elecciones presidenciales venezuela: homofobia, antisemitismo, chavez, maduro
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Interdiszipl inrer Universittslehrgang fr Hhere Lateinamerika-Studien / Universitt Wien
Ausdruck und Affekt . Fallstudien leidenschaftlicher Aussageformen
Fachseminar 2, Sommersemester 2013.
Leitung: Tom Waibel, Hansel Sato
Elecciones presidenciales
en Venezuela 2012 y 2013
Homophobie, Antisemitismus, religise Motive und persnliche
Untergriffe: Eine Analyse der Kampagnen von Oficialismo und
Opposition fr die Prsidentschaftswahlen in Venezuela am 7.
Oktober 2012 und am 14. April 2013 anhand von TV-Beitrgen
sowie die jeweiligen Reaktionen darauf exemplarische Fallstudien leidenschaftlicher politischer Aussageformen unter
Bercksichtigung des historischen Kontext des Mythos Chvez
und des Beginns der post-chavistischen ra in Lateinamerika.
Von Harald Klckl.
Wien, September 2013.
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Inhaltsverzeichnis Forschungsexpos 2
----------------------------------- Essay
1. Homophobie 4
2. Antisemitismus 6
3. Religise/spirituelle Motive 9
4. Persnliche Untergriffe 10
5. Analyse 12
------------------------------------ 6. Literaturverzeichnis 13
7. Beilage Polizeiprotokoll Capriles/Actos Inmorales
Abkrzungen
VTV Venezolana de Television
MUD Mesa de la Unidad Democrtica
PSUV Partido Socialista Unido de Venezuela
GPP Gran Polo Patriotico
LGBT Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender
Forschungsexpos
Der Tod von Hugo Chvez, der von der venezolanischen Regierung am 5. Mrz 2013 datiert
wurde, bewegte zumindest ganz Lateinamerika. Ich war zu dieser Zeit in Mexiko und
verfolgte einige Tage lang die umfassende mediale Berichterstattung intensiv mit, in
staatlichen und privaten sowie mexikanischen und internationalen TV-Sendern, aber auch in
Zeitungen und Radioprogrammen, etwa jenem der mexikanischen Journalistin Carmen
Aristegui. Diese hatte am Tag nach Chvez Tod in ihrer tglichen Radiosendung die wohl
bekanntesten Zeithistoriker und politischen Kommentatoren Mexikos, Enrique Krauze und
Lorenzo Meyer, per Telefon zu Gast. Eine gute Stunde lang analysierten die beiden
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Krauze wird dem liberalen, Meyer dem linken Lager Mexikos zugerechnet die Lage
Venezuelas und Lateinamerikas nach Chvez Tod sowie die Nachhaltigkeit seines
politischen Kurses fr Venezuela und den Kontinent.
In dieser Zeit reifte in mir die Idee, die mediale Berichterstattung in Venezuela selbst (soweit
sie mir zugnglich ist, also praktisch nur per Internet) und die Kampagnen der beiden
Gruppen fr die Neuwahl des Prsidenten besonders zu verfolgen und diese mit den von mir
schon zuvor beobachteten Kampagnen der Wahl von Oktober 2012 zu vergleichen. Weiters
habe ich mehrere mir persnlich bekannte in Wien lebende Venezolaner aus beiden
politischen Lagern informell zu meinem Forschungsthema befragt. Schon nach den ersten
Recherchen stie ich neben den heftig gefhrten inhaltlichen Auseinandersetzungen ber
den politischen Kurs und die diese Themen noch deutlich berlappenden emotionalen und
nostalgischen Motive (sinngem: Die Whler mgen Lebenswerk und Erbe des
Commandante hochhalten) auf eine Handvoll weiterer Motive, die mich als solche und
durch ihre Intensitt berraschten und die zum Thema dieser Arbeit wurden: Antisemitismus,
Homophobie, religis/spirituelle Einsprengsel sowie massive persnliche Untergriffe. Diese
vier Faktoren werden in Folge in dieser Arbeit als Leitmotive bezeichnet.
