erziehungsziele und erziehungsstile in muslimischen migrantenfamilien vortrag in frankfurt

44
Seite 1 Erziehungsvorstellungen muslimischer Migrantenfamilien 1 Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan Erziehungsziele und Erziehungsstile in muslimischen Migrantenfamilien Vortrag in Frankfurt am 15.11.2012 Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan Wissenschaftlicher Leiter des Zentrums für Türkeistudien und Integrationsforschung Professor für Moderne Türkeistudien an der Universität Duisburg-Essen Fakultät für Geisteswissenschaften Kontakt: [email protected] [email protected] ww.uslucan.de

Upload: chakra

Post on 04-Feb-2016

55 views

Category:

Documents


0 download

DESCRIPTION

Erziehungsziele und Erziehungsstile in muslimischen Migrantenfamilien Vortrag in Frankfurt am 15.11.2012 - PowerPoint PPT Presentation

TRANSCRIPT

Page 1: Erziehungsziele und Erziehungsstile in muslimischen Migrantenfamilien Vortrag in Frankfurt

Seite 1

Erziehungsvorstellungen muslimischer Migrantenfamilien

1•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan

Erziehungsziele und Erziehungsstile in muslimischen Migrantenfamilien

Vortrag in Frankfurt am 15.11.2012

Prof. Dr. Haci-Halil UslucanWissenschaftlicher Leiter des Zentrums für Türkeistudien und Integrationsforschung Professor für Moderne Türkeistudien an der Universität Duisburg-Essen Fakultät für Geisteswissenschaften

Kontakt: [email protected] [email protected] ww.uslucan.de

Page 2: Erziehungsziele und Erziehungsstile in muslimischen Migrantenfamilien Vortrag in Frankfurt

Seite 2

Erziehungsvorstellungen muslimischer Migrantenfamilien

2•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan

• Gliederung des Vortrags

• I. Elterliche Erziehung und ihre Folgen für die Entwicklung

• II. Studie: Wertedivergenzen zwischen Deutschen, Türken und türkischen Migranten

• III. Werte und Erziehungskonzeptionen in muslimischen Migrantenfamilien

• IV. Förderung

Page 3: Erziehungsziele und Erziehungsstile in muslimischen Migrantenfamilien Vortrag in Frankfurt

Seite 3

Erziehungsvorstellungen muslimischer Migrantenfamilien

3•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan

Elterliche Erziehung und kindliche Entwicklung

Elterliche Erziehungsziele

und -werte

Kindliche Entwicklungsmerkmal

e

Elterliches Erziehungsverhalten

Kindliche Bereitschaft sich

erziehen zu lassen

Elterliche Erziehungsstile

1

2

4 6

5

3

Page 4: Erziehungsziele und Erziehungsstile in muslimischen Migrantenfamilien Vortrag in Frankfurt

Seite 4

Erziehungsvorstellungen muslimischer Migrantenfamilien

4•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan

Veränderte Rahmenbedingungen familiärer Erziehung

• Struktureller Wandel

der Haushaltsformen

• Veränderte Wert- und Erziehungsmuster

• Prekäre Bedingungen

der innerfamiliären Beziehungsgestaltung

Page 5: Erziehungsziele und Erziehungsstile in muslimischen Migrantenfamilien Vortrag in Frankfurt

Seite 5

Erziehungsvorstellungen muslimischer Migrantenfamilien

5•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan

Erziehungsziele

in den 1950er bis 1970er Jahren• Gehorsam• Ehrlichkeit• Ordnung• Hilfsbereitschaft• Reinlichkeit• Verträglichkeit• gute Manieren• Fehlen von Opposition

Ab den 1980er Jahren und danach• Selbständigkeit• Selbstbewusstsein• Selbstverantwortlichkeit• Kritikfähigkeit• Zuverlässigkeit• Hilfsbereitschaft

Quelle: Sturzbecher, D. & Waltz, C. (1998). Erziehungsziele und Erwartungen in der Kinderbetreuung. In D. Sturzbecher (Hrsg.), Kinderbetreuung in Deutschland(S. 86-104). Freiburg i.Br.: Lambertus.

