finanzpolitik und finanzwesen bulgariens

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Finanzpolitik und Finanzwesen Bulgariens Author(s): W. K. Weiss-Bartenstein Source: FinanzArchiv / Public Finance Analysis, 33. Jahrg., H. 2 (1916), pp. 127-220 Published by: Mohr Siebeck GmbH & Co. KG Stable URL: http://www.jstor.org/stable/40906075 . Accessed: 12/06/2014 13:54 Your use of the JSTOR archive indicates your acceptance of the Terms & Conditions of Use, available at . http://www.jstor.org/page/info/about/policies/terms.jsp . JSTOR is a not-for-profit service that helps scholars, researchers, and students discover, use, and build upon a wide range of content in a trusted digital archive. We use information technology and tools to increase productivity and facilitate new forms of scholarship. For more information about JSTOR, please contact [email protected]. . Mohr Siebeck GmbH & Co. KG is collaborating with JSTOR to digitize, preserve and extend access to FinanzArchiv / Public Finance Analysis. http://www.jstor.org This content downloaded from 62.122.76.54 on Thu, 12 Jun 2014 13:54:49 PM All use subject to JSTOR Terms and Conditions

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Page 1: Finanzpolitik und Finanzwesen Bulgariens

Finanzpolitik und Finanzwesen BulgariensAuthor(s): W. K. Weiss-BartensteinSource: FinanzArchiv / Public Finance Analysis, 33. Jahrg., H. 2 (1916), pp. 127-220Published by: Mohr Siebeck GmbH & Co. KGStable URL: http://www.jstor.org/stable/40906075 .

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Page 2: Finanzpolitik und Finanzwesen Bulgariens

Finanzpolitik und Finanzwesen Bulgariens. Von

W. K. Weiss-Bartenstein (Berlin)1).

Erster Teil.

Staatliche Finanzwirtschaft. Wie jeder Wirtschaftsbetrieb zerfällt auch der des Staates und der Selbst-

verwaltungskörper in die Einnahme- und Ausgabewirtschaft. Ausserdem ist zu untersuchen die formale und staatsrechtliche Ordnung der Finanzwirt- schaft und das sich aus der Kontinuität des Staatslebens ergebende Schulden - wesen. Nach diesen Gesichtspunkten werden wir darum die Finanzpolitik und das Finanzwesen Bulgariens zu behandeln haben, und zwar betrachten wir zuerst die staatliche Finanzwirtschaft und dann diejenige der Selbstverwaltungskörper.

Da in der öffentlichen Finanzwirtschaft, im Gegensatz zur Uebung der Privatwirtschaft, bei der Feststellung des Wirtschaftsplanes für die kommende Wirtschaftsperiode zuerst die Bedürfnisse und die dafür notwendigen Ausgaben und erst dann die entsprechenden Deckungsmittel festgestellt werden, so ist zuerst jener Teil der Finanzen zu behandeln, der von den Ausgaben, dem Auf- wände oder Bedarfe des Staates handelt, wobei jedoch die Ausgaben nicht ohne Rücksicht auf die Frage der Deckung betrachtet werden können. Ist doch die Darstellung der öffentlichen Einnahmewirtschaft die erste und vornehmlichste Aufgabe der Finanzwissenschaft, während die Ausgaben nur in Kürze zu be- rühren sind.

Erster Abschnitt.

Staatsausgaben. I. Entwicklung und Steigerung der Staats ausgaben und ihre Gründe.

Bei den Ausgaben Bulgariens muss man sein früheres Vasallenverhältnis zur Türkei berücksichtigen. Der türkische Staat begnügte sich, ganz als wäre er in die Schule des Liberalismus des 18. und selbst noch der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gegangen, mit der Erfüllung der Aufgaben des Recht- und Machtzweckes. Die Gründe hierfür waren freilich andere, als bei den liberalen Theoretikern des 18. und 19. Jahrhunderts. Doch liegt es nicht in unserer Auf-

!) Vgl. auch die Werke des Verfassers : „Bulgariens volkswirtschaftliche Entwicklung mit besonderer Berücksichtigung des Finanzwesens", 1913, Verlag von Dietrich Reimer, Berlin, und „Bulgarien, Land, Leute und Wirtschaft", Leipzig, 1913, Dieterichsche Verlags- buchhandlung.

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128 Weiss-Baitenstein,

gabe, sie hier darzulegen. Für unsere Zwecke genügt die Feststellung der Tat- sache, um aus ihr zu begründen, weshalb der neue bulgarische Staat, der von vornherein das Ziel verfolgte, auch ein Kultur- und Sozialstaat zu sein, so schnell bedeutend höhere Ausgaben haben musste, als einst die Türkei für das ent- sprechende Gebiet hatte.

Die Ausgaben für die Kultur- und Sozialaufgaben des Staates mussten aber um so höher sein, als das bulgarische Volk alle die Jahrhunderte vorher unter fremder Gewalt geschmachtet hatte und darum auf einer sehr niedrigen Kultur- und Wirtschaftsstufe stand. Deshalb musste die Uebemahme dieser neuen Aufgaben durch den Staat auch eine schnelle und dauernde Steigerung der Staatsausgaben verursachen.

Doch noch ein anderer Antrieb kam hinzu, die Ausgaben zu steigern. So wie die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse nun einmal in Bulgarien lagen und zum Teil noch liegen, fehlt es in Bulgarien an wirklich reichen oder selbst auch nur gut wohlhabenden Familien sehr stark. Auf die Mitwirkung solcher Kreise in einem auch nur einigermassen ausreichenden Umfange konnte der Staat also auch nicht rechnen. Was geschehen musste - ■ und das war sehr viel - konnte fast alles nur aus Staatsmitteln geschehen. Erinnert man sich zudem, dass auch alte Kultur Staaten in den letzten Jahrzehnten eine grosse Steigerung der Staatsaufgaben und damit auch der Staatsausgaben durchgemacht haben, so ist auch daraus zu erkennen, dass in einem Staate wie Bulgarien, der sich binnen weniger Jahrzehnte aus vollständiger Unkultur zu einem neuzeitlichen Kultur- und Sozialstaat emporarbeiten wollte, die Staatsausgaben in einer gar nicht vorauszusehenden Weise plötzlich wachsen mussten.

Mit der ungemeinen Steigerung der Staatsausgaben konnte aber der Volkswohl- stand nicht gleichmässig wachsen; wollte also Bulgarien auf dem einmal beschrittenen Wege fortfahren, so blieb ihm nur das eine übrig, die Hilfe des Auslandes in An- spruch zu nehmen. Für produktive Anlagen - auch wenn sie sich vorläufig noch nicht voll verzinsten - hatte das auch keine Bedenken, wenn auch die Spannung zwischen dem an das Ausland zu zahlenden und dem herausgewirt- schafteten Zins eine neue Belastung des Landes bedeutete. Man durfte von produktiven Anlagen, sofern sie mit den Bedürfnissen des Landes wirklich in Einklang standen, eine wirtschaftliche Entwicklung des Landes erhoffen, die die Opfer der ersten Jahre einst wirklich aufwiegen musste.

Bulgarien ist aber bei solchen produktiven Anlagen nicht stehen geblieben; es hat zur Entwicklung seiner Wehrkraft ebenfalls grosse Anleihen gemacht und hierfür den Etat dauernd erhöht. Freilich kann es auch dafür stichhaltige Gründe anführen. Bulgarien musste zum Aegaischen Meere streben. Das Auf- kommen der Jungtürken Hess die Erreichung dieses Zieles für die allernächste Zeit als notwendig erscheinen, wollte Bulgarien nicht ganz darauf verzichten und sich so alle Aussichten für eine zukunftsvolle Entwicklung verscherzen. Heute hat das Land dem König Ferdinand auch in bezug auf das befreite Mazedonien für seine Tätigkeit zur Entwicklung eines tüchtigen Heeres zu danken.

So waren auch diese sog. unproduktiven Anleihen notwendig; sie waren auch insofern produktiv, als sie dem Lande im Balkankriege ein reiches ent-

wicklungsfähiges Gebiet und vor allen Dingen die Küste des Aegaischen Meeres 586

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und im Weltkriege mindestens Mazedonien einbrachten. Dass dem ersten Balkan- kriege ein zweiter folgte, der Bulgarien schwere Opfer kostete, war nicht voraus- zusehen und nicht die Schuld der bulgarischen Diplomatie, sondern der Treulosig- keit seiner Verbündeten. Gerade aber dieser zweite Krieg belastete den Staat sehr stark mit einer schwebenden Schuld, deren endgültige Regelung durch den Ausbruch des Weltkrieges auch heute noch hinausgeschoben ist.

Dass Bulgariens Ausgaben so fast ins Grenzenlose wuchsen, hatte also auch darin seinen Grund, dass unvorhergesehene politische Ereignisse es zu äusserster Kraftentfaltung in einer Zeit nötigten, als seine Kräfte noch kaum ausreichten, den ungemeinen Aufgaben auf dem Gebiet der Kultur, des Wirt- schaftslebens und der Sozialpolitik gerecht zu werden.

In welcher Weise die Ausgaben des Staates gestiegen sind, das sei hier noch durch eine charakteristische Zahlenangabe dargetan. Das Budget Bulgariens ist von 1887, dem ersten Jahre, in dem ein Etat für das vereinte Fürstentum aufgestellt wurde , bis 1912 , dem letzten Jahre vor dem Balkankriege , von 47,2 Mill. Fr. auf 161,9 Mill. Fr. gestiegen, d. h. um 343 %, und beträgt nach dem Voranschlage für 1915 275,4 Mill. Fr.

II. Staatsausgaben in den Budgets von 1911 - 1915. Ueber die Ausgaben des heutigen Bulgarien und seine jüngste Entwicklung

soll die folgende Zusammenstellung unterrichten, die nach dem Budgetbericht für 1915 vorgenommen ist. Bei der Zusammenstellung und Berechnung der Beträge, sowie ihrer Vergleichung mit anderen Statistiken ergab sich, dass der Budgetbericht Fehler in Höhe von Millionen Franken enthält, die sich allerdings

Noten zur Tabelle Staatshaushalt Bulgariens Seite 130. 1) Die Verzinsung der schwebenden Schuld stieg allein um rund 20 Mill. Fr. 2) Die Mehrkosten waren in erster Linie verursacht durch die Unterstützungen von

Flüchtlingen, die aus den Grenzbezirken nach Bulgarien zurückkehrten. 3) Man sparte in dem Jahre ganz ungemein an persönlichen Ausgaben sowohl bei

der Polizei, wie beim Gesundheitswesen durch Kürzung der Gehälter um einen Teil der Militärlöhnung.

*) Man spurte in beiden Jahren sowohl damit, dass man Personal gar nicht oder durch minder bezahltes ersetzte, wie auch damit, dass man alle sachlichen Ausgaben, die es irgend erlaubten, auf spätere Zeit hinausschob.

&) Die grosse Mehrausgabe erklärt sich teils aus den sachlichen Ersparnissen der Vorjahre, teils aus der Angliederung von Neubulgarien.

(i) Die grosse Mehrausgabe erklärt sich teils aus den sachlichen Ersparnissen der Vorjahre, teils aus der Angliederung von Neubulgarien, für das neue Erhebungsstellen für die Akzisen und neue Werkstätten für die Staatsmonopole, sowie auch neue Zollstätten eingerichtet werden muss ten.

7) Berechnet wurden nur die Friedensmonate, die anderen Monate wurden auf Kriegs- konto gestellt.

8) Entsprechend der Vergrösserung des Landes wurde auch das Heer bedeutend ver- grössert.

9) Die grosse Mehrausgabe erklärt sich aus den grossen sachlichen Ersparnissen der beiden Vorjahre.

1°) In dem Jahre begann der Unterricht in einigen neuen Landwirtschaftsschulen, die den Etat mit beinahe 1 Mill. Fr. im Jahre belasteten ; auch der Forstverwaltuug begann man in diesem Jahre grössere Aufmerksamkeit zuzuwenden, desgleichen der Verwaltung der Domänen. Wenn der Unterschied im Etat nur 750,000 Fr. ausmachte, so lag das teils daran, dass die Landwirtschaftsschulen sachliche Ausgaben schon Ende des Jahres 191I

Finanzarchiv. XXXIII. Jahrg. 587 a

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130 Weiss-Bartenstein,

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bei den Schlussberechnungen wieder ausgleichen. Denn die Schlusssummen der grossen Hauptteile ergeben trotz unrichtiger Zwischenadditionen verschiedener Abschnitte schliesslich doch in der Zusammenfassung die tatsächliche Summe aller einzelnen Haushaltsposten, so dass in der Schlussrechnung der Gesamt - bedarf für die einzelnen Hauptgruppen der Regierungsausgaben nicht durch Zusammenziehung der Zwischenadditionen, sondern der verschiedenen Einzel- posten festgestellt zu sein scheint. Dies muss erwähnt werden, weil unsere be- richtigte Zusammenstellung nunmehr in einzelnen Posten von den Zahlen in den Kapiteln des Budgets für 1915 und den darin enthaltenen Vergleichen mit früheren Jahren abweicht. Im übrigen dürften die Anmerkungen zu der Tabelle die Ausgabenposten genügend erläutern, so dass sich weitere Betrachtungen über das Ausgabewesen erübrigen.

Aus vorstehendem ist in grossen Zügen zu ersehen, zu welchen Zwecken die Staatsausgaben Bulgariens verwendet wurden, welchen Schwankungen die einzelnen Zweige des öffentlichen Bedarfs in den letzten Jahren unterworfen waren und welche Anforderungen in dem laufenden Etats jähr an den Staats- säckel gestellt werden. Nachdem wir uns vorher auch die ausserord entliehe Steigerung der Staatsausgaben und ihre Gründe, sowie ihr Verhältnis zum Volks- wohlstande kurz vor Augen geführt haben, können wir zur Einnahmewirtschaft übergehen.

Zweiter Abschnitt.

Staatseinnahmen.

I. Erwerbseinkünfte. Man kann die Einnahmen eines Staates und Selbstverwaltungskörpers in

zwei Hauptgruppen trennen, in Einnahmen privatwirtschaftlicher und Ein- nahmen staatswirtschaftlicher Natur oder mit anderen Worten in Erwerbsein- künfte und Abgaben. Die Einnahmen privatwirtschaftlicher Natur oder die Erwerbseinkünfte beruhen einerseits auf den Domäne^ und anderseits auf den Gewerbe-, Handels- und Verkehrsunternehmungen. Sie haben für Bulgarien keine grosse Bedeutung. Der Grund hierfür ist ein doppelter. Von der Türken - zeit her hat der bulgarische Staat ausserordentlich wenig Staatsbesitz und Staats- betrieb übernommen, und was in der Gegenwart von Staatsbesitz und Staats- betrieb hinzukam, ist bisher noch wenig einträglich für den Staat gewesen. Der von der Türkenzeit her übernommene Staatsbesitz bestand in Domänen (Feld- gütern und Forsten).

Ihre Erträge sind gering, so dass sie hier nicht näher behandelt werden sollen. Die Domänen erscheinen in dem Bruttoetat für das Jahr 1915 mit Roh-

verursacht hatten, teils daran, dass man im letzten Viertel des Jahres auch in diesem Ministerium sehr zu sparen trachtete.

ll) Die grosse Mehrausgabe erklärt sien teils aus aen sacnncnen Ersparnissen uer Vorjahre, teils aus der Angliederung von Neubulgarien, in welchem viele Land wirtschafts- Bchulen angelegt wurden, teils aus dem weiteren Ausbau des landwirtschaftlichen Unter- richtswesens überhaupt, teils endlich aus grossen Reformen beim Veterinärwesen, das bis dahin noch ziemlich im argen gelegen hatte.

12) In diesem und dem nächsten Jahre kam der Ausbau des Verkehrsnetzes nur Neu- bulgarien zugute.

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einkünften von nur 5,1 Mill. Fr. und hatten im letzten Jahre nicht gestörter Entwicklung für Bulgarien, im Jahre 1911, tatsächliche Roheinkünfte von 3,9 Mill. Fr. zu verzeichnen. Nach dem Voranschlage des Budgets von 1915 bringen die Einkünfte aus Domänen nur 7,5 v. H. der gesamten Erwerbseinkünfte. Obwohl diesen Roheinnahmen nur geringe Betriebsausgaben gegenüberstehen, sind die Erträge sehr klein und könnten bedeutend vergrössert werden, wenn die Domänen mehr als bisher vom Rentabilitätsstandpunkt aus bewirtschaftet würden. Sie könnten, auch ohne dass volkswirtschaftliche Rücksichten ge- schädigt würden, mehr als bisher dem finanziellen Bedarf des Staates dienstbar gemacht werden.

Mehr als neun Zehntel der gesamten Erwerbseinkünfte werden somit durch die (¿ruppe der staatlichen Gewerbe-, Handels- und Verkehrsunternehmungen aufgebracht. Von diesen sind hier zu erwähnen die Staatsdruckerei, die staat- liche Ausbeutung mineralischer Erdschätze, die Staatsbanken, die Eisenbahnen und das Nachrichtenwesen. Die Staatsdruckerei hatte 1911 Bruttoeinkünfte von 1,6 Mill. Fr., die sich nach dem Etat von 1915 auf 2 Mill. Fr. erhöhen sollen. Die Ausgaben betrugen 1911 1,14 Mill. Fr. und sind für 1915 mit 1,64 Mill. Fr. veranschlagt. Die Staatsminen von Pernik und Bobov-Dol, der Mineralsprudel von Meritschleri und die mineralis-chen Bäder in Verschetz, Banki und Hissar, welche im Jahre 1911 Bruttoeinkünfte von 3,4 Mill. Fr. brachten und 2,1 Mill. Fr. Ausgaben verursachten, sind für 1915 mit 5,3 Mill. Fr. Roheinkünften und 3,2 Mill. Fr. Betriebsausgaben angesetzt. Die Anteile des Staates an den Ge- winnen der Bulgarischen Nationalbank und der Bulgarischen Landwirtschafts - bank betrugen 1911 4,3 Mill. Fr. und sind für 1915 auf 6,4 Mill. Fr. veranschlagt. Die Eisenbahnen und Häfen, sowie das Post-, Telegraphen- und Telephonwesen sollen im Jahre 1915 Roheinkünfte in Höhe von 49,4 Mill. Fr. ergeben, während 1911 35,8 Mill. Fr. erzielt wurden. Hiervon entfallen für 1915 auf die Eisen- bahnen allein 38 Mill. Fr. und für 1911 27,6 Mill. Fr., während die Häfen nur 2 Mill. Fr. bzw. 1,3 Mill. Fr. ergeben und der Rest auf das Nachrichtenwesen entfällt. Dagegen sind für Eisenbahnen und Häfen für 1915 Kredite in Höhe von 24,8 Mill. Fr. und für das Nachrichtenwesen 9,7 Mill. Fr., also zusammen 34,5 Mill. Fr. bewilligt. Da im Jahre 1911 die Ausgaben hierfür nur 15,4 Mill. Fr. und 6,5 Mill. Fr., also zusammen 21,9 Mill. Fr. betrugen, haben sich die Auf- wendungen bedeutend gesteigert.

Nach dem Voranschlage betrugen die Gesamteinnahmen im Bruttoetat für 1915 275,379,886 Fr. Von diesen entfallen nur 68,3 Mill. Fr. auf die Erwerbs- einkünfte und von diesen wieder auf die Einnahmen aus dem Verkehrswesen 49,4 Mill. Fr., das sind 7 v. H. Hiernach bringen die Erwerbseinkünfte also etwa ein Viertel der gesamten Staatseinnahmen auf.

II. Abgaben. 1. Steuern«

Wir gehen nun zu den staatswirtschaftlichen Einnahmen oder den Ab- gaben über. Bei diesen unterscheiden wir Steuern und Gebühren. Da die Ein- nahmen aus den Gebühren zum grössten Teil den Selbstverwaltungskörpern zu- gewiesen sind oder den mit ihrer Erhebung beauftragten Beamten als Sportein

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zufallen, so haben wir uns in erster Linie mit den Steuern zu befassen, die für den Staatshaushalt Bulgariens von ganz überwiegender Bedeutung sind. Während die Staatseinnahmen im allgemeinen oft grossen Schwankungen unterworfen sind und zuweilen auch Rückgänge zeigen, haben die Gesamtsteuereinnahmen seit dem Jahre 1887 steigende Bewegung; sie bilden gerade in den Jahren volkswirt- schaftlicher und finanzieller Krisen das Rückgrat des Einnahmeetats.

A. Die direkten Steuern.

a) Steuergesetzgebung von der Befreiung bis zur K e f o r m von 1894/5.

Die ersten Schritte auf dem Gebiete der Steuerpolitik m achte der junge bulgarische Staat schon auf Grund der Art. VI und VII des Berliner Vertrages1). Die auf die Dauer von 6 Monaten eingerichtete russische Regierung setzte eine aus Russen und Bulgaren bestehende Kommission ein, welche ein Steuersystem auszuarbeiten hatte2). Die Kommission war bestrebt, diejenigen Einrichtungen des türkischen Steuersystems möglichst beizubehalten, die in Bulgarien ohne Härten in Anwendung kommen konnten. Dagegen wurden einige Alten der bisherigen Besteuerung abgeschafft, die aus politischen und religiösen Anschauungen der Türken entstanden waren. So die Kopfsteuer, welche ausschliesslich die Christen traf, sowie sonstige Geldabgaben der christlichen Bevölkerung für die Befreiung vom Militärdienst usw. Ausserdem wurden Aenderungen in der Art der Steuer- erhebung durchgeführt. So ist die erste Periode bis zum Jahre 1894, die sich auf den grundlegenden Bestimmungen dieser Kommission aufbaute, durch das Vorherrschen des türkischen Systems gekennzeichnet. Auch für die Veranlagung waren in den ersten Jahren noch die alten türkischen Steuerlisten massgebend. Da die Ermittlung der Reinerträge zu schwierig erschien, so blieben die veran- lagten Steuern meistens Rohertragssteuern. Als Haupteinnahmequelle des Staates wurde der Zehnt8) von der Türkei übernommen, demzufolge der zehnte Teil vom Rohertrage des Grund und Bodens in Natura oder in Geld an den Staat abgegeben werden musste. Statt der lästigen Naturalabgabe versuchte die russische Verwaltung eine Grundsteuer in Geld einzuführen, welche nach den Getreidepreisen den zehnten Teil des Jahresertrages liefern sollte. Dieser Plan scheiterte an der Schwierigkeit, eine sichere Grundlage durch genaue Bewertung der Qualität und Quantität des Bodens, seiner Fruchtbarkeit und Lage und der Durchschnittspreise der Agrarprodukte auszuarbeiten, da die hierzu nötigen Angaben bei den verwickelten Grundbesitz Verhältnissen und dem Mangel an zuverlässigen Landvermessungen nicht zu erhalten waren.

So wurde der Naturalzehnt vom Ernteertrag des bebauten Bodens durch das Gesetz vom 25. Mai 1880 wieder eingeführt. Ausgenommen hiervon wurden Wiesen, welche nach den Durchschnittspreisen in Geld besteuert wurden, und Weinberge, Tabakpflanzungen und Obst-, Gemüse- und Rosengärten, deren Ab-

l) Nouveau recueil général des traités etc. par <J. Fr. de Martens, li. Serie, Tome Ili, 2me livraison, S. 453.

-) Die Ergebnisse der Untersuchungen dieser Kommission sind in den „Materialien für das Studium (Untersuchung) Bulgariens" zusammengestellt.

3) Drenk off, Die St»uerverhältnisse Bulgariens. Jena luoo. 591

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134 Weiss-Bartenstein,

gaben durch die vorerwähnte Grundsteuer nach Festsetzung der Steuerquoten durch die Kreisräte erhoben werden konnten.

Der Zehnt traf nur den Rohertrag der bebauten Ländereien. Steuersubjekt war nicht der Eigentümer des Bodens, sondern der jeweilige Nutzniesser oder Pächter, also eventuell auch die Zadruge als solche. Die Veranlagung geschah alljährlich durch die Gemeinderäte unter Staatsaufsicht. Sowohl bei den staat- lichen Beamten wurden Uebertretungen ihrer Befugnisse wie auch bei den Steuer- pflichtigen Steuerhinterziehungen streng bestraft.

