felder und klassen: pierre bourdieus theorie der modernen...

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© Lucius & Lucius Verlag Stuttgart Zeitschrift fur Soziologie, Jg. 37, Heft 1, Februar 2008, S. 3-24 3 Felder und Klassen: Pierre Bourdieus Theorie der modernen Gesellschaft Fields and Classes: Pierre Bourdieu's Theory of Modern Society Andre Kieserling Universitat Bielefeld, Fakultat fijr Soziologie, UniversitatsstraBe 25, 33615 Bielefeld, Germany E-Mail: [email protected] Zusammenfassung: Bourdieu sieht die moderne Gesellschaft als differenziert in Klassen und als differenziert in Felder. Der Aufsatz stellt die Frage nach dem theorie-internen Stellenwert dieser beiden Differenzierungsformen. Und er beant- wortet sie im Sinne eines deutlich erkennbaren Vorranges der Felder- vor der Klassendifferenzierung: Die Hypothese ei- ner primar in Klassen differenzierten Gesellschaft wird durch Bourdieu also nicht unterstiitzt. Um dies zu zeigen, werden die folgenden Komponenten seiner Gesellschaftstheorie interpretiert: die Konzeption eines autonomen Feldes sowie ihre Nichtanwendung auf das Erziehungssystem; der Klassenbegriff sowie seine Implikationen fur die etwaige Sonderstellung einerseits der herrschenden, andererseits der universellen Klasse; schlie(?lich die dazu passende Handlungstheorie. Summary: Bourdieu describes modern society as differentiated into cidsses on the one hand and into fields on the other. This article discusses the status of these two forms of differentiation in Bourdieu's theory, and it argues that the logic of his own arguments forces Bourdieu to regard fields rather than classes as the primary units of social differentiation. A close reading of Bourdieu's theory thus cannot support the idea of modern society as primarily differentiated along class lines. The following elements of his theory are discussed to substantiate this claim: the concept of autonomous fields and why it is not applied to the educational system, the concept of class and its implications for the notions of a "ruling" and a "universa" class, and, finally, the corresponding theory of action. 1. Felder, Klassen, Primatfragen Schon seit mehreren Jahrzehnten wird in der Sozio- logie iiber den gesetlschaftstheoretischen Stelten- wert des Klassenbegriffs diskutiert (eine knappe Ubersicht bietet Schroer 2001). Immer wieder tre- ten Soziologen hervor, die ihn ablehnen und damit pubtizistische Erfotge erzielen.' Und immer wieder halt man ihnen, von der breiteren Offentlichkeit na- hezu unbemerkt, eine langere Reihe von empiri- schen Daten entgegen, die sicb ohne Ktassenbegriff, oder ohne semantische Aquivalente dafiir, schwer interpretieren lassen (Geif?ler 1996, GeiEler 1998; ahnlich urteilt Hatler 2007). Uber das Unbefriedi- gende solcher Diskussionen wurde man sich ver- mutlich auch mit ihren wechsetnden Protagonisten verstandigen konnen. Aber wo genau tiegt das Pro- blem? In alt diesen Kontroversen ging es um Gesetlschafts- theorie. Die Vermutung liegt daher nahe, dai? der Streit liber die Klassen eigentlich ein Streit uber die Hypothese der Klassengesellschaft ist. Nicht die ' In Deutschland wird man hier an Schelsky und Beck denken; siehe aber auch Nishet 1970, Clark/Lipset 1991, Pakulski/Waters 1996. Frage nach Existenz oder Inexistenz dieser Grof?- gruppen bzw. sozialen Kategorien, sondern die Fra- ge nach ibrer Relevanz fiir Gesellschaft wie Gesell- schaftstheorie ware dann das Entscheidende. Und das Problem lage dann darin, da(? zwischen beiden Aspekten nicht unterschieden wird: Wabrend die Skeptiker des Klassenbegriffs ihn nur darum ver- werfen, weil sie ihm keine Tbeorie der Gesamt- gesellschaft mebr zutrauen, reden seine Verteidiger gerne so, als ware zusammen mit den Klassen auch die Hypothese der Klassengesellscbaft saniert. So entsteht der Eindruck, als konnte man die Begriffe fiir Klassen und fiir Klassengesellschaften nur zu- sammen, also nur unter Fusion ibres Sinnes, sei es bejahen, sei es verneinen. In diesem Punkt scbeinen sich beide Seiten immerbin einig zu sein. Es spricbt aber nichts dagegen, keine logische und scbon gar keine soziologiscbe Unmoglichkeit, das Ja zu den Klassen mit einem Nein zur Klassengesell- schaft zu kombinieren. SchlieElich kann man ja auch bejahen, da(? es Organisationen gibt, und es gleichwobl ablebnen, die moderne Gesellscbaft als Organisationsgesellscbaft zu beschreiben (Kieser- ling 2004b; weitere Beitrage in Jager/Scbimank 2005). Abnlicb muf? niemand das massenhafte Vor- kommen von Interaktionen bestreiten, um inter-

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© Lucius & Lucius Verlag Stuttgart Zeitschrift fur Soziologie, Jg. 37, Heft 1, Februar 2008, S. 3-24 3

Felder und Klassen: Pierre Bourdieus Theorie der modernenGesellschaft

Fields and Classes: Pierre Bourdieu's Theory of Modern SocietyAndre KieserlingUniversitat Bielefeld, Fakultat fijr Soziologie, UniversitatsstraBe 25, 33615 Bielefeld, GermanyE-Mail: [email protected]

Zusammenfassung: Bourdieu sieht die moderne Gesellschaft als differenziert in Klassen und als differenziert in Felder.Der Aufsatz stellt die Frage nach dem theorie-internen Stellenwert dieser beiden Differenzierungsformen. Und er beant-wortet sie im Sinne eines deutlich erkennbaren Vorranges der Felder- vor der Klassendifferenzierung: Die Hypothese ei-ner primar in Klassen differenzierten Gesellschaft wird durch Bourdieu also nicht unterstiitzt. Um dies zu zeigen, werdendie folgenden Komponenten seiner Gesellschaftstheorie interpretiert: die Konzeption eines autonomen Feldes sowie ihreNichtanwendung auf das Erziehungssystem; der Klassenbegriff sowie seine Implikationen fur die etwaige Sonderstellungeinerseits der herrschenden, andererseits der universellen Klasse; schlie(?lich die dazu passende Handlungstheorie.

Summary: Bourdieu describes modern society as differentiated into cidsses on the one hand and into fields on the other.This article discusses the status of these two forms of differentiation in Bourdieu's theory, and it argues that the logic ofhis own arguments forces Bourdieu to regard fields rather than classes as the primary units of social differentiation. Aclose reading of Bourdieu's theory thus cannot support the idea of modern society as primarily differentiated along classlines. The following elements of his theory are discussed to substantiate this claim: the concept of autonomous fieldsand why it is not applied to the educational system, the concept of class and its implications for the notions of a "ruling"and a "universa" class, and, finally, the corresponding theory of action.

1. Felder, Klassen, Primatfragen

Schon seit mehreren Jahrzehnten wird in der Sozio-logie iiber den gesetlschaftstheoretischen Stelten-wert des Klassenbegriffs diskutiert (eine knappeUbersicht bietet Schroer 2001). Immer wieder tre-ten Soziologen hervor, die ihn ablehnen und damitpubtizistische Erfotge erzielen.' Und immer wiederhalt man ihnen, von der breiteren Offentlichkeit na-hezu unbemerkt, eine langere Reihe von empiri-schen Daten entgegen, die sicb ohne Ktassenbegriff,oder ohne semantische Aquivalente dafiir, schwerinterpretieren lassen (Geif?ler 1996, GeiEler 1998;ahnlich urteilt Hatler 2007). Uber das Unbefriedi-gende solcher Diskussionen wurde man sich ver-mutlich auch mit ihren wechsetnden Protagonistenverstandigen konnen. Aber wo genau tiegt das Pro-blem?

In alt diesen Kontroversen ging es um Gesetlschafts-theorie. Die Vermutung liegt daher nahe, dai? derStreit liber die Klassen eigentlich ein Streit uber dieHypothese der Klassengesellschaft ist. Nicht die

' In Deutschland wird man hier an Schelsky und Beckdenken; siehe aber auch Nishet 1970, Clark/Lipset 1991,Pakulski/Waters 1996.

Frage nach Existenz oder Inexistenz dieser Grof?-gruppen bzw. sozialen Kategorien, sondern die Fra-ge nach ibrer Relevanz fiir Gesellschaft wie Gesell-schaftstheorie ware dann das Entscheidende. Unddas Problem lage dann darin, da(? zwischen beidenAspekten nicht unterschieden wird: Wabrend dieSkeptiker des Klassenbegriffs ihn nur darum ver-werfen, weil sie ihm keine Tbeorie der Gesamt-gesellschaft mebr zutrauen, reden seine Verteidigergerne so, als ware zusammen mit den Klassen auchdie Hypothese der Klassengesellscbaft saniert. Soentsteht der Eindruck, als konnte man die Begriffefiir Klassen und fiir Klassengesellschaften nur zu-sammen, also nur unter Fusion ibres Sinnes, sei esbejahen, sei es verneinen. In diesem Punkt scbeinensich beide Seiten immerbin einig zu sein.

Es spricbt aber nichts dagegen, keine logische undscbon gar keine soziologiscbe Unmoglichkeit, dasJa zu den Klassen mit einem Nein zur Klassengesell-schaft zu kombinieren. SchlieElich kann man jaauch bejahen, da(? es Organisationen gibt, und esgleichwobl ablebnen, die moderne Gesellscbaft alsOrganisationsgesellscbaft zu beschreiben (Kieser-ling 2004b; weitere Beitrage in Jager/Scbimank2005). Abnlicb muf? niemand das massenhafte Vor-kommen von Interaktionen bestreiten, um inter-

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Zeitschrift fur Soziologie, Jg. 37, Heft 1, Februar 2008, S. 3-24

aktionistischen Konzeptionen der Gesamtgesell-schaft gleichwohl mit MiStrauen zu begegnen. Ge-sellschaft und Organisation, aber auch Gesellschaftund Interaktion konnen so stark differenziert sein,daS das Kleinere nicht langer zum Modell fiir dasGrofiere taugt.

Um einzusehen, da8 es sich auch mit der Unter-scheidung von Klasse und Klassengesellschaft nichtprinzipiell anders verhalt, muE man sich nur klar-machen, dafi es ja neben der klassenspezifischenDifferenzierung der Sozialchancen auch noch einezweite Gegebenheit gibt, die das Gesicht der moder-nen Gesellschaft bestimmt, namlich ihre Differen-zierung in unterschiedliche Funktionssysteme wiePolitik oder Wirtschaft, Religion oder Sport, Wis-senschaft oder Krankenbehandlung. Das Nein zurKlassengesellschaft konnte sich etwa der These ver-danken, daf? diese historisch zweite Differenzie-rungsform unterdessen zur strukturell ersten gewor-den sei: dal? sie den Zustand ebenso wie dieEntwicklungsmoglichkeiten der modernen Gesell-schaft in tieferer Weise bestimme, als man es vonKlassen und Klassendifferenzen behaupten konne.Folgt man dieser These so, wie sie vor allem vonLuhmann vertreten wurde , dann gewinnt man ei-nen zusatzlichen Bezugspunkt flir das soziologischeUrteil iiber die Klassen: Nicht an ihnen allein, auchnicht an der Struktur ihrer Wechselbeziehungen,sondern an ihrer Beziehung zu den Funktionssyste-men ware die gesellschaftstheoretische Belastbar-keit des Klassenbegriffs demnach abzulesen (dazuausfuhrlich Kieserling 2006a, 2006h).

Eine soziologische Neuheit ist damit nicht formu-liert. Immer schon haben die bedeutenden Gesell-schaftstheorien des Faches beides behandelt:Schichtung und Arbeitsteilung, Klassenbildung undfunktionale Differenzierung. Auch Luhmann undParsons haben sich iiber Schichtung geaul?ert (Luh-

^ Siehe dazu nur die bekannte Kritik, die Jiirgen Haber-mas (1981) am ,,verstehenden Idealismus der hermeneuti-schen Soziologie" Iibt.^ Die historisch umfassende Darstellung findet sich in derGesellschaft der Gesellschaft (Luhmann 1997); die bessereDarstellung iiber funktionale Differenzierung findet sichin Okologische Kommunikation (Luhmann 1986). Derdazu passende Klassenbegriff (Luhmann 1985) definiertubrigens vergleichsweise konventionell, namlich durchmehrdimensional konsistente Verteilungen. Mit vielRecht, wenn auch ohne jeden Zusammenhang mit demThema dieses Aufsatzes, hat einer seiner Gutachter be-zweifelt, dal? dieser Klassenbegriff zur Auffassung desspaten Luhmann (z. B. Luhmann 1995) passe, ,,festeKopplungen" zwischen den Funktionssystemen gebe esiiberhaupt nur im Exklusionsbereich.

mann 1985, Parsons 1964), und zwar nicht nurhistorisch, sondern auch im Hinblick auf aktuelleGegenstrukturen zu funktionaler Systemdifferenzie-rung, und auch der Marx des Uberbautheoremssuchte nach einem eigenen Begriff fiir Wertspharenoder Sinnprovinzen, Felder oder Funktionssysteme.Aber trotz dieser breiten Anlage der soziologischenGroKtheorien, die sich niemals auf eine und nur ei-ne Differenzierungsform festlegen lieSen, ist dassachthematische Interesse ihrer Autoren normaler-weise ein engeres gewesen. Die weitaus meiste Ar-beit wurde investiert, um jeweils einer Differenzie-rungsform in moglichst umfassender Weise gerechtzu werden. Das Interesse an der komplementarenForm hielt sich nur darum, weil andere Autoren diekomplementare Einseitigkeit pflegten.

Dieser Arbeitsteilung entspricht es, daS die Fragenach dem Zusammenhang zwischen Schichtungund funktionaler Differenzierung nach wie vor of-fen ist. Wir wissen bis heute nicht recht, was untereiner Gesellschaft zu verstehen ist, die beides kenntund beides reproduziert? Die Vermutung ist nichtabwegig, dai? Bemiihungen, die sich auf dieseBruchstelle konzentrieren, ergiebiger sein konntenals die isolierende Behandlung entweder der einenoder der anderen Seite. Zum Gliick gibt es Anzei-chen dafiir, daS diese Sicht inzwischen von vielenKoUegen geteilt wird. Schon findet man erste Buch-publikationen zu diesem lange vernachlassigtenThema (z. B. Schwinn 2004), und auch das BewuKt-sein, daE es mit einzelnen Aufsatzen auf die Dauernicht getan sein wird, gewinnt an Verbreitung undan Kommunizierbarkeit (vgl. Schimank 1998,Stichweh 2005).

Unter diesen Umstanden konnte es sich lohnen,noch einmal Bourdieu zu lesen. Mit einer gluck-lichen Wendung hat Jiirgen Kaube ihn einmal den,,komplettesten" Soziologen genannt. Berechtigt istdieser Superlativ nicht nur darum, weil Bourdieu esverstand, qualitative mit quantitativen Unter-suchungsmethoden und beides mit theoretischenUberlegungen von hoher Originalitat zu kombinie-ren. Imponierend ist auch der Reichtum seines the-matischen Repertoires, und dies sogar dann, wennman die ethnologischen Beitrage beiseite laf?t undlediglich darauf achtet, wie er die Zentren der mo-dernen Gesellschaft beschreibt. Diesen Zentren tratBourdieu mit einer wissenschaftlichen Neugier ent-gegen, die in soziologisch seltener Symmetrie aufbeides zugleich ging: auf die Strukturen der Klas-senbildung und auf solche Strukturen, die sich ausder Ausdifferenzierung mehrerer autonomer Felderergeben. Das ist ein bis heute singularer Fall.