Page 6: Erziehungsziele und Erziehungsstile in muslimischen Migrantenfamilien Vortrag in Frankfurt

Seite 6

Erziehungsvorstellungen muslimischer Migrantenfamilien

6•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan

Elterliche Erziehungsmuster

• Autoritativer Erziehungsstil

Emotionale Unterstützung/Wärme+

+

_

_

An f

o rde

rung

/Kon

trolle

(Typologie vom Maccoby & Martin, 1983; in Anlehnung an Baumrind, 1983)

• Autoritärer Erziehungsstil

• Nachgiebiger Erziehungsstil „Laisser-faire

• Ablehnend-vernachlässigender Erziehungsstil

Page 7: Erziehungsziele und Erziehungsstile in muslimischen Migrantenfamilien Vortrag in Frankfurt

Seite 7

Erziehungsvorstellungen muslimischer Migrantenfamilien

7•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan

Entwicklungsfolgen für Kinder

Kinder ... zeigen Kognitive Selbstwirk- Prosoziales Problem- Kompetenz samkeit verhalten verhalten

vernachlässigender Eltern

nachgiebiger Eltern

autoritärer Eltern

autoritativer Eltern

höchstes

dritthöchste

zweithöchste

niedrigstes

niedrigste

mittlere

mittlere

höchste

niedrigste

mittlere

mittlere

höchste

niedrigstes

mittleres

mittleres

höchstes

Quelle: Baumrind, D. (1989). Rearing competent children. In W. Damon (Ed.), Child development today and tommorrow (pp. 349-378). San Francisco: Jossey-Bass.

Page 8: Erziehungsziele und Erziehungsstile in muslimischen Migrantenfamilien Vortrag in Frankfurt

Seite 8

Erziehungsvorstellungen muslimischer Migrantenfamilien

8•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan

Erziehungsziele

ErziehungszielRangplatz

I II III IV V

Selbstständigkeit/Verantwortung 12 5 7 14 12

Lernen/Leistungsstreben 9 8 14 11 8

Gehorsam/Ordnung 8 11 17 3 11

Rücksichtnahme/Ehrfurcht 11 10 11 12 6

Religiöse Pflichterfüllung 10 16 1 10 13

Insgesamt (n = 50) 50 50 50 50 50

Rangreihe der Erziehungsziele türkischer Eltern (Scherberger, 1999)

Page 9: Erziehungsziele und Erziehungsstile in muslimischen Migrantenfamilien Vortrag in Frankfurt

Seite 9

Erziehungsvorstellungen muslimischer Migrantenfamilien

9•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan

ErziehungszieleRangreihe der Erziehungsziele deutscher Eltern (Scherberger, 1999)

Erziehungsziel Rangplatz

I II III IV V

Selbstständigkeit/Verantwortung 25 14 4 6 1

Lernen/Leistungsstreben 16 21 8 3 2

Gehorsam/Ordnung - 7 10 25 8

Rücksichtnahme/Ehrfurcht 9 8 21 7 5

Erziehung zum christlichen Glauben - - 7 9 34

Insgesamt (n = 50) 50 50 50 50 50

Page 10: Erziehungsziele und Erziehungsstile in muslimischen Migrantenfamilien Vortrag in Frankfurt

Seite 10

Erziehungsvorstellungen muslimischer Migrantenfamilien

10•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan

Kinderwunsch in der Türkei ziemlich hoch: In den älteren Studien

(Kagitcibasi, 1982): 77% der Befragten, die sich ein Kind wünschen (und zwar auch als explizite Altersvorsorge)

•Erwartungen gegenüber Söhnen deutlich höher als gegenüber Töchtern;•auch Wunsch nach einem Sohn deutlich höher: 84 % Sohn; 16 % Tochter als Kinderwunsch; deshalb auch ein stärkeres Kümmern um Söhne.