Dennoch war die Technik der Veranlagung recht unvollkommen, und Un- gleichmässigkeiten waren selbst bei genauesten Beobachtungen der gesetzlichen Vorschriften an der Tagesordnung; denn die Ermittlung des Rohertrages hing mangels näherer Bestimmung von dem Ermessen der Gemeinderäte ab. Ausser- dem wurden bei einer solchen Rohertragssteuer die persönlichen Verhältnisse keineswegs berücksichtigt. Selbst Schulden, welche für die Verbesserung des Betriebes gemacht waren, konnten nicht vom Rohertrage abgezogen werden, und der Begriff eines Existenzminimums war in dem Gesetz nicht vorgesehen, das auch sonst in vielen Punkten unvollständig war und den Steuerorganen zu viel Möglichkeit für die Ausübung persönlicher Willkür gewährte, zumal es keine Berufungsinstanz gab.

Deshalb gelangten auch zahlreiche Gesuche um Abänderung des bestehenden Systems an die Nationalversammlung. In einem Bericht über die Finanzver- waltung des Fürstentums1) wurden viele Ungerechtigkeiten des Systems zu- gegeben, und das Finanzministerium bereitete in einem Zirkularschreiben2) auf die Abschaffung des schädlichen Naturalzehnten vor8), welcher jedoch erst am 13. Februar 18834) durch ein Gesetz in eine Geldabgabe umgewandelt wurde. Aber auch dieses Gesetz blieb bei der Belastung des Rohertrages, anstatt den Grund und Boden als Träger der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zu besteuern. Durch die Belastung allein der bebauten Ländereien unterstützte es die Träg- heit der Bauern, welche sich ohnehin nur zwecks Gewinnung des notwendigsten Lebensunterhaltes zur Bestellung des Bodens entschliessen konnten. Ausgenom- men sind wieder die Weinberge, welche einer besonderen Grundsteuer unterliegen.

Die Ermittlung der Steuerbeträge erfolgte durch eine Kommission, welche die Steuersumme aus dem Durchschnitt der in den letzten 3 Jahren geleisteten Naturalzehnten in Geld umrechnete. Eine Berufungsinstanz wurde eingesetzt, aber eine Berücksichtigung der persönlichen Verhältnisse oder ein Abzug von Schuldzinsen fand noch nicht statt, nur elementare Naturschäden wurden in Rechnung gestellt.

Somit war dieses Gesetz nicht viel besser als das frühere, besonders da die Veranlagung der Steuern dieselbe blieb. Mangels einer genauen Ermittlung

') Vgl. stenogr. Protokolle der III. ord. Volksversammlung, l.sss. a) Nr. 18,633 (Jahr 1882). 3) Inzwischen sind erlassen worden: „Gesetz über den Zehnteir (27. Dezember 1881)

- wurde nicht angewendet. „Verordnung über die Erhebung des Zehnten" (9. Juli 1881). Danach sollten besondere fürstliche Kommissare im Einvernehmen mit den Lokalbehörden darüber entscheiden, wo der Zehnt in natura und wo in Geld zu erheben sei.

4) Dem Gesetze wurde noch vor seiner Annahme von der Volksversammlung als „Gesetzesentwurf zur Umwandlung des Zehnten in Geldabgabe" Gesetzeskraft verliehen (9. Juni 1882).

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des Rohertrages war auch hier der Willkür freier Spielraum gelassen. Infolge- dessen wurden dem Finanzminister wieder Berichte über die Ungleichmässigkeit dieser Steuerbelastung unterbreitet und er musste in der IV. Nationalversamm- lung1) im Jahre 1885 erklären, dass in einzelnen Gegenden 3 - 4 Fr. und in anderen nur 50, 20, ja sogar nur 15 Cts. pro Hektar gezahlt wurden. Dem „Bericht an den Finanzminister über die Lage der direkten Steuern" ist die beifolgende Tabelle entnommen, welche die Verschiedenheit der Belastung nach Kreisen zeigt.

Die Belastung durch den Zehnten (Geldabgabe).

Auf 1 ha Auf 1 ha Nr. Kreise Nr. Kreise

Fr. Cts. Fr. Cts.

1 Lom ... I - 26 10 Varna ... - 56 2 Vidin ... - 34 11 Raohovo . . - 74 3 Wratza . . - 41 12 Silistra . . - 82 4 Trin ... - 46 13 Tirnovo . . - 84 5 Küstendil . - 49 i | 14 Sevlievo . . 1 19 6 Sofia ... - 49 I 15 Rustschuk . 1 32 7 Levetsch . . - 51 1 1 16 Schumla . . 1 35 8 Pleven . . - 53 I [ 17 Rasgrad . . 1 91 9 Sistow . . - 56

Hiernach schwanken die Sätze pro Hektar zwischen 25 Cts. und 1,91 Fr., während die Ungleichmässigkeit anderer Tabellen nach Bezirken und Gemeinden noch grosser ist, als die vorstehende nach Kreisen. Im Kreise Lom z. B. gab es Gemeinden, die durchschnittlich 3 Cts. und solche, die 65 Cts. pro Hektar zahlen, im Kreise Vidin schwankten die Sätze zwischen 19 Cts. und 1,39 Fr. und im Kreise Varna sogar zwischen 2 Cts. und 2,20 Fr.2).

Wenn die einzelnen Gegenden auch eine verschiedene Ertragsfähigkeit des Grund und Bodens aufweisen, so sind die Schwankungen der Steuersätze doch zum grössten Teil auf die Schäden des Steuersystems zurückzuführen, zumal die stärker belasteten Gegenden sogar ohnehin schon oft geringere Erträge auf- weisen, als die minder besteuerten, wobei andere ökonomische Bedingungen, wie Absatzverhältnisse, Transportmittel usw., schon berücksichtigt sind.

Die Veranlagung nach dem durchschnittlichen Rohertrage brachte diese Ungleichheiten mit sich, zumal die Jahre 1879 - 1881 anormale Ernteergebnisse hatten und die Verteilung der Steuer auf die Steuerpflichtigen bis zum Jahre 1889 nicht geändert wurde, trotzdem die Bevölkerungs- und Besitz Verhältnisse in diesem Zeitraum grossen Verschiebungen durch Ein-, Aus- und Binnenwande- rungen im ganzen Lande unterworfen wraren. Infolgedessen wurden die Ge- meinden mit Bevölkerungszuwachs und der damit zusammenhängenden Aus- dehnung der bebauten Ländereien durch das seit 1882 unverändert gebliebene Gemeindesteuerkontingent begünstigt und die entvölkerten benachteiligt, während

*) Stenogr. Protokolle der IV. Volksversammlung. b:>. Sitzung 12. Januar 1HH5. 2) Die durchschnittliche Last pro Hektar kultivierbares Land wird im „Bericht" auf

70 Cts. berechnet. Lj e ss in off, Das System der veranlagten Steuern in Bulgarien. München 1909.

503

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log Weiss-Bartenstein,

gerade erstere in wirtschaftlicher Hinsicht fortschrittlich und letztere rückschritt- lich waren. War diese Ungleichmässigkeit bisher bis zu einem gewissen Grade die Wirkung der Bevölkerungsbewegung, so wurde sie mit der Zeit zu deren Ursache. Denn die Bevölkerung der überlasteten Gemeinde wanderte massen- haft in leichter besteuerte Gebiete aus, zumal überall noch genügend freies Land vorhanden war.

Der Verteilungsmodus war eine weitere Schattenseite des Systems, da er viele Streitigkeiten mangels genauer gesetzlicher Vorschriften verursachte und infolgedessen in den einzelnen Gemeinden verschieden gehandhabt wurde.

Diese vielfachen Uebelstände veranlassten endlich am 26. Januar 1889 die Regierung, durch Gesetz1) wieder den Naturalzehnten einzuführen, um so mehr, als er eine Mehreinnahme von 7 - 8 Mill. Fr. erwarten liess2). Dieses Gesetz war in den grundlegenden Zügen eine Wiedergeburt des Gesetzes von 1880 und wurde nur als eine vorübergehende Massnahme betrachtet, um Zeit zur Aus- arbeitung eines neuen Steuersystems zu gewinnen.

Dieses kam am 15. Dezember 1892 heraus, ohne jedoch wesentliche Neue- rungen gegenüber dem Gesetz von 18833) zu bringen; es führte den Geldzehnt wieder ein und erhöhte ihn nur bedeutend, weil die vorjährigen Ernten bei hohen Getreidepreisen sehr günstige Erträge erzielt hatten4). Auch in bezug auf die Verteilung war dieses System nicht besser als das frühere , und so wurde es 2 Jahre später beseitigt und durch die Grundsteuer ersetzt.

Dieses Hinundherschwanken der Regierung zwischen den beiden Arten des Zehnten zeigte, dass man sich über die beste Art seiner Erhebung nicht klar wurde und auch kaum klar werden konnte. Der Gedanke, den mittelalterlichen Zehnten weiter zu erheben, war eben so absonderlich gewesen und passte so wenig in die Neuzeit, dass eine Abhilfe der Missstände, die er zeitigte, aus Reformen der Erhebung überhaupt nicht zu erhoffen war, sondern nur aus seiner Ersetzung durch eine neuzeitliche Grundsteuer.

Vom finanzwirtschaftlichen Standpunkte aus hatte der Zehnt die grösste Bedeutung für den Staatshaushalt, da er ungefähr ein Drittel aller ordentlichen Staatseinnahmen brachte. Im Jahre 1887 waren es 14,1 Mill. Fr. und im Jahre 1894 21,45 Mill. Fr. Beim Naturalzehnten sind im allgemeinen die wirklichen Einnahmen höher als beim Voranschlag, umgekehrt beim Geldzehnten; beim ersteren kommen auch weniger Rückstände vor als beim letzteren. Dagegen kann der Fiskus beim Geldzehnten die Einnahmen bis zu einem gewissen Grade vorausbestimmen, was beim Naturalzehnten nicht nur wegen des schwankenden Ernteergebnisses, sondern auch wegen der wechselnden Getreidepreise unmöglich ist, welche von der Lage des Weltmarktes abhängen. Da die wirklichen Ein- nahmen erst am Ende des Jahres bekannt werden, so kommt dadurch leicht das Moment der Ungewissheit in die Finanzwirtschaft.

Vom volkswirtschaftlichen Standpunkte aus konnte man den Zehnt für

J) Ein «och im Jahre 1885 vorgelegter Entwurf konnte damals wegen der ver- wickelten politischen Zustände nicht durchgeführt werden. Stenogr. Protokolle der Nat.- Vers. LXII. Sitzung, 11. Januar 1885.

-) Bericht an den Finanzminister über die Lage der direkten Steuern ¡i. ¡i. 0. 3) Sammlung der Gesetze, Bd. 3, T. III, S . 83-34. 4) Es waren besonders 1891 die Ernten im Inlande sehr günstig und im Ausland sehr

ungünstig. Ljessinoff a. a. O. S. 93. Ö94

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Finanzpolitik und Finanzwesen Bulgariens. 137

die ersten Jahre nach der Befreiung bei der üblichen extensiven Landwirtschaft ganz geeignet halten, solange das Land sich noch im Uebergang von der Natural- zur Geldwirtschaft befand und das Prinzip der Arbeitsteilung wenig ausgebreitet war. Die Ungleichmässigkeit der Besteuerung trat erst mit der allmählichen Entwicklung der volkswirtschaftlichen Zustände mehr vor Augen und rührte von der mangelhaften Veranlagungstechnik her. Die zunehmende Verschuldung der Landwirte und die Belästigung des landwirtschaftlichen Betriebes Hessen die Bauern diese Belastung immer unliebsamer fühlen. Der Finanzminister sprach sich selbst in einer Rede gegen den Naturalzehnten aus, welcher die Be- völkerung zwänge, die Kornfrüchte bis zur Vollendung der Veranlagungsmass- nahmen auf dem offenen Felde liegen zu lassen und sie dem Regen und der Gefahr der Vernichtung auszusetzen. Hinzu trat die Transportpflicht der Steuerzahler für die Naturalabgaben. Als weitere Schattenseite des Zehnten überhaupt ist zu sagen, class er jeden technischen Fortschritt hinderte, denn er begünstigte die Brachwirtschaft, regte zur Intensivierung der Bodenbewirtschaftung nicht an, da er den Rohertrag traf, und erhöhte die Grundrente künstlich durch Spe- kulation, da unbebaute Grundstücke steuerfrei waren.

Neben dem Zehnt Hess die russische provisorische Verwaltung von den türkischen Besteuerungsarten noch die Viehsteuer und die Wergie bestehen. Nach einem Gesetz vom 17. Dezember 18801) unterlagen der Viehsteuer Schafe, Ziegen, Schweine, von welchen erstere und letztere mit 60 Cts. und Ziegen mit 80 Cts. pro Stück besteuert wurden. Es gab keinerlei Steuerbefreiungen oder -erleichterungen wegen persönlicher Verhältnisse und auch die Wanderviehzucht unterlag der Steuer.

Die Veranlagung erfolgte durch die Gemeinde, welche die Ergebnisse durch die Kreisräte dem Finanzministerium überwies. Es lag im System, dass man weder den wirklichen Ertrag aus der Viehhaltung, noch den wirklichen Wert des Steuerobjektes zu ermitteln suchte. Die einfache Zählung des Viehs ohne Rücksicht auf die Beschaffenheit brachte natürlich auch gewisse Ungleichmässig- keiten mit sich, so z. B. die verhältnismässig hohe Besteuerung der Ziegen, welche gerade den Viehbestand der ärmsten Bevölkerung bilden. Die hohe Steuer wurde damit begründet, dass eine Einschränkung der Ziegenhaltung im Interesse der Forstwirtschaft läge2).

Die Viehsteuer erleichterte durch die Vermehrbarkeit und leichte Beweglich- keit der Steuerobjekte die Steuerhinterziehungen sehr, die deshalb in Bulgarien allgemein üblich waren und zwar hauptsächlich im Balkangebiet, wo die Wander - Viehzucht vorherrscht. Das ständige Umherziehen, das Gebirge und die grossen Urwälder erleichterten diesen Betrug mehr als auf dem flachen Lande. Zuerst erschien als der günstigste Zeitpunkt für die Viehzählung der Winter, in welchem das Vieh in den Ebenen zusammengetrieben wird. Bei Beginn des Frühlings wird es schon wieder in die Berge öder andere Gemeinden gebracht, so dass dann die Zählung erschwert ist. Anderseits stirbt aber gerade in dieser Zeit eine grosse

]) Staatsanzeiger Nr. 95, 1880. (Jesetzesaminlung Bd. 1, T. IT, S. 275- 27b*. Das von diesem Gesetz am Iti Mai 1880 erlassene Gesetz über die Viehsteuer, wonach eine Ab- stufung der Steuersatze pro Stück Vieh nach den verschiedenen (legenden eingeführt werden sollte, wurde einige Monate später abgeschafft.

3) Stenogr. Prot. der XII. ord. Nat. -Vers. I. ord. Session S. 37ü ff. ¿95

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138 Weiss-Bartenstein,

Menge Vieh unter dem Einfluss der Temperaturschwankungen. Ausserdem ist dann auch die Zeit des Gebarens. Diese letzteren Gründe waren schliesslich aus- schlaggebend dafür, die Zählung dennoch im Frühjahr vorzunehmen, um das überwinterte, wie auch das neugeborene Vieh als Steuerobjekt zu erfassen. In dieser Form hielt sich die Viehsteuer bis zum Jahre 18941).

Gleichfalls aus dem türkischen Steuersystem übernommen wurde die schon erwähnte Wergie, eine kombinierte Immobiliarwert-, Miet- und Einkommen- steuer. Diese wie die vorerwähnte Steuer krankten an der Art ihrer Veranlagung2). Im Jahre 1879 veranlasste die russische Verwaltung eine Neueinschätzung der Wergie nach folgenden Gesichtspunkten:

1. Vom Immobiliarwerte sollten 0,4 - 1 %, vom Mietertrage bzw. vom persönlichen Nettoeinkommen des Steuerpflichtigen 3 - 5 % ohne Rücksicht auf die Grosse oder den Wert der Steuerobjekte erhoben werden.

2. Bei günstiger Finanzlage des Staates sollte von der Einkommensteuer allen Personen Befreiung gewährt werden, welche kein Eigentum hatten und die Mittel zu ihrem und ihrer Familie Unterhalt lediglich durch ihre Handarbeit verdienten3).

Da die alten türkischen Veranlagungslisten nach den politischen und wirt- schaftlichen Umwälzungen nicht mehr brauchbar waren4), so setzte die erste provisorische Regierung Einschätzungskommissionen5) ein, in welchen leider die Steuerpflichtigen die Mehrheit hatten6). Infolgedessen fielen die Einschätzungs- ergebnisse so niedrig aus7), dass die Steuerveranlagung nachher nur 1,5 Mill. Fr. statt 4 Mill. Fr. ergab. Die bulgarische Regierung richtete sich deshalb nicht nach den neuen Einschätzungen8), sondern nach den alten türkischen Steuer- listen, bis im Jahre 1885 für die drei Arten der Wergiesteuer besondere Gesetze erlassen wurden.

Am 15. Januar 18859) trat die Immobiliarwertsteuer ins Leben, welche fast nur Aenderungen in der Veranlagung mit sich brachte. Zum Ausgleich der gegenseitigen Interessen waren in den Veranlagungskommissionen der Staat, die Selbstverwaltungskörper und die Steuerpflichtigen vertreten. Die Veran- lagungen galten für einen Zeitraum von 5 Jahren.

Wenn auch gewisse Ungleichheiten unvermeidlich waren, so kam man doch einer richtigen Steuerveranlagung immer näher. Ausser allen Ländereien

') Nach einem Gesetz vom 14. Dezember 1891 wurden einige bessere Arten von Woll- schafen, welche im Inlande gezüchtet oder vom Auslande eingeführt werden, innerhalb einer Periode von 10 Jahren Steuer- resp. zollfrei. Lj es s in off a. a. O. S. 98.

2) Protokolle der II. gew. Nat. -Vers. XXIX. Sitzung 9. Mai 1880. 3) Lj essin off a. a. 0. S. 9i>. 4) Stenogr. Protok. der III. gew. Nat. -Vers. VII. Sitzung 21. Dezember 1882. 6) Reglement vom IS. Mai 1879. Vgl. stenogr. Protok. der III. gew. Nat.-Versamml.

VII. Sitzung 21. Dezember 1882. 6) Jede Kommission bestand aus 5 Mitgliedern : 2 Gemeinde- oder Kreisrüten und

•i Vertretern der Steuerpflichtigen. Es bestand auch eine Art mündlicher Passion, indem jeder Steuerpflichtige persönlich vor der Kommission erscheinen und mündliche Angaben machen musste. Ljessinoff a. a. O. S. 100.

7) Als Kuriosum erwähnt Minister Karaveloff, dass ein Haus mit 2 Fr. eingeschätzt worden sei. IV. Nat. -Vers. 7. November 1884.

8) Gesetz vom 16. Mai 1880. Staatsanzeiger Nr. 44, 21. Mai 1880. Gesetzsammlung Bd. 1, T. I, S. 14.

») Staatsanz. Nr. s, 24. Januar 1885. - Gesetzesammlung Bd. 1, T. VI, S. 127- 13'i. 596

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Finanzpolitik und Finanzwesen Bulgariens. J39

wurden in Bulgarien damals nach einer Statistik im Jahre 18881) noch folgende Gebäude versteuert:

1. Wohnhäuser 390,666 2. Läden (kleine und grosse) . . 25,468 3. Gasthöfe 767 4. Schenken und Kaffeehäuser . . 7,029 5. Bäckereien 2,276 6. Mühlen 17,291 7. Scheunen und Strohlager . . . 66,882 8. Andere Gebäude ...... 167,844

Summe 678,223

Der Fehler der Immobiliarwertsteuer lag darin, dass sie eine Doppel- besteuerung für die Ländereien bildete, welche schon den Zehnten zahlen mussten. Dieser Druck auf den Grund und Boden war zwar auf die noch unbestellten Flächen und die Gebäude berechtigt, wurde aber völlig unzweckmässig bei der späteren Einführung der allgemeinen Grundsteuer und der besonderen Haus- steuer. Die Immobiliarwertsteuer wurde darum 1894 ganz abgeschafft.

Die Mietertragssteuer dagegen stellte sich zwar nicht als eine Doppel- besteuerung dar, weil sie nur diejenigen vermieteten Immobilien traf, welche dem Zehnten nicht unterlagen, dennoch wurde sie wegen ihres geringen Ertrages 1894 ebenfalls beseitigt.

Die Einkommensteuer wurde im Jahre 18852) durch eine Gewerbesteuer ersetzt, welche alle beruflichen Tätigkeiten traf und daher eine Art von Arbeits- ertragssteuer war. Die besteuerten Berufsarten sind in fünf Gruppen eingeteilt: Dienende Berufe, freie Berufe, Handelsberufe, industrielle Berufe und Hand- werkerberufe. Steuerfrei blieb der landwirtschaftliche Beruf wegen der schon an und für sich starken Belastung der Landwirtschaft. Diese Einteilung dürfte nicht immer zweckmässig sein und auch die ungenügenden Vorschriften der Veranlagung3) führten zu Härten. Die Steuerreform von 1894 führte zu einer vollkommeneren Gewerbesteuer.

Zu den drei geschilderten Steuern wurde aus der Türkenzeit dann noch der schon früher erwähnte Wertzoll übernommen. Sehr bald aber zeigte es sich, das*; man mit diesen Steuern nicht auszukommen vermochte. Am 17. Dezember 18804) wurde deshalb noch die Wegesteuer eingeführt, zu der jeder bulgarische Staatsangehörige vier Arbeitstage in Natura oder 8 Fr. beizutragen hatte5). Diese Steuer war demnach eine Kopfsteuer, da sie alle volljährigen Staatsangehörigen gleichmässig traf. Ihre Veranlagung war naturgemäss sehr leicht, da weder Ertrag noch Steuerobjekt oder Leistungsfähigkeit des Steuersubjekts zu ermitteln

]) Gesetz vom 23. Januar 1885. Staatsanz. Nr. 8, 24. Januar 1885. Gesetzesammlung Bd. 1, T. VI, 8. 137-138.

-) Gesetz vom 31. Januar 1885. Staatsanz. Nr. 17, 21. Februar 1885. Gesetzesammlung Bd. 1, T. VJ, S. 190- 20ö.

*) Bericht an den Finanzminister etc. a. a. 0. S. 26. 4) Staatsanz. Nr. i»5, 1880. Gesetzesammlung Bd. 2, T. I, Abteilung über die Bautätig- keit (III) S. 29(5. ») Ein Gesetz von 1883 fixiert die Geldsteuer auf i Fr., d. h. 1 Fr. pro Arbeitstag.

Ljes s i 11 off S. 104. 597

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240 Weiss-Bartenstein,

waren. Diese Steuer erfuhr wegen ihrer Einfachheit im Laufe der Zeit nur geringe Aenderungen1).

Als letzte der Steuern aus der Zeit der eisten Steuerperiode ist noch die Wehrsteuer zu erwähnen, welche durch (Jesetz vom 15. Dezember 18892) ein- geführt wurde. Nach den verfassungsgemässen Grundgesetzen der vollkommenen staatsrechtlichen Gleichheit aller Bürger und der allgemeinen Wehrpflicht unter- liegt jeder dieser Steuer, welcher aus physischen Gründen für den Militärdienst untauglich ist3), nur erwerbsunfähige Personen mit grossen körperlichen Ge- brechen oder Krankheiten sind steuerfrei. Die Wehrsteuer ist 10 Jahre lang zu entrichten und schwankt zwischen 10 und 200 Fr. pro Jahr je nach der Ver- mögenslage. Im allgemeinen soll die Wehrsteuer ein Zehntel aller anderen ver- anlagten Steuern betragen.

