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RECHT & RAT22 DONNERSTAG,4. OKTOBER 2012 wirtschaftsblatt.at

In einer viel beachteten Entschei-dung hat der Oberste Gerichtshof(OGH) unlängst klargestellt, dassauch für einen Konzern im Rah-

men des Insolvenzrechts das strengeinsolvenzrechtliche Trennungs gebotgilt. Das bedeutet, dass die Abwick-lung eines Insolvenzverfahrens isoliertfür jede einzelne Konzerngesellschaftals Subjekt des Insolvenzverfahrens zuerfolgen hat. Die rechtspolitische For-derung nach einem eigenen Konzern-Insolvenzverfahren bleibt – nicht zu-letzt zur Vermeidung „krimineller“Vermögensverschiebungen – aber wei-ter bestehen.

Der Anlassfall. Der OGH hatte fol-genden Fall zu beurteilen: Über dasVermögen einer Tochtergesellschaft

und das Vermögender Muttergesell-schaft wurden je-weils separate In-solvenzverfahrenmit Passiva von inSumme 120 Mil-lionen € und Akti-va der Tochterge-sellschaft von im-merhin 20 Millio-nen € eröffnet; für beide Verfah-ren wurde – nichtunüblich – der -selbe Insolvenz -verwalter bestellt.Die Muttergesell-schaft, die Genuss -scheine emittierte,war direkt und in-direkt Hauptaktio-närin der Tochter-gesellschaft, die als

zentrale Vertriebsgesellschaft für dieUnternehmensgruppe fungierte. Wirt-schaftlich betrachtet stellten daherbeide Gesellschaften eine Einheit dar,weil die Tochtergesellschaft ohne Ver-mögensverschiebungen vonseiten derMuttergesellschaft nicht lebensfähiggewesen wäre. In den Jahren vor In-solvenzeröffnung war es zu unge-rechtfertigten Erlösverschiebungenvonseiten der Muttergesellschaft zurTochtergesellschaft, insbesonderedurch Zahlungen von unüblich hohenund nicht drittvergleichsfähigen Pro-visionen für den Vertrieb von Ge-nussscheinen der Muttergesellschaft,sowie nicht aufwandsbezogenen ho-hen Honoraren für die Börseeinfüh-rung dieser Genussscheine gekom-men.

Enge Verflechtungen. Infolge der engen Verflechtung der beiden insol-venten Gesellschaften stellte der Insolvenzverwalter den Antrag, dieMasseaktiva der insolventen Toch-tergesellschaft auf die Konkursmasseder insolventen Muttergesellschaft zuübertragen, um durch die Bildung ei-ner einheitlichen Konkursmasse die(kriminellen) Vermögensverschie-bungen „von oben nach unten“ – dasheißt, von der Muttergesellschaft aufdie Tochtergesellschaft – zu beseiti-gen und alle Gläubiger auf diese Wei-se gleich zu behandeln. Das Erstge-richt gab diesem Antrag auch statt;das Rekursgericht hob diesen wiederauf, weshalb der Oberste Gerichtshofmangels höchstgerichtlicher Rechts-

sprechung zur Frage, ob eine derarti-ge Ausschüttung rechtlich zulässig sei,abschließend über diese Rechtsfragezu entscheiden hatte.

Fehlende Rechtsgrundlage. Die zen-trale Frage lautet also: Ist die wirt-schaftliche Einheit insolvenzrechtlichirrelevant? Der Oberste Gerichtshofführte in seiner Begründung – rechts-dogmatisch zutreffend – aus, dass diewirtschaftliche und rechtliche Einheiteines Konzerns auseinanderfalle. DemKonzern komme daher – unstrittig –keine eigene Rechtspersönlichkeit zu.Die beantragte Übertragung der Mas-seaktiva der Tochtergesellschaft aufdie Insolvenzmasse der Muttergesell-schaft würde im Ergebnis zur Zusam-menlegung der Insolvenzverfahren ge-gen mehrere Schuldner aufgrund wirt-schaftlicher Gesichtspunkte und defacto zur Bildung einer einheitlichenInsolvenzmasse führen. Eine derarti-ge Vorgangsweise sei jedoch in Öster-reich mangels Rechtsgrundlage für eineigenes „Konzern-Insolvenzrecht“ un-zulässig.

Umstrittene Konkursmasse. Im Er-gebnis bedeute das daher, dass das Sub-jekt eines Insolvenzverfahrens weiter-hin nur jede einzelne Konzerngesell-schaft, nicht aber der Konzern als sol-cher sein könne, obgleich zwei Insol-

venzverfahren grundsätzlich gemein-sam verhandelt werden könnten. DerArgumentation, dass nur bei Zuord-nung der Masseaktiva der Tochter -gesellschaft zur Muttergesellschaft unddurch Bildung einer einheitlichen Konkursmasse die (kriminellen) Ver-mögensverschiebungen beseitigt wer-den könnten, entgegnete der ObersteGerichtshof bloß unter Hinweis auf die Möglichkeiten des Insolvenz- Anfechtungsrechts. Gerade Letzteresscheint aber angesichts kurzer Fristenund mangels eines anderweitigen Korrektivs bei „verbotenen Einlagen“unzureichenden Gläubigerschutz zubieten.

Konzern-Insolvenzrecht. Ist der Ent-scheidung des Obersten Gerichtshofsauch rechtsdogmatisch beizupflich-ten, zeigen sich auf Ebene der Unter-instanzen und bei Insolvenzverwal-tern Tendenzen, größere Insolvenzenals einheitliche wirtschaftliche Sach-verhalte zu begreifen. Rechtspolitischbleibt das Anliegen, ein einheitlichesInsolvenzverfahren für Konzerne zuschaffen, aus Gründen der Prozess-ökonomie, des Gläubigerschutzes undder klaren Rollendefinition des In-solvenzverwalters bestehen. Die For-derung nach einem eigenen Konzern-Insolvenzrecht bleibt somit auch nachder OGH-Entscheidung aufrecht.

Fazit: Ein Blick über die Grenze nachDeutschland zeigt, dass dort ein eige-nes Koordinierungsverfahren für in-solvente Konzerngesellschaften, dasseparat beantragt werden kann, in Pla-nung ist. Die Rechtsentwicklungen inÖsterreich sind daher mit Sicherheitnoch nicht abgeschlossen.

Rechtstipp§Colourbox, Beigestellt

Dr. ThomasTrettnak, Kanz-lei CHSH CerhaHempel Spiegel-feld Hlawati

Der Autor ist Rechtsanwalt und Partnerbei der Kanzlei CHSH Cerha Hempel Spie-gelfeld Hlawati, Wien. Dr. Trettnak ist aufMergers & Acquisitions sowie Gesell-schafts- und Insolvenzrecht spezialisiert.

Die Forde-

rung nach

einem eige-

nen Kon-

zern-Insol-

venzrecht

bleibt auch

nach der

OGH-Ent-

scheidung

aufrecht

Redaktion: Andrea MöchelFragen, Reaktionen und Anregungen

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