musik vor der Musik.---So ein unberhrtes Blatt Papier ist wie ein weier Ozean. Der Anfang ist spektakulr. Im Schwarz entstehen die ersten weien Kreise. Gro-er Effekt. Der ist dann schnell weg. Dann hilft nur weiterzeichnen. Weiter. Es ist wie mit einem Boot auf strmischer See zu rudern. Bes-ser nur an die nchste Welle denken und dann wieder an die nchste statt ans Ufer. Sich in die Zukunft ans Ende der Zeichnung zu wn-schen, fhrt nur ins Unglck.---Schwrmen ist eine Frage der Ausdauer und der Konsequenz, nicht der Obsession.---Zwischen Handgelenk und Daumen habe ich auf der linken Hand das Wort hier ttowiert. In Grobuchstaben. Auf der rechten Hand ge-genber steht jetzt. Denn das ist der Ort und die Zeit, in der sich alles abspielt. Schwrmen ist eine bung im (und fr das) Hier und Jetzt. In diesem Sinn ist Schwrmen eine Zen-Meditation. Schwrmen ist eine Praxis. Ein Tun und auch das Gegenteil davon. Der Fineliner kreist von Daumen, Zeige- und Mittelfinger gesteuert auf dem Papier, und die Gedanken kreisen von selbst. Weder die Wahrheit suchen noch die Illusionen abschneiden, heit es im Zen. Die Gedanken ziehen lassen wie die Wolken am Himmel, ohne eine festhalten oder vertreiben zu wollen. Und manchmal passiert es dann, dass nicht mehr Ich zeichne, sondern Es. Das ist eine ganz an-dere Form von Gezeichnet-Sein---Im Schwrmen muss ich nichts weiter sein als konzentriert.---

    Schwrmen spiegelt meine persnliche Tagesverfassung. Manchmal fllt es leicht, manchmal schwer. Meistens fllt es schwer, aufzuh-ren. Selbst wenn die Sehnen schon zu ziehen beginnen, sehnt sich die innere Stimme nach Fortsetzung. Wie ein Kind, das noch aufblei-ben will: nur noch ein bisschen. Bitte.---Auf dem Papierozean geschehen seltsame Dinge. Manchmal kriege ich eine Optik, wie meine Freunde den Effekt ihrer Drogenrusche frher bezeichnet haben. Die weien Punkte beginnen zu tanzen und auf mich zuzukommen wie die Flocken in einem dichten Schnee-treiben, wenn man himmelwrts schaut. Himmelwrts: auch so ein Wort, auf meinen linken Oberarm ttowiert. ---Je dichter Der Schwarm wird, desto lebendiger wird er.Im Schwarm ist Zeit gebunden. Viel Zeit. Hunderte Stunden.Der Schwarm ist wie Weitwandern im Sitzen.

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    Ab und zu berlege ich, ob Schwrmen Kunst ist. Bin ich Knstler? Immer wieder komme ich darauf, dass es mir nicht darauf ankommt. Oft fllt mir beim Schwrmen auch eine Passage aus dem Hagakure ber die grundlegenden vier Lebenswege ein: den Weg des Bauern, den Weg des Kaufmanns, den Weg des Knstlers und den Weg des Kriegers (des Samurai). Ich wei es nicht sicher, doch es kann sein, dass im Schwrmen mehr Krieger- als Knstlergeist liegt.---Der Schwarm ist eine, meine, geistige Lebensversicherung. Ich wei: Sollte ich jemals so mde und traurig werden, dass ich dem norma-len Leben nicht mehr gewachsen bin, dann kann ich mich in eine Einrichtung zu anderen Menschen setzen, die man vor nicht allzu langer Zeit als Idioten abgetan hat, und unter ihnen einfach meine schwrmerische Idiotenarbeit machen. Gleiches gilt fr die Fantasie, eine Haftstrafe zu verben. Fr diesen Fall schon meine Aufgabe zu

    kennen, das ist eine schne und trstliche Vorstellung.---(Genug.)---Funote oder Nachsatz: ber den Schwarm knnte ich auch diskur-siv, das heit mittelbar, denken und schreiben. Das wrde zu den Zeit- und Landschaftsfilmen von James Benning (landscape as a function of time), zu Moshe Feldenkrais (sinngem: Es ist fruchtbarer, sich selbst ber das zu verstehen, was man tut, statt ber das, was man ist), zu Lao-Tse (Tu nichts, und alles ist getan), zur Flow-Theorie von Mihly Cskszentmihlyi, zu Heinrich Jacoby und zu dem wenigen fhren, was ich ber Zen wei aber was wre das mehr als eine kleine Portion Gelehrsamkeit? Der Wert des Schwrmens liegt im Tun.

    Florian Sedmak

    Sedmak

  • 30

    Robert Ritter Kunst und Inklusion

    Ist die Zusammenarbeit von Knstlern mit und ohne Behinderung bereits Inklusion? Und ist die Arbeit, die KnstlerInnen in den Kunst-werksttten der Behindertenarbeit leisten, berhaupt Zusammen-arbeit oder doch ein (pd)agogischer Prozess, der von inhaltli-cher Lenkung und Einflussnahme geprgt ist? Bedarf Kunst eines Etiketts wie inklusiv oder Art Brut, und ist vielleicht gerade das ein probates Vehikel zur Anerkennung marginalisierter Kunstformen?

    Die UN Behindertenrechtskonvention zielt mit dem Begriff der In-klusion auf ein gemeinsames Leben von Menschen mit und ohne Behinderung, ohne die Ausgrenzung von Personengruppen. Der Pdagoge Andreas Hinz fhrt diesen Anspruch weiter, er reduziert ihn nicht auf den Begriff der Behinderung, sondern bezieht sich auf die Lebenswelten aller Menschen und fordert die berwindung de-fizitrer Kategorisierungen. Fr die Kunst bedeutet das ein dialo-gisches Miteinander von Knstlern auf Augenhhe und eine wert-schtzende Begleitung sowie Reflexion der eigenen knstlerischen Vorhaben. Kreativitt gibt es nur im Plural sagt der Kreativitts-forscher Olaf-Axel Burow und meint damit einen Prozess zwischen Personen, die stark unterschiedliche Fhigkeiten in einem Kreati-ven Feld formieren, erweitern und entfalten. Dies braucht in unse-rem Fall nicht nur den geeigneten Raum im Sinne von Ressourcen und Rahmenbedingungen, die so einen Prozess erst ermglichen, sondern auch enormes kunstpdagogisches Feingefhl der assi-stierenden Knstlerinnen und Knstler. Ist es doch Realitt, dass Kunst von Menschen mit Behinderung berwiegend in Werkstatt-strukturen der Behindertenhilfe stattfindet und das Leben der Per-sonen meist fremdfinanziert wenn nicht auch immer noch in vielen Bereichen fremdbestimmt ist.