Die nach der Befreiung Bulgariens einsetzende Entwicklung auf volks- wirtschaftlichem, sozialem, kulturellem und politischem Gebiete Hess das vor- stehend geschilderte, von der Türkei in grossen Zügen übernommene Steuersystem mit der Zeit mehr und mehr veraltet erscheinen. Da besonders die veranlagten Steuern mit der volkswirtschaftlichen und politischen Struktur eines Landes in engsten Wechselbeziehungen stehen und ihre Entwicklung „namentlich von derjenigen der Arbeits-, Berufs-, Besitzteilung oder mit anderen Worten, von der qualitativen und quantitativen Differenzierung des Volkseinkommens und Volksvermögens im Einkommen und Vermögen der einzelnen beherrscht"4) wird, so war eine Neuerung im Steuersystem Bulgariens in den neunziger Jahren dringend notwendig. Diese langersehnte Reform trat im Jahre 1894 ein und brachte im Sinne der obigen Prinzipien grundlegende Verbesserungen. Grundzüge des alten Systems wurden auch in die Neuordnung der Dinge übernommen, aber mit modernen Ideen durchsetzt, welche grösstenteils der Steuerpolitik westeuro- päischer Länder entlehnt waren und sowohl der sozialen Klassenschichtung der bulgarischen Bevölkerung, als auch den Forderungen einer gesunden Volks- wirtschaftspolitik Rechnung zu tragen bestrebt waren.

b) Entwicklung der direkten Steuern von der Steuerreform vom Jahre 1894/5 bis zur Neuzeit.

Der in der Steuerpolitik der meisten Länder auf einer bestimmten Ent- wicklungsstufe auftretende Zwiespalt zwischen dem fiskalischen und volkswirt- schaftlichen Moment der Steuergesetzgebung wurde auch in Bulgarien zum Problem, indem das bestehende Steuersystem wohl den fiskalischen Interessen einigermassen genügte, aber den Ansprüchen einer einsichtigen Sozialpolitik nicht entsprach. Die in den anderthalb Dezennien nach der Befreiung eingetre- tenen Verschiebungen im sozialen Organismus des Landes forderten auf das energischste, dass man die gemachten Erfahrungen zum Aufbau eines gerechteren

]) besetz vom 3. März 1883, 24. Dezember 1883, 18. Dezember 1888, 17. Januar 1894. 2) Staatsanz. Nr. 31, 8. Februar 1890. Gesetzesammlung Bd. 2, T. Ill, S. 275- ¿9i». 3) Vgl. Reglement über die Festsetzung und Erhebung der Militärsteuer von den-

jenigen Personen, welche vom Militärdienst befreit sind. 5. Mai 1890. Staatsanz. Nr. i0-2, 14. Mai 1890.

*) Schönbergs Handbuch der politischen Oekonomie. Adolf Wagner Bd. í¡, 4. Aufl., S. 2«;o.

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Finanzpolitik und Finanzwesen Bulgariens. 141

Steuersystems verwertete und die Tendenzen dieser Bestrebungen werden am besten durch die Worte des damaligen Finanzministers Geschoß an die mit diesen Aufgaben betraute Steuerkommission gekennzeichnet: „ . . . Wir müssen den Landwirten, welche die Hauptlast unserer Steuern auf ihren Schultern getragen haben und noch tragen, zu Hilfe kommen. Wir müssen ihnen einen Teil dieser Last abnehmen und auf die wohlhabenderen unserer Steuerzahler abwälzen."

Der Sturz des Ministeriums Stambulofï1) und das Auftreten der National- partei bestimmten den Zeitpunkt für diese Reform. Bei einem Agrarstaat wie Bulgarien war es gerechtfertigt, den Vorschlag einer allgemeinen Einkommensteuer abzulehnen, da die wichtigste Voraussetzung hierfür, nämlich das Ueberwiegen des Einkommens aus beweglichem Besitz und eine höhere Kultur- und Wirtschafts- stufe der Bevölkerung nicht gegeben war. Versuchen wir nun, uns mit den Grund - zügen des neuen Systems vertrauter zu machen.

Wie wir schon oben erwähnten, wurde der Zehnt beseitigt und durch eine Grundsteuer ersetzt und zwar durch das Gesetz vom 20. Dezember 1894a). Diese Steuer war eine Repartitionssteuer und traf sowohl landwirtschaftliche, wie nicht landwirtschaftliche, bebaute, wie unbebaute Flächen. Hierin liegt das neue grundlegende3) Prinzip, nicht den zufälligen jährlichen Ertrag, sondern den Grund und Boden selbst in seiner Eigenschaft als Träger einer durchschnittlichen wirt- schaftlichen Leistungsfähigkeit als Steuerobjekt zu betrachten. Steuersubjekt ist, im Gegensatz zu früher, der Eigentümer, steuerfrei ist nur öffentlicher Grund- besitz. Das gesamte Steuerkontingent wird im Budget festgesetzt und auf die Bezirke, Gemeinden und Steuerzahler durch Kommissionen verteilt, und zwar immer für eine Periode von 2 Jahren. Bei der Veranlagung werden die Ergebnisse der letzten 4 Natur alzehnt jähre, die Durchschnittspreise der Produkte, die Flächen- verteilung, die Güte, der Preis und die Lage des Bodens, die Berufsgliederung der Bevölkerung von den verschiedenen Kommissionen in Betracht gezogen und nach diesen Anhaltspunkten die Böden klassifiziert.

Etwaige Unregelmässigkeiten werden nach bestimmten Strafbestimmungen an den Steuerbeamten geahndet, ausserdem steht den Steuerpflichtigen das Recht der Berufung zu. Bei einer solchen Objektsteuer werden Steuernachlässe nur bei Elementarschäden gewährt, ein Existenzminimum ist nicht vorgesehen und Abzüge für Schulden und eine sonstige Berücksichtigung der persönlichen Ver- hältnisse des Steuerpflichtigen finden nicht statt.

Die Reform ermässigte die Steuerlasten der landwirtschaftlichen Bevöl- kerung und verteilte sie gerechter auf die übrigen Volksklassen. Die Besteuerung der Landwirtschaft wurde um ungefähr 7 Mill. Fr., d. h. um mehr als ein Viertel der früheren Summe, durchgesetzt und durch Verbrauchssteuern ersetzt.

Eine bessere Verteilung der Grundsteuer war zwar grundsätzlich bei diesem Gesetz erstrebt worden, stiess aber praktisch mangels eines Katasters und zuver- lässiger statistischer Angaben für die Veranlagungskommissionen auf grosse Schwierigkeiten, so dass man vielfach zu willkürlichen Schätzungen greifen musste

J) It e seh off, „Worte und Taten" (Finanzpolit. u. Ökonom. Studien) S. 200. Sofia 1899. '<*) Staatsanz. Nr. 19. 25. Januar 1895. Gesetzesammlung Bd. 5, T. 1, S. 117-124. 3) Vgl. (les e hoff, „Worte und Taten" (Finanzpol, u. Ökonom. Studien) a. a. 0. S. 199.

Sofia 1899. *) D renk off a. a. O. S. 49.

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242 Weiss-Bartenstein,

und auf halbem Wege vor dem Ziel stehen blieb. Hinzu kommt die dauernde Verschiebung der wirtschaftlichen Verhältnisse durch die Erschliessung neuer Produktions- und Absatzgebiete. Dennoch bedeutete die Grundsteuer einen ungemeinen Fortschritt gegenüber der früheren Zehntbesteuerung und schränkte die früheren Ungleichmässigkeiten bedeutend ein, so dass die Klagen der Land- bevölkerung mehr und mehr aufhörten.

Dennoch wurde im Jahre 19001) in einer durch mehrere ungünstige Ernten lier vorgerufenen Finanzkrisis der Naturalzehnt aus fiskalischen Gründen wieder eingeführt, musste aber auf das Drängen der Bevölkerung sehr bald wieder be- seitigt werden. Ein Jahr später, am 18. Mai 19012), bezweckte ein neues Gesetz eine bessere Verteilung der Grundsteuer auf Grund genauerer statistischer Grund- lage3) und erreichte auch tatsächlich eine bessere Verteilung, wie sie 1902 laut nachstehender Tabelle4) vorgenommen wurde.

Danach wurde der durchschnittliche jährliche Ertrag des zu besteuernden Bodens im ganzen Lande auf 285,682,321.31 Fr. berechnet, so dass das Gesamt- kontingent der Grundsteuer mit 17,279,899.33 Fr., 6,05 % des jährlichen Durch- schnittsertrages bildete, während der Zehnt meist mehr als 10 % vom Rohertrage betrug.

Der durchschnittliche Steuersatz der Grundsteuer belief sich pro Hektar auf 5,03 Fr., doch schwankt er innerhalb der einzelnen Kreise zwischen 6,74 Fr. (Kreis Rustschuk) und 3,95 Fr. (Kreis Sofia).

Woher diese Ungleichheiten stammen, haben wir nicht feststellen können, da alle Angaben darüber fehlen, weshalb man in den einzelnen Kreisen so ver- schiedenartig verfahren sei5). Merkwürdig ist, dass Vidin, Schumen und Rust- schuk besonders hoch besteuert sind; danach scheint man mit grosser Strenge die Ertragsmöglichkeit, unbekümmert um die wirklich erzielten Erträge, be- steuert zu haben, denn Vidin, Schumen und Rustschuk sind die drei Kreise mit dem besten Boden. Dem würde auch entsprechen, dass Sofia bei der Besteuerung so gut abgeschnitten hat, denn sein Boden ist sehr schlecht, wird aber sehr fleissig bearbeitet.

Trotz des festzustellenden Fortschritts dieser Verteilung blieben noch immer

Ungerechtigkeiten zurück, und sowohl von Seiten der Regierung6), als auch von der Volksvertretung wurde häufig betont, dass diese wichtige Einnahmequelle des Staates auch weiter verbesserungsbedürftig sei. Hierzu ist vor allen Dingen eine sachgemässe Katastrierung des Landes notwendig, welche durch das Gesetz vom 6. Januar 19087) durchgeführt werden sollte, aber noch nicht vollendet ist.

Erst mit der Vollendung des Katasters und der Ausgestaltung der Statistik ist eine genauere Ermittlung des Reinertrages und somit die Beseitigung der

i) Gesetz vom 27. Januar 1900. Staatsanz. Nr. 28, 7. Februar 1900. Gesetzesammlung Bd. 7, T. I, S. 149-155.

2) Staatsanz. Nr. 116, 2. Juni 1901. Gesetzesammlung Bd. 8, T. T, S. 109-118. 8) Anbau- und Erntestatistik des Fürstentums Bulgarien wahrend des janres i»»//«.

Sofia 1898. Aehnlich 1893/99. Sofia 1899. 4) Ljessinoff a. a. O. S. 115. &) Auch Ljessinoff a. a. O. S. 116 klagt darüber, dass es ihm nicht möglich ge-

wesen sei, die Gründe dieser Ungleichheit festzustellen. 6) Bericht an den Fürsten a. a. O. S. 152. 7) Staatsanz. Nr. 8, 11. Januar 1908.

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J44 Weiss-Bartenstein,

noch vorhandenen Ungleichmässigkeiten möglich. Dann wird auch statt der

Repartitions- die Quotitätsgrundsteuer eingeführt werden können und durch ihre rationellere und gerechtere Belastung der Steuerpflichtigen den westeuro-

päischen Prinzipien näher kommen. Auf jeden Fall dürfte die Grundsteuer auch für die kommenden Jahre den ersten Platz unter den ordentlichen Einnahme-

quellen des Staates behaupten, da sie der Volkswirtschaft Bulgariens ent-

spricht. Im engsten Zusammenhang mit der Grundsteuer steht die Gebäudesteuer,

die am 20. Dezember 1894 eingeführt wurde. Der Gebäudesteuer unterliegeil in Bulgarien alle Gebäude, sowie die dazu-

gehörigen überbauten oder nicht überbauten Flächen, soweit sie nicht land- wirtschaftlichen Betrieben dienen oder der Grundsteuer unterliegen, also auch

Bergwerke, Salinen, Scheunen, Tennen, Mühlen usw. Steuerfrei sind öffentliche Gebäude und Neubauten bis zum Jahre ihrer Vollendung einschliesslich. Per- sönliche Verhältnisse werden in keiner Weise berücksichtigt, auch Abzüge für

Abnutzung und Ausbesserungen oder Ersatz sind unstatthaft. Steuerpflichtig ist der Hauseigentümer.

Die Steuer ist eine progressive Wertsteuer und zwar gestaltet sich die Pro-

gression, welche hier zum erstenmal im bulgarischen Steuersystem auftaucht1), folgender m assen :

4 %o bei einem Werte bis 5,000 Fr.

4l/2%0 ,. „ „ von 5,001 „ 10,000 „ 5 %o - • • » 10,001 „ 15,000 „

r>72%o v „ v » 15,001 „ 20,000 „ 6 "°/00 „ „ „ „ über 20,000 „

Die Steigerung erstreckt sich bis zu einem Werte von 20,000 Fr.; Immo-

bilien, deren Wert diese Grenze übersteigt, werden mit dem einheitlichen Satze von 6%o proportional besteuert2).

Durch die bulgarische Gebäudesteuer soll auch der Fiskus an den Gewinnen

teilnehmen, welche durch das Steigen der Grundrente verursacht werden, die mit dem allmählichen Wachsen des Volkswohlstandes immer mehr zu-

nahm. Für eine gut ausgearbeitete Gebäudesteuer dürfte die Erreichung dieses Zieles nicht zu den Unmöglichkeiten gehören. Die Frage ist nur, ob wir die bul-

garische Gebäudesteuer zu diesen rechnen dürfen. Etwas verwirrend wirkt es zunächst schon, dass die Bergwerke, Salinen,

Tennen usw. der Gebäudesteuer unterworfen sind anstatt der allgemeinen Grund- steuer oder einer besonderen Steuer. Ausserdem ist nicht unterschieden zwischen Häusern zu Wohn- und Erwerbszwecken. Da letztere mittelbar schon durch die Gewerbesteuer mitbetroffen werden, müssten sie milder behandelt werden. Sodann fehlt es auch hier an dem Begriff des steuerfreien Existenzminimums, sowie an Vorschriften über Steuererleichterungen. Wenn auch die bulgarische Gebäudesteuer als Wertsteuer den Verhältnissen insofern entspricht, als in Bul-

garien die Eigentümer auch meist Bewohner ihrer Häuser sind (nur in grösseren Städten kommen Vermietungen vor), so ist diese Steuer als Wertsteuer doch

i) Drenkoff a. a. O. S. f>7.

«) Lj essili off a. a. O. S. 121. 602

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Finanzpolitik und Finanzwesen Bulgariens. 145

prinzipiell unrichtig, da doch schliesslich der Ertrag besteuert werden soll, welcher aber nicht immer im gleichen Verhältnis zum Gebäudewert steht.

Der bulgarische Gesetzgeber wollte ferner der Gebäudesteuer durch die Progression den Charakter einer Einkommensteuer geben, was jedoch nicht logisch ist, da der Aufwand für die Wohnung ein sehr ungleichmässiger Mass- stab für die Höhe des Einkommens ist. Im übrigen wäre es ein Trugschluss, zu glauben, dass mit dem Steigen des Wertes auch der Reinertrag sich erhöht. Daher trifft die bulgarische Haussteuer die Leistungsfähigkeit verschieden schwer, da die Höhe des Ertrages nicht immer der wirklichen Leistungsfähigkeit ent- spricht, zumal der Ertrag bei einer Wertsteuer nicht unmittelbar ermittelt wird. Weil aber nur die höhere Leistungsfähigkeit eine nicht nur absolut, sondern auch relativ höhere Belastung vertragen kann, so ist die Progression bei der bulgarischen Gebäudesteuer aus theoretischen Gründen zu verwerfen.

Aber auch steuertechnisch bietet sie Schwierigkeiten. Die Veranlagung hat darum auch zu vielfachen Ungerechtigkeiten geführt, um so mehr, als das Gesetz der persönlichen Willkür zu viel Spielraum lässt. Es wurde deshalb im Laufe der Zeit nachträglich eine ganze Anzahl von Ausführungsbestimmungen für das Gesetz erlassen1).

Grundlegend für die Veranlagung ist jetzt das „Reglement über die An- wendung des Haussteuergesetzes vom 21. Juni 1905"2), welches die Selbstein- schätzung der Steuerpflichtigen vorschreibt und Kontrollkommissionen einsetzt, in denen der Staat, die Selbstverwaltungskörper und die Steuerpflichtigen ver- treten sind. Die Zahl der letzteren hängt von der Grosse der Ortschaft ab, so dass in grösseren Städten die Steuerpflichtigen die Mehrheit haben und die Ein- schätzungen relativ niedrig ausfallen8).

Als dem Sinn des Gesetzes widersprechend ist der Art. 56 des vorerwähnten Reglements von 1905 anzusehen, welcher bestimmt:

„Die Steuer wird nach den im Art. 3 des Gesetzes bestimmten Sätzen aus- gerechnet und zwar nach dem Werte eines jeden Gutes besonders. ..."

Nehmen wir ein Beispiel: X hat 1 Gebäude von 30,000 M. =-.= 30,000 M. Y „ 2 „ „ je 15,000 „ = 30,000 „ Z „ 3 „ „ „ 10,000 „ = 30,000 „

Nach der gegenwärtig herrschenden Praxis wird X mit 6%0 oder mit 180 M. belastet, Y mit 5%0 oder 150 M., Z mit 472%0, d. h. 135 M.4). Ein und das- selbe Kapital - 30,000 M. - wird, je nachdem es in 1, in 2 oder in 3 Gebäuden angelegt ist, ganz verschieden belastet. Wenn sich dagegen die Steuersätze nach dem Gesamtwerte der Gebäude eines Steuerpflichtigen bemessen würden, würden sie und folglich auch die Steuerschuldigkeiten in allen drei Fällen gleich sein (6%o bzw. 180 M.).

l) Es kommen in Betracht: Zirkularschreiben des Finanzministeriums : Nr. 3935 vom 19. April 1895, Nr. 7001 vom 13. Juli 1895, Nr. 4994 vom 4. Juli 1897, Nr. 1819 vom 9. Februar 1898, Nr. 2319 vom 27. März 1900, Nr. 478tî vom 9. Mai 1901, Nr. 9194 vom 23. August 1901, Nr. 4521 vom 31. Mai lí¡02, Nr. 490« vom 10. Juni 1902 und andere. Ljessinoff a. a. O. 8. 123.

2) Staatsanz. Nr. 133, 25. Juni 1905. 3) Vgl. die Abstufung der Steuersätze auf S. 144. *) Finanzminister Pajakoff a. a. O. S. 54.

Finanzarchiv. XXXIII. Jahrg. «03 iU

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j^g Weiss-Bartenstein,

Auch ein Zirkularschreiben des Finanzministeriums vom 13. Juli 1895 ordnete schon die Berechnung der Steuersätze nicht nach dem Gesamtwerte, sondern nach den Indi vidual werten der einzelnen Gebäude an. Ob diese Be- stimmungen durch steuertechnische Schwierigkeiten oder durch andere Gründe hervorgerufen wurden, ist nicht festzustellen, auf jeden Fall wurde die Absicht des Gesetzgebers hierdurch durchkreuzt und die Wirkung der Progression ab- geschwächt.

Die Veranlagungen erfolgen auf 5 Jahre, wenn die Steuerobjekte nicht besonderen Veränderungen unterliegen; eine häufigere Veranlagung wäre wün- schenswert, um dem Fiskus einen grösseren Anteil an dem Wertzuwachs ein- zuräumen, der sich besonders in den grösseren Städten in der Neuzeit bemerkbar macht. Anderseits wären die Kosten für eine häufigere Veranlagung zu gross. Die letzte Berufungsinstanz ist der Finanzminister.

Die Wirkungen der Gebäudesteuer treffen in Bulgarien meist die Haus- eigentümer selbst, da eine Ueberwälzung zu den Ausnahmen gehört. Denn einer- seits werden die Häuser im allgemeinen nicht vermietet, sondern von den Eigen- tümern selbst bewohnt, und anderseits herrscht keine Wohnungsnot, weil, soweit Vermietungen überhaupt stattfinden, das Angebot die Nachfrage übersteigt.

Ein weiteres Anspannen dieser Steuer wird zu vermeiden sein, da in neuester Zeit die Städte an Umfang zunehmen und infolgedessen Vermietungen auch häufiger vorkommen werden. In diesem Falle wird sie aber mehr und mehr auf den Mieter abgewälzt werden. Es kommt hinzu, dass bekanntlich die kleinen einfachen Wohnungen im Verhältnis weit teurer sind als die grösseren gut ein- gerichteten Behausungen. Die Steuer belastet infolgedessen besonders die kleineren Wohnungen und somit die kleineren Gewerbetreibenden, Angestellten und Ar- beiter, was bei der zunehmenden Industrialisierung Bulgariens zu einer Ver- schärfung der Arbeiterfrage führen könnte. Es ist aber Aufgabe der Sozial- politik, dafür zu sorgen, dass auch kleine Leute in reinlichen, nicht zu kleinen und hygienisch einwandfreien Räumen Wohnung finden, um dadurch zu höheren Arbeitsleistungen befähigt zu werden.

Wir kommen nunmehr zu der dritten grossen Ertragssteuer, d. i. die Ge- werbesteuer, welche durch da£ Gesetz vom 20. Januar 1895 eingeführt wurde und jeden Einwohner trifft, welcher aus irgend einer berufsmässigen Tätigkeit oder aus beweglichen und unbeweglichen Gütern Einkünfte bezieht, gleichviel, ob er bulgarischer Untertan ist oder nicht.

Aus steuerpolitischen und kulturellen Gründen sind steuerfrei1): a) Die Soldaten des stehenden Heeres. b) Die Autoren und Uebersetzer gewisser Werke. c) Landwirte, soweit sie Eigentümer des von ihnen bebauten Grund und

Bodens sind (nicht die Pächter). d) Die Viehzüchter (mit Ausnahme der mehr als zehn Schweine besitzenden

Schweinezüchter). e) Die Handelsreisenden und Agenten der ausländischen Firmen, welche

Bulgarien persönlich besuchen. f) Die Gesellen, Diener und diejenigen Handwerker verschiedener Art,

welche eine Gewerbesteuer von 3 Fr. nicht ertragen können. i) L j e s s i n o f f a. a. 0. S. 130.

604 ,

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Finanzpolitik und Finanzwesen Bulgariens. J47

g) Gewisse Heimarbeiterinnen, Spinnerinnen usw. für die Erzeugnisse ihres Hausfleisses.

h) Die Geistlichen für die Gebühren, welche sie ausser ihrer festen Be- soldung beziehen.

i) Die Dilettantentheatertruppen1). Für die Steuerbefreiungen ist kein Antrag erforderlich, sie treten ipso jure ein. Auf Grund völkerrechtlicher Normen frei von der Gewerbesteuer und von

allen Personalsteuern überhaupt sind die Mitglieder der fremden, ständigen diplomatischen Missionen (sowie der Generalkonsulate mit diplomatischem Cha- rakter) in Bulgarien (das sog. offizielle und nichtoffizielle Personal) und zwar ohne Rücksicht auf die Staatsangehörigkeit, soweit sie nicht bulgarische Unter- tanen sind2).

Die Weiterausbildung der Gewerbesteuer war eine der Hauptaufgaben der Steuerreformen vom Jahre 1894, indem sie neben den Verbrauchssteuern die nicht landwirtschaftliche Bevölkerung stärker als früher zu den Staatslasten heranziehen wollte, um eine Gleichmässigkeit der Belastung von Stadt und Land herbeizuführen. Nur die Gewerbesteuer war imstande, auch die Erwerbsgelegen- heiten, die in der volkswirtschaftlichen Entwicklung, in der Differenzierung zwischen Stadt und Land, in der stetig fortschreitenden Arbeitsteilung und in den stets neuen Formen des Güteraustausches mehr und mehr zutage treten, mit anderen Worten, alle Einnahmequellen, welche durch die übrigen Ertrags - steuern nur ungenügend steuertechnisch herangezogen werden konnten, für die fiskalischen Interessen auszunützen.

