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IFF Fraunhofer Institut Fabrikbetrieb und -automatisierung Ehrenkolloquium Wandel in Produktion und Logistik anlässlich des 70. Geburtstages von Prof. Dr. Dr.-Ing. Prof. E.h. Eberhard Gottschalk 13. Januar 2006, Magdeburg

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IFF

FraunhoferInstitutFabrikbetriebund -automatisierung

Ehrenkolloquium

Wandel in Produktionund Logistikanlässlich des 70. Geburtstages von Prof. Dr. Dr.-Ing. Prof. E.h. Eberhard Gottschalk

13. Januar 2006, Magdeburg

Ehrenkolloquium

Wandel in Produktionund Logistikanlässlich des 70. Geburtstages von Prof. Dr. Dr.-Ing. Prof. E.h. Eberhard Gottschalk

13. Januar 2006, Magdeburg

Geleitwort 5Prof. Dr.-Ing. habil. Michael Schenk, Institutsleiter Fraunhofer IFF

Grußwort 7Dr.-Ing. Klaus Hieckmann, Kurator des Fraunhofer IFF, Geschäftsführender Gesellschafter der SYMACON GmbH

Laudatio 9Prof. Dr.-Ing. habil. Michael Schenk, Institutsleiter Fraunhofer IFF

»Prof. Dr. Dr.-Ing. E.h. Eberhard Gottschalk – 70 Jahre alt 15Produktionswissenschaften – Herausforderungen der Zukunft«Prof. em. Dr.-Ing. Prof. h.c. mult. Dr.h.c.mult. Dr.-Ing. E.h. Hans-Jürgen Warnecke, ehemaliger Präsident/Ehrensenator der Fraunhofer-Gesellschaft

»Konsequente Orientierung am weltwirtschaftlichen 19Wandel – vom lokalen Hafenunternehmen zu internationaler Logistikkompetenz«Detthold Aden, ehemaliger Kuratoriumsvorsitzender des Fraunhofer IFF, Vorstandsvorsitzender der BLG Logistics Group

»Logistiktrends und strategische Ableitungen für 25Industrieunternehmen«Prof. em. Dr.-Ing. Helmut Baumgarten, Professor für Logistik, Institut für Technologie und Management TU Berlin

»Menschen gestalten Logistikeffizienz« 31Dr. Hanspeter Stabenau, ehemaliger Kurator des Fraunhofer IFF, Ehrenvorsitzender der Bundesvereinigung Logistik e.V.

»Ist Logistik eine Wissenschaft?« 37Prof. Dr.-Ing. Dr. h. c. mult. Hans-Peter Wiendahl, ehemaliger stellv. Kuratoriumsvorsitzender des Fraunhofer IFF,Geschäftsführender Gesellschafter des Instituts für Integrierte Produktion Hannover IPH

»Rechnerunterstütze Produktion« 43Prof. Dr. Dr.-Ing. Siegfried Wirth, Institut für Betriebswissenschaften und Fabriksysteme der TU Chemnitz

Schlusswort zum Ehrenkolloquium 53Prof. Dr. Dr.-Ing. Prof. E.h. Eberhard Gottschalk

Inhalt

Der akademischen Tradition folgend,gibt es für einen erfolgreichen undanerkannten Hochschullehrer undInstitutsleiter der Fraunhofer-Gesell-schaft keine angemessenere Art derWürdigung, als Freunde, Schüler,Kollegen und Weggefährten zusam-menzuführen und den wissenschaftli-chen Diskurs in jener Disziplin zuführen und zu pflegen, die der Jubilarselbst mitentwickelt, vervollkommnetund geprägt hat.

Mit dem Ehrenkolloquium unter demThema »Wandel in Produktion undLogistik« wird das Feld beschrieben,welches der Jubilar über 30 Jahrewissenschaftlich bearbeitet, in derLehre vertreten und in der Zusammen-arbeit mit der Wirtschaft praktischenLösungen zugeführt hat.

Im vorliegenden Werk wird so demJubilar Eberhard Gottschalk für dieseArbeit gedankt. Die Beiträge sindAusdruck des Wandels in Produktionund Logistik und machen deutlich,dass dieses Themenfeld auch zukünf-tig vor großen wissenschaftlichenAufgaben und Herausforderungensteht. Herausforderungen – nunmehrfür den wissenschaftlichen Nach-wuchs. Dieser war und ist immer eineHerzensangelegenheit des Jubilars.

Die Festschrift umfasst somit dasWirkungsfeld des Jubilars, fordert denNachwuchs mit neuen Themen herausund sagt zugleich Dank für dasWirken an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg und vor allemals Gründer des Fraunhofer-Institutsfür Fabrikbetrieb und -automatisie-rung (IFF).

Dem Jubilar, der so viele Jahre alsLehrer, Freund, Wissenschaftler,Kollege und Institutsleiter gewirkt hat,wünschen wir ein gesundes undglückliches achtes Lebensjahrzehnt.

Herzlich

Prof. Dr.-Ing. habil. Michael Schenk

Institutsleiter, Fraunhofer-Institut für

Fabrikbetrieb und -automatisierung

Lehrstuhl für Logistische Systeme, Otto-von-

Guericke-Universität Magdeburg

Zum Geleit und zum Geburtstag!

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Klug – witzig – mutig!

Es ist unglaublich, wie schnell dieJahre vergangen sind.

Gerade haben wir uns bekannt ge-macht, die Möglichkeiten der Zusam-menarbeit zwischen deinem Institutan der Technischen Universität »Ottovon Guericke« Magdeburg und unse-rem Unternehmen FER - Forschung,Entwicklung, Rationalisierung desSchwermaschinen- und Anlagenbaus– erörtert und erste konkrete Schritteverabredet.

Nur wenig später wurden wir, wieMillionen andere ebenfalls, von denTurbulenzen der deutschen Wieder-vereinigung überrascht.

Du warst es, der die Gunst der Stundezur Errichtung eines FraunhoferInstitutes in Magdeburg erkannt unddie Initiative dazu ergriffen hat.

Solche Persönlichkeiten, wie PräsidentSyrbe, Prof. Warnecke, Dr. Imbuschsowie Prof. Schenk und Dr. Müllertrugen maßgeblich dazu bei, dassdieses für unsere Region so wichtigeVorhaben gelang. Einen kleinenBeitrag konnte auch ich leisten. EinInstitut, das heute unter der Leitungvon Prof. Schenk wesentliche For-schungsimpulse für die Industrie, auchweit über die Landesgrenzen Sachsen-Anhalts hinaus, erbringt.

Geschickt hast du es verstanden, vielewichtige Kontakte aufzunehmen, Ver-bindungen zu knüpfen – hier denkeich insbesondere an die Bundesverei-nigung Logistik (BVL), der du als lang-jähriges Präsidiumsmitglied angehörthast.

Vieles Weitere wäre zu nennen.

Deine Mitwirkung in unserem Unter-nehmen FER, heute SYMACON,möchte ich in besonderer Weise her-vorheben.

Durch dein Engagement hast du dirbleibende Verdienste beim schrittwei-sen Zusammenwachsen beider deut-scher Staaten erworben. Beneidenswert dein umfangreichesWissen, deine Fähigkeit, scharf zuanalysieren und mutig zu handeln.

Von Statur ein Kleiner, geistig einganz Großer!

Aber, ich wäre nicht ein langjährigerWeggefährte, würde ich nicht auchdeinen Witz, deine Liebe für einenguten Tropfen in gemütlicher Rundein besonderer Weise hervorheben.Auch in sehr angespannten Phasenwaren, auch für Michael Schenk undfür mich, gerade diese Stunden wahreMomente des Auftankens.

Lieber Jubilar, lieber EberhardGottschalk, lieber Herr ProfessorGottschalk, »soviel Zeit muss sein« ...sagtest du mit einem listigenAugenzwinkern einmal zu einemStudenten, der dich »nur« mit »gutenTag, Herr Gottschalk« anredete.

Nimm bitte zu deinem Jubiläum dieherzlichsten Glückwünsche vondeinen Freunden des UnternehmensSYMACON und von mir persönlichentgegen.

Wir danken dir für deine jahrelangeVerbundenheit, wünschen dirGesundheit und noch viele glücklicheJahre.

Dr.-Ing. Klaus Hieckmann,

Kurator des Fraunhofer IFF,

Geschäftsführender

Gesellschafter der SYMACON GmbH

Grußwort

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Wandel in Produktion und Logistik

Laudatio

Prof. Dr.-Ing. habil. Michael SchenkInstitutsleiter, Fraunhofer-Institut fürFabrikbetrieb und -automatisierung Lehrstuhl für Logistische Systeme, Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg

Hoch verehrter, lieber EberhardGottschalk!

Mit dem heutigen Festkolloquiumunter dem Motto

»Wandel in Produktion und Logistik«

wollen wir den Jubilar, Herrn Prof.Eberhard Gottschalk, ehren der derBegründer der Produktionslogistik inder ehemaligen DDR ist. Mit seinenherausragenden wissenschaftlichenArbeiten auf den Gebieten der Projek-tierung von Fabrikanlagen und derProduktionsprozesssteuerung ist er derIntegrator zwischen Planer und Betrei-ber von Produktionssystemen.

Wenn wir heute über Produktion undLogistik, deren Wandel mit Blick aufdie Zukunft nachdenken und spre-chen, so lassen Sie uns auch auf dasZurückliegende aus MagdeburgerSicht schauen, denn es gilt nachRichard von Weizsäcker:

»Wer vor der Vergangenheit dieAugen verschließt, wird blind für dieGegenwart.«

Die Vergangenheit von EberhardGottschalk ist von einem beruflichenWerdegang geprägt, der seinesglei-chen sucht. Schon früh musste ererfahren, dass hoch fliegende Träumeund Erwartungen nicht in Erfüllunggehen. Die Fliegerschule konnte erzwar als Bordtechniker und Flugzeug-führer abschließen, doch stieg erselber nicht auf, musste gezwungenerMaßen diesen Beruf aufgeben. DerAbsturz oder Neuanfang zu jener Zeithieß: Bewährung in der Produktion alsPrüffeldschlosser im PumpenwerkHalle. Die Produktion – von ihm vor-her nicht geahnt – hielt ihn in ihremBann über die Stationen:

Gütekontrolle im Werk und auf denBaustellen, bis hin zum Produktions-bereichsleiter erlebte er seinen persön-lichen Wandel der Produktion. Nachdieser praktischen Bewährung, dienotwendig war, um weitere Förde-rungen zu erfahren, begann er 1962sein Fernstudium an der TechnischenUniversität Dresden. Der Abschluss mit»Sehr gut« als Diplomingenieur fürdie Fachrichtung Betriebsingenieur amLehrstuhl von Prof. Rockstroh, demNachfolger von Prof. Koloc und Prof.Sachsenberg, die als Begründer desBetriebsingenieurwesens in Deutsch-land gelten, war der erste Höhepunktin der wissenschaftlichen Laufbahnvon Eberhard Gottschalk.Diese wissenschaftliche Qualifizierungneben seinem beruflichen Engage-ment und einem erfolgreichen Fami-lienleben zeigt, welche Fähigkeiten inAusdauer, Selbstdisziplin und Ziel-orientierung unser Jubilar besitzt.Der berufliche Werdegang führtedann über die Stationen stellvertreten-der Technischer Direktor und Haupt-technologe bis hin zur Leitung desZentralen Ingenieurbüros des Indus-triezweiges Pumpen und Verdichter.Hervorzuheben ist dabei die Verant-wortung für Fabrikplanung und Ratio-nalisierungsvorhaben in der Produk-tion.

Sein Meisterstück als Fabrikplaner hatEberhard Gottschalk 1975 mit demWerksneubau der PumpenfabrikenSalzwedel und Oschersleben abgelegt.Das Werk in Oschersleben galt jahre-lang als ein Muster für eine flexible,logistikgerechte Fabrik und diente soals Anschauungsobjekt für die studen-tische Ausbildung an der damaligenTechnischen Universität Magdeburg.Neben diesen herausragenden Tätig-keiten in der Wirtschaft hatte ihndurch das Studium sein Interesse und

seine Neigung zur wissenschaftlichenArbeit ergriffen, so dass er seit 1970eine außerplanmäßige Aspirantur beiProf. Rockstroh angenommen hatte.Schon am 30.01.1974 konnte er dieseerfolgreich abschließen und mit»magna cum laude« promovieren. Das Thema lautete: »Berücksichtigungstochastischer Einflüsse in ausgewähl-ten Verflechtungs- und Entschei-dungsalgorithmen der technologi-schen Betriebsprojektierung«. Mitdiesem Schritt und dem Beginn derLehrtätigkeiten an der TechnischenUniversität Dresden, der Ingenieur-hochschule Zwickau, der Ingenieur-schule Leipzig sowie der Erteilung der»facultas docendi« durch die Tech-nische Universität Magdeburg, Fakul-tät für Technische Wissenschaften,waren die Weichen für den berufli-chen Werdegang gestellt. Die Beru-fung zum Hochschuldozenten für dasGebiet »Modellierung stochastischerProzesse in der Produktion« am Lehr-stuhl von Prof. Woithe im Wissen-schaftsbereich Betriebsgestaltung warsomit die logische Konsequenz undder Beginn einer überaus erfolgrei-chen Hochschullehrertätigkeit.

Die Fachrichtung Betriebsgestaltung –als technologische Betriebsprojektie-rung verstanden – konnte an derOtto-von-Guericke-Universität Magde-burg auf eine lange, fast vierzigjährigeTradition zurückblicken. EberhardGottschalk hat dabei die Entwicklungder Fachrichtung maßgeblich mitbe-stimmt.

Hervorzuheben sind heute an dieserStelle die Arbeiten in den 70/80erJahren zum Thema »Flexibilität undVariabilität von Betriebsanlagen«.Hierzu sind von ihm wesentlicheGesetzmäßigkeiten erforscht worden,die die Übertragung von Marktent-

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Laudatio

wicklungen und den daraus abgeleite-ten möglichen Schwankungen desProduktionsprogrammes auf die Fabrikaufzeigen. Eine grundlegendeBetrachtung, die die Wandlungsfähig-keit von bestehenden und zu projek-tierenden Fabriken über der Zeitachsequalifiziert und quantifiziert. Sein Verdienst ist es, erstmalig dafürein komplexes Modell aufgestellt undWerkzeuge entwickelt zu haben, dieeine Bewertung erlauben, inwieweitdie Fabriken in ihrer Funktionalität,Dimension und Struktur zukünftigenEntwicklungen Stand halten. Heutesagen wir dazu, inwieweit sie wand-lungsfähig sind – betrachtet mandarüber hinaus weitere Faktoren, wieOrganisation, Qualifikation etc.Diese Arbeiten sind heute Voraus-setzung dafür, wie man Fabrikanlagenweltweit konzipiert, damit sie derDynamik internationaler Märkte ent-sprechen. Mit diesen Erkenntnissen,diesem Know-how, gelang es ihm undseinem Gründerteam des FraunhoferIFF sich in der gesamtdeutschen Wirt-schafts- und Forschungslandschaftnach 1992 erfolgreich zu etablieren.Heute wissen wir, dass in allen Bran-chen die Verringerung der Fertigungs-tiefe einen hohen Stand erreicht hat,gleichzeitig wachsende Kundenanfor-derungen zu immer komplexerenLeistungsangeboten sowohl auf derProdukt- als auch auf der Dienstleis-tungsseite führen und somit die Wirt-schaft zu immer umfangreicheren undinternational vernetzten Kooperati-onen zwingt. Das erfordert durchgän-gige Logistikkonzepte über die ge-samte Wertschöpfungskette mitkonsequenter Ausrichtung auf diezunehmend individueller werdendenKundenanforderungen.