Den theoretischen Unterbau dieser vorliegenden Arbeit bildeten im wesentlichen und in
dieser Reihenfolge hatte ich sie auch gelesen folgende Bcher: Die Venas abiertas von
Eduardo Galeano, Redentores von Enrique Krauze, das Manual del perfecto idiota
latinoamericano von .Vargas Llosa et al. sowie zuletzt Ey, las ideologas existen! von
Mario Riorda.
Ich habe mich bei der Auswahl der medialen Quellen (fast ausschlielich Videos, als
Mitschnitte und Beitrge von TV-Sendern, die berwiegend auf Youtube verffentlicht
wurden) auf jene beschrnkt, die unmittelbar der berprfung meiner These dienen. Daher
habe ich all jene Quellen ber politische Differenzen, also jene ber die bolivarianische
Revolution und ihre Ausprgungen in der Sozial- und Wirtschaftspolitik oder der
Auenpolitik Venezuelas, nicht bercksichtigt. Weiters war es naturgem auch nicht
mglich, den tatschlichen quantitativen Umfang der Leitmotive an der gesamten politischen
Kommunikation zu ermessen. Ebenso wenig kann ich den quantitativen Einfluss dieser
Propaganda-Leitmotive auf die Entscheidung der Whler beziffern. Smtliche angefhrten
Aussagen zu den bzw. im Sinne der genannten Leitmotive entziehen sich auch einer
Beurteilung als gerechtfertigt oder das Gegenteil davon und knnen auch nicht auf
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faktische Richtigkeit beurteilt werden. Das liegt auch daran, dass diese im juristischen Sinn
oft den Delikten ble Nachrede, Verleumdung oder Ehrenbeleidigung entsprechen.
Die Authentizitt der Quellen und Zitate ist gesichert: Meine Beschrnkung auf Videos hat
den Vorteil, dass diese aus Grnden eines ungleich hheren Aufwandes bei einer allflligen
Manipulation deutlich flschungssicherer und daher authentischer sind, als online oder
gedruckt wiedergegebene Zitate. Auch sind fast alle Videos in venezolanischen TV-Stationen
ausgestrahlt worden, es gibt (meines Wissens nach) keine privat oder geheim erfolgten
Mitschnitte der inkriminierten Zitate.
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1. Motiv Homophobie
Da Henrique Capriles, Oppositionskandidat der untersuchten Wahlgnge, fast
ausschlieliches Objekt der von mir genannten Leitmotive Homophobie und Antisemitismus
ist, muss ein kurzer Blick auf seine Biografie angefhrt werden.
Capriles wurde 1972 geboren, er studierte Rechtswissenschaften in Venezuela, arbeitete als
Wirtschaftsanwalt. 1998 wurde er fr die Partei Primero Justicia in den Kongress gewhlt
(damals gab es ein parlamentarisches Zweikammer-System), wurde dort zum Prsidenten der
Cmera de Diputados und zum Vizeprsidenten des gesamten Parlaments (Congreso
Nacional) gewhlt, jeweils als jngster Abgeordneter der Geschichte in diesen Funktionen.
Diese mter hatte er inne, bis das Zweikammersystem 1999 von der Asamblea Nacional
Constituyente ersetzt wurde. 2000 gewann Capriles die Wahl zum Brgermeister des
Municipio Baruta mit 60 Prozent Zustimmung, er wurde 2004 von fast 80 Prozent besttigt.
2008 wurde er Gouverneur des Bundesstaates Miranda. Am 12. Februar 2012 wurde Capriles
in Vorwahlen vom aus rund 30 Parteien bestehenden Oppositionsbndnis MUD zum
Spitzenkandidaten fr die Prsidentenwahl von 7. Oktober 2012 gekrt als Gegner von
Hugo Chvez bzw. des zur Chvez-Untersttzung eigens fr diese Wahl gegrndeten aus 15
Parteien bestehenden Bndnisses GPP. Capriles erreichte 44,3 Prozent der Whlerstimmen,
Chvez 55,1. Am 16. Dezember wurde Capriles abermals zum Gouverneur von Miranda
gewhlt. Nach Chvez Tod waren am 14. April 2013 neuerliche Prsidentschaftswahlen ntig,
MUD nominierte wieder Capriles: Er erreichte 49,12 Prozent. Der fr das Regierungsbndnis
GPP antretende vormalige Chvez-Vizeprsident Nicolas Maduro vereinigte offiziell 50,61 %
der Whlerstimmen auf sich und fungiert seither als Prsident Venezuelas. Capriles ist
weiterhin Gouverneur des Bundesstaates Miranda. Henrique Capriles ist ledig und kinderlos.