Die bulgarische Gewerbesteuer umfasst deshalb, ähnlich der vierten Schedula der englischen Einkommensteuer, ein viel weiteres Gebiet als in den meisten Staaten Westeuropas, insofern als sie alle beruf smässig ausgeübten Tätigkeiten zu Erwerbszwecken trifft, sei es, dass sie in einer Verbindung von Arbeit und Kapital bestehen, sei es, dass sie ohne Mitwirkung von Kapital oder gegen Ent- gelt ausgeübt werden, ferner aber auch alle fundierten oder unfundierten Renten -

bezüge. Sie vereinigt demnach die eigentliche Gewerbesteuer, eine Arbeits- ertragssteuer und eine Rentensteuer in sich. Im Gegensatz zu anderen Staaten sind die beiden letzten Steuern in Bulgarien nicht zu selbständigen Steuern ent- wickelt und wenn die drei Steuerarten tatsächlich und rechtlich oft ineinander- greifen, so wollen wir doch versuchen, sie in ihrer Eigenart hier getrennt zu be- handeln.

Die eigentliche Gewerbesteuer umfasst Handel, Industrie und Handwerk. Jede dieser Kategorien ist in ca. 10 Unterklassen geteilt, für welche verschiedene Steuerhöhen vorgesehen sind. Das Handelsgewerbe umfasst den Gross-, Klein- und Hausierhandel, sowie alle verwandten Tätigkeiten und besteuert die Klassen mit 3 bis 3000 Fr. Die Industrie umfasst alle industriellen Erwerbsformen ein- schliesslich des Bergbaues, aber mit Ausnahme des Handwerks. Der Minimalsatz ist 3 Fr. und der Maximalsatz 500 Fr. Beim Handwerk wird darnach unterschieden, ob der Handwerker nur eigene oder auch fremde Produkte verkauft, welche Roh- materialien er verarbeitet und welcher Art seine Erzeugnisse sind. Der Steuer- satz bewegt sich zwischen 3 und 150 Fr.

') Ueber die Gewerbesteuer vgl. Drenkoff a. a. 0. S 65 ff. 2) Zirkularschreiben des Finanzministeriums Nr. 8630 vom 10. August 1895.

60Õ

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24g Weiss-Bartenstein,

Innerhalb der verschiedenen Klassen entstehen oft grosse Sprünge, wodurch die richtige Besteuerung der individuellen Leistungsfähigkeit erschwert wird. Auch ist vielfach der Minimalsteuersatz zu hoch und der Maximalsteuersatz zu niedrig und es wird Aufgabe der Veranlagungsorgane sein, bei der Einregi- strierung der einzelnen Gewerbearten der vorgesehenen Klassen durch besondere Einsicht und Sorgfalt die Härten des Steuersystems zu mildern, welches mit der stetig zunehmenden Gliederung der Erwerbsarten in der Zukunft auch eine grössere Durchführung der Spezialisierung wird erfahren müssen.

Mit Rücksicht auf die volkswirtschaftliche Struktur Bulgariens kann die bulgarische Gewerbesteuer, abgesehen von einigen schon angedeuteten Mängeln, in ihren Grundlagen als geeignet bezeichnet werden. Das bulgarische Klein- gewerbe und zum grossen Teil auch der Grossbetrieb sind vor allem auf den lokalen Absatz in der Nähe des Produktionsortes angewiesen. Durch die Kapitalansamm- lung im Lande und die Einwanderung fremden Kapitals tritt die Tendenz zur Verdrängung des Handwerks stark in den Vordergrund, und so ist eine geringere Belastung der Kleinproduktion, wie sie das finanzpolitische Prinzip der Be- steuerung nach der Leistungsfähigkeit ohne weiteres einschliesst, nur gerecht- fertigt. Der Fiskus muss aber auch aus gewerbepolitischen Gründen in An- betracht der schwierigen ökonomischen Lage des Handwerks auf grössere Ein- nahmen von dieser Berufsklasse verzichten, soweit diese Politik nicht ungesunde Neugründungen hervorruft.

In noch stärkerer Weise wirkt jedoch das „Gesetz zur Anspornung der Industrie", welches für industrielle Betriebe mit einem Kapital von 25,000 Fr. und einer Beschäftigung von mindestens 20 Arbeitern Steuerfreiheit gewährt. Es wäre nur wünschenswert, dass diese Begünstigung auch den landwirtschaft- lichen Nebenbetrieben, welche selbstgewonnene Rohstoffe verarbeiten, sowie landwirtschaftlichen Konsumvereinen und Genossenschaften gewährt würde, um die Entwicklung derartiger Verbände zu fördern.

Höheren Anforderungen kann die Gewerbesteuer nur genügen, wenn sie den Ertragsverhältnissen genauer angepasst ist, und zwar ist dieser genaue Mass- stab nur in der Ermittlung des Reinertrages zu finden, welcher daher bei grösseren Gewerben wie bei der Einkommensteuer am besten durch Selbsteinschätzung festzustellen ist.

Ohne ein Erdrosselungsverfahren gegen Grossunternehmungen einleiten zu wollen, was aus Gründen der Wirtschaftspolitik und der Gerechtigkeit zu ver- werfen wäre, könnte eine massige Progression der Steuer nach der Höhe des Reinertrages gerechtfertigt erscheinen. Denn der Reinertrag pflegt mit der Grosse des Unternehmens zu wachsen und bei der Unterhaltung einer grossen Zahl von Kleinunternehmern ist ein höherer Prozentsatz als Existenzminimum abzuziehen, als bei einem grossen Einzelunternehmen.

Der zweite Teil der Gewerbesteuer ist die Arbeitsertragsbesteuerung, welche eine Besoldungssteuer und eine Besteuerung auch der freien Berufe ist, während alle Löhne steuerfrei sind.

Das Gesetz unterscheidet zwischen den „dienenden Berufen", d. i. den- jenigen Berufen, welche gegen ein festes Gehalt ausgeübt werden, und den „freien Berufen", welche nicht näher definiert werden.

Zu den ersteren gehören alle Personen des Staats-, Zivil- und Militärdienstes, 606

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Finanapolitik und Finanzwesen Bulgariens. '±Q

die Kreis- und Kommunalbeamten, die Lehrer, die Geistlichen und alle Privat- angestellten mit festem Gehalt. Die Steuer steigt progressiv nach folgenden Gehaltsstufen zuzüglich aller Zuschüsse, welche nicht zur Bestreitung rein dienst- licher Ausgaben gezahlt1) werden. Sie beträgt

bei einem Gehalt bis zu 2,400 Fr. = 2 % „ „ 5,400 „ - 3 % „ „ 7,500 „ - 4%

„ „ „ „ „ 12,000 „ = 5% über 12,000 „ = 6%

Die Pensionen werden als Renten betrachtet und nicht versteuert. Die freien Berufe werden in vier verschiedene Klassen eingeteilt und von 3 bis 500 Fr. be- steuert.

Es muss noch erwähnt werden, dass nach dem Gesetze die Pachtwirtschaft gegenüber der Eigenwirtschaft benachteiligt ist, da nicht der Eigentümer, wohl aber der Pächter von der Arbeitsertragsbesteuerung getroffen wird.

Die Arbeitsrentensteuer kann eigentlich als Ertragssteuer nicht angesehen werden; sie als solche anzusehen, widerspricht dem Grundgedanken der Ertrags - Steuer, nach dem diese eine Steuer auf einen sachlichen Besitz ist, der seinem Besitzer erlaubt, aus dem Besitz einen Ertrag zu ziehen. Wo aber einem Lande eine eigentliche Einkommensteuer noch fehlt und man statt einer einheitlichen Einkommensteuer eine grosse Reihe von Steuern auf die verschiedenen Arten des Einkommens legt, treffen wir auch meist die Arbeitsrentensteuer und zwar dann sehr oft im Rahmen der Ertragssteuern. So ist es denn auch in Bulgarien. Hier trägt sie den Charakter einer Steuer auf ein Arbeitseinkommen, dessen Höhe über die Mittel zur Befriedigung der notwendigsten Lebensbedürfnisse hinausragt. Demgemäss lässt sie das Lohneinkommen ganz frei, um in durch- aus berechtigter Weise die wirtschaftlich Schwächeren zu stärken. Sie ist eine progressive Steuer, beginnt mit 2 % und endet mit 6 %.

Den letzten Teil der bulgarischen sog. Gewerbesteuer bildet dann, wie wir schon oben sahen, die Kapitalrentensteuer. Ihr unterliegen nach Art. 3 des Gesetzes alle Bezüge aus beweglichen und unbeweglichen Gütern, soweit sie nicht der Grundsteuer unterworfen sind, und alle weiteren Rentenansprüche, also z. B. auch die Pensionen, nicht dagegen die Dividendenbezüge aus Aktien, Anteil- scheinen usw., welche steuerfrei sind.

Die Steuer wird progressiv nach der Grosse der Renten erhoben. Bei Renten bis 5,400 Fr. = 2 %

7,500 „ = 3% „ 12,000 „ == 4% „ 20,000 „ == 5% „ 50,000 „ = 6% „ 100,000 „ -= 7%

„ über 100,000 „ ^ 8 % Hierbei wird jedoch die Gesamtsumme aller von einem Steuerpflichtigen

bezogenen Renten für die Höhe der Progression als massgebend erachtet. Da-

J) Reglement über die Anwendung des (îewerbesteuergesetzes vom 28. Juli 1895. Staatsanz. Nr. 172, 9. August 1Hü5. Art. 4 if.

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150 Weiss-Bartenstein,

durch schmiegt sich die Steuer dem Grundsatz der Leistungsfähigkeit sehr an. Ein steuerfreies Minimum oder Erleichterungen sind nicht vorgesehen. Um eine Doppelbesteuerung zu vermeiden, werden Bezüge aus Erwerbsgesellschaften, welche der Gewerbesteuer unterliegen, im Verwaltungswege nicht mehr be- steuert1), anderseits werden besteuert die Bezüge aus Immobilien, welche zwar nicht von der Grundsteuer, aber von der Gebäudesteuer betroffen sind, als Kapital- rente, was einer Mietssteuer gleichkommt2). Darin besteht eine ungerechte Mehr- belastung der vermieteten Gebäude, zumal die Steuer an und für sich recht hoch bemessen ist und der Kapitalbildung entgegenwirkt.

Die Veranlagung3) der drei Unterarten der Gewerbesteuer ist durch das Gesetz und seine Ausführungsbestimmungen einheitlich geregelt. Steuersubjekt ist im allgemeinen nicht die einzelne Person, sondern der Betrieb. Die Veranlagung geschieht durch Selbsteinschätzung, welche von Kommissionen nachgeprüft wird. Eine sehr schwierige Aufgabe ist die Ermittlung des wirklichen Ertrages, für welche das Gesetz nur allgemeine Anhaltspunkte gibt. Deshalb hängt die richtige Veranlagung der Steuer von den in den Kommissionen mitwirkenden Personen ab4). Dabei ist die Gefahr der Ueberbürdung für die Steuerpflichtigen weniger gross, da ihnen das Recht der Reklamation zusteht, als für den Fiskus die Gefahr einer zu geringen Besteuerung, da eine zu niedrige Veranlagung der Bequemlich- keit vieler Beamten entsprechen dürfte.

Für die meisten bulgarischen Banken und Versicherungsgesellschaften besteht die Pflicht6), für die bei ihnen von Privaten eingelegten Gelder die Steuer bei der Zahlung der Zinsen in Abzug zu bringen. Hierbei sind die Kreditanstalten für die vollständige Entrichtung der Steuerzahlung haftbar. Diese Haftbarkeit kann sich natürlich nicht auf das Gesamtvermögen, sondern nur auf die spezielle Einlage des Steuerpflichtigen beziehen.

Alle 3 Jahre erfolgt eine Neuveranlagung, welche in ein Steuerregister eingetragen wird6). Während dieser Zeit bleibt dieselbe, von einigen Ausnahmen abgesehen, die gleiche7), auch wenn die Einträglichkeit eines Gewerbes Schwan- kungen unterworfen ist. Diese Massnahme gereicht den Steuerpflichtigen bei steigender Konjunktur zum Nutzen und schlägt in Zeiten wirtschaftlichen Nieder- ganges in das Gegenteil um.

Die bulgarische Gewerbesteuer sucht nur den Rohertrag zu ermitteln, da

]) Art. la Anni, des Reglements über die Anwendung des Gewerbesteuergesetzes be- stimmt: ,.Die Aktien verschiedener industrie- und Handelsgesellschaften, sowie der Spar- vereine usw. . . . werden nicht zu den obengenannten (der Steuer unterliegenden) Kapitalien gerechnet, wenn für die Bezüge aus solchen Aktien die Gesellschaften selbst durch die eigentliche Gewerbesteuer usw. . . . schon getroffen sind " Dasselbe wird präziser im Zirkularschreiben des Fin;nizininisters Nr. 7771 vom s. September 1902 ausgeführt. L j es- si n off a. ¡i. O. S. 137.

2) In dieser Beziehung enthält die Gewerbesteuer einen Ersatz für die abgeschaffte Mietertragsteuer. Auch das stärkere Anwachsen der Erträge aus der Gewerbesteuer wird vom Finanzminister Geschoff mit demselben Grunde erklärt. Sten. Protok. der VIII. Nat.- Yers., XVI. Sitzung, 18. Dezember 1895. Ljessinoff a. a. O. S. 1»9.

S) Drenk off a, a. O. S. »59. *) Zirkularschreiben des Finanzministeriums Nr. 6236 vom 15. Juli 1905. Punkt 9. *.) Zirkularschreiben Nr. 4771 vom '$. September 1912. Zirkularschreiben Nr. 245 vom

11. Januar 1903. Staatsauz. Nr. 1, April 1905. Gesetzesammlung Bd. 10, T. II, S. 301-303, ö) Register Nr. 19. Reglement, über die Anwendung des Gewerbesteuergesetze». •) Art. 31 des Gesetzes.

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Finanzpolitik und Finanzwesen Bulgariens. JgJ

die Bestimmung des Reinertrages bei der im allgemeinen fehlenden Buchführung fast unmöglich ist. Die technische Handhabung der Steuer und besonders die Tätigkeit der Veranlagungsorgane wird dadurch erschwert, dass in dieser Steuer ausser der eigentlichen Gewerbesteuer auch die Arbeitsertrags- und Kapital- rentensteuer vereinigt ist. Die hieraus häufig entstehende Verwirrung ist ein Mangel des Systems.

Ein Gesetz vom 3. Januar 19081) suchte einen Schritt vorwärts zur Er-

mittlung des Reinertrages zu tun, indem es den Abzug der Betriebskosten, nicht aber der Unterhaltungskosten den Gewerbetreibenden gestattete. Ebenso werden sonstige persönliche Verhältnisse nicht berücksichtigt. Ferner betont das Gesetz noch mehr die Progression der Steuersätze. Endlich setzt es für die Besteuerung aller Gesellschaften, welche zur Veröffentlichung ihrer Bilanzen verpflichtet sind, eine Besteuerung nach Massgabe des Gesamtgewinnes einschliesslich der Re- serven fest. Die Abgabe darf nicht weniger als 2 % des eingetragenen Kapitals betragen. Durch diese Massnahme wurde die frühere Benachteiligung der Privat- unternehmungen gegenüber den Gesellschaften aufgehoben, indem beide Organi- sationsformen unter Zugrundelegung des Ertrages nach gleichem Prinzip be- steuert werden, ohne dass man letztere überlastet.

Die Kapitalrentensteuer identifiziert den Begriff des Kapitals mit dem des Leihkapitals und stellt ihn in den Gegensatz zu demjenigen, welches im eigenen Wirtschaftsbetriebe arbeitet und schon durch die Grund-, Gebäude- und Gewerbe- steuer getroffen wird. Deshalb bildet die Kapitalrentensteuer die notwendige Ergänzung zur Grund-, Gebäude- und Gewerbesteuer. Es wird die Rente be- steuert und nicht der Kapitalbetrag, und so ist sie eine Vervollständigung des Ertragssteuersystems. Dies kann freilich von der bulgarischen Rentensteuer nur insoweit gelten, als sie Kapitalrenten besteuert. Soweit sie aber auch andere Rentenbezüge, wie z. B. Pensionen, besteuert, kann sie als eine Ergänzung des bulgarischen Steuersystems nur insofern angesehen werden, als dieses sich be- müht, alle verschiedenen Arten des Einkommens zu treffen. Gerade aber des- halb, weil die bulgarische Gewerbesteuer, als Ganzes in ihren drei Untergruppen betrachtet, sich als eine Kombination von Ertrags- und besonderen Einkommen- steuern darstellt und sich bemüht, sich der persönlichen Leistungsfähigkeit der Steuerverpflichteten anzupassen, müsste sich in ihr eine Bestimmung finden, nach der Schuldzinsen und Anlagespesen in Abzug gebracht werden könnten. Statt dessen finden wir ausdrücklich gerade die entgegengesetzte Bestimmung. Das wäre richtig, wenn sie eine reine Ertragssteuer wäre, es ist aber nicht richtig, weil sie in der Arbeitsrenten- und in der Personalrentensteuer Bestandteile einer Einkommensteuer enthält. Zuletzt sei noch erwähnt, dass die Rentensteuer aus steuertechnischen Gründen kleine Rentenbezüge, wie z. B. diejenigen aus Spareinlagen, frei lässt, weil sie der Behörde im Verhältnis zum Ertrage zu grosse Umstände verursachen. Eine Vereinfachung bei der Einziehung wird durch den sofortigen Abzug der Steuer bei der Einlösung der Coupons erzielt, soweit es sich um Staats- oder Gemeindeanleihen handelt.

Eine letzte Art der Ertragssteuer bildet endlich noch die aus türkischer Zeit noch immer beibehaltene Viehsteuer. Die Steuerreform von 1894 berührte

J) Staatsanz. Nr. 8, 11. Januar 1908; 609

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152 Weiss-Bartenstein,

sie am wenigsten, immerhin jedoch in zwei Punkten; einmal nämlich, indem sie von der früheren Besteuerung die Schweine ausnahm, welche, wie wir schon sahen, der Gewerbesteuer unterworfen wurden, wobei aber, wie ebenfalls schon bemerkt wurde, Züchter mit weniger als zehn Schweinen steuerfrei bleiben, zweitens insofern, als in die Ausführungsbestimmungen1) die Avichtige Vorschrift der Selbsteinschätzung der Steuerpflichtigen aufgenommen wurde, wobei eine Nachprüfung der Selbsteinschätzung durch Kontrollorgane vorgesehen ist. Sonder- barerweise zeigen die Steuersätze einen degressiven Charakter.

Wenn die Viehsteuer bei dem früheren Zehnten, welcher nur die bestellten Ländercien besteuerte und die Weideflächen von jeder Abgabe frei Hess, als mittel- bare Besteuerung eine gewisse Berechtigung hatte, so bedeutet sie bei der heutigen Grundsteuer eine Doppelbesteuerung, welche nur aus rein fiskalischen Gründen zu verteidigen ist und wohl auch nicht lange mehr bestehen wird, denn heute werden auch die Weideflächen durch die Grundsteuer abgabepflichtig. Bis jetzt hat sich die Viehsteuer trotz ihrer Mängel gehalten, da die Landbevölkerung seit Generationen daran gewöhnt ist und die Viehzucht wegen dieser Belastung nicht eingeschränkt hat. Denn die Viehprodukte sind im Gegensatz zu den Zerealien im Preise bedeutend gestiegen und auch die Viehausfuhr wird noch ermöglicht, weil das Hauptabsatzgebiet, die Türkei, eine gleiche Steuer auf- weist.

Wir haben nun nur noch zwei Steuern zu besprechen, welche durch die Steuerreform wenig Veränderungen erfahren haben, diese sind die Wegesteuec und die Wehrsteuer.

Die Wegesteuer war bis zum Jahre 1904 eine reine Personalsteuer und keine Objektsteuer, denn sie wurde von allen Bürgern gleichmässig erhoben. Das neuere Prinzip der Besteuerung in Gold nach der individuellen Leistungsfähig- keit Hess die Wegesteuer mit ihrer Naturalleistung mehr und mehr veraltet erscheinen, zumal letztere den dichter bevölkerten Gegenden, welche über mehr Arbeitskräfte verfügten, weit mehr zugute kam, als den weniger be- wohnten. Abgaben in Geld waren äusserst selten und nur in den Städten üblich.

Das Gesetz vom 12. Januar 19042) nahm deshalb der Wegesteuer ihren Charakter einer reinen Kopfsteuer, indem es zwar eine solche in Höhe von 6 Fr. jedem Steuerpflichtigen ohne Unterschied auferlegte, daneben aber eine Objekt- steuer von 4 % der veranlagten Steuern, ausgenommen die Grund- und Vieh- steuer, erhob. Hierdurch wurde eine Verschiebung der Belastung zwischen Stadt und Land erzielt. Ausserdem wurde die Naturalleistung abgeschafft, wodurch çler Fiskus im Jahre 1904 eine Einnahme von 4,234 Mill. Fr. gegen 1,659 Mill Fr. im Vorjahre zu verzeichnen hatte. Die Entrichtung der Steuer in Geld ermög- lichte den Ausbau der staatlichen Landstrassen nach einem einheitlichen Plan und den Interessen der Gesamtheit entsprechend.

Die Wehrsteuer wurde durch die Gesetze vom 15. Dezember 18973) und 30. Dezember 19044) nacheinander auf folgende Sätze erhöht:

]) Durch ein Zirkularschreiben des Finn nzministeriums Nr. 2081 vom 5. März lsiM». 2) Staatsanz. Nr. 14, 20. Januar 1904. Gesetzesammlung Bd. 10, T. I, S. 373-379. *) Staatsanz. Nr. 85, 16. Februar 1898. Gesetzesammlung Bd. «, T. II, S. 345- M73. *) Staatsanz. Nr. 8, 13. Januar 1905. Gesetzesamralung Bd. 10, T. U, S. 0<>7.

610

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Finanzpolitik und Finanzwesen Bulgariens. "J 53

I. Klasse = 1000 Fr. IX. Klasse = 150 Fr. II. „ - 850 „ X. „ = 100 „

III. „ =■-- 755 „ XL „ = 75 „ IV. „ - 550 „ XII. „ = 50 „ V. „, == 450 „ XIII. „ = 30 „

VI. „ = 350 „ XIV. „ - 20 „ VII. „ = 250 „ XV. „ - 10 „

Vili. „ = 200 „ Die Steuersätze schwanken jetzt zwischen 1000 Fr. und 10 Fr. Früher

trafen auf eine Klasse durchschnittlich 164 Fr., jetzt 318 Fr. Als letzte »Steuer ist die {Schulsteuer zu erwähnen. Sie wur/ie im Jahre 1892

eingeführt und sollte in einem Zuschlage von 3 % zu allen direkten Steuern, mit Ausnahme der Wegesteuer, die ja selbst eine solche Zuschlagsteuer ist, be- stehen. Da die direkten Steuern 1894 vollständig ihren Charakter änderten, so änderte sich damit auch diese Zuschlagsteuer vollständig. Sie erfreut sich ausserordentlicher Missbeliebtheit, mehrfach ist deshalb schon ihre Abschaffung ins Auge gefasst worden. Daran hat man aber bisher so wenig denken können, dass man sie sogar hat erhöhen müssen. In dem letzten Etat für 1915 ist sie mit einem Zuschlag von 10 '% eingetragen.

Veranschaulichen wir uns nunmehr die Bedeutung der einzelnen in Bul- garien bestehenden Steuerarten. Die Einnahmen aus den verschiedenen Arten der direkten Steuern sind nach dem Budgetbericht von 1915 folgendermassen veranschlagt: Die Grundsteuer mit 23,2 Mill. Fr. gegen tatsächliche Einnahmen in Höhe von 17,3 Mill. Fr. im Jahre 1911. Die gleichen Zahlen für die Gebäude- steuer sind 5,5 Mill. Fr. gegen 1,4 Mill. Fr. Die Gewerbesteuer wird mit 8,5 Mill. Fr. gegen 6,9 Mill. Fr. veranschlagt, während die Viehsteuer 4,3 Mill. Fr. einbringen soll. Die Wehrsteuer ist mit 3,5 Mill. Fr. für 1915 angesetzt und hat 1911 2,3 Mill.Fr. ergeben. Um 2 Mill. Fr. ist die Wegsteuer für das laufende Jahr höher angesetzt als 1911, nämlich auf 5,2 Mill. Fr., während die Schulsteuer mit 4,7 Mill. Fr. um 1,8 Mill. Fr. höhere Erträge liefern soll als 1911. Diese grossen Mehreinnahmen , welche für 1915 erwartet werden und für die gesamten direkten Steuern ca. 20 Mill. Fr. ergeben, sind auf Rechnung der in den Balkankriegen neu erwor- benen Gebiete zu stellen.