Page 11: Erziehungsziele und Erziehungsstile in muslimischen Migrantenfamilien Vortrag in Frankfurt

Seite 11

Erziehungsvorstellungen muslimischer Migrantenfamilien

11•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan

Sozialisationskontexte von Kindern mit Migrationshintergrund

Häufige entwicklungspsychologische Risiken in Migrantenfamilien aus der Sicht des Kindes im jungen Alter:

•mehr als drei Geschwister (dadurch zu wenig Aufmerksamkeit und Zuwendung dem einzelnen Kind gegenüber); bei mehr als drei Geschwistern auch ein deutlich geringeres Netz an Peer-Kontakten.

•zu geringer Altersabstand in der Geschwisterreihe (Gefahr der Übersozialisierung und Vernachlässigung typisch kindlicher Bedürfnisse)

Page 12: Erziehungsziele und Erziehungsstile in muslimischen Migrantenfamilien Vortrag in Frankfurt

Seite 12

Erziehungsvorstellungen muslimischer Migrantenfamilien

12•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan

Sozialisationskontexte von Kindern mit Migrationshintergrund

•24% der deutschen 8-9 jährigen Kinder Altersabstände unter zwei Jahren zu einem benachbarten Geschwister;

•bei Migrantenkindern insgesamt etwa 80% (Marbach, 2006).

•Entwicklungspsychologische Studien zeigen: bei Altersabständen unter zwei Jahren steigt das Risiko der geringeren Aufmerksamkeit in der Kindheit und die Wahrscheinlichkeit für eine spannungsreichere Adoleszenz als bei Geschwistern mit größerem Altersabstand.

Page 13: Erziehungsziele und Erziehungsstile in muslimischen Migrantenfamilien Vortrag in Frankfurt

Seite 13

Erziehungsvorstellungen muslimischer Migrantenfamilien

13•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan

Wert und Stellung von Kindern anhand der Namensgebungen:

Typologie:

•Religiöse Namen:Ahmet, Mehmet, Mahmut, Nureddin, Seyfeddin, Osman, Ömer, Ali (männlich);Ayse, Fatma, Hatice, Emine (weiblich)

•Namen als Familienprogramm und familiale Positionsanzeiger: Murat, Ümit, Ilknur, Songül, Yeter

•Namen als Träger der Tradition: Namen der eigenen Eltern insbesondere bei dem ersten Kind; Generationenkette nach dem A-B-A-B Modell.

•Modische Namen, internationale Namen, ereignisbezogene Namen: Deniz, Yasmin, Cigdem, Baris, Devrim, Bülent, etc.

Page 14: Erziehungsziele und Erziehungsstile in muslimischen Migrantenfamilien Vortrag in Frankfurt

Seite 14

Erziehungsvorstellungen muslimischer Migrantenfamilien

14•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan

Versuch einer Kategorisierung der Kindheit im Islam:

Ende der Kindheit mit der sexuellen Reife; bis dahin aber folgende Phasen:

•I. Säuglingsphase bis zur Stuhlkontrolle (0 bis 2 Jahre)•II. 2- bis 7 Jahre•III. 7-bis 15 Jahre (Strafe und Erziehbarkeit beginnt); darin noch mal zwei Phasen: 7-10 und 10 bis 15 Jahre (erstaunliche Ähnlichkeit mit Piagets Kategorien der intellektuellen Entwicklung)

Page 15: Erziehungsziele und Erziehungsstile in muslimischen Migrantenfamilien Vortrag in Frankfurt

Seite 15

Erziehungsvorstellungen muslimischer Migrantenfamilien

15•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan

II. Kulturelle Werte

Was sind Werte?1. Überzeugungen, die aber nicht als bloße Ideen mit nur einem kognitiven Gehalt, sondern, wenn sie aktiviert werden, emotional aufgeladen sind (Schwartz, 1999).

2. Werte verweisen auf wünschenswerte Ziele wie z.B. Gleichheit, Gerechtigkeit etc.

3. Werte gehen über konkrete Situationen hinaus und umfassen größere Handlungskontexte (bspw. soll man nicht nur in der Schule oder auf der Arbeit gerecht sein, sondern überall).