    Ebenso determiniert der Status Behindertenarbeit und die institu-tionelle Gebundenheit der Kunstwerksttten die finanziellen Mg-lichkeiten und konomische Abhngigkeiten, was eine Loslsung von der Zwei-Gruppen-Theorie und ihrer Kategorisierung in behin-dert und nicht behindert zustzlich erschwert.

    Die bestndige Gratwanderung zwischen institutionellen Zwngen und dem Ausverhandeln knstlerischer wie auch struktureller Auto-nomie ist fr Kunst und Kultur im Diakoniewerk bezeichnend. Kunst kann in einer groen Organisation nur mit besonderem Status und besonderen Zugestndnissen ihrer Aufgabe gerecht werden, und diese ist es ob man das nun will oder nicht auch in der Instituti-on, Grenzen zu berschreiten, zu spiegeln, zu projizieren, zu stren und zu erneuern. Die Kunst- und Kulturwerksttten im Diakonie-werk sind kreative Keimzellen mit einem hohen Ma an Eigenidenti-tt und Eigendynamik, die immer wieder hohe Ansprche an Fragen der Fhrung und Fhrbarkeit von Kunst in einer Organisation stel-len. Dies ist gleichsam Ausdruck des kontinuierlichen Hinterfragens der Wertigkeit von knstlerischer Arbeit gegenber klassischer Behindertenarbeit und die Vorwegnahme der Antwort, dass Inklu-sion nur in der vlligen Auflsung dieser Grenzen passieren kann.

    Auch ffentlichkeitsarbeit und die Vermarktung der Kunst von Men-schen mit Behinderung knnen demnach nur dann wirklich Aus-druck von gelebter Inklusion sein, wenn der Status inklusiv obsolet wird und Kunst als Kunst ohne Status in Erscheinung tritt. Erst dann wird sie im brigen zu beweisen imstande sein, ob sie in den Medi-en sogenannten Nachrichtenwert hat, ohne ihre Werke als aueror-dentliche Leistungen von Menschen mit Behinderung und damit als Besttigung der Zwei-Gruppen-Kategorisierung zu offerieren. Die Konsequenz und groe Herausforderung dabei ist, auf die Instru-mentalisierung der Kunst fr die ffentlichkeitsarbeit der Organisa-tion zu verzichten und anstatt dessen Kunst und Kultur ohne eigene Ansprche und ohne das Etikett inklusiv zu frdern, zu untersttzen und mitzutragen. Nun kommt auch das Projekt SEQUENZEN (noch) nicht ganz ohne Kategorisierungen aus. Als breite Kooperation von KnstlerInnen in einem modellhaften kreativen Prozess nimmt es jedoch die Vision von Kunst ohne die Notwendigkeit gedanklicher Grenzen von behindert und nicht behindert in groem Stil ein-drucksvoll vorweg.

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    Peter Assmann Der Knstlergeist im Gesprch kunsthistorische Anmerkungen zu den Sequenzen 2014 in der Deutschvilla in StroblDie Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts kennt in der Ordnung ihrer genuinen Kunstsystematik keine Kunstformen von Menschen mit besonderen Bedrfnissen, Beeintrchtigungen oder Behin-derungen, daher anerkennt sie bestenfalls solche Sonderformen der Kunst als Anregungsbereiche fr echte Knstler. Von der art brut-Sammlung eines Jean Dubuffet bis zu den Anregungen, die von verschiedenen, mehr oder weniger kollektiv gesehenen Kunstbemhungen vor allem von psychisch kranken Menschen aufgegriffen werden, reicht hier ein internationales Spektrum, das durchaus einen sterreich- Schwerpunkt aufgrund der speziellen Aufmerksamkeit auf die Institution Gugging aufweist. Jedoch ein Gesprch auf Augenhhe, also in voller Anerkennung eines behin-derten Menschen als gleichwertigen Knstler-Partner ist bestenfalls in verstreuten, behutsam diskutierten und von der (Kunst) ffent-lichkeit wenig rezipierte Einzelsituationen im Verlauf der zweiten Hlfte des 20.Jahrhunderts erprobt worden. Zumeist im Kontext von Sozialeinrichtungen, die gleichsam ihre Fhler Richtung Kunstszene ausstrecken und dort manchmal ein wenig Aufmerksamkeit finden, erfolgt Untersttzung und zunehmend auch eine Reflexion von je-nen Kreativkrften, die sich eindeutig als knstlerische Begabun-gen manifestieren, allerdings bei Menschen anzutreffen sind, die in ihrer Alltagssituation umfassende Hilfestellungen brauchen. Diese Menschen erhalten in den letzten Jahren des 20. Jahrhunderts zu-nehmend auch Menschenrechte, zumindest offiziell, ein Recht auf Ausbildung ihrer speziellen Fhigkeiten, insbesondere von knstle-rischen Fhigkeiten, wird jedoch nicht gelebt: Behinderte Menschen haben keinen Platz auf Kunstakademien, ihre Werke sind nach wie vor Sonderformen der Kunst, es fehlt die knstlerische Sprache, es fehlt die knstlerische Systematik einer historischen Entwicklung.Die Aufmerksamkeit auf diese Sonderformen ist im frhen 21. Jahr-hundert allerdings eine bestndig steigende und auch die Bem-hungen des Gesprchs sind in immer weiter ausgreifender Form vorhanden. Groe europische Ausstellungsinstitutionen, wie etwa die Schirn-Halle in Frankfurt, organisieren umfassende Ausstellun-gen, die sich mit dem Phnomen der Outsider Art beschftigen, die letzte Biennale in Venedig setzt hier auerdem ein viel beach-tetes Zeichen der Fokussierung auf Kunstwerke von Menschen mit Beeintrchtigungen. Europaweite Wettbewerbe, wie der Euward, spezielle Sammlungen sowie ffentliche Museen und Galerien wie auch Teilprsentationen bei Kunstmessen oder spezielle EU-Pro-jekte bzw. Festivals wie Sichtwechsel in Obersterreich schaffen zustzliche Aufmerksamkeiten in der ffentlichkeit. Allerdings ist nach wie vor ein Schwebezustand gegeben zwischen einer Beto-nung des Sonderstatus dieser Werke, die nicht unabhngig von der speziellen Lebensproblematik ihrer Schpfer gesehen werden (knnen), und den behutsamen Fragen nach einer kunst/kulturge-schichtlichen Einordnung dieser Positionen. Denn eines ist offen-sichtlich geworden: Werke vom Menschen mit Behinderungen sind nicht, wie die erste Euphorie der art brut-Bestimmungen formu-lierte, berzeitliche Sonden in ansonsten unerreichbare Tiefen des menschlichen Geistes, sondern sie sind genauso kulturell einge-bunden in die jeweilige historische Lebenssituation wie die Werke ihrer weniger behinderten Knstlerkollegen.

