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© Ernst & Sohn Verlag für Architektur und technische Wissenschaften GmbH & Co. KG, Berlin. Bautechnik 90 (2013), Heft 3 173

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Karl Kleinhanß

Solarer Lärmschutz am Berliner Ring A 10Ein Leuchtturmprojekt im Verkehrswegebau

1 Die Projektidee

Der Lärmschutz ist ein zentrales Thema im Verkehrswe-gebau. Ausbau- und Neubauprojekte von Bundesfernstra-ßen in dichtbesiedelten Gebieten werden deshalb regel-mäßig durch Interessenkonflikte mit den betroffenen An-liegern belastet, verteuert und verzögert. In Zeitendringenden Bedarfs für Ausbau und Ertüchtigung der Ver-kehrsinfrastruktur und knapper Haushaltsmittel sind des-halb neue Ideen, neue Lösungen und neue Wege gefragt.

Im Zeichen der Energiewende bietet sich als zukunftsfä-higer Lösungsweg die Verwendung von Photovoltaikmo-dulen beim Bau von Lärmschutzwänden an. Diese Modu-le weisen als Trägermaterial ähnliches Glas auf, wie es inFensterscheiben und bei Glaswänden auf großen Talbrü-cken oder im innerstädtischen Bereich eingebaut wird.Ihre Lärmschutzwirkung stellt somit eine erwünschte

und nutzenschöpfende Nebenwirkung von Photovoltaik-modulen dar.

Deshalb ist das für den Fernstraßenbau zuständige Bun-desministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung(BMVBS) seit längerem bestrebt, die Nutzung von Photo-voltaik vor allem bei der Lärmsanierung im Fernstraßen-bau zu fördern, unter anderem mit der Entwicklung einesBehördenleitfadens „Erhöhung der Wirksamkeit vonLärmschutzwänden durch Photovoltaik“. Allerdings ge-lang es bisher nicht annähernd, das vor zwölf Jahrendurch die Schweizer TNC Consulting AG ermittelte Po-tenzial von ca. 400 MWp – aus heutiger Sicht eine sehrvorsichtige Einschätzung – Stromertrag aus SolarenLärmschutzbauwerken an Bundesfernstraßen auszu-schöpfen. Bis heute ist nur ein verschwindend kleiner An-teil der insgesamt zehn Millionen Quadratmeter Lärm-schutzwände mit Photovoltaikmodulen belegt.

DOI: 10.1002 / bate.201300005

Das Projekt „Photovoltaik plus Lärmschutz A 10“ verkörperteinen Meilenstein auf dem Weg zu dem vom Bundesministeri-um für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung propagierten „Intel-ligenten Verkehrswegebau des 21. Jahrhunderts“.Die innovative Kernstruktur bilden ca. 5 500 m lange SolareLärmschutzwände auf der Nord- und Südseite der zukünftigachtstreifigen Autobahn, in die ca. 35 000 m2 Photovoltaik -anlagen mit 70 Grad Neigung zur Sonne hin integriert werden.Diese dienen nicht nur als Lärmschutz, sondern sie tragen miteinem Stromertrag von 4,5 MWp maßgeblich zur Wirtschaft-lichkeit dieses ÖPP-Projektes bei. Damit wird ohne zusätzlicheSteuermittel ein nachhaltig optimierter Lärmschutz für die Anliegergemeinde Michendorf erreicht, deren Bürger diesesLeuchtturmprojekt angestoßen und über eine mehrjährige Planungszeit engagiert begleitet haben – ein Musterbeispiel fürkonstruktive Bürgerbeteiligung.Mit dem Start des Vergabeverfahrens durch die DEGES im Auf-trag des zuständigen Ministeriums für Infrastruktur und Land-wirtschaft des Landes Brandenburg eröffnet sich nunmehrüber das weltweit größte Pilotvorhaben „Photovoltaik plusLärmschutz A 10“ ein neues Marktsegment für Solare Lärm-schutzwände als integraler Bestandteil im Verkehrswegebauder Zukunft.