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- Die Versuche, aus der vermeintlichen Homosexualitt von Capriles politisches Kapital zu
schlagen, sind zahlreich. Capriles galt seit seinem Erscheinen in der politischen Landschaft
als prsumptiver Gegenkandidat zu Chvez. Schon in einer am 1.September 2009
hochgeladenen Rede eines Funktionrs (Nomen Nescio) der Regierungspartei PSUV wird
Capriles mit uerst negativer Konnotation als Homosexueller bezeichnet, man (die PSUV)
verfge ber Beweise dafr. Die Ausstrahlung erfolgte in VTV, laut dem Insert live,
anlsslich von Protesten gegen die Amtsfhrung Capriles, der damals Gouverneur des
Bundesstaates Miranda war
- Maduro selbst, auch bevor Capriles sein Gegner bei der Wahl von April 2013 war,
bezeichnet diesen und die Opposition oft als Mariconsotes. Maricon bedeutet zwar nicht
immer zwangslufig homosexuell im eigentlichen Sinn, doch aus der Hufigkeit der
Verwendung fr Capriles generell und die Opposition schliee ich diskriminierende Absicht.
- Als Reaktion auf Aussagen dieser Art seitens des Oficialismo verffentlichte die
venezolanische LGBT-Plattform Ociogay am 12. April 2013 auf ihrer Website einen Beitrag,
der auf Maduros wiederholte homophobe Vorwrfe gegenber Capriles Bezug nahm. In
diesem Fall kritisierte Ociogay konkret eine Rede Maduros, bei der dieser seine
Lebensgefhrtin (die Spitzenpolitikerin Cilia Flores) auf die Bhne holte und diese
Inszenierung die beiden waren seit Jahren offiziell ein Paar und das war der ffentlichkeit
ohnehin bestens bekannt mit folgenden Worten begleitete: Yo si tengo mujer, Oyeron? Me
gustan las mujeres. Y aqu la tengo, in Anspielung auf Capriles, der offiziell ohne Partnerin
oder Partner war. Anmerkung: Dieses Video als primre Quelle der Meldung wurde
mittlerweile wegen Urheberrechtsfragen aus Youtube entfernt.
- Am 13. April 2013 verffentlichte Ociogay eine Meldung, wonach die Regierung einen
Homosexuellen bezahlt hatte, damit dieser sich als einstiger Liebhaber von Capriles
deklariere. Damit wird an einen Vorfall erinnert, der sich im Jahr 2000 zugetragen haben soll
(und auf den offenbar in oben genanntem Beispiel von 12. April 2012 Bezug genommen
wird): Damals sei Capriles von der Polizei bei homosexuellen Handlungen in einem Auto
beobachtet worden. Nach einem Bericht der Sendung La Hojilla in VTV soll ein Polizist
Capriles und einen Mann namens Armando am 7. Mai 2000 beim Oralverkehr (actos
inmorales en la va publica) in einem Auto entdeckt haben. Auch ein Faksimile des
damaligen Polizei-Protokolls wurde im TV prsentiert (siehe Beilage). Dabei fllt auf, dass
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bei der Amtshandlung bzw. im Protokoll zwar Capriles Identitt festgestellt wurde, jene der
zweiten Person nicht. Ociogay organisierte einen Aufmarsch, um gegen Maduros
Homophobie zu demonstrieren. Die Aktivisten betonen darin ausdrcklich, dass ihre
Stellungnahmen nicht parteipolitisch seien und dass es seitens Hugo Chvez keinerlei
derartigen Aussagen gegeben hatte.