Auch wenn dieser Zwang noch nichtden Ausschlag gegeben haben mag,so ist doch zu bemerken, dass dieAnforderungen an eine durchgängige,den Prozessen adäquate Betrach-tungsweise von Eberhard Gottschalkbereits in den 80-er Jahren erkanntwurde. Diese integrativen Arbeiten zurProduktionslogistik über die Prozess-stufen– Gießerei,– Schmiede,– Zuschnitt,– Teilefertigung,– Montage, – Baustelle,

waren das Prägende seiner Arbeiten.Durchgängige Prozesskonzepte zuerstellen, war sein wissenschaftlichesZiel. Die Ergebnisse, die 1990 zumForschungspreis der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg ge-führt haben, stellen noch heute einCharakteristikum Magdeburgs darund haben unter anderem zu einerlangjährigen und engen Kooperationmit Chemnitz, Herrn Prof. Wirth, undHannover, Herrn Prof. Wiendahl, ge-führt. Die Integration der Sichtweisedes Projektanten in die des Betreibersund umgekehrt ist notwendig, sollendurchgängige Lösungen für logistik-gerchte Produktionssysteme gefundenwerden. Seine umfangreichen Erfah-rungen und Erkenntnisse haben übersein erfolgreiches Engagement alsMitglied des Vorstandes der Bundes-vereinigung Logistik e.V. (BVL) Ein-gang bei der Gestaltung modernerTrainingskonzepte der DeutschenLogistik-Akademie Bremen gefunden.

Dieser Rückblick ist notwendig, umauf den Gebieten der Fabrikplanungund Logistik den Hintergrund für dieerfolgreichen Arbeiten in Magdeburgzu erkennen und um das Schaffen desJubilars – ohne natürlich vollständig zusein –, wissenschaftlich würdigen zukönnen. Schon Heinrich Heine sagte:

»Ein Talent können wir nach einereinzigen Manifestation anerkennen. Für die Anerkennung eines Charaktersbedürfen wir eines langen Zeitraumes«.

Im Zeitraum seiner Berufstätigkeit,seines wissenschaftlichen Wirkens,sind 6 Bücher entstanden, wurden 10Lehrbücher für das Fernstudium erar-beitet und zeugen über 120 Publi-kationen und über 200 Fachvorträgevon seiner Schaffenskraft – eine stolzeBilanz.

Wir würdigen heute nicht nur seineTätigkeit als Wissenschaftler undIngenieur, sondern auch sein Wirkenals Hochschullehrer. Unter seinerAnleitung haben weit über 200 Absol-venten zum Ingenieur für Betriebsge-staltung diplomiert und wurden ca. 40Promotionen bzw. Habilitationenerfolgreich abgeschlossen. Dabei istbemerkenswert, dass er es in erstaun-licher Weise verstand, mehr zu sein alsnur Lehrer. Mit den Worten von OskarWilde heißt das:

»Erziehung ist eine wunderbareSache, doch muss man sich von Zeitzu Zeit besinnen, dass nichts, was vonWert ist, gelehrt werden kann«.

Dass Eberhard Gottschalk nicht nurWissen, sondern auch Werte vermit-telt hat, bestätigt die Tatsache, dass er1992 die Fraunhofer-Einrichtung fürFabrikbetrieb und -automatisierungmit ca. 60 % der von ihm ausgebilde-ten und geprägten Ingenieure undWissenschaftler gründen sowie erfolg-reich innerhalb kürzester Zeit zumeigenständigen Institut der Fraun-hofer-Gesellschaft führen konnte.

Inzwischen hat sich das Institut imVerbund Produktion der Fraunhofer-Gesellschaft etabliert und internationalals FuE-Dienstleister profiliert.

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Darüber hinaus wird es in diesem Jahrmit der Eröffnung des Virtual Deve-lopment and Training Centers VDTCeinen weiteren Höhepunkt in dernoch jungen Geschichte desFraunhofer IFF geben. Wenn zurGrundsteinlegung der Vorstand derFraunhofer-Gesellschaft, Prof.Tsichritzis, sagt:

»Jedes Institut der Fraunhofer-Gesellschaft wird im Rahmen seinererfolgreichen Entwicklung ein eigenesInstitutsgebäude besitzen. Wenn manaber bereits acht Jahre nach Einzug inein solches Institutsgebäude, wie amFraunhofer IFF geschehen, ein zweitesbeziehen kann, so hat man sich das inbesonderer Art und Weise verdient.«

Lieber Eberhard, das wir uns dasverdient haben, verdanken wir dir,denn Wilhelm Raabe formuliertebereits:

»Die meisten Menschen sind Münzen,nur wenige sind Prägestöcke«.

Du gehörst zu den letzteren, dennüber 20 Jahre prägtest du als Wissen-schaftler, Hochschullehrer, Ingenieurund Fachmann das Gebiet der Fabrik-planung und Logistik und natürlichdeine Schüler, das heutige FraunhoferIFF.

Ich möchte mich heute – stellvertre-tend für alle Schüler – für diesePrägung nach Gottschalk´scher Formrecht herzlich bei dir bedanken! DiePrägung ist nachhaltig, die Münzensind wertbeständig und selber form-gebend.

Im Namen aller Mitarbeiter desFraunhofer IFF gratuliere ich dir vonganzem Herzen zur Vollendung des70. Lebensjahres. Wir wünschen dirfür die kommenden Jahre Glück undGesundheit,

in Verbundenheit

Michael Schenk

Magdeburg, 13. Januar 2006

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Wandel in Produktion und Logistik

Produktionswissenschaften –Herausforderungen der Zukunft

Prof. em. Dr.-Ing. Prof. h.c. mult. Dr.h.c.mult. Dr.-Ing. E.h.Hans-Jürgen Warnecke, ehemaliger Präsident/Ehrensenator der Fraunhofer-Gesellschaft

1. Vor der WendeIn den 1970er und 1980er Jahren be-schäftigte uns das Thema Werkstück-handhabung, Fabrikplanung und somitLogistik, obwohl wir dieses Wortdamals nicht verwandten, in Stuttgartsehr stark genauso wie Herrn Prof.Gottschalk und sein Institut in Magde-burg. Es waren aber zwei Welten, diekaum miteinander Kontakt hatten,und wenn, dann nur auf fachlichemGebiet. Trotzdem gelang es HerrnProf. Gottschalk in dieser unnormalenZeit in Deutschland immer wieder, unsin Stuttgart zu besuchen bzw. anTagungen teilzunehmen. Wir schätz-ten sowohl seinen fachlichen Beitragwie auch seine unterhaltsame Art,wenn wir am Abend zusammensaßen. Es blieb aber immer ein kleinerRest Reserviertheit, der – so meine ich– auf beiden Seiten vorhanden war.Wenn wir uns auch beide fachlich mitdem Thema des Materialflusses unddamit der Logistik befassten, ahntenwir wohl beide nicht, welche Wand-lungen und Bedeutung dieses Themain den vergangenen 30 Jahren erfah-ren würde.

Auf Betreiben von Herrn Prof.Gottschalk erhielt ich noch vor derWende von der damaligen Techni-schen Hochschule Otto-von-Guericke,die Ehrendoktorwürde, was sicher inder damaligen zeit besonders für denAntragsteller nicht ganz unproblema-tisch war. Es zeichnete sich auch ab,dass die DDR vor ihrem 40jährigenJubiläum so nicht mehr zu halten war.Sie brach wirtschaftlich zusammen.Auch ich hatte mich immer beimeinen Grenzübergängen geärgertund vorhergesagt, dass die DDR anihren unproduktiven Lasten und Kos-ten, also an ihren »Gemeinkosten«zugrunde gehen würde.

2. Die Aufnahme in die Fraunhofer-GesellschaftNach der Wende engagierte sich dieFraunhofer-Gesellschaft sehr stark imOstteil Deutschlands, um bei der Reor-ganisation mitzuwirken. Ich persönlichunterstützte dabei Magdeburg sehrstark und setzte mich dafür ein, dassdas Magdeburger Institut von HerrnProf. Gottschalk in die Fraunhofer-Gesellschaft aufgenommen wurde.Das war nicht ganz einfach, da esbereits Institute in der Fraunhofer-Gesellschaft gab, die die Logistik fürsich reklamierten. Immer wieder hatman das Phänomen, dass Angst vorWettbewerb besteht, obwohl zweiAktivitäten an verschiedenen Stellenvon verschiedenen Leuten auch ver-schieden betrieben werden. Immerhinentstand nach einigen Querelen dasheutige IFF. Herr Prof. Gottschalk warfür uns, die Fraunhofer-Gesellschaft,eine akzeptable Person, weil wir denStandpunkt vertraten, dass jemand,der niemanden auf dem Gewissenhat, sondern in dem System, in demer leben musste, auch versuchte,Karriere zu machen, von uns zuakzeptieren war. Im politisch-rechtli-chen Raum war man nicht immer dergleichen Ansicht, worunter auch HerrProf. Gottschalk zu leiden hatte.

3. Das IFF heuteDer Nachfolger von Herrn Prof.Gottschalk, Herr Prof. Michael Schenk,der auch früher schon mit ihm zusam-mengearbeitet hatte, setzte die Arbeitseines Vorgängers fort. Das IFF hatheute in der Fachwelt einen Namenauf dem Gebiete der Logistik undeinen festen Platz in der Fraunhofer-Gesellschaft. Das Gebiet der Logistikist so groß, dass das alte Fraunhofer-Institut in Dortmund, das IML, das dasWort Logistik sogar in seinem Namenführt, drei Institutsleiter hat, die jederseinen Schwerpunkt haben. Das IFFmacht heute nicht nur Fabrikplanungund Logistik, sondern befasst sich mit

einigen anderen aktuellen Fragen.Genannt sei das Rapid-Prototyping,das ein aktuelles Thema heutzutageist, wie wir gleich sehen werden.

4. Die ProduktionswissenschaftenWenn man Fachbeiträge, die vornahezu 100 Jahren geschrieben wur-den, liest, so beginnen sie fast alle mitdem Vorspann, dass es um die Redu-zierung von Kosten, Steigerung derProduktivität und Steigerung derQualität geht. Diese Themen beherr-schen auch uns heutzutage und sindwohl Kernthema der Produktions-wissenschaften in allen Zeiten. Dazukommt heute noch das Thema Zeit,um wirklich schnell mit neuenProdukten und Erfüllung vonKundenwünschen am Markt zu sein.Niemand ahnte wohl, welcheBedeutung das Thema Logistik indiesem Zusammenhang haben würde.Niemand ahnte auch, dass dieGlobalisierung undInternationalisierung einen derartigenEinfluss auf die Beschäftigung inDeutschland nehmen würde. Durchdie Entwicklung und Durchsetzungdes Containers sowie desContainerverkehres spielen dieFrachtkosten nur noch eine unterge-ordnete Rolle und damit ist dieEntfernung kein Schutz mehr, so dassder deutsche Produktionsmitarbeitermit seinen Kollegen in den Oststaatenoder gar in Asien im Wettbewerbsteht.

Man muss dieProduktionswissenschaften unter dreiGesichtspunkten sehen:

4.1. TechnologischDie Produktion wird immer getriebendurch die Weiterentwicklung vonWerkstoffen – Werkszeugen – Ma-schinen – Produkten. Dazu kommt,dass wir Produktion heutzutage nichtnur als die Bearbeitung von Metallenzu Produkten sehen dürfen,

Prof. Dr. Dr.-Ing. E.h. Eberhard Gottschalk – 70 Jahre alt Produktionswissen-schaften – Herausforderungen der Zukunft

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Produktion ist eine Dienstleistung undmuss so auch verstanden werden,dass sie dem Markt und Kundendienen muss. Unter dem Stichwort»Digitale Fabrik« wird man sich immerstärker mit der Simulation der Abläufein der Fabrik befassen, um die Kettevon der Idee und den digitalisiertenDaten bis hin zum Produkt zu schlie-ßen für Planungen und Verbesserungen.Immer wieder entstehen neue Ver-fahren und Werkzeuge, es sei nur anden Laser, also das Licht, oder dieVerkleinerung bis hin zur Nanotech-nologie erinnert.

4.2. OrganisatorischKein Unternehmen ist groß genug,um alle Technologien zu beherrschen.Die Erfüllung einer Aufgabe kann manimmer unterteilen in die eigentlicheWertschöpfung und in die Logistik,sowohl in der Information wie imMaterialfluss. Hier spielt die Vernet-zung der Spezialisten eine zunehmen-de Rolle und wird uns auch in denProduktionswissenschaften in derZukunft mehr beschäftigen. Damitgewinnen organisatorische Fragen,welcher Strukturen und Führung wirbedürfen, um uns schnell auf neueSituationen einstellen zu können, einezunehmende Rolle.

Das Arbeiten und Wirken in einemTeam ist heute innerhalb und außer-halb der Unternehmen im Netzwerküblich. Die Logistik hat in den letztenJahren bei Unternehmen, die daraufspezialisiert sind und vor allem Groß-unternehmen sind, im Durchschnitt 8 Prozent, also höher als der Welt-handel, der jährlich mit etwa 5 Pro-zent gewachsen ist. Deutschland hatdabei eine gute Position als Logistik-standort. Man schätzt den Umsatz derdeutschen Logistikwirtschaft auf 160Mrd. EURO im Jahr. Sie liegt damitimmer noch hinter dem Fahrzeugbau,der Elektrotechnik und dem Maschi-nenbau, sie steht aber ganz vorn in

der Beschäftigung mit 2,5 Mio Mitar-beitern, davon arbeiten allerdingsimmer noch etwa 2/3 in Industrie undHandel im Industriefluss, allerdingswird mehr und mehr an eigentlicheLogistik-Dienstleister verlagert, wobeihäufig niedriger bezahlte Arbeitsplätzeentstehen.

4.3. SozialDie Gesetzmäßigkeiten und Rege-lungen wie sie sich im Industriezeit-alter in den vergangenen 150 Jahrenentwickelt haben, sind in der Zukunftnicht mehr brauchbar oder schwer an-wendbar. Genannt sei nur die strikteTrennung zwischen Arbeit und Freizeitoder die strikte Arbeitszeitregelung.Der Mitarbeiter bzw. die Mitarbeiterinkönnen und wollen Verantwortungtragen und eigenständiger entschei-den. Diese höhere Beweglichkeit undFlexibilität sind in den sozialen Sys-temen in einem Unternehmen zuberücksichtigen. Das führt zu neuenStrukturen, die es zu entwickeln gilt.

Dieses sind nur einige Gedanken zurZukunft der Produktionswissen-schaften. Es soll nur angedeutet wer-den, dass die Probleme und Fragennicht ausgehen, sondern im Gegenteilimmer wieder neu gestellt und beant-wortet werden müssen. Diese Fort-setzung der Aktivitäten und derAnpassung ist sicher auch im Sinnevon Herrn Prof. Gottschalk, den wirheute ehren.

Hans-Jürgen Warnecke Prof. em. Dr.-Ing. Prof. h.c. mult. Dr.h.c.mult. Dr.-Ing. E.h.