Keywords Lärmschutzwände, solare; Wallanlage, solare; Referenzentwurf;Netzparität; Trasse, energieautarke

Solar noise protection on the Berlin A10 ring road – a flagshipproject in traffic route engineeringThe “A10 photovoltaics plus noise protection” project repre-sents a milestone on the path to “intelligent traffic route engi-neering in the 21st century”, declared Germany’s Federal Min-istry of Transport, Building and Urban Development.The innovative core structure features around 5 500 m of noiseprotection walls on the north and south side of the future eight-lane motorway, into which around 35 000 m2 of photovoltaicequipment with a 70-degree inclination towards the sun are in-tegrated. This serves not only as noise protection, but alsomakes a significant contribution to the efficiency of this PPPproject, with an electricity yield of 4.5 MWp. The project thusoffers sustainably optimised noise protection without any addi-tional public money to the local community of Michendorf,whose citizens initiated this flagship project and supported itfully throughout its several-year planning period. This project isa prime example of constructive citizen participation.As the awarding process by DEGES on behalf of the Ministryfor Infrastructure and Agriculture for the state of Brandenburggets underway, a new market segment is now opening up forsolar noise protection walls to become an integral componentin traffic route engineering of the future, with the world’slargest planned pilot project of its kind: the “A10 photovoltaicsplus noise protection” project.

Keywords Solar noise protection walls; solar wall system; reference design;network parity; energy-autonomous road

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Andere Länder sind hier schon weiter, wie die Schweizund Italien. Dort wurde im Dezember 2010 an der Bren-nerautobahn A 22 bei Isera eine beispielhafte Lärm-schutzwand aus Photovoltaikmodulen fertig gestellt undin Betrieb genommen (Bild 1), die dem Konzept der A 10ganz ähnlich ist. Nach Angaben der Brenner-Autobahn-gesellschaft hat sich diese Anlage bereits nach 20 Jahrenamortisiert, obwohl die Trasse vorwiegend in Nord-Süd-Richtung verläuft.

Ohne von diesem Projekt in Italien zu wissen, erwuchsdie Idee zu dem Projekt „Photovoltaik plus LärmschutzA 10“ am Berliner Ring im Jahr 2010 aus zwei Quellen:Ausgangspunkt waren zunächst die Vorschläge einer Bür-gerinitiative aus der betroffenen Gemeinde Michendorf,die sich durch Zubau von Photovoltaikmodulen einenverbesserten Lärmschutz versprach. Dieser Wunsch fandoffene Ohren bei dem zuständigen Ministerium für Infra-struktur und Landwirtschaft (MIL) des Landes Branden-burg. Dieses Bundesland ist seit Jahren im Länderver-gleich führend bei der Anwendung regenerativer Ener-gien und dürfte dies auch bei der Photovoltaik imVerkehrswegebau werden.

2 Die Projektentwicklung

2.1 Die Aufgabenstellung

Die achtstreifige Erweiterung der A 10 als Teil des Berli-ner Rings (Bild 2) zwischen den Autobahndreiecken Nu-thetal und Potsdam wird notwendig wegen des steigen-den Verkehrsaufkommens aus und in Richtung Polen vonüber 120 000 Kfz/Tag. Davon sind ca. 25 Prozent Schwer-lastverkehr. Die Anlieger haben gemäß § 41 BImSchGAnspruch auf Lärmvorsorge, den der Vorhabensträger, indiesem Fall die vom Land Brandenburg mit der Projekt-steuerung beauftragte DEGES, auf Kosten des Bundes imrechtlich zulässigen Rahmen zu befriedigen hat.

Im Verlauf des intensiven Dialogs zur Baurechtschaffungmit den Bürgern der Anliegergemeinde Michendorf, ins-besondere mit den Vertretern der 2009 gegründeten Bür-gerinitiative „AG Lärmschutz Jetzt!“, wurde zunächsteine so genannte Deckblattvariante zum aktiven Lärm-schutz mit maximal 8 m hohen Lärmschutzwänden undstreckenweise einzubauendem offenporigen Asphalt ent-wickelt und zur Erörterung im Planfeststellungsverfahrenausgelegt.

