einfach typisch! im job - 9783865916709
DESCRIPTION
Der zurückhaltenden Lehrerin Carmen tanzen die Schüler auf der Nase herum. Fran steht mit ihrer dominanten Art ständig im Mittelpunkt. Und Howard drückt sich mit einem netten Schwätzchen des Öfteren vor seiner Arbeit. Willkommen im alltäglichen Trubel des Berufslebens! Florence Littauer nimmt die verschiedenen Persönlichkeiten unter die Lupe, denen wir im Beruf begegnen. Sie gibt fundierte Tipps, wie Sie Ihre Kollegen besser verstehen, wie Sie klare Grenzen setzen und mit schwierigen Typen souverän umgehen. Entdecken Sie eigene Schwächen und verwandeln Sie diese in neue Stärken. Dieses Buch unterstützt Sie dabei, mit jedem Kollegen erfolgreich zusammenzuarbeiten. Mit ausführlichem Persönlichkeitstest.TRANSCRIPT
Florence Littauer & Rose Sweet
Einfach typisch! Im Job
Wie Sie mit jedem erfolgreich zusammenarbeiten
Übersetzt von Ulrike Becker
Inhalt
Die vier Persönlichkeitstypen nach Hippokrates
(ca. 400 v. Chr.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7
Die Besetzungsliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8
Begrüßen wir unsere Darsteller . . . . . . . . . . . . . . . 9
Teil 1 Ein Überblick über die Persönlichkeitstypen . . . . 17
Wie entsteht unsere Persönlichkeit? . . . . . . . . . . . . . 19
Wir werden mit unserem Persönlichkeitstyp geboren . . . 41
Die emotionalen Bedürfnisse der verschiedenen Typen . . 59
Die feineren Nuancen der vier verschiedenen Typen . . . . 82
Persönlichkeitspaare . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97
Teil 2 So gestaltet sich das Arbeitsleben
mit den vier Persönlichkeitstypen . . . . . . . . . 117
Der Sanguiniker – der beliebte Persönlichkeitstyp . . . . . 119
Der Choleriker – der kraftvolle Typ . . . . . . . . . . . . . 134
Der Melancholiker – der nach Vollkommenheit
strebende Typ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151
Der Phlegmatiker – der friedliebende Typ . . . . . . . . . . 168
Teil 3 Die vier Persönlichkeitstypen
in spezifischen beruflichen Konstellationen . . . . 187
Die Persönlichkeitstypen in der
beruflichen Zusammenarbeit von Ehepartnern . . . . . . . 189
Die Persönlichkeitstypen im Multi-Level-Marketing . . . . 205
Die Persönlichkeitstypen im Immobiliengeschäft . . . . . 224
Die Persönlichkeitstypen in der Gastronomie . . . . . . . . 241
Die Persönlichkeitstypen im Gesundheitswesen . . . . . . 255
Die Persönlichkeitstypen im Einzelhandel und im Büro . . 270
Die Persönlichkeitstypen in geistlichen Berufen . . . . . . 288
Unsere Abschiedsparty . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300
Anhang A: Ihr Persönlichkeitsprofil . . . . . . . . . . . . . . 323
Bestimmungsbogen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327
Auswertungsbogen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331
Anhang B: Begriffsdefinitionen zum Persönlichkeitsprofil . . 335
Die vier Persönlichkeitstypen nach Hippokrates (ca. 400 v. Chr.)
Der beliebte Typ – der SanguinikerSpaßig, gesellig, optimistisch . . .
aber auch unorganisiert und
ein schreckliches Plappermaul
Der kraftvolle Typ – der CholerikerZielorientiert, ein geborener Anführer,
selbstbewusst . . . aber oft zu dominierend
und ziemlich unsensibel
Der nach Vollkommenheit strebende Typ – der MelancholikerTiefschürfend, rücksichtsvoll,
gut organisiert . . . aber mit einer
negativen Grundhaltung behaftet
und häufig deprimiert
Der friedliebende Typ – der PhlegmatikerAngenehm, umgänglich,
anpassungsfähig . . . aber auch
unentschlossen und unmotiviert
Die Besetzungsliste
Unsere Seminar-teilnehmer
Ihre Charaktere Ihre Geschichte
Carmen Gonzalez Melancholikerin mit phlegmatischen Anteilen
Eine schüchterne Lehrerin, die ihre Schüler besser verstehen möchte
Dr. Charles Everett Hastings III.