1971 - 1993 Lehrstuhl für IndustrielleFertigung und Fabrikbetrieb der Uni-versität Stuttgart, Leiter des Fraun-hofer-Instituts für Produktionstechnikund Automatisierung (IPA)

1993 - 2002 Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft, München

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Wandel in Produktion und Logistik

Konsequente Orientierung am weltwirtschaftlichen Wandel – vom lokalen Hafen-unternehmen zu internationalerLogistikkompetenz

Detthold Aden, Vorstandsvorsitzender der BLG Logistics Group, Bremen

Jeder kennt den Begriff Globalisie-rung. Zu wenige aber wissen, was ertatsächlich bedeutet und welcheKonsequenzen er für die ganze Welthat. Wenn wir diese Konsequenzenbewerten, dann haben wir zumeistnur unseren eigenen Blickwinkel – denBlickwinkel eines Wohlfahrtsstaates,der im Zuge des fortschreitenden Glo-balisierungsprozesses vor allem seineeigenen ökonomischen und sozialenProbleme beklagt. Wir können abersicher sein, dass der weltwirtschaft-liche Wandel die meisten Länder derWelt wesentlich stärker fordert als diewestlichen Industrienationen. In vielenLändern der Welt brechen die Men-schen zu völlig neuen Ufern undRisiken auf – in der Hoffnung, dieLebensumstände werden sich bessernund künftig zumindest die Existenzsichern. Wir müssen bei uns imGrunde nur unsere gewachsenen aberdeutlich überzogenen Erwartungen andie Gesellschaft korrigieren und kon-sequent in die Zukunft investieren.

Dabei bietet die Globalisierung für unsmit Sicherheit mehr Chancen als Risi-ken. Konsequent in die Zukunft zuinvestieren verlangt natürlich, sich neuzu orientieren, die Chancen dort zusehen, wo sie tatsächlich gegebensind und nicht an überkommenenOrientierungen festzuklammern.Tatsache der Gegenwart ist, dass alletraditionellen Großunternehmen inerheblichem Umfang Arbeitsplätzeabbauen. Das heißt nicht, dass dieTraditionsbranchen keine Zukunfthätten. Die Zukunft liegt hierzulandeaber weniger in der Produktion als inden Bereichen Forschung, Entwicklungund Dienstleistung.

Die erfolgreichste Dienstleistungs-branche ist zurzeit die Logistik. DasNürnberger Fraunhofer Institut hat dieBranche durchleuchtet und ist dabeizu interessanten Ergebnissen gekom-men. Mit über 2,7 Mio. Beschäftigten

ist die Logistik zu einer Schlüssel-branche in Deutschland geworden.Die Qualität der deutschen Logistik-unternehmen ist im weltweiten Ver-gleich auf Top-Niveau. Die Branche istpraktisch eine Job-Maschine. Dashaben unsere Verkehrspolitiker er-kannt, und die Bereitschaft, in Ver-kehrsinfrastrukturen zu investieren, isttrotz knapper Kassen deutlich gestie-gen.

Die Erklärung dafür ist im Prinzip sehreinfach. Die Globalisierung Jederkennt den Begriff Globalisierung. Zuwenige aber wissen, was er tatsäch-lich bedeutet – also das Prinzip vonglobal sourcing, global productionund global selling – bewirkt eine starkzunehmende weltweite Arbeitsteilung.Mit der weltweiten Arbeitsteilungsteigt natürlich auch die Transport-und Logistiknachfrage. Die Faustregelist: ein Prozent Wachstum der welt-weiten Produktion heißt zwei ProzentWachstum des Welthandelsvolumens.Da reichlich 95 Prozent des interkonti-nentalen Handels über die Seewegeabgewickelt werden, profitiert derContainerverkehr noch stärker von derGlobalisierung. Hier ist die Faustregel:ein Prozent Wachstum der Weltpro-duktion bringen rund drei ProzentWachstum im Containerverkehr.

Die Logistiker mit globaler Reichweitemachen ihr Geschäft im Rahmen dessteigenden Welthandelsvolumens. Dassorgt bei den kompetenten Unter-nehmen für Wachstumsraten imhohen einstelligen Bereich oder sogarim zweistelligen Bereich. Und mitacht, zehn oder zwölf Prozent Wachs-tum kann man sehr gut neue Arbeits-plätze schaffen.

Soweit mein Blick auf den weltwirt-schaftlichen Wandel und die Notwen-digkeit einer neuen Orientierung. AmBeispiel der BLG LOGISTICS GROUPwird nun das in der Überschrift

angekündigte Entwicklungsbeispielvom lokalen Hafenunternehmen zuinternationaler Logistikkompetenzdeutlich. Den Prozess veranschaulichtein Blick in die Vergangenheit. Dasspäte 19te Jahrhundert war die Zeitdes stark wachsenden Überseehan-dels. Die zahllosen Einzelkaufleuteund über die ganze Stadt Bremenverteilten Lagerhäuser konnten dasWachstum nicht mehr aufnehmen.

Das war die Geburtsstunde der BLG.Sie wurde 1877 von 65 Kaufleuten alsBremer Lagerhaus-Gesellschaft insLeben gerufen. Mit der Gründung derBLG wurden erstmals in den deut-schen Seehäfen die Umschlags- undLagerinteressen der Kaufleute gebün-delt. Damit war die BLG ein Erfolgs-modell. Der Unternehmenszweck warauf den Umschlag und die Lagerungvon Seegütern in Bremen und Bremer-haven beschränkt. Der Außenhandelwar und ist das wirtschaftliche Rück-grat Bremens. Um ihren Einfluss aufdie wirtschaftlichen Geschicke desHandels und der Häfen zu sichern,beteiligte sich die Stadt Bremen amAktienkapital der BLG. Bremen unddie BLG – das ist ein frühes Beispieleiner Private Public Partnership.

Lange stand die BLG für eine gesundeEntwicklung. In den 90er Jahren gerietdas Unternehmen allerdings in dieProblemzone. Die Ostöffnung führtezu erheblichen Ladungsverlusten beiden konventionellen Verkehren. Aberauch andere traditionelle Märktewaren betroffen. Die BLG geriet in dieKrise. Nur eine komplette Restruktu-rierung, verknüpft mit einer neuenstrategischen Ausrichtung, konntedem Unternehmen wieder eine wirt-schaftliche Basis geben.

Konsequente Orientierung am weltwirtschaftlichen Wandel – vom lokalenHafenunternehmen zu internationaler Logistikkompetenz

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1998 ging die neue BLG LOGISTICSGROUP an den Start. Unter dem Dacheiner Holding arbeiten etliche Einzel-gesellschaften und Beteiligungen, dieihre Geschäfte in unternehmerischerEigenverantwortung zu führen hatten.Die Holding konzentrierte sich aufzentrale Aufgaben wie strategischeEntwicklung, Finanz- und Beteili-gungsmanagement oder Controlling.Die Einzelgesellschaften und Beteili-gungen sind ihren Leistungsportfoliosentsprechend einem unserer drei ope-rativen Geschäftsbereiche angeglie-dert. Die Geschäftsbereiche werdenjeweils durch eigene Geschäftsbe-reichsleitungen geführt.

Mit dieser Struktur ist die Unter-nehmensgruppe sehr dynamisch undflexibel – die Basis für eine erfolgrei-che unternehmerische Entwicklung.Die Konzernstruktur war die Voraus-setzung für die Realisierung der neuenStrategie. Die BLG LOGISTICS GROUPsollte sich zu einem Logistik-Providermit internationalem Engagement ent-wickeln. Dafür musste sowohl dieDienstleistungstiefe als auch die geo-grafische Reichweite ausgebaut wer-den. Das standortbezogene Denken istüberwunden und die strategischeEntwicklung zum Logistik-Provider mitweltweiter Orientierung wird konse-quent realisiert. In der Gruppe arbei-ten heute einschließlich der Beteili-gungen schon fast 8.000 Mitarbeite-rinnen und Mitarbeiter. Beim Neustartim Jahr 1998 waren es etwa 2500.Unsere unternehmerische Entwicklunggestalten wir in drei operativenGeschäftsbereichen AUTOMOBILE,CONTRACT und CONTAINER.

Im Geschäftsbereich AUTOMOBILEgeht es ausschließlich um Fertigfahr-zeuge. Das sind vorwiegend Neu-wagen aber auch junge Gebraucht-wagen. Dieser Geschäftsbereichbetreut in seinem Leistungsnetzwerketwa vier Mio. Fahrzeuge im Jahr.

Damit sind wir Marktführer in Europa.Stärkster Standort ist Bremerhaven mit1,6 Millionen Fahrzeugen pro Jahr.Das ist eine traditionelle StärkeBremerhavens, die seit 1998 aber mitguten Wachstumsraten noch erheblichBedeutung gewonnen hat. Wir betrei-ben dort auch ein großes Technikzen-trum mit 400 Mitarbeitern. Dort wer-den Fahrzeuge gereinigt, erste Inspek-tionen vorgenommen und Transport-schäden repariert. Anschließenderfolgt die technische Umrüstungnach den Zulassungsbestimmungen inden Bestimmungsländern. Auch Son-derausstattungen werden in Bremer-haven eingebaut. Das ist für dieHersteller kostengünstig, und Autosaus Übersee sind schneller beimKunden, wenn sie in Bremerhavenendgefertigt werden. TechnischeDienstleistungen sind in der Automo-billogistik nicht nur ein wichtigesElement der Kundenbindung, sie sindauch beschäftigungs- und wertschöp-fungsintensiv.

Nach dem Bremerhavener Beispielentwickeln wir Gioia Tauro in Süd-italien zur Autodrehscheibe desMittelmeeres. Die zentrale mediter-rane Lage ist ideal. Gioia Tauro ist mitBremerhaven vernetzt. Operation undQualität sind an beiden Standortenidentisch.

In unserem Geschäftsbereich AUTO-MOBILE bieten wir zurzeit an 20 See-,Fluss- und Binnenstandorten inDeutschland und Europa Umschlag,Lagerung und technische Aufberei-tung, Speditions- und Transportdienst-leistungen per Schiene, Straße,Binnen- und Küstenschifffahrt. Damitist die Supply Chain von den Auto-herstellern bis zu den Händlern inEuropa komplett. Dieses Leistungs-profil hat derzeit kein Wettbewerberzu bieten.

Eine neue Stoßrichtung ist Osteuropa.Im Gegensatz zu wesentlichen TeilenWest- und Zentraleuropas steigt dortdie Automobilnachfrage noch deutlichan. Zudem entwickelt sich Südosteu-ropa zu einem neuen Zentrum derFahrzeugproduktion. Auch in denOstmärkten setzen wir auf unsereNetzwerkstrategie – also die Kombi-nation von Terminals, technischenDienstleistungen und Transporten perSchiene, Straße und auf dem Wasser.Wir sind bereits in Wien und Kelheiman der Donau präsent. Eine Nieder-lassung im slowenischen Hafen Koperund auch die Drehscheibe Gioia Taurosind Knotenpunkte der Oststrategie.Hinzu kommen mehrere Terminals inPolen. Weitere Terminals in Russlandund in der Ukraine sind im Planungs-stadium.

Im Gegensatz zur Automobillogistik,wo es ausschließlich um Fertigfahrzeu-ge – also eine homogene Güterart –geht, lässt sich die Kontraktlogistiknicht an einer Branche oder an einerWare festmachen. Der Begriff steht inerster Linie für die Entwicklung undden vertraglich gebundenen Betriebkomplexer Logistiksysteme nach demindividuellen Bedarf des Kunden. DieNetzwerke werden also für eine kun-denspezifische Anforderung geknüpft.

Dazu ein Beispiel aus der Automobil-produktion: Weltweite Beschaffung,weltweite Produktionsstrategien undweltweiter Absatz sind in dieser Bran-che längst Realität. Der Logistikermuss die Teilefertigung der Herstellerund zahlreicher Zulieferer zu System-dienstleistungen vernetzen, um dieMontagelinien im In- und Auslandzuverlässig zu versorgen. Die Her-steller verlagern auch Produktions-schritte auf ihre Logistiker. Dazugehören bei uns die Härtung gekleb-ter Karosseriekomponenten, die Kon-servierung von Rohbauteilen und

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Vormontagen von Systemkompo-nenten. Damit agieren wir als verlän-gerte Werkbank der Automobilin-dustrie.

Aber auch größere Zulieferer nutzenunsere Dienstleistungen. So sind wirfür Bosch und für Rautenbach-Gussan mehreren Standorten tätig. Dabeigeht es aber um Werkslogistik. Wirsorgen vor Ort für die produktionsge-rechte Bestückung der Montagelinien.Das alles ist keine Automobillogistik,obwohl sie für diese Branche gestaltetwird. Es ist Produktionslogistik unddamit eine typische Form der Kon-traktlogistik. Unsere Leistungsschwer-punkte sind heute Europa, Südafrika,Süd- und Nordamerika.

Ganz anders – aber ebenfalls Kon-traktlogistik – ist das Beispiel BusinessElectronics: Zentral über Bremen wer-den der gesamte europäische Marktund einige Länder Afrikas mit Büro-geräten von Konica Minolta versorgt.Die Basisgeräte kommen per Contai-ner aus Japan. Sie werden bei uns aufdie individuellen Kundenbestellungenhin technisch konfiguriert, mit Zube-hör bestückt und direkt auf den Wegzum Kunden gebracht. Es gibt alsonur ein zentrales Endmontage- undAuslieferungslager für einen ganzenKontinent. Und das liegt in Bremen.

Wieder ganz anders ist die Kontraktlo-gistik für Tchibo in unserem Hochre-gallager in Bremen. Tchibo versorgtalle seine so genannten Outlets mitGebrauchsartikeln über dieses Lager.Dabei geht es um weit über 50000Verkaufsstellen in Deutschland undeinigen europäischen Ländern. Unterdem Motto »Jede Woche eine neueWelt« werden die Artikelsortimenteständig erneuert. So durchlaufenunser Hochregallager in kurzen Zeit-abständen große Warenmengen, dienicht nur kontrolliert, sondern häufigauch bearbeitet werden.

Die Konzentration der Tchibo-Logistikauf Bremen befruchtet aber nicht nurunser Geschäft, sondern auch dieDeutsche Post-Tochter DHL. Sie inve-stiert derzeit an zwei Bremer Stand-orten rund 100 Mio Euro in denAusbau ihrer Kapazitäten. Dabei sindBLG und DHL keine Konkurrenten,denn DHL übernimmt vor allem denWeg der Waren zum Endverbraucher.Die Waren kommen zuvor aber ausunserem Hochregallager und gehenzunächst an DHL im nahen Güterver-kehrszentrum.

Insgesamt sind in Bremen zurzeitschon etwa 1400 Mitarbeiter mit Lo-gistikdienstleistungen für Tchibogefasst. Im nächsten Jahr werden esüber 1500 sein. Tchibo wurde übri-gens der Deutsche Logistik-Preis 2004verliehen. In der Begründung der Juryhieß es, der nachhaltige Erfolg basiereauf der einzigartigen Verzahnung vonMarketing-Konzepten und integrierterSystemlogistik. Zu dieser Anerkennungträgt die BLG entscheidend bei, dennwir sind der zentrale Baustein dieserSystemlogistik.

Was ich unter dem Begriff Kontrakt-logistik hier geschildert habe, sind nurein paar wesentliche Beispiele ausunserem Leistungsportfolio in derKontraktlogistik. Unser Netzwerk vonLogistikzentren und Spezialanlagenumfasst zurzeit aber bereits mehr als20 Standorte im In- und Ausland fürrenommierte Kunden wie DaimlerChrysler, Bosch, Siemens, Ikea undandere.