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Andre Kieserling: Felder und Klassen: Pierre Bourdieus Theorie der modernen Gesellschaft

Jede dieser beiden Komponenten an Bourdieu hatihre Interpreten, ihre Schliler, ihre Kritiker gefun-den. Nur wiederholt sich an der Struktur dieser Re-zeption eben jene Segmentierung der Aufmerksam-keit, die iiber die Themenkarrieren von Schichtungund funktionaler Differenzierung ohnehin schongebietet: Die einen interessieren sich fiJr die Klas-sentheorie von Bourdieu (z. B. Honneth 1984:147ff., MUller 1986, 1989, 1992, Weif? 2004), dieanderen nehmen zur Kenntnis, was er iiber Felderzu sagen hat (z. B. Bohn 1991, Bohn/Hahn 1999,SchimankA^olkmann 1999, Kieserling 2004c). Inder Frage, welche Gesellschaft es ist, die beideskennt, Klassen und Felder, flihrt dieses Vorgehenaber nicht weiter. Statt dessen hatte man sein Werkmit Hinblick auf beide Differenzierungsformen zubefragen: Wie tragt es die Spannung, die zwischenihnen besteht, in sich selbst aus? Und in welchenseiner Begriffe hat sie sich wie sedimentiert? Dazusoil der folgende Text einige Uberlegungen beisteu-

ern.Ich sage bewufit ,,sedimentiert", denn Bourdieuselbst hat sich zu dieser Frage nicht zusammenhan-gend geauf?ert. Skeptisch gegenliber dem Ge-sellschaftsbegriff, tendiert er zu einer gleichsamatomistischen Konzeption von gesellschaftlicherDifferenzierung. Die Resultate des Differenzie-rungsprozesses werden zwar beschreiben, ob nunals Klassen oder als Felder, aber die Frage nach derEinheit des Differenzierten wird nicht systematischgestellt.'' Damit fehlt auch die Frage, wie eine et-waige Begriffskonkurrenz um die Bestimmung die-ser Einheit zu entscheiden ware: zugunsten der Fel-der (und ihres Primates iiber die Klassen) oderzugunsten der Klassen (und ihres Primates iiber dieFelder)? Der Soziologe, der beides zu unterscheidenwufSte, bildet fiir die Einheit dieser Unterscheidungkeinen Begriff. Insofern hat das Trennschema, demdie bisherige Rezeption folgt, eine belastbareGrundlage in den Texten des Rezitierten: Unmittel-bar zitieren kann man Bourdieu weder fiJr einenPrimat von Schichtung vor funktionaler Differen-zierung, so wie Marx ihn lehrte, noch fiir die Inver-sion dieser Lehre in den Theorien von Parsons undLuhmann. Aus der unverbundenen Folge der ent-sprechenden Publikationen mag man den Schluf?ziehen, Bourdieu habe sich ein friedliches Neben-einander beider Differenzierungsformen vorstellenkonnen. Aber auch einer solchen Symmetriethesefehlt es an expliziten Belegen im Text.

Andererseits darf man getrost davon ausgehen, dafiBegriffe fiir Schichtung und Arbeitsteilung einanderunter Anpassungszwang setzen. Klassenbildungund funktionale Differenzierung bilden konkurrie-rende Ordnungsprinzipien. In der Theoriebildungdriickt sich das darin aus, daf? man starke Begriffevon funktionaler Differenzierung nur mit schwa-chen Begriffen fiir Schichtung kombinieren kann.^Regelmaf?ig haben Theorien, die den inklusivenZug der Funktionssysteme betonen, zu einer deutli-chen Relativierung des Klassenbegriffs gefiihrt. Dieseit Thomas H. Marshall iibliche Beschreibung desmodernen Wohlfahrtsstaates bietet ein dafiir in-struktives Modell.'' Umgekehrt wird man es schwie-rig finden, die Gesellschaft als ein System zu den-ken, das primar in Klassen differenziert ist, undgleichwohl an der Autonomie der Funktionssyste-me festzuhalten; daran wiederum hatte das Uber-bautheorem seine Konsequenz.Wenn dies aber so ist, dann kann man einem Autorauch dann eine Meinung liber das relative Gewichtdieser beiden Differenzierungsformen zurechnen,wenn er eigene Auskiinfte dazu verweigert.^ Zu for-dern ware lediglich, daf? er seine Begriffe fur Klas-sen und fiir Funktionsbereiche so weit artikuliert,daf? man iiber ihre komparative Starke bzw. Schwa-che in kontrollierbarer Weise urteilen kann. Da die-se Bedingung durch Bourdieu in vollem Umfang er-fiillt wird, kann die Auseinandersetzung mit seinerTheorie komplexer ausfallen, als es bisher ijblich

'' Das Modell daflir ist bekanntlich Max Weber (Tyrell1994). An einer Aktualisierung dieses Programms arbeitetThomas Schwinn (2001).

^ Auf eine entsprechende Riickfrage von Gutachtern ant-worte ich: die Pradikate ,,stark" und ,,schwach" beziehensich in diesem Text, einem unter Philosophen ublichenSprachgebrauch folgend, auf die Erklarungsanspriiche, diemit Begriffen oder sonstigen Theorieteilen assoziiert sind,und nicht etwa auf ihre wissenschaftliche Qualitat.'' Die wichtigsten Beitrage finden sich gesammelt bei Tho-mas Marshall (1992). Dieser stellte sich bekanntlich vor,daS ein voll ausgebauter Wohifahrtsstaat dazu fiihrenwird, da6 die okonomisch sinnvollen Ungleichheiten nurnoch Konsumchancen differenzieren, aber nicht auch denZugang zu anderen Teilsystemen der modernen Gesell-schaft. Die Unterschiede zwischen den Einkommensklas-sen waren dann fiir die Verteilung der metaokonomischenChancen irrelevant. Uberflussig zu sagen, dag Marshalldies als einen Approximationswert und etwa nicht als de-skriptiv zutreffende Beschreibung verstand.'' So halt es auch Craig Calhoun in seinem Versuch, die ei-gentiimliche Modernitat dessen herauszuarbeiten, was er,,uncoupling of fields" nennt: Zwar fiihre Bourdieu keinetheoretisch kontrollierten Vergleiche zwischen modernerund vormoderner Gesellschaft, aber zugunsten der Theseeiner strukturellen Differenz dieser beiden Gesellschafts-formen konne man ihn gleichwohl zitieren (Galhoun1993: 77).

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Zeitschrift fur Soziologie, Jg. 37, Heft 1, Februar 2008, S. 3-24

ist. Sie muE sich nicht darauf beschranken, abwech-selnd iiber die Klassentheorie oder iiber die Theorieder Felder zu urteilen, so als hingen sie nur iiber dieEinheit einer Person miteinander zusammen. Viel-mehr ist auch die Frage, welcher dieser beiden Dif-ferenzierungsformen der Autor welches Gewichtzumif?t, ein mogliches Thema. So zielt unsere Ana-lyse zwar auf eine Struktur der Theorie, die nichtzu ihrem formulierten Selbstbewuf?tsein gehort; ihrThema sind nicht die Mitteilungen eines Autors,sondern die Architektur seiner Begriffe. Aber dieseArchitektur ist robust genug, um ihren Interpretenzu fiihren und beliebige Lesarten auszuschlief?en.

Die Lesart des folgenden Textes wird sein, daf?Bourdieu die Autonomie seiner Felder so stark be-tont, daf? der zu dieser Theorie passende Klassen-begriff, ahnlich wie zuvor schon bei Marshall, nurein relativ schwacher sein kann. Die dazu erforder-lichen Kriterien fiir Starke bzw. Schwache werdenwir weiter unten entwickeln. Gegen den Haupt-strom seiner bisherigen Interpretation soil ihreAnwendung zeigen, daf? man auch Bourdieu zu-gunsten der These zitieren kann, die moderne Ge-sellschaft sei in erster Linie durch funktionale Diffe-renzierung charakterisiert.^ Eine erste Gruppe vonUberlegungen wird die Theorie der Felder behan-deln (2.), eingeschlossen das Nichtfeld Erziehung(3.). Danach geht es um die Konsequenzen, die sichdaraus fiir den Klassenbegriff ergeben (4., 5.). Zweiweitere Abschnitte des Textes dienen dazu, die Hy-pothese einer innertheoretischen Dominanz vonfunktionaler vor stratifikatorischer Differenzierungan zwei weiteren Themen zu iiberpriifen: an derArt, wie Bourdieu iiber den Begriff der universellenKlasse disponiert (6.) und an den Grundlagen seinerHandlungstheorie (7.).

2. Zur Theorie der Feider

Wie schon gesagt, behandelt Bourdieu beide Diffe-renzierungsformen: die nach Klassen und die nachEunktionsbereichen, und wie wir noch sehen wer-den, nimmt er die Differenz dieser beiden Formensehr ernst. Aber man findet keine selbstandigen Ur-teile iiber das relative Gewicht, das er ihnen zumiSt.

^ Diese These ist Iibrigens schon seit langem kein Mono-pol der soziologischen Systemtheorie mehr. Da6 auch derHabermas der ,,Theorie des kommunikativen Handelns"sie mindestens implizit vertritt, ist leicht zu erkennen; undin voUer Explikation findet man sie, und findet man auchdie dazu passende Einschatzung von Klassenstrukturen alsderivativem Sachverhalt, bei einem seiner Schiiler, namlichbei Bernhard Peters (1993: 144ff.).

Der Zusammenhang seiner Theorie der modernenGesellschaft ist also nicht in einem biindigen Urteiliiber das Verhaltnis ihrer beiden Differenzierungs-formen fundiert. An dessen Stelle tritt vielmehr eineSozialtheorie, die man fiir die Analyse von beidemverwenden kann: von Klassen wie von Eeldern(Wacquant 1993: 242). Nicht nur zwischen denKlassen, sondern auch in den Eeldern geht es dem-nach um knappe Ressourcen und ihre Verteilung; inbeiden Eallen finden sich Strukturen sozialer Un-gleichheit, die das Interesse an Umverteilung vonoben nach unten hin anwachsen lassen; in beidenEallen werden dadurch Verteilungskampfe aus-gelost, offene oder versteckte, und hier wie dortmuf? man fragen, ob die kulturelle Semantik in derLage ist, auch interessiertes Handeln zu legitimie-ren, oder ob sie nicht umgekehrt gerade das interes-selose Handeln belohnt, so daE die vorhandenenInteressen verborgen werden miissen, wenn sie be-dient werden soUen. Und so wie Bourdieu sozialeKlassen kennt, die von der Dissimulation ihrer Inte-ressen ganz gut leben konnen, so kennt er auch Eel-der, in denen das Dementi eigener Interessiertheitsich auszahlen soil.'

Zuweilen bringt Bourdieu solche Homologien aufdie Eormel, die Eelder verhielten sich zur Gesamt-gesellschaft wie ein Mikrokosmos zum Makrokos-mos (Bourdieu 1998c: 16ff.). Damit ist aber nur ge-sagt, daS man eine Sozialtheorie entwickeln kann,die beidem gerecht wird, und also gerade nicht ge-sagt: dafi Strukturbegriffe, die einmal fiir die Ge-samtgesellschaft einstanden, und unter ihnen vorallem der Klassenbegriff, nun auch das Handeln inEeldern erklaren konnten. Ganz im Gegenteil: Ge-rade weil die Grundbegriffe seiner Sozialtheorie inbeiden Eallen benotigt werden, falh die Abgrenzungzwischen Eeldern und Klassen sehr klar aus.

Bekannt diirfte sein, daS Bourdieu seine Eelderdurch eine Variable definiert, die er Autonomienennt (Bourdieu 1981, 1993, 1998b, 1998c, 1999,2000, Bourdieu et al. 1998; die meisten Begriffs-merkmale, die ich diskutiere, konnen an mehrerendieser Texte iiberpruft werden.) Betonen darf manan diesem Autonomiebegriff, dai? er sich gegen zweiTypen von moglicher Heteronomie richtet: gegendie Eremdbestimmung durch andere Eelder und ge-gen die Fremdbestimmung durch Klassenstruktu-ren. Ehe man von einem autonom gewordenen Eeldsprechen kann, muS also nicht nur klar sein, daf? esGrenzen gibt, die Akteure aus anderen Eeldern aufDistanz halten, es mu6 auch sichergestellt sein, daf?

^ Auf diesen letzen Punkt kommen wir unter 7. noch ein-mal zurijck.

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Andre Kieserling: Felder und Klassen: Pierre Bourdieus Theorle der modernen Gesellschaft

die Klassenlage der eigenen Akteure auf Distanz ge-bracht, namlich feldintern neutralisiert werdenkann. Der Feldbegriff hat also die Funktion, Berei-che der modernen Gesellschaft zu analysieren, andie der Klassenbegriff nicht heranreicht. Wer vomFeldcharakter eines sozialen Gebildes redet, der ne-giert damit seinen Klassencharakter^°. Daher ne-giert der Feldbegriff selber das Uberbautheorem,das ja eben diesen Klassencharakter zum Themaund zum Beweisziel gehabt hatte." In der Termino-logie des Marxismus konnte man sagen, die Theo-rie der Felder bezeichne einen Uberbau, fiir den eskeinen klassenspezifischen Unterbau gibt.'^

Autonomie setzt zunachst einmal voraus, daf$ dieRessourcen, um deren Verteilung es in den Felderngeht, spezifiziert werden konnen. Jedes Feld brauchtalso eine eigene Typik von Ressourcen, Bourdieuwiirde sagen: eine eigene Sorte von Kapital. So gehtes in der Wissenschaft um das symbolische Kapitalder Reputation, das einen Wissenschaftler als Wis-senschaftler kennzeichnet, in den Massenmediengeht es um das spezifisch journalistische Ansehen,das einer genie(?t, und in der Politik um die politi-sche Verwendbarkeit einer Person, verstanden etwaals Eignung fiir Auftritte in Talkshows oder als Fa-higkeit, Minderheiten als Mehrheiten erscheinen zulassen.

'" Dal? dies die Funktion des Feldbegriffs ist, dafiir sprichtauch der folgende Befund. In der These, Autonomie sei ei-ne Variable, liegt die Moglichkeit, Felder nach Maggabeihrer Unabhangigkeit von Klassenstrukturen zu staffeln.Bourdieu nutzt diese Moglichkeit aber nur fijr historischeVergleiche, die zeigen sollen, daS die Klassenstrukturenmit zunehmender Verselbstandigung des Feldes zurlicktre-ten (z. B. Bourdieu 1999). Wo er nicht historisch urteilt,sondern die verselbstandigten Felder miteinander ver-gleicht, kennt er dagegen nur eine Staffelung nach MaB-gabe ihrer Unabhangigkeit von anderen Feldern. Ein Ge-falle, sei es an Politisierung, sei es an Okonomisierung,wird konstatiert, nicht aber ein solches an klassenspezi-fischer Determination. An dieser theoretisch untermoti-vierten Einseitigkeit in der Ausbeutung seines Autonomie-begriffs erkennt man noch einmal, wie sehr es Bourdieudarum zu tun ist, Felder von Klassen zu trennen." Einen guten Riickblick auf die damit verbundenenSchwierigkeiten findet man bei Alois Hahn (2000).'^ Um MiEverstandnissen vorzubeugen, sei an dieser StellehinzugefUgt, daG die These von der Preisgabe des Uber-bautheorems sich ausschliefflich auf das Verhaltnis vonKlassen und Feldern bezieht. Dal? Bourdieu in der Lageist, wissenssoziologisch zu denken, also von den Ideen aufdie Interessen schliel?en kann, denen sie dienen, soil damitin keiner Weise bestritten werden. Nur gibt es von dieserWissenssoziologie dann eben zwei Ausfiihrungen: eine fiirKlassen und eine fiir Felder. Und auch diese Doppelungbelegt unsere These.