Wenn wir nunmehr daran gehen, das System der direkten Steuern Bul- gariens einer kritischen Beleuchtung zu unterziehen, so können wir zunächst die folgenden charakteristischen Züge feststellen.

Während die Personalsteuern nur schwach und zwar nur in den beiden letztgenannten Steuern vertreten sind, herrschen die Realsteuern und zwar in der Form der Ertragssteuern vor. Die genaue Ermittlung des Reinertrages, welche wohl die schwierigste Aufgabe der Ertragsbesteuerung ist, konnte in Bulgarien, trotz kleiner Ansätze bei der Gewerbesteuer, wegen der steuei tech- nischen Schwierigkeiten noch nicht gelöst werden. Die bulgarischen Ertrags- steuern sind deshalb Rohertragssteuern und in der Erfassung dieses Ertrages wegen des noch nicht genügend ausgebauten Veranlagungssystems in vielen Stücken ungleichmässig. Eine Eigentümlichkeit der bulgarischen Ertrags -

besteuerung ist die Anwendung der Progression bei einigen Ertragssteuern, nämlich bei der Gebäude-, der Gewerbe- und der Kapitalrentensteuer.

611

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J54 Weiss- Bartenstein,

Die nun sich aufdrängende Frage ist, ob das Absehen von einer eigentlichen Einkommensteuer und einer Vermögensteuer, und die Bevorzugung der Ertrags- steuern den bulgarischen Verhältnissen entspreche oder nicht. Diese Frage wird zu bejahen sein. Die Einkommensteuer sowohl wie die Vermögensteuer setzen entwickeltere volkswirtschaftliche Verhältnisse und eine geschulte und auch vollständig zuverlässige Beamtenschaft voraus. Beide Voraussetzungen durften für Bulgarien noch fehlen. So empfehlen sich für Bulgarien auf seiner heutigen Wirtschafts- und Entwicklungsstufe noch die Ertragssteuern als die Haupt - form der direkten »Steuern, wenngleich die Wissenschaft diese Steuern für ent- wickeltere volkswirtschaftliche Verhältnisse bei geschultem und zuverlässigem Beamtenpersonal mit Recht verwirft und ihre Ersetzung durch eine Einkommen- und eine Vermögensteuer fordert, weil nur diese Steuern sich der Leistungsfähig- keit anpassen lassen.

Wenn wir auch zugeben, dass das bulgarische System der direkten Steuern im ganzen den Verhältnissen angepasst sei, so haben wir uns doch noch die andere Frage vorzulegen, ob es auch im einzelnen seine Aufgabe erfüllt. Diese Frage müssen wir teils verneinen, teils bejahen.

Ein grosser Mangel ist es zunächst, dass häufig noch der Rohertrag statt des Reinertrages zur Grundlage der Besteuerung gemacht wird. So roh und unentwickelt sind in Bulgarien die Verhältnisse nicht mehr, dass dies deshalb als notwendig und gerecht anzusehen wäre, weil bei geringer volkswirtschaftlicher Entwicklung mit nur wenigen Ausnahmen der Reinertrag bei fast allen Besteuerten einen gleichen Prozentsatz des Rohertrages darzustellen pflegt.

Anderseits muss anerkannt werden, dass die bulgarischen Ertragssteuern schon manche Ansätze zu einer Personaleinkommenbesteuerung enthalten und ►so den Uebergang zu den Einkommen- und Vermögensteuern anbahnen. Solche Ansätze dürfen zu suchen sein in der Arbeitsrenten- und der Personalrenten - Steuer im allgemeinen sowohl, wie in der Bestimmung, dass das reine Lohn- einkommen frei zu bleiben habe, in der reichhaltigen Gliederung der Gewerbe- steuer, in ihrer Berücksichtigung einiger persönlicher und kultureller Verhältnisse, in der Progression der Gebäude-, der Gewerbe- und der Kapitalrentensteuer und in den Grundsätzen, die für diese Progression aufgestellt sind.

Jedenfalls darf man sagen, dass die Gerechtigkeitsidee in dem bulgarischen Steuersystem trotz der sonstigen Parteiwirtschaft hauptsächlich damit ver- wirklicht ist, dass es nicht den Sondervorteilen dieser oder jener Bevölkerungs- klasse dient, sondern den finanzwirtschaftlichen Bedürfnissen des Volkes in seiner Gesamtheit Rechnung trägt. Um mit Röscher1) zu sprechen, ist bei der allgemeinen Schwäche der Menschen die Steuergerechtigkeit ein Ideal, dem jeder Staat nachstreben sollte, das aber selbst die beste Regierung des besten Volkes nie ganz erreichen wird, schon wegen der nie ganz vermeidlichen Unvollkommen- heit des Steuererhebungsapparates, wegen der mannigfachen Steuerabwälzungs- vorgänge, hauptsächlich indes wegen der grossen persönlichen Verschiedenheiten, die selbst einem dem Kopf betrage nach durchaus gleichen Vermögen oder Ein- kommen eine sehr verschiedene wirtschaftliche Kraft gewähren.

Wenn darum also auch das bulgarische System der direkten Steuern manche

!) Röscher, Finanzwissenschaft., 5. Aufl. 11*01, Bd. 1, S. 259. 612

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Finanzpolitik und Finanzwesen Bulgariens. 155

Mängel zeigt, die unter den heutigen Verhältnissen schon beseitigt sein könnten, so ist doch im allgemeinen zuzugeben, dass die bulgarische Gesetzgebung bemüht gewesen ist, für die direkten {Steuern ein System auszuarbeiten, das den gegebenen Verhältnissen nach Möglichkeit entspricht.

B. Die indirekten Steuern. Nachdem wir die Wandlungen, welche das System der direkten Steuern

von der Befreiung Bulgariens bis zur Gegenwart durchgemacht hat, verfolgt haben, wenden wir uns nunmehr den indirekten Steuern zu.

Der dauernd steigende Finanzbedarf des Staates führte zu einem ständigen Suchen nach neuen Steuerquellen. Die direkten Ertragssteuern genügten nicht zur Bestreitung der Staatsausgaben, und so wurden die Verbrauchssteuern in neuerer Zeit derartig entwickelt, dass sie den Betrag der direkten Steuern zeit- weise weit überstiegen. Sie sollten in ausgleichender Weise eine gerechte und gleichmässige Verteilung der Steuerlast auf die Bevölkerung bewirken und auch das auf direkte Weise nicht oder unvollständig getroffene Einkommen ergänzend besteuern.

Wie Bulgarien in seiner Zollpolitik bis 1890 bzw. 1892 noch die Hände ge- bunden waren durch die Bestimmungen des Berliner Vertrages, so auch bei der Festsetzung seiner inneren Steuern. Der Berliner Vertrag verbot der bulgarischen Regierung, solange sie noch an die von der türkischen Regierung abgeschlossenen Zollverträge gebunden war, die einmal an der Grenze verzollten Waren durch weitere innere Verbrauchsabgaben zu belasten, sofern sie nicht auch von den betreffenden im Inlande hergestellten Waren erhoben wurden. Ausnahmen waren nur für die drei türkischen Monopolartikel gestattet1), Tabak, Salz und Schiesspulver.

Diese Monopole wurden beseitigt und dafür neu eingeführt eine Besteuerung mit nur teilweise monopolartigem Charakter für Salz, Spirituosen und Tabak, sowie Akzisen und Fabrikations- und Verkaufslizenzen (Patente). Nachstehend schildern wir die Entwicklung dieser Einnahmequellen, sowie der mit ihnen ver- wandten Zolleinkünfte.

Bis zum Jahre 1886 wurde in Bulgarien kein Salz gewonnen, infolgedessen nur ausländisches Salz besteuert und zwar mit 4,50 Fr. für 123,5 kg (100 Oka), seit 1880 mit 6,50 Fr. Bei der Vereinigung mit Ostrumelien, wo Salz produziert wurde, nahm Bulgarien das dort bestehende Salzmonopol in der Form eines Handelsmonopols an. Sowohl der Handel wie die Einfuhr von Salz wurden freigelassen, dagegen erhöhte man den Zoll auf 11 Fr. für 123,5 kg2). Privat- unternehmungen betrieben die Salzgewinnung, mussten ihre Produktion dem Staate1 aber für 1,35 Fr. für 100 kg abgeben, der den Verkauf in Händen hatte.

ß<>i der Steuerreform von 1894 verlor die Salzsteuer ihren halbmonopol- artigen Charakter gänzlich3). Es wurde eine einfache Salzsteuer von 6 Fr. für 100 kg eingeführt, während der Zoll für auswärtiges Salz 9 Fr., früher 8,68 Fr.,

0 Vgl. Martens, Nouveau recueil général des traités et autres actes relatifs aux rapports de droit international, deuxième Série, Tome ITI, Göttingen 1878/79, S. 453.

*) Gesetz vom 17. Dezember 1887, Protokolle der Sobranje, Buch IV, S. 632. *i Vgl. für dus folgende: Iwan Drenkoff, Die Steuerverhältnisse Bulgariens,

Jena 1S00. 613

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256 WeiBs-Bartensteiïi,

betrug1). Da nun die einheimische Salzproduktion, die ja auf die Gewinnung von Seesalz sich beschränkt, den Bedarf des Landes an Salz nicht zu decken vermochte, so bestimmte der Zoll auf auswärtiges Salz den Preis des Salzes. "Der Unterschied von 3 Fr. ist also ein Geschenk an die Inhaber der Salzsiedereien auf Kosten der Verbraucher. Der Zweck war, durch dieses Geschenk an die Produzenten zur Anlage von neuen Salzsiedereien an der Küste anzuregen. Da.« ist nun freilich nicht viel geschehen, aber die bisher bestehenden Salzsiedereien, insbesondere in Anchialo, wurden bedeutend erweitert. Die Salzsteuer ist seit 1894 nicht wieder geändert worden, sondern 1906 in ein Handelsmonopol umgewandelt.

Zu den Bestrebungen der Steuerreform von 1894, welche die Landbevöl- kerung entlasten wollte, stand die Salzsteuer wegen ihres kopfsteuerartigen Wesens allerdings im Gegensatz; denn gerade die bulgarische Landbevölkerung ver- braucht zu ihrer Ernährung sehr viel Salz. Ausserdem wurde kein Unterschied zwischen Salz für Koch-, Futter- und gewerbliche Zwecke gemacht. Im Jahre 1895 brachte die Steuer 2,133,737 Fr. aus einem Verbrauch von 35,562,284 kg ein, von dem 27,298,489 kg aus dem Auslande bezogen waren. Der Verbrauch hat von Jahr zu Jahr zugenommen und brachte dem Staate im letzten normalen Wirtschaftsjahre 1911 4,780,324 Fr. ein.

Das in der Türkei eingeführte Tabakmonopol hob die Regierung, wie er- wähnt, von Anfang an auf und gestaltete es durch ein einstweilig geltendes Re- glement vom 1. Februar 1879 und durch ein Gesetz vom 9./21. Mai 1880 zu einer doppelten Abgabe, nämlich einer Roh taba ksteuer von 70 Cts. für 1 kg, ohne Berücksichtigung der Güte, was ein Mangel war, und zu einer Wertsteuer in Form einer Banderolensteuer mit schwankenden Sätzen. Zur Vermeidung einer Doppelbesteuerung tragen mit Tabak bepflanzte Flächen keine Grundsteuer. Man erhob die Rohtabaksteuer vom Tabakpflanzer, welcher zum eigenen Ge- brauch nur 12 kg steuerfrei behalten durfte. Um zu verhindern, dass von den Bauern Tabak nur zum Zweck des eigenen Verbrauchs gebaut wurde, verbot die Regierung den Tabakbau auf Flächen von weniger als 1/2 Deunum. Während das Monopol 1879 dem Staate noch eine Einnahme von 2,350,000 Fr. gebracht hatte, ergab die Tabaksteuer 1880 nur 1,800,000 Fr.; dabei muss jedoch bemerkt werden, dass der Verkauf der Produktionsstätten der Regierung im Jahre 1880 ebenfalls eine bedeutende Einnahme gebracht hatte. Anfang der neunziger Jahre brachte die Tabaksteuer nach Inkrafttreten eines neuen Gesetzes dem Staate fast 4,000,000 Fr. jährlich.

Nach dem Gesetz vom 15. Dezember 1890 wurde die Tabakbesteuerung wie folgt geändert: Die Steuer von Rohtabak (Mourourié) wurde nach dem Verkaufe durch den Tabakbauer an den konzessionierten Grosshändler oder Fabrikanten vom letzteren zwölf mal im Jahre erhoben, also beim Uebergango in den Verkehr, nicht mehr vom Tabakpflanzer, sondern eigentlich beim Ver- kauf von dem Käufer. Die Abgabe wurde auf 40 Cts. für 1 kg herabgesetzt. Infolge der Tabaksteuer ist die Tabakkultur vielen Beschränkungen und sehr umfangreicher Kontrolle seitens der Regierung unterworfen. Die Zahl und Grosse der Anbauflächen müssen bei der zuständigen Finanzbehörde angemeldet werden.

*) Protokolle der Nationalversammlung von 1894, Buch VI, H. -ttíl. 614

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Finanzpolitik und Finanzwesen Bulgariens. J5J

Die Trockenböden stehen ebenfalls unter amtlicher Aufsicht. Nach dem Aus- trocknen der Blätter (Ende Oktober) findet die amtliche Verwiegung statt. Vor- her darf der Tabak nicht verkauft werden.

Auch die Fabriken sind der schärfsten Regierungskontrolle unterworfen. .Jede in der Fabrik zur weiteren Verarbeitung eingegangene und von ihr aus- gegangene Tabakmenge muss in das vom Steuerkontrolleur besonders dafür geführte Buch eingetragen werden. Die Fertigherstellung von Tabak ist nur in Fabriken zulässig; die Eröffnung von solchen bedingt die besondere mini- sterielle Erlaubnis. Der zum Verbrauch fertiggestellte Tabak darf nur in der gesetzlich vorgeschriebenen Form in den Verkehr gebracht werden. Die Bande- rolensteuer beträgt, mit unbedeutenden Ausnahmen bei einigen Zigaretten, zwei Drittel von dem Verkaufspreise des Tabaks. Zigarren sind mit Recht stärker getroffen, da deren Tabak in Bulgarien nicht gebaut wird. Die Steuer ist nach der Qualität abgestuft, indem das feinere Fabrikat höher belastet wird und die niederen Sorten, welche die ärmere Bevölkerung verbraucht, nachsichtiger be- handelt werden. Die Tabakfabrikanten, die der Gewerbesteuer nicht unter- liegen, sind demselben Tabakgesetze gemäss lizenzpflichtig. Die Höhe der Lizenz schwankt je nach dem Orte von 200 - 1000 Fr.

Der Rohtabak darf von den Tabakbauern, die nicht lizenzpflichtig sind, nur an Tabakfabriken oder grosse Niederlagsgeschäfte verkauft werden (eine Begünstigung des Grossbetriebs). Kleinhandel ist nur mit fabriziertem Tabak erlaubt (§36 des Tabakgesetzes). Das Minimum des Verkaufs beim Grosshandel mit fabriziertem Tabak ist auf 10 kg Rauch- und Schnupftabak, 5000 Zigarren und 10,000 Zigaretten angesetzt. Es darf nur mit Banderole versehener Tabak verkauft werden. Der Steuersatz für Tabakhandel bewegt sich je nach dem Umfange des Betriebs und der geographischen Lage zwischen 35 - 225 Fr. Der Steuersatz ist mit Recht so hoch angesetzt, da der Gewinn wegen der gesetzlich angesetzten Preise auch bei den Grossbetrieben beschränkt ist. Eine Aenderung brachte das Gesetz vom 26. Februar 1897. Die hauptsächlichste Neuerung, abgesehen von einigen administrativen Bestimmungen, wie die Ueberlassung der Aufsicht der Tabakbesteuerung an die Akzisenaufseher und Agenten statt der Beaufsichtigung durch die Finanzbeamten der Departementalverwaltung1) be- steht in der Verminderung der Steuersätze für die billigeren Sorten. Von 1 kg Tabak vierter Qualität beträgt die Banderolesteuer 8 Fr. Der Verkaufspreis für dasselbe Quantum und für dieselbe Qualität ist auf 14 Fr. gesetzlich an- gesetzt (früher 12 Fr. Steuer, Verkaufspreis 18 Fr.); die Banderolesteuer von 1 kg Tabak fünfter Qualität 5,20 Fr., der Verkaufspreis 8 Fr. (früher 8 - 12 Fr.). Es sei hier erwähnt, dass Aenderungen in dem Banderolentarife in Bulgarien nicht selten sind. Der tatsächliche Grund der sehr angemessen bewirkten Herab- setzung der Banderoletaxen und des Verkaufspreises für die niederen Tabak- qualitäten, die hauptsächlich von der Bevölkerung verbraucht werden, war der Wunsch, eine Vergrösserung des Verbrauchs herbeizuführen, die dann auch ein- trat. Infolgedessen betrugen im Jahre 1911 die Einnahmen aus der Rohtabak- steuer 1,140,275 Fr. und aus der Banderolensteuer 20,805,029 Fr.

Die Frage der Einführung eines Tabakmonopols tauchte gelegentlich des

l) § 47 des Gesetzes von 181*0. t>15

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158 Weiss'Bartenstein,

Abschlusses der letzten grossen Anleihe von 1914/15 auf. Man sprach mit Bezug auf die Unterlagen materieller Art erst über die Verpfändung eines Tabakverbrauch-, dann eines Tabakexport monopois. »So wie aber die steuerliche Behandlung jetzt ist, ist sie in diesem Lande einem eigentlichen Monopol vorzuziehen. Sie bringt dem ¡Staate genügend ein, die Einnahmen können leicht gesteigert werden, und die bulgarische Regierung hat keine Verwaltung im grossen Stile für die Erhebung der Steuer nötig. Es liegen aber noch andere Vorteile in dem jetzigen System. Da die Zigaretten- und die Tabakfabrikation freigegeben ist und nur eine staat- liche Kontrolle stattfindet, so kann der Fabrikant dem Geschmack der Raucher Rechnung tragen. Entspricht ferner der Verkaufspreis nicht dem Werte der Ware, so wird die Steuer davon nicht berührt, wohl aber wird der Fabrikant durch das Verhalten der Raucher bald zu einer preiswerten Festsetzung seines Fabrikats veranlasst werden. Ein ausgesprochenes Monopol aus Veranlassung einer Auslandsanleihe zu schaffen, dürfte ausserdem bei dem politischen Fein- gefühl der Bulgaren nicht leicht und von zweifelhaftem Erfolg gewesen sein.

Die Getränkesteuer nimmt eine ähnliche Stellung wie die Tabaksteuer unter den indirekten Steuern Bulgariens ein. Beide betreffen entbehrliche und dennoch weit verbreitete Verbrauchsartikel und bringen dem Fiskus erhebliche Summen ein. Wegen ihrer sozialpolitischen Wirkungen war die Begründung der entsprechenden Gesetze leicht, und es zeigten sich die Steuerobjekte für eine Belastung viel geeigneter als das in seiner Bedeutung als Nahrungsmittel un- bedingt notwendige Salz.

Der Getränkesteuer unterliegen alle vom Auslande eingeführten Spirituosen, während von der inländischen Produktion Branntwein und Bier besteuert werden. Die übrigen geistigen Getränke bulgarischer Herkunft wie Wein, Liköre, Pflaumen- und Weinschnaps usw. sucht man durch Fabrikationslizenzen und erhöhte Verkaufslizenzen mittelbar zu treffen, da sie wegen der Zersplitterung der Produk- tion in kleinste hausindustrielle Betriebe durch die direkte Akzisenbesteuerung kaum erfasst werden könnten.

Die Grundlagen des Gesetzes, welches alle diese Steuern einheitlich regelte, stammen aus der Okkupationszeit; denn die provisorische russische Verwaltung baute diese Steuereinnahmequelle gemäss ihrer grossen Bedeutung im eigenen Lande gründlich aus. Infolgedessen sind alle späteren Aenderungen des einst- weiligen Reglements vom 15. Mai 1879 über die Getränkeakzise nicht grund- sätzlicher Art. Die Steuererhebung wurde ähnlich gehandhabt wie bei der tür- kischen Weinakzise. Die Akzise betrug ein Zehntel des festgestellten Rohertrages, und nur 200 kg wurden dem Weinbauer steuerfrei zum eigenen Gebrauch über- lassen.

Da die Erhebung der Akzisen bei der Zersplitterung der heimischen Pro- duktion einen zu grossen Stab von Beamten erforderte und deshalb zu kost- spielig war1), wurden durch ein Gesetz von 1880 die Akzisen von inländischen Getränken beseitigt. An deren Stelle wurde die Grundsteuer auf Weinberge eingeführt, die etwas höher als die allgemeine Grundsteuer war und die aus den Weintrauben gewonnenen Getränke mittelbar treffen sollte, zum grössten Teil aber auf dem Weinbauer lasten blieb. Infolgedessen verlangten nunmehr auch

i) Protokolle der Volksvertr., 1É80, S. 457. 616

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die ausländischen Staaten gleiche Behandlung ihrer Erzeugnisse, so dass auch die Akzise auf ausländische Getränke aufgehoben werden musste1).

Eine gründliche Regelung der Getränkesteuer wurde, abgesehen von einigen geringfügigen Abänderungen, durch ein Gesetz vom 30. Januar 1885 erzielt2). Hiernach wurden Fabrikatsteuern auf die Herstellung von geistigen Getränken, Bier, Branntwein und anderen alkoholischen Getränken wie Rum, Liköre, Kognak3), in Höhe von 10 % des Wertes eingeführt, Ausserdem muss die Fabrikation.s- und Handelslizenz erteilt werden. Die inneren Produkte waren also mit 2 % höher besteuert als die äusseren, die nur einen Wertzoll von 8 % zahlten. I)a ja aber in solchen Fällen nur die teureren und besseren Fabrikate die Transport- kosten der Einfuhr zu tragen vermögen, so zahlten die einheimischen Fabrikate der Menge nach sogar eine geringere Steuer, als die wenig verbrauchten wert- volleren auswärtigen. Diese Steuern brachten anfangs der neunziger Jahre einen Ertrag von etwa 1,000,000 Fr.

Wie man bei den Zöllen seit 1894 bestrebt war, mit den Wertzöllen zu brechen und sie in spezifische Zölle umzuwandeln, so wurde auch die Getränke- steuer4) aus einer Steuer von 10 % des Wertes in eine besondere Steuer um- gewandelt. Sie betrug für 100 1 inländischen wie ausländischen Spiritus 75 Fr., inländischen wie ausländischen Bieres 3 Fr., anderer alkoholischer Ge- tränke wie Liköre, Rum, Kognak usw. 30 Fr. Ausserdem wurden die Akzisen und Lizenzen erhöht. Anderseits muss aber hier noch einmal bemerkt werden, dass der Weinbau, indem für ihn seit 1894 die besondere Grundsteuer fortfiel und er nur noch der allgemeinen Grundsteuer unterworfen wurde, eine grosse steuerliche Erleichterung erfuhr.

Auch in diesem Gesetz, wie in den früheren, sind umfassende Vorschriften über die Ueberwachung der Fabriken getroffen, die in den Händen eines Re- gierungsbeamten liegt. Dieser hat seine Wohnung und seine Diensträume in der Fabrik und führt über den Fabrikationsgang und den Verkauf genau Buch. Ein Gesetz vom 31. Dezember 1896 beseitigte einen Mangel der bisherigen Be- stimmungen, indem es vergällten Spiritus für industrielle Brenn- und Beleuch- tungszwecke von der Besteuerung ausnahm.