Melancholiker mit phlegmatischen Anteilen
Ein wohlhabender Chirurg mit trockenem Humor, der reichlich herablassend wirkt
Holly Homes Sanguinikerin mit phlegmatischen Anteilen
Eine auffällig gekleidete Immobilien-maklerin, die gerne lacht und im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit steht
Howard Jones Sanguiniker mit cholerischen Anteilen
Ein gesprächiger Restaurantbesitzer mit einem kräftigen Bäuchlein
Darlene Heidenberg Cholerikerin mit melancholischen Anteilen
Eine dominante Führungskraft, die mit ihrem Mann zusammen im Multi-Level-Marketing arbeitet
Fran Taylor Cholerikerin mit sanguinischen Anteilen
Eine kontaktfreudige leitende Angestellte in der Bekleidungs-branche, die keine Gelegenheit auslässt, um etwas zu verkaufen
Hans Heidenberg Phlegmatiker mit melancholischen Anteilen
Der lahme Ehemann Darlenes, der mit ihr in der Firma arbeitet
Pastor Paul Page Phlegmatiker mit melancholischen Anteilen
Ein schweigsamer Pfarrer, der mit seinen Predigten die Gemeinde einschläfert
9
Begrüßen wir unsere Darsteller
Es war an einem regnerischen Nachmittag im April, als Rose
und ich (Florence) das Bibliotheksgebäude der Loma Linda
University betraten, um eine Seminarreihe zu unterrichten, die
unter dem Titel stand: „Einfach typisch! – Im Job“. Der Dekan
der Hochschule, Dr. Hemingway, hatte diese Seminarreihe in
den Lehrplan aufgenommen, weil ihm immer wieder Menschen
ihr Leid geklagt hatten: „Wie soll ich diese zusammengewürfelte
Truppe, mit der ich es an meinem Arbeitsplatz zu tun habe, nur
richtig verstehen?“ Oder: „Wenn ich doch die richtige Lösung pa-
rat habe, warum machen die Leute dann nicht, was ich ihnen
vorschlage?“
Dr. Hemingway war sich nicht sicher, wie er auf diese Fragen
antworten sollte, bis er mich eines Tages bei einem Abendessen
kennenlernte und mir von seinem Frust erzählte.
„Die Leute reden so, als könne ich ihnen eine magische Pille
verschreiben, die sie dann jeden Morgen einwerfen, und auf ein-
mal sind sie klug. Wir wissen doch alle, dass das so nicht funktio-
niert!“ Angewidert knallte er seine Gabel auf den Teller.
Ich musste lächeln. „Nun, Dr. Hemingway, es gibt schon eine
‚magische‘ Kur für Probleme zwischen unterschiedlichen Per-
sönlichkeitstypen. Ich erkläre es Ihnen gerne. Diese Behand-
lungsmethode wurde im Jahr 400 v. Chr. von Ihrem eigenen
Berufsstand entwickelt – von einem griechischen Arzt – und sie
funktioniert noch heute.“
„Tatsächlich?“, meinte er.
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„Erinnern Sie sich noch an Hippokrates? Er stellte sich die-
selbe Frage, die Sie sich gestellt haben: ‚Gibt es einen Weg, wie
ich meine Patienten besser verstehen kann?‘ Und: ‚Warum re-
agieren nicht alle meine Patienten in gleicher Weise auf meine
Anweisungen?‘“
Unser Gespräch wurde so lebhaft, dass bald alle um uns
herum interessiert zuhörten, während wir uns über Fragen und
Lösungsansätze austauschten. Aus diesem Gespräch entstand
die Idee für das 16-wöchige Seminar: „Einfach typisch! – Im
Job“.
Und nun betraten Rose und ich diesen Raum, in dem acht
handverlesene Seminarteilnehmer auf uns warteten. Vier Män-
ner und vier Frauen aus den verschiedensten Ecken der Berufs-
welt. Sie alle suchten Unterstützung für den Umgang mit „all
den Menschen, die nicht so ticken wie ich“.
Rose und ich hatten schon zuvor Seminare für den Umgang
mit schwierigen Menschen abgehalten, mehr so aus Spaß an
der Sache. Doch mit einer derart handverlesenen Truppe hat-
ten wir es noch nie zu tun gehabt. Dr. Hemingway hatte die aus
Freunden und Fachkräften bestehende Gruppe durch die emp-
fohlene Lektüre meines Buches Einfach typisch! und durch den
Persönlichkeitstest im Anhang dieses Buches auf das Seminar
vor bereitet. So kannten wir die Persönlichkeitstypen unserer
acht Studenten schon zu Beginn der ersten Seminareinheit und
konnten uns gut auf sie einstellen.