Die Trennung dieser Ressourcentypen ist offen-sichtlich nur moglich, wenn es effektive Konver-sionssperren gibt ." Wenn jeder angesehene Journa-list eben darum auch wissenschaftlich reputiertware, ohne spezifisch wissenschaftliche Priifungendurchlaufen zu miissen, dann ware es nicht mog-lich, das Reputationsgeschehen im wissenschaftli-chen Feld zu konzentrieren. AuKerdem muK natiir-lich verhindert werden, da8 diffuse Merkmale einerPerson wie Bildung oder Kontaktstarke, die typischauch Merkmale ihrer Klassenlage sind, die Urteils-bildung in Feldern vorwegnehmen und ihre Vertei-lungsprozesse verzerren.

Dies wiederum ist nur moglich, indem auch dieVerteilungsregeln ausdifferenziert werden: wissen-schaftliche Reputation setzt dann etwa Kommuni-kationserfolge unter gleichsinnig spezialisiertenKollegen voraus und reagiert primar darauf - undnicht etwa auf den okonomischen Reichtum desReputationsanwarters, die Reichweite seines per-sonlichen Kontaktnetzes oder den guten Namenseiner Familie. Weder okonomisches noch sozialesKapital konnen eine Reputationskarriere erset-zen.̂ "* Mit dieser relativen Entwertung der Klassen-position muf? der Zugang zum Feld neu geordnetwerden. Feldspezifische Lernprozesse werden erfor-derlich, um einen feldspezifischen Habitus auf-zubauen. Das gilt vor allem fiir die Notwendigkeit,sich mit der Geschichte des Feldes vertraut zu ma-chen.'^ Bourdieu beschreibt solche Lernprozesse,darin der Theorie des Humankapitals folgend, alsInvestitionen. Zu ihren Opportunitatskosten gehortder Verzicht darauf, zu gleicher Zeit und mit glei-cher Intensitat auch an anderen Feldern zu partizi-

In der Folge davon beginnen die Hierarchien inner-halb der Felder sich voneinander zu trennen. Es ent-

'^ Die positive Theorie der Konversion, die die Reproduk-tion von Klassenlagen erklaren soil, steht neben der Fel-dertheorie und wird vor allem zur Analyse des Erziehungs-systems genutzt. Wir kommen darauf im nachstenAbschnitt noch einmal zuriick.''' Und wenn massenmediale Prominenz dies tut, dann giltdas fiir Bourdieu als Entdifferenzierung. Siehe dazu nurseine Kritik an der Rolle von Medienintellektuellen (Bour-dieu 1998b: l]4ff.)." Im Feld der Kunst ist die Kenntnis seiner Geschichte ei-ne der Vorbedingungen fiir anschlu(?fahiges Produzieren -mit einer Restkategorie fiJr Naive, die dann aber offen-sichtlich der Protektion durch die auch historisch versier-ten Kiinstler bediirfen, um nicht unterzugehen (Bourdieu1999: 386 ff.).'* Darauf zielt die auch Metapher vom Eintrittspreis, derzu entrichten sei (ebd.: 92ff.).

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stehen mehrere Substratifikationen, die im Verhalt-nis zueinander inkonsistent sind. Erfolgreiche Wis-senschaftler sind im Normalfalle weder machtignoch reich, die politisch Machtigen wiederum pfle-gen wirtschaftlich nicht sonderlich vermogend zusein, und diejenigen, die es sind, konnen nicht alleindarum auch schon Armeen schicken. Dafi einer dieSpitzenpositionen in mehreren Feldern besetzt halt,wird dann zu einem extrem unwahrscheinlichenZufall, und selbst Ubergange aus einer Spitze in ei-ne andere erweisen sich als schwierig. Fiir dieGrundbegriffe der Klassentheorie hat dies zur Fol-ge, da(? die Definition einer Klassenlage durchStatuskonsistenz mindestens fiir Oberschichtenproblematisch wird. LaKt man iiberhaupt einemehrdimensionale Definition zu, so wie Bourdieues tut, dann muf? man darauf eingestellt sein, dalimindestens die Spitzenwerte fiir okonomisches undfiJr kulturelles Kapital divergieren. Wir werden wei-ter unten noch sehen, wie Bourdieu dieses Problemzu losen versucht.

Auch Konflikte um Umverteilung werden ausdiffe-renziert, namlich zu feldinternen Gegnerschaftenohne externes Korrelat. Es ist also ein Kennzeichender Autonomie von Feldern, daS sie iiber eigeneKonflikte verfiigen, deren Frontenbildung mit ande-ren Konflikten nicht versault ist, und zwar wedermit solchen, die in anderen Feldern gefiihrt werden,noch mit solchen von gesamtgesellschaftlicher Rele-vanz, Klassenkonflikte oder solche zwischen Natio-nen keineswegs ausgenommen. Felder lieSen sichzwar als Kampfe modellieren, aber gerade nicht alsKlassenkampfe - diese Feststellung fehlt in kaum ei-nem der Texte, die wir hier interpretieren (z. B.Bourdieu 1992a: 157). Als Paradigma ausdifferen-zierter Konflikte diskutiert Bourdieu immer wiederden Schulenstreit innerhalb der Mathematik: es seiunmoglich, eine politisch rechte von einer politischlinken oder eine in Religionsfragen protestantischevon einer katholischen Mathematik zu unterschei-den.

Diese allgemeine Ausdifferenzierung der feldinter-nen Konflikte soil Bourdieu zufolge auch fiir jeneMetakonflikte gelten, bei denen nicht nur die An-wendung einer geltenden Verteilungsregel, sonderndiese selber zur Disposition steht. Bourdieu reser-viert den Begriff der Revolution fiir jene spektaku-laren Falle von Umverteilung, in denen es gleichsamiiber Nacht zur Abwertung alter und zur Aufwer-tung neuer Positionen kommt. Aber auch sie betref-fen stets nur die Verteilungen innerhalb spezifischerFelder: mag es sich um eine wissenschaftliche Revo-lution, eine kiinstlerische Revolution, eine oko-nomische Revolution usw. handein - nur nicht um

all dies zugleich, denn dafiir sind Konfliktdynamikund Anderungstempo der Felder zu stark differen-ziert. Und natiirlich geht es auch nicht um Aufstiegeneuer Klassen, also nicht um Prozesse gesamtgesell-schaftlicher Umschichtung.^'' Der Anspruch derKlassentheorie, den wichtigsten Ausloser fiir gesell-schaftlich folgenreiche Konflikte identifizieren zukonnen, mu(? also aufgegeben werden. Neben derStratifikation der Gesellschaft behauptet auch ihreDifferenzierung in Felder und Subfelder sich als ei-ne Konfliktquelle mindestens gleichen Ranges.

Selbstverstandlich kann die Revolution in dem ei-nen Feld auch fiir das andere relevant werden - diesaber nicht so, dal? nun auch dessen eigene Struktu-ren revolutioniert wiirden, sondern nur so, daS esdieses externe Datum nach internen Regeln ver-arbeitet. Eine Revolution, die das Feld der Kunstumkrempelt, mag in der Wissenschaft zum Themavon Forschungen werden. Aber es ware der pureZufall, wenn diese Forschungen dann auch noch ei-ne wissenschaftliche Revolution auslosen wiirden,und selbst dann ware diese zweite Revolution einzweites Ereignis mit einer eigenen Vorgeschichteund einer eigenen Nachgeschichte. Zustandig fiirErklarungen ware die Soziologie des zweiten, nichtdes ersten Feldes. Auch fiir diese regelmaKige Ver-fremdung der externen Daten durch die Interven-tionen der feldinternen Logik bildet Bourdieu eineneigenen Begriff, der seinerseits als Variable angelegtist. Brechung und Brechungsstdrke sind die dafiirzustandigen Vokabeln. Das Hauen und Stechen inden Feldern gilt also nicht als Fortsetzung des Klas-senkampfes mit anderen Mitteln, und selbst wennein Feld den Klassenkampf unmittelbar themati-siert, tut es dies nach eigenen Regeln - und nicht et-wa so, dai? die Klassenlage der Thematisierendenihnen soufflieren wiirde, was dariiber zu sagen

sei.18

'^ Stellen, an denen Bourdieu dies zu bestreiten versucht(etwa Bourdieu 1999: 400ff.), sind eine Folge davon, dal?er nur die Spezialisten, aber nicht auch die Laien eines Fel-des diesem selbst zurechnet. Da(5 ein Publikum von Lesernbereit ist, einer literarischen Revolution zu folgen, dafiirmuG es dann feldexterne Griinde geben. Den naheliegen-den Einwand, dal? gerade die innovative Literatur sich ihreigenes Publikum schafft, macht Bourdieu sich dann Qbri-gens selbst (ebd.: 401).'" Als wenig abgestimmt mit solchen Vorgaben empfindeich es, wenn der Wissenschaftssoziologe Bourdieu immerwieder behauptet, es gebe nicht nur ein feldinternes Gefal-le der Legitimitat von Themen, sondern dieses sei zugleichdie Kople eines Gefalles an gesamtgesellschaftlicher Wert-schatzung (Bourdieu 2003). Spatestens seit Goffman diirf-te sogar in der Soziologie klar sein, da(5 man wissenschaft-lich gro(?e Entdeckungen auch an kleinen Themen machen

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Schlie(?lich gibt es in alien Feldern so etwas wie dieArbeit an Begriffen und Texten, Theorien und Se-mantiken, die in erster Linie der Selbstdarstellungdes Feldes dienen: der Presentation seiner Errun-genschaften, der Begriindung seiner Autonomie-ansprliche, der Abwehr externer Interventionen.Hierfiir fehlt, wenn ich es recht sehe, ein eigenerTerminus.^ Die Theoriesprachen mischend, konnteman sagen, dafi Felder Reflexionstheorien ent-wickeln. Bourdieu zufolge kann man sie daran zuerkennen, daS sie die Form einer internalistischenBeschreibung annehmen, die die Eigendynamik desFeldes nach dem Modell einer Selbstverwirklichungvon Ideen beschreibt (oder in der ermaSigten Ver-sion: als einen rational rekonstruierbaren Lernpro-ze6), also jede soziologisch ergiebige Sicht auf dasThema vermeidet. Es lohnt sich, diesen Punkt etwasausflihrlicher zu behandeln, da er es gestattet zuzeigen, wie aus dem allgemeinen Begriff des Feldesein soziologisches Forschungsprogramm werdenkann.

Stets skizziert Bourdieu die Umrisse dieses Pro-gramms durch eine Art von symmetrischer Kritik:an der internalistischen oder internen Beschreibung,also an der Selbstbeschreibung durch Reflexions-theorien, und an jenen Formen von externer Be-schreibung, die zusammen mit dem Uberbautheo-rem in Gebrauch kamen (am deutlichsten inBourdieu 1999; vgl. auch 1998c: 16ff.). Wahrenddie internalistische Beschreibung immerhin einenBegriff von der Autonomie ihres Feldes habe, wennauch keinen soziologischen, greife die externalisti-sche an der Autonomie des Feldes und damit an die-sem selber vorbei. Das Grundproblem der externa-listischen Beschreibung sieht Bourdieu darin, daf?sie das Handeln in den Feldern aus der Klassenlageder Handelnden oder ihres Publikums abzuleitenversucht. In einer solchen Beschreibung, die dannetwa von biirgerlicher Sozialwissenschaft oder vonbiirgerlicher Literatur redet, werde aber selbst beizutreffender Erfassung der Klassenlage verkannt,daf? es nicht diese Lage ist, sondern die davon unab-

kann, und nur ungern mochte man Bourdieu, der seinenBachelard gut kennt (exemplarisch Bourdieu et al. 1991),an dessen Einsicht erinnern, daG auch die Abkopplungvon der gesamtgesellschaftlichen Wertschatzung ihrerThemen ein Merkmal von autonomer Wissenschaft ist." Eine fiir Bourdieu mogliche Formulierung ware: Spon-tansoziologie. Aber dieser Ausdruck soil nach meinemEindruck eher das treffen, was man auch Alltagstheoriengenannt hat. Ihm fehlt also die Implikation, da(? es Rollengibt, die fiir Arbeit an Theorie freigestellt sind.^̂ Wie wenig mit solchen Korrelationen auszurichten ist,dafiir kann man im iibrigen auch Adorno (1962) zitieren.

hangige Lage innerhalb der feldspezifischen Sub-stratifkation, die das Interesse eines Wissen-schaftlers oder die Strategie eines Schriftstellersverstandlich macht. Die Alternative zur Klassen-theorie der Wissenschaftsgeschichte ist also nichteine Ideengeschichte ohne soziologische Beimen-gung, sondern die Analyse des Feldes selbst in einerSprache, die Differenzen der Positionen und der po-sitionsabhangigen Interessen in diesem zu ihremAusgangspunkt nimmt. Kurz gesagt: Die innerwis-senschaftliche, nicht die gesamtgesellschaftlicheStellung eines Wissenschaftlers ist die Grundlagedafiir, ihm Interessen zuzurechnen, aus denen mandie taktischen Komponenten seines Umganges mitIdeen erklaren kann. Die von der Selbstbeschrei-bung verleugnete Sphare von Interesse und Strate-gie kann nicht durch eine Klassentheorie erschlos-sen werden, sondern nur durch eine Theorie derfeldinternen Substratifikation.

Und nur diese Theorie soil dann auch in der Lagesein, die sozialstrukturellen Bedingungen fiir voileFeldautonomie aufzuklaren. Felder, deren Auto-nomie eingeschrankt ist, leiden namlich Bourdieuzufolge keineswegs daran, dal? es Oberschichtengibt, die diese Autonomie zu verhindern trachten,sie leiden vielmehr an der Immobilitat feldinternerEstablishments, die den Erfolg neuer, ,,haretischer"Ideen blockieren. Nicht ein Partikularismus derKlassen, der als gesamtgesellschaftliche Strukturauch in die Felder hineinreiche, die eben damit zueinem blo(?en Uberbau wiirden, sondern der Par-tikularismus der einmal durchgesetzten Schulen,Lehrmeinungen und Orthodoxien mache wissen-schaftliche Autonomie zum Problem. ^' Die Felderleiden also primar an sich selbst, nicht an der struk-turellen oder gar intentionalen Dominanz einerherrschenden Klasse.

Die Konsequenzen flir den Klassenbegriff, die sichaus dieser Theorie der Felder ergeben, sollen in denweiteren Abschnitten dieses Textes geklart werden.Zuvor fragen wir, diesen Teil unserer Uberlegungenabschliefend, nach den Konsequenzen, die sie furden Zuschnitt jener speziellen Soziologien hat, dieden verschiedenen Funktionsbereichen der moder-nen Gesellschaft entsprechen: Was folgt aus derTheorie der Felder flir Rechtssoziologie und Reli-gionssoziologie, flir politische Soziologie oder So-ziologie der Massenmedien?

Bleiben wir zunachst bei den Konsequenzen, dieBourdieu selbst zieht. Es ist leicht zu erkennen, daf?

^' In dieser Fassung ist das Thema der eingeschranktenAutonomie auch mit Systemtheorie kompatibel; vgl. Luh-mann 1970: 244f.