- Maduro wiederum nahm seine zahlreichen Homophobie-Vorwrfe anschlieend in
mehreren Interviews zurck und entschuldigte sich (circa ab Minute 1:00, hochgeladen am
17. April 2012, ausgestrahlt im VTV), falls sich Capriles angegriffen fhle. Dieser
Entschuldigung schickte Maduro aber am 13. Mrz 2013 einen indirekten Vorwurf der
Charakterschwche an Capriles voraus: Si yo fuera gay, lo asumiria con orgullo a los cuatro
vientes
- Interessant ist in diesem Zusammenhang, das zwar Homophobie im Diskurs der beiden
Wahlkmpfe seitens des Chavismo (exklusive Chvez) groen Stellenwert hat, diese in der
Bevlkerung aber nicht signifikant sein drfte. Eine Studie des Pew Research Center
untersuchte Homophobie bzw. Toleranz gegenber Homosexualitt unter sieben
lateinamerikanischen Lndern. Venezuela scheint an 5. Stelle auf. Die weitaus tolerantesten
Lnder des Kontinents sind Argentinien und Chile, die mit Abstand untolerantesten Bolivien
und El Salvador. Interessant ist, dass Venezuela den weltweit (korrekterweise: unter den 39
untersuchten Staaten) zweitgrten Gender-Gap hat: 59% der Frauen, aber nur 44% der
Mnner in Venezuela sind gegenber Homosexualitt tolerant.
2. Motiv Antisemitismus
Whrend Homophobie in der politischen Propaganda in Venezuela wohl erst in jngerer Zeit
massiv eingesetzt wird, hat Antisemitismus zumindest seit Hugo Chvez langjhrige
Tradition. Chvez bediente in diversen Tiraden gegenber den USA immer wieder Klischees
von US-amerikanischen/jdischen Komplotten, verflucht den Staat Israel, wirft ihm vor, die
Opposition in Venezuela zu finanzieren.
- Auch fr Antisemitismus dieser Art bietet Capriles Angriffsflche. Er stammt aus einer
wohlhabenden katholischen Familie, die Vorfahren beider Elternteile sind jdischer Herkunft,
wanderten im 19. bzw. im 20. Jahrhundert aus Curaao und aus Europa nach Venezuela ein.
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Mit Capriles Nominierung am 12. Februar 2012 als Kandidat des Oppositionsbndnisses
MUD setzte eine Fokussierung auf zumindest unterschwelligen Antisemitismus in der
Kampagne der Regierungspartei ein. Dabei werden sowohl klassische antisemitische
Ressentiments bedient (jdische Kontrolle ber Wirtschaft und Medien, Karikaturen mit
jdischer Physiognomie) als auch der Hass auf den Staat Israel und den Zionismus
beschwren.
- Am 17.Februar 2012 erscheint vom Autor Adl Hernandez auf der Website von Radio
Nacional Venezuela ein Artikel, der bald vom Netz geht, aber dann in anderen Internet-
Plattformen verffentlicht ). Der Titel lautet: El enemigo es el Sionismo. Un barranco como
solapada promesa. Dort steht unter anderem: Capriles Familie ist (...) Teil einer
faschistischen Sekte, wo perverse religise Riten gepflogen werden und Verbrechen gegen
alle geplant werden, die nicht der arischen Rasse und der Alta Burguesia von Venezuela
angehren. Selbige Sekte wrde von einem CIA-Agenten gefhrt. Der Artikel schliet mit
einer Wahlempfehlung fr die Oktober-Wahl (eigene bersetzung und Zusammenfassung):
Es gibt zwei Vorschlge fr Venezuela: Die Bolivarianische Revolution oder der
Internationale Zionismus, der die Welt zerstren will und welchen Capriles reprsentiert.
- Die Zeitschrift Jdische Allgemeine schreibt, Bezug nehmend auf diesen Artikel und die
Wahlkmpfe: Besonders Begriffe aus dem Vokabularium des Antisemitismus benutzen Chvez
und seine Meinungsmacher, wenn es gilt, Capriles zu verunglimpfen. Regierungsnahe Medien
bezeichnen den Oppositionskandidaten abwechselnd als Agenten des US-Imperialismus
oder als zionistischen Agenten.
- Laut einer Studie von Lidia LERNER (Tel Aviv, September 2012) gab es schon 1998
Holocaust-Minimierungen in der Prensa popular des Landes, Chvez beschuldigte 2002,
anlsslich des gescheiterten Putsches, den israelischen Geheimdienst Mossad hinter dem
Putschversuch zu stehen, und 2004, als Chvez das Referendum Revocatorio berstand,
verlautete dieser: Lasst euch nicht von diesen umherirrenden Juden (errantes judios)
betrgen, und meinte die Opposition.