4. Werte dienen auch als ein Standard, wie die Handlungen und Überzeugungen anderer zu bewerten sind.

Page 16: Erziehungsziele und Erziehungsstile in muslimischen Migrantenfamilien Vortrag in Frankfurt

Seite 16

Erziehungsvorstellungen muslimischer Migrantenfamilien

16•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan

II. Wertedivergenzen zwischen Deutschen und Türken

Page 17: Erziehungsziele und Erziehungsstile in muslimischen Migrantenfamilien Vortrag in Frankfurt

Seite 17

Erziehungsvorstellungen muslimischer Migrantenfamilien

17•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan

Stichprobenkennzeichnung: Lebensort

232

210

337

Deutsche

Türkische Migranten inDeutschland

Türken i.d. Türkei

Page 18: Erziehungsziele und Erziehungsstile in muslimischen Migrantenfamilien Vortrag in Frankfurt

Seite 18

Erziehungsvorstellungen muslimischer Migrantenfamilien

18•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan

Tabelle : Stichprobenkennzeichnung (Angaben in Prozente)

Deutsche (n= 234) TürkischstämmigeMigranten inDeutschland (n = 205)

Türken in der Türkei(n= 327)

GeschlechtMännlich 20.5 50.7 59Weiblich 79.5 49.3 41

BildungshintergrundGrundschule 1.3 16.1 14.1Mittlere Reife(Mittelschule i. d.Türkei)

21.4 23.9 30.0

Gymnasium 65.8 31.7 18.3Universität 1.3 14.1 8.0Anderer Abschluß 6.4 2.9 3.4Schüler 2.6 8.3 20.8

Page 19: Erziehungsziele und Erziehungsstile in muslimischen Migrantenfamilien Vortrag in Frankfurt

Seite 19

Erziehungsvorstellungen muslimischer Migrantenfamilien

19•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan

Stichprobenkennzeichnung

Religiösität

91,6

61

15,8 8,4

84,2

39

0%

20%

40%

60%

80%

100%

Ang

aben

in P

roze

nt

nichtreligiös

religiös

Page 20: Erziehungsziele und Erziehungsstile in muslimischen Migrantenfamilien Vortrag in Frankfurt

Seite 20

Erziehungsvorstellungen muslimischer Migrantenfamilien

20•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan

Tabelle : Religiosität der Befragten (Angaben in Prozente)

Deutsche TürkischstämmigeMigranten inDeutschland

Türken in der Türkei

Ja 38.9 83.4 91.1Bezeichnen Siesich als religiös? Nein 60.7 16.1 8.0

Ja 5.1 33.7 34.6Gehen Sieregelmäßig in dieMoschee (Kirche)? Nein 80.3 60.5 59.6

Page 21: Erziehungsziele und Erziehungsstile in muslimischen Migrantenfamilien Vortrag in Frankfurt

Seite 21

Erziehungsvorstellungen muslimischer Migrantenfamilien

21•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan

0,00

1,00

2,00

3,00

4,00

5,00

6,00

7,00

Höflichkeit Achtung v.Tradition

NationaleSicherheit

Autorität FamiliäreSicherheit

Deutsche

TürkischeMigrantenTürken

Werteausprägung

Page 22: Erziehungsziele und Erziehungsstile in muslimischen Migrantenfamilien Vortrag in Frankfurt

Seite 22

Erziehungsvorstellungen muslimischer Migrantenfamilien

22•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan

Rangreihe der wichtigsten Werte

Deutsche Türkische Migranten

Türken

1. Familiäre Sicherheit

Familiäre Sicherheit

Familiäre Sicherheit

2. Freundschaft Freundschaft Freiheit

3. Freiheit Freiheit Freundschaft

Page 23: Erziehungsziele und Erziehungsstile in muslimischen Migrantenfamilien Vortrag in Frankfurt

Werteauffassungen: Differenziert nach der selbstberichteten Religiosität (Mittelwerte): Non-Relig: nicht religiös; Relig: religiös

Kulturelle Zugehörigkeit

Deutsche TürkischeMigranten

Türken

Non-Relig. Relig. Non-Relig. Relig. Non-Relig.

Relig.