Autoteile, Büromaschinen, Gebrauchs-artikel, Möbel und vieles andere mehr – die Kontraktlogistik bietet istein sehr breites Betätigungsfeld. Eskommt dabei nicht auf die Art derWaren an. Entscheidend ist das Know-how, die logistische Kompetenz. Werdiese Kompetenz hat, der kann sie fürjede Warenart an jedem Ort der Welt

einsetzen. Dies korrespondiert exaktmit unserer Strategie – die Dienstleis-tungstiefe und die geografische Reich-weite immer weiter auszubauen.Dabei bietet die Kontraktlogistik einbesonders breites Entwicklungspoten-zial. Die Kontraktlogistik gilt imGesamtmarkt der Logistik als beson-ders nachhaltiges und wachstumsstar-kes Segment.

Ebenfalls besonders wachstumsstarkist unser Geschäftsbereich CONTAI-NER. Er umfasst Containerterminals,Transporte per Schiene, Straße undWasser sowie ergänzende Dienstleis-tungen. Dieser Geschäftsbereich wirdvon unserem Gemeinschaftsunter-nehmen EURO-GATE entwickelt.EUROGATE ist Marktführer in Europaund gehört zu den größten Terminal-betreibern der Welt.

Das Terminalnetzwerk umfasst zurzeitdie neun Standorte Bremerhaven,Hamburg, Lissabon, Gioia Tauro, LaSpezia, Ravenna, Salerno, Livorno undCagliari. Die Netzwerkstrategie wirddurch das überproportionale Wachs-tum der Terminals bestätigt. Im letz-ten Jahr haben wir bereits mehr alszwölf Mio. Standardcontainer umge-schlagen.

Der stärkste Standort im Terminalnetz-werk ist Bremerhaven mit 3,7 Mio.Einheiten. Derzeit im Bau ist dieErweiterungsstufe CT 4. Damit wirddas Terminal in Bremerhaven auf fastfünf Kilometer Länge wachsen. Auchin Hamburg modernisieren und erwei-tern wir unsere Kapazitäten.

Eine ideale Ergänzung für die Zukunftunserer Containerterminals wäre dergeplante Jade-WeserPort in Wilhelms-haven. Dies gilt nicht allein in Hinsichtauf die erforderliche Wassertiefe fürdie immer größer werdenden Contai-nerschiffe, sondern auch als großräu-mige Ergänzung für den Kapazitäts-

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bedarf der Zukunft. EUROGATE hatsich deshalb als künftiger Betreiberdieses Tiefwasserterminals beworben.Das Ausschreibungsverfahren läuft.Die Auswahl des Betreibers soll dem-nächst erfolgen.

Das starke Wachstum des Contai-nerverkehrs stellt Hafenplaner und dieVerkehrspolitik vor große Herausfor-derungen. Es geht darum, die erfor-derlichen Terminal- und Transport-kapazitäten rechtzeitig verfügbar zuhaben. Nur dann können wir unsereWachstumschancen auch voll aus-schöpfen. Und nur dann könnenunsere Häfen auch Jobmaschinen bleiben.

Jede Ware, die in einem Hafen gela-den oder gelöscht wird, muss über dieHinterlandverbindungen transportiertwerden. Die besten Terminals sindziemlich nutzlos, wenn Straßen,Schienen und Binnenwasserwege demwachsenden Volumen und den logis-tischen Anforderungen nicht gerechtwerden. Das Problem ist auch derneuen Bundesregierung bewusst. Ichhabe Mitte Dezember mit dem neuenBundesverkehrsminister WolfgangTiefensee gesprochen und einen sehrpositiven Eindruck gewonnen.

Zu den dringenden Maßnahmen, diein Berlin auf großes Verständnisstoßen, gehört auch die Anpassungder Fahrrinnen in Elbe und Weser anden heutigen Bedarf der Großcontai-nerschiffe. Deren Tiefgänge pendelnsich bei etwa 14,50 Metern ein. Damitdiese Schiffe weitgehend unabhängigvon der Tide Bremerhaven und Ham-burg erreichen und verlassen können,brauchen wir eine Wassertiefe vonüber 15,50 Metern unter Seekarten-Null. Das sind 1,50 Meter mehr als wirzurzeit haben.

Doch nach diesem kleinen Exkurszurück zur BLG LOGISTICS GROUP. Inallen drei operativen Geschäftsbe-reichen knüpfen wir internationaleNetzwerke. Viele unserer heutigenGeschäfte sind anspruchsvolle logis-tische Systemdienstleistungen, die mitdem ursprünglichen Hafengeschäft imGrunde nichts mehr zu tun haben.

Die Märkte und die Marktbedin-gungen verändern sich in rasantemTempo. Und Logistiker sind Dienst-leister, die immer von der Entwicklungihrer Kunden abhängig sind. Wennzum Beispiel die Automobilindustrieunter Ertragdruck steht, was gegen-wärtig der Fall ist, dann wird dieserDruck auch an die Zulieferer undDienstleister weitergegeben.

Nur wenn wir eine selbstlernendeOrganisation schaffen, die sich ständigund dynamisch den veränderten Be-dingungen anpasst, können wir aufDauer erfolgreich bleiben. Gerade inder Logistik gilt: Was der Pacemakerheute kann, das können morgen auchandere – und das ist übermorgenschon Standard. Mit Standardleis-tungen aber kann man sich in derLogistik nicht nachhaltig profilieren.Wir sind seit 1998 stark nach vornegekommen und haben uns in unserenKernkompetenzen Spitzenpositionengeschaffen. Diese Positionen wollenwir behaupten und weiter ausbauen.

Diese ist in den unterschiedlichenWachstumsraten der weltweiten Pro-duktion und des Welthandelsvo-lumens nachvollziehbar. Der Welt-handel steigt seit vielen Jahren deut-lich stärker als die Weltproduktion.Dies können wir praktisch als automa-tisches Wachstums-Potenzial für dieTransport- und Logistikbranche verbu-chen. Wer allerdings welchen Anteil

des Wachstumskuchens für sich ge-winnen kann, das entscheidet sichallein im Wettbewerb. Erfolg imWettbewerb aber geht nur mit derBereitschaft und der Fähigkeit zu stän-diger Veränderung – denn nichts istso beständig wie der Wandel!

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Wandel in Produktion und Logistik

Logistiktrends und strategischeAbleitungen für Industrie-unternehmen

Prof. em. Dr.-Ing. Helmut Baumgarten, Professor für Logistik, Institut für Technologie und Management TU Berlin

Der Logistik kommen in Industrieun-ternehmen zunehmend erweiterteFunktionen und steigende Bedeutungzu. So schreitet die Erweiterung deslogistischen Leistungsumfangs vonehemals überwiegend physischenAbläufen zu fokussierten Querschnitts-aufgaben und ganzheitlichen, prozess-und kundenorientierten Führungs-und Koordinationsaufgaben stetigvoran. Die ganzheitliche Planung,Steuerung, Durchführung und Kon-trolle aller unternehmensinternen und-übergreifenden Güter- und Informati-onsflüsse sind in den vergangenenJahren in den Verantwortungsbereichder Logistik gerückt. Dabei wurdenderen klassische Aufgaben aber nichtersetzt, sondern durch zusätzlicheAufgabenfelder erweitert. Lagerhal-tung, Transporte, Umschlag und Kom-missionierung stellen weiterhin wesent-liche operative Aufgabenfelder derLogistik dar und die Basis und dasRückgrat eines jeden unternehmensin-ternen und -übergreifenden Logistik-Systems.

Insgesamt steigt jedoch der Anteilhöherwertiger Aufgaben im Bereichder Steuerung und Koordinationunternehmensübergreifender Prozessebis hin zur Unternehmensführung undStrategieentwicklung. Das logistischeZielsystem beinhaltet neben der Ver-besserung der Verfügbarkeiten zuneh-mend auch die Steigerung des Unter-nehmenswertes sowie die konse-quente Ausrichtung aller Prozesse amKunden und damit die Verbesserungder Kundenzufriedenheit.

Daneben bedingt die effiziente Gestal-tung der Transportketten neben derorganisatorischen auch die informati-onstechnische Anbindung der Wert-schöpfungspartner. Der Einsatz mo-derner IT- und Kommunikationssys-teme erweist sich in der zunehmendverteilten Produktion als ein elementa-rer Faktor für die Höhe der Transakti-onskosten.

Intern werden die Transaktionskostenindes durch die aus der Individuali-sierung der Produkte und die aus derFlexibilisierung der Produktion erwach-senden Vielschichtigkeit notwendigerAbstimmungsprozesse innerhalb desUnternehmens bestimmt. Tayloris-tische Arbeitsteilung und funktionaleSpezialisierung bedingten in der Ver-gangenheit eine Vielzahl von Schnitt-stellen, an denen Reibungsverlusteaufgrund organisationsbedingterBereichsegoismen und mikropolitischeInteressen entstanden. TraditionelleAnsätze mit autonom agierendenEinheiten in Einkauf, Beschaffungs-und Produktionslogistik werden daherzunehmend durch moderne prozesso-rientierte Organisationskonzepteabgelöst. Das Versorgungsmanage-ment verfolgt daher über die Ausrich-tung an den Versorgungsprozessendas Ziel einer Optimierung desGesamtprozesses, welches sich nichtnotwendiger Weise aus der Summeder Funktionsziele ergibt.

Trends und strategische AbleitungenDie Bundesvereinigung Logistik (BVL)gibt seit Jahren regelmäßige Unter-suchung zu Trends und Strategien inder Logistik heraus. Der Vergleich derletzten Untersuchungen zeigt, dassdie im Jahr 2002 ermittelten Trendswie gesteigerte Prozessorientierungund wachsende Bedeutung von IT-Sys-temen weiterhin Bestand haben. Beider jüngst vom Bereich Logistik derTechnischen Universität Berlin in

Zusammenarbeit mit der UniversitätPaderborn sowie den TechnischenUniversitäten Darmstadt und Mün-chen durchgeführten Untersuchungzu Trends und Strategien in der Logis-tik konnte diese Entwicklung bestätigtund weitere Trends ermittelt werden.

LogistikkostenDie logistische Leistung im Sinne einerschnellen, zuverlässigen und flexiblenBedienung des Kunden hat erheb-lichen Einfluss auf die Wettbewerbs-situation eines Unternehmens. Liefer-treue, -fähigkeit, -zeit, -qualität undInformationsbereitschaft werdendamit zu erfolgsbestimmenden Para-metern. Ein wesentliches Ziel derLogistik ist daher die Verbesserungdes Verhältnisses von Servicegrad undLogistikkosten. Dies bedingt allerdingseine hohe Transparenz logistischerLeistungen und Kosten. Trotz der stei-genden Logistikleistungen und wach-senden Aufgabenbereiche der Logistikgaben die befragten Unternehmen an,dass die Logistikkosten in den letztenJahren stabil bei rund fünf bis achtProzent der Gesamtkosten blieben,und ein Anstieg nicht oder nur ingeringem Maße erwartet (Abb. 1)wird. Da die Herausforderungen andie Logistik aber stetig steigen undmit erweiterten Verantwortungs-bereichen (Abb. 2) der Logistik auchdie Kostenblöcke größer werden,wäre mit einer gleichzeitigen Steige-rung der Kosten zu rechnen.

Abb.1: Logistikkosten anteilig an den Gesamtkosten

Logistiktrends und strategische Ableitungen für Industrieunternehmen

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Die in der Studie ermittelte konstanteEntwicklung kann daher mit einerSteigerung der Leistungsfähigkeit undProduktivität der logistischen Systemeerklärt werden. Wahrscheinlicher istdie fehlende Transparenz der Kosten.Die Ermittlung der Logistikkostenerfordert eine Prozesskostenrechnung,die in der Lage ist, alle Logistikkostenentlang der Wertschöpfungskette zuerfassen. Diese Erfassung bleibt invielen Unternehmen aus. Die Logistik-kosten werden in diesem Fall nichtvollständig ausgewiesen sondern denHerstellkosten sowie anderen Kosten-arten und -trägern zugeschlagen.Gleichzeitig senkt die Fremdvergabevon Dienstleistungen die internenKosten, während die Kosten für dieDienstleister teilweise nicht als Logis-tikkosten angegeben wurden.

Abb. 2: Verantwortungsbereiche der Logistik

Klassische finanzielle Informationensind für logistische Prozesse wenigaufschlussreich und verleiten mitunterzu falschen Entscheidungen. So kannbeispielsweise ein Anstieg der Lager-kosten aus einer Vielzahl von Ursachenresultieren, welche auf Basis reinmonetärer Messgrößen nur schwer zuergründen sind. Aufgrund ihresschnittstellenübergreifenden, flussori-entierten Charakters existieren in derLogistik zahlreiche Interdependenzen

und Wechselwirkungen mit anderenSubsystemen, die bei der Entschei-dungsfindung mittels traditionellerKostenrechnungen nur unzureichendberücksichtigt werden.

InternationalisierungsstrategienSteigende Internationalisierungsmaß-nahmen führen zu höheren Anforde-rungen an die Vernetzung von Pro-duktionsverbünden sowie der Industriemit ihren Lieferanten und Kunden.Neben den mittlerweile durchgängiginternational aufgestelllten Großunter-nehmen weiten zunehmend auchkleine und mittelständische Unter-nehmen ihre Geschäftsfelder im Aus-land aus. Rund 76 Prozent der befrag-ten KMU sind bereits internationalaufgestellt. In diesen Unternehmenkommt der Logistik eine gesteigerteBedeutung zu. Die geographischenEntfernungen erfordern teilweise

komplexe und umfassende Logistiksys-teme für die Koordination der Güter-und vor allem auch der Informations-flüsse. Dabei beschränkt sich die Inter-nationalisierung nicht auf einzelneUnternehmensbereiche, vielmehr erfol-gen sowohl Beschaffung als auchProduktion und Absatz verstärkt inweltweiten Netzwerken. Hier kommtder Logistik vor allem eine koordinie-rende Funktion zu.

Abb. 3: Beschaffungsstrategien in der Industrie

(in Prozent des Beschaffungswertes)

Während der Anteil an global be-schafften Gütern in der Industrie heuteschon bei 38 Prozent liegt, wird er sichbis 2010 auf die Hälfte des wertmäßi-gen Beschaffungsvolumens vergrößern(Abb. 3). Diese Entwicklung geht mitder Notwendigkeit von gleichzeitigerSteigerung der logistischen Leis-tungsfähigkeit von Industrieunter-nehmen und vor allem der Logistik-dienstleister einher. Daneben geben77 Prozent der Industrieunternehmenan, dass ihre Absatzmärkte im Auslandwachsen werden, bei gleichzeitigemAnstieg der internationalen Produkti-onsstandorte von 53 Prozent derUnternehmen (Abb. 4). Dieser Anstiegstellt neue Herausforderungen an dieLogistik bzw. wird durch effizienteLogistiksysteme erst ermöglicht.Internationale Produktionsverbündemüssen die gleichen Verfügbarkeitengarantieren wie Einzelstandortlö-sungen bei gleichzeitig wachsendenUnsicherheits- und Risikofaktoren wiesteigenden Transportdistanzen, politi-schen, wirtschaftlichen und interkultu-rellen Differenzen und Kommunikati-onsbarrieren. Dabei dürfen die Kostenfür die Begrenzung dieser Risikendurch eine reibungsfreie Logistik dieVorteile geringerer Lohnkosten nichtüberschreiten. Als Konsequenz ist zubeobachten, dass Zulieferunternehmenden OEMs mit ihren Produktionsstand-orten folgen, damit die Lieferkette effi-zient funktioniert.