    Das Projekt Sequenzen setzt hier ein klares Zeichen: Es geht um ein absolutes Miteinander, ein Kunstgesprch auf vielen Ebenen, praktisch, theoretisch, durchaus auch menschlich - ein Symposium im klassischen Sinne. Die konzentrierte gemeinsame Kunstarbeit in einem gemeinsam bespielten Raum, die diskursive Auseinan-dersetzung mit der Prsentation genauso wie mit der Produktion -

    begleitet von gemeinsamem Essen und permanentem Miteinander-Sprechen. Im heurigen Jahr beim Symposium in der Deutschvilla in Strobl wurde durch die spezielle Organisation der Ausstellung die Bedeutung des Intervenierens noch zustzlich verstrkt. Jeder Teilnehmer des Symposiums war aufgefordert, in die Raumgestal-tung des Symposiumspartners aktiv einzugreifen, nicht nur eigene Werke in diesen Kontext zu setzen, sondern durchaus auch neue Gestaltungsinterpretationen im Sinne von knstlerischen Koopera-tionsmechanismen zu setzen. Selbstverstndlich sind diese Inter-ventionen immer begleitet von Gesprchen und dem Einverstndnis aller Beteiligten - Basis fr dieses Gesprch ist hier stets eine fr alle Symposiumsteilnehmer in gleicher Weise geltende, absolute Souvernitt des Knstlers ber sein Werk.

    Diese hier gelebte, speziell persnliche Akzeptanzqualitt zeigt vor allem ein Faktum auf: Menschen mit geistigen Behinderungen sind nicht nur fhig sondern auch absolut Willens, ihre Kunst und auch die Kunst der anderen zu reflektieren, Kunst zudem als ein Kommu-nikationssystem jenseits der ausschlielichen Orientierung auf das eigene Tun zu verstehen und sich aktiv an Kooperationssystemen sowohl der gemeinsamen Arbeit an Werkstcken wie auch ihrer zusammenfassenden Prsentation zu beteiligen. Nachdem vor ei-nigen Jahren Pablo Pineda in Spanien bzw. Aya Iwamoto in Japan als Down-Syndrom-Patienten ein Universittsstudium erfolgreich abschlieen konnten, fgen sich diese Beobachtungen als wichti-ge Argumente in eine aktuelle gesellschaftlichen Diskussion rund um lebenswertes Leben und die entsprechenden rechtlichen Rah-menbedingungen, etwa was die Vielzahl von (zunehmend medizi-nisch empfohlenen) Abtreibungen dieser Menschen betrifft.

    Die Voraussetzungen fr die beim Symposium Sequenzen geleb-te Augenhhe aller beteiligten Knstler wurden in den vergange-nen Jahren durch die konsequente Arbeit in verschiedenen Behin-derteninstitutionen - insbesondere im Land Obersterreich - sowie durch gezielte Einzelinitiativen, wie die seit 15 Jahren jhrlich durch-gefhrte Sommerakademie fr Menschen mit Beeintrchtigungen in Bad Ischl, geschaffen. All diese Initiativen setzten konsequent auf die Frderung von knstlerischen Talenten, zunehmend dabei nicht nur auf eine Ausbildung der individuellen knstlerischen Gestal-tungsmglichkeiten, sondern auch auf die Ausbildung im Hinblick auf eine Reflexion von knstlerischer Ttigkeit. Bei vielen Menschen mit knstlerischer Begabung, die in den von Behinderteninstituti-onen betriebenen Ateliers arbeiten (knnen) - gefrdert in ihrem Willen und ausgestattet mit den entsprechenden Mglichkeiten zur produktiven Weiterentwicklung ihrer knstlerischen Fhigkeiten -, ist in den vergangenen ca. zehn Jahren ein behutsamer Wechsel des Selbstverstndnisses beobachtbar geworden. Diese Menschen bezeichnen sich nun teilweise durchaus im Sinne einer beruflichen Zuordnung als Knstler, sie agieren souvern bei Ausstellungen, suchen selbst das Gesprch und zeigen eine vllig andere Dialog-fhigkeit als in frheren Jahren. Dass hier ganz andere Fragen ei-nes Selbstbewusstseins offensichtlich werden, ist eindeutig - die zunehmende Anerkennung ihrer kreativen Arbeit fhrte zu einem ganz anderen Selbstwertgefhl und damit auch zu anderen ener-getischen Voraussetzungen fr die Weiterentwicklung der knstleri-schen Arbeit. Stand vor etwa 15 bis 20 Jahren noch der Aspekt einer sinnvollen Beschftigung im Vordergrund, so sind es in den letzten fnf bis zehn Jahren zunehmend Fragen einer knstlerischen Profes-sionalisierung auf allen Ebenen, die hier verfolgt werden (mssen). Allerdings sind all diese Entwicklungen eine Art von kultureller Pi-

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    onierleistung. Immer noch prgen die kontroversen Diskussionen rund um die Mglichkeiten einer Selbst- und Fremdpositionierung am Kunstmarkt, einer geschtzten Werksttte versus dem freien Spiel der Krfte, einer fehlenden Kunsttheorie und vor allem der Spannung zwischen einer immer wieder den Einzelfall betonenden Annherung und einer zu summarischen Betonung von Kunst von Behinderten das Auseinandersetzungsspektrum dieser Arbeit in den jeweiligen Institutionen. Es fehlt gleichsam an den Zwischent-nen, an einer soliden, auf breiter Ebene jenseits eines Sondersta-tus akzeptierten und konsequent verfolgten Auseinandersetzung und kulturellen Einbindung dieser Kunstformen.