Ausserdem ist noch eine Anzahl von anderen Verbrauchsartikeln mit Akzisen belegt.

Die Aufwandsteuern sollen vor allem die Landbevölkerung finanziell ent- lasten, da die Verbrauchsbesteuerung wenigstens insofern die Städter Verhältnis- massig stärker trifft, als es sich um feinere Erzeugnisse handelt, die in den Städten mehr verbraucht werden als auf dem Lande. Dagegen wird die Landbevölkerung dem Betrage nach doch den grössten Teil der Verbrauchssteuer aufzubringen haben. Bei der Steuerreform von 1894 wurden die Akzisen beträchtlich erhöht. Sie trafen nur Gegenstände, die im Inlande nicht hergestellt wurden, bedeuteten also in Wahrheit einen Aufschlag auf die Zölle. Dies hatte zur Folge, dass alle Staaten 1897 in die Handelsverträge die Bestimmung einfügen Hessen, dass die

!) Protokolle der Volksvertr., 1884 fiô, S. 189. *) Protokolle der IV. Volksvertr., Session I (1884J85), S. 189. 8) Wein zahlte auch jetzt einerseits einen Zoll und anderseits eine hohe Grundsteuer.

Aussei* dieser Steuer waren noch Akzisen und Schanklizenzen zu entrichten. 4) Vgl. für das folgende: IwanDrenkoffa, a. 0.

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JgQ Weiss-Bartenstein,

inneren Verbrauchsabgaben auf ausländische Waren in die Verträge selbst auf- zunehmen sind und während ihrer Dauer nicht verändert werden dürfen. So wurden bis zum Beginn neuer Handelsvertragsverhandlungen gegen Ablauf der alten Verträge in den Jahren 1903/04 diese inneren Verbrauchsabgaben keiner Aenderung unterworfen. Die Steuerreform von 1906 beschränkte sich auf die Erhöhung der Zölle, traf aber die schon bestehenden inneren Verbrauchsabgaben nicht. Ihre heutige Bedeutung ist aus dem Staatshaushalt für 1915 ersichtlich.

Dagegen wurden sog. Staatsprivilegien eingeführt, nämlich das Salz-, Zünd- holz-, Zigarettenpapier- und Spielkartenmonopol. Der Staat handhabt alle diese Monopole in der Weise, dass er die Herstellung Privatunternehmungen überlässt, von ihnen die Produkte zu einem bestimmten Preise geliefert erhält und sie zu einem gesetzlich festgelegten Preise an die staatlich bestellten Ver- käufer abgibt, die sie wiederum zu einem ganz bestimmten Preise an das Publikum verkaufen. Die Staatsprivilegien werden also in der Form von Handelsmono- polen ausgeübt.

Da die Zölle theoretisch von den übrigen Verbrauchssteuern nicht zu trennen sind, obwohl sie sich von ihnen durch die Art ihrer Erhebung an den Landes -

grenzen unterscheiden und von weittragender handelspolitischer Bedeutung sind, sollen sie hier als fiskalische Einnahmequelle erwähnt werden, ohne dass auf die Entwicklung der Handelspolitik in diesem Zusammenhange einzugehen wäre.

Während die Zolleinnahmen in den ersten Jahren nach der Befreiung in- folge der notwendigen Beibehaltung der niedrigen türkischen Wertzölle nur gering waren, ist nach dem Abschluss der Handelsverträge von 1904 und 1905 eine be- deutende Vermehrung dieser Einkünfte festzustellen. Nachdem Bulgarien end- lich die lastenden Ketten des Berliner Vertrages in handelspolitischer Beziehung abgeschüttelt hatte, konnte sich sein Aussenhandel mehr und mehr entwickeln und zu der nachstehenden Steigerung der Ein- und Ausfuhrzölle führen, die nach dem Weltkriege infolge der wirtschaftlichen Verbindung Bulgariens mit den Mittelmächten noch zunehmen wird. Es betrugen in 1000 Fr.

Jahr Die Einfuhrzölle Die Ausfuhrzölle Zusammen

1887 i 3,806 416 4,222 1895 I 7,394 1,101 8,495 1900 I 6,249 644 6,893 1904 I 12,686 1,862 14,548 1905 ! 14,688 1,671 16,359 1906 | 16,641 1,356 17,997 1907 20,816 1,413 22,229 1908 I 21,304 1,111 22,415 1909 25,577 1,026 20,602 1910 26,714 1,306 28,020 1911 28,586 1,015 29,700

Die Bedeutung der einzelnen Arten der indirekten Steuern, Zölle und Staats- privilegien ist aus der nachstehenden Uebersicht zu ersehen, die nach dem Budgetbericht von 1915 die Einnahmen aus obigen Quellen nach den tatsächlichen Erträgen von 1911 und den für 1915 veranschlagten Einkünften gegenüberstellt.

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Finanzpolitik und Finanzwesen Bulgariens. |g|

Indirekte Steuern: 1915 jß Franken

1911

Tabakfabrikations- und Verkaufslizenzen . 300,000 268,470 Getränkefabrikations- und Verkaufslizenzen 1,500,000 1,466,340 Einfuhrzölle und V2%ige Taxe .... 35,000,000 27,983,679 Ausfuhrzölle (von 1%) und 72%ige Taxe . . 3,575,516 1,005,812 Zollgebühren für Magazine, statistische Er-

hebungen, Plombierung usw 2,250,000 912,112 Binnensteuer auf Salz, Getränke, Kolonial-

waren, Petroleum, Alkohol und Elek- trizität 27,000,000 18,655,501

Binnensteuer auf Rohtabak (Mourourié) . 1,850,000 1,140,275 Banderolen auf Tabakfabrikate .... 35,000,000 ( 2-'*o?'Son Binnensteuer auf Mineralwasser und Limo-

naden 250,000 177,180 Lustbarkeits- und Luxussteuern .... 150,000 -

Indirekte Steuern zusammen 106,875,516 80,045,687

Staatsprivilegien: 1915

¡n Franken 1911

Zigarettenpapier 5,000,000 3,551,192 Zündhölzer 3,400,000 1,586,065 Spielkarten 200,000 162,794

Staatsprivil^en~zusammeri 8,600,000 5,300,051 Betrachten wir zusammenfassend die Entwicklung der indirekten Steuern

in Bulgarien, so können wir feststellen, dass sie in den ersten und auch späteren Jahren nach der Befreiung, selbst noch nach 1890, von sehr geringer Bedeutung für den Staatshaushalt waren. Da damals an Zöllen etwa 5l/2 Mill. Fr. einkamen, so ergab sich für die indirekten Steuern anfangs der neunziger Jahre ein Gesamt- betrag von reichlich 12,000,000 Fr., denen an direkten Steuern etwa 40,000,000 Fr. gegenüberstanden1 ).

Während also im ersten Zeitabschnitt bis 1894 die indirekten Steuern nur ein Viertel des gesamten Steuerertrages darstellten, verschob sich in den nächsten 10 Jahren das Verhältnis zwischen den direkten und indirekten Steuern dadurch, dass die direkten Steuern zur Entlastung der Landwirtschaft, wie wir oben sahen, herabgesetzt wurden, die indirekten Steuern aber, sowohl die Zölle wie die Binnen- steuern, bedeutend erhöht wurden, so dass die indirekten Steuern einen, wenn auch nicht bedeutend grösseren Ertrag abwarfen als die direkten Steuern.

Als in der dritten Periode seit 1905 die Zölle stark erhöht und die vier ein- träglichen Monopole eingeführt wurden, brachten die indirekten Steuern doppelt so viel ein wie die direkten. Ausserdem wurden neuerdings die Einkünfte durch die Einführung von Lustbarkeits- und Luxussteuern vermehrt.

So ist das Verhältnis im allgemeinen auch geblieben; nur langsam und allmählich verschiebt es sich noch weiter zugunsten der indirekten Steuern, weil die direkten Steuern als Ertragssteuern einen mehr ständigen Charakter haben, die indirekten Steuern aber mit der Volkszahl und dem Volkswohlstande wachsen.

Dass sowohl die Volkszahl, wie der Volkswohlstand dauernd in der Zunahme

!) Vgl. Franz Joseph Prinz von Battenberg, Die volkswirtschaftliche Entwicklung Bulgariens von 1879 bis zur Gegenwart, nach amtlichen Quellen bearbeitet, Leipzig 1891.

Finanzarchiv. XXXIII. Jahrg. 619 11

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begriffen sind, und somit auch der Verbrauch und Gebrauch gewisser Güter und Leistungen mit dem Eindringen neuer kultureller Gedanken ziemlich stark im Steigen begriffen ist, ist auf den verschiedensten Gebieten bei der Betrachtung der bulgarischen Volkswirtschaft zu bemerken.

2. Gebühren.

Wir kommen nunmehr zu den besonderen, von Seiten des Staates einseitig festgesetzten Abgaben, welche aus Anlass besonderer Inanspruchnahme öffent- licher Behörden oder Anstalten nicht wirtschaftlicher Art von denen zu ent- richten sind, welche die Leistung oder Handlung veranlasst haben, nämlich den Gebühren. Diese Beiträge zu den Kosten der öffentlichen Verwaltung im engeren Sinne haben für die staatliche Finanzwirtschaft Bulgariens eine weniger grosse Bedeutung als für den Einnahmeetat der Selbstverwaltungskörper, so dass sie hier nur in Kürze berührt werden sollen.

In den ersten Jahren fanden die Gebühren im Budget zusammen mit den Verkehrssteuern unter den indirekten Steuern ihren Platz. Erst in neuerer Zeit sind sie in einem besonderen Kapitel im Staatshaushalt aufgeführt, aber noch immer mit den Verkehrssteuern zusammengefasst, mit denen sie auch in der Gesetzgebung zusammengeworfen sind. Trotz der ansehnlichen Einnahmen, die diese dem Staate gewähren, und ihrer in Bulgarien besonders grossen Be- deutung für den Verkehr ist diese letzte Gruppe im Steuersystem sehr stiefmütter- lich behandelt und gesetzlich recht systemlos geregelt worden. Der Irrtum der Gleichstellung der Verkehrssteuern mit den Gebühren mag in ihrer gleichartigen Erhebungsform durch Stempel liegen. Man sieht die Stempelung nicht als eine besondere Form der Erhebung mannigfacher Abgaben an, sondern als eine be- sondere Steuer- oder Gebührenart, ohne die Gebühren von den Verkehrssteuern nach dem Grundsatz der besonderen Entgeltlichkeit, welcher das Wesen der Gebühren ausmacht, zu trennen. Sie müssen deshalb auch hier gemeinsam be- handelt werden.

Beide Arten sind durch das allgemeine Stempelgesetz geregelt. Grund- legend für die heutige Gesetzgebung auf diesem Gebiete war das vorläufige Stempel- reglement vom 9. Juni 1879, das am 5. Januar 1885 durch ein verfassungsmässiges Gesetz ersetzt wurde. Ein Gesetz vom 15. Dezember 1890, sowie einige spätere Gesetze erhöhten hauptsächlich die Steuersätze, abgesehen von einigen weniger wichtigeren Aenderungen formaler Natur.

Das Gesetz unterscheidet zwei Arten von Stempelabgaben, den einfachen Stempel und den Aktenstempel.

Zu der ersten Art gehören neben verschiedenen Gebühren als Entgelt für eine besondere Amtstätigkeit auf dem Gebiete der Rechtspflege und der Ver- waltung, wie bei Eheschliessung, Ehescheidung, Kindesannahme, Erwerb und Verlust der Staatsangehörigkeit , Konzessionserteilung , Eingaben und Ge- suchen usw., auch manche verkehrssteuerartigen Abgaben, die die Stempelung von Versicherungsverträgen, Konnossementen, Ein-, Aus- und Durchfuhrscheinen, Zollmagazinscheinen, ebenso Quittungen, Rechnungen, Kontokorrenten, Schecks über 10 Fr. u. a. m. Die Steuersätze schwanken zwischen 10 Cts, und 5 Fr.

Der zweiten Art der Besteuerung, dem Aktenstempel, sind in der Haupt - 620

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sache die eigentlichen Verkehrshandlungen unterworfen, soweit sie aktenmässig festgelegt werden. Hierzu gehören:

1. Akten über Schenkung, Mitgift, Teilung von Vermögen und Vermächtnisse; 2. beglaubigte notarielle Akte zur Immobiliareigentumsberechtigung, Ver-

träge und andere bindende Schriftstücke aller Art; 3. Wechsel, Effekten und Schuldscheine; 4. Bürgschaften, welche einen gewissen Wert darstellen; 5. Verpflichtungspapiere für Beförderungsleistungen. Der Wert dieser Verkehrshandlungen ist massgebend für die Höhe des Steuer-

satzes. Die Stempelsteuer vom Verkehr mit Immobilien von unbekanntem Werte richtet sich nach der bei der Steuerveranlagung erfolgten Einschätzung, bei Fehlen einer solchen nach dem Kaufpreis. Die Steuersätze sind nach Wertklassen fest- gesetzt und betragen mit geringen Abweichungen für die ersten beiden obigen Arten des Aktenstempels 1,5 Fr. für je 1000 Fr. und für die letzten drei Gattungen 50 Cts. für 1000 Fr.

Bei der höheren Besteuerung der ersten Arten glaubte man eine höhere Leistungsfähigkeit annehmen zu können als bei den anderen. Die Stempel- abgaben belasten vor allem die städtische Bevölkerung. Die Steuererhebung geschieht mittelbar durch Verkauf von Stempelmarken, die vom Finanzmini- sterium hergestellt und durch Privathändler verkauft werden. Beim Einkauf von mindestens für 100 Fr. Stempelmarken wird ein Nachlass von 5 % gewährt.

Entsprechend dem grossen Umfang der mit einfachem Stempel belasteten Handlungen und des Wechsel- und Scheckverkehrs nehmen diese Einnahmen den ersten Platz unter diesen Einkünften ein. Sie sind für das Jahr 1915 mit 9,3 Mill. Fr. veranschlagt und haben im Jahre 1911 7,5 Mill. Fr. eingebracht.

Darauf folgen nach dem Voranschlag für das Jahr 1915 die Gebühren für die Uebertragung von Vermögensstücken mit 2,85 Mill. Fr., welche 1911 nur etwas mehr als die Hälfte betrugen. Dann kommen die Gerichts- und Notariats- gebühren mit 2 Mill. Fr., welche ebenfalls im Jahre 1911 nur etwas mehr als die Hälfte dieses Betrages einbrachten. Die Beglaubigungsgebühren für Verträge, Zeugnisse und sonstige Beurkundungen, sowie andere Kanzleigebühren sollen etwas mehr als 1911, nämlich 0,9 Mill. Fr., die Ausstellung von Pässen, Jagd- und Fischereierlaubnisscheinen 0,7 Mill. Fr. gegen 0,4 Mill. Fr. ergeben. Für die Eintragung von Hypotheken sind nur etwas mehr als 100,000 Fr., für Schul- gebühren 320,000 Fr. und für die erste und periodische Nachprüfung von Massen und Gewichten 250,000 Fr. für 1915 vorgesehen, d. h. etwa 100,000 Fr. mehr als 1911. Im ganzen sind die Gebühren mit 16,9 Mill. Fr. für 1915 veranschlagt, während sie der Staatskasse im Jahre 1911 nur 12,3 Mill. Fr. eingebracht haben.

3. Sonstige Einnahmen.

Es bleiben noch die Strafgelder und Konfiskationen anzuführen, welche mit 0,9 Mill. Fr. für 1915 veranschlagt sind. Im Jahre 1911 kamen 1,1 Mill. Fr. ein. Schliesslich sind noch die Beiträge der Selbstverwaltungskörper zu den Unkosten des Schulwesens in Höhe von 8,5 Mill. Fr., welche 1911 2 Mill. Fr. weniger einbrachten, und die zufälligen Einnahmen in Höhe von 10,4 Mill. Fr* zu nennen.

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4. Bedeutung der einzelnen Zweige des gesamten Einnahmeetats in den Jahren 1911 und 1915.

Die nachstehende Uebersicht zeigt uns die Bedeutung der einzelnen oben geschilderten Zweige des gesamten Einnahmeetats des bulgarischen Staatshaus- halts in den Jahren 1911 und 1915, nach den Positionen des bulgarischen Budgets, zu der wir nach dem Gesagten nichts hinzuzufügen haben.

Einnnhmeetat in den Jahren 1911 nnd 1915. 1915 1911

in Franken Direkte Steuern 54,944,370 34,123,728 Indirekte Steuern 106,875,516 80,045,686 Staatsprivilegien 8,600,000 5,300,050 Gebühren 16,870,000 12,334,885 Strafen und Konfiskationen 900,000 1,116,329 Einkünfte aus den Eisenbahnen und Häfen,

dem Post-, Telegraphen- und Telephon- wesen 49,440,000 35,826,126

Einkünfte aus Domänen, Kapitalien und sonstigen Ausbeutungsobjekten . . . 18,825,000 13,181,069

Beiträge der Selbstverwaltungskörper zu den Schulausgaben 8,550,000 6,507,071

Zufällige Einkünfte 10,375,000 10,360,870 Gesamteinnahmen 275,379,886 198,795,814

Dritter Abschnitt.

Formale und staatsrechtliehe Ordnung der staatlichen Finanzwirtschaft.

I. Verfassungsmässige und gesetzliche Bestimmungen über die parlamentarische Behandlung des Budgets.

Nach dieser Schilderung des gesamten Ausgabe- und Einnahmewesens kommen wir nun zur formalen und staatsrechtlichen Seite des bulgarischen Finanz- wesens1).

Nach der bulgarischen Verfassung soll das Budget der Sobranje jährlich zur Genehmigung vorgelegt werden2). Die Genehmigung muss für jeden ein- zelnen Posten des Etats besonders, ebenso für jede Abteilung als Ganzes und schliesslich für den Etat im ganzen erfolgen. Für Abänderung oder Rückweisung eines Postens, für Ablehnung einer Abteilung, für Ablehnung des ganzen Etats musg eine Begründung angegeben werden3). Bei Verweigerung einer Abteilung muss der betreffende Minister abdanken, bei Verweigerung des Etats muss das Ministerium entweder demissionieren oder die Sobranje auflösen. Wird dann eine gleiche jSobranje gewählt, muss es abdanken. Das ist aber nur Gewohnheits- recht. Der Wortlaut der Verfassung sagt auch für Bulgarien nichts darüber,

!) Vgl. Dr. Iwan Panitza, Die Entwicklung des Etats- und Kontroll wesens in der staatlichen Finanzwirtschaft Bulgariens. Jena 1910.

a) Art. 119. •; Art. lui.

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ob der Konstitutionalismus oder der Parlamentarismus die herrschende Staats - form sein soll. Sobald der Etat von der Sobranje angenommen ist, ist er dem König zur Bestätigung vorzulegen1).

Kommt ein Etat nicht rechtzeitig zustande, so hat das Ministerium für jeden Monat in Einnahme und Ausgabe mit ein Zwölftel des vorigen Etats zu wirtschaften. Das Ministerium ist dazu jedoch nur berechtigt, wenn das Nicht - Zustandekommen des Etats nicht durch Verfassungsverletzungen von seiner Seite verschuldet ist. Sofort nach Zusammentritt der neuen Sobranje hat das Mini- sterium für die provisorische Finanzwirtschaft die Genehmigung nachzusuchen2). Tagt die Sobranje, so ist die Genehmigung für jedes Provisorium vorher nach- zusuchen.

Alle Ausgaben sind zunächst vom Rechnungshof, dann vom Parlament nachzuprüfen3). Die Ausgaben für den König, die Königin, den Thronfolger, die Sobranje sind verfassungsmässig geregelt4).

Mit Ausnahme des Königs und des Thronfolgers sind alle Staatsangehörigen des Königreichs zur Zahlung der vom Gesetz bestimmten Staatsabgaben ver- pflichtet5). Nur auf gesetzlichem Wege bestimmte Abgaben dürfen erhoben werden6). Auch durch Notverordnungen kann der König keine provisorischen Abgaben einführen. Staatsabgaben dürfen nur mit Zustimmung der Sobranje eingefühlt, abgeschafft, erhöht oder erniedrigt werden7). Ebenso können An- leihen ohne Zustimmung der Sobranje nicht aufgenommen werden8). Werden ausserhalb der Sitzungsperiode der Sobranje Staatsanleihen notwendig, ist sie sofort zu berufen9). Ist die Berufung der Sobranje unmöglich, so darf der König mit Zustimmung des Ministerrates eine Anleihe von höchstens 3,000,000 Fr. abschliessen, vorbehaltlich der nachträglichen Genehmigung durch die Sobranje, was bei Aufnahme der Anleihe ausdrücklich auszusprechen ist10). Staatsausgaben, die nicht im Etat vorgesehen sind, können in der gleichen Weise wie plötzlich notwendige Anleihen behandelt werden, aber nur bis zum Höchstbetrage von 1,000,000 Fr.11).

Ausser durch die Verfassung ist das Finanzwesen Bulgariens auch durch Spezialgesetze geordnet worden. Als erstes hierhergehöriges Gesetz wäre das Gesetz vom 17. Dezember 1880, betr. die Vorschriften zur Veranschlagung und Vollziehung des Budgets des Fürstentums12), zu nennen. Wegen der verworrenen politischen Verhältnisse Bulgariens in den achtziger Jahren ist das Gesetz niemals völlig zur Ausführung gekommen. Es genügt deshalb, diesen ersten Versuch einer gesetzlichen Regelung zu erwähnen.

!) Art. 120. 2) Art. 122. 8) Art. 105 Abs. 5 u. 6. 4) Art. 35, 36, 139, das in dem letzten Artikel vorgesehene Spezialgesetz ist bisher

noch nicht erlassen. fi) Art. 69 u. 70. 6) Art. 48. 7) Art. 5 Abs. 2. «) Art. 123. 9) Art. 124. 1 ') Art. 125. ") Art. 126. 12) Protokolle der II. Sobranie, II. Session 1880.

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]ß(3 Weiss-Bartenstein,

Ein neues Gesetz mit dem gleichen Titel wurde am 28. Januar 1883 ange- nommen. Es war ein gedankenloser Abklatsch des französischen sog. Kompta- bilitätsgesetzes vom 31. Mai 1862, so gedankenlos, dass man sogar die Bestim- mungen, die sich auf die Kolonien und die Leibrenten bezogen, einfach abge- schrieben hatte. Die französische Regierung hatte zur Hervorbringung dieses Machwerks einen Finanzbeirat nach Bulgarien gesandt, der vom bulgarischen Staat Vertrags massig 40,000 Fr. jährlich erhielt. Auch dieses Gesetz ist nie zur Ausführung gelangt, da es für bulgarische Verhältnisse unanwendbar war1).

Es folgte ihm ein drittes vom 8. Januar 1885. Man hatte sich bei diesem Gesetz zwar auch das französische Komptabilitätsgesetz zum Vorbilde genommen, dabei aber sorgfältig auch die bulgarischen Verhältnisse berücksichtigt. So war denn endlich ein brauchbares Gesetz zustande gekommen. Das Gesetz zerfiel in die folgenden neun Abschnitte.

1. Allgemeine Grundsätze betr. das Budget. 2. Veranschlagung des Budgets. 3. Ausserordentliche Kredite. 4. Allgemeine Grundsätze betr. die Einnahmen. 5. Allgemeine Grundsätze betr. die Ausgaben. 6. Bewilligung und Auszahlung der Ausgaben. 7. Definitiver Abschluss des Budgets. 8. Verjährung von Forderungen gegen den Staat. 9. Hauptbericht über die Finanzlage des Staates und die Inventarisierung

der verschiedenen Staatsbesitztümer. Zu dem Gesetz wurde von dem Finanzministerium eine grosse Reihe von

Ausführungsbestimmungen erlassen. Die erste Novelle zu diesem Gesetz kam am 8. Januar 1897 heraus. Nach diesem Gesetz sollten die Etats der Staats - eisenbahnen, der Staatsbergwerke und der Staatsdruckerei der Sobran je als Sonderetats vorgelegt werden und in den Hauptetat nur die Ueberschüsse bzw. Ausfälle eingetragen werden. Diese Bestimmung wurde am 23. Juni 1901 wieder aufgehoben, da sie das Anwachsen des Budgets zu verschleiern suchte2).