Aufgrund der immer noch verbliebenen häufigen Pegel -überschreitungen wurde darüber hinaus im Auftrag desMIL und in Abstimmung mit dem BMVBS untersucht, obdurch die Installierung von lärmschutzwirksamen PV-Modulen – bei strikter Kostenneutralität für den Bund –eine Optimierung des Lärmschutzes möglich ist. Übereine Machbarkeitsstudie wurde die technische Realisier-barkeit im Grundsatz bestätigt. Offen blieb allerdings derNachweis der Wirtschaftlichkeit in Bau und Betrieb ge-genüber einem konventionellen Lärmschutzbauwerk,nachdem der Vorhabensträger selbst nicht als Betreiberder Photovoltaikanlage in Betracht kommt und deshalbauf einen privaten Investor zur Refinanzierung der Mehr-aufwendungen aus der PV-Installierung angewiesen ist.

In dieser Situation wurde, veranlasst durch den intensi-ven Dialog zwischen den Beteiligten und in der Öffent-lichkeit, ein einstimmiger Beschluss des Landtages vonBrandenburg im November 2010 gefasst, mit dem das Mi-nisterium für Infrastruktur und Landwirtschaft verpflich-tet wurde

„… im Rahmen seiner Möglichkeiten den Lärmschutz ander A 10 zu befördern und zu unterstützen“ sowie „… bei

Bild 1 Solare Lärmschutzwand an der BrennerautobahnSolar protection wall on the Brenner motorway

Bild 2 Lageplan zum Berliner Ring A 10Site plan of A10 ringroad

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der Suche nach Interessenten für Bau und Betrieb behilf-lich zu sein“.

Dieser Beschluss gilt – obwohl kein formal bindenderAuftrag – als Startsignal für das Projekt „Photovoltaikplus Lärmschutz A 10“.

2.2 Projektorganisation

Um der politischen und gesellschaftlichen Bedeutung die-ses Projektes gerecht zu werden, wurde daraufhin umge-hend eine qualifiziert besetzte Projektgruppe installiert(Bild 3), geleitet von Vertretern des Landesbetriebes fürStraßenwesen und der DEGES, begleitet von einem Pro-jektbeirat mit Vertretern des Ministeriums für Infrastruk-tur und Landwirtschaft und des Umweltministeriumssowie der Gemeinde Michendorf einschließlich Vertre-tern der „AG Lärmschutz Jetzt!“. Diese Projektgruppe hatbis heute 16-mal getagt und das innovative und komplexeProjekt mithilfe diverser Arbeitsgruppen und externerDienstleister bis zur Ausführungsreife vorangetrieben. Be-sonders hervorzuheben ist die interaktive Beteiligung derBürgerinitiative, welche nicht nur ihr Fachwissen ein-bringt, sondern vor allem als vertrauensbildende Brückezu den betroffenen und naturgemäß kritischen Bürgernwirkt. Durch diese intensive Kommunikation wird dieAkzeptanz für das Projekt, basierend auf einer offenenund ehrlichen Information des Vorhabensträgers, geför-dert. Nach den positiven Erfahrungen kann eine solcheinteraktive Bürgerbeteiligung als Modell für weitere Pro-jekte empfohlen werden.

2.3 Das Interessenbekundungsverfahren

Die wirtschaftliche Machbarkeit setzt voraus, dass ein In-vestor gewonnen wird, der in Öffentlich-Privater-Partner-schaft das Projekt finanziert, baut, betreibt und über dieStromerlöse refinanziert. Da in der Bundesrepublik bis-lang fast ausschließlich Dach- und Freianlagen als Inves-

torenprojekte im PV-Markt entstanden, erfolgte zur Absi-cherung dieses innovativen Konzeptes eine EU-weiteMarktsondierung über ein Interessenbekundungsverfah-ren. Dieses war ausdrücklich rein informativ und unver-bindlich angelegt, hat also keine Relevanz für das nach-folgende Vergabeverfahren.