Nach Lerner ist der Antisemitismus von Chvez auch dem ideologischen Einfluss des
Argentiniers Norberto Ceresole zuzuschreiben. Dieser sei ab 1994 sein Berater und Mentor
gewesen (siehe auch: Enrique Krauze, El poder y el delirio, Barcelona 2009; KRAUZE,
Redentores: Seite 505 und 506), Ceresole schrieb zahlreiche Artikel und Bcher ber Chvez.
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- Im Mai 2013 erfolgte eine Reaktion auf unberhrbare antisemitische Wahlkampf-Tne
durch Claudio Epelmann, Lateinamerika-Reprsentant des Jdischen Weltkongress, welche
via Nachrichtenagentur EFE verbreitet wurde. Laut Epelmann werde in Venezuela ein
Anstieg des Antisemitismus bemerkt, der nicht zufllig sei, auch weil Chvez beste
Verbindungen zum iranischen Prsidenten Ahmadinejhad pflege.
- Laut Abraham Levy Benshimol von der Conferderacion de Asosiaciones Israelitas de
Venezuela reprsentiere der neue Prsident Maduro die selbe Ideologie wie Chvez.
Benshimol fgte an, dass es in der Bevlkerung niemals antisemitische Postionen gab, doch
gebe es Attacken auf Juden in den offiziellen Medien, zum Beispiel im TV-Programm La
Hojilla.
- Sammy Eppel, Reprsentant jdischer Organisationen in Venezuela, konstatierte unter
anderem zum ersten Mal in der jngeren Geschichte einen Regierungs-finanzierten
Antisemitismus in einem westlichen Land. Ein israelische TV-Reportage ber Capriles
nimmt auf die antisemitischen Anfeindungen besonders Bezug, ebenso weitere Medien in
Israel.
- Als Folge dieser Welle von antisemitischen Beitrgen in regierungsnahen Medien gab
Shimon Samuels, Direktor des Simon Wiesenthal Center New York, folgende Stellungnahme
ab: Das Schweigen von Prsident Maduro (Anmerkung: zu diesen Artikeln) macht sein
Regime zu einem Komplizen einer Auswirkung davon auf die jdische Gemeinschaft.
- Edoardo Kohn, Geschftsfhrer von Bnai Brith Amrica Latina, bezeichnete Venezuela als
jenes Land in Lateinamerika, das ihm bezglich Antisemitismus die meisten Sorgen bereite
(www.agenciajudiadenoticias.com, 04.07.2013 ).
- Maduro reagierte am 17. Mai 2013 auf die Antisemitismus-Vorwrfe von Epelmann mit
dem Hinweis, dass er (ebenso wie Capriles) selbst jdische Groeltern bei beiden Elternteilen
habe, welche in Venezuela zum Katholizismus konvertiert seien. Interessant ist diese
uerung auch deswegen, weil in Venezuela aktuell die Opposition behauptet, dass Maduro
gar nicht in Venezuela, sondern in Kolumbien geboren und Doppelstaatsbrger sei. Daher
drfe er laut Verfassung gar nicht Prsident sein. Maduro hat bis dato der ffentlichkeit keine
Urkunden vorgelegt, die belegen, dass er in Venezuela geboren sei. Auch daher scheint mir
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ein Verweis auf Groeltern in diesem Fall jdischer Herkunft wenig berzeugend und
kaum belegbar, abgesehen von der vermeintlichen argumentativen Qualitt dieser
Schutzbehauptung ( Ich kann nicht Antisemit sein, weil ich selbst jdische Vorfahren habe,
eigene Formulierung des Autors) .
3. Religise und spirituelle Motive
Am 25. Mrz 2013 verffentlichte Martnoticias einen kurzen Beitrag, der den religisen
Charakter des beginnenden Wahlkampfes zwischen Maduro und Capriles hervorhob, vor
allem seitens Capriles. Letzterer erhebe in seiner Kommunikation die Wahl zu einem
spirituellen Ereignis von gttlichem Charakter, zu Kampf von Gut gegen Bse, Maduro
wiederum hatte sich zu einem Apostel von Chvez ausgerufen, Chvez wiederum sei
Christus der Erlser der Armen Amerikas.