Hier sind unsere Seminarteilnehmer
Zu Beginn erklärte ich unseren Studenten, dass sowohl Rose als
auch ich eine Mischung aus den beiden Typen Choleriker und
Sanguiniker waren und sie im Verlauf des Seminars sicher bes-
11
ser verstehen würden, was das bedeutet. Rose fügte hinzu: „Das
heißt, dass wir beide gerne das Heft in der Hand haben. Aber
keine Sorge, es wird trotzdem Spaß machen!“
„Ja“, pflichtete ich ihr bei und schaute Rose währenddessen
direkt in die Augen, „wir beide haben gerne das Heft in der
Hand.“
„Ah . . . Heft in der Hand! Dabei fällt mir ein, dass Florence
heute den Unterricht leitet. Wie ich die Sache in die Hand nehme,
erleben Sie dann beim nächsten Mal!“ Rose lächelte der Gruppe
zu und setzte sich dann auf einen Platz im hinteren Bereich des
Raumes. Als Sanguiniker haben wir gelernt, bei unseren Semi-
naren zusammenzuarbeiten. Wir mögen es scherzhaft, wahren
aber einander gegenüber stets die Achtung.
Nachdem wir uns vorgestellt hatten, bat ich die Teilnehmer,
der Reihe nach ihren Namen zu nennen und zu sagen, warum
sie beim Seminar mitmachen wollten. Als Erste war eine ent-
spannte junge Frau mit großen braunen Augen und dunklem,
gewelltem Haar an der Reihe.
„Ich heiße Carmen Gonzalez. Ich unterrichte an der örtlichen
Highschool und hoffe, dass es mir gelingt, meine Schüler bes-
ser zu verstehen. Sie sind alle sehr verschieden und manche
von ihnen wollen am liebsten nicht zur Schule gehen. Ich habe
Einfach typisch! gelesen und ich denke, dass ich Melancholikerin
bin, weil ich gerne lerne und mich von den Spielchen meiner
Schüler schnell deprimieren lasse!“
Als Nächste war eine Frau in mittlerem Alter an der Reihe. Sie
war etwas pummelig, hatte hellblaue Augen und konnte es gar
nicht abwarten, sich uns vorzustellen. „Ich heiße Darlene Hei-
denberg und ich bin hier, weil ich mehr über meine Geschäfts-
partner erfahren möchte. Ich arbeite im Multi-Level-Marketing
und bin immerzu mit meiner Arbeit beschäftigt. Meine Gedan-
ken scheinen niemals stillzustehen!“
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Ich wusste sofort, dass sie Cholerikerin war.
Neben ihr saß ein stiller, frostig wirkender Mann, der bis jetzt
noch kein einziges Mal gelächelt hatte. „Ich wäre aus eigenen
Stücken nicht hier, wenn mich Darlene“, er nickte in Richtung
der Frau, die neben ihm saß, „nicht hergeschleppt hätte. So
macht sie’s immer. Aber mir ist das egal. Mein Name ist Hans
Heidenberg.“
Ich tauschte unauffällig einen Blick mit Rose und wir waren
uns einig: ein Phlegmatiker.
Die Gruppe schien verwirrt. Sollten sie nun Mitleid mit Hans
haben, weil er hergeschleppt worden war, oder sollten sie glück-
lich sein, weil er Darlene hatte, die ihn in Schwung hielt?
Als Nächster kam ein eifriger Mann an die Reihe, dem man
ansah, dass er sein Leben lang gerne gegessen hatte. Als wäre er
ein gemütlicher Nikolaus, wippte sein Bauch beim Lachen wie
Pudding auf und ab. „Mein Name ist Howard Jones. Weil ich in
der Gastronomie tätig bin, halten mich alle für Howard Johnson!
Ich habe das Problem, dass mir alle Aushilfen davonlaufen. So-
bald ich jemanden angelernt habe, ist er auch schon verschwun-
den. Ich habe von diesen unsteten Typen die Schnauze voll und
wünsche mir ein paar, die bleiben. Nachdem ich Ihr Buch gelesen
habe, bin ich mir ziemlich sicher, dass ich ein Choleriker bin. Mir
würde meine Rolle als Chef mehr Spaß machen, wenn die Kerle
nur mal richtig auf mich hören würden.“
„Ihr glaubt, ihr habt Probleme!“, rief die Blondine, die neben
Howard saß, in die Runde. Sie trug ein T-Shirt mit der Aufschrift
HOLLY HOMES. „Ihr solltet mal als Maklerin arbeiten. Ich weiß
gar nicht, wer schwieriger ist: die verrückten Verkaufstypen in
meinem Büro oder die komisch dreinschauenden Idioten, die als
Kunden ins Haus kommen. Wenn man sie alle in einer Schüssel
zusammenrühren würde, könnte man noch nicht mal einen an-
ständigen Pfannkuchen damit backen. Das hat meine Mutter im-
13
mer gesagt – Gott sei ihrer Seele gnädig. Sie haben sicher schon
festgestellt, dass ich Holly heiße. Mein Nachname ist nicht wirk-
lich ‚Homes‘, aber das verkauft sich besser. Ich hab’ gern Spaß
an der Arbeit, aber in letzter Zeit war’s damit nicht mehr so weit
her. Der Markt ist grad echt sauschlecht!“
Eine Sanguinikerin! Rose und ich lächelten uns zu.