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Abb. 4: Internationalisierung bei Industrie-

unternehmen

Gleichzeitig kommt der Verkehrslo-gistik eine gesteigerte Bedeutung zu.Zunehmender Straßen-, Luft- undSeeverkehr bei gleichzeitig steigendenSicherheitsanforderungen stellt dieStraßeninfrastruktur, Flughäfen sowieSee- und Binnenhäfen vor neueHerausforderungen. Flug- und See-häfen haben sich zu Dienstleisternentwickelt, die neben der Transport-und Umschlagfunktion auch Mehr-wertdienste wie kleine Montagearbei-ten verrichten. Der Hinterlandverkehrmuss dabei durch intermodale Anbin-dung die steigenden Güteraufkommenbewältigen.

Outsourcing von LogistikleistungenLogistikleistungen werden mit steigen-der Tendenz fremdvergeben. Dienst-leister wie Kühne + Nagel, DHL oderdie Deutsche Bahn mit Schenker undStinnes bieten mittlerweile fast sämt-liche Dienstleistungen von der klas-

sischen Transportleistung bis zu Sys-temlösungen an, die ganze Unterneh-mensbereiche übernehmen. Kühne +Nagel wurde u. a. für eine integrierteSystemlösung zur Produktionsver-sorgung des Hamburger Airbus-Werksund die weltweite Ersatzteilversorgungmit dem Deutschen Logistikpreis 2005ausgezeichnet.

Während heute rund ein Viertel derbefragten Unternehmen dem Out-sourcing eine hohe bis sehr hohe Be-deutung zuordnet, wird diese Strategiein Zukunft mehr als die Hälfte derUnternehmen beschäftigen (Abb. 5).Outsourcing wird somit zum Treiberder logistischen Leistungen. Währenddie Fremdvergabe operativer Logistik-leistungen mittlerweile an ihre Wachs-tumsgrenzen stößt, ergeben sich neuePerspektiven bei Value-added-Servicesund administrativen Leistungen.

Abb. 5: Bedeutung von Outsourcing in der

Industrie

Zunehmend wird auch bei strate-gischen Themen wie Innovationsgene-rierung und Netzwerkgestaltung dasKnow-How von Dienstleistern undBeratungen eingekauft. Die Industrie-unternehmen können dadurch vonden Erfahrungen aus anderen Unter-nehmen und Branchen profitieren undsich an den Benchmarks orientieren.

Abb. 6: Outsourcingfelder der Industrie

Technologien in der LogistikInformationstechnologien sind zumunverzichtbaren Bestandteil der Logis-tik geworden. Kaum ein Bereichkommt ohne komplexe IT-Systemeaus, die zur vernetzten Kommunika-tion und zur Berechnung komplexerOptimierungsverfahren genutzt wer-den. Kern der Systeme sind die Enter-prise Resource Planning Systeme, dieschon von einem Großteil der Indus-trieunternehmen implementiert wur-den und deren Bedeutung sowiederen Funktionsumfang in Zukunftweiter steigen wird.

Integrationsplattformen, die eine funk-tions- und anbieterübergreifende Da-tenkonsistenz auch bei Einbeziehungvon Altsystemen ermöglichen sind invielen Unternehmen noch nicht be-kannt. Ihre Bedeutung wird aber stei-gen aufgrund wachsender Bedarfeinfolge vermehrter Zusammenarbeitund Integration von Altsystemen ande-rer Unternehmen (Abb. 7).

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Abb. 7: Einsatz von IT-Systemen in

Industrieunternehmen

Die Diskussion um die RFID-Techno-logie, die berührungslose Identifikationdurch Funktechnologie ermöglicht, istin der Wissenschaft weit fortgeschrit-ten. Die Einsatzgebiete sind theore-tisch gut erforscht, und die Industrieist gut informiert über die Möglich-keiten des Einsatzes dieser Technologiein der Unternehmenslogistik (Abb. 8).Hauptsächlich wegen der immer nochsehr hohen Kosten für RFID-Chips undeiner fehlenden Standardisierung derTechnologie ist in den nächsten fünfJahren jedoch nicht mit einer Durch-dringung der Technologie in der Indus-trie zu rechnen. Vielmehr werdeneinzelne Projekte realisiert, in denendie Vorteile der Technologie die hohenKosten rechtfertigen. So rechnet sichder Einsatz in geschlossenen Systemenwie Produktion und Mehrwegbehäl-tersystem schon jetzt, da die Chipsmehrfach verwendet werden können.Auch der Einsatz in Containern mithochwertigem Inhalt ist bereits heutewirtschaftlich sinnvoll.

FazitArbeitsteiliges und hocheffizientesZusammenwirken von Unternehmenwird erst durch geeignete Logistiksys-teme ermöglicht.

Unternehmensnetzwerke aus Liefer-anten, Herstellern und Dienstleistern,die durch eine enge informatorischeVernetzung gebildet werden, tragendabei zur Steigerung der Produktivitätbei. Die dadurch ermöglichte interna-tionale Arbeitsteilung in komplexenNetzen trägt auch zur Wettbewerbs-fähigkeit des Hochlohnlands Deutsch-land bei. Die jedem Land immanentenStandortvorteile werden durch dieLogistik zu einem reibungslos funktio-nierenden Gesamtsystem verbunden.Die Kooperationen ermöglichen Unter-nehmen die Erschließung internationa-ler Märkte, die aus eigener Kraft nichtdazu in der Lage wären.

Logistik ist im gesamten Wertschöp-fungsprozess und darüber hinaus überden Produktlebenszyklus hinweg invol-viert, von der gemeinsamen Produkt-entwicklung über die Koordination desSerienanlaufs, der Produktion an ver-schiedenen Standorten bis zum After-Sales-Service. Vielfache logistischeHerausforderungen treten bei denberatungsintensiven Branchen desMaschinen- und Anlagenbaus auf, indenen deutsche Unternehmen traditio-nell gut aufgestellt sind. Umfangreiche

Beratungsleistungen und Angebotser-stellungen während der Vertragsan-bahnung sowie After-Sales-Servicesmit teilweise weltweiten Reparatur-und Wartungsaufwänden erfordernumfassende Informations- und Materi-alströme. Neben dem Kerngeschäftmit Verkaufserlösen erzielen Unter-nehmen bereits bis zu 40 Prozent ihresUmsatzes mit After-Sales-Leistungen.Diese Bereiche müssen als Kerneigen-leistungen im Unternehmen strategischpositioniert werden.

Darüber hinaus ist »Global Sourcing«durch den Trend der Liberalisierunginternationaler Märkte zunehmendwichtig für Kostensenkungen in Unter-nehmen. Während früher Zoll- undHandelsbarrieren die globale Beschaf-fung erschwerten, ist heute der Trans-port der kostenentscheidende Faktor.Global agierende Logistikdienstleisterübernehmen neben Transportdienst-leistungen zunehmend auch Mehr-wertdienste sowie teilweise diegesamte Versorgung von Produk-tionsunternehmen und entwickeln sichzu System- und Kontraktlogistikdienst-leistern mit jährlichen Zuwachsratenvon acht bis zwölf Prozent. Die durchTransportbündelung und effizienteVerkehrssysteme erzielten Synergienführen zu Kostensenkungen, die esermöglichen die Potenziale der globa-len Beschaffung zu nutzen.

Moderne Technologien müssen alsWerkzeuge der Logistik verstandenund in solchen Bereichen implemen-tiert werden, in denen sich Prozessedurch ihren Einsatz verbessern lassen.Gleichzeitig muss eine Prozesskosten-rechnung erfolgen, die eine Investi-tionsentscheidung ermöglicht. DieMöglichkeit des Outsourcings vonLogistikleistungen muss bei dieserEntscheidung stets berücksichtigtwerden.

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Abb. 8: Wissensstand zum Thema RFID in

Unternehmen

Wandel in Produktion und Logistik

Menschen gestalten dieLogistikeffizienz!

Dr. Hanspeter Stabenau, ehemaliger Kurator des Fraunhofer IFF,Ehrenvorsitzender der BundesvereinigungLogistik e.V.

VorbemerkungWenn man, wie der Autor, auf einerund 45-jährige Tätigkeit in der beruf-lichen Weiterbildung für den kauf-männischen Führungsnachwuchszurückblicken kann und diesen Zeit-vergleich auf die Anforderungsprofileder in diesen durchaus verschiedenenBerufsbereichen tätigen Menschenbezieht, dann wir einem deutlich, mitwelch sensationell zunehmenderGeschwindigkeit hier ein grundsätzli-cher Strukturwandel erfolgt. Dies kannman insbesondere auch an der Verfol-gung von Produktivitätskennzahlen indiesem Zeitraum nachvollziehen. Ar-beits- und Kapitalproduktivität habensich in diesem Zeitraum verzehnfacht!

Wir stehen vor einem neuen Quanten-sprung und dieser wird nicht mehrallein durch den technischen Fort-schritt (Automatisierung, Roboterisie-rung, IT) erzeugt, sondern durch dieVernetzung der in einem Geschäfts-prozess miteinander verbundenenUnternehmen horizontal und vertikal.Bei einer Absenkung der Wertschöp-fungsanteile der einzelnen Partner, vorallem der sogenannten Hersteller aufz.T. unter 20 Prozent und der Auslage-rung wichtiger Versorgungsfunktionenvon Produktionsstätten und den Mär-kten auf Dienstleister, entsteht einvöllig neues, nicht mehr durch Macht-spiele strategisch zu dominierendesVerhältnis der Partner untereinander.Das Bewusstsein wächst: der Integra-tionsgrad der Prozesskette bestimmtden gemeinsamen Erfolg! Das not-wendige Managementinstrument hier-für ist die Logistik. Damit wurde in denletzten 20 Jahren die Logistik voneinem Instrument der Funktionsopti-mierung zu einer unternehmensüber-greifenden Managementaufgabe. Diedort eingebundenen Dienstleister ausden verschiedensten Bereichen ent-wickeln sich zu einer homogenenLogistikindustrie.

Die entscheidende Frage ist, woherbekommen wir in allen Hierarchie-stufen die Menschen, die in der Lagesind, diesen Integrationsprozess strate-gisch zu entwickeln und operationalerfolgreich umzusetzen?

Hierzu einige Thesen:These 1Die Effizienz der Logistiksysteme istnoch meilenweit hinter den bestehen-den Möglichkeiten zurück!

Die Vordenker in der Logistik beschrei-ben meist wissenschaftlich unterlegtdie möglichen Effizienzgewinne füralle in der Prozesskette verbundenenUnternehmen, wenn man denn bereitist, in allen Punkten gemeinsam zuplanen und zu handeln. »Leuchtturm-projekte« aus fast allen Branchen bele-gen diese ausschöpfbaren Möglich-keiten der Stärkung der Wettbewerbs-position in sich globalisierendeMärkten durch konzentrierte Zusam-menarbeit – Clusterung!

Sucht man nach den Ursachen für einesolche zurückhaltende Einstellungvieler Unternehmensleitungen, danngibt es mehrere Antworten, die aberalle einen gleichen Nenner haben: dieMentalität! Man muss Macht abge-ben, verliert Eigenständigkeit, manmuss Rücksicht nehmen auf andereMentalitäten, Planungsprozesse wer-den komplizierter bei erhöhter Kom-plexität. Erfolge sind vorher nichtkonkret berechenbar. Hinzu kommt,dass Negativbeispiele schamlos publi-zistisch als Abwehrreaktion auf not-wendige Kooperationen ausgeschlach-tet werden. Bremsklötze werden ge-legt, Bedenkenträger haben Konjunktur!

These 2Outsourcingprozess wird diffuser!Wenn man den unterschiedlichenAussagen über die weitere Entwick-lung des Outsourcingprozesses logisti-scher Funktionen in Industrie und

Handel glauben schenkt, dann gibt eskeine eindeutige Trendaussage mehr.Es wird nach Wirtschaftszweigen undauch nach Logistikproduktbereicheneine größere Differenzierung festge-stellt. Auf der einen Seite nach wie vorein totales Outsourcing aller logisti-schen Aktivitäten, auf in der Regeleinen Dienstleister (Kontraktlogistiker)mit einem mehrjährigen Vertrag odersogar der Gründung einer gemeinsamdafür verantwortlichen Betreiberfirma,zunehmend aber eine starke Differen-zierung, bezogen auf bestimmte Leis-tungsbereiche, Kundengruppen, Län-der. Wenn z. B. ein Bekleidungsunter-nehmen in Deutschland nur noch etwa25 Prozent der unter eigenem Namenverkauften Artikel selber produziertund die restlichen 75 Prozent vonhöchst unterschiedlichen Herstellernaus näher und ferner gelegenenLänder importiert, bei gleichzeitigerSteigerung der Macht des Handelsdurch Konzentration – dann ergebensich vollkommen neue Ausgangspositi-onen. Auf der einen Seite werden dieAnforderungen an die Produktpalettedes Logistikunternehmens wesentlichhöher, das Investitionsvolumen nimmtzu, die zeitliche Bindung des Kundengeht zurück, die Schwankungen derAuslastungen sind groß. So geht auchdie Bereitschaft der Logistikdienst-leister zurück, die Risiken in einemmeist verstärkten Umfang zu überneh-men. Die Konsequenz ist: die Kundenkaufen u. U. von mehreren Dienstleis-tern nur noch klar umrissene Dienst-leistungsprodukte. Das gemeinsameGestalten der Prozesse bleibt zurück,der Hersteller gründet u.U. eigene 4PL-Agenturfirmen, aber auch da gibt esinzwischen massive Enttäuschungenmit Rückentwicklungen. Der Outsour-cingprozess verläuft also nicht mehr inweitgehend einheitlichen Zielprojekti-onen. Die Konsequenz für Logistik-dienstleister ist die Frage, wie reagiereich darauf und habe ich auf die zuneh-mende Individualisierung der Nach-

Menschen gestalten die Logistikeffizienz!

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frage die notwendigen personellenKapazitäten, um dieser Differenzierungder Ansprüche zu entsprechen.

These 3Systembetrachtung tut Not! Wenn man das Ergebnis der in dervorangegangenen These getroffenenFeststellung zusammenfassen will,dann bedeutet das für die Logistik-dienstleister die Erhöhung der Flexibi-lität im Leistungsangebot zur Beherr-schung der steigenden Komplexitätder Kunden auf der Basis einer dyna-mischen Systemanalyse. Dies ist eingewaltiger Satz! Aber er macht deut-lich, dass wir im Gegensatz von vorzehn Jahren mit der Methode »lear-ning by doing« nicht operierenkönnen, sondern wir vom Manage-ment bis zu den operativen Mitarbei-tern ein höheres Verständnis für diesich in der Quantität und Qualitätverändernden Aufgabenstellungenhaben müssen.

Es geht also nicht mehr nur um dieAusbildung und Weiterbildung in denverschiedenen logistischen Funktionen,sondern zusätzlich um die Befähigungder Teamarbeit und der Förderung derKreativität.