Beteiligt haben sich 34 Bewerber aus den einschlägigenBranchen des Verkehrswegebaus und Entwickler von PV-Anlagen. Nach einer Evaluierung der eingereichten Refe-renzen wurden mit zwölf Bewerbern ausführliche Ge-spräche geführt. Diese brachten wertvolle Erkenntnissezur Weiterentwicklung der technischen und wirtschaftli-chen Konzeption, im Besonderen für die „Integrierte So-lare Lärmschutzwand“ mit gleichzeitig lärmschutzwirksa-men und stromerzeugenden PV-Modulen.

2.4 Der Weg zum Planfeststellungsbeschluss

Aus wirtschaftlichen Gründen wurden die Integralen So-laren Lärmschutzwände als innovative Kernstruktur er-gänzt durch eine die Wirtschaftlichkeit verbessernde So-lare Wallanlage. Die Technische Machbarkeit wurdedurch einen Referenzentwurf bestätigt, mit dem dieschalltechnische Verbesserung an allen betroffenen Ge-bäuden konkret ausgewiesen werden konnte. Dies istzwingende Voraussetzung für die Interessenabwägungmit den einzelnen betroffenen Bürgern und somit für dieErwirkung des Baurechts im Planfeststellungsverfahren.

Die wirtschaftliche Machbarkeit wird letztlich über dieAusschreibung und Vergabe des Investorenprojektesnachgewiesen, das den Bau, den Betrieb und die anteiligeFinanzierung der Solaren Lärmschutzwände sowie derSolaren Wallanlage (Bild 4) beinhaltet. Aus haushalts-rechtlichen Gründen kann eine solche Vergabe jedocherst nach Vorliegen des unbeklagten Planfeststellungsbe-schlusses, mit dem Baurecht geschaffen wird, erfolgen.

Deshalb wurden die Planungen „zweigleisig“ weiterge-führt, wobei die Variante mit konventionellen Lärm-schutzwänden als Mindestlösung, die schalltechnisch bes-sere Variante mit Solaren Lärmschutzwänden als Vor-zugslösung eingestuft wurde. Der Vorhabensträger istdazu verpflichtet und wird im Rahmen des Möglichenalles tun, um die Vorzugslösung zusammen mit einem Investor umzusetzen. Darauf können und werden auchdie Bürger vertrauen, basierend auf dem offenen und kon-struktiven Dialog zwischen dem Projektbeirat und demVorhabensträger.

3 Der Referenzentwurf

3.1 Die Aufgabenstellung

Da für die Solare Lärmschutzwand keine spezifischen Re-gelwerke und kaum Ausführungsbeispiele vorliegen,musste bei der Erstellung des Bauwerksentwurfes ebenso

Bild 3 Projektorganisation „Photovoltaik plus Lärmschutz A 10“Project organisation “A10 photovoltaics plus noise protection”

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Grundlagenarbeit geleistet werden wie bei den baurecht-lichen, vertraglichen und finanztechnischen Instrumen-ten zur Ausgestaltung des Projektvertrages. Hier hat dasLand Brandenburg im Rahmen dieses Leuchtturmprojek-tes mit großem Engagement die Basis für einen bundes-weiten Leitfaden geschaffen.

Im Planungsgeschehen für das Gesamtprojekt „Achtstrei-fige Erweiterung der A 10“ und des Teilprojektes „Photo-voltaik plus Lärmschutz“ dient dieser Referenzentwurf

– als Grundlage für die notwendige Genehmigung alsLärmschutzwandbauwerk im Verkehrsraum

– als Nachweis der schalltechnischen Gleich- bzw. derBesserwertigkeit gegenüber der konventionellen Vari-ante

– als erörterungsfähiges Dokument für das laufende, mitdieser Variante zu erweiternde Planfeststellungsver-fahren

– zur Herleitung der Bau- und Betriebskosten sowie derStromerträge aus Photovoltaik als Basis für die vorläu-fige Wirtschaftlichkeitsuntersuchung.