Nach Hollys abschließenden Worten rückte der ehrbar drein-
blickende, schlanke und groß gewachsene Mann neben ihr sei-
nen Stuhl noch ein wenig weiter von ihr ab. „Ich bin Pastor Paul
Page. Ich habe es gerne friedlich und ruhig. Ich bin hier, weil
mich meine Gemeinde nicht für interessant genug hält. Ein
Mann hat sogar mal zu mir gesagt: ‚Wenn Sie zu predigen anfan-
gen, schlafe ich sofort ein.‘ Und weil er einer der Ältesten ist, ist
das gar nicht gut. Ich hoffe, ich kann meine Persönlichkeit posi-
tiv verändern, obwohl ich eigentlich ganz glücklich mit mir bin.“
„Sie sind ein Phlegmatiker!“, sagte Howard. „Stimmt’s, Flo-
rence?“
Ich nickte und sah, dass der Pastor gerne noch etwas anfügen
wollte. „Ich war auch nie verheiratet, weil es mir so schwerfällt,
wichtige Entscheidungen zu treffen“, ergänzte er und lachte leise.
Holly schob ihren Stuhl näher an ihn heran und lächelte ihn
mit einem breiten Grinsen an.
Dem unverheirateten, geistlich gesonnenen Pastor gegenüber
saß eine sichtbar weltliche, farblich sehr geschmackvoll geklei-
dete junge Frau mit perfekt geschminktem Make-up und extra
langen Wimpern. „Ich heiße Fran Taylor und ich hab’s mit der
weiblichen Mode.“
„Das sieht man Ihnen auch an, meine Liebe!“, warf Howard
ein.
„Danke sehr. Aber was ich damit sagen wollte, war, dass ich
eine leitende Stellung in einer Einzelhandelskette innehabe.
Wenn ich nicht gerade auf Reisen bin, arbeite ich im Hauptsitz
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der Firma. In meinem Job gibt es viel anzupacken. Eigentlich
mache ich zwei volle Jobs, auch wenn die Firma das nicht so
sieht. Schließlich bekomme ich nur ein Gehalt!“
Sie lachte über ihre eigene Bemerkung und fuhr dann fort:
„Ich mag Mode. Ich mag Menschen. Ich rede gern und ich trage
gern die Verantwortung. Es gibt so vieles, was ich absolut gern
mag, man könnte fast meinen, ich hätte eine gespaltene Persön-
lichkeit! Wie auch immer, wir haben eine ganz neue Schmuck-
kollektion herausgebracht. Ich habe Ihnen eine Broschüre mit-
gebracht, die Ihnen die elegante Verarbeitung des Goldes und
die leuchtenden Farben der Steine zeigt. Wirken sie nicht ge-
radezu echt? Den Preis werden Sie lieben! Ganz unser Verspre-
chen: ‚Große Leistung zum kleinen Preis!‘ Ich habe gleich ein
paar Bestellformulare mitgebracht und – ja – Sie können auch
mit Kreditkarte bezahlen.“
Während Fran ihre Werbebroschüren austeilte, bat ich den
Letzten in unserer Runde, sich vorzustellen: einen eleganten, in-
telligent aussehenden und offensichtlich wohlhabenden Herrn.
„Mein Name ist Dr. Charles Everett Hastings der Dritte. Die
andern beiden sind nicht da, sie sind tot.“ Er lächelte über seinen
Versuch, humorvoll zu sein – auch wenn sonst keiner lächelte.
„Die anderen beiden waren Mediziner und so blieb mir nichts
anderes übrig. Ich musste ‚der Dritte‘ werden und die Familien-
tradition aufrechterhalten. Ich besuchte die Phillips Andover Aka-
demie und die Universität Harvard und machte schließlich an der
Universität Princeton meinen Doktor.“ Er hielt einen Moment
inne, um seine Auszeichnungen wirken zu lassen.