Die Mythologisierung von Chvez, seiner Vorgnger und seiner Epigonen sowie des
Bolivarianismus bzw. dessen Erfindung durch Chvez als neue politische Identitt fr
Venezuela (UZCATEGUI, Seite 6) hat eine jahrzehntelange Tradition. Diese steht auch im
Einklang mit der zumindest seit dem 19. Jahrhundert in Lateinamerika in Bezug auf politische
Leitfiguren oder Helden gepflogenen Transformation deren Wirkens auf eine religise Ebene
(KRAUZE, Redentores). Da Chvez in den 14 Jahren seiner Prsidentschaft und zuvor
systematisch an seiner Mythologisierung gearbeitet hat und sich zu einem weisen,
omniprsenten, onmipotenten und grozgigen Messias (NEIRA FERNANDEZ) stilisiert hat,
ist die Fortsetzung dieser Taktik, also die Berufung auf religis durchsetzte Mythen und den
spirituellen Charakter des politischen Projekts des Bolivarianismus, nur logisch. Noch dazu
weil nach Chvez Tod mit seinem Nachfolger Maduro ein Kandidat zur Wahl stand, dem
seitens seiner Kritiker und seiner Anhnger einhellig wenig Charisma zugestanden wird. Um
diesem Mangel an Charisma und bolivarianisch-spiritueller Legitimitt zu kompensieren,
betont Maduro die ihm bertragene Mission: Er sei der Apostel Chvez, er sei nicht (wie)
Chvez, sondern nur der Sohn von Chvez, bereit Prsident zu werden und dessen Erbe
weiterzufhren.
- Wie Maduro die Auftrge Chvez konkret erhalte, erklrte Maduro am 2. April 2013 live im
Sender Telesur. Ihm sei in der Kapelle des Dorfes Barinas, in welchem Chvez aufwuchs, ein
Vgelchen erschienen und dieses (als Reinkarnation Chvez) habe ihn gesegnet. Dabei habe
er Chvez' Geist gesprt. Eine weitere Chvez-Erscheinung in Form eines Vogels sei Maduro
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auch im Juni 2013 widerfahren. Die spttischen Reaktionen auf dieses Erlebnis kommentierte
Maduro mit einer fehlenden Spiritualitt der Kritiker: Man knne so etwas (also die
Erscheinung Chvez in Form eines Vogels) eben nur verstehen und spren, wenn man die
Liebe zur Heimat, zu Chvez und zu Christus dem Erlser habe.
- Chvez Einfluss ist laut Maduro aber nicht nur auf irdische Sphren beschrnkt: Weil
Chvez ja im Himmel Christus gegenbersitze, knne er auch die Wahl des Argentiniers
Jorge Bergoglio zum Papst beeinflusst haben, mutmate Maduro wenige Tage spter, ohne
sich bei dieser Behauptung genauer festlegen zu wollen.
- Die religis durchwobene Kommunikation Maduros verlsst aber auch den katholischen
Zusammenhang und nimmt Anleihen beim lokalen Volksglauben und historischen
Ereignissen: Wer gegen Chvez, also gegen ihn (Maduro) whle, der stimme fr den Sieg der
burguesa, die der indigenen Bevlkerung das Land rauben werde. Die Oppositions-Whler
treffe dann der Fluch von Macarapana, sagte Maduro bei einer Kundgebung im Bundesstaat
Amazonas am 10. April 2013 (zu Mythos und Volksglauben: siehe auch DABOVE)
4. Persnliche Untergriffe
Whrend Oppositionskandidat Capriles bei den ersten beiden betrachteten Leitmotiven
eindeutig der Angegriffene ist und sich bei der Bezugnahme auf religise oder spirituelle
Aspekte der Wahlauseinandersetzung Regierung und Opposition eher die Waage halten, ist
die Opposition am relativ aktivsten, wenn es um persnliche Untergriffe gegen die Regierung
oder Angehrige der PSUV in der Kampagne geht. Auffallend ist dabei aber, dass Capriles
selbst kaum ber Chvez als Person in despektierlichem Ton spricht, weder als Capriles ihn
zum direkten Gegner hat, noch als er gegen Maduro antritt. Diese angriffige Rolle wird
anderen Proponenten des MUD-Bndnisses berlassen (siehe auch: UZCATEGUI).