Der Abschlussbericht zum Referenzentwurf, Stand Okto-ber 2011, belegt die technische und wirtschaftliche Mach-barkeit als Voraussetzung für die Vorbereitung des Verga-beverfahrens.

3.2 Entwurf der Solaren Lärmschutzwand

Grundsätzlich gelten in bautechnischer Hinsicht die glei-chen Kriterien wie bei einer Lärmschutzwand mit Glas-elementen, für die im Verkehrswegebau die ZTV-LSW 06maßgebend ist. Der wesentliche Unterschied liegt in der

zwar nicht zwingend notwendigen, zur Ertragsoptimie-rung der PV-Module jedoch empfehlenswerten Neigungdieser Flächen zur Sonne hin. Im vorliegenden Fall einerOst-West-Ausrichtung der Trasse wurde in der Abwägungnach Stromertrag und Lärmschutzwirkung ein optimalerNeigungswinkel von 70 Grad ermittelt (Bild 5).

Allerdings wird durch die Neigung der Lärmschutzwändedie Brechungskante der Schallwellen auf der Nordseiteder Trasse zur Bebauung hin verlegt. Dies mindert dieSchallschutzwirkung geringfügig, wird jedoch mehr alskompensiert durch die durchgängig auf 10 m vergrößerteGesamthöhe. In der schalltechnischen Berechnung wur-den die PV-Flächen auf der Nord- und Südseite als nichtabsorbierend (Gruppe A1) angesetzt. Durch die insge-samt wesentlich größere Versperrungsfläche der SolarenLärmschutzwände werden im gesamten Gebiet dieSchallpegel gemindert, und zwar flächendeckend bei Tagund Nacht.

Die unteren Wandflächen werden, wie auch bei Glaswän-den im Verkehrsraum üblich, aus funktionalen Gründenmindestens 2 m hoch in Beton ausgebildet. Wegen desBaumbestandes wird die Betonfläche auf der Südseite bisauf 4 m hoch geführt, da unterhalb dieser Höhe die Effi-zienz der Module durch die Verschattung gemindert ist.

3.3 Konstruktion und Gestaltung

Die Visualisierung (Bild 6) vermittelt den optischen Ein-druck der nordseitig bis auf 10 m Höhe durch die Son-nenseite der PV-Module geprägten Oberfläche, währenddie sonnenabgewandte Rückseite der PV-Anlagen auf derGegenfahrbahn durch die auskragenden Pfosten struktu-riert wird. Der Referenzentwurf stellt, abgesehen von denverbindlich in der Leistungsbeschreibung vorgegebenenRandbedingungen, nicht mehr und nicht weniger alseinen Entwurfsrahmen dar, der vielfältige konstruktiveGestaltungsmöglichkeiten für strukturelle Optimierungenim Detail offenlässt.

Bild 4 Solare Lärmschutzwände und Solare WallanlageSolar noise protection walls and solar wall system

Bild 5 Optimierung von Lärmschutz und StromertragOptimisation noise protection and electricity yield SNPW cross- sections, north and south

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Im Unterschied zu Photovoltaikanlagen auf Freiflächen,wie sie häufig auf den bis 110 m breiten Streifen der Auto-bahnen zu sehen sind, sind die Module bei Solaren Lärm-schutzwänden mit Dichtungselementen luftdicht undschalldicht zu verbinden, um die nach ZTV-LSW 06 ge-forderte Dämmwirkung zu gewährleisten. Diese kannbzw. muss im Laborversuch nachgewiesen werden.