    Das Projekt Sequenzen setzt hier gleichsam direkt am Knst-lergeist an. Der Zeichner Alfred Kubin (1877-1959) publizierte als erster Kunstmensch seinen inzwischen berhmt gewordenen Ar-tikel die Kunst der Irren in der Zeitschrift das Kunstblatt Heft 5 von 1922, in dem er einen im Jahr 1920 erfolgten Besuch in der psychiatrischen Klinik Heidelberg beschreibt und direkt auf knst-lerische Arbeiten von Psychiatriepatientinnen und -patienten Bezug nimmt. Kubin beschreibt dezidiert knstlerisch ttige Individuen, nennt sie allerdings nicht beim Namen, sondern nimmt auf sie ber ihre Berufs- und Krankengeschichte Bezug, um dann sehr przise einige Werkbeispiele zu diskutieren. Die Namen sind heute ber diese geschilderten Biografien gut nachvollziehbar. Die groe Wert-schtzung, die Kubin hier zum Ausdruck bringt, zeigt sich auch sehr konkret in der Tatsache eines Werktausches: Kubin berlsst eige-ne knstlerische Arbeiten der - heute so bezeichneten - Sammlung Prinzhorn in Heidelberg und nimmt fnf Bltter fr seine eigene Sammlung mit. Im Artikel Kubins findet sich unter anderem (auf Sei-te 185 dieser Ausgabe der Zeitschrift) die Sentenz: Wir standen vor Wundern des Knstlergeistes, die sehr klar die absolut wertscht-zende Annherung des Knstlers Alfred Kubin an diese Knstler-kollegen zum Ausdruck bringt.

    Kubins Aufsatz blieb in Deutschland und sterreich ohne groe positive Folgen, im Gegenteil, die folgenden Jahrzehnte sahen im Herrschaftsbereich des Nationalsozialismus die konsequente Ver-nichtung lebensunwerten Lebens, ein historisches Faktum, das immer noch mit dem Terminus Euthanasie (schner Tod) bezeich-net und diskutiert wird. In jener obersterreichischen Institution, in der zur Zeit des Nationalsozialismus ber 30 000 Menschen syste-matisch zu Tode gebracht worden sind - mehrheitlich handelte es sich hierbei um behinderte Menschen - befindet sich heute unter anderem eines der hochaktiven Kunstateliers, das sich gegenwrtig im oben beschriebenen Sinn um eine langfristig frdernde Ausein-andersetzung mit der Kunst von besonderen Menschen beschftigt. Eine kunsthistorische Diskussion ber diese kulturgeschichtlichen Zusammenhnge gibt es jedoch kaum, die Auseinandersetzungen mit Kunst vom behinderten Menschen ist nur sehr zgerlich in die offiziellen Aspekte der Kunstfrderung aufgenommen worden, sie pendelt nach wie vor zwischen sozialer Haltung eines Mitgefhls und der Einordnung als seltsam skurrile Individualgestaltung, die im allgemeinen Kunstgeschehen bestenfalls als Anregungsfaktor fr wirkliche Knstler funktioniert. Eine gewisse Ausnahme bietet in sterreich die schon angesprochene Situation rund um Knstler-persnlichkeiten aus Gugging, die sich durch konsequente Galerie-arbeit in den vergangenen zwei Jahrzehnten teilweise in markanten Toppositionen am nationalen Kunstmarkt etablieren konnten. Eine solche Positionierung ist aber nur fr die im Zusammenhang mit dieser Institution schaffenden Knstlerpersnlichkeiten erreicht worden, nicht fr Knstlerpersnlichkeiten in anderen Institutionen bzw. Einzelpersonen ohne Institutionsanbindung.Die Fragen der Vermarktung sind zwar im Rahmen des Projektes Sequenzen diskutiert worden, letztlich erfolgte jedoch eine fr jeden Knstler zugeschnittene Bepreisung seiner Kunstwerke und

    im Falle von gemeinsamen Werken eine gemeinsame Diskussion.Diese gemeinsamen Werke sind in absolut unterschiedlichen Ko-operationsschritten entstanden. Gerade in diesem Aspekt zeigen sich primr individualpsychologische Unterschiede, verschiedene Temperamente und nicht zuletzt auch unterschiedliche Strategi-en der knstlerischen Arbeit. Die grundstzliche Bereitschaft zur Gestaltung gemeinsamer Werke ist bei allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Symposiums Voraussetzung gewesen. Zumeist wurden sehr bewusst ausgewhlte eigene Arbeiten als Angebot zum Dialog bestimmt, vielfach erfolgte auch eine direkte kommuni-kative Intervention bei in Entstehung befindlichen Kunstwerken. Es war offensichtlich beobachtbar, dass sprachlich agilere Persnlich-keiten hier frher entsprechende Dialogschritte gesetzt haben als Knstlerpersnlichkeiten, die mehr zurckgezogen arbeiten. Das Auswahlsystem war vllig frei, wichtig war stets das persnliche Einverstndnis.

    Ein besonders ausgeprgtes offensives knstlerisches Interventi-onsverhalten zeigte der Beitrag von Birdman Hans Langner, der mit seiner auf das Erscheinungsbild von Vgeln konzentrierten knstle-rischen Arbeit in mglichst umfassender Weise Gestaltungsspuren (fast) im gesamten Symposiumshaus hinterlie. Eine ausgreifende Wandinstallation verbindet er mit weiteren individuellen Spuren-setzungen, stets die Faszination an der Gestalt des Vogels zeleb-rierend. Auch Margarethe Bamberger und Eli Kumpfhuber agierten auffallend offensiv im Hinblick auf knstlerische Dialoge, was bei beiden Knstlerinnen zu mehreren Werkserien im Kontakt mit ande-ren Knstlerpersnlichkeiten des Symposiums fhrte. Agierten die genannten Knstler bereits am ersten Symposiumstag im Hinblick auf knstlerische Dialoge, so wurden von den anderen Symposi-umsteilnehmerinnen und -teilnehmern zumeist erst im Laufe der Arbeitswoche entsprechende, durchwegs sehr sensibel gesetzte Interventionen erarbeitet.