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das Uberbautheorem als Grundlage der speziellenSoziologien aufgegeben ist. Bourdieus Literaturso-ziologie ist eine unmiEverstandliche Kritik all des-sen, was Marxisten zu diesem Thema beisteuernkonnten, und seine politische Soziologie hebt an,indem sie sich von den Theorien des demokrati-schen Klassenkampfes verabschiedet: wichtiger alsdarliber nachzusinnen, welchen Klassen man dieParteipolitiker oder ihr jeweiliges Publikum zurech-nen kann, sei die Erage, von wem innerhalb des ei-genen Eeldes dieser bestimmte Politiker sich bevor-zugt unterscheide (Bourdieu 2001: 46f.).

Eine andere, minder triviale Konsequenz dlirftesein, daG dadurch auch die Soziologie der Wirt-schaft von der Erwartung entlastet wird, als Theo-rie der Gesamtgesellschaft iiberzeugen zu mljssen.Sie wird vielmehr zur Soziologie eines Feldes nebenanderen (vgl. Bourdieu et al. 1998). Ihre Sonderstel-lung im Werk Bourdieus ergibt sich daraus, da(? ersein eigenes Vokabular an dem der okonomischenTheorien geschult hat (Kieserling 2004c), nichtaber daraus, dal? die Wirtschaft als Feld unter Fel-dern eine schlechterdings unvergleichliche Positionhatte. So wie das okonomische Feld seine eigeneAutonomie nur erhalten kann, wenn seine Ausdiffe-renzierung gegeniiber jenen diffusen Anspruchenauf Solidaritat gelingt, die Bourdieu bevorzugt anden Familien erlautert (vgl. Bourdieu 1994: 176ff.),so meint die Autonomie aller anderen Felder, vonder Wirtschaft her gesehen, Autonomie auch ihr ge-geniiber. Mit dem Aberglauben der soziologischenLaien an die Weltregierung des Geldes hat der ana-lytische Okonomismus von Bourdieu nichts zuschaffen. Eine Reduktion von Gesellschaft aufWirtschaft findet nicht statt.^^

An die Stelle einer asymmetrischen Perspektive, dieeinfache Unterscheidungen wie Ursache und Wir-

^^ Haufig rechnet Bourdieu diese Reduktion dem zu, waser Utilitarismus nennt. Der Theorie rationaler Wahlhand-lungen, die er damit zu treffen wahnt, kann man derglei-chen aber nun wirklich nicht nachsagen. DaG die rollen-spezifischen Interessen der Politiker auf Wahlerstimmenund Parlamentssitze gehen, und nicht etwa auf Geldzah-lungen unmittelbar, dariiber muG man einen AnthonyDowns (1957) nicht belehren. Die Wahl eines unpassen-den Gegners zeigt an, daG Bourdieu den passenden Geg-ner, der Marx heiGt, formulierungspolitisch zu schonengedenkt. Es versteht sich, da(? die Interpretation seinesWerkes sich mit solchen Kulissen nicht aufhalten darf. Imiibrigen kennt seine Gegnerschaft gegen den Utilitarismusauch bessere Argumente: die hegriffliche Oberanstrengungdes BewuGtseins von Akteuren ist eines von ihnen, die In-differenz gegeniiber den Reflexionstheorien der Felder, derkulturellen zumal, ist das andere.

kung oder Basis und Uberbau auf die Funktionssys-teme projiziert mit dem Ergebnis, daG man Einrich-tungen der Basis mit denen des Uberbaus schonnicht mehr direkt vergleichen kann, tritt bei Bour-dieu eine symmetrische Perspektive, die sich,ahnlich wie bei Luhmann, gerade von der Ver-gleichbarkeit des Heterogenen faszinieren laGt. Be-sonderheiten einzelner Felder konnen durch diesenVergleich gerade darum besonders gut aufgeklartwerden, weil er die Uberschatzung der Besonder-heit, den NarziEmus der Selbstbeschreibung ver-meidet. Die Nahe zu Luhmann ist, iiber alle Diffe-renzen der Begriffe hinweg, auffallig.

3. Das Nichtfeld Erziehung

Bisher haben wir gesagt, daG Bourdieu unter Begrif-fen fiir Felder und feldspezifische Habitusformatio-nen einen DifferenzierungsprozeG rekonstruiert,der kompakte Zusammenhange zwischen Schich-tung und Arbeitsteilung aufgelost hat. Das AusmaG,in dem Klassenstrukturen in die tragenden Prozesseder gesellschaftlichen Reproduktion hineinreichen,wird dadurch erheblich relativiert. Die Vorstellung,die Autonomie der Felder sei ein gesellschaftlichnotwendiger Schein, der am Ende nur dazu diene,ihren Klassencharakter zu verbergen, ist aufgege-ben. Es versteht sich, daG dies eine Aufwertung vonfunktionaler Differenzierung ergibt, verbunden miteiner entsprechenden Abwertung der dann nochverbleibenden Klassenstrukturen. Dieser Relativie-rungsbefund war nicht schwer zu gewinnen. Ehewir uns im nachsten Abschnitt nach seinen Riick-wirkungen auf den Klassenbegriff erkundigen, miis-sen wir ihn jedoch seinerseits relativieren, und zwarmit Hinblick auf das, was Bourdieu iiber Schulenund Hochschulen sagt.

Seine Soziologie der Erziehung ist namlich als Bei-trag zum Thema der sozialen Ungleichheit undihrer Reproduktion angelegt, nicht aber als Soziolo-gie eines autonom gewordenen Feldes. Die spezi-fisch padagogischen Strukturen interessieren ihnnur insofern, als man ihnen Beitrage zur Reproduk-tion ungleicher Verteilungen zurechnen kann, unddas dominierende Interesse zielt auf die Mitwir-kung der Schulen und Hochschulen am ProzeG dersozialen Vererbung. DaG es jene Beitrage und dieseMitwirkung gibt, diirfte unter Soziologen unstrittigsein; die Frage ist nur, wie man sie interpretiert. FiirBourdieu sind sie ein ausreichender Beleg dafiir,daG die Autonomie des Erziehungssystems in derTat nur einen scheinhaften Status hat. MangelndeAusdifferenzierung und fehlende Autonomie der Er-

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ziehung sollen erklaren, wie es zum objektivenBijndnis von Schule und Schichtung Iiberhauptkommt. Ich erlautere die Grundzuge seiner Argu-mentation durch eine knappe Paraphrase jener Un-tersuchungen, die sich, nach dem Buchtitei ihrerdeutschen Ubersetzung, mit der ,,Illusion der Chan-cengleichheit" befassen (Bourdieu/Passeron 1971).

Ihr Thema sind die geisteswissenschaftiichen, nichtdie natur- oder formaiwissenschaftlichen Facher.Das geisteswissenschaftiiche Curriculum sei nichtpadagogisch autonom seligiert, sondern decke sichmit dem Bildungskanon der hoheren Schichten. Da-rin liege immerhin das inklusive Potential, diesenKanon auch anderen Schichten zuganglich zu ma-chen.'^-' Diese Moglichkeit werde indessen ver-schenkt, da die Didaktik des Unterrichts das, wassie ihren Adressaten beibringen mu(?te, in diesenstets schon voraussetze. Das ergebe eine strukturel-le Bevorzugung derjenigen, auf die diese Vorausset-zung empirisch auch zutrifft. Die klassenspezifischungieiche Sozialisation, die auf einen angemessenenUmgang mit den zweckfreien Erzeugnissen derHochkultur in ungleichem Ma(? vorbereite, werdeim Erziehungssystem nicht etwa ausgeglichen, sowie seine Ideoiogie es in Aussicht stellt, sondernverstarkt. Bourdieu verwendet eine Unterschei-dung, die er der politischen Soziologie Max Webersentnimmt, um drei didaktische Stile zu konstruie-ren: den traditionalen, den charismatischen, den ra-tionalen. Die ersten beiden Stile seien die vorherr-schenden. Ihr gemeinsames Merkmal sei, da(? sieiiber Kunst und Literatur so reden, wie es in derOberschichteninteraktion ubiich ist: also geradenicht padagogisch, sondern die entsprechende Einge-stimmtheit des Partners schlicht unterstellend. Bour-dieu entwirft demgegenuber die Konturen einer ra-tionalen Didaktik, die durch einen sehr viel hoherenExplikationsgrad ihrer Pramissen das sozial Exklusi-ve der bisherigen Praxis zu iiberwinden vermochte.

Auf eine inhaltliche Diskussion dieser Erziehungs-soziologie kann ich mich an dieser Steiie nicht ein-

^' Fiir die hier versuchte Interpretation hat

" Eine Substitution der literarisch und philosophisch an-spruchsvollen Texte durch Werbetexte oder durch politi-sche Reden, so wie sie Bildungspolitikern der Studenten-bewegung vorschwebte, lehnt Bourdieu darum ab. Siewurde das Bildungsmonopol der hoheren Schichten nurverewigen.

'̂' Zu diskutieren ware inshesondere, oh Bourdieu nichtden Schulen zu viel, den Familien dagegen zu wenig zu-rechnet. Um diesen Punkt als Frage zu formulieren: Miifitenicht auch eine Schule, die seinen Kriterien von padagogi-scher Autonomie entspricht, an Vorgahen familialer Sozia-lisation anschlieSen, die auch dann noch ungleich verteilt

sie zwei Bedeutungen, die beide nicht davon abhan-gen, ob man ihr folgen will. Einerseits schrankt sie,wie schon gesagt, unsere These ein, der Gesell-schaftstheoretiker Bourdieu habe das Oberbautheo-rem aufgegeben. Auf den Erziehungssoziologentrifft diese These nicht zu. Die Schulen und Hoch-schulen behandelt er vielmehr genau so, wie man esvon einem Autor erwarten wiirde, der den Primatvon Schichtung vor Arbeitsteilung fiir eine aus-gemachte Sache halt. Das gilt in verschiedenenHinsichten: Der Anspruch auf padagogische Auto-nomie, auch den schichtmaEigen Vorgaben gegen-liber, wird ideologiekritisch entzaubert, und derletzte Sinn der padagogischen Praxis wird in ihrenBeitragen zur Reproduktion der Klassenstruktur ge-sehen. Die klassenma(?ige Zusammensetzung desprofessionellen Personals gilt hier nicht als irrele-vantes Datum, denn das Fehlen einer rationalen Di-daktik fiihre dazu, dafi es den Lehrern nicht mog-lich sei, die Differenz zwischen soichen Schulern,mit denen sie die soziale Klasse teilen, und den an-deren, bei denen das nicht der Fall ist, universalis-tisch zu iiberspieien.

Andererseits bestatigt die Soziologie der Erziehung,so wie Bourdieu sie betreibt, die Grundlinie derhier vorgeschlagenen Interpretation seiner Gesell-schaftstheorie. Denn immerhin verzicbtet er darauf,den eigentlich naheliegenden Begriff eines padago-gischen Feldes zu bilden. Das ist nach meinem Ver-standnis keine bloK terminologische Unebenheit,sondern getreuer Ausdruck davon, da(? er den Klas-sencharakter der Erziehung so stark betont, daS fiirihren etwaigen Feldcharakter kein logischer Ortbleibt. Die Alternative: entweder Feldcharakteroder Klassencharakter, von der wir uns Ieiten las-sen, bleibt also auch in diesem Anwendungsbereichseiner Theorie durchaus intakt.

In der bisherigen Rezeption von Bourdieu hat seineSoziologie der Erziehung mehr Aufmerksamkeit ge-funden als das, was er zu Literatur oder Poiitik, Re-ligion oder Okonomie sagt. Diese Schwerpunkt-wahl ist verstandiich, da Bourdieu uber Erziehungauch mehr geschrieben hat als iiber jene Felder.Aber sie ist auch irrefiihrend, da sie sich von demSonderstatus keine Rechenschaft gibt, der der Er-ziehungssoziologie im Werk von Bourdieu zu-

waren? Eine positive Antwort auf diese Frage wurde he-deuten, daE auch eine padagogisch autonom gewordeneErziehung keine voile Neutralisierung von Schichtung leis-tet. Padagogische Autonomie und soziale Reproduktionwaren dann aher, anders als Bourdieu es sich vorstellt, kei-neswegs inkompatihel (so die These hei Luhmann/Schorr1979h: 233ff., Luhmann/Schorr 1979a).

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kommt. Der einzige Fall eines Nichtfeldes wird sobehandelt, als ware er der paradigmatische Fall die-ser Theorie. Daraus ergibt sich eine Fehleinschat-zung ihres gesamten Aufbaus. Alles sieht dannnamlich so aus, als ware das Uberbautheorem auchbei Bourdieu noch intakt. Dafi dem nicht so ist, unddafi folglich auch der Begriff der Klassengesell-schaft in Bourdieu keine konsistente Unterstutzungmehr findet, haben wir im vorangegangenen Ab-schnitt gezeigt. Der nachste Abschnitt soil vorfiih-ren, wie davon auch der Klassenbegriff selber be-troffen ist.

4. Zur Theorie der Klassen

Die beiden Grundbegriffe der hier zu interpretieren-den Gesellschaftstheorie, der fiir Klassen und derfiir Felder, beziehen sich nicht auf iiberschneidungs-frei definierte Personengruppen oder Akteurskate-gorien. Vielmehr kommen die weitaus meisten Per-sonen auf dem Bildschirm von Bourdieu zweimalvor: zum einen innerhalb dieser oder jener Klasse,zum anderen innerhalb dieses oder jenes Feldes.Nimmt man weiter an, dafi die Logik der Felderund die Logik der Klassen wechselseitig inkonsis-tente Anforderungen stellen, dann steht man vor ei-nem Spannungspotential, von dem man wissenmochte, in welche Richtung es aufgelost wird. AlsHandlungstheoretiker miifite Bourdieu also sagenkonnen, woran seine Doppelmitglieder der Felderund der Klassen sich orientieren.

Das Schema seiner Antwort ist die Unterscheidungvon Klassen und Feldern selbst. Als Klassenmitglie-der zeigen seine Akteure sich an der (wie immer be-wufitlosen) Selbstaufwertung ihrer partikularenGruppe interessiert. Als Spezialisten der Felder be-treiben dieselben Leute dagegen eine Praxis, die ih-rer Stellung innerhalb des Feldes und also geradenicht ihrer Klassenlage entspricht. Mit einem Be-griff, den Bourdieu nicht verwendet, konnte mansagen, daG die sozialen RoUen in den Feldern sokonstruiert sind, dafi die Neutralisierung von Klas-seninteressen zur Erfolgsbedingung wird.