„Warum bin ich hier, wo ich doch offensichtlich bereits völlig
überqualifiziert bin? Weil Dr. Hemingway mich bat, ich zitiere:
‚teilzunehmen und mal von all dem Intellektuellen wegzukom-
men und mit ganz normalen Menschen zusammen zu sein,
denen mein IQ völlig egal ist‘. Ich sollte einfach nur ein netter
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Kerl sein. Ich habe von Hippokrates bereits im Studium gehört,
habe dieses Wissen aber nie angewandt. Ich hielt es für zu banal.
Und jetzt bin ich hier – unter ganz normalen Menschen – und
ich muss zugeben, dass Sie eine durchaus angenehme Gruppe
zu sein scheinen.“
Als der gute Doktor ausgeredet hatte, wusste keiner so recht,
was er davon halten sollte. Sollten sie sich beleidigt fühlen? Oder
sollten sie Mitleid mit ihm haben, weil er der wirklichen Welt so
völlig enthoben war?
Ich dankte allen für ihre Offenheit und zog dann eine alte
Zeitschrift hervor, um in das Thema, mit dem wir uns im nächs-
ten Kapitel weiter befassen wollen, einzusteigen.
Während Sie, liebe Leser, uns durch dieses Seminar begleiten,
sollten Sie sich vorstellen, dass auch Sie zu dieser handverlese-
nen Gruppe gehören. Sind Sie bereit? Bald werden Sie merken,
dass die Probleme dieser Menschen Ihren eigenen ähneln. Und
unsere Lösungsvorschläge werden Ihren Tag erhellen. Wir freuen
uns, Sie in unserer „angenehmen Gruppe“ begrüßen zu dürfen!
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Wie entsteht unsere Persönlichkeit?
Ich stieg in unser Seminarthema ein, indem ich den Teilnehmern
ein Exemplar der Zeitschrift Time vom 3. Juli 2000 zeigte und
ihnen daraus einen Artikel über zwei Teams von Genforschern
vorlas. Die Genforscher hatten sämtliche vererbbaren Eigen-
schaften des menschlichen Körpers entschlüsselt. „Nachdem sie
über ein Jahrzehnt lang gehofft, geplant und Unsummen von
Daten ausgewertet haben“, so las ich vor, „haben beide Teams im
Grunde alle 3,1 Milliarden Erbinformationen der menschlichen
DNA entschlüsselt – jener codierten Anleitung für den Bau und
Betrieb eines funktionsfähigen menschlichen Körpers.“*
Ich erklärte ihnen, dass man neben sol-
chen Merkmalen wie Augenfarbe, Haarbe-
schaffenheit, Körperform oder Nasengröße
auch die Persönlichkeit identifiziert hatte.
Wir sind eher extrovertiert oder eher intro-
vertiert oder eine Mischung aus beidem – ge-
nauso wie wir eher groß oder eher klein oder
irgendetwas dazwischen sind.
„Wenn Sie graue Augen haben, aber lieber
blaue hätten“, erklärte ich, „können Sie an-
dersfarbige Kontaktlinsen kaufen. Doch wenn Sie die Kontakt-
linsen herausnehmen, sind Ihre Augen immer noch grau. Wenn
Sie statt Ihrer dunkelbraunen Haare lieber blonde hätten, können
* Dick Thompson, Frederic Golden und Michael D. Lemonick. „The Race is Over“, Time, 3. Juli 2000.
Wenn wir auf die Welt
kommen, besitzen wir
bereits unser ganz eigenes
Wesen, uns ganz individuell
entsprechende Verhaltens-
weisen und für uns typische
Reaktionen auf andere
Menschen.
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Sie sie bleichen. Doch sobald sie nachwachsen, besitzen Ihre
Haare wieder ihre natürliche Farbe – und die ist dunkelbraun.“
„Stimmt genau!“ Das war Holly Homes, die sanguinische
Maklerin. „Ich wollte immer schon blond sein!“ Sie lachte über
sich selbst, obwohl nur wenige mitlachten.
So fuhr ich fort. „Das Gleiche gilt für Ihren angeborenen Per-
sönlichkeitstyp. Äußere Einflüsse wie das soziale Umfeld, fami-
liäre Einflüsse, Ihr Alter, Ihre Reife oder auch die Geschwister-
folge mögen Ihre Persönlichkeit zwar geprägt haben, sodass Ihr
‚brauner‘ Typ ‚blond‘ aussieht –, aber hinter all dem steht immer
Ihr wahres Temperament.