Der Art. 3 des Etatsgesetzes von diesem Jahre enthielt ausserdem noch eine wichtige Bestimmung, nach der verboten war, Ausgaben auf Grund bereits abgeschlossener Staatshaushaltsperioden zu leisten, d. h. mit anderen Worten auf Forderungen, die mehr als 2 Jahre zurückliegen.

Am 28. Februar 1903 wurde ein neues Komptabilitätsgesetz erlassen, das durch strenge Vorschriften über die Erhaltung des Gleichgewichtes zwischen Einnahmen und Ausgaben und energische Kontrollbestimmungen der ununter- brochenen Defizitwirtschaft ein Ende machen sollte.

Einem bald darauf ans Ruder gelangten Ministerium war dieses Gesetz aber unbehaglich und so schob es das Inkrafttreten desselben zuerst zweimal hinaus, bis ihm eine Milderung der strengen Kontrollvorschriften betr. die Ueber- schreitung der Ausgabeposten, die Nachweise über die Art der Verwendung der Gelder usw., sowie der zivilrechtlichen Haftpflicht des Finanzministers durch zwei Novellen, vom 23. März 1905 und vom 8. Januar 1907, gelang. Diese be-

>) Protokolle der IV. Sobranje, I. Session 1884/85, Buch I, S. 290 ff. 3) Der damalige Finauzminister Geschoff, der Urheber des. Gesetzes, hat diese Ab-

sicht selbst zugegeben, vgl. Geschoff, Worte und Taten, S. 6 ff . Sofia 1899. 624

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deuteten natürlich einen Rückschritt, der in den scheinbaren Ueberschüssen bei tatsächlichen Fehlbeträgen der darauffolgenden Budgets zum Ausdruck kam.

Eine durchgreifende Kontrolle des Staatshaushalts ist in jedem Staate, besonders aber bei einer verhältnismässig noch jungen Verwaltung, wie der bul- garischen, nötig. Diese Aufsicht wird in Bulgarien ausgeübt durch die Finanz- inspeklion und den Obersten Rechnungshof.

Die Finanzinspektion war lange Zeit geregelt in den Ausführungsbestim- mungen zum Komptabilitätsgesetz von 18851), allmählich zeigte sich aber doch eine eigene gesetzliche Regelung für diese notwendig. Da die ganze Kontrolle nur von vier Finanzinspektoren ausgeübt wurde, so war sie völlig unzulänglich2).

So erging das Gesetz vom 27. März 1900, welches die Finanzinspektion reorganisierte und bedeutend wirksamer gestaltete. Der Stab der Inspektoren wurde fast verzehnfacht, und das Fürstentum in 33 Inspektionsbezirke eingeteilt.

Aber schon am 4. Juni 1901 wurde diese Einteilung gesetzlich aufgehoben* Die Behörde wurde unmittelbar dem Finanzminister unterstellt und ihr Wirkungs- kreis auf alle öffentlich-rechtlichen Gemeinwesen, also nicht nur den Staat, aus- gedehnt, ja sogar auf bestimmte privatrechtliche Gesellschaften und Vereine3). Dementsprechend wurden die Finanzinspektoren mit weitgehenden Befugnissen ausgestattet. Infolge ihrer Tätigkeit wurden viele Unredlichkeiten aufgedeckt4) und die Führung des Staatshaushalts geordnet. Dieses Gesetz ist infolgedessen noch heute in Kraft.

Die zweite Kontrollbehörde, der Oberste Rechnungshof, wurde durch das älteste Gesetz über das Finanzkontroll wesen vom 17. Dezember 1880 errichtet. Dieses Gesetz war aber zu kurz und zu unvollständig, so dass es bezüglich der Zuständigkeit und Tätigkeit dieser neuen Behörde oft zu Meinungsverschieden- heiten kam.

Dieser Uebelstand erfuhr durch ein Gesetz vom 8. Februar 1883 eine Ab- hilfe. Der Oberste Rechnungshof erhielt jetzt den rechenschaftspflichtigen Beamten gegenüber den Charakter und die Eigenschaften eines Gerichtshofes, gegen dessen Entscheidungen aber Berufung beim Staatsrate eingelegt werden konnte. Dagegen wurde das durch das alte Gesetz schon ausgesprochene Prinzip der Unabhängigkeit des Rechnungshofes gegenüber der vollziehenden Gewalt durchbrochen, indem er dem Finanzminister vollständig untergeordnet wurde.

Dieses durch die Diktaturvollmacht des Fürsten Battenberg und die da- durch herbeigeführten politischen Verhältnisse zustande gebrachte Gesetz wurde nach der Aufhebung der fürstlichen Vollmacht dann durch ein neues Gesetz vom 30. Januar 1885 ersetzt, welches die vollständige Unabhängigkeit des Obersten Rechnungshofes wieder herstellte und seinen Wirkungskreis bedeutend erweiterte. Er war den Ministerien gleichgeordnet.

Zu diesem Gesetz erging eine Novelle vom 9. November 1888, die die bis dahin vom Finanzministerium ausgeübte vorgängige Genehmigung der Zahlungs- anweisungen (Visakontrolle) in den Obersten Rechnungshof verlegte. Da die

*) Rundschreiben des Finanzministeriums Nr. 5338 vom 2. März 1885. 2) Protokolle der X. Sobranje, I. Session 1899/1900, S. 807. - Motive zum Gesetzentwurf

der Finanzinspektion. •») Art. 1 des Gesetzes. 4) Protokolle der X. Sobranje, II. Session 1900, Buch I, S. 268.

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Jßg Weiss- Barten stein,

Ausführung dieses Gesetzes mit dem geregelten Fortgang der Verwaltung schwer vereinbar war1), so hat man mit einer weiteren, vom 2. Dezember 1888 datierten Novelle bei Divergenzen zwischen den Ministerien und dem Rechnungshof hin- sichtlich der Visa der Zahlungsanweisung dem Ministerrate die Entscheidung überlassen. Dieses Gesetz wurde später am 1. Juli 1901, als verfassungswidrig zustande gekommen, ausser Kraft gesetzt, weil es schon nach einmaliger statt nach dreimaliger Lesung verabschiedet worden war2).

Erst das neue Komptabilitätsgesetz von 1903 (Art. 65 - 67) nimmt wieder Stellung zu der Frage und weist die Ausübung der Visakontrolle ausschliesslich dem Rechnungshof zu. Wegen zahlreicher Kompetenzkonflikte zwischen dem Finanzministerium und dem Obersten Rechnungshof3) machte sich aber eine klare und durchgreifende Neuregelung dieser Frage notwendig, die durch das Gesetz vom 8. Januar 1907 betr. den Kassendienst des Staates geschah, wonach die Visakontrolle nunmehr gemeinschaftlich vom Kontrollbureau des Finanz- ministeriums und vom Obersten Rechnungshof ausgeübt wurde.

Bei dieser Lösung der Frage ist jedoch noch nicht verbürgt, dass die Visa- kontrolle ihrem Zweck, der Verhütung von Uebertretungen des Komptabilitäts- gesetzes, im vollen Umfange gerecht wird, da sich der Oberste Rechnungshof durch die Zusammenarbeit mit einem Bestandteil des Ministerialorganismus nicht völliger Unabhängigkeit erfreut. Eine vollständige Trennung dieser Kon- trollbehörde von der vollziehenden Gewalt würde eine weit grössere Gewähr für eine nicht nur formelle, sondern auch gründliche materielle Ausübung ihrer Tätigkeit bieten.

Nachdem wir den Gang der bezüglichen Gesetze kennen gelernt haben, wollen wir nun zu einer Darstellung ihrer tatsächlichen Wirksamkeit übergehen.

II. Durchführung der verfassungsmässigen und gesetzlichen Be- stimmungen in der Ordnung der staatlichen Finanzwirtschaft.

Der bulgarische Etat wird alljährlich vollständig veröffentlicht. Nur wenige Jahre war, wie uns die obige Zusammenstellung der Gesetze gezeigt hat, der Etat für einige Teile, die in Spezialetats erledigt wurden, ein Nettoetat. Man kam in diesen Jahren zu einem Mischetat, der weder vollständiger Nettoetat, noch vollständiger Bruttoetat war. Dass man von diesem Wechseletat in dieser Form wieder abgegangen ist, war richtig. Man hätte aber den weiteren Ge- danken, der in der Gesetzgebung von 1897 lag, für Betriebsuntern ehmungen des Staates Spezialetats herauszugeben, nicht einfach beseitigen, sondern aus- bauen sollen, so dass in den Hauptetat nur die grossen Summen der Einnahmen und Ausgaben eingestellt wurden, im übrigen aber auf die Spezialetats verwiesen, nicht aber die Höhe des Budgets verschleiert wurde. Dadurch wurde einerseits der Hauptetat übersichtlicher und kam anderseits die Sobranje in die Lage, die wirtschaftlichen Unternehmungen schärfer zu kontrollieren und zu kritisieren, was gerade für Bulgarien äusserst wünschenswert gewesen wäre. Es hätte sich

l) Bericht des Obersten Rechnungshofes an die Sobranje, Session 1888, S. tf. 2) Gesetzesammlung des Fürstentums Bulgarien, Bd. 8, T I, S. 167. - Protokolle der

XI. Sobranje, I. Session, 78. Sitzung vom 20. Juni 1901. 3) Bericht des Obersten Rechnungshofes an die Sobranje, Session 1905, S. 27- 30.

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dadurch sicherlich unter den Abgeordneten ein Spezialistentum ausgebildet, das sich auf die Kritik und Kontrolle einzelner Betriebszweige verlegt hätte. Die Ausbildung eines solchen Spezialistentums unter den Abgeordneten ist schon im allgemeinen, aber ganz besonders für Bulgarien, dessen Beamtenschaft einer gewissen Kontrolle und Kritik auch heute noch bedarf, sehr wünschenswert. Jedenfalls ist der heutige bulgarische Etat viel zu wenig eingehend , als dass das Parlament die nötige scharfe Kontrolle und Kritik üben könnte, besonders gilt das aber von den Betriebsunternehmungen.

Der Etat besteht, wie in den meisten anderen Staaten, aus einem Etats- gesetz, das in grossen Summen die Hauptteile der Ausgaben und Einnahmen des Etats und einige teils für das Etatsjahr, mitunter aber auch dauernde gesetz- liche Regelungen enthält, wie wir das oben z. B. im Art. 3 des Etatsgesetzes von 1901 gesehen haben. Dann folgt das eigentliche Budget, das die Einnahmen und Ausgaben spezialisiert bringt, und zwar für das Etatsjahr selbst die voraus- sichtlichen Einnahmen und Ausgaben, und für die beiden vorangegangenen Etats- jahre die damals in Aussicht genommenen Einnahmen und Ausgaben und die wirklichen Einnahmen und Ausgaben; im Vorjahre nur für die drei eisten Quartale. Der Zweck der Gegenüberstellung ist, festzustellen, wieweit die Annahmen in den Budgetaufstellungen sich später verwirklicht haben.

Da muss man nun sagen, dass es leider in Bulgarien zur Regel geworden ist, dass die wirklichen Einnahmen hinter den angesetzten Einnahmen weit zurück- bleiben , und dass die wirklichen Ausgaben die angesetzten Ausgaben weit überschreiten. Mit anderen Worten, die Etats erweisen sich hinterher immer als stark zugestutzt, um sie auszugleichen, und endigen nachher tatsächlich immer mit einem Defizit. Das muss natürlich zur Verschuldung des Staates mit nichtproduktiven Schulden beitragen. Daher kommen dann die fortwährenden Umwandlungen einer schwebenden Schuld in eine dauernde Schuld. Da die Ausgaben mehr oder weniger unvermeidlich sind und der Ausgabeetat sich wenig wird vermindern lassen, so wird eine Reform der Aufstellung des Staatshaushalts nur in der Weise geschehen können, dass der Finanzminister sich den tatsäch- lichen Mindereinnahmen entsprechend nach neuen Einnahmequellen umsieht und die Sobranje von der Notwendigkeit dieser Mehreinnahmen zu überzeugen versteht. Unseres Erachtens braucht Bulgarien, wenn es zu einer Gesundung seiner Finanz Verhältnisse kommen und nicht immer tiefer in eine Verschuldung hineinrennen will, eine jährliche Mehreinnahme von mindestens 75,000,000 Fr. Die Vermeidung der üblichen Defizits würde für Bulgarien sicherlich die an- genehme Folge haben, dass es bedeutend weniger als es jetzt geschieht, unter eine Kontrolle seiner Auslandsgläubiger gestellt werden würde.

Die Einnahme- und Ausgabebudgets zerfallen in ein ordentliches und ausser- ordentliches Budget. Für das Einnahmebudget sind die ausserordentliçhen Einnahmen bei der Verwaltung der Staatsschulden in Form von vorgesehenen dauernden oder schwebenden Staatsanleihen und bei den einzelnen Zweigen gegebenenfalls in grösseren Verkäufen vorgesehen; doch kommen letztere, da Bulgarien nur wenig verkäufliches Eigentum hat, ausserordentlich selten vor, so dass die Anleihen für die ausserordentliçhen Einnahmen die Regel bilden.

Für das Ausgabebudget drückt sich der Charakter der Ausgabe in den Ueberschriften für den einzelnen Posten aus. Eine solche Ueberschrift lautet z. B. :

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Bud sr et der Ausgraben des Ministeriums für 1917.

Bezeichnung Bewilligte Ausgaben Differenz zwischen Verwaltungs-

für 1917 Bewilligte dem Budget zweiges Ausgaben yOn 1916 ̂ d 1917

Es wäre nun darauf zu sehen, dass alle ordentlichen Ausgaben auch durch ordentliche Einnahmen gedeckt würden, d. h. dass der ordentliche Etat und der ausserordentliche Etat sich jeder für sich streng miteinander ausbalancieren. Gewöhnlich aber ist nur der Gesamtetat durch sehr künstliche Zustutzung, nicht aber der ordentliche Etat, ausgeglichen1). Es ist vielmehr zur Regel geworden, die ordentlichen Einnahmen zu einem nicht unbedeutenden Bestandteil durch ausserordentliche Einnahmen, d. h. Anleihen, zu ersetzen, also mit einem ganz offenen Defizit zu arbeiten2). Dazu aber kommt noch ein anderes.

Mit der Einstellung einer Ausgabe in die Rubrik vorübergehende Ausgaben- ist man sehr freigebig. Beamten- und Sachausgaben, die zwar nicht genau im selben Posten, aber in derselben Art Jahr für Jahr Adederkehren, werden doch in die vorübergehenden Ausgaben gestellt. So erscheinen auch noch wieder die ordentlichen Ausgaben viel kleiner, als sie in der Regel sind, und die ausser- ordentlichen Ausgaben viel grosser3). Zu dem einen Grund für die dauernd zu- nehmende Verschuldung des bulgarischen Staates, den wir schon oben sahen, dass die aufgestellten Etats von dem wirklichen Ergebnis stark abweichen, lernen wir hier also noch zwei neue Gründe kennen, nämlich das offene Defizit und die überaus starke Neigung, Ausgaben auf den ausserordentlichen Etat zu stellen, die doch nur auf den ordentlichen gehören.

Zur Erleichterung der Nachprüfung und Beurteilung des Budgets durch die Sobranje sollen dann allen Einzelbudgets als Anhang Erläuterungstabellen beigefügt werden. Das Kompt abili tätsgesetz von 1903 enthält über die Er- läuterungstabellen vortreffliche Vorschriften4). Wenn diese Vorschriften wirklich befolgt würden und wenn in der Sobranje Männer sässen, die diese Erläuterungs- tabellen kritisch unter die Sonde nehmen könnten, so könnten diese Erläuterungs- tabellen eine vorzügliche Einsicht in die Etatsaufstellungen gewähren. So wie das System der Erläuterungstabellen aber jetzt gehandhabt wird, ist es kaum, etwas anderes, als ein Mittel, um den meist unkundigen Sobranjemitgliedern Sand in die Augen zu streuen. Die kundigen Mitglieder üben, auch wenn sie in der Opposition sitzen, nur äusserst selten an den Erläuterungstabellen eine sach- liche Kritik; wissen sie doch, dass sie dann, wenn sie am Ruder sind, die Er-

J) Rede des Fiuanzministers Geschoff in der Sobranje am '2. Dezember 1K >4 über die Finanzlage Bulgariens, S. 14.

2) Exposé des FinanzininisttTS M. Teneff, Protokolle der X. Sobranje, I. Session 18991900, S. 1092. - Protokolle der XIII. Sobmnje , I. Session 1903/04, S. 8.J4, 1251 if.

3) Protokolle der XI. Sobranje, I. Session 1901, S. .-;50. 4) Art. 22 des Komptabilitätsgesetzes von 190;>.

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läuterungstabellen zu demselben Zweck gebrauchen werden, wie jetzt ihre Gegner. Gerade auf diesem Gebiete zeigt sich so recht der Mangel jedes parlamentarischen Systems; denn dem hier gerügten Missstand begegnen wir fast ausnahmslos in allen parlamentarisch regierten Ländern.

Zur Erleichterung der Nachprüfung und Beurteilung des Budgets von der Sobranje sollen ferner dem Etat Hauptberichte über die Finanzlage des Staates beigefügt werden1). Sie entsprechen ungefähr den Reden, mit denen bei uns der Staatssekretär für die Finanzen bzw. der Finanzminister den Etat vorzulegen pflegen, nur mit dem Unterschiede, dass sie in Bulgarien dem Etat schon vorher gedruckt beigelegt werden. Was tatsächlich von diesen Hauptberichten zu halten ist, ergibt sich schon daraus, dass sie in all den letzten Jahren die finanzielle Lage rosenrot in rosa malten, während sie doch Jahr für Jahr schlechter wird und werden muss, wenn der Misswirtschaft der mit sichtlichem Defizit arbeitenden Etats nicht endlich gesteuert wird.

Dagegen möchten wir aber dás eine bemerken, dass die wirtschaftlichen Kräfte und die wirtschaftliche Entwicklungsfähigkeit des Landes auch heute noch vollständig ausreichen, das Land aus dem schlechten staatswirtschaftlichen Zustande herauszureissen , dass es nur einer kräftigen durchgreifenden Finanz- reform bedarf, um bald wieder gesunde Zustände herbeizuführen. Das Defizit könnte leicht gedeckt werden, wenn der Staatsbesitz, worin er auch besteht, ob in Ackerboden oder Forsten oder Bergwerken oder Eisenbahnen, besser be- wirtschaftet würde; einer Mehrbelastung des Volkes würde es dann sicherlich gar nicht bedürfen.

Was endlich das Budget selbst betrifft, so scheint es mir nicht genügend spezialisiert zu sein, besonders möchte ich dies für die Einnahmen und bei den Ausgaben insbesondere für das Budget des Kriegsministeriums und des Mini- steriums der auswärtigen Angelegenheiten sagen.

Die administrative Zusammenstellung des Etats vollzieht sich in Bulgarien nicht anders als in anderen Staaten2). Was aber hier erwähnt werden muss, ist, dass schon bei den untersten Bureaustellen uns eine Erscheinung begegnet, die sich dann auch im ganzen Etat widerspiegelt, d. i. die Unfähigkeit der vorherigen Berechnung und Schätzung der einzelnen Budgetposten. Jeder Bureauvorsteher will sich bei seinem Vorgesetzten dadurch lieb Kind machen, dass er vorgibt, mit einer viel zu klein bemessenen Summe auskommen zu können, und jeder Bureauvorsteher muss dann mit Nachtragsforderungen, sei es persönlichen, weil er mit dem Personal die Arbeitslast durchaus nicht bewältigen kann, sei es sach- lichen, kommen. Bei den persönlichen Forderungen spielt freilich der Nepo- tismus, der zur Stärkung der Parteien bei dem parlamentarischen System häufig zu finden ist, auch noch eine grosse Rolle3). Das Komptabilitätsgesetz trifft zwar ganz vorzügliche Anordnungen, um dem vorzubeugen, dass Einnahme- posten zu hoch und Ausgabeposten zu niedrig eingesetzt werden. Wie wenig das aber nützt, zeigt die alljährlich wiederkehrende Erscheinung, dass die formal ausgeglichenen Bilanzen Jahr für Jahr tatsächlich mit einem Fehlbetrage enden.

Die Unzuverlässigkeit in den anzusetzenden Etatsposten zeigt sich schon

J) Art. 96 ff. u. 118 ff. des Komptabilitiitsgesetzes von VMi. *) Aomptauiutatsgesetz von laoa. 8) Protokolle der XIII. Sobranje, I. Hession lí)o:¡|(H, S. Hü4, 1251 ff.

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^72 Weiss- Bartenstein,

bei den direkten Steuern, die doch meist Ertragssteuern und Zuschläge zu den Ertragssteuern sind, die sich also doch am ehesten sollten feststellen lassen. Der Grund ist einfach der, dass sie trotz Jahr für Jahr gemachter entgegengesetzter Erfahrungen fast mit ihrem ganzen Sollbetrage eingetragen werden, als sei nicht erfahrungsgemäss jedes Jahr wegen notwendig werdender Steuernachlässe mit grossen Ausfällen zu rechnen. Freilich hat es mit diesen Steuernachlässen auch eine etwas sonderbare Bewandtnis; ihre Notwendigkeit pflegt in den Wahlkreisen, die im Sinne der herrschenden Partei gewählt haben, meist weit grosser zu sein, als in den Wahlkreisen, die oppositionell vertreten sind.

Eine grössere Abweichung der Isteinnahmen von den Solleinnahmen zeigen die indirekten Steuern, vor allen Dingen die Zölle. Manchmal mag es durch die Verhältnisse wirklich bedingt gewesen sein, meist sind sie von vornherein zu hoch eingestellt worden, um den Etat ausgleichen zu können.

Am grössten ist die Differenz zwischen Soll und Haben aber bei den Staats- betrieben. Hier werden die Einnahmeposten Jahr für Jahr mit demselben Opti- mismus angesetzt und rechtfertigen Jahr für Jahr einen gleichen Pessimismus. Schlechte Bewirtschaftung trägt hier ungemein viel dazu bei. Bei den Ausgabe -

posten kommen mitunter noch gewisse Differenzen vor1). Nur einzelne Bei- spiele seien angeführt. Beim Staats bergwerk Pernik wurden als Arbeitslohn 1908 140,000 Fr. eingestellt und nachher ergaben sich tatsächlich 990,000 Fr.; an realen Ausgaben wurden 58,384 Fr. angesetzt - man achte auf die genaue An- gabe - und nachher ergaben sich 708,384 Fr.; bei der Staatsdruckerei wurden 1908 205,140 Fr. Gehälter angesetzt, hinterher ergaben sich 355,140 Fr., des- gleichen für Ankauf von Verbrauchsgütern und für Unkosten 50,000 Fr., die dann 400,000 Fr. betrugen; für Ernährung der Soldaten wurden 6,200,000 Fr. angesetzt, nachher ergaben sich 11,000,000 Fr.; für Fütterung der Pferde und des weiteren Viehs wurden 2,100,000 Fr. eingestellt, nachher ergaben sich 4,400,000 Fr. Kaum 2 Monate nach der Votierung des Budgets für 1908 haben sich nach den Berechnungen des neuen Ministerrats Ueberrechnungskredite von mindestens 12,000,000 Fr. (ca. 10 % des Budgets) als notwendig herausgestellt. Da muss man sich denn doch die Frage vorlegen, ob eine Etatsaufstellung über- haupt noch Wert hat, wenn sie in solcher Weise erfolgt. Man fragt sich, wie das bei den Kautelen, die das Komptabilitätsgesetz schafft, und bei einer Etats - beratung überhaupt möglich sei, man meint, dass die Sobranje sich solche nebel- hafte Etatsaufstellung doch unmöglich mehr als einmal könne gefallen lassen. Das wird aber sofort verständlich, wenn man sich klar macht, wie in der Sobranje eine Etatsberatung stattfindet.