^̂ In der Theorie driickt sich diese Freigabe des Handelnsfiir klassenunspezifische Konditionierung auch darin aus,daS Bourdieu den Begriff, der bei ihm die Interpenetrationzwischen Gesellschaft und Individuum treffen soil, nam-lich den Habitusbegriff, doppelt verwendet. Neben dieklassenspezifische Verwendung dieses Begriffs, die besserausgearbeitet ist und darum auch in der bisherigen Rezep-tion iiberwiegt, tritt eine feldspezifische Verwendung, derAusarbeitungen fehlen. Immerhin kann man die Funktiondieser Spaltung erkennen: Sie soil sicherstellen, dal? die

Die Theorie der Felder schliefit den Befund ein, dafivon einer diffusen Determination des Gesamtverhal-tens einer Person durch ihre Klassenlage nicht langerdie Rede sein kann. Wie immer man diese Lage be-stimme: das Verhalten in den Feldern folgt keinerklassenspezifischen, sondern einer feldspezifischenKonditionierung.^*" Die Theorie der autonom gewor-denen Felder depotenziert den Klassenbegriff, indemsie den Bereich dessen, was sich mit seiner Hilfe soilaufklaren lassen, gleichsam zusammenzieht. Um zubestimmen, was nach dieser Kontraktion davon iib-rig bleibt, mufi man sich nochmals die eigentijmlicheSpannweite des Feldbegriffs klarmachen. Auf Hand-lungen bezogen, diirfte er grofie Teile dessen ein-schliefien, was iiber Berufsrollen geordnet ist. Wasder Feldbegriff nicht einschliefit, ist dagegen das Pri-vatleben der Rollentrager. Von ihm zu sagen, es seiundurchsichtig beziiglich der Klassenlage derjenigen,die es fiihren, ware wenig plausibel. So viel laGt sichausmachen, ohne in einem technisch genauen Sinneiiber die Klassentheorie von Bourdieu zu reden. Diefolgenden Uberlegungen sollen nun zeigen, dafiBourdieu einen Klassenbegriff wahlt, der auf dieseDepotenzierung seines Sachkorrelats durch die Fel-dertheorie eingestellt ist.^''

Einheit der Handlungstheorie erhalten bleibt, wenn manvon Klassen zu Feldern iibergeht.^^ So auch der unmiSverstandliche Tenor einer Ideologie-kritik, die Bourdieu an der klassentheoretischen Spontan-soziologie der Studentenbewegung iibt: Unter deren Re-prasentanten sei es iiblich gewesen, dem Gesprachspartnermit der Frage nach seinem Standort in der Gesellschaft zukommen; aber statt von der Stellung der Beteiligten inner-halb des akademischen Feldes sei dann immer nur von ih-rer Klassenlage die Rede gewesen: ,,Zu proklamieren: Ichbin ein bUrgerlicher Intellektueller!, wie das Sartre gernegetan hat, hat wenig oder gar keine Folgen. Aber wenn ichsage: Ich bin ein Assistent aus Grenoble, der mit einem Pa-riser Professor spricht, dann zwingt mich das, mir die Fra-ge zu stellen, wieviel (...) Wahrheit iiber diese Beziehungin dem steckt, was ich das sage" (BourdieuAJCacquant1996: 229f.). Die dauernden Exhibitionen der eigenenKlassenlage hatten demgegeniiber nur ,,die Rolle von Ab-wehrpanzern im Freudschen Sinne" gespielt.^'' Im Hinblick auf dieses begrenzte Argumentationszielscheint es mir vertretbar, die Frage unerortert zu lassen,ob Bourdieu bei seinen Klassen wirklich nur an sozialeKategorien denkt, so wie er selbst es versichert, oder ob ernicht doch Gruppen oder andere Arten von sozialen Syste-men vor Augen hat, die keineswegs nur auf dem Papierstehen. Behandeln mochte ich lediglich die Frage nach derZusammensetzung der Klassen sowie nach der Erkla-rungsleistung, die ihrem Begriff zugetraut wird. Wennoben im Text von Klassen als von ,,Gruppen" die Rede ist,dann also ohne die Implikation, es handele sich nach derAuffassung von Bourdieu um soziale Systeme.

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Wir hatten weiter oben notiert, dal? der Begrifffunktionaler Differenzierung den Klassenbegriff un-ter Anpassungszwang setzt. Das gilt auch in demSinne, da(? eine funktional differenzierte Gesell-schaft in jedem ihrer Teilsysteme eigene Aufstiegs-wege institutionalisiert und eigene Kategorienstatusrelevanter Gratifikationen verteilt. Jedes ein-zelne Kriterium zur Bestimmung von Klassenlageoder Sozialstatus wird damit erganzungsbediirftig.Man kann die Leute nicht nur nach Mafigabe ihrerokonomischen Stellung klassifizieren (oder klassifi-ziert sehen), wenn sicher ist, da6 es aufierdem auchnoch auf Bildungserfolge ankommt, und man kannauch nicht ausschliefilich auf den einmal erreichtenBildungsgrad achten, wenn jede empirische Unter-suchung zeigt, da6 der Zugang zu Personalverant-wortung und Organisationsmacht nicht allein da-von, sondern auch noch von anderen Faktorenabhangig ist. Reinhard Bendix (1974) hat erstmalsvorgeschlagen, die Praferenz fiir einen mehrdimen-sionalen Klassenbegriff auf funktionale bzw. auf ge-sellschaftlich-organisatorische Differenzierung zu-riickzufiihren, und auch Bourdieu (2004: 321)fiihrt, wenn ich ihn richtig interpretiere, den mehr-dimensionalen Klassenbegriff, den er selber vertritt,darauf zuriick, daS es verschiedene Felder und ver-schiedene Kapitalsorten gibt.

Man kann aber einen Begriff, gleichviel welchen,nicht mehrdimensional bilden, ohne in bekannteVergleichsprobleme zu geraten. Auch der mehr-dimensionale Klassenbegriff von Bourdieu laf$t dieVorstellung gleicher Klassenlagen zum Problemwerden: Was konnten Vorstandsvorsitzende mitPhilosophieprofessoren gemein haben, wenn es we-der das typische Maf? ihrer Bildung noch dasjenigeihres Besitzes ist? Oder selbstandige Handwerker,die nicht streiken wollen, mit verbeamteten Leh-rern, die nicht streiken diirfen? Oder diese beidenmit Angestellten, die es sehr wohl diirfen.'

Das Homogene an solchen Klassen ist Bourdieu zu-folge ihr Lebensstil. Folgt man dem dafiir ent-wickelten Begriff der Distinktion, dann praktizierendie Mitglieder einer Klasse ein Muster der Lebens-fiihrung, das nach innen wie nach au6en hin konsis-tent organisiert ist: nach innen, indem es vom be-vorzugten Mittagessen bis zur Typik der kulturellenInteressen reicht; und nach auEen, indem jede ein-zelne dieser stilistischen Optionen einem Schemavon Abgrenzung und latenter Gegnerschaft folgt,das die eigene Klasse von anderen distanziert (Bour-dieu 1970, 1987, Bourdieu et al. 1981). Diese ex-pressive Einheit des Lebensstils wird von Bourdieufreilich nicht zur Definition seiner Klassen verwen-det. Es ist nicht seine Absicht, bloEe Erlebnis-

gemeinschaften zu identifizieren, deren Mitgliederam Ende nichts weiter miteinander gemein hattenals einen Satz von asthetischen Praferenzen, iiberdessen Funktion und Genese sich soziologischnichts weiter sagen lieEe, und in der Tat haben jaKategorien wie ,Wagnerh6rer' oder ,Schlagerfan'unter den Grundbegriffen einer Gesellschaftstheorienichts zu suchen. Vielmehr flihrt er Struktur und so-ziale Verteilung dieser Praferenzen als abhangigeVariable ein, um zeigen zu konnen, dafi die Gleich-heit des asthetischen Erlebens nur ein subjektivesDatum ist, das seinen letzten Grund in der objekti-ven Gleichheit der Klassenlage hat.

Damit aber kehrt die Frage nur wieder, inwieferndie Lage von Personen, die in mehr als nur einer Di-mension verglichen werden, iiberhaupt gleich seinkann, ausgenommen natiirlich jene Falle der glei-chen Einstufung mehrerer Personen in mehrerenDimensionen, die aber fiir Bourdieu kein Paradig-ma sein kann, da mindestens seine mittleren undoberen Schichten iiber einem doppelten, wenn auchinversen Gefalle an Bildung und an Besitz konstru-iert werden miissen. Professionellen Lesern soziolo-gischer Texte mufi man nicht lange erklaren, wieBourdieu dieses Problem zu losen versucht: Nichtnur dem okonomischen Kapital, sondern auch demkulturellen Kapital wird etwas wie Quantifizierbar-keit unterstellt, und zwar Quantifizierbarkeit nachdemselben Ma6. Beide Komponenten in der Res-sourcenausstattung einer Person werden als kom-mensurabel behandelt, und es soil moglich sein, sienach bestimmten Proportionen fiireinander zu sub-stituieren. Das heil?t nicht nur, dal? hohe Werte inder einen Dimension niedrige in der anderen kom-pensieren konnen. Es heifit auch, dag es trotz derpluralen, namlich mindestens zweidimensionalenKonstitution jeder sozialen Lage moglich wird,samtliche dieser Lagen auf einer einzigen Dimen-sion zu vergleichen und dementsprechend eindeuti-ge Ergebnisse zu erzielen. Im Vertrauen darauf haltBourdieu es fiir moglich, lediglich das gleiche Volu-men des Gesamtkapitals zum Kriterium gleicherKlassenlagen zu machen und Differenzen in derokonomisch-kulturellen Zusammensetzung diesesVolumens nur bei der Bestimmung von Klassen-fraktionen zu wiirdigen. Problemtitel wie Mehr-dimensionalitat oder Statusinkonsistenz werdendurch diesen Handstreich zum Verschwinden ge-bracht.

Kritiker haben daran moniert, es gebe keine be-kannte Mafieinheit, die es gestatten wiirde, die Kla-vierausziige und Schopenhauerlektiiren des einengegen die Villen und Jachten des anderen auf-zurechnen, und daher sei dies ein ziemlich gewagtes

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Rechenexempel, das Apfel mit Schreibmaschinenmultipliziert. In diesem Sinne hat sich Jon Elster ge-au(?ert, und auch andere Kritiker haben an dieserStelle so etwas wie die Erschleichung von Kommen-surabilitat geriigt (Elster 1981; ahnlich Brubaker1985: 769, Calhoun 1993: 76f.). Wenn diese Kritikin der Auseinandersetzung mit Bourdieu nichtdurchdrang, dann sicher auch darum, weil die Zu-sammensetzung der Klassen, zu denen er auf dieseWeise gelangt, keineswegs ungewohnlich ist. Wieoft bemerkt wurde, entspricht sie prazise dem, wasman erwarten wiirde, sobald iiberhaupt von sozia-len statt von okonomischen Klassen die Rede ist.Nur zur Erinnerung: soziale Klassen sind Gruppen(oder in schwacherer Formulierung: Mengen) vonStatusgleichen, deren Mitglieder einander bevor-zugen, wo immer es um die Selektion von Interak-tionspartnern geht. Die Funktion dieser Gleichheitliegt demnach darin, mogliche gegen unmoglicheInteraktionspartner zu differenzieren, und dasreicht dann von der Geselligkeit bis zur Gattenwahl(vgl. etwa Parsons 1964). Aufgrund dieser Konsti-tutionsweise sind soziale Klassen durch eine infor-male Kommunikationsbereitschaft charakterisiert,die ihre Mitglieder nur miteinander teilen, wahrendsie nach auEen hin exklusiv wirkt. Das begiinstigteinen klassenspezifischen Kommunikationsstil, derauch iiber ortsgebundene Interaktionskontexte hi-naus erwartbar sein mag und damit Ortswechsel in-nerhalb derselben Klasse erleichtert. Als Symboledieses Interaktionsstils kommen natiirlich auch an-dere Komponenten der Lebensfiihrung in Betracht,die mehr fiir Wahrnehmung als fiir Kommunikationzahlen. Zusammengenommen mogen sie sich zurexpressiven Einheit eines klassenspezifischen Le-bensstils verdichten.

Schon die altere Soziologie hatte an diesen Klassen- oder nach der Terminologie Max Webers: an die-sen Standen - die Relevanz mehrerer Vergleichs-dimensionen sowie das Inkonsistentwerden iso-lierter Gradationen beim Dimensionenvergleichkonstatiert. Aber sie hatte die Losung des darin ge-legenen Aggregationsproblems den Beteiligtenselbst zugerechnet: gleicher Sozialstatus verdankesich niemals nur den objektivierbaren Verteilungen,sondern immer auch einer Urteilspraxis der jeweili-gen Statusgruppe, die sich iiber fehlende oder in-konsistente Informationen gegebenenfalls einfachhinwegsetze - und in alien Eallen objektiv mehrdeu-tiger Zuordnung nur so iiberhaupt moglich sei.̂ *

Zusammenhange mit objektivierbaren Verteilungenmiissen auch bei dieser Fassung des Konzepts nichtbestritten werden, konnen aber sachlich nur nochin grober Entsprechung und zeitlich nur mit erheb-licher Verzogerung erwartet werden.Fiir Bourdieu ist diese Option kein gangbarer Weg.Seine objektivistische Konzeption von Sozialwissen-schaft untersagt es ihm namlich, sich bei der Defini-tion seiner eigenen Begriffe auf die Teilnehmerper-spektive einzulassen und dann etwa Werturteile zuzitieren, die er im Gegenstandsbereich vorfindet.Vielmehr soil alles Subjektive und alles Intersubjek-tive aus einer Objektivitat erklart werden, fiir dieimmer erneut reklamiert wird, daf? sie unabhangigvon Willen und Bewufitsein der Beteiligten in ihnensich durchsetze und darum auch an ihnen studiertwerden konne. Bezogen auf den Begriff der sozialenKlasse heiSt dies, daE die spezifisch soziale Gleich-heit (in gesellschaftlichem Status, Interaktionschan-ce und Lebensstil) nur zwischen solchen Personenbestehen darf, die auch objektiv gleichgestellt sind.Wenn es aber zutrifft, daf? die Konstruktion eineszugleich gemeinsamen und objektiven Mai?es fiirinhomogene Kapitalsorten, die diese Gleichstellungnachweisen soil, problematisch bleibt, dann entfalltdieser Abgrenzungspunkt gegeniiber der alteren So-ziologie der sozialen Klasse.

Da6 auch Bourdieu selbst dieses Problem sieht, da-von zeugt seine freilich nur wenig elaborierte Kon-zeption eines Feldes der Macht (z. B. Bourdieu2004), das auch in anderen Hinsichten als Endlageroffener Theorieprobleme fungiert. Die Kampfe indiesem Feld seien nicht solche um die Verteilungspezifischer Kapitalsorten. Gestritten werde viel-mehr um eben jene Proportion, nach der Erwerbein der einen Dimension Nichterwerbe in einer ande-ren kompensieren konnen. Hier stehe der gesamt-gesellschaftliche Wechselkurs von Variablen wieBildung oder Besitz auf dem Spiel. Die als Basis fiirObjektivierungen unterstellte Kommensurabilitatder verschiedenen Kapitalsorten ist demnach ihrer-seits abhangig vom Ausgang eines immer erneutauszutragenden Konfliktes. Von diesem Konflikt-ausgang la(?t sich aber auch ohne jede genauereAnalyse sagen, da(? er objektiv unterdeterminiert istund sein muE, da er ja seinerseits erst konstituiert,was jede Objektivierung voraussetzten mu6: dieMoglichkeit eindimensionaler Vergleiche trotzMehrdimensionalitat des Verglichenen. Ob das einegrundsatzliche Alternative zum Einbau von rezi-

*̂ Als klarstes Zeugnis dieser Auffassung kann man Sta-nislaw Ossowski (1962: 73ff.) zitieren. Fiir ihn folgt ausder Mehrdimensionalitat der Kriterien eine Art von objek-

tiver Unentscheidbarkeit und aus dieser wiederum, da($ al-le Urteile ijber gleiche bzw. ungleiche Klassenlagen etwasnotwendig Subjektives haben.

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pierten Wertungen in das Konzept der sozialenKlasse ist, scheint mir zweifelhaft. Die Distanz zurTradition dieses Begriffs ist jedenfalls weniger grog,als Bourdieu es suggeriert.