Stichprobengröße: n= 141 n= 88 n= 33 n= 168 n= 26 N= 295

Mittelwerte

Werteauffassungen

Familiäre Sicherheit 6.25 6.42 5.88 6.49 4.77 6.39

Freundschaft 5.88 5.83 5.58 6.05 5.62 6.21

Freiheit 5.83 5.72 6.18 5.90 5.54 5.93

Anregendes Leben 5.36 5.14 3.82 3.34 4.50 4.15

Höflichkeit 4.83 4.74 4.94 5.55 4.23 5.28

Nationale Sicherheit 4.35 4.09 3.00 5.68 3.28 5.87

Reichtum 3.03 2.93 2.91 3.58 3.69 4.05

Achtung vor Tradition 2.56 3.11 3.24 5.74 1.73 4.76

Autorität 1.72 1.75 0.76 1.81 1.77 2.31

Spiritualität 0.93 2.00 1.88 4.65 1.04 4.79

Page 24: Erziehungsziele und Erziehungsstile in muslimischen Migrantenfamilien Vortrag in Frankfurt

Seite 24

Erziehungsvorstellungen muslimischer Migrantenfamilien

24•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan

III. Werte und Erziehungskonzeptionen in muslimischen Migrantenfamilien

Intergenerationale Transmission von Werten:

•Komplette Transmission: kein Wandel

•Keine Transmission: kein koordiniertes Handeln zwischen den Generationen

•In Migrationskontexten häufig intensivere Transmission

•Zugleich: Fertigkeiten, die ein geordnetes Familienleben garantieren, müssen unter Bedingungen erworben werden, unter denen eine bruchlose soziale Tradition nicht mehr vorliegt

Page 25: Erziehungsziele und Erziehungsstile in muslimischen Migrantenfamilien Vortrag in Frankfurt

Seite 25

Erziehungsvorstellungen muslimischer Migrantenfamilien

25•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan

Sackmann (2001): Türkische Muslime in Deutschland – Zur Bedeutung der Religion

1/3der befragten Muslime: Keine Religionsbindung; Religion kein Integrationshindernis.

Für einen großen Teil: Religion selbstverständlicher Teil des Lebens, ohne aber Hauptbezugspunkt des Lebens zu sein

Für etwa knapp 10%: Religion ein starkes Abgrenzungskriterium; eher integrationshemmend

Integrationshemmend insbesondere dann, wenn Religiosität eher traditionale (keine individualisierende) Züge trägt und religiös orientierte Lebensführung zentral ist.

Page 26: Erziehungsziele und Erziehungsstile in muslimischen Migrantenfamilien Vortrag in Frankfurt

Seite 26

Erziehungsvorstellungen muslimischer Migrantenfamilien

26•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan

Religiöse Werterziehung in islamischen Familien:

Familienpolitisch: muslimische und christliche (christdemokratische) Positionen in ihrem Familienbild nicht weit voneinander entfernt:

Muslime unterstützen eine Politik, die die Stärkung eines (konservativen) Familienbildes zum Ziel hat (Vgl. Rüschoff, 2002).

Wechselseitige Pflichten in der Familie:

Pflichten der Ehefrau: Schaffung eines harmonische Haushaltes, Haushaltsführung, Früherziehung und Wohlbefinden der Kinder;

Pflicht des Mannes: Bestreiten des Lebensunterhaltes

Page 27: Erziehungsziele und Erziehungsstile in muslimischen Migrantenfamilien Vortrag in Frankfurt

Seite 27

Erziehungsvorstellungen muslimischer Migrantenfamilien

27•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan

Religiöse Werterziehung in islamischen Familien:

Gerade in der Diaspora:

Überhöhung des Islams bzw. der Religiosität angesichts migrationsbedingter erlittener Kränkungen

stärker identitätsrelevant als in der Herkunftskultur;

Religiosität wird bewusster erlebt; Religion hat bedeutsame Ordnungsfunktion.

Orientierung am Islam hilft mit Blick auf den Erziehungskontext, die in der Moderne – auch für deutsche Eltern - immer schwerer gewordene Frage nach angemessenen Erziehungsinhalten zu vermeiden bzw. zu umgehen oder sie individuell beantworten zu müssen.

