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Ist unsere tägliche zahnärztliche Tätigkeit nicht davon geprägt, auf engstem Raum mit einge- schränkter Sicht und mit extremer Anspannung unserer Patienten zu arbeiten? Immer geben wir Alles für ein gutes Behandlungs- ergebnis, häufig auch zuviel und dies zum Nachteil für unsere Gesundheit. „Die Form folgt der Funktion“ Wir arbeiten in schlechter Körperhaltung mit Anspannung der Muskulatur. Dies führt zur Über- müdung und Überlastung von Wirbelsäule und Muskulatur und langfristig zu ernsthafter Schädi- gung. Wer kennt nicht die Schmerzen in der DENTAL MAGAZIN 4/2004 Sonderdruck DENTAL MAGAZIN 4/2004, Seite 91-94, Postverlagsort Köln GESUNDE ARBEITSGESTALTUNG KRITSIEREN & ARGUMENTIEREN ZA JensChristian Katzschner, Hamburg: Behandlungspositionen gegen das schmerzende Kreuz Ergonomie im Visier Das Kreuz schmerzt, die Arme werden lahm und die Konzentration lässt nach – welcher Zahnarzt kennt nicht diese Problematik bei langen Behandlungsterminen. Jeder Zahnarzt und auch die Assistenz würde in dem Fall gerne eine Position ein- nehmen, die als bequem empfunden wird. Leistungs- und Lebensqualität hängen in diesem Fall von der Arbeitsplatzgestaltung und der optimalen Arbeitshaltung ab. Aber welche Position ist bequem und gesund für Wirbelsäule und Muskulatur? Hier gibt es unterschiedliche Meinungen. Jens-Christian Katzschner legt schon seit vielen Jahren in seiner Praxis in Hamburg Wert auf eine Arbeitshaltung, die Kreuz und Muskeln schont. Er wird im Folgenden darstellen, was unter ergonomi- scher Arbeitsweise in der zahnärztlichen Praxis verstanden wird. Im Anschluss an den Artikel stellen Prof. Dr. Wolfgang Freesmeyer (Charité Berlin) und Dr. Wolf Neddermeyer die Vorteile unterschiedlicher Arbeitspositionen dar. DM_04_2004.qxd 03.12.2004 11:52 Seite 1

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Ist unsere tägliche zahnärztliche Tätigkeit nichtdavon geprägt, auf engstem Raum mit einge-schränkter Sicht und mit extremer Anspannungunserer Patienten zu arbeiten?Immer geben wir Alles für ein gutes Behandlungs-ergebnis, häufig auch zuviel und dies zum Nachteilfür unsere Gesundheit.

„Die Form folgt der Funktion“

Wir arbeiten in schlechter Körperhaltung mitAnspannung der Muskulatur. Dies führt zur Über-müdung und Überlastung von Wirbelsäule undMuskulatur und langfristig zu ernsthafter Schädi-gung. Wer kennt nicht die Schmerzen in der

DENTAL MAGAZIN 4/2004

Sonderdruck DENTAL MAGAZIN 4/2004, Seite 91-94, Postverlagsort Köln

GESUNDE ARBEITSGESTALTUNG KRITSIEREN & ARGUMENTIERENZA Jens�Christian Katzschner, Hamburg: Behandlungspositionen gegen das schmerzende Kreuz

Ergonomie im VisierDas Kreuz schmerzt, die Arme werden lahm und die Konzentration lässt nach –welcher Zahnarzt kennt nicht diese Problematik bei langen Behandlungsterminen.Jeder Zahnarzt und auch die Assistenz würde in dem Fall gerne eine Position ein-nehmen, die als bequem empfunden wird. Leistungs- und Lebensqualität hängen indiesem Fall von der Arbeitsplatzgestaltung und der optimalen Arbeitshaltung ab.Aber welche Position ist bequem und gesund für Wirbelsäule und Muskulatur?Hier gibt es unterschiedliche Meinungen. Jens-Christian Katzschner legt schonseit vielen Jahren in seiner Praxis in Hamburg Wert auf eine Arbeitshaltung, dieKreuz und Muskeln schont. Er wird im Folgenden darstellen, was unter ergonomi-scher Arbeitsweise in der zahnärztlichen Praxis verstanden wird. Im Anschluss anden Artikel stellen Prof. Dr. Wolfgang Freesmeyer (Charité Berlin) und Dr. WolfNeddermeyer die Vorteile unterschiedlicher Arbeitspositionen dar.