Meine These lautet denn auch, dal? Bourdieu sichvom Begriff der sozialen Klasse eigentlich nur durchjenen Objektivismus unterscheidet, den ihm dieKritiker nicht abnehmen. Intuitiv orientiert auch ersich an dem, was schon den alteren Verwendungendes Begriffs der sozialen Klasse vor Augen stand: anStrukturen selektiver Assoziation, an faktischenGrenzen der Kontaktbereitschaft, am Exklusions-gehalt von Verkehrskreisen. Von denen, die unterdiesem Aspekt gleich sind, wird sodann mehr be-hauptet als wirklich gezeigt, sie seien es auch unterdem ihres Gesamtkapitals. Und dal? diese Behaup-tung trotz der Gewagtheit bzw. Umstrittenheit ihrerBerechnungsgrundlagen gleichwohl iiberzeugt, zeigtihre Ubereinstimmung mit sozialer Plausibilitat an.Wir hatten bereits angedeutet, dal? Bourdieus Eeld-begriff den offentlichen, den durch Berufsrollen ok-kupierten Raum in einem solchen Maf? fiillt, dal?fiir den Klassenbegriff eigentlich nur das Privatle-ben der Akteure verbleibt. Dieser Feststellung kon-nen wir nun hinzufiigen, da(? dem bei Bourdieunicht nur die Wahl seines Klassenbegriffs, sondernauch dessen bevorzugte Verwendung entspricht.Machen wir uns dies zunachst fiir die Wahl desKlassenbegriffs klar.

Die Klassenbegriffe der Tradition unterscheidensich ja sehr deutlich danach, ob sie mehr auf dasPrivatleben der Personen oder mehr auf deren Auf-tritte in offentlichen Rollen oder Amtern sich rich-ten. So meint, wer von okonomischen Klassenspricht, normalerweise nicht das Konsumverhaltender ihnen zugerechneten Personen, sondern die Ty-pik ihrer Mitwirkung an Produktion, auch wennnaturlich bekannt ist und unbestritten bleibt, daf?davon in einer gewissen Hinsicht, namlich ihremquantitativen Umfange nach, auch die Konsum-chancen abhangen. Entsprechend hatte Marx anden Kapitalisten nur die Agenten eines okonomi-schen Sachzwanges zu treffen versucht und sich mitder Frage nach dem Privatleben dieser Charakter-masken und ihres Anhanges nicht lange aufgehal-

Mit dieser Konzentration auf Rollen und Amterhangt ein zweites Merkmal dieser Klassenbegriffezusammen: Sie tendieren dazu, nur die Funktions-trager, aber nicht auch deren Familien zu ,,klassi-fizieren". Sie halten also, um eine bekannte Me-tapher von Schumpeter zu zitieren, der dieserBegriffsversion mit einigem Recht widersprach,Individuen und nicht etwa Familien fiir die ,,Ato-me" einer sozialen Klasse. Die Liste der hier mogli-chen Belege reicht von spatmarxistischen Auskiinf-ten iiber die Klassenlosigkeit nicht erwerbstatigerEhefrauen bis zur oft geriigten Familienindifferenzder strukturfunktionalistischen Schichtungstheorie(Davis/Moore 1945), die ihr den Zugang zum The-ma der sozialen Vererbung verstellte - und damitdann auch, einer treffenden Kritik Walter Buckleys(1958) zufolge, den Zugang zu ihrem eigenen The-ma: Schichtung schlechthin.

Im Unterschied dazu setzt der Begriff der sozialenKlasse immer auch am Privatleben der von ihm er-faf?ten Personen an, so daf? die Familien hier wievon selbst in den Blick treten. Der Grund fiir diesenZug des Begriffs ins Private ist leicht zu erkennen:Die Muster der selektiven Assoziation, die er meint,konnen in der modernen Gesellschaft nur aufer-halb der Berufsrollen, also wenn man so will, nurnach Feierabend iiberhaupt praktiziert werden. Inden Stunden davor folgt die Wahl von Interaktions-partnern wie von Bezugsgruppen den Imperativender verschiedenen Funktionssysteme, die in jedemFalle sozial inklusiv strukturiert sind und darumpartikularistische Gesichtspunkte der Partnerselek-tion in keinem Falle ermutigen. So ist die Bezugs-gruppe eines Politikers ein Publikum von Wahlern,das keineswegs nur aus seinesgleichen besteht, undin seinem Wahlkreis werden ihm nach derselbenLogik auch Interaktionspartner zugewiesen, die ersich bei freier Kontaktwahl womoglich nicht aus-gesucht hatte.^°

Dieser Zug ins Private bleibt der sozialen Klasseauch dann erhalten, wenn man auf das KriteriumLebensstil abstellt. Denn auch dessen Requisitendurchlaufen Latenzphasen der sozialen Unsichtbar-keit, solange die Personen durch Organisationenoder durch Professionen beansprucht werden.Kleidung, die als Selbstdarstellung statt als Rollen-merkmal wahrgenommen wird, ist in vielen Berufs-gruppen nicht zugelassen, und auch die konzen-

^' Auch der in der Politikwissenschaft iibliche Begriff derElite meint in erster Linie die Spitzenfunktionare der ver-schiedenen Teilsysteme, sofern sie sich als solche verhal-ten, und also gerade nicht deren Privatlehen.

•"' Fiir andere Gruppen von Funktionaren gilt Ahnliches:,,A doctor, for instance, may treat all his patients withequal care, regardless of social position, without invitingthem all indiscriminately to dinner" (Marshall 1963-187).

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trierte Befassung mit Kunst und Literatur laKt sichim Berufsalltag nicht (oder wenn doch: bei gesicher-ter Abwesenheit von Zuschauern) unterbringen.Der Begriff der sozialen Klasse bietet also den Vor-teil, genau jenen Aspekt an der Lebensfiihrung vonPersonen zu treffen, der vom Zugriff der Felder undihrer Logik ausgenommen bleibt. Insofern respek-tiert Bourdieu mit der Wahl dieses Begriffs, auchwenn er ihn objektivistischer versteht, als es Iiblichist, diejenigen Limitationen, die sich aus der Theo-rie der Felder ergeben.

Was nun die Verwendung dieses Klassenbegriffs be-trifft, so mul? auffallen, da(? Bourdieu gar nicht erstden Versuch macht, ihm eine Erklarungsleistungabzuverlangen, die (iber das Privatleben hinaus-und in die Felder hineinreicht. Er verwendet ihnstattdessen, um nachzuweisen, daf? es mehrdimen-sional generalisierte Konsumpraferenzen gibt, dienicht etwa zufallig in der Gesellschaft verteilt sind,sondern mit Unterschieden in den Hierarchien vonBildung und Besitz korrelieren. Die wissenschaftli-che Leistung, die in dieser klassentheoretischenAufklarung des Privatlebens liegt, soil hier nicht un-terschatzt werden. Selbstverstandlich sind die ,,Fei-nen Unterschiede" nicht nur ein erstrangiger Bei-trag zum Thema der sozialen Ungleichheit; siedemonstrieren auch die wissenschaftliche Frucht-barkeit des Begriffs der sozialen Klasse. Die Frageist nur, welche weiteren Leistungen dieser Begriff,eingebaut in diese Theorie, sonst noch erbringenkonnte.

Folgt man der hier vorgeschlagenen Interpretation,dann ware es jedenfalls nicht richtig zu sagen, Bour-dieu habe an den expressiven Mustern des privatenLebens einen blo(?en Anwendungsfall seiner Klas-sentheorie gefunden. Die lmplikation, es gebe dane-ben auch ganz andere, wiirde zu seiner Theorie derFelder nicht passen. Vielmehr mu(? der Klassen-begriff ins Private und Inoffizielle abgeschoben wer-den, wenn zugleich auch ein Feldbegriff im Angebotist, der alles Offentliche und alles Offizielle unterdie Generalthese einer klassenspezifischen Indeter-mination bringt. Die Autonomie der Felder relati-viert eben das, was mit dem Klassenbegriff dannnoch erklart werden kann. Oder in anderer Formu-lierung: funktionale Differenzierung fuhrt im Ma(?eihrer Realisation dazu, da($ Klassendifferenzen ne-ben den Funktionssystemen zu beachten und zu be-obachten sind, aber gerade nicht in ihnen.^'

5. Immer noch ,,herrschende Klasse"?

Allein mit der Festlegung auf soziale Klassen - stattauf okonomische - wird die fiir uns relevante Fragenicht vorentschieden. LaSt man namlich die Theo-rie der Felder einmal beiseite, dann konnten auchsoziale Klassen als starke Klassen konzipiert sein.So zum Beispiel, wenn angenommen wird, dafi diepartikularistische Loyalitat gegeniiber den Mitglie-dern der eigenen Klasse so weit reicht, da(? von ei-ner universalistischen Handhabung der eigenen Be-rufsroUe nicht langer die Rede sein kann. DieserFall ware zum Beispiel gegeben, wenn sich zeigenliefie, dal? ranghohe Richter in Fragen des Arbeits-rechts konsistent zugunsten von Arbeitgeberinteres-sen entscheiden. Der Verdacht, daG sie sich dabeian der Bezugsgruppe ihrer eigenen Klasse orientie-ren, lage dann auf der Hand. Eine Orientierung anden universalistischen Regeln ihrer eigenen Profes-sion wiirde eine andere, eine komplexere Typik vonEntscheidungen nahelegen. Das Gebot, Klientenohne Ansehen der Person zu behandeln, kann nurdann erfiillt werden, wenn eine Neutralisierung derpartikularen Loyalitaten gelingt.^^

^' Dieser These entspricht im iibrigen auch jene oft zitierteSelbstauskunft des Autors, er habe genau den Kunst-geschmack, der seiner Klassenposition gemal? sei. Der un-mittelbare Sinn dieser Auskunft ist klar: Zuriickweisung

der fiir Intellektuelle naheliegenden Vorstellung, sie seiendie Herren ihrer asthetischen Urteilskraft. Statt dessen be-tont Bourdieu an sich selbst, so wie er es auch an anderentut, die soziale Konditionierung des Geschmacksurteils.Neben diesem unmittelbaren Sinn hat der Satz aber auchnoch einen zweiten Aspekt, der deutlich wird, sobald mansich klarmacht, da(? er sich auf das private und nicht etwaauf das berufliche Verhalten seines Autors bezieht, da(? esalso kein Satz iiber Felder ist. Man kann sich namlichschwer vorstellen, da(? Bourdieu gesagt hatte, er mache ge-nau die Soziologie, die seiner Klassenlage entspreche, undwiirde er dergleichen iiber andere sagen, dann ware diesgleichbedeutend mit einer harschen Kritik ihrer Forschun-gen. Das Verhalten im soziologischen Subfeld der Wissen-schaft folgt im Ma6e von dessen Autonomie nicht mehrden Klassenlagen der Handelnden, sondern feldspezi-fischer Konditionierung. ••̂̂ Wo dies nicht der Fall ist, da miifoe man im iibrigen

auch das hohe Mafi an sozialer Vererbung der Spitzen-positionen in einer ganzlich anderen Weise bewerten, alses bei Bourdieu iiblich ist: namlich nicht nur Verzerrungder Chancengleichheit im Zugang zu begehrten Positio-nen, sondern auch als Verzerrung der Sachentscheidungen,die in ihnen getroffen werden. Ein Gutachter halt mir di-verse Stellen entgegen, an denen Bourdieu auf gewisseWahlverwandtschaften zwischen klassenspezifischem undfeldspezifischem Habitus verweist, um zu erklaren, wa-rum die Spezialisten der Felder nicht unter voller Neutrali-sierung ihrer Herkunft rekrutiert werden. Aber inwiefernkonnte dieser Sachverhalt, wie immer wichtig er fiir dieKlassentheorie sein mag, gegen die Autonomie der Feldergegenuber den Klassenstrukturen sprechen? Er tate es nur

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Wie eine Theorie aussieht, die diese Neutralisierungbezweifelt, ohne empirische Anhaltspunkte zu nen-nen, dariiber belehrt ein Aufsatz von Paul M. Swee-zy (1970). Sein Thema ist die Frage, ob man dieOberschicht als herrscbende Klasse denken kann:ausgestattet mit einem Informalen Potential an Ein-fluf?, das in samtliche Funktionssysteme hinein-reicht und sich dort dann im Sinne klassenspezi-fischer Sonderinteressen auswirkt. Wie vomMarxismus her naheliegend, wird nach einer positi-ven Antwort auf diese Frage gesucht. Sweezy haltsie fiir moglich, wenn man die herrschende Klasse,darin dann wieder ganz unmarxistisch, als sozialeKlasse bestimmt. Deren Begriff definiert ihm dasPrinzip selektiver Assoziation (ebd.: 72). Auch nachdiesem Kriterium besteht die gesellschaftliche Ober-schicht, ahnlich wie bei Bourdieu nach dem Kriteri-um ihrer Ressourcenausstattung, nicht nur aus denReichen und Einfluf?reichen des Wirtschaftssys-tems, sondern schlieSt neben diesen auch die Spit-zenkategorien der verschieden Professionen sowiederen Anhang mit ein (ebd.: 76). Aus dem inklusi-ven Zuschnitt dieser informalen GroKgruppe, diemehrere Funktionseliten (ibergreift, folgert Sweezynun, dafi die privaten Kontakte unter ihren Mitglie-dern genutzt werden, um deren offentliche Ent-scheidungen im Sinne eines jeweils neu zu be-stimmenden Klasseninteresses zu dirigieren. Alskompetenter Interpret dieses Interesses gilt ihm diewirtschaftlich definierte Fraktion der Oberschicht.Wahrend diese das Zentrum der herrschenden Klas-se ausmachen soil, seien die anderen Eliten nur ihrePeripherie. Die Form der Binnendifferenzierungdieser Gruppe soil also sicherstellen, dalS es bei ei-ner Primarausrichtung an okonomisch definierten

dann, wenn die klassenmafiige Zusammensetzung derSpezialisten eines Feldes auch die Selektivitat ihrer Sach-entscheidungen zu erklaren vermochte. Es mag Soziologengeben, die eine derartige Erklarung fur moglich halten,aber Bourdieu gehort mit Sicherheit nicht dazu. Mir je-denfalls ist nicht eine einzige Stelle bekannt, an der jeneWahlverwandtschaft der Habitusformationen irgendeineErklarungslast fiir die interne Dynamik der Felder zu tra-gen batte - ausgenommen natiirlicb bistoriscbe Unter-sucbungen, die sich mit Feldern im Augenblick ibrer Ver-selhstandigung befassen. Zu bebaupten, es gahe perfekteMobilitat und keine soziale Vererbung, wlirde dem Klas-senbegriff eines seiner wicbtigsten Tbemen entzieben; aberzu bebaupten, die soziale Herkunft einer Person steuereibr Verhalten auch in der ausdifferenzierten Rolle des Spe-zialisten, wiirde dem Feldbegriff seine Aufgaben nebmen.Folglicb muG eine Tbeorie, die beides im Angebot bat,Klassen und Felder, Personalentscbeidungen gegen Sacb-entscbeidungen differenzieren konnen. Nicbts anderesaber recbne icb Bourdieu zu.

Interessen bleibt, wahrend der inklusive Zuschnittihres Kontaktnetzes erklaren soil, wie es diesen In-teressen gelingt, sich liber die gut bewachte Grenzezu anderen Teilsystemen der Gesellschaft hinweg-zusetzen.