Klare Regeln und Orientierung: Reduktion von Komplexität

Page 28: Erziehungsziele und Erziehungsstile in muslimischen Migrantenfamilien Vortrag in Frankfurt

Seite 28

Erziehungsvorstellungen muslimischer Migrantenfamilien

28•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan

Religiöse Werterziehung in islamischen Familien:

Wirkung religiöser Sozialisation:

Angstbesetzte religiöse Sozialisation (Gott als strafende Instanz): bei sensiblen Personen auch zu einem Bruch mit der Religion (Oser, Di Loreto, & Reich, 1996), also keine Festigung der religiösen Identität, sondern eher kontraproduktive Effekte

Page 29: Erziehungsziele und Erziehungsstile in muslimischen Migrantenfamilien Vortrag in Frankfurt

Seite 29

Erziehungsvorstellungen muslimischer Migrantenfamilien

29•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan

Religiöse Werterziehung in islamischen Familien:

Wirkung religiöser Sozialisation:

Dagegen: Vermittlung eines Gottesbildes, bei dem Gott als eine schützende, bergende und bedingungslos liebende Macht wahrgenommen wird, selbstwertstabilisierend für Kinder sein (Grom, 1982).

Page 30: Erziehungsziele und Erziehungsstile in muslimischen Migrantenfamilien Vortrag in Frankfurt

Seite 30

Erziehungsvorstellungen muslimischer Migrantenfamilien

30•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan

Religiöse Werterziehung in islamischen Familien:

Mensch eingefasst in eine umfassende Gehorsamsstruktur der Natur gegenüber Gott; wie alle Geschöpfe hat er auch im islamischen Selbstverständnis seinem Schöpfer dankbar und gehorsam zu sein.[1]

Gehorsam eine ethische Dimension, die vielen Kulturkreisen gemeinsam ist und ein essenzielles Erziehungsziel darstellt (Vgl. Uslucan & Fuhrer, 2003).

Auch in der bayerischen Verfassung ist die „Ehrfurcht vor Gott“ als ein oberstes Bildungsziel formuliert (Art. 131).

Page 31: Erziehungsziele und Erziehungsstile in muslimischen Migrantenfamilien Vortrag in Frankfurt

Seite 31

Erziehungsvorstellungen muslimischer Migrantenfamilien

31•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan

Religiöse Werterziehung in islamischen Familien:

Inhalte islamischer Erziehung unterliegen großen Schwankungen:

einfache Frömmigkeit:

Ziel: Nachkommen in die elementaren Inhalte islamischen Lebens unterweisen (z.B. die fünf Säulen des Islam) und Rituale wie Gebetsuren, Waschungen lehren,

aber auch die Unterscheidungen zwischen dem, was „rein“ und „unrein“ ist, zu kennen.

Page 32: Erziehungsziele und Erziehungsstile in muslimischen Migrantenfamilien Vortrag in Frankfurt

Seite 32

Erziehungsvorstellungen muslimischer Migrantenfamilien

32•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan

Religiöse Werterziehung in islamischen Familien:

Inhalte islamischer Erziehung unterliegen großen Schwankungen:

Das andere Extrem:

fundamentalistische Positionen, die in den koranischen Inhalten sämtliches Wissen vorgeformt und kryptisch vorformuliert betrachten und sich ganz offen gegen eine (natur-)wissenschaftliche kognitive Bildung stellen.

Page 33: Erziehungsziele und Erziehungsstile in muslimischen Migrantenfamilien Vortrag in Frankfurt

Seite 33

Erziehungsvorstellungen muslimischer Migrantenfamilien

33•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan

Religiöse Werterziehung in islamischen Familien:

Orientierung ausschließlich an der koranischen Offenbarung:

in erster Linie an der Tradition fixiert; keine Anweisung für die Lösung moderner Alltagsprobleme, überlässt den Einzelnen hilflos der Gegenwart, die er dann nicht bewältigen kann.

rigide Fixierung auf klare erzieherische Leitsätze, die aus dem Koran abgeleitet werden: Ausdruck massiver Verunsicherung muslimischer Eltern;

Ziel: Klarheit und Orientierung, jedoch vielfach nicht zeitgemäß (bspw. Orientierung an Gehorsam).