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Schulter nach lang dauernden Oberkieferbehand-lungen oder die Besuche beim Orthopäden undPhysiotherapeuten? Man möchte schon fast glau-ben, dass dies unser zahnärztliches Los sei undwir haben uns damit abgefunden. Das muss abernicht sein.Wenn Sie Ergonomie nicht nur als Modewort ver-stehen (was ist heute nicht ergonomisch konzi-piert, vom Türgriff über den Federhalter), sondernwenn Sie Ergonomie als Funktionalität vonArbeitsmethode im Einklang mit dentaler Ausrüs-tung verstehen, unter dem Aspekt, gesund zu sit-zen, alles gut zu sehen, effizient zu arbeiten,sind die folgenden Ausschnitte aus unsererMethodik ein Lösungsvorschlag. Eine getreu derBauhaustradition „Die Form folgt der Funktion“konzipierte Dentaleinheit ist dabei logische Kon-sequenz.

Was bedeutet gesundes Sitzen?

Mit Hilfe unseres Behandlerstuhls (wahlweise einSattel- oder konventioneller Stuhl) nehmen wireine aufrechte ausbalancierte Körperhaltung ein.Mit Hilfe der Stuhllehne unterstützen bzw. haltenwir die natürliche Doppel-S-Krümmung unserer Wir-belsäule aufrecht. Durch die Neigung der Sitzflächeschaffen wir einen stumpfen Winkel von ca. 105°zwischen Oberschenkel und Oberkörper. Die Füßesind leicht abgespreizt und berühren mit voller Flä-che den Boden.

Arbeit aus der Körpermitte

Wir neigen uns niemals nach links oder rechts, ver-drehen uns, heben die Oberarme, sondern haltendie Ellenbogen am Körper. Erlaubt ist das Anhebender Unterarme bis zur so genannten „Pfötchenstel-lung“. Wir vermeiden Kombinationen aus Verdre-hen, Neigen und Anheben der Oberarme. Die ebenbeschriebene gute Sitzhaltung gilt für den Be-handler und seine Assistenz während jederBehandlung.Als absolute Voraussetzung zum Beibehalten dieserSitzposition müssen wir unseren Patienten flachliegend positionieren. Ein bereits täglicher Stan-dard in einer modernen Zahnarztpraxis. Ein Stuhlmit bequemer Einstiegsposition erleichtert unserAnliegen. Ganz einfach individualisierbare Stuhlpro-

KRITSIEREN & ARGUMENTIEREN GESUNDE ARBEITSGESTALTUNG

ZA Jens�Christian Katzschner, Hamburg: Behandlungspositionen gegen das schmerzende Kreuz

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„9-Uhr“-Position. „11-Uhr“-Position. „12-Uhr“-Position.

betreibt seit 1992 als niedergelassener Zahnarztin Hamburg eine Praxis mit konsequent ergono-mischer Ausrichtung. Seit 1995 referiert Katzschner im In- und Ausland. SeineSchwerpunkte sind Ergonomie, Funktionsdiagnos-tik und Totalprothetik.

ZA Jens-ChristianKatzschner

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gramme bringen unseren Patienten in diegewünschte Lage. Ein besonders bequemer gut gepolsterter Stuhl ver-mittelt dabei ein Höchstmaß an Komfort. Eine guteKopfstütze stützt sicher die gesamte Fläche amHinterkopf. Sie muss nicht nur in der Länge fürunterschiedliche Patientengrößen einstellbar sein,sondern auch den Neigungswinkel und die Vertikal-dimension verändern können. Damit ist eine Verla-gerung des Patientenkopfes in vier Richtungenuneingeschränkt möglich. Wir beschreiben diesePositionen mit Nord, Süd, Ost, West.