Man muf? diese These ijber die Konspiration derEliten soziologisch nicht ernstnehmen, um siegleichwohl fiir ein instruktives Modell zu halten.Instruktiv ist sie in dem Sinne, daf? sie eine fur Bour-dieu unmogliche Position skizziert: Denn sie unter-stellt, daS das Handeln in Feldern in der Lage sei,konsistent den Klasseninteressen seiner Akteure zufolgen. Sweezy nimmt also, anders als Bourdieu estut, die Autonomie der Felder soziologisch nichternst. Abermals sinkt die funktionale Differenzie-rung der Gesellschaft zu einer bloKen Fassade vorden kollektiven Interessen einer partikularen Grup-pe herab. Betont man dagegen, so wie Bourdieu estut, die Selbstprogrammierung der Felder, unddamit auch ihre Abkopplung von den Klassenstruk-turen, dann mu6 man iiber das Netzwerk der Ober-schichteninteraktion anders, namlich zuriickhalten-der urteilen. Der Begriff der sozialen Klasse kannauch dann noch benutzt werden, um Mitglieder ei-ner sozialen Kategorie zu analysieren, die zahlrei-che Vorteile der Lebensflihrung biindeln, um die sievon anderen Gruppen beneidet werden. Aber dieVorstellung, der Rest der Gesellschaft lasse sich inein gleichsam passives Instrument dieser Gruppeund ihrer (wie auch immer zu bestimmenden) Inte-ressen verwandeln, muf? aufgegeben werden. Siepa(?t zu keiner auch nur halbwegs realistischen Vor-stellung liber das Eigengewicht ausdifferenzierterTeilsysteme.

Wenn es aber nicht moglich ist, die Gleichsetzungvon Oberschicht und herrschender Klasse auf dieseWeise zu sichern, auf welche Weise konnte diessonst noch geschehen? Bourdieu halt an der motiv-starken Terminologie der herrschenden Klasse fest,verzichtet aber auf jeden Versuch einer begrifflichenBestimmung; und fast mochte man meinen: wohl-weislich. Denn was soil man sich unter der Herr-schaft einer Klasse vorstellen, die nicht einmal iiberdie Felder gebietet, in denen die eigenen Angehori-gen obenauf sind? Eine Herrschaft iiber andereKlassen? Aber auch deren soziale Lage wird jadurchaus nicht durch Entscheidungen bestimmt,die man der Oberschicht wie einem Kollektivakteurzurechnen konnte. Sie folgt vielmehr aus Entschei-dungen, die ihrerseits in den Feldern und ihrenorganisierten Subfeldern getroffen werden: politi-schen Entscheidungen, wirtschaftlichen Entschei-dungen, Rechtsentscheidungen usw. So konsequentBourdieu in anderen Hinsichten ist - die Rede von

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herrschenden und beherrschten Klassen hat in sei-ner Theorie keinen Platz.

Mit Recht hat Scott Lash festgehalten, dafi die Se-mantik der Herrschaft bei Bourdieu ihren spezifischsozialen Sinn abstreife und nur mehr Unterschiededer Verteilung bezeichne (und nicht etwa: der Durch-setzungsfahigkeit im Konfliktsfalle).''^ HerrschendeKlassen sind einfach solche, deren Mitglieder mehrhaben als alle anderen. Um dies auszudriicken, gibtes aber Begriffe, die weniger miKverstandlich sind.

6. Reprasentation durch Felder

Fiir die komparative Starke eines Klassenbegriffsgibt es verschiedene Kriterien. Einige davon habenwir schon genannt. So macht es einen groKen Unter-schied fiir das Verstandnis von Klassen, und fiir dasgesellschaftstheoretische Gewicht ihres Begriffs,wie sehr man die Autonomie der Felder ihnen ge-geniiber betont. Nach diesem Kriterium hat Marxeinen starken Klassenbegriff und Bourdieu einenschwachen - namlich einen starken lediglich dort,wo er iiber das Nichtfeld der Padagogen und ihrerPraxis urteilt. Ahnliches gilt in der Frage, was mandem informalen Kontaktnetz der Oberschicht zu-

'': entweder verbindliche Instruktionen fiir

^̂ Lash (1993: 201) machr darauf aufmerksam, dal? Bour-dieu, wo immer er von jenen ,,Relationen" spricht, diezwischen den Positionen innerhalb des sozialen Raumesbestehen sollen und auf die er mit seinem Klassenbegriffabzielt, nicht etwa soziale Kontakte unter den Positions-inhabern meint, sondern lediglich vergleichende Pradikatewie ,,ist groGer/ist kleiner" oder ,,bat mehr/hat weniger" -immer bezogen auf die Ausstattung der Akteure mit Res-sourcen. Dieser Verzicht auf die Mitbehandlung der sozia-len Kontakte, so das Urteil von Lash, fuhre zu einem Uber-gewichtung der distributiven vor den (im ublichen Sinnedes Wortes) relationalen Komponenten des Klassenbe-griffs, also zu einer Versacblichung seines Sinnes, die mitseiner Desozialisierung identisch ist; abnlicb aucb Peters1993: 148.^'^ Auch in anderen Hinsichten Ist ja das marxistische Vo-kabular bei Bourdieu eber irrefuhrend: Wird etwa Kapitalnicbt langer von Arbeit unterschieden, sondern zu einerdifferenzlosen Kategorie ausgedebnt, die dann aucb dieArbeiter selbst einscblie(?en soil, dann verbirgt die fest-gehaltene Einheit des Wortes eine so erhebliche Diskre-panz an Bedeutung, daR man den Terminus ebensogut auf-geben konnte.^̂ Sofern man ein solcbes (iberbaupt annimmt. Bestrittenwurde die Existenz eines solcben Kontaktnetzes etwa vonRalf Dabrendorf (1971: 286): In Ermangelung einergemeinsam durcblaufenen Ausbildunginstitution von men-talitatspragender Wirkung, aber aucb angesicbts der Inbo-mogenitat ihrer Erfahrungen wahrend der Zeit des Natio-

das Verhalten ihrer Angehorigen in den Spitzen-positionen der verschiedenen Felder, die sie besetzthalten, oder nur zeremonielle Arbeit an einem ex-pressiven Symbolismus, der keine anderen Funktio-nen als solche der kollektiven (und nur auf diesemUmweg dann auch: der individuellen) Selbstaufwer-tung erfiillt. Nach diesem Kriterium hat Sweezy ei-nen starken Klassenbegriff, nicht aber Bourdieu.

Schwach ist Bourdieus Begriff aber auch dann,wenn man sich fragt, was bei ihm aus der Semantikder universellen Klasse geworden ist. Dieser Begriffwurde bekanntlich entwickelt, um die Sonderstel-lung des Proletariats in der marxistischen Theoriezu bezeichnen: Einerseits soUte das Proletariat eineGruppe neben anderen Gruppen sein, und als sol-che nicht weniger partikularistisch als diese. Auchwaren ihre Mitglieder keineswegs als moralisch ho-herwertige Menschen gedacht, eher im Gegenteil.Andererseits soUten sie doch die einzige Gruppe bil-den, die ihre partikularen Interessen nicht bedienenkann, ohne zugleich auch die universellen Interes-sen der Menschheit zu befordern. Noch Lukacs(1968) hatte ihr darum das epistemologische Privi-leg zugerechnet, die Gesellschaft auf eine mehr alsnur ideologische Weise beschreiben zu konnen.

Ideengeschichtlich gesehen war der Begriff der uni-versellen Klasse der letzte grof?angelegte Versuch, dieFunktionsstelle des gesamtgesellschaftlich reprasen-tativen Teilsystems in Ubereinstimmung mit Schich-tung zu besetzen. Die Semantik der Reprasentation,die aus den vormodernen Schichtungsgesellschaftenstammt (Luhmann 1997: 920ff., Kieserling 2004a),hatte postuliert, daE man unter den verschiedenenTeilsystemen einer differenzierten Gesellschaft, vondenen keines das Ganze mehr sein kann, immerhineines findet, das dieses Ganze gegeniiber den anderenTeilen zu reprasentieren vermag. Die Fremdbezie-hungen zwischen den Teilen, also ihre Beziehungenzueinander, sind demnach zugleich Selbstbeziehun-gen des Ganzen: dieses wird durch die Herrschaftdes einen, des reprasentativen Teils iiber die anderenin sich selbst reprasentiert. Zunachst sollte dies, wieselbstverstandlich, eine Sache der Oberschicht sein.Erst Marx kam auf die kiihne Idee, sie in dieserFunktion durch die Unterschicht zu ersetzen.

Spateren Versuchen, soziologisch an Marx an-zuschliefien, ist nicht nur dieses Vertrauen in diehistorische Rolle der Arbeiterschaft abhanden ge-kommen. Sie neigen auch im Ruckblick auf die Ge-

nalsozialismus gebe es zwischen den deutscben Eliten derersten Nachkriegsjabrzehnte keine belastbare GrundlagefiJr rollenunspezifische Kommunikation.

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schichte dazu, Begriffe fiir representative Teilsyste-me und universelle Klassen entbehrlich zu finden,also nur noch ideologiekritisch zu behandeln. DerZusammenhang von Herrschaft und Representa-tion lost sich auf. Es gibt kein Ganzes mehr, das zureprasentieren ware. Die Beziehungen zwischen denTeilen (die es dann aber eigentlich auch nicht mehrgeben kann) betreffen immer nur diese selbst, undsamtliche Asymmetrien in diesen Beziehungen ste-hen ausschlieClich im Dienste der dadurch Privile-gierten.̂ *^ So sahen es bereits Adorno und Horkhei-mer, als sie anfingen, sich die Weltgeschichte nachdem Muster von Bandenkriegen zurechtzulegen. Ih-re Theorie der Rackets (Horkheimer 1985: 75ff.,287ff.), die seinerzeit unpubliziert blieb, unter-nimmt den Versuch, asymmetrische Beziehungenzwischen gesellschaftlichen Grof?gruppen als einResultat von Konflikten zu deuten, die auf eine Listder Vernunft nicht langer durchsichtig sind. Derbittere Ton dieser Uberlegungen lafit immerhin er-kennen, da(? den Autoren klar war, welcher Stellen-wert der Idee des reprasentativen Teilsystems auchund gerade innerhalb des Marxismus zukommt.Spateren Versionen einer ,,lnteressengruppentheo-rie des Konflikts" - so die urspriingliche Formulie-rung, unter der Dahrendorf und Lockwood iiberAlternativen zu Parsons nachdachten (Dahrendorf2004: 165) - ist auch noch dieser Phantomschmerzabhanden gekommen. Sie kennen keine Reprasen-tationsasymmetrien mehr - weder in der Geschich-te, noch in der Gegenwart.

Zugleich haufen sich die Versuche, das representati-ve Teilsystem als Nichtklasse zu denken: die Intel-lektuellen, auf die Mannheim hier kam, solltenkraft des inklusiven Zuganges zur Universitat belie-bigen Klassen entstammen und darum jeden isolier-ten Klassenstandpunkt in sich selbst transzendierenkonnen. Die offentlichen Diskurse, an die Haber-mas denkt, sollen auch dann, wenn der Zugang zuihnen nicht inklusiv sein kann, gleichwohl in derLage sein, verallgemeinerbare Interessen heraus-zufiltern. Nicht die Klassenlage der Beteiligten, son-dern der universalistische Kommunikationsstil ihresDiskurses soil den Anspruch auf Vernunft ein-

'^ Die Gleichsetzung des reprasentativen Teil-

^̂ In diesem Ausfall der Eahigkeit, Reprasentationsasym-metrien zu denken oder aucb nur zu verstehen, siebt LouisDumont (1991) ein wesentlicbes Merkmal modernenDenkens.^̂ Eine Kombination aus Mannbeim und Habermas bietetAlvin Gouldner (1980): Die Auszeichnung der ,,Intelli-genz" (in einem sehr breiten Sinne des Wortes) wird be-griindet durch die angeblicbe Neigung dieser GroGgruppe,universalistische Diskurse zu fiihren. Eachgeschichtlich ge-

systems mit irgendeiner sozialen Klasse, ob nunOberschicht oder Unterschicht, wird also aufgege-ben, und statt dessen iiberlebt die Semantik der Re-presentation, wenn tiberhaupt, dann in der Aus-zeichnung von Nichtklassen (und schlieKlich, wiewir weiter unten noch sehen werden: von Funk-tionssytemen). Wissenssoziologisch gesehen undmit Luhmann interpretiert ist dies das semantischeKorrelat der Umstellung auf funktionale Systemdif-ferenzierung.

Nach diesem knappen Exkurs iiber die Ideen-geschichte des representativen Teilsystems und sei-ner Gleichsetzung oder Nichtgleichsetzung mitKlassen sind wir ausreichend vorbereitet, die Posi-tion von Bourdieu zu wiirdigen. Zwei Punkte soll-ten betont werden: Die klassentheoretische Behand-lung der Frage nach dem representativen Teilsystemwird von Bourdieu so wenig fortgesetzt wie von ir-gendeinem anderen Soziologen seiner Generation.Das Vertrauen in die welthistorische Schrittmacher-funktion der Arbeiterschaft hat auch er eingebu(?t.Verglichen mit dem, was er iiber andere Klassen zusagen hat, mag man seine Beschreibung des Arbei-termilieus etwas einsilbig finden. Ihren soziologi-schen Realismus aber verdankt sie der geschichts-philosophischen Askese ihres Autors. Aber nichtnur dieser marxistischen Inversion der klassischenRepresentationsasymmetrie verweigert er sich. Erverzichtet natiirlich auch darauf, die urspriinglicheSelbstauszeichnung der Oberschichten mit soziolo-gischen Denkmitteln zu wiederholen. So wenig sei-ne Theorie dem von ihr so genannten Proletkult zu-neigt, so wenig schmeichelt sie dem kollektivenNarzifimus der besseren Kreise; und von seiner Dar-stellung der Mittelschicht hat man mit Recht ge-sagt, daf? sie boshafter kaum ausfallen konnte. Kei-ne der sozialen Klassen, mit denen Bourdieu sichbefaf?t, ist also ein representatives Teilsystem. DerBegriff der universellen Klasse findet in seinemWerk keine Fortsetzung - so wenig wie bei Weberund seinen heutigen Nachfahren.

Andererseits ist Bourdieu kein reiner Konflikttheo-retiker. Er verzichtet nemlich nur auf die Vorstel-lung, das representative Teilsystem sei als Klasse zudenken, nicht aber auf die Idee der gesellschaftli-chen Representation. Die Semantik des gesell-schaftlich Allgemeinen, die im Marxismus mit derFrage nach den Klassen verkniipft war, wird beiBourdieu nicht ersatzlos gestrichen, sie durchleuft

seben ist der Text bereits ein deutlicher Protest gegen dieersatzlose Streichung des Begriffs der ,,universellen Klas-se" durch die Konfliktsoziologie von Collins und anderen(ebd.: 146ff.).

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nur einen Kontextwechsel, indem an die Stelle derKlassentheorie die Theorie der verschiedenen Funk-tionsbereiche tritt.