Sachpolitisch verspricht er, vieles von Chvez Sozialreformen nicht von Grund auf zu
revidieren (Missiones etcetera), auenpolitisch will er andere Schwerpunkte setzen (mehr
Distanz zu Kuba, weniger llieferungen zu Vorzugskonditionen an ALBA-Lnder, etcetera).
In der Person Maduro findet Capriles eine geeignete persnliche Angriffsflche: Ziel des
Spotts und der Kampagnisierung sind beginnend mit den oben genannten Chvez-
Erscheinungen von Maduro auch dessen geringe formale Bildung oder sein vermeintlich
ungelenkes Auftreten, etwa im direkten Kontakt mit der Bevlkerung.
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- So sagt Capriles etwa am 4. April 2013, dass Maduro vielleicht Chvez in Gestalt eines
Vogels gesehen habe, jedenfalls aber einen Vogel im Kopf habe .
- Nachdem Maduro kurz zuvor bei einem ffentlichen Auftritt die Bundesstaaten Venezuelas
und deren Hauptstdte durcheinandergebracht hatte, empfiehlt eine Oppositions-Abgeordnete
ihm, sich ein Geografie-Buch fr die Volksschule zu kaufen und Capriles spottet, dass
Maduro es als Attentat interpretieren wrde, wenn ihm jemand ein Geografie-Buch zuwerfen
wrde.
- Capriles unterstellt Maduro, am Down-Syndrom leidende Menschen als monglicos
bezeichnet zu haben. Diesen Vorwurf musste Capriles wegen Haltlosigkeit aber bald wieder
zurcknehmen, Maduro hatte das niemals gesagt.
- Dem Verteidigungsminister wird seitens Capriles unterstellt bzw. vorgeworfen, der
Vorletzte bei seiner Promotion gewesen zu sein, und eine Schande fr die Streitkrfte.
- Als Reaktion auf eine Tanzeinlage Maduros verwendete Capriles am 24. Mrz 2013 den
Begriff Toripollo fr diesen, was eine Person bezeichnet, die aussehe, als habe sie den Kopf
eines Huhns und den Krper eines Stiers. Dieser Begriff sei im Volk gebruchlich und nicht
despektierlich, sagte Capriles. Weitere lokal verwendete Attribute und Begriffe (wie das
genannte toripollo) sind seitens der Opposition fr Maduro, Regierung oder Chavistas oft
Begriffe wie enchufados, also die Verbundenen, Bezug nehmend auf den ventajismo, bzw.
Privilegien, die Angehrige und Anhnger des Oficialismo genieen wrden. hnlich negativ
ist auch der Begriff boliburguses, er steht fr Unternehmer, die mit bzw. dank der
Bolivarianischen Revolution zu pltzlichem Reichtum gelangten.
Die persnlichen Untergriffe seitens Chvez gegenber Capriles intensivierten sich, als
letzterer zu seinem Gegner fr die Wahl im Oktober 2012 nominiert worden war:
- Am 17. Februar 2012, wenige Tage nach der Vorwahl der Opposition, bedachte Chvez
seinen frisch gekrten Gegner unter anderem mit dem Wort cochino (Schwein), er (Capriles)
sehe aus wie ein Schwein, schnarche wie ein Schwein. Dies wird etwa von DILLMANN als
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unterschwelliger Antisemitismus gedeutet. Zudem sei er ein majunche, also in etwa: von
schlechter Qualitt, mittelmig.
- Chvez scheute sich auch nicht, buchstblich unter die Grtellinie zu schlagen, etwa am 13.
April 2012: El majunche no tiene ni un pelo de cojn", womit vordergrndig
Charakterschwche, unterschwellig aber auch Homosexualitt gemeint sein drfte.
Weitere hufige Bezeichnungen und Attribute des Chavismo generell fr den politischen
Gegner sind in etwa: jalabola; burguesia, burguesito; caprichito; progresista de las
empresas, de los bancos; un candidato de los pitiyanquis, del imperialsimo, de los golpistas,
del imperio gringo; vendepatria.