Page 34: Erziehungsziele und Erziehungsstile in muslimischen Migrantenfamilien Vortrag in Frankfurt

Seite 34

Werte- und Erziehungsvorstellungen muslimischer Migrantenfamilien

34•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan

Exemplarische Ressourcen von Familien mit (muslimischer) Zuwanderungsgeschichte:

• gesundheitsfördernde kulturelle Muster der Lebensführung wie bspw. ein günstigeres Stillverhalten von Müttern;

• niedrigerer Tabak- und Alkoholkonsum von Jugendlichen mit Migrationshintergrund (Robert-Koch-Institut 2008).

• Muslimische Migrantenfamilien in ähnlichen widrigen Umständen wie Einheimische (Armut, Arbeitslosigkeit, Deprivation etc.): durch eine stärkere Kohäsion ihrer verwandtschaftlicher und familialer Netzwerke bessere Verarbeitung sozialer Benachteiligungen als Einheimische (Thiessen 2007).

Page 35: Erziehungsziele und Erziehungsstile in muslimischen Migrantenfamilien Vortrag in Frankfurt

Seite 35

Erziehungsvorstellungen muslimischer Migrantenfamilien

35•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan

Folgende problematische Charakteristika (Auernheimer, 2006) :

• Barsche Forderung nach Assimilation („Es ist durchaus notwendig, dass man diesen Eltern mal ganz rabiat bewusst macht, rabiat in Anführungszeichen, was ich von ihnen erwarte, was sie gefälligst zu tun haben und was ihre Pflicht ist“ (Marburger, 1997)

• Aber auch: Folgenlose bzw. ausgrenzende „Toleranz“; Anerkennen, dass Migranteneltern andere Erwartungen und Wünsche haben, aber keine Bereitschaft, in irgendeiner Weise diese Wünsche in Erfüllung zu bringen.

• Tendenz zu zivilisatorischer Mission

Page 36: Erziehungsziele und Erziehungsstile in muslimischen Migrantenfamilien Vortrag in Frankfurt

Seite 36

Erziehungsvorstellungen muslimischer Migrantenfamilien

36•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan36

Was motiviert Menschen?

• Maslows Bedürfnispyramide: Ohne Befriedigung elementarer Bedürfnisse keine kulturellen Bedürfnisse (Selbstverwirklichung) möglich

• Bsp. Hausfrauenexperiment mit Fleischsorten

• Migranten: „Was von den kulturellen Angeboten kann ich auch für mich nutzen?“

• Wie viel von den präsentierten Kulturangeboten sprechen auch meine „Herkunftskultur“ an?

• Sind Räume so gestaltet, dass dort Migranten sich wohlfühlen, das Eigene wieder erkennen?

Page 37: Erziehungsziele und Erziehungsstile in muslimischen Migrantenfamilien Vortrag in Frankfurt

Seite 37

Erziehungsvorstellungen muslimischer Migrantenfamilien

37•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan37

Stolpersteine und Ressourcen

• Einerseits: Forderung nach Mitarbeitern mit gleichem ethnischem Hintergrund

• Andererseits: Problem der sozialen Differenz innerhalb etwa der türkischen Community nicht zu übersehen:

• Türkische Mittelschichtsangehörige, die auch in Deutschland Bildungsgewinner sind und heute viele sozialpädagogische und psychologische Beratungsfunktionen inne haben, eine hohe Distanz gegenüber Landsleuten aus ländlichen Regionen auf und sind eher kritisch gegenüber der traditionalistisch-muslimischen Landsleuten

• Deshalb: interkulturelle Öffnung des Personals kann manchmal auch ungeahnte neue Probleme bereiten.

Page 38: Erziehungsziele und Erziehungsstile in muslimischen Migrantenfamilien Vortrag in Frankfurt

Seite 38

Erziehungsvorstellungen muslimischer Migrantenfamilien

38•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan38

Stolpersteine und RessourcenFür die interkulturelle Beratung: nicht nur methodisches Know-how, sondern auch:

• Selbstreflexion,• Empathie und Ambiguitätstoleranz: Generelle soziale Kompetenzen, jenseits von Migration

und Integration.