Wie schon gesagt, ist die Autonomie der Felder beiBourdieu als Variable gedacht. Unter den Kriterien,die er dafiir nennt, behauptet sich eines, das wir bis-her nicht genannt haben: es betrifft die Orientie-rung an Laien (Bourdieu 1992b). Da Bourdieu inseine Felder (anders als Luhmann in seine Funk-tionssysteme) nur die Spezialisten aufnimmt, abernicht auch die Laien, kann er sich die Orientierungan Laien nur als Orientierung an einer feldexternenGr6f5e vorstellen. Sie gerat daher unter Verdacht,eine entdifferenzierende Kraft zu sein, im Prinzipnicht viel anders als der politische Fingriff oder diereligiose Zensur. Aus dieser Deutung der Laien er-gibt sich nun jene Rangordnung in der Autonomieder Felder, von der ihre Eignung als representativesTeilsystem abhangen soil. Am niedrigsten rangierengerade solche Felder, aus denen man sich die Orien-tierung an Laien schwer wegdenken kann: Massen-medien, Marktwirtschaft, demokratisch betriebenePolitik. Am hochsten rangieren dagegen Wissen-schaft und hermetisch gewordene Kunst. In diesenbeiden Fallen tritt die Orientierung an Laien so weitzuriick, dal? praktisch nur noch andere Spezialistenals Publikum in Betracht kommen. Durch diesesoziale SchlieKung werde sichergestellt, dafi dieAdressaten, die man zu gewinnen hofft und um de-ren Aufmerksamkeit und Zustimmungsbereitschaftman wirbt, zugleich die hartesten Konkurrentensind, und erst diese Verschmelzung der beiden So-zialmodelle von Konkurrenz und Kooperation stellesicher, daf? alles Angebotene einer so rigorosenKritik unterzogen werde, dal? das wenige, was ihrstandhalt, die Vermutung einer hoheren Rationali-tat fiir sich hat.

Die reprasentativen Teilsysteme sind also mit denesoterischen Feldern identisch. Den Einwand, da(?sie in dieser Form schwerlich reprasentieren kon-nen, sieht Bourdieu natiirlich auch selbst. Darumgibt es daneben auch noch eine exoterische Formder Reprasentation, namlich den Auftritt der Wis-senschaftler und Kiinstler in der Nebenrolle des In-tellektuellen. Die Nahe zur Vernunft, die privile-gierte Beziehung zum Universellen, die sie dersozialen Exklusivitat ihrer Felder verdanken, ver-pflichte sie zu einem sozial inklusiven Engagement,das sich der Massenmedien bedient, um Volksauf-klarung zu leisten. Daraus ergibt sich ein Gefalle anlegitimer Konversion: wahrend Bourdieu es fiir Ent-differenzierung halt, wenn die Helden von Zeit-diagnose und Feuilleton auch in der Wissenschaftbreit rezipiert werden, findet er an der intellektu-

ellen Breitenwirkung der wissenschaftlichen oderkiinstlerischer Reputation, obwohl doch auch sieFeldergrenzen passieren muf?, nichts zu beanstan-den. Die Differenzen zu Mannheim sind demnachweniger gro(?, als man meinen konnte.

7. Fragen der Handlungstheorie

Den innertheoretischen Vorrang von Arbeitsteilungvor Schichtung, den wir Bourdieu zurechnen, habenwir bisher nur an seinen Ordnungshtgriikn fiir Fel-der und Klassen zu demonstrieren versucht. Wennes aber richtig ist, dafi Bourdieu auch seine Hand-lungst\\tone fiir die Analyse von beidem nutzt,dann miifite sich jener Vorrang auch in der Anlagedieser Theoriekomponente nachweisen lassen. Umdie bisherige Interpretation abzurunden, soil dernun folgende Abschnitt zeigen, dafi es sich in derTat so verhalt.

Bourdieu verwendet eine Handlungstheorie, die aufAnregungen der franzosischen Moralisten zuriick-greift. Ihnen zufolge wird alles Handeln durchEigenliebe motiviert, aber eben durch eine soziali-sierte Eigenliebe, die der moralischen Selbstbefrie-digung entsagt hat, um statt dessen die Anerken-nung durch andere zu gewinnen. Das bietet dieMoglichkeit, diese Anerkennung so zu konditionie-ren, dafi der Narzifimus des Handelnden nur dannauf seine Kosten kommt, wenn er zugleich auch ge-neralisierte Gruppeninteressen oder Bestandserfor-dernisse sozialer Systeme bedient. Bourdieu bildetdafiir die Formel von der ,,allgemeinen Anerken-nung des Allgemeinen". Gemeint ist: jede Gruppebelohne denjenigen mit besonderer Anerkennung,der sich im Falle eines Konfliktes zwischen Eigen-interesse und Gruppeninteresse fiir das Gruppen-interesse entscheidet (Bourdieu 1998a: 154ff.).Daher kann auch das scheinbar uneigenniitzigeHandeln durch Eigennutz motiviert sein, und nochdie wohlfeile Polemik gegen den Eigennutz der an-deren pflegt seine eigene Motivbasis in eben diesemzu haben. Immer dann, wenn einem Handeln gegendas eigene Interesse die Pramie der moralischen(oder enger: der fachlichen) Anerkennung winkt, istdieser Schlufi auf inkongruente Motive angebracht.

Anders als der soziologische Rationalismus, demdas altruistische Handeln nur als sozialtheoretischschwieriger Sonderfall gilt, ist Bourdieu an diesemHandeln auch gesellschaftstheoretisch interessiert.Ihm zufolge soil es namlich in ausgewahlten Klas-sen und in ausgewahlten Feldern eine mafigeblicheRolle spielen: Das Interesse an der Interesselosigkeitunterscheidet Klassen von Klassen, und es unter-

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scheidet Felder von Feldern - so viel kann man beiBourdieu selbst lesen (ebd.: 15]ff.). Es unterschei-det aber auch Felder von Klassen, und zwar in ei-nem Sinne, der prazise zur hier vorgeschlagenen In-terpretation pa(?t: Nur in den Feldern, aber geradenicht in den Klassen soil es eine Form von Interes-selosigkeit geben, die nicht nur die Interessen vonTeilsystemen, sondern die der Gesamtgesellschaftbedient. Die ,,Funktionare der Menschheit", vondenen Bourdieu redet, werden in Feldern aktiv,nicht in den Klassen, denen sie als Privatleute zuge-horen.

Was soziale Klassen betrifft, so soil die zur Schaugestellte Interesselosigkeit vor allem eine Forderungder Oberschichten an ihre Mitglieder sein. Dasschichtspezifische Etbos dieser Gruppe honorierean denen, die ihr angehoren, das interesseloseWohlgefallen an Kunstwerken oder die Beschafti-gung mit Blichern, von deren Lektiire man, wieweiter unten vermerkt wird, ,,nichts hat". In diesesBild gehort auch das ehrenamtliche Engagement fiirwohltatige Zwecke, nach der Tradition dieserSchicht eine Aufgabe ihrer Frauen, sowie die auf-wendige Pflege des sozialen Kapitals durch jenengenerosen Modus der Gastfreundschaft, der es mitDankespflichten zu Gegeneinladungen nicht allzugenau nimmt, auch dies eine traditionelle Domaneder Frauen.

Elias hatte Einstellungen dieser Art aus den Selbst-bescbreibungen des europaischen Adels herausge-lesen. Bourdieu, der ihn dafur zitiert (ebd.: 151),belegt dasselbe Muster auch an den heutigen Ober-schichten. Die Wertschatzung des interesselosenHandelns, seinerzeit eine Abgrenzung gerade denBurgern gegenuber, werde unterdessen auch vondiesen selbst praktiziert^*. Da dies aber nicht hei-Sen kann, die Wirtschaftburger hatten die Kosten-rechnung verlernt, der sie Zugang zur Oberschichtdanken, kann es sich abermals nur um deren Privat-leben handein: Das RoUenhandeln im okonomi-schen Feld folgt anderen Mustern.

^^ Auch Adorno unterschied hier noch deutlich zwischenAdel und Burgertum: ,,Was zu den Aristokraten zieht undmanche von ihnen zu den Intellektuellen, ist fast tautolo-gisch einfach: dal? sie keine Burger sind. Die Fuhrung ihresLebens steht nicht durchaus unterm Bann des Tauschprin-zips, und den Differenzierten unter ihnen erhalt sich eineFreiheit vom Zwang der Zwecke und des praktischen Vor-teils, wie kaum andern; ihre praktischen Versuche sind sel-ten erfolgreich." Auferdem fehle den Aristokraten ,,jeneabscheuliche Klugheit, die fragt, was man von den Men-schen an Vorteil und Gewinn zu erwarten hahe", und diessei der „ Reflex einer Norm, der der Erwerb fiir unehrlichoder beschamend gait" (Adorno 1967: 165).

Bei Elias war die stillschweigende MiEbilligung ei-ner allzu engen Orientierung an Gesichtspunktender Utilitat und des handfesten Eigeninteresses -man esse gemachlich, um nicht der Gier sich ver-dachtig zu machen - nur ein Merkmal am Verhal-tenskanon der Oberschicht neben anderen. BeiBourdieu wird sie dagegen zum Prinzip seinerKonstruktion. Konsistent soil das Handein in Ober-schichten, so wie ihr Erleben nach den BegriffenMax Schelers, ,,idealistisch" konditioniert sein,dasienige in Unterschichten dagegen ,,materialis-tisch". Unten zahlten an einer Sache, was Bourdieuihre handfeste Funktion oder auch ihre Substanznennt, oben dagegen Stilbewufitsein, Formzwangund Inszenierung. Oben pflege man expressivesHandein, unten instrumentelles. Unten sei der so-ziologische Okonomismus eine Rekonstruktiondessen, was die Akteure auch selbst sagen konnten,oben ziele er auf latente Strukturen. Schon in seinenUntersucliungen liber den ,,sozialen Gebrauch derPhotog.aphie" hat Bourdieu mit dieser Formel fiirdie Difterenz der schichtspezifischen Lebensstile ge-arbeitet, und noch in den ,,Feinen Unterschieden"halt er sie fest.

Aber nicht nur unter den Klassen, auch unter denFeldern gibt es ein Gefalle an Legitimitat, was dieoffene Orientierung an eigenen Interessen angeht.Bourdieu unterscheidet okonomische von kulturel-len Feldern (Kieserling 2004c). Diese soilen vor je-nen voraus haben, dal? das eigene Interesse, etwaan Reputationsgewinnen, dissimuliert werden muE.Nur in der Wirtschaft sei die offizielle Handlungs-theorie an die wirklichen Motive angepaSt. In denkulturellen Feldern gebe es dagegen einen struktu-rellen Zwang zur Heuchelei. Belohnt werde hier,wer seine feldspezifischen Interessen verberge.Auch dieses Motiv wird von friihen Aufsatzen wiedem (iber das wissenschaftliche Feld bis in die spa-ten Untersuchungen hinein festgehalten.

Es gibt also sowohl Klassen als auch Felder, in de-nen die Dissimulation eigener Interessen im wohl-verstandenen Eigeninteresse liegt. Aber was besagtdies fiir unsere Leitfrage? Was folgt daraus fiir dasrelative Gewicht der beiden Differenzierungsfor-men? Vielleicht lohnt an dieser Stelle die Erinne-rung, da(? in der Handlungstheorie der Moralistenzugleich der Nukleus einer Geschichtsphilosophielag. Der Satz, die Heuchelei sei eine Verbeugungdes Easters vor der Tugend, war auch ein Hinweisauf das zivilisatorische Potential dieser Unterord-nung. Einmal zur Institution geworden, mogen sichdie falschen Motive zu richtigen sublimieren. Werseine Eiebe immerhin heucheln muS, um die Frauzu verflihren, der mag sich wenig spater in der liber-

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raschenden Eage finden, sie wirklich zu lieben. Undwer dazu gebracht werden kann, dem Gemeinwohlimmerhin Eippendienste zu zoUen, von dem kannerwartet werden, dai? er diesen Worten auch Tatenfolgen la(?t (Bourdieu 1998a: 155). Die moralisti-sche Handlungstheorie ist also eine Theorie derSelbstsublimierung des Eigeninteresses: Bei richti-ger Konditionierung der Anerkennung, die aberwiederum nur aus den Eigeninteressen der Kon-ditionierer erklart werden kann, mag es in denDienst groKer und groSter sozialer Einheiten treten.Wie wenig fremd auch Bourdieu solche Motivesind, das geht schon aus der Unbefangenheit hervor,mit der er Pathosformeln wie ,,Fortschritt" oder,,Vernunft" oder ,,Arbeit am Universellen" verwen-det.

Von diesem Vertrauen in die Eist der Vernunftkonnte Bourdieu nun einen doppelten Gebrauchmachen: in seiner Behandlung der Klassen und inseiner Behandlung der Felder. Eine klassentheoreti-sche Auswertung dieses Motivs wiirde darauf hi-nauslaufen, dal? man der Oberschicht bescheinigt,unterm strukturellen Zwang zur Heuchelei habe siees dahin gebracht, sich auch noch von den eigenenGruppeninteressen distanzieren zu konnen, und da-her sei ihre Perspektive auf die Gesellschaft wenigerpartikularistisch als die der anderen Gruppen. Einexpressiver Symbolismus, der zunachst nur zur Ab-grenzung gegen andere Klassen entwickelt wurde,habe in seinen sozialisatorischen Folgen zu einergeistigen Haltung von hoherer Objektivitat gefiihrt,und ein Gruppeninteresse, das ausgerechnet die In-teresselosigkeit zur Norm wie zum Inklusionsregu-lativ erhebe, transzendiere am Ende sich selbst. Esversteht sich, dal? Bourdieu nicht im Traum darandenkt, der Oberschicht derartige Verdienste zu be-scheinigen. Die Funktion, die er ihrem Symbolis-mus zurechnet, ist nur eine Funktion fiir die Ober-schicht selbst, nicht fiir die Gesamtgesellschaft.Distinktion ist sein Sinn, nicht Dezentrierung.

Ganz anders dagegen die Theorie der kulturellenFelder. Hier gilt der strukturelle Zwang zur Heu-chelei als Motor eines Rationalisierungsprozesses,der es den Feldern von grofiter Autonomie am Endegestatten soil, das Eigeninteresse ihrer Funktionarein den Dienst der Gesamtgesellschaft zu stellen.Das Potential der Selbst-Transzendierung des inte-ressierten Handelns, auf das diese Theorie hinaus-will, wird also von Klassen und Feldern in unter-schiedlichem Mal?e realisiert. Dal? dies auf dieAuszeichnung von Wissenschaft und Kunst hinaus-lauft hatten wir bereits gesehen. Theorieintern istderen Auszeichnung strikt gesellschaftstheoretischmotiviert, denn die Handlungstheorie von Bourdieu

sieht ja, wie gezeigt, Ansatze zu einer sich selbstsublimierenden Eigenliebe ja auch in den Ober-schichten realisiert. Gleichwohl findet er jeneMenschheitsinteressen, von denen er unverdrossenredet, nur in Feldern, aber nicht auch in Schichtenvertreten. Privilegierte Beziehungen zum gesell-schaftlich AUgemeinen rechnet Bourdieu nur denFunktionaren der kulturellen Felder zu, und auchdies nur insofern, als sie durch das eigene Feld undnicht durch die eigene Klassenlage sich konditionie-ren lassen.

Auch dieser Befund, der letzte in unserer Eiste, be-legt also jenen innertheoretischen Primat der Feldervor den Klassen, jenen Vorrang von Arbeitsteilungvor Schichtung, den dieser Text an Bourdieu zu be-legen versucht.

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Autorenvorstellung: Andre Kieserling, geb. 1962 in Dortmund. Professor fiir Allgemeine Soziologie und soziologischeTheorie an der Universitat Bielefeld.Eorschungsschwerpunkte: Interaktionssoziologie, Wissenssoziologie, Soziologie sozialer Ungleichheit.Letzte Buchpublikation: Selbstbeschreibung und Fremdbeschreibung: Beitrage zur Soziologie soziologischen Wissens,Frankfurt 2004.

Page 23: Felder und Klassen: Pierre Bourdieus Theorie der modernen ...ffffffff-fbb9-cd4d-ffff-ffffa2693744/05... · Zeitschrift fur Soziologie, Jg. 37, Heft 1, Februar 2008, S. 3-24 aktionistischen