Exkurs:Um es deutlich zu sagen, es gehtdarum:

– permanente Zusammenarbeit mitKunden, inklusive Planung undFührung von gemeinsamen Projek-ten

– Vergleichbares in der Zusammenar-beit mit Lieferanten, also Unterauf-tragnehmern, z. B. Transportunter-nehmen

– Zusammenarbeit im Team, der ineiner Prozesskette vereinten Unter-nehmen (vertikale Kooperation)

– Zusammenarbeit und Führung inhorizontalen Kooperationen

– Zusammenarbeit in internationalenTeams des eigenen Unternehmens

– Zusammenarbeit und Führung inverschiedenen Arbeitsbereichen

– physische Leistungen (Transport,Umschlag, Kommissionierung, Verpackung, BehälerManagement,etc.)

– Logistikleistungen von Bestands-management, Regalservice bis zurFührung von Supply-Chain

– Zusammenarbeit mit fallbezogenenexternen Consultings in bestimm-ten Projekten

– Zusammenarbeit innerhalb des Un-ternehmens und mit den Kundenzur Bestimmung der notwendigenIT-Systeme und deren Entwicklung

– Zusammenarbeit und Führung va-lueadded-services von Vormonta-gen bis zur kundenbezogenen End-ausstattung

Diese Beispiele sollen deutlich machen,dass die Ansprüche an die Qualifika-tion der Mitarbeiter in den verschiede-nen Stufen der Produktion und Ver-marktung von Logistikdienstleistungenpermanent auf den neuesten Standgebracht werden muss, um unterBerücksichtigung des Einsatzes weiter-entwickelter Technologien, insbeson-dere IT, jeweils die höchste Produktivi-tät in den unterschiedlich zusammen-gesetzten Produktelementen für einenKunden zu erwirtschaften.

These 4Der Faktor Personal in der Logistikwurde bisher undifferenziert betrach-tet. Dieser Satz hier als These formu-liert, stammt aus der aktuellen Trend-studie der Bundesvereinigung Logistik(BVL) zum Thema: »Ein Blick auf dieAgenda des Logistikmanagements2010«. Deutlicher kann man die Defi-zite, die bei den logistischen Dienst-leistern gegeben sind, nicht ausspre-chen. Im Kapitel: »Basis des Erfolges«,steht für die logistischen Dienstleisterdie Mitarbeiterqualifikation an ersterStelle. Schon jeher ist es grundsätzlichin allen Dienstleistungsunternehmenso, dass die agierenden Personen dieBrücke des Vertrauens bilden, die not-wendig ist, um die Leistungen diesesBetriebes in Anspruch zu nehmen.Dienstleistungen haben nun einmal dieEigenschaft, dass sie immaterielleProdukte sind. Die Qualität kann mangrundsätzlich erst bei Nutzung odernach der Nutzung endgültig beurtei-len. Die Menschen, die sie gestalten,sind diejenigen, die letztlich denKunden durch ihre persönlicheBefähigung auf die Kundenwünscheeinzugehen, an das Unternehmenbinden. Das ist vom Friseur über denArzt genauso wie beim logistischenDienstleister!

Besonders negativ kommen Feststel-lungen aus verschiedenen Studienhinzu, dass bei den kaufmännischenMitarbeitern nur 40 Prozent und beiden gewerblichen Mitarbeitern über70 Prozent nicht genügend motiviertsind, um ihr volles Potenzial demUnternehmen zur Verfügung zu stellenoder besser ausgedrückt, die Unter-nehmen schöpfen dieses Potenzialdurch den Einsatz der richtigen Moti-vationsinstrumente und dazu gehörtauch die permanente Weiterbildung,nicht voll aus, um die vorhandenenProduktivitätsreserven im Wettbewerberfolgreich einzusetzen!

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These 5Wir brauchen Human-Ressources-Management für Logistik! »Ein professionell-strategisches Human-Ressources-Management leistet heuteeinen unverzichtbaren Beitrag zurErreichung anspruchsvoller Unter-nehmensziele und gilt daher als be-deutender Wettbewerbsfaktor in um-kämpften Märkten«. Dieser Satz, auseiner Studie der Deutschen Gesell-schaft für Personalwesen, macht deut-lich, worauf es ankommt. Die Men-schen, insbesondere zunächst die mitt-leren Führungskräfte, die z. B. zwi-schen 4 und 20 Mitarbeiter in einembestimmten Aufgabengebiet führenund damit motivieren sollen, müssenin der Gestaltung von Veränderungs-prozessen die strategischen Ziele zuroperativen Planung vermittelt bekom-men und diese auf ihre eigenenAufgaben projizieren können.

Dies gilt insbesondere für logistischeDienstleistungsunternehmen. Aus eige-ner Beobachtung kann festgestelltwerden, dass zwar in der Regel beiden innovativ handelnden Unter-nehmen die Führungsmannschaft, alsodas leitende Management von derGeschäftsführung bis zu den Bereichs-und Niederlassungsleitern, in einembestimmten Umfang eingebundenwerden, aber was darunter ist, diediese Dinge umsetzen müssen, werdenhöchstens mal einige wenige Stundenintern geschult, ohne dass ihnen dasnotwendige Werkzeug im Detail ver-mittelt oder eine Teamfähigkeit beige-bracht wird.

Das alles klingt als Situationsanalysesehr negativ. Verallgemeinerungensind immer problematisch. Trotzdemist es wichtig, dass sich jedes Unter-nehmen in dieser Branche die Fragestellt, ob man wirklich alles tut, um dieMitarbeiter nicht nur zu motivieren,sondern ihnen auch die Instrumentean die Hand zu geben, um ihre Arbeit

effektiver zu gestalten, um damit dieProduktivität des Unternehmens unddamit die Wettbewerbsfähigkeit zuerhöhen. Gleichzeitig muss die Koope-rationsfähigkeit auch bis in die mittle-ren und unteren Hierarchiestufengefördert werden, denn auch hierkönnen sich mentale Widerstände soverfestigen, dass gut angelegte unter-nehmensübergreifende Prozesse nichtdie notwendige Effizienz gewinnen.

ZusammenfassungEs gibt nur sehr wenige Menschen, dienicht bereit sind, sich Veränderungs-prozessen anzupassen und die Heraus-forderung aufzunehmen, sich durchWeiterbildung permanent zu qualifizie-ren. Die Anregungen müssen dazuvom Unternehmen aus gehen. Diegegenwärtige Situation der jetzt sobezeichneten Logistik-Industrie zeigt,dass hier große Reserven liegen, densich differenzierenden Anforderungs-profile aus Industrie und Handel imOutsourcingprozess im wesentlichhöherem Maße zu entsprechen alsdass der gegenwärtige Status ist.Wenn in dieser Wachstumsbranche imSchnitt nur 2 Pozent der Personal-kosten in Weiterbildung investiertwerden, ist dies zu wenig! Aus derzitierten Trendstudie der BVL gehtauch hervor, dass durch geeigneteIntegration der Prozesse für die betei-ligten Unternehmen eine im Schnitt 15 Prozentige Produktivitätssteigerungmöglich ist und das bedeutet immer-hin 3 Prozent der Gesamtkosten. DieRessource Mensch muss in diesemBereich der Logistik einen höherenStellenwert bekommen, denn wir allewissen es: »Menschen gestalten dieLogistikeffizienz«!

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Wandel in Produktion und Logistik

Ist Logistik eine Wissenschaft?Eine nicht immer ganz ernst zunehmende Betrachtung

Prof. Dr.-Ing. Dr. h. c. mult. Hans-Peter Wiendahl, ehemaliger stellv. Kuratoriumsvorsitzender des Fraunhofer IFF, GeschäftsführenderGesellschafter des Instituts für IntegrierteProduktion Hannover IPH

Sehr geehrte Kollegen, liebe Gäste,lieber Eberhard!

Eine GratulationDer Einladung von Prof. Schenk, zudiesem Tage einen kleinen Beitrag zuleisten, bin ich mit großer Freudegefolgt. Sehr gern erinnere mich nochan meinen ersten Besuch in Magde-burg etwa 1981, bei dem du lieberEberhard, mir unmissverständlich klarmachtest, dass Deutschland den Kriegverloren habe, dass aber nur die DDRnoch an den Folgen zu tragen habeund es von daher unsere Pflicht sei,den Kollegen im Osten zu helfen.Daraus hat sich dann in wenigenJahren eine enge zunächst fachlicheund dann auch freundschaftlicheVerbundenheit ergeben, die bis heutebesteht und auch mit deinem undmeinem Nachfolger eine höchsterfreuliche Kontinuität erlebt. Ichwerde auch nicht vergessen, dass Dumir Michael Schenk mit den Wortenvorstelltest: »Und das ist mein Nach-folger«. Auf meine etwas verblüffteNachfrage, ob das das gängige Ver-fahren in Magdeburg sei, antworte-test du: »Man muss so etwas ebenfrüh genug planen«. Dass es danntrotz aller unvorhersehbaren Entwick-lungen im engeren und weiterenUmfeld tatsächlich so gekommen ist,gehört neben der mit unermüdlichemEifer betriebenen Gründung desFraunhofer-Instituts zu deinen Meis-terstücken, die allen deinen heutigenGästen ein anerkennendes Lächelnentlocken.

Lass dir also ganz herzlich von dieserStelle aus gratulieren zu einem erfüll-ten Forscher- und Managerleben, zueinem großen Freundeskreis und einerFamilie, die dir viel Freude bereitet!

Entwicklung der LogistikDa wir uns aber heute auf einemwissenschaftlichen Festkolloqium be-finden, möchte ich auch einen nicht

zu langen Fachbeitrag leisten. Stattaber nun den Trichter, die Kennlinien,die Grundgesetze der Logistik oder diewandlungsfähige Fabrik zu strapazie-ren, möchte ich Ihnen im Folgendeneinige nicht immer ganz ernst zunehmende Überlegungen zur Logistikvortragen, die der Frage nachgehen,ist Logistik eine Wissenschaft? Ich verwende dabei zunächst einige Aus-sagen meines Kollegenten Hompel,Direktor des Fraunhofer Instituts IMLin Dortmund, die er aus Anlass derGründung der WissenschaftlichenGesellschaft für Technische Logistikformuliert hat und deren Verwendunger mir liebenswürdigerweise freigestellt hat.

Zeit ist Geld. Zeit zu haben, ist Ver-schwendung, so könnte ein ersterHauptsatz der Logistik lauten. SeitFrederic Winslow Taylor, dem Be-gründer des Scientific Managementam Beginn des vorigen Jahrhunderts,bemühen sich zahlreiche NachfolgerZeit zu sparen, wo immer es geht.Allerdings bezog sich das zunächst aufdie eigentlichen Prozesszeiten in derFertigung und Montage.

Erst viel später entdeckte man dieLiegezeit, die oft ein Zehnfaches derProzesszeit beträgt. Die wahre Bedeu-tung dieses Phänomens wurde danndurch die Logistik zu einem weltum-spannenden Problem erklärt. Derechte Logistiker kennt nämlich nur einZiel. Es besteht darin, sämtliche Wareninner- und außerbetrieblich ohneLiegezeit in Fluss zu halten und allelogistischen Tätigkeiten in den Haupt-prozessen zu verstecken.

Wahrscheinlich ist es auch dieseEigenschaft der Logistiker und ihrerwissenschaftlichen Vertreter, nicht nurihre Paradigmen, sondern sich selbstüberflüssig zu machen, die bei denKollegen der klassischen Wissen-schaften völliges Unverständnis aus-

löst. Ein wahrer Wissenschaftler siehtseine Aufgabe nämlich meist darin,ein Problem bis in seine letzten Ver-ästelungen hinein zu zerlegen und esmit immer neuen Fragestellungenmöglichst lange am Leben zu erhal-ten. Zum Glück der Wissenschaft liegtaber die Besetzungsdauer einer Pro-fessur bei nur etwa 20 Jahren, so dasszumindest bei der Neuberufung dieChance besteht, das Fach neu zu defi-nieren. Denn sonst würde es aufgrunddes grundgesetzlich verankerten Rech-tes auf Freiheit von Forschung undLehre zum Beispiel heute noch Lehr-stühle für Dampfmaschinen geben.

Nun aber etwas ernsthafter zu derFrage: ist Logistik eine Wissenschaft?Eine Besonderheit der Logistik bestehtja darin, dass sie ein noch recht jungesFachgebiet ist. Erst seit den frühen1980er Jahren hat sich die Logistikaus der Materialfluss- und Transport-technik zu einem weltumspannendenVersorgungssystem entwickelt. Nacheiner Studie von Prof. Klaus aus Er-langen sind in Deutschland mittler-weile mehr als 1 Mio. Menschen inIndustrie und Handel und nahezu eineweitere Mio. Menschen bei logisti-schen Dienstleistern beschäftigt. Dasist mehr als das Doppelte der etwa970000 Beschäftigten des größtendeutschen Wirtschaftszweigs Maschi-nenbau.

Dabei ist die Logistik weitaus schnellergewachsen, als die zu ihrer Beschrei-bung notwendigen Hypothesen undTheorien. Kollegen wie ReinhardJünemann in Dortmund, Horst Wilde-mann in München, Helmut Baum-garten in Berlin und Hans-ChristianPfohl müssen als wissenschaftlichePioniere der Logistik in Deutschlandgelten.

Ist Logistik eine Wissenschaft?Eine nicht immer ganz ernst zu nehmende Betrachtung

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Erste Erfahrungen haben sich mittler-weile zu einer Art von Bauernregelnverdichtet, beispielsweise in der Art:»Wo ein leeres Regal ist, füllt sichdieses«. Oder die etwas seriösere 6R-Regel: Logistik heißt, das richtige Gutzur richtigen Zeit am richtigen Ort inder richtigen Menge, der richtigenQualität und den richtigen Kostenbereit zu stellen. Das ist nicht falsch,hilft im konkreten Fall aber auch nichtwirklich. Da interessieren dann schoneher die Ausführungen der SchweizerArmee im Internet zum Thema Logis-tik, die mit einem Zitat von GeneralDwight David Eisenhower beginnen:»Die Logistik beeinflusst alle Schlach-ten – sie entscheidet viele«.

Interessant ist auch die Aussage, dasses vor allem in den USA bereits in den1940er Jahren zu einer grundlegen-den und systematischen Theoretisie-rung in Form des Operations Researchkam, es bis heute aber an einer allge-meingültigen Theorie der militärischenwie auch betriebswirtschaftlichenLogistik fehle.

Wissenschaftliche Ansätze einer LogistiktheorieErst seit etwa 15 Jahren sind umfas-sende Veröffentlichungen namhafterAutoren zur betriebswirtschaftlichenund technischen Logistik in Form vonMonographien, Handbüchern undSammelwerken verfügbar. Auch diemethodische Ausbildung steht nocham Beginn, und erst seit einigenJahren bilden die Universitäten Dort-mund und Magdeburg Diplom-Logis-tiker aus. In Hannover hat gerade derStudiengang Produktion und Logistikbegonnen. Der Executive Master ofBusiness Administration in St. Gallenist eine von Herrn Kühne maßgeblichbeeinflusste Pioniertat der beruflichenWeiterbildung für Manager, dichtgefolgt von der ETH Zürich und derebenfalls von der Kühne-Stiftungunterstützten School of Logistics ander TU Hamburg Harburg.