Eltern, die das wissen, behandeln ihre Kinder entsprechend
ihrer individuellen angeborenen Persönlichkeit. Wenn sie alle
ihre Kinder gleich behandeln würden, würden die einen aufblü-
hen, andere würden rebellieren und wieder andere würden den
Versuch aufgeben, Mama zu gefallen. Bei dem Gedanken, unse-
rer Zweijährigen die Haare zu färben, reagieren wir schockiert,
doch möglicherweise machen wir uns kaum Gedanken darüber,
dass wir vielleicht gerade versuchen, sie ihrer älteren Schwester
ein wenig ähnlicher zu machen.
Wenn ich mit Erwachsenen an ihren Persönlichkeitsproble-
men arbeite – die sich häufig am Arbeitsplatz zeigen –, entdecke
ich oft, dass ihre Eltern versucht haben, sie in einen Persönlich-
keitstyp zu verwandeln, der sie eigentlich gar nicht waren. Oft
wurden Sätze gesagt wie: ‚Was ist denn nur los mit dir? Warum
benimmst du dich so schwierig?‘ Oder auch: ‚Kannst du nicht
sein wie dein Bruder?‘“
Dr. Hastings seufzte bei diesen Worten vernehmbar und er-
gänzte dann: „Genau das hat meine Mutter immer zu mir gesagt.“
Ich warf Rose einen wissenden Blick zu, denn uns war be-
wusst, dass wir in den kommenden Wochen noch so manche
persönliche Lebensgeschichte erfahren würden. Doch zunächst
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mussten wir einigen Stoff hinter uns bringen und deshalb fuhr
ich mit meinen Erläuterungen fort.
„Kinder, die mit der Überzeugung groß werden, dass sie eine
Enttäuschung für ihre Eltern sind, suchen den Rest ihres Lebens
nach jemandem, der sie annimmt, wie sie sind. Wenn sie keinen
Ort finden, an dem ihre Persönlichkeit wertgeschätzt wird, wird
es schwer für sie.“
Wenn wir die Persönlichkeitstypen studieren, werden wir ver-
stehen, warum nicht alle Menschen gleich sind. Wir werden ent-
decken, wie jeder von uns seinen einzigartigen Beitrag in dieser
Welt leisten kann – und wir werden das zu schätzen wissen, was
andere beizutragen haben.
Wo kommen die merkwürdigen Bezeichnungen her?
„Wir machen jetzt erstmal eine kurze Pause und dann werfen wir
einen kleinen Blick in die Geschichte der Medizin“, verkündete
ich.
In diesem Moment schien Dr. Charles Everett Hastings III.
ein wenig munterer zu werden.
Nachdem alle wieder an ihren Plätzen saßen, erzählte ich von
dem griechischen Philosophen und Arzt Hippokrates, der um
400 vor Christus gelebt und mit seinen Patienten seine beson-
deren Probleme gehabt hatte. Einige von ihnen hielten sich an
das, was er ihnen verschrieb, andere nicht. Er fragte sich, warum
das so war. Warum waren einige Patienten zur Mitarbeit bereit
und warum war es bei anderen derart schwierig? Seine Fragen
führten zur ersten uns bekannten Einteilung der Charaktere. Er
untersuchte die Körperflüssigkeiten seiner Patienten und ent-
deckte vier Kategorien, die heute als die klassischen „Tempera-
mente“ bekannt sind.
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Nachdem ich dies erläutert hatte, ging ich zu dem Schaubild,
das hinter dem Pult an der Wand hing und sagte: „Genug der Ge-
schichte. Kommen wir zu einer kurzen Vokabellektion.“ Und ich
gab ihnen anschließend eine grundlegende Definition der vier
Persönlichkeitstypen an die Hand:
Sanguiniker (Blut): Ein Mensch, der lebendig ist und gerne
Spaß hat. Er ist optimistisch, beliebt und ein begnadeter Ge-
schichtenerzähler. Er kann aber auch sehr ichbezogen und ge-
dankenlos sein. Choleriker (gelbe Galle): Ein Mensch, der gerne die Führung
übernimmt und die Dinge in der Hand haben will. Auch er
kann sehr selbstbezogen sein und neigt dazu, andere herumzu-
kommandieren. Er ist ungeduldig und wird schnell wütend. Melancholiker (schwarze Galle): Dieser Mensch sieht jedes De-
tail. Er ist in sich gekehrt und strebt nach Vollkommenheit. Er
neigt zu deprimierten Stimmungen und Pessimismus und fin-
det wenig Gefallen an sozialen Aktivitäten, bei denen man sich
mit Leuten unterhalten muss, die man nicht kennt oder mag. Phlegmatiker (Schleim): Ein unauffälliger, gemütlicher und
angenehmer Mensch, der sich gerne entspannt und anderen
mitunter faul erscheint. Er ist ein beständiger Mitarbeiter, der
dort am wirkungsvollsten ist, wo er andere unterstützen kann.