• Wie weit wird die ungleiche Machtverteilung thematisiert?

• Wie weit wird die Machtposition der Mehrheit gegenüber Migranten reflektiert?

Page 39: Erziehungsziele und Erziehungsstile in muslimischen Migrantenfamilien Vortrag in Frankfurt

Seite 39

Erziehungsvorstellungen muslimischer Migrantenfamilien

39•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan39

Stolpersteine und Ressourcen

Als typische Stolpersteine, die auch in anderer Form der Sozialarbeit auftauchen:

• direkt mit dem Problem zu beginnen bzw. konfrontativ zu arbeiten,

• Schuldzuweisungen,

• eine Verurteilung des Verhaltens des Kindes oder Vorurteile ins Spiel zu bringen.

Page 40: Erziehungsziele und Erziehungsstile in muslimischen Migrantenfamilien Vortrag in Frankfurt

Seite 40

Erziehungsvorstellungen muslimischer Migrantenfamilien

40•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan

•Ressourcen und Fördermöglichkeiten

Niedrigschwellige Ansprache durch unbelastete Themen:

•Gesundheit

•Lernen: Welche Vorstellungen vom Lernen gibt es?•Spiel als Lernen darstellen/erklären

Page 41: Erziehungsziele und Erziehungsstile in muslimischen Migrantenfamilien Vortrag in Frankfurt

Seite 41

Erziehungsvorstellungen muslimischer Migrantenfamilien

41•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan

Seite 41Seite 41

•Ressourcen und Fördermöglichkeiten

Verbesserungen durch:

•Qualitativ bessere Bildung im vorschulischen Bereich (Ganztagsbetreuung, bessere sprachliche Förderung etc.)

•Keine frühe Selektion

• Ganztagsschulen: Hausaufgabenbetreuung soll nicht von den Eltern abhängig sein (auch andere „bildungsferne“ Schichten profitieren davon).

Page 42: Erziehungsziele und Erziehungsstile in muslimischen Migrantenfamilien Vortrag in Frankfurt

Seite 42

Erziehungsvorstellungen muslimischer Migrantenfamilien

42•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan

In Schulkontexten:

1. Individuelle Bezugsnorm statt soziale Bezugsnorm zur Lernmotivation einsetzen

2. Erfahrungen mit Tutorensystemen in der Lehr-Lern-Forschung einsetzen

3. stärker handlungsorientierte Formen des Unterrichts (nicht nur Frontalunterricht) praktizieren, in denen Jugendliche partizipieren können; Schule nicht nur als Ort des Versagens und Ohnmachtserfahrungen

4. Ethnische Diskriminierung als Thema stärker ins öffentliche Bewusstsein bringen: Änderung des gesellschaftlichen Klimas, der medialen Berichterstattung etc.

Page 43: Erziehungsziele und Erziehungsstile in muslimischen Migrantenfamilien Vortrag in Frankfurt

Seite 43

Erziehungsvorstellungen muslimischer Migrantenfamilien

43•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan

• Kompetenzen und Potenziale junger Migranten stärker entdecken, herausstellen, wahrnehmen, fördern (keine Abwertung der Muttersprache).

• In Schulkontexten (Migranten-)Jugendliche noch stärker in verantwortungsvolle Positionen – ungeachtet möglicherweise geringerer sprachlicher Kompetenzen – einbinden

• Keine scheinbar sozial/pädagogisch motivierten Überlegungen in der Schule dulden („Für Migrantenkinder ohne elterliche Unterstützungspotenziale reicht auch eine Hauptschule/Realschule“).

Page 44: Erziehungsziele und Erziehungsstile in muslimischen Migrantenfamilien Vortrag in Frankfurt

Seite 44

Erziehungsvorstellungen muslimischer Migrantenfamilien

44•Prof. Dr. Haci-Halil Uslucan

Vielen Dank für Ihre Geduld und Aufmerksamkeit !

Kontakt: [email protected] [email protected] ww.uslucan.de