    Fr den Kunstbetrachter ergibt sich im Hinblick auf diese Fragestel-lungen einen spannendes Spektrum zwischen ausgeprgter Indi-vidualspur einer knstlerischen Arbeit, gleichsam den offensiv be-tonten Aspekt des individuellen Kunstwollens, und der Frage nach einem Mehrwert von Kunstwerken, die mehrere Autoren aufweisen. Fr die Diskussion der Kunst von Menschen mit Behinderungen ist der Aspekt der grundstzlichen Dialogbereitschaft, der ffnung des individuellen knstlerischen Tuns hin zu Kontaminationen mit anderen knstlerischen Gestaltungswelten ein klares Indiz fr die eigene knstlerische Souvernitt; zumal dann, wenn der gemein-same Arbeitsprozess auch intensiv diskutiert wird und hier klare Entscheidungen argumentiert werden.

    Die Vielfalt der verwendeten knstlerischen Medien und Techniken war diesbezglich kein Hindernis, eher im Gegenteil eine kreative Anregung: Skulpturales wurde in seiner Verbindung zu Bildhaftem berprft, Bildwelten auf mehreren Ebenen - zum Beispiel ber den Bilderrahmen oder die schtzende Glasplatte - erweitert. Beson-ders spannend erwiesen sich jene Interventionen, die gleichsam ein schrittweises Aufeinander-Zugehen aufzeigten.

    Interessant war hier auch die Reaktion von einzelnen interessier-ten Kunstbetrachtern, die whrend der Zeit des Symposiums einen Besuch in der Deutschvilla machten und sich zumeist vor allem ver-wundert aufgrund der gebotenen Vielfalt und nicht zuletzt der nicht klar erkennbaren Zuordenbarkeit der einzelnen Knstlerpersnlich-keiten (behindert oder nicht behindert) an ihrem Arbeitsplatz zeig-ten.

    Auch die Prsentation der Arbeitsergebnisse bei der Abschlussaus-stellung machte eine sofortige Unterscheidung zwischen Werken

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    von behinderten und nicht behinderten Knstlern kaum mglich. Eine mehr intellektuell-konzeptuell orientierte Gestaltung und Prsentation, zumal in Verbindung mit przise gesetzter Schrift, wrde hier wohl mehr in den nichtbehinderten Bereich verweisen, eine mehr emotionell bewegte, auf den direkten Ausdruck zielende Gestaltung mehr dem behinderten Bereich zugeordnet werden. Allerdings konnten die ausgestellten Symposiumsergebnisse kaum diesen Einteilungserwartungen gerecht werden. Auch ein in der Li-teratur zur art brut immer wieder genanntes Kriterium des horror vacui - dem gleichsam zwanghaften Anfllen der gesamten Bild-flche - funktionierte als Unterscheidungskriterium nicht. Locker gesetzte Bildkompositionen von Knstlern mit Down-Syndrom verschrnkten sich mit dichten Bildstrukturen, die von Knstlerper-snlichkeiten ohne Down-Syndrom gestaltet worden sind. Eine hn-liche Schwierigkeit bei der Unterscheidung ergibt sich auch beim Kriterium einer kunstakademischen Ausbildung, die nicht von allen nichtbehinderten Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Symposi-ums vorzuweisen war - was jedoch nicht an den prsentierten Wer-ken in irgendeiner Form ablesbar ist.

    Das Ziel einer mglichst intensiven Verschrnkung von individuel-len Wirkungsformen des Knstlergeistes ist in diesem Symposium absolut erreicht worden, eine vllige Augenhhe aller Beteiligten aufgrund der gesellschaftlichen Situation war allerdings nur im Regelsystem des Symposiums mglich: Offensichtliche Verbalisie-rungsdefizite, auch eine zumeist beobachtbare Zurckhaltung bei der uerung eines knstlerischen Urteils sind bei den Knstler-persnlichkeiten mit Behinderungen deutlich erkennbar. Gerade in diesen Aspekten zeigt sich aber umso klarer der Vorsprung der Bildung, der Vorsprung des entsprechenden Trainings und nicht zu-letzt der Vorsprung einer breiteren Akzeptanz des eigenen knstle-rischen Tuns in der Gruppe der anderen Knstler.

    Das Projekt Sequenzen kann, wird und muss in dieser Form eine Fortsetzung finden. Und - wie das groe Interesse im heurigen Jahr zeigt - wirkt auerdem entsprechend fruchtbar auf vielen anderen Kunstdiskussionsebenen weiter.

    Zeichnung: Peter Assmann

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    Margit Zuckriegl Alles ist ein Bild. Anmerkungen zu einer originren Kontingenz von BildernAls im Frhjahr 2013 die ersten Pressemitteilungen und Interviews zur kommenden 55. Biennale1) in den Medien auftauchten, war man schon gespannt: der Titel sollte auf einen Outsider-Knstler verweisen, einen eigenwilligen und in der Kunstwelt gnzlich un-bekannten Autodidakten, der die Idee eines Bauwerkes entworfen hatte, in dem smtliches Wissen der Welt versammelt und gespei-chert sein sollte. Der italienisch-amerikanische Arbeiter Marino Auriti2) wurde zu seinen Lebzeiten nicht als Knstler bezeichnet, er selbst kmpfte fr die Realisierung seiner Idee wie ein Architekt um Finanzierung und Bewilligungen fr seinen Entwurf ringt, wohl ahnend, dass sein Gedankenkonzept zu gro und zu fremd sei, als dass es irgendwo einzuordnen und realistisch zu handhaben wre. Das Patent fr den Enzyklopdischen Palast3) errang er 1955, an die Umsetzung seiner pyramidalen Megaarchitektur war aber nicht zu denken diese blieb reine Imagination. Sie stellt so etwas wie Das Andere der Vernunft4) dar und positioniert sich in der Tradition der Rezeption von anti-aufklrerischen Kunsterzeugnissen, auch wenn wir gleichsam in der entmaterialisierten Erscheinungsform heute gerade unermdlich damit beschftigt sind, das gesamte Weltwissen der Menschheit im Datennetz verfgbar zu machen.