- Der "Umsturz"-Vorwurf gegenber Capriles nimmt unter den persnlichen Untergriffen
breiten Raum ein, private Reisen Capriles in die USA oder nach Kolumbien werden als
konspirative Treffen gedeutet.
- Der Oficialismo rhmt sich also (siehe letztgenannter Link) auch eines
berwachungsapparates in Bezug auf Capriles Aktivitten. Doch auch ber das
Wahlverhalten der Venezolaner wisse man Bescheid: Laut Maduro habe man zum Beispiel
von 900.000 Chavistas, die im April 2013 fr Capriles gestimmt hatten, smtliche Daten.
5. Analyse
Ist der Chavismo als politisches Projekt ber den Tod von Hugo Chvez hinaus
berlebensfhig? Zentral scheint dabei, ob der Mythos, den Chvez um seine Person und sein
Projekt aufgebaut hatte, weiter bestehen kann, speziell angesichts des wirtschaftlichen
Niederganges und der alltglichen Gewalt im Land. NEIRA FERNANDEZ hatte lange vor
der Wahl im April 2013 auf Grund letzterer Fakten Zweifel. Chvez sei es auch nicht
gelungen, eine vom Mythos des Grnders losgelste Bewegung wie es der Peronismo in
Argentinien ist, im Land zu etablieren, Maduro fehle es an messianischen Charisma (siehe
auch: GONZALES). Angesichts des Wahlergebnisses von April 2013 kann man auch zum
Schluss kommen, dass Maduro diese Leitmotive, die er fast identisch von Chvez
bernommen hatte, eventuell sogar geschadet, aber zumindest nicht gentzt haben. Auch ist
es Maduro nicht gelungen, sich als Sohn oder Erbe von Chvez zu positionieren und
dessen Charisma in handfeste Zustimmung zu bertragen. Whrend Chvez erfolgreich als
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ein Gesetzloser im Stile des Caudillo Maisanta (DABOVE; KRAUZE: als postmoderner
Caudillo) agierte und argumentierte Maisanta ist eine emblematische, aber zweifelhafte
Gestalt der lokalen Geschichte (s. a. Prinzip Abstammung bei DABOVE) oder die
Identitt von Nation und Politik auf den positiv konnotierten Simon Bolvar umfirmierte, von
der Bezeichnung des Staates beginnend bis zu unzhligen bolivarianischen Einrichtungen
des Landes, funktioniert hnliches bei Maduro nicht. Teodoro Petkoff, vormaliger Chvez-
Minister und nunmehr Dissident und Zeitungsherausgeber, bezeichnet Maduro als einen
bloen Schatten von Chvez (siehe bei NEIRA FERNANDEZ).
Unabhngig von Personen und Charisma: Die Spekulation mit Instinkten und Reflexen der
Whler offenbart, dass das System Chvez in Venezuela weit weniger populr ist, als es
scheint wre es sonst ntig, auf niedrige und religis/spirituelle Instinkte zu setzen, um
den eigenen Wahlerfolg zu erreichen? Msste nicht eine Fakten-orientierte Kampagne ber
Erfolge und Segnungen der Chvez-Politik in all ihren Facetten gengen, um eindeutigen
oder wenigstens mehrheitlichen Zuspruch beim Whler zu sichern? Wie am offiziellen
Wahlergebnis vom 7. April 2013 abzulesen ist, wird der Chavismo nicht von einer
eindeutigen Mehrheit der Bevlkerung getragen, sondern spaltet die Bevlkerung bzw. das
Plebiszit Venezuelas in soweit das offizielle von der Regierung verlautete Wahlergebnis
zwei fast exakt gleich groe Hlften. Und der Chavismo und seine Kampagnen polarisieren
das Land: Das besttigten zuletzt auch die jngst prmierten Filmemacherinnen Mariana
Rondn und Marit Ugs in einem Artikel in El Pais von 28. September 2013. Die
Verantwortung fr diese Polarisierung und Radikalisierung trage demnach zur Gnze Chvez.
Intoleranz und speziell Homophobie werde von oben, von der Regierung gepredigt,
Homosexualitt werde im politischen Diskurs des Oficialismo zum Delikt erklrt.
***
6. Literaturverzeichnis
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-
14
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