Wie bestimmen wir unsere individuelle Stuhlposition?

Sie wird definiert durch den Augen-Objekt-Abstand.Dieser beträgt für Präzisionssehen ohne Sehhilfenca. 25 bis 30 cm und kann mit der Verwendung vonSehhilfen auf bis zu 50 cm ausgedehnt werden.Dies hat den Vorteil, dass wir mit waagerechtenUnterarmen arbeiten können. Sollte der Abstand zuweit gewählt sein, wird sich der Behandler mitSicherheit nach vorn beugen und die gute Sitzposi-tion verlassen. Für optimales Sehen benötigen wir ein gut ausge-leuchtetes Arbeitsfeld, deshalb positionieren wirunsere OP-Leuchte nach dem Stirnlampenprinzip(10 cm über der Stirn des Behandlers), denn die

Lichtrichtung folgt so der Blickrichtung bei direkterund auch bei indirekter Arbeitsweise: Damit diesesPrinzip auch in der 12-Uhr-Position möglich ist,muss der Lichtarm über eine ausreichende Längeverfügen.

Blickrichtung und Behandlerposition

Gut sitzend möchten wir immer in der Körpermit-te arbeiten, möglichst in direkter Sicht aus ver-schiedenen Blickrichtungen. Wie ist dies möglich,ohne sich zu verdrehen? Die einzige Alternativeist, die Behandlungspositionen zu wechseln. Von9 bis 12 Uhr für den Behandler und von 3 bis 1 Uhr für die Assistenz. Dies erfordert allerdingsausreichend Platz (mindestens 60 cm) hinter derKopfstütze. Unter einer flach geformten Stuhllehne verschrän-ken sich die Beine von Behandler und der Assistenzreißverschlussartig. Die Stuhlgeometrie mit ausrei-chender Kniefreiheit erleichtert bzw. ermöglichtüberhaupt erst dieses Anliegen. Assistenz undZahnarzt befinden sich etwa in gleicher Augenhöhe.Ohne störende Stuhlbasis ist eine optimale Fußan-lasser-Positionierung möglich. Alle wichtigen Unit-funktionen werden vom Fußanlasser oder Joystickmit dem rechten Fuß gesteuert. Dabei sollten dieFüße so wenig wie möglich den Bodenkontakt ver-lieren, um durch die damit verbundene Beinlängen-

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Individuelle Stuhlprogramme für gewünschte Positionen. Optimales Sehen durch individuelleStuhlposition.

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veränderung die gute Ausbalancierung nicht zu ver-lieren. Ein Bedienen von Handpanels ist somit völ-lig überflüssig und die Hände können bei der Arbeitbleiben. Bis jetzt haben wir die Kombination gutsitzen und gut sehen mittels vier Patientenpositio-nen (Nord-Süd-Ost-West), vier Behandlungspositio-nen Zahnarzt (9 bis 12 Uhr), drei Behandlungsposi-tionen Assistenz (1 bis 3 Uhr) und korrektemAugen-Objekt-Abstand realisiert.

Was bedeutet guter Arbeitsablauf?