    Der unbeirrbare Welt-Wissenschaftler und Eigen-Knstler Auriti wollte, unabhngig von der unberblickbaren Dimension seines Projektes, den globalen Erkenntnissen und Errungenschaften eine Form, eine Gestalt, eine Heimstatt geben. Er schuf mit dem Modell dazu die Manifestation von etwas, das Obsession und Ausdrucks-willen in der Produktion einerseits und Kontingenz in der Rezeption andererseits bedeutet. Sein Modell und auf der letzten Biennale hatte der sensible und kundige Direktor zahlreiche hnlich gelager-te Beispiele versammelt ist lesbar und erfahrbar als der verlorene Traum eines Fantasten, als die Fortsetzung der enzyklopdischen Bestrebungen von DAlembert und Diderot, als utopisches Architek-turkonzept, als widerstndiges Projekt gegen den Mainstream der 1950er-Jahr-Kunst wie Pop Art oder Land Art, als verkleinerte Vision einer globalen Denkbung, die heute eingelst wird, als Spleen ei-nes Autisten, als inspirierendes Beispiel kreativen Wagemuts; viele Wege der Annherung sind mglich, keine Lesart ist allein gltig. Und sollte das Bauwerk nicht auch als Beweis fr die Verfasstheit des Autors dienen, gleichsam als Indiz fr sein Denken, seine Welt-sicht, seinen Zustand? Gegen diese psychologisierende Vereinnah-mung von Kunstwerken (oder Werken knstlerischer Produktion) lassen sich zahlreiche neue kunstwissenschaftlichen Praxen aufbie-ten: was Roland Barthes in seinem Staunen ber die Prsenz und Gegenwrtigkeit von Fotografien als Kontingenz5) bezeichnete, sollte subsummieren, dass mehr als nur Referenzialitt in einem Bild steckt. Er ortete die Bedeutung von Bildern auch auerhalb des Bereichs von Sinn6) und tastet intuitiv etwas an, das spter als der Zwiespalt im Bilder-Sehen erkannt werden sollte: Disposi-tiv statt Referenz7) berschreibt die Darmstdter Philosophin Eva Schrmann ein Kapitel ihrer Publikation ber Sehen als Praxis, in dem sie hervorhebt, dass das Verhltnis von Sichtbarem und Se-hendem am ehesten als ein konstellatives Gefge wechselseitiger Bedingungen zu verstehen ist, dass es also kein objektiv richtiges Sehen und Wahrnehmen geben kann, sondern dass Bilder vielmehr als Dispositiv anzuerkennen sind, das Wahrnehmung veranlasst und ermglicht. Es geht also im Prozess des Wahrnehmens von Bildwerken um die Interaktion von Gesehenem und Sehendem und nicht um Kausalitten und Interpretationen, in denen vom Gesehe-nen auf die Situation des Autors rckgeschlossen werden kann.

    In der Ausstellung der Biennale von Venedig wurde im zentralen Pavillon dieses Feld der Bildkommunikation noch zustzlich erwei-tert: dem Kurator der Schau, Massimiliano Gioni ging es dabei in erster Linie um den Betrachter, den er an der Hand nehmen wollte, um ihm ein weites Reich der medialen Gefge zu erffnen. Indem der Besucher schon beim Eintreten auf so unterschiedlich geartete Kunstuerungen traf wie das Rote Buch des Psychoanalytikers C. G. Jung, ein fantasmagorischer Atlas des Unbewussten, dazu die sakral anmutenden Settings von Walter Pichler oder die Life-Per-formance von Tino Sehgal, ffnete sich ein weiter Resonanzraum. Nicht das eindimensionale Bildersehen war das Mittel der Wahl zur Erfahrbarkeit dieser Zusammenstellung, sondern das Wissen um die Vielschichtigkeit von Bildwelten und das Vertrauen in das Vermgen der Fantasie. In diesem Kontext sind die Zeugnisse und Werke von sogenannten Outsider-Knstlern nicht Dekor, sondern essenzieller Bestandteil des Erfahrungshorizonts.

    Das AnderssehenGioni verlangte vom Besucher seines Enzyklopdischen Palastes ein vorurteilsfreies Streunen durch alle Zimmer und Kabinette sei-ner Gedankenarchitektur. Gefhrt allein von dem Glauben an die Macht der Imagination ergab sich die Mglichkeit, jenseits von Bild-stereotypen und prformierenden Vorstellungen ein anderes Sehen anzuwenden und die Kontingenz von Bildern zuzulassen.Das Aufeinandertreffen von zeitgenssischer Kunst und Zeugnissen von Art Brut (im weitesten Sinn) erffnet eine Art Sehnsuchts-feld, in dem nachvollziehbar wird, was das Faszinosum von unwil-lentlichen, unorthodoxen und nicht kanonisierten uerungen fr den suchenden Rezipienten ausmacht. Im Bereich der bildenden Kunst finden sich die stringentesten, wenn auch nicht die einzigen Beispiele, fr diese andere Art der Wahrnehmung, das Andersse-hen8), ein Sehen, als she man zum ersten Mal: vorurteilsfrei und bereit, sich in andere Welten mitnehmen zu lassen.

    Seit Jean Dubuffet seinen Begriff der Art Brut eingefhrt hat, herrscht ein stndiges Ringen, Verwerfen und Neudefinieren von Begrifflichkeiten, um der Art von Erfahrung auf die Spur zu kom-men, die von Kunstuerungen nicht akademischer, nicht kunst-konformer Autoren und Autorinnen ausgeht. Das erwhnte Sehn-suchtsfeld, in dem sich Das Andere der Vernunft ansiedelt und ausbreitet, ist schwer zu vermessen und schon gar nicht zu defi-nieren. So wie in einer rationalen Kunstrezeption der Verstand, die Mglichkeit des bewussten Vergleichs und das Aufspren von konzeptuellen Strukturen im Vordergrund stehen, so ist hier genau das Gegenteil der Fall: der Betrachter will nicht verstehen, sondern spren. Mit Bildwerken, in denen die unwillkrliche Einbildungs-kraft9) wirksam ist, erreicht der Betrachter die Mglichkeit, diese Bilder auf sich selbst beziehen zu knnen, sich selbst als von Bil-dern in Besitz genommen zu erfahren10). Und es trgt zur gesuchten, angestrebten Erweiterung des Erfahrungshorizonts bei, da es sich um originr kontingente Bilder handelt.

    Die keramischen Ungeheuer des japanischen autistischen Knst-lers Shinichi Sawada11) sind somit ein erstaunliches dreidimesiona-les Bestiarium, sie sind ein Tiergarten der imaginierten Wesen, eine Versteinerung von fiebrigen Alptrumen, die Drachen und Echsen, Kopffler und Maskenwesen sind leibhaftige Dmonen aus einer privaten Mythologie sie verweisen wie die Bestiarien in mittelalter-lichen Handschriften auf die diesseitige Form jenseitiger Visionen.