Doch er ist wenig zielorientiert und will nicht viel erreichen.
Nach Angaben der Encyclopedia Britannica bezeichnet das „Tem-
perament“ die Aspekte der Persönlichkeit, in denen es um
unsere emotionale Disposition sowie um emotionale Reaktionen
und deren Geschwindigkeit und Intensität geht. Geschwindigkeit
Choleriker und Sanguiniker handeln schnell.
Melancholiker und Phlegmatiker handeln überlegter.
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IntensitätCholeriker und Melancholiker sind emotional intensive
und tiefschürfende Menschen.
Phlegmatiker und Sanguiniker sind emotional ausgeglichen
und locker.
„Heute unterrichtet man Hippokrates’ Lehre von den Körper-
säften als Grundlage der Temperamente nur noch selten“, teilte
ich unserer Klasse mit, „doch seine Beobachtungen über das
menschliche Verhalten waren sehr treffend und haben sich seit
über 2.000 Jahren bewährt.“
Ich bat Rose, nach vorne zu kommen und der Gruppe eine
weitere interessante Tatsache mitzuteilen.
„Von den Temperamenten hörte ich zum ersten Mal in meiner
katholischen Highschool“, erzählte sie. „Mönche hatten die Lehre
von den Temperamenten über die Jahrhunderte hinweg bewahrt,
denn sie nutzen sie als Mittel zur geistlichen Entwicklung, um sich
selbst und die Bedürfnisse anderer besser erkennen zu können.
Das half ihnen, den ganzen Menschen in den Blick zu bekommen
– seine Gefühle, Leidenschaften, Neigungen, Reaktionsweisen,
Tugenden und geistlichen Gaben. Thomas von Aquin, einer der
brillantesten Philosophen der westlichen Zivilisation, schrieb in
seinem berühmten Werk Summa Theologica über den Zusammen-
hang zwischen Temperament und Tugenden. Seine Erkenntnisse
werden bis heute von Studenten verschiedenster Disziplinen an-
gewandt: Jura, Ethik, Theologie, Philosophie und Psychologie.
Thomas von Aquin schrieb: ‚Drei Dinge sind für die Erlösung des
Menschen notwendig: zu wissen, was er glauben soll; zu wissen,
was er erstreben soll, und zu wissen, was er tun soll.‘“ *
* Die Summa Theologica (oder Summa Theologiae oder kurz Summa; das ist latei-nisch und bedeutet: „Zusammenfassung der Theologie“) wurde 1265–74 geschrie-ben und ist das bekannteste Werk des Thomas von Aquin (ca. 1225–1274).
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„Danke, Rose“, sagte ich und wandte mich wieder der Klasse
zu. „Wenn Sie die verschiedenen Persönlichkeitstypen verstehen,
werden Sie dem weisen Rat Thomas von Aquins folgen können:
Sie werden an das Beste im anderen glauben; erkennen, wonach
er sich sehnt; und wissen, was sie tun können, um ihn wertzu-
schätzen und gut mit ihm auszukommen – insbesondere am
Arbeitsplatz.“
Die Unternehmen unserer Väter
Nach diesem kurzen Überblick war es mir ein Anliegen, dass
unsere Teilnehmer – bevor wir im Thema fortfuhren – wussten,
warum Rose und ich uns mit den Persönlichkeitstypen beschäf-
tigt hatten und wie es dazu kam, dass wir dieses Seminar hielten
und gemeinsam an diesem Buch schrieben.
„Rose und ich sind beide quasi in den Unternehmen unse-
rer Väter groß geworden“, erklärte ich. „Ihr Vater betrieb von zu
Hause aus eine Firma, die Immobilien verwaltete und bewertete.
Und ich half meinem Vater in seinem Gemischtwarenladen.“
Die Kunden in unserem Laden konnten die Gespräche, die
wir im Familienkreis in der Küche führten, mithören. Wenn
wir gerade über jemanden sprachen und diese Person dann den
Laden betrat, warnte uns mein Vater immer, indem er laut das
Lied „Heilig, heilig, heilig . . .“ vor sich hinsang. Wenn heute im
Gottesdienst dieses Kirchenlied gesungen wird, halte ich augen-
blicklich meinen Mund. So habe ich gelernt, mit anderen Men-
schen auszukommen.
Meine beiden Brüder und ich selbst sind alle berufsmäßige
Redner geworden: Jim war Geistlicher in der amerikanischen
Luftwaffe und ein hochdekorierter Offizier. Ron ist in der Ge-
gend um Dallas ein sehr beliebter Radiomoderator. Wir alle
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betrachten die Zeit, die wir im und mit dem Laden verbracht ha-
ben, als Fundament unserer erfolgreichen und effektiven Kom-
munikationsfähigkeiten.