Ingenieurmäßig sind Solare Lärmschutzwände nicht an-ders zu konstruieren und zu bemessen als gängige kon-ventionelle Bauweisen in Beton oder Aluminium. Die PV-Module sind allerdings kleinteiliger als übliche Glasele-mente und bedingen daher zum Nachweis der Steifigkeitund Robustheit gegenüber den Einwirkungen aus Wind-lasten bzw. dem Windsog aus Lkw-Verkehr eine entspre-chende Unterkonstruktion, bei PV-Anlagen üblicherweiseaus Aluminium- bzw. Stahlprofilen. Diese sind „intelli-gent und ökonomisch“ bzw. integral mit dem Basistrag-werk zu verbinden – eine anspruchsvolle Aufgabe zurEntwicklung innovativer Systemlösungen mit hohemVorfertigungsgrad.

3.4 Funktionalität im Verkehrsraum

Von den gängigen Glaswänden bzw. der konventionellenLärmschutzvariante mit bis zu 8 m hohen Betonwändenunterscheiden sich die Solaren Lärmschutzwände durchdie 70-Grad-Neigung der Module, die um mindestens 2 mgrößere Höhe und vor allem die zusätzlich installiertenAnlagen zur Stromerzeugung einschließlich der zugehöri-gen Leitungen, Wechselrichter und Transformatoren biszu den Einspeisepunkten in das Stromnetz. Deshalb istzu prüfen, ob sich daraus nachteilige, störende oder sogarunvertretbare Auswirkungen auf Verkehrsteilnehmer, denStraßenbaulastträger, die Anlieger oder auf Flora undFauna ergeben könnten (Bild 7).

Eine Blendwirkung auf die Fahrzeugführer kann wegender Trassenführung in Ost-West-Richtung und der günstigwirkenden Schrägstellung bis auf ganz seltene Sonnen-stände ausgeschlossen werden. Überdies könnten auchfolienbelegte, blendfreie Module eingebaut werden. Eine

Gefährdung von Fahrzeuginsassen durch Stromschlagoder einen Brand der PV-Module ist höchst unwahr-scheinlich, zumal Havarien von passiven Rückhaltesyste-men verhindert werden.

Eine Blendung von Anliegern kommt aus geometrischenGründen nicht in Betracht. Eine unvertretbare Verschat-tung einzelner Anlieger kann durch lokalen Einbau trans-parenter Glaselemente beherrscht werden.

Ansonsten sind die Aufwendungen für Betrieb und Erhal-tung der Solaren Wände nicht wesentlich höher als beikonventionellen Lärmschutzwänden bzw. bei PV-Freian-lagen, zumal die Module durch ihre Schrägstellung einenSelbstreinigungseffekt aufweisen.

4 Ausschreibung und Vergabe

Mit dem Referenzentwurf, der Wirtschaftlichkeitsuntersu-chung und dem absehbaren Baurecht sind die Vorausset-zungen für die Einleitung des Vergabeverfahrens gegeben.Durch Abschluss des Projektvertrages wird die Straßen-bauverwaltung als Auftraggeber und Kon zessionsgebereinen privaten Partner als Konzessionsnehmer und Nut-zungsberechtigten beauftragen. Dann können die geplan-ten Lärmschutzmaßnahmen im Rahmen einer Öffentlich-Privaten-Partnerschaft realisiert werden.

Als wirtschaftlich untrennbar verknüpfte Vertragsbe-standteile gelten:

– Bau, Betrieb und Erhaltung der Solaren Lärmschutz-wände mit dem Recht zur Nutzung der damit erzeug-ten Solarenergie

– Gestattung zur Errichtung, Betrieb, Erhaltung undNutzung einer Solaren Wallanlage.

Grundlage des Projektvertrages sollen unter anderem dievom Vorhabensträger ausgearbeiteten und mit dem Bun-

Bild 6 Visualisierung nach achtstreifiger ErweiterungVisuals after eight-lane extension

Bild 7 Entwurfskriterien der Solaren LärmschutzwandDesign criteria for solar noise protection wall

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desministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklungabgestimmten Dokumente werden, insbesondere

– eine Leistungsbeschreibung für Solare Lärmschutz -wände

– Hinweise zu Errichtung, Erhaltung und Betrieb derSolaren Wallanlage.