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    Und sie sind als fetischartige Schutzgeister wahrnehmbar, als Ent-sprungene aus einer diabolischen Comic-Welt, als bildhafte Mani-festationen jenseits von Kalkl, sthetischem Mainstream oder aka-demischen Gestaltkriterien. Ihnen begegnet derjenige vielleicht am adquatesten, der sich von der Vieldeutigkeit der Werke bereichern lsst und der nicht nach rationalem Erkenntnisgewinn strebt.

    Die Kontingenz der BilderIm Ringen um Begrifflichkeiten zum Umgang mit Werken aus den Bereichen der Art Brut oder Outsider-Kunst lsst sich mit aller gebotenen political correctness immer die Differenz von unwill-krlichen und willkrlichen Werken ausmachen. Ein Knstler wie Jean Dubuffet hat sich willkrlich und bewusst dieser Art von Kunstproduktion zugewandt und die Inspiration durch das Unwill-krliche gesucht. Ebenso hat sich die letzte Biennale von Venedig bewusst und ganz gezielt dieses Aufeinandertreffen als Thema vor-genommen. Die Intention dafr mag unterschiedlich sein, das Ziel ist jedoch immer klar: die Suche nach dem Faszinosum in der Kon-tingenz von Bildwerken, zumal in Bildern von unwillkrlich geu-ertem Gestaltungswillen; man begibt sich damit also auf die Spur zu einer originr kontingenten Inhaltlichkeit. Dies meint ein Gestal-ten ohne ein sthetisch zufriedenstellendes Ergebnis anzuvisie-ren, vielmehr ein kreatives Schaffen, aus einem orginren Antrieb heraus vielschichtige und auch widersprchliche Welteinblicke zu geben.

    Das Lesen solcher Kunstwerke entzieht sich rationalen Bildent-schlsselungsstrategien und rhrt an andere Erfahrungsbereiche: nicht das Verstehen und Einordnen (historische, stilistische, geo-graphische Zuordnung), das Kategorisieren (Personal-, Regionalstil) oder das Interpretieren nach ikonologischen und ikonographischen Kriterien finden hier Anwendung, sondern das Erspren und Erah-nen von Zeugnissen aus inneren, kontingenten Welten. Die Bilder sind nicht auf eine sthetisch orientierte Rezeption hin angelegt, sondern Zeugnisse von Allem in diesen Welten. Es kann folglich Al-les ein Bild sein, und Bildhaftigkeit liegt in Allem begrndet.

    Wenn das Verstehen irritiert ist, die Erwartung unterbrochen, er-scheinen die Dinge anders als gewhnlich12), und dieses Andere der wahrnehmbaren Dinge beschreibt ihre Kontingenz. Sie knnen dies sein, aber auch etwas anderes, sie leben vom Nicht-Einorden-baren ihrer schieren Existenz und sie verunsichern, aber bereichern auch den Betrachter, sie sind dazu angetan, das konventionell Erwartbare zu entselbstverstndlichen13). Kontingente Bildwerke sind daher nicht auf ihre Singularitt hin konzipiert, sondern auf ihre Ambiguitt, auf den Mglichkeitssinn, den sie beim Betrachter ansprechen. Fr die weitere Recherche zu Kunstwerken aus dem Kontext von Art Brut oder Outsider-Kunst und ganz besonders im Kontext ihrer Betrachtung zusammen oder gegenber Werken der konven-tionellen zeitgenssischen Kunst, knnte die Bezeichnung originr kontingente Kunst vielleicht ein brauchbares Instrument darstellen.

    1) 55. Esposizione Internazionale d Arte, La Biennale di Venezia, Venedig, 2013, Direktor: Massimiliano Gioni2) Marino Auriti, 1891 Italien 1980 USA, gelernter Karosseriebauer, autodi-daktischer Knstler3) Il Palazzo Enciclopedico war der Titel von Auritis Entwurf, der nur alsModell, das er in seiner Garage bastelte, existierte dies war auch der Titel,den der Biennale-Direktor seiner Kunstschau gab.4) Hartmut Bhme, Gernot Bhme, Das Andere der Vernunft, Frankfurt am Main, 19835) Roland Barthes, Die helle Kammer, Frankfurt am Main, 1986, S. 38: Da die Photographie reine Kontingenz ist und nur die sein kann.6) Roland Barthes, siehe Anm. 5, S. 447) Eva Schrmann, Sehen als Praxis, Frankfurt am Main, 20088) Eva Schrmann, vgl. Anm. 7, S. 2129) Der Begriff der Einbildungskraft bei Kant, siehe Bhme H. und Bhme G., vgl. Anm. 410) we ourselves are media, channeling images, or at times even finding ourselves possessed by images, Massimiliano Gioni in: The Encyclopedic Palace, Short Guide, Venedig, 2013, S. 1911) vgl. Anm. 10, S. 15712) Eva Schrmann, vgl. Anm. 7, S. 21313) wie Eva Schrmann, vgl. Anm.7, generell fr das Sehen von Kunst fest-stellt.

    American Folk Art Museum, NYC

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    Angelica Bumer Art Brut und viele Fragen

    Ich bin mir nicht sicher, ob es klug ist Knstler aus den Ateliers der Behinderteneinrichtungen gemeinsam mit professionellen Knst-lern auszustellen. Allerdings bin ich nach wie vor der berzeugung, dass es richtig ist Werke der Auenseiter in der Kunstszene ernst zu nehmen so wie es einst Jean Dubuffet und Leo Navratil gemeint und getan haben. Ob da allerdings gemeinsame Ausstellungen hilf-reich und sinnvoll sind, wage ich zu bezweifeln, halte sie sogar fr ziemlich fragwrdig. Die Frage muss erlaubt sein: wer hat denn was davon? Die Behinderten? Die Professionellen? Das Publikum? Die Kunstfachleute? Wer gewinnt dabei und was?