Wir wollen Augen, Hände und Konzentration bei derArbeit lassen. Arbeiten wir doch mit der aktivenUnterstützung unserer Helferin, so dass keine Ver-zögerungen im Arbeitsablauf entstehen. Deshalbplatzieren wir unsere Instrumente im inneren Griff-und Gesichtsfeld.Der geeignete Platz für Motoren, Lichthärter, Ultra-schallansatz, Kamera, Turbine, Mehrfunktionsspritzeusw. ist zentral über der Brust des Patienten. Deshalb benötigen wir eine Instrumentenbrücke mitzwangsläufiger Schwingbügelaufhängung (soge-nannte Peitschen). Diese Schwingbügel ermögli-chen ein Ausbalancieren der schweren Motoren undWinkelstücke, wir haben somit eine geringereBelastung unserer Handgelenke und gleichzeitigeine höhere Taktilität bei der Arbeit. Durch dieErreichbarkeit der Instrumente durch Assistenz undBehandler ist ein aktives Vorbereiten und Zureichender jeweiligen benötigten behandlungsspezifischenInstrumente möglich.

Hinterkopf-Tray

Der beste Platz für das weitere zahnärztlicheInstrumentarium befindet sich hinter dem Kopf desPatienten, rechts neben der Helferin. Wir arbeitenmit einem so genannten „Hinterkopf-Tray“. Somithaben wir alle Instrumente in unserem peripherenBlick und Griffbereich sowohl für den Zahnarzt wie

für seine Assistenz positioniert, ähnlich wie wir esbei so alltäglichen Dingen wie z. B. bei einem Autokennen.Das häufig erwähnte Argument, dass in der Schwing-bügelposition angebrachte Instrumente den Patien-ten besonders verängstigen, lässt sich nicht auf-rechterhalten, wenn der Patient richtig positioniertist. Ein liegender Patient sieht maximal alles was inDeckenrichtung im Blickfeld liegt. Das können dieGesichter von Zahnarzt und Assistenz, die OP-Leuchte und die Zimmerdecke sein. Die Schwingbügel befinden sich außerhalb diesesBlickfeldes. Bis zum Erreichen der liegenden Positi-on befindet sich die Instrumentenbrücke linksseitigder Einheit in abgewendeter Warteposition. Sollteman allerdings Patient oder Instrumentenbrückefalsch positionieren, würde das Argument stimmen.

Gewohnheiten jetzt ändern

Eine gesunde effiziente Arbeitsmethodik erforderteben auch eine gewisse Disziplin und Konsequenz.Natürlich haben wir alle einen über Jahre mehroder weniger bewusst antrainierten Arbeitsstil.Doch erlernten wir diesen konsequent oder über-nahmen ihn unbewusst, weil z. B. die Behandlungs-ausrüstung keine andere Möglichkeit zuließ? HabenSie gerade zu Beginn Ihrer Ausbildung eine konse-quente gesunde Arbeitsmethodik gesehen und täg-lich trainiert? Oder hatten Sie auch das Gefühl,dass diejenigen, die es Ihnen hätten zeigen kön-nen, es selber nicht besser konnten? Veränderungen bedeuten immer Schwierigkeitenund Disziplin und natürlich neigen wir lieber dazu,alles zu belassen und Begründungen für die Unver-änderbarkeit einer Situation zu finden. Müssen wirerst darauf warten, bis sich echte Probleme mani-festieren, um dann festzustellen, dass es mögli-cherweise zu spät ist? Ist es unsere Natur, Erfah-rungen immer erst selbst machen zu müssen bis wir sie glauben?

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Definition von Ergonomie:Die Wissenschaft der

Anpassung der Arbeit anden Menschen und

umgekehrt. ZahnärztlicheErgonomie ist die

Anwendung dieserGrundsätze auf ein funk-

tionelles System zwi-schen Zahnarzt und

Assistenz (Arbeitsperso-nen) und Patient (Arbeits-

objekt) und Arbeits-mitteln.

Wenn Sie mehr über die erwähnte Arbeits-methodik erfahren wollen, schreiben Sie an [email protected] oder rufen Sieeinfach an: Tel.: 0 40 / 94 36 65 - 32.

� Information der Redaktion

Nachdruck — auch auszugsweise —, Vervielfältigung, Mikrokopie, Einspeicherung in elektronische Datenbanken und Übersetzung nur mit Genehmigung der Deutscher Ärzte-Verlag GmbH, 50832 Köln, Postfach 40 02 65

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