Dennoch kann etwa von einer Theorieder Logistik noch lange nicht gespro-chen werden. Vielmehr wird sogar dieWissenschaftlichkeit der Logistik selbstinfrage gestellt, wie etwa vor einigerZeit durch einen meiner Kollegen, derdie Auffassung vertrat, dass Logistikan die Fachhochschule gehöre undnicht an eine Universität. Sein Fachge-biet existiert allerdings schon mehr als150 Jahre. Ist also das Alter eines Fachgebiets einBeweis für seine Wissenschaftlichkeit?Was macht denn die wissenschaftlicheBeschäftigung mit einem Thema ausund wann wird es zur Wissenschaft?Sie können mir sicher zustimmen,wenn ich folgende Schritte wissen-schaftlichen Vorgehens nenne:

– Beobachten und Messen vonTatbeständen

– Sammeln und Ordnen eigener undfremder Erkenntnisse

– Aufstellen erster Modelle undHypothesen über Wirkzusammen-hänge

– Überprüfung durch Mittel der Logikund des Experimentes – hiervorzugsweise der ereignisdiskretenSimulation

– Veröffentlichung der Ergebnisse,Würdigung der Kritik und ggf.Überarbeitung

– Aufstellung einer Theorie, diesolange gilt, wie sie nicht widerlegtwurde.

Beurteilt man den heutigen Reifegradder Logistik anhand dieser Schritte, istfestzustellen, dass sie allmählich ausdem beschreibenden und messendenStadium in die Phase der Hypothesen-bildung tritt. Beispiele sind die erfolg-reiche Anwendung der Warte-schlangen- und Bedientheorie, erstelogistische Gesetze wie etwa Little`s

Law oder die Hannoversche Trichter-formel und die daraus abgeleitetenKennlinien und Grundgesetze. Man kann demnach die Logistik alseine angewandte Wissenschaft imGrenzbereich zwischen den Ingenieur-und Wirtschaftswissenschaften be-zeichnen, wobei sie sich einer Kombi-nation von theoretischen, experimen-tellen und beschreibenden Methodenbedient.

Soweit rein technische Systeme be-troffen sind, wie etwa Regalbedien-geräte oder automatische Transport-fahrzeuge, lässt sich eine geschlosseneTheorie denken, welche die Bewe-gung von Objekten in einem Raum-Zeit-Kontinuum aufgrund ihrer Eigen-schaften und Anfangsbedingungenmit genügender Genauigkeit vorher-sagt. Man könnte dies mit der Steue-rung von Robotern oder Werkzeug-maschinen vergleichen.

Mensch und LogistikWesentlich unschärfer werden dieFragestellungen und Antworten, wennMenschen Bestandteil eines Logistik-systems sind und es als Planende,Steuernde oder Ausführende direktoder indirekt beeinflussen. Ähnlichwie in einer Fabrik haben wir es dannmit soziotechnischen Tatbeständen zutun wie etwa:

– unterschiedliche Interessen derAkteure in der Logistikkette, die einkontraproduktives Verhalten zurFolge haben, oder

– unbewusste Modellvorstellungenvon logistischen Zusammenhängen,die nachweislich falsch sind undbeispielsweise zu den berüchtigtendynamischen Schwankungen inLieferketten führen.

Zum tieferen Verständnis dieserPhänomene sind daher weitergehendeinterdisziplinäre Ansätze aus Technik,Logistik und Organisationspsychologie

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erforderlich, wie sie etwa aus derFabrikplanung oder der Arbeitswissen-schaft bekannt sind. Beispielsweisewird in der Logistikforschung der imMenschen aus prähistorischer Zeit tiefverwurzelte Trieb des Jagens undSammelns völlig außer Acht gelassen.Alle Versuche, diese Neigung mitrationalen Argumenten etwa aus derWarteschlangentheorie, dem SCOR-Modell oder den logistischen Kenn-linien zu bekämpfen, sind ohne dieBerücksichtigung dieser Zusammen-hänge zum Scheitern verurteilt.Auch ist es für jeden Logistiker vonfundamentaler Bedeutung, dass er inden Augen von Controllern eine nichtwertschöpfende Tätigkeit ausübt unddiese damit nach der Motivations-theorie von Herzberg zu den so ge-nannten Dissatisfiern gehört; das sindTätigkeiten, die prinzipiell nicht glück-lich machen können. Denn wennLogistik funktioniert, heißt es: »Das istja wohl selbstverständlich, aber übri-gens: bei Ihnen ist noch Kostenpo-tenzial zu heben«. Funktioniert dieLogistik nicht, bekommt der Logistikerzu hören: »Wozu sind Sie eigentlichda? Ich glaube, das Problem muss dieProduktion oder der Vertrieb wohlselbst in die Hand nehmen«.

Spätestens in dieser Situation wird esbedrohlich für die wissenschaftlichbegründete rationale Logistik, dennjetzt schlägt die Stunde der logisti-schen Helden. Das sind diejenigenalten Betriebsfüchse, die unter Um-gehung jeglichen sorgfältig ausgear-beiteten work flows und völlig vorbeiam ERP-System den hoffnungslosverspäteten Auftrag eine Stunde vorAbgang des letzten Containers auf dieVerladerampe wuchten. Da viele Men-schen zumindest ab und zu Heldensein möchten, trachten solche Logis-tik-Helden danach, ihre Unentbehr-lichkeit erneut unter Beweis zu stellenund unbewusst erst jenes Chaosauszulösen, das ihr Eingreifen erfor-dert.

Als Zwischenfazit lässt sich feststellen,dass die Logistik unzweifelhaft eineangewandte Wissenschaft ist, soferndie Regeln guter wissenschaftlicherPraxis beachtet werden. Dass sie sichaber als Wissenschaft auch nochimmer im Embryonalstadium befindet,weil ihre Fragestellungen komplexerwerden und schneller entstehen alsdie wissenschaftlich fundierten Ant-worten dazu.

Logistik und globale ProduktionDie Logistik geht jedoch mittlerweileüber ihre engere Aufgabe hinaus. ImZeitalter der globalen Warenströmeund der weltweit vernetzten Produk-tion prägt die Logistik immer deut-licher einerseits die Produktionstechnikund andererseits die Konstruktions-technik.So unterliegt die Produktionstechnikmit ihren Fertigungsverfahren, Be-triebsmitteln und technisch logisti-schen Steuerungen den Zwängen derraschen Anpassungsfähigkeit anwechselnde Produkte, Varianten undglobal verteilte Produktionsstandorte.

Wandlungsfördernde Eigenschaftenwie zum Beispiel Modularität, Mobili-tät und Skalierbarkeit sichern die wirt-schaftliche Produktion in einem kom-plexen Netz. Die klassische Trennungzwischen Teilefertigung und Montagemuss zugunsten einer Gliederung inso genannte Produktionsvorstufenund Produktionsendstufen neu über-dacht werden. Das definiert neueForderungen an Verfahren und Ma-schinen, aber auch an die Logistikselbst.

Die Konstruktionstechnik sieht sichdem gegenüber zunehmend Fragender varianten- und logistikgerechtenProduktgestaltung ausgesetzt. Siemuss neue Produktstrukturen finden,die nach Gruppen mit hohen Material-kosten und niedriger Wertschöpfungeinerseits und solchen mit niedrigen

Materialkosten und hoher Wertschöp-fung andererseits unterscheidet.Erstere können in Hochlohnländern,letztere in Niedriglohnländern produ-ziert werden.

Lassen Sie es mich so zusammenfas-sen: Die Logistik verbindet Produkti-onsstandorte und Verbraucher unterden Gesichtspunkten der marktnahenVersorgung, konkurrenzfähiger Kos-ten, des Ausgleichs von Währungs-schwankungen und der bestmögli-chen Erhaltung von Arbeitsplätzen.Logistikwissen wird damit neben einerüberlegenen Produktfunktionalitätund -qualität sowie einer hochproduk-tiven Produktionstechnik zur Kernkom-petenz erfolgreicher Unternehmen.Stellen wir uns also gemeinsam derHerausforderung eines synergetischenAnsatzes zur Gestaltung der Produkte,Produktion und Logistik. Setzen wirunseren Ehrgeiz daran, daraus neueImpulse für eine international wettbe-werbsfähige Volkswirtschaft zuentwickeln!

Quellen:

Prof. ten Hompel, Intralogistik. Unveröff.

Manuskript 09.2005; Meinrad Strässle, Paul:

Logistik: Historie - Zukunft. Generalstab

Logistik Schweizer Armee 1989

entnommen aus: http://www.lba.vbs.admin.ch/

internet/lba/de/home.html, Status 10.12.2005

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Wandel in Produktion und Logistik

Von der rechnergestütztenProduktion zur digitalen Fabrik

Prof. Dr. Dr.-Ing. Siegfried Wirth, Institut für Betriebswissenschaften undFabriksysteme der TU Chemnitz

1. EinführungStrukturwandel und Veränderungspro-zesse führen stets zu neuen Organi-sationsformen und Produktionsphysio-logien für Unternehmen. Dabei habensich die spezifischen Anforderungendes Marktes immer verändert. Diestrategischen Erfolgsfaktoren zur effi-zienten Herstellung von Gütern sindjedoch mit unterschiedlicher Wichtunggeblieben. Es sind dies Leistungsfähig-keit, Kosten, Qualität, Termintreue,Flexibilität, Schnelligkeit und Wirt-schaftlichkeit. Letztlich Wettbewerbs-faktoren die unter dem Sammelbegriffkundenwunschgerechte Wandlungs-fähigkeit der Fabrik und damit wett-bewerbsfähige Bedingungen alsGanzes gesehen werden können. DieEntwicklungstendenzen und Wettbe-werbsfaktoren aus heutiger Sicht sindin Bild 1 ersichtlich. /1/, /2/

Bild 1: Entwicklungstendenzen und Wettbe-

werbsfaktoren zur wandlungsfähigen Fabrik /1/

Eine dominierende Rolle spielt dabeidie Anpassungsfähigkeit der Betriebe,die durch Flexibilität, Variabilität undMobilität bestimmt wird. Begriffe diebereits 1977 von WOITHE, GOTT-SCHALK und SCHMIGALLA /3/ sowieSCHENK /4/ so exakt definiert wurden,dass sie noch heute ihre volle Gültig-keit haben. Sie finden Eingang in denÜberlegungen zur Computer Inter-frated Manufacturing (CIM) /5/, /6/und in der DDR im »rechnerintegrier-ten, automatisierten (bedienarmen)Betrieb«. /7/ Sie haben heute nochBedeutung für die digitale Fabrik.Beide Visionen hatten und haben dasgleiche Ziel, nämlich das Unter-nehmen unter veränderten Rahmen-bedingungen wirtschaftlich zu gestal-ten und daher die Automatisierung inVerbindung mit der Informationsverar-beitung, d. h. die »Digitalisierung derProduktion« als Mittel zum Zweck,voran zu treiben.

2. Vision: CIM2.1. GrundlagenSPUR definierte die rechnerintegrierteProduktion als komplexe Durchfüh-rung und Verknüpfung aller materiel-len und informationellen Abläufe imBetrieb mittels Informationsverar-beitung. /5/ Mit der »CIM-Fabrik«wurde die Digitalisierung der Fabrikeingeleitet.

In den 80er und 90er Jahren wurdenCIM-Bausteine entwickelt, die denInformationsfluss vom Kunden biszum Absatz »durchgängig« gewähr-leisten sollten /8/; /9/. Sowohl in West-als auch in Ostdeutschland wurdediese Entwicklung nahezu im Gleich-klang, insbesondere im CAD/CAM-Bereich, vorangetrieben.

Das qualitativ Neue war der Übergangvon einzelnen in sich abgeschlossenenTeillösungen auf die gesamtbetrieb-liche Integration und Automatisierung.Ein Modell von vielen ist das nachBausteinen gegliederte Gesamtkon-zept in Bild 2.

Bild 2: Bausteine der rechnerintegrierten

Produktion /8/

Von der rechnergestützten Produktion zur digitalen Fabrik

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Bild 3: Ebenenstruktur und Informationsfluss

eines rechnerintegrierten, automatisierten

Betriebes (nach ULRICH /7/)

Im Bild 3 wird die abstrahierte Struk-tur der rechnerintegrierten Fertigungdargestellt.

Wesentliche Voraussetzung für denAufbau von CIM-Betrieben war dieRechentechnik, Software und realetechnisch-organisatorische Gestal-tungslösung in Form von teilautomati-sierten gegenstandsspezialisiertenFertigungs- und Montageabschnitten(IGFA) /10/ sowie rechnerintegrierteBearbeitungs-, Fertigungszellen und -systeme. /11/, /12/

An diesen Lösungen haben GOTT-SCHALK und seine Mitarbeiter intensivgearbeitet und 1989 Erkenntnisse ineinem PPS-Buch zum Konzept derrechnerintegrierten Produktion heraus-gegeben. /13/ Es war zu damaligerZeit eines der wenigen Fachbücher inDeutschland, die den PPS-Prozess inseiner Gesamtheit mit seinen Schnitt-stellen anwendungsbereit dargestellthaben. Auf viele dieser Überlegungenkann heute noch zurückgegriffenwerden.

Fazit:Komponenten der CIM-Fabrik wurdensowohl für die variantenreiche Klein-serienfertigung (den Mittelstand) alsauch für die übrige Serienfertigungentwickelt. Betriebliche Abläufe undProzesse wurden informationsverarbei-tungsgerecht ganzheitlich analysiertund Teilprozesse z.B. Konstruktion,Arbeitsvorbereitung und Fertigung(CAD-CAM) punktuell umgesetzt. DieGrenzen der Anwendbarkeit von CIM-Lösungen wurden durch die wirt-schaftliche Machbarkeit in Verbindungmit dem Qualifizierungsbedarf derBeschäftigten sehr schnell deutlich.

2.1. VorgehensweiseDer schrittweise Übergang von dermechanisierten/teilautomatisiertenzum rechnerintegrierten, automatisier-ten Betrieb erfolgte speziell im CAM-Bereich über die informations-, undmaterialflusstechnischen Einbindungund Steuerung von Lösungen derflexiblen Fertigung. Dazu zählen Bear-beitungszentren, Fertigungs- undMontagezellen, Fertigungssystemeund -straßen. Darüber hinaus warenes Lösungen, die flexiblen automati-sierten (gegenstandsspezialisierten)Fertigungsabschnitten mit manuellenmechanisierten Schnittstellen, dieeinen geschlossenen automatisiertenProduktfluss besaßen. Beginnend mitden automatisierten Fertigungsplätzenwurde eine aufwärts kompatible

Herangehensweise nach technischenAspekten als Stufenkonzept ent-wickelt, welches in Bild 4 beschriebenist. /11/

Fazit:Der hier beispielhafte aufgezeigteCIM-Entwicklungsprozess konnte sichin dieser Form sich nicht durchsetzen.Der ganzheitliche Ansatz scheiterte ander Beherrschbarkeit komplexerSysteme durch den Menschen, an denzu hohen Anwendungen für Hard-und Software sowie an der Kürze desRealisierungszeitraumes. Er scheitertean der Beherrschbarkeit der Datenflut,-qualität, -änderungsgeschwindigkeitund -aktualität sowie den methodi-schen software- und hardwareseitigenVoraussetzungen, die eine Wirtschaft-lichkeit der Wandlungsprozesse nur inTeillösungen zuließ.

Ganzheitliche Planungsmethoden und-werkzeuge wurden, wenn überhauptvorhanden, auf innerbetriebliche Pro-zesse angewendet. GanzheitlicheGeschäftsprozesse und überbetriebli-che vernetzte Wertschöpfungskettenwaren nicht Gegenstand der Betrach-tung.