    Fangen wir von vorne an. Es gibt auerordentliche knstlerische Be-gabungen unter der Bevlkerung ganz allgemein, also auch unter den Behinderten von vielleicht 1 bis 2 Prozent. Diese, und zwar sowohl die mit psychischer und/oder geistiger Behinderung, so-wie jene ohne solche Einschrnkung, sollen und mssen gefrdert werden. Das ist sowohl eine notwendige kulturpolitische Aufgabe, wie eine gesellschaftliche Herausforderung. Genauso wie es Akade-mien und Kunsthochschulen fr knstlerisch Begabte gibt, allerlei Kunstfrderungen und Preise, so soll und muss es auch Ateliers fr knstlerisch begabte Menschen geben, die sich in der Gesellschaft ganz allgemein schwer tun. Dieser Aufgabe hat sich die Kulturpoli-tik bisher nicht gestellt, ebenso wenig haben die Kunsthochschu-len hier ein brach liegendes Potential entdeckt. Zu sehr hat sich die aktuelle Kunstszene intellektualisiert, da haben noch so musisch begabte Personen mit eingeschrnktem Intellekt schwer Platz. Das kann man zwar verstehen, es ist aber keine Entschuldigung frs Nichtstun. Die sozialen mter von Bund, Land und Gemeinden schufen zwar geschtzte Werksttten, in denen weitgehend fr die Industrie gearbeitet wird, die knstlerische Frderung wurde amt-licherseits aber nicht ernst genommen, im Gegenteil, sogar be-straft, beispielsweise durch Entzug von sozialen Leistungen, wenn einer der Knstler Arbeiten verkaufen konnte. Die Entdeckung von Begabung, die Frderung und die Mglichkeit zur knstlerischen Entwicklung, ja, zu einem Leben als Knstler oder Knstlerin, ber-lie der Staat mehr oder weniger kirchlichen und privaten Institu-tionen wie der Caritas, der Diakonie, der Lebenshilfe, pro-mente und etlichen anderen Organisationen, die verstanden haben, dass knstlerische Begabung ein zu hohes Gut ist, als dass man es ver-kmmern lassen oder verraten drfte. Das Ergebnis dieser Haltung ist erfreulich, denn heute gibt es zwar immer noch keine staatliche den Akademien hnliche Institution, aber sterreichweit in fast al-len entsprechenden (oben genannten) Einrichtungen knstlerische Werksttten und Ateliers, wo unter professioneller Leitung, manch-mal durch Knstler, manchmal durch Sozialarbeiter, Kunstwerke mit teilweise hoher Qualitt entstehen. Ich weiss, ich weiss, Arnulf Rai-ner (der groe Art-Brut Sammler) wrde jetzt einwerfen, lasst den behinderten Menschen doch ihre Unschuld, bildet sie doch nicht aus. Ja, aber! Sie werden ja durchaus von den Betreuern ausge-bildet. Das funktioniert meistens auch sehr gut aber warum darf dann die Ausbildung zu Farbe, Form und Technik nicht eine Hoch-schule bernehmen? Auerdem gewinnen sie ja auch eine gewisse Routine durch jahrelanges Malen und Zeichnen. Behinderte Knst-ler sind vielleicht eingeschrnkt, aber nicht dumm, sie beobachten sich selbst sehr genau, sie sind interessiert und neugierig, sie wol-len lernen und etwas erfahren.

    Das wre beispielsweise ein interessantes Diskussionsthema!

    sterreich hat seit den 1960er Jahren mit dem Knstleratelier Gug-ging einen Platz fr Kunst geistig und/oder psychisch beeintrch-tigte Menschen, der weltweit bekannt ist und Werke aus diesem

    Atelier erzielen inzwischen hohe Preise bei Auktionen und sind in ffentlichen und privaten Sammlungen vertreten. Viele Museen be-sitzen Werke von Hauser, Walla und Tschirtner, allen voran die Coll-ection de lArt Brut in Lausanne, die mit der Sammlung von Dubuffet begonnen hatte und seither kontinuierlich erweitert wird, das Mu-seum fr zeitgenssische Kunst in Lille, das eine bemerkenswerte Abteilung fr Art Brut eingerichtet hat, oder das Essl-Museum in Klosterneuburg, das zahlreiche Werke aus Gugging besitzt um nur einige zu nennen. Die hchst erfreuliche Konsequenz der Gugginger Bemhungen und Erfolge ist es, dass sich seither eben auch ande-re sterreichische Institutionen um die Entdeckung, Frderung und Betreuung begabter Auenseiter bemhen. Das war, als ich die Auf-gabe bekam fr das Sigmund Freud-Jahr 2006 eine Ausstellung zu gestalten, die weltweit gezeigt werden sollte (und wurde), die groe berraschung, in wie vielen sozialen und psychiatrischen Einrich-tungen inzwischen Ateliers entstanden waren, in denen behinderte Menschen ihre knstlerische Begabung entfalten knnen. Es waren 28 Ateliers von Vorarlberg bis zum Burgenland, von Obersterreich, Niedersterreich bis Krnten.

    Inzwischen sind etliche Jahre vergangen und es hat sich eine Art Boom entwickelt. Es ist chic geworden sich mit Art Brut zu schm-cken und nicht wenige professionelle Knstler sind der Versuchung erlegen, sich mit den Auenseiterknstlern zu messen. Und das ist ganz sicher kein Weg zur Integration der Auenseiter, kann auch fr die professionellen Knstler kein Ziel sein, es sei denn sie nut-zen deren Erfolg fr sich sind also Trittbrettfahrer, wenn ich das so spttisch ausdrcken darf. Es mag durchaus sein, dass so ein Versuch auch mal zu einem sinnvollen Erfolg fhrt, wie das Projekt Mama09 bewiesen hat, aber man kann und darf daraus nicht den Schluss ziehen, dass man das wiederholen, oder gar als Muster ein-fhren darf.

    Aber auch andere fragwrdige Versuche fanden und finden statt. So dachte man daran, Kunst ausschlielich von Menschen mit Down Syndrom auszustellen das ist kurzsichtig gedacht, ist es doch so, als wrde man nur Kunst von Rauchern ausstellen oder nur von Vegetariern. Oder, um mit Jean Dubuffet zu reden: Kunst von Menschen mit Magenbeschwerden oder Knieverletzungen. Solche Ideen, so gut sie auch gemeint sind, beweisen nur wieder einmal, dass gut gemeint noch lange nicht gut ist, sondern leider oft einfach falsch, kurzsichtig und oberflchlich. Auch Malworkshops von pro-fessionellen Knstlern mit jenen aus den Behinderteneinrichtungen knnen keinen Weg aufzeigen. Wenn z.B. Fotografen die Behinder-ten fragen, wo sie in den Ferien hinfahren mchten, man si


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