Rose ist die Älteste von acht Kindern – eine Sanguinikerin,
die gerne ihren Spaß hat, inmitten einer ernsthaften Melancho-
likerfamilie. Sie musste schon früh ihre Mutter in der Erzie-
hung ihrer jüngeren Geschwister unterstützen, was Rose nicht
schwerfiel, da sie die fröhlichen Anteile eines Sanguinikers mit
den führungsbereiten Anteilen eines Cholerikers verbindet. Am
schönsten war für sie das Leben, wenn sie sich Spiele oder Wett-
bewerbe für ihre Geschwister ausdachte. Dann kommandierte
Rose alle anderen herum, und wenn sich jemand beschwerte,
machte sie ihn darauf aufmerksam, wie viel Spaß es doch al-
len machte. Auch ihr Vater war ein geborener Chef. Manchmal
schlich sie sich in sein Büro und hörte ihm bei seinen Telefona-
ten zu. Wenn er dann mal eine Pause machte, setzte Rose sich
auf seinen Schoß und versuchte, ihm ihre netten Geschichtchen
zu erzählen, bis er schließlich lospolterte: „Jetzt komm doch end-
lich mal auf den Punkt!“ Er war ein Choleriker mit melancho-
lischen Anteilen, der ein wichtiges Unternehmen zu führen und
eine große Familie zu ernähren hatte, und wenn er ungeduldig
wurde, war das manchmal gar nicht lustig.
Rose ging gerne zur Schule, doch die zumeist melancho-
lischen Nonnen fanden die Mätzchen, die sie im Klassenzimmer
veranstaltete, nicht besonders spaßig. In der Oberstufe nahm
Schwester Maria Hippokrates und seine Lehre der vier Tempe-
ramente im Unterricht durch. Rose war begeistert, sich selbst
zu entdecken und zu erfahren, dass es gar nicht so verkehrt war,
wenn man gerne seinen Spaß hatte. Als die Lehrerin jedoch auf
die Schwächen der Sanguiniker zu sprechen kam, erkannte Rose
viele der Fehler wieder, auf die sie von ihrer Familie bereits im-
mer wieder mit der Nase gestoßen worden war. Sie schämte sich,
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als wüsste die gesamte Klasse, dass es bei den vielen Fehlern des
Sanguinikers nur um sie ging!
Wir haben entdeckt, dass die meisten Menschen ihre Stärken
mögen, aber nur ungern ihre Fehler anschauen. Rose wollte
nicht, dass irgendjemand herausfindet, dass sie Schwächen be-
saß. Sie schien ohnehin nicht in diese Schule und ihre Fami-
lie zu passen, und so beschloss sie, sich in einen Melancho-
liker zu verwandeln. Schließlich fand ihre Lehrerin diesen Typ
heiliger und ihre Eltern fanden ihn vollkommener. Von da an
setzte sie sich schweigend zu ihrem Vater, erzählte ihre Ge-
schichten nur noch kurz und knapp und erlernte seinen Beruf.
Nach ihrem Studium an der Universität von San Francisco kehrte
Rose nach Hause zurück und mühte sich zu lernen, wie man
den Wert von Firmengrundstücken analysiert und schätzt. Um
sich in einem von Männern dominierten Beruf zu behaupten,
musste sie die Melancholikerin spielen und ihre sanguinischen
Impulse unterdrücken. Auch das machte wenig Spaß! Doch
mit ihrem Charme kam sie bei den Kunden an und bald über-
nahm sie die Firma. Als Rose ihre Mitarbeiter zu einem Vor-
trag anmeldete, bei dem ich über die vier Persönlichkeitstypen
sprach, war sie verwirrt. War sie nun eine ernste Melancholike-
rin, die den Wert von Immobilien schätzte, oder eine Sangui-
nikerin, die ihr Licht unter dem Scheffel dieses Berufsstandes
verbarg?
Als ich Rose an diesem Tag unter den Zuhörern beobachtete,
entdeckte ich eine ausgesprochene Schönheit mit dem Lächeln
und der Begeisterung eines Sanguinikers. Als ich auf die Stärken
der Sanguiniker zu sprechen kam, zeigten ihre Mitarbeiter auf
sie und sagten: „Das bist du!“ Nach dem Vortrag erzählte mir
Rose von ihrem Leben und wir kamen zu dem Schluss, dass sie
eine unterdrückte Sanguinikerin war, die als melancholische Ge-
schäftsfrau zu leben versuchte.