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Bild 4: Entwicklungsetappen zum flexiblen

automatisierten und rechnerintegrierten Betrieb

Bild 5: Virtual Reality als Entwicklungsstufe auf

dem Weg zur digitalen Fabrik

Dennoch können die Arbeiten zurCIM-Fabrik nicht zuletzt auch inVerbindungen mit der IT-relevantenQualifizierung aller Bereiche als eineVorstufe zur digitalen Fabrik angese-hen werden.

Die CIM-Philosophie hat große Vorteileund neue Erkenntnisse in der Durch-setzung informationeller Abläufe einesgesamten Betriebes erbracht. Prozesseder Produktionsvorbereitung, -durch-führung und -sicherung wurden ganz-heitlich informationstechnisch analy-siert. Sie tragen zur Verbesserung derBetriebsergebnisse bei.

Auf dem Wege zur digitalen Fabriksind daher verschiedene Entwicklungs-stufen vom sequential digital überconcurrent process bis zum know-ledge based Engineering entsprechendBild 5 zu durchlaufen.

3. Vision: Digitale Fabrik 3.1. GrundlagenAls Vision steht die »Digitale Fabrik«in den Anfängen und benötigt nochJahre in ihrer Umsetzung. Die Digitali-sierung der Konstruktions- und Ent-wicklungsarbeiten, der Einsatz vonSimulationsmethoden und Darstel-lungen der virtuellen Realität (VR-Techniken) verbessern in jüngster Zeitdie digitale Entwicklung. Auch die

rechnergestützten Methoden derFabrikplanung haben große Fort-schritte gemacht. Heute liegt derFokus auf der Planung und Steuerungganzheitlicher Prozesse einschließlichihrer Vernetzung. Durch ihre Integra-tion schließt sich der Kreis zur digita-len Entwicklung, Produktionsplanung,Produktion und Produktionssicherung.

Die digitale Fabrik bildet alle Aspekteeiner Fabrik im digitalen Modell ab,mit denen Entwickler und Planer ver-schiedene Prozesse, Systeme in Vari-anten planen und simulieren können.So lassen sich ohne aufwendige realeModelle verschiedene Produkte,Prozesse, Anlagen und ganze Fabrikenvirtuell darstellen. /2/

Dabei übernimmt die digitale Fabrikdie virtuellen Prototypen direkt ausder Entwicklung, man plant damit dieProduktionsstätten und simuliert mit

diesen Daten schlanke Produktions-prozesse. Die auf der Datenebeneintegrierte IT-Plattform ermöglichteine computergestützte Produktent-wicklung auf der Basis von Produkt-Daten-Management-Systemen sowieder Produktionsplanung und demEnterprise Ressource Planning ausStammdaten der Produktion.

Die Digitalisierung von Produkten,Prozessen und Systemen entlang derWertschöpfungskette erschließt neueMöglichkeiten einer effizienten Pro-dukt-, Produktionsprozess- und Fabrik-gestaltung auf virtueller und realerEbene.

Eine virtuelle Produktion beinhaltet diedurchgängige experimentelle Planungund Steuerung von Fabrikationspro-zessen und Anlagen über digitaleModelle, die sich problembezogenüber geeignete Informations- undKommunikationsplattformen verknüp-fen lassen.

Das Konzept der Digitalisierung einerFabrik beruht auf der Idee, einedurchgängige Planungsunterstützungentlang der Wertschöpfungskette undder Lebenszyklusphasen so zu schaf-fen, dass sie der Realität sehr nahekommt. Zu ihrer Realisierung müssendie Systeme, Kommunikationsplatt-formen und die Daten aufbereitet undverfügbar sein.

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Bild 6: Digitale Fabrik als Bindeglied zwischen

realer und virtueller Produktion /14/

Die digitale Fabrik wird zum Binde-glied zwischen realer und virtuellerProduktion entsprechend Bild 6. /14/

Sie stützt sich auf Methoden undWerkzeuge, mit denen stets der Abgleich der Daten zwischen Produkt-/Produktionsmodell und dem geplan-ten bzw. realen Produkt- und Produk-tionsmodell hergestellt werden muss.

Für den Begriff »digitale Fabrik«existiert bisher keine allgemein akzep-tierte Definition. Nach unterschiedli-chen Aspekten wurden Vorschlägeunterbreitet von: /15/, /16/, /17/; /18/

Ausgehend von der Überlegung, dassdas digitale Modell einer Fabrik imSinne einer einheitlichen Datenbereit-stellung bereits ein Werkzeug zurDatenintegration darstellt, kann diedigitale Fabrik wie folgt definiert wer-den:

Die digitale Fabrik ist ein virtuellesdynamisches Modell eines vollständi-gen Produktionssystems, in dem alleProdukte, Ressourcen sowie die Pro-zesse und logistischen Abläufe abge-bildet sind. Das Modell fungiertgleichzeitig als Werkzeug zur Prozess-planung und ermöglicht mit Hilfe vonSimulationen und Analysen eineOptimierung von Produkten undProduktions und Logistiksystemenüber den gesamten Lifecycle.

Fazit:Die digitale Fabrik ist der Oberbegrifffür ein umfassendes Netzwerk vondigitalen Modellen und Methodenunter anderem der Simulation und 3-D-Visualisierung. Ihr Zweck ist dieganzheitliche Planung, Realisierungund laufende Verbesserung allerwesentlichen Fabrikprozesse und -ressourcen in Verbindung mit demProdukt. Für flexible vernetzbareUnternehmen ist die digitale Fabrik einWerkzeug im Rahmen einer unterneh-

mensübergreifenden Strategie desProdukt-Lebenszyklus-Management(PLM). /19/

Die Primärziele sind Rationalisierungs-(Zeit- und Kostenoptimierung) undQualitätsziele. Durch Parallelisierungder Prozesse lässt sich nach Bild 7 derPlanungsaufwand reduzieren. /2/

Sekundärziele sind Kommunikation,Funktionserwerbung und Wissens-basis.

Bild 7: Reduzierung des Planungsaufwandes

durch die digitale Fabrik

Im Zusammenhang mit der digitalenFabrik haben sich verschiedene Pro-zessmodelle herausgebildet. Die ver-netze digitale Produktion soll das Bild8 veranschaulichen.

Bild 8: Kooperationsnetzwerke in der digitalen

Fabrik

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3.2. VorgehensweiseDie Einführung der digitalen Fabrikbasiert grundsätzlich auf der Auswahlübergreifender Standards und Produk-tionsprinzipien. Es sind zunächst füreinzelne »Module« oder Produktions-bereiche die Best-Practices zu identifi-zieren, die dann als verbindlicheStandards in Datenbanken verwaltetund für alle Planungsbeteiligtenbereitgestellt werden. Diese Modulekönnen bei Bedarf neu zusammenge-setzt oder durch Änderungen einigerParameter modifiziert werden. Wichtigist, dass alle relevanten Daten nureinmal erfasst werden, um Aktualität,Vollständigkeit und Konsistenz zugewährleisten. Anschließend ist einentsprechendes Datenmanagement-system zu installieren, dass die Datenverwaltet und über ein Workflow-Management allen Beteiligten zurVerfügung stellen. Das Workflow-Management regelt Abstimmungenund Synchronisation zwischen deneinzelnen Prozessen. Damit wirdsichergestellt, dass jeder Mitarbeiterzur richtigen Zeit, im richtigen Kontextund in der richtigen Informationstiefeüber entsprechende Daten verfügt,die sich auf materielle, Human-, Infor-mations- und Kapitalressourcen bezie-hen. /20/

Im Einzelnen sind bei der Implemen-tierung der digitalen Fabrik, die ineinem Unternehmen als eine umfang-reiche eigenständige Projektarbeit zubetrachten ist, folgende Schrittedurchzuführen:

1. Erstellen des Prozessmodells

2. Installation der Softwaremodule

3. Training

4. Aufbau Planungsumgebung

5. Import von Produktdaten, Aufbauvon Bibliotheken für Ressourcen –BEMI – und Operationen, Integrati-on von Studien – Simulationen

6. Projektabwicklung für einen Pilot-bereich (Konzeptphase, Feinpla-nungsphase, Ausführungsphase)

7. Reporting (Dokumentation undKommunikation)

8. Bewertung (Änderungsmanage-ment, Planungsfunktionalität, Qua-lität und Effektivität, Verwendungvon Standards, Datenintegration,Kommunikation, Dokumentation)

9. Ermittlung der Nutzenpotenziale(Kosten, Qualität, Zeit)

Da die digitale Fabrik die Gestaltungund Organisation der Prozesse einesUnternehmens wesentlich beeinflusst,sind Umorganisationen unvermeidlich.Nicht einzelne Funktionen, sonderndie Gestaltung eines durchgehendenProzesses steht im Vordergrund. Erstin diesem Sinne funktionierendeGeschäftsprozesse ermöglichen einenerfolgreichen Einsatz der digitalenFabrik.

4. Fazit und Entwicklungs-tendenzenDie digitale Fabrik wird mit dem virtu-ellen Produkt zu einem gemeinsamenModell zusammenwachsen. Bereichs-übergreifende Zusammenarbeit wirdsich verstärken. Die Zeiten, in denenjeder Beteiligte seine Aufgabe isoliertausführte, um dann in unzähligenAbstimmungsrunden wieder eingemeinsames Ergebnis zu erreichen,werden ihrem Ende entgegengehen.Der neue Umgang mit den Daten,verursacht durch die vielen jetzt trans-parenten Informationen, wird dieArbeitsweisen erheblich verändern. Sowerden sich die Zulieferer stärker ver-netzen. Eine steigende Zusammen-

arbeit mit Systemlieferanten ist z. Z. inder Automobilindustrie zu beobach-ten. Die Komplexität der Schnitt-stellengestaltung führt hier zu einerdirekten Einbindung der Zulieferer.Generell ist dabei der Handlungsdruckumso größer, je enger der Lieferantmit dem Original Equipment Manu-facturer (OEM) verbunden ist. Um daskomplexe Modell einer Fabrik inklusivedessen interne Logik übertragen zukönnen, wird in absehbarer Zeit derZulieferer unmittelbar auf die Original-datenbanken des OEM zurückgreifen.Sofern Zulieferanten die Wahl habenund nicht zur Zusammenarbeit ver-pflichtet sind, gilt: Je komplexer dasProdukt und je größer die Anlagenin-vestition, desto günstiger sind dieVoraussetzungen für den Einstieg indie digitale Fabrik.

Neuere ganzheitliche Planungs- undSteuerungsmethoden zielen aufwandlungsfähige Fabrik- und Netz-strukturen ab. Diese erfordern inAnlehnung an /16/, /20/, /21/, /22/

– eine ganzheitliche Betrachtung derGeschäftsprozesse der Wertschöp-fungskette (Produkt, Prozess, Sy-stem, Fabrik) über den gesamtenLebenszyklus des vernetzten Pro-duktions- und Fabriksystems,

– die Dezentralisierung und Vernet-zung des Planungs- und Steue-rungsprozesses (Regelkreise),

– die unternehmensübergreifende Integration von Planungs- undSteuerungsprozessen,

– eine prozessorientierte Planung dynamischer Prozesse, Systeme undNetze,

– permanente Planungs- und Steue-rungsbereitschaft

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– die methodische Weiterentwick-lung durch Integration von Planungsschritten, -sequenzen und -zyklen,

– simultane Gestaltung modularerStrukturen (integrative Prozess- undSystemstrukturierung) im Objekt-und Methodenbereich,

– dynamische Dimensionierung undStrukturierung von Ressourcen,

– partizipative, simulationsgestütztePlanung (Layout-) und Steuerung

– prozessorientierte Optimierung undVisualisierung aller Abläufe, Objek-te und Strukturen,

– Entwicklung und Bereitstellung vonMethoden und Werkzeugen für dieDigitalisierung.

Prinzipielle Voraussetzungen für einenganzheitlichen Planungsansatz zurGestaltung wandlungsfähiger Fabrik-und Netzsysteme sind geeignete Vor-gehensmodelle, verfügbare Methodensowie Kopplungs- und Integrations-fähigkeit der einzelnen Methoden. Fürden sehr hohen Modellierungsauf-wand muss noch qualifiziertes Fach-personal ausgebildet und bereitgestelltwerden.

Für die Fabrikplanung und den Fabrik-betrieb werden unterschiedlicheModelle der virtuellen und digitalenFabrik einzeln und in ihrer Verknüp-fung mit der realen Fabrik genutzt(Bild 9). /2/, /20/

Bild 9: Verknüpfung von realen Fabriken und

Fabrikmodellen

Diese Verknüpfung hat den Vorteil,dass die aus der realen Fabrik analy-sierten und in die digitale Fabrik abge-legten Daten über den Planungspro-zess zielorientiert verändert werden.Diese Veränderungen werden dann ineiner virtuellen Fabrik sichtbar ge-macht. Sie bilden die Basis für dieGestaltung der neuen (gewandelten)Fabrik. Der hier dargestellte Kreislaufkann je nach Bedarf abgearbeitetwerden.

Dieser Ablauf führt zu neuen Mög-lichkeiten der Variantenprojektierungund zur Vorausbestimmung derAuswirkungen von Wandlungspro-zessen.Dafür werden spezielle Methoden,Modelle und Instrumentarien insbe-sondere die der Simulation und virtu-ellen Realität eingesetzt.

Das Bild verdeutlicht auch die zentraleStellung von Fabrikplanung undFabrikbetrieb für die Gestaltungwandlungsfähiger Fabriken, die zueiner permanenten Management-aufgabe geworden ist bzw. werdenmuss. Dies gilt nicht nur für Groß-unternehmen sondern auch für kleine,mittelständische Unternehmen.

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Literatur

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Schlusswort zum Ehrenkolloquium

Man kann nur danken, denn es hat mir gut getan – aber eigentlich hätte ich ein Schild tragen müssen: »Ich war das nicht!«

Und ich bedanke mich mit dem Fazitmeines bisher gehabten Lebens:

Umwertung aller Werte (nach Eugen Roth)

Ein Mensch von gründlicher Natur macht bei sich selber Inventur.Wie manches von den Idealen,die er einst teuer musste zahlen,gibt er, wenn auch nur widerwillig, weit unter Einkaufspreis, spottbillig.Auf einen Wust von holden Träumenschreibt er entschlossen jetzt: »Wir räumen!«Und viele höchste Lebensgütersind nunmehr alte Ladenhüter.Doch ganz vergessen unterm Staubeist noch ein Restchen alter Glaube,verschollen im Geschäftsbetriebehielt sich auch noch ein Quäntchen Liebe,und unter wüstem Kram verschloffenentdeckt er noch ein Stückchen Hoffen.Der Mensch, verschmerzend seine Pleite,bringt die drei Dinge still beiseiteund lebt ganz glücklich bis zur Frist, wenn er noch nicht gestorben ist!

Prof. Dr. Dr.-Ing. Prof. E.h.

Eberhard Gottschalk

EhrenkolloquiumWandel in Produktion und Logistikanlässlich des 70. Geburtstages von Prof. Dr. Dr.-Ing. Prof. E.h. Eberhard Gottschalk13. Januar 2006, Magdeburg

HerausgeberFraunhofer-Institut für Fabrikbetrieb und -automatisierung IFF

Prof. Dr.-Ing. habil. Michael SchenkInstitutsleiter

Sandtorstr. 2239106 MagdeburgTelefon: +49 391/40 90-0Telefax: +49 391/40 [email protected]

RedaktionHerbert Siegert

KonzeptionBettina RohrschneiderHerbert Siegert

LayoutBettina Rohrschneider

© Fraunhofer IFF, Januar 2006.

Impressum

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