Diese Dokumente werden dafür qualifizierten Bieternzum Start des eigentlichen Angebotsverfahrens überge-ben. Vorausgehen wird ein europaweiter Teilnahmewett-bewerb mit Bekanntmachung der Auswahlkriterien fürdie technische, wirtschaftliche und finanzielle Leistungs-fähigkeit.

5 Perspektiven für Solaren Lärmschutz

Das originäre Projektziel, ein nachhaltig verbesserterLärmschutz durch die Aktivierung des Zweifachnutzensvon PV-Modulen als Schallschutz und Stromerzeuger, hatauch heute noch Bestand. Die aktuellen Diskussionenum die Kosten regenerativer Energiegewinnung tangierenden Solaren Lärmschutz kaum, denn dieses Konzept zieltauf Nachhaltigkeit ab, und nicht auf Subventionen.

Für die Zukunft ist zu erwarten, dass auch nach dem an-gekündigten Auslaufen der EEG-Förderung bei 52 GWpinstallierter Stromleistung ein weiterer Zubau von PV-An-lagen erfolgen wird. Erlösperspektiven bestehen bei ten-denziell steigenden Stromkosten nach Erreichen derNetzparität in einer Vermarktung an der Strombörse oderim Eigenverbrauch.

Schon der ungebremste Zubau von PV-Freianlagen trotzdeutlicher Absenkung der EEG-Vergütung signalisiert dieEntwicklungspotenziale einer Solaren Energiege -winnung, zumal die Systemkosten der Freianlagen bisherim ähnlichen Ausmaß sinken wie die EEG-Vergütung(Bild 8).

Für den Solaren Lärmschutz sprechen über rein wirt-schaftliche Faktoren hinaus auch eine Reihe nicht mone-tärer Aspekte, wie der geringe Geländeverbrauch und vorallem die Akzeptanz der beiden positiv besetzten BegriffeLärmschutz und Regenerative Energie beim Bürger. Mitdem Leuchtturmprojekt „Photovoltaik plus LärmschutzA 10“ werden die Grundlagen und die Voraussetzungenfür eine zügige Verbreitung dieser Innovation im Ver-kehrswegebau geschaffen.

Marktchancen für Solare Lärmschutzwände gibt es nichtnur im Zuge von Bundesfernstraßen. Auch an regionalen

und kommunalen Verkehrstraßen könnten viele bebautebzw. bebaubare Wohngebiete von einem besseren Lärm-schutz profitieren, mit dem die Lebensqualität verbessertund der Grundstücks- bzw. Wohnwert erhöht wird. Vor-stellbar sind zum Beispiel Solare Lärmschutzwände ent-lang der Straßen, die an Wohngebieten entlangführen.Die PV-Anlagen könnten dann von den betroffenen undvom Lärmschutz profitierenden Bürgern unter dem Dacheiner „Bürgerenergiegenossenschaft“ erstellt und finan-ziert werden, bei Eigenverwertung ganz ohne Subventio-nen oder Steuermittel.

Schließlich spricht auch die langfristig zunehmende Zahlvon Elektroantrieben für Fahrzeuge logistisch dafür, denStrom dezentral auch dort zu erzeugen, wo er zukünftigverbraucht wird, d.h. im Zuge der Verkehrswege. Auchwenn sie vorerst nur eine Vision ist – die energieautarkeTrasse ist ein Ansatz, der in einer zukünftigen Verkehrsin-frastruktur sehr wohl seinen Platz finden könnte. [1]

Literatur

[1] KLEINHANSS, K.: Vom Solaren Lärmschutz zur Energie -autarken Trasse. UmweltMagazin, Juni 2011.

AutorDr.-Ing. Karl KleinhanßDEGES Deutsche EinheitFernstraßenplanungs- und -bau GmbHZimmerstraße 5410117 Berlin

Bild 8 Systemkosten und Stromerlöse von FreianlagenSystem corts and electricity yield for outdoor plants


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