Der Etat wird in der Hauptsache der Budgetkommission vorgelegt. In dieser aber sind nur die führenden Personen der herrschenden Parteien vertreten, so sind denn die Beratungen dieser Budgetkommission kaum etwas anderes, als eine rein äusserliche Formsache. Hat die Kommission sich lange genug über alles Mögliche aus dem Gebiet des Finanzwesens unterhalten, so wird dann das Budget im Parlament selbst durchgejagt. Finden Reden statt, so streifen sie nur das Budget und drehen sich um tausend andere Punkte, nur nicht um die zur Beratung stehende Position. Hinzu kommt, dass die junge bulgarische

!) Dr. Iwan Panitza, Die Entwicklung des Etats- und Kontroll wesens in der staat- lichen Finanzwirtschaft Bulgariens, S. 34 if. Jena 1910.

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Finanzpolitik und Finanzwesen Bulgariens. jyß

geistige Aristokratie nur vereinzelt tüchtige Finanzpolitiker von Erfahrung auf- weist.

Wir wollen uns nun die Handhabung der Finanzinspektion und Finanz- kontrolle etwas näher ansehen. Bis zum Erlass des Gesetzes betr. die Finanz- inspektion von 1901 war diese eine durchaus ungenügende. Dann wurde es besser. Die in den ersten Jahren zahlreich aufgedeckten Veruntreuungen führten zu einer Verringerung der Unterschleife1) und zu grösserer Ordnung2).

Die Finanzkontrolle findet durch den Obersten Rechnungshof statt. Sie ist eine doppelte, nämlich eine vorhergängige, die mit dem Finanzministerium gemeinsam geübt wird, derart, dass Rechnungen erst bezahlt werden, wenn sie das Visum des Finanzministeriums und des Obersten Rechnungshofes tragen, und eine nachträgliche in bezug auf die Buchführung3). Der Oberste Rechnungs- hof ist dem Gesamtministerium gewissermassen sogar übergeordnet. Der Präsident und die sieben Kollegialräte können nur von der Sobranje aus eigener Initiative oder auf Antrag des Ministeriums entlassen werden. Der Oberste Rechnungshof hat alljährlich über das vorletzte Jahr der Sobranje einen Kontrollbericht vor- zulegen. Die Sobranje soll dann verfassungsmässig über alle Beanstandungen des Rechnungshofes eine Verantwortung fordern. Leider geschieht das in der Praxis zu selten, so dass sich die einzelnen Behörden um die Beanstandungen des Obersten Rechnungshofes meist nur wenig kümmern.

In allem begegnet uns also immer wieder dasselbe Bild, dass nämlich die Gesetzgebung, da sie sich an berühmte Muster anschliesst, wohl zweckentsprechend ist, dass sie aber leider nur unvollkommen zur Ausführung kommt.

Wir haben somit gesehen, dass die formelle und staatsrechtliche Ordnung in der staatlichen Finanz Wirtschaft Bulgariens noch vielfach zu wünschen übrig lässt. Ihre Mängel haben bis zu einem gewissen Grade auch die infolge des poli- tischen, wirtschaftlichen und kulturellen Aufschwungs des jungen Königreiches hervorgerufene schnelle Entwicklung des Staatsschuldenwesens beeinflusst, die wir in nachstehendem schildern wollen.

Vierter Abschnitt.

Staatsschuldenwesen.

I. Staatsschulden aus der Befreiung und Annexion Ostrum eliens.

Bulgariens älteste Staatsschuld war die Okkupationsschuld gegen Russ- land, welche den Gegenwert der Ausgaben darstellte, die Russland bei der Be- freiung Bulgariens gehabt hat. Sie belief sich auf 10,618,250 Rubel gleich 26,446,635 Fr. und war bereits 1902 vollständig abgezahlt.

Die Tilgung geschah in Teilzahlungen und zwar wurden in den Jahren 1877-1887 5,080,793 Fr., 1890 8,867,000 Fr., 1896 580,546 Fr., 1897 2,160,000 Fr. und 1898 1,119,040 Fr. zurückgezahlt, während der dann noch bestehende Rest von 8,639,256 Fr. im Jahre 1902 zur Rückzahlung kam.

J) Protokolle der X. Sobranje, II. Session 1900, Buch I, S. 268. 2) Jubiläumsbericht an S. K. H. den Fürsten Ferdinand , erstattet vom Ministerrat,

1907, S. 262. 8) Art. 12 ff. des Gesetzes vom 8. Januar 19j7.

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174. Weiss-Bartenstein,

Diese war die erste Schuld des jungen Fürstentums, dann folgte eine Schuld des ehemaligen Ostrumeliens an die Tüikei, welche sich auf 10,910,208 Fr. belief und im Jahre 1908 vollständig getilgt wurde. Von dieser Schuld trug Bulgarien von 1888 - 1895 jährlich 500,000 Fr. ab, dann wechselten die Abzahlungen, doch so, dass in den nächsten 7 Jahren doch 3,500,000 Fr. abgezahlt wurden. Hierauf erfolgten wieder gleichmässige Rückzahlungen, bis endlich im Jahre 1908 der noch rückständige Rest von 910,208 Fr. bei der Erhebung Bulgariens zum König- reich auf einmal bezahlt wurde, weil Bulgarien alle Verpflichtungen, die es noch an die Türkei banden, mit seiner Erhebung zum Königreich und mit seiner Selb- ständigkeitserklärung erledigen wollte.

Darum wurde auch in diesem Jahre der Türkei zum letztenmal der seit 1877 jährlich zu entrichtende Tribut von 2,951,000 Fr. für Ostrumelien bezahlt und zwar nur noch für die ersten 8 Monate des Jahres, da Bulgarien sich im Sep- tember völlig von der Türkei loslöste. Zu gleicher Zeit übernahm Bulgarien jedoch als Ablösung des Tributs einen Teil der türkischen Staatsschuld, worauf wir an anderer Stelle zurückkommen. Die gesamten Aufwendungen für den ostrumelischen Tribut von 1887-1908 betrugen 63,938,333 Fr.

Die erwähnten beiden ersten zinslosen Schulden verkörperten zusammen einen Nominalwert von 37,356,845 Fr. Anfang 1888 stellte sich die unverzinsliche Schuld unter Berücksichtigung der Jahresrate des ostrumelischen Tributs von 2,951,000 Fr. auf 35,226,842 Fr., sie sank anfangs langsam, dann unter den ge- steigerten Rückzahlungen der ersten Schuld im Jahre 1890 und deren Tilgung 1902 schneller, bis sie 1908 ganz erledigt wurde.

Als Bulgarien Ostrumelien annektierte, musste es auch seine Okkupations- schuld gegenüber Russland im Betrage von 28,669,276 Fr. übernehmen. Ven der Okkupation an hatte aber Russland nicht auf seiner Abzahlung bestanden; sie schien darum ganz in Vergessenheit geraten zu sein, bis endlich Russland sie im Jahre 1912 in Erinnerung brachte und auf der allmählichen Abzahlung bestand. 1912 selbst wurden 675,000 Fr. abgezahlt , seitdem regelmässig 1,350,000 Fr., so betrug diese letzte zinslose Anleihe Bulgariens, die noch aus der Zeit seiner Neubildung herrührt, am 1./14. Januar 1915 25,294,276 Fr.

II. Periode der 6°/oigen Staatsanleihen von 1888-1900.

Während diese Staatsschulden Bulgariens mit seiner politischen Vor- geschichte zusammenhängen und nicht von ihm selbst aufgenommen waren, nahm es 1888 zum erstenmal selbst eine Anleihe auf. Sie war mit 6 % zu ver- zinsen wie alle Anleihen, die Bulgarien bis 1900 aufgenommen hat. Von dann ab bis zum Jahre 1907 herrschte der 5%ige Typus vor und seit 1909 sind die Anleihen 4V2%ig- Die neueste Anleihe von 1915 kehrte freilich zum 5%igen Typus zurück.

Die erste grosse Staatsanleihe in Höhe von 46,777,500 Fr. sollte zur Ein- lösung der Rustschuk-Varna-Eisenbahn dienen und war in London abgeschlossen worden. Sie wurde 1907 in die 472%ige Anleihe von 1907 umgetauscht. In Umlauf befanden sich damals noch 32,648,500 Fr., so dass also 14,13 Mill. Fr.

getilgt worden waren. Die jährliche Tilgungsquote setzte 1889 mit 474,500 Fr. ein und stieg allmählich bis auf 1,240,000 Fr. im Jahre 1907. Die jährliche

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Finanzpolitik und Finanzwesen Bulgariens. J75

Zinsenlast, die 1890 2,737,590 Fr. betrug, war 1906 auf 1,990,365 Fr. gesunken. Insgesamt waren 45,54 Mill. Fr. Zinsen gezahlt worden, d. h. fast die Höhe des Nominalwertes der Anleihe.

Wie schon die erste grosse zinstragende Staatsanleihe einen durchaus pro- duktiven Charakter trug, so auch die darauf folgenden.

Die 6%ige hypothekarische Anleihe von 1889 in Höhe von 30 Mill. Fr. war ebenfalls eine Staatseisenbahnanleihe. Sie wurde mit der obigen Anleihe zusammen 1907 zwecks Umtausches in 472%ige Stücke gekündigt. Ihr un- getilgter Rest belief sich auf 21,345,000 Fr. Die jährliche l'ilgungsquote war von 300,000 Fr. für 1889 auf 780,000 Fr. im Jahre 1907 gestiegen, während um- gekehrt die jährlichen Zinserfordernisse von 1,795,500 Fr. auf 1,315,950 Fr. im Jahre 1906 gesunken waren. Insgesamt waren bis 1907 27,97 Mill. Fr. an Zinsen gezahlt worden1). Die Ausgabe der zweiten Anleihe von 1889 war in der folgenden Weise erfolgt. Mit der Oesterreichischen Länderbank und dem Wiener Bank- verein wurde ein Ausgabekurs von 85,50 % und ein Uebernahmekurs von 84,42 % vereinbart, so dass die emittierenden Banken eine Provision von mehr als 1 % erhielten. Diese Bedingungen waren nicht gerade glänzend für Bulgarien zu nennen, wenn man berücksichtigt, dass die Anleihe durch die noch im Bau be- findlichen Eisenbahnen Bulgariens garantiert wurde und 6 % Zinsen trug. Der tatsächliche Zinsfuss belief sich also auf 7,58 %. Der Reinertrag dieser Anleihe reichte kaum für die Vollendung der Eisenbahnlinien Zaribrod - Sofia - Vakarel und Jambol- Burgas, welche 17,500,000 bzw. 11,085,706 Fr. kosteten und 1888 und 1890 dem öffentlichen Verkehr übergeben wurden.

Auch die nächsten bulgarischen Anleihen aus den Jahren 1892, 1893, 1894 und 1895 waren wieder Eisenbahnanleihen zu 6 % im Gesamt betrage von 76,030,000 Fr. und zu einem durchschnittlichen Uebernahmekurs von 87,53 %. Der tatsächliche Zinsfuss belief sich also diesmal auf fast genau 7 %.

Diese vier Anleihen waren durch die neu zu erbauenden Staatseisenbahnen Kaspitschan - Schumla - Tirnovo - Plewna - Sofia - Küstendil und die im Betrieb befindliche Eisenbahn Rustschuk - Varna, ferner durch die Häfen und Hafen- gelder von Varna und Burgas hypothekarisch garantiert. Die Tilgung sollte in 33 Jahren, also bis 1926 erfolgen.

Nach dem Gesetz von 1892 war die Regierung ermächtigt gewesen, 142,780,000 Fr. Eisenbahnobligationen auszugeben. Da sie bis Ende des Jahres 1894 aber erst 76,050,000 Fr. emittiert hatte, so hatte sie noch die Genehmigung für 66,750,000 Fr. Auf Grund dieser Ermächtigung nahm sie 1898 noch nominell 20,000,000 Fr. und 1899 noch 30,000,000 Fr. nominell auf, so dass die auf Grund des Anleihegesetzes von 1892 aufgenommene Schuld sich Anfang des Jahres 1900 unter Berücksichtigung der vorgenommenen Amortisationen auf 116,564,500 Fr. belief. Von da an wurden von dieser Schuld jährlich anfangs durchschnittlich 2,000,000 Fr., später 3,000,000 Fr. und zuletzt fast 4,000,000 Fr. getilgt. Bis zum Jahre 1911 waren 39,98 und bis Ende 1913 48,09 Mill. Fr. zurückgezahlt worden. Die Zinsenlast betrug 1911 5,15 Mill. Fr. Bis Ende 1911 waren 104,78 Mill. Fr. Zinsen gezahlt worden. Am 1./14. Januar 1915 stand die Anleihe nur noch mit 72,687,500 Fr. zu Buche. Das Bankenkonsortium, dem die Oester-

!) Balkan-Revue, ..Die Finanzen Bulgariens", Heft 4,5, S. 351. 633

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J7(5 Weiss-Baitenatein,

reichische Länderbank, die Ottomanbank, die Nationalbank für Deutschland, die Banque de Paris et des Pays-Bas u. a. angehörten, hatte die Anleihe in Berlin heraus und später auch an der Londoner Börse zur Notiz gebracht.

Wir wollen hier kurz die Erwähnung der Anleihe einschalten, welche auf Grund des Gesetzes über die landwirtschaftlichen Kassen im Jahre 1896 in Höhe von 30 Mill. Fr. zu 5 % Zinsen aufgenommen wurde und zur Hebung der Land- wirtschaft dienen sollte. Diese Anleihe kam wiederum unter Mitwirkung des obenerwähnten Bankenkonsortiums, jedoch unter Ausschluss der Länderbank und der Ottoman bank, zustande und wurde durch die landwirtschaftlichen Kassen, sowie die allgemeinen »Staatseinkünfte garantiert. Sie wird vielfach nicht als reine Staatsanleihe angesehen, findet sich auch nicht in dem offiziellen Verzeichnis der Staatsanleihen.

Mit den beiden Aufnahmen von 1898 und 1899 müssen wir uns jedoch noch näher beschäftigen. Mit dem Uebernahmekonsortium war ursprünglich für 142,755,000 Fr. (25,000 Fr. waren Provision!) folgender Auslieferungsplan ver- abredet worden. 12,050,000 Fr. sollten einen Monat nach Abschluss des Ver- trages, der Rest in sechs Raten und zwar immer am L/13. Dezember gezahlt werden. Diese Raten sollten sein 1893 20,000,000 Fr., 1894 20,830,000 Fr., 1895 20,625,000 Fr., 1896 20,450,000 Fr., 1897 und 1898 je 24,400,000 Fr. Da die bulgarische Regierung aber sehr eifrig Eisenbahnen baute, erfolgte 1894 eine Rate von 45,980,000 Fr. an Stelle der viel kleineren vereinbarten Summe. Jßtzt stellten sich auf einmal Schwierigkeiten ein, da die bulgarische Regierung mit dem Bau einer Konkurrenzbahn der Orientbahngesellschaft beginnen wollte, zu deren Aktionären auch die Länderbank gehörte. Diese war aber die Führerin des Konsortiums, das der Regierung bis dahin das Kapital zum Eisenbahnbau sehr bereitwillig zur Verfügung gestellt hatte. 1895 verweigerte das Konsortium deshalb alle weiteren Zahlungen. Die Schwierigkeiten, in die die Regierung da- durch geriet, suchte sie durch Anleihen bei der Nationalbank, durch Ausgabe von Schatzanweisungen und durch die verdeckte Anleihe bei der Landwirtschafts- bank zu beschaffen.

Schliesslich sah sich die bulgarische Regierung im Jahre 1898 aber dennoch zu einer Einigung mit den Orientbahnen gezwungen, so dass Bulgarien eine An- leihe von 35 Mill. Fr. zu 5 % bei einem Aufnahmekurs von 90 % zur Ueber- nahme einiger Strecken von den Orientbahnen zugebilligt wurde, die aber scheiterte.

Durch die schliessliche Wiederherstellung des guten Einvernehmens zwischen der Länderbank und der bulgarischen Regierung wurde die von der ersteren beein- flusste Hochfinanz Westeuropas wieder günstig gestimmt, und so schien der bulga- rischen Regierung der Zeitpunkt gekommen, eine 5%ige Konversionsanleihe in Höhe von 200 Mill. Fr. aufzunehmen. Aus diesem Betrage sollten auch noch die Orient- bahnen entschädigt, aber vor allem die alten 6%igen Anleihen konvertiert werden. Bei der damals überaus ungünstigen Wirtschaftslage Bulgariens und dem er- schütterten Staatskredit war der Augenblick für die Konvertierung aber so un- günstig wie möglich gewählt, so dass diese unsinnige Idee den Sturz des Mini- steriums und das Scheitern dieser Pläne zur Folge hatte. Die neue Regierung schloss nun in Wien, vorbehaltlich der Genehmigung durch die Sobranje, einen fast ebenso ungünstigen Vertrag auf eine 5%ige Hypothekenanleihe im Betrage von 260 Mill. Fr., welche vertragsgemäss zur Tilgung der 6%igen Staatsanleihen

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von 1889 und 1892, some der schwebenden Schuld und zur Erbauung mehrerer Eisenbahnlinien verwendet werden sollte. Sowohl auf diese zu erbauenden Bahnen, sowie die früher angelegten Strecken und die Häfen Varna und Burgas sollten Sicherheitshypotheken eingetragen und ausserdem die Staatseinnahmen verpfändet werden. Weiter sollte sich Bulgarien verpflichten, ohne Erlaubnis der Banken weder neue Eisenbahnen zu bauen, noch binnen 5 Jahren Staats- anleihen aufzunehmen oder solche zu garantieren. Wurde der Anleihedienst 2 Jahre hintereinander nicht vertragsgemäss gehandhabt, so sollten die ver- pfändeten Objekte verfallen.

Waren schon diese Bestimmungen derart, dass sie auch nicht einmal ein Staat in der schlimmsten finanziellen Bedrängnis hätte annehmen können, so waren noch schlimmer die Bestimmungen eisenbahnpolitischer Natur, die hier nicht zu besprechen sind. Wurde die Regierung auch ebenso gestürzt wie die frühere und das ganze Anleiheprojekt von der Nationalversammlung verworfen, so musste die Eisenbahnkonvention doch notgedrungen bestehen bleiben. So waren die finanziellen Schwierigkeiten des Staates noch immer nicht behoben. Der neuen Regierung gewährte dann endlich im Jahre 1898 das Bankenkonsortium, an dessen Spitze die Länderbank stand, auf Grund des Gesetzes von 1892 und der im Anschluss an dieses Gesetz vor Jahren getroffenen Vereinbarungen das erwähnte Darlehen von 20,000,000 Fr., doch unter der Bedingung, dass das Geld nicht zum Bau einer Konkurrenzbahn der Orientbahnen benützt wurde und dass die Fortführung aller im Bau befindlichen derartigen Strecken eingestellt wurde.

Diese neue Anleihe reichte aber bei dem grossen Geldbedürfnis der bul- garischen Regierung nur auf 1 Jahr. So wurde denn 1899 noch einmal eine Anleihe von 30,000,000 Fr. unter den gleichen Bedingungen und auf Grund des Gesetzes aufgenommen. Auch die daraus erhaltenen 26,927,500 Fr. genügten dem Staatsbedarf nicht.

Das Konsortium, mit dem 1892 die Uebernahme der Staatsschuld ver- einbart war, hatte also von der ursprünglich in Aussicht genommenen Summe von 142,780,000 Fr. dem bulgarischen Staate wirklich nur 122,957,500 Fr. geliehen. Auf Grund des Gesetzes von 1892 wollte nun keine Bankgruppe der Regierung mehr Vorschüsse gewähren, weil ihr die dort gebotenen Garantien nicht ausreichend erschienen. So musste im Jahre 1900 ein neues Anleihegesetz gemacht werden, durch das die Regierung zu einer Anleihe von 30,000,000 Fr. ermächtigt wurde. Es kam jedoch nur eine solche zu 25,000,000 Fr. in Schatzscheinen zustande. Die Anleihe wurde geschlossen mit der Banque Internationale de Paris, der Banque de Paris et des Pays-Bas, der Länderbank und dem Wiener Bank- verein, der Deutschen Bank und der Mitteldeutschen Kreditbank in Berlin, sowie der Deutschen Bankgesellschaft in Frankfurt a. M. Die Schatzscheine waren 6%ig und sollten in 4 Jahren, also jährlich mit 6,250,000 Fr. getilgt werden.

Diese verhältnismässig hohe Tilgungsquote von 6,250,000 Fr. wurde durch die Verpfändung der Tabakbanderolensteuer garantiert, indem die bulgarische Nationalbank mit dem Verkauf der Tabakbanderolen für Rechnung der Schatz- scheingläubiger betraut wurde.

Entsprechend der Zwangslage Bulgariens war dies die ungünstigste Anleihe, Finanzarchiv. XXXIII. Jahrg. 635 12

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die Bulgarien je abgeschlossen hat. Der tatsächliche Zinsfuss betrug 12,88 % und der tatsächliche Uebernahmekurs 87,37 %*), während die Emissionsbanken die Anleihe zu 89 % übernahmen und ausserdem reichliche Provisionen erhielten.

III. Periode der 5°/oigen Anleihen von 1902-1904. Durch derartige, aus der Not geborene Finanzmassnahmen wurde die Finanz-

lage Bulgariens nur noch verschlimmert und so wurde bald wieder eine Anleihe notwendig und zwar im Jahre 1902, als die schwebenden Schulden eine Höhe von 86 Mill. Fr. erreicht hatten.

Es wurde erstmalig der 5%ige Zinsfuss eingeführt und die Anleihe in Höhe von 106 Mill. Fr. zu einem Kurse von 81,50 % aufgelegt. Sie wurde von der Russischen Staatsbank und der Banque de Paris et des Pays-Bas übernommen, doch waren noch weitere zahlreiche Banken in Deutschland (Deutsche Bank, Mitteldeutsche Kreditbank, Deutsche Vereinsbank, Frankfurt a. M. u. a.), in Frankreich (Société Générale), in Oesterreich-Ungarn (Oesterreichische Länder- bank, Wiener Bankverein, Anglo-Oesterreichische Bank), in London (Ottoman- bank) mit- bzw. unterbeteiligt. Die Anleihe notiert in Deutschland auch bis heute nur in Frankfurt a. M., nicht dagegen in Berlin, sonst ist sie an den Börsen von London, Paris, Wien, Antwerpen, Amsterdam zugelassen2).

Mit dieser Anleihe wurden zurückbezahlt ein ausländischer Vorschuss von 7 Mill. Fr., ein Vorschuss der Russischen Staatsbank von 4 Mill. Fr., ein Vor- schuss der Bulgarischen Nationalbank von 1,36 Mill. Fr. und der Rest der aus Okkupationskosten entstandenen Schuld (an Russland) in Höhe von etwa 11 Mill. Fr., endlich der der Dette Publique für das ehemalige Ostrumelien zahl- bare Betrag von 7 Mill. Fr. und die erst 1900 ausgegebenen 6%igen Schatzscheine im Restbetrage von 20,260,000 Fr., da die Regierung statt der vereinbarten 6,250,000 Fr. nur 4,740,000 Fr. hatte zurückzahlen können.

Bulgarien musste die Anleihe durch die Erträgnisse der Banderolen-Tabak- steuer (der Verbrauchssteuer), sowie der Tabakproduktionssteuer (sog. Mourourié), falls die Erträgnisse der Banderolensteuer nicht ausreichen sollten, garantieren.

Zur Sicherung des Anleihedienstes ernannte die Gruppe der Banque de Paris zur Vertretung der Interessen der Obligationäre einen Delegierten, welcher der bulgarischen Regierung durch den französischen Gesandten notifiziert wurde. Dieser Delegierte überliess dem bulgarischen Finanzminister die erforderlichen Banderolenmengen gegen Barzahlung und führte den Gegenwert an seine Bank- gruppe ab.

Die bulgarische Regierung verpflichtete sich, im Laufe jedes Semesters dem Delegierten monatlich wenigstens für 700,000 Fr. Banderole abzukaufen, bis die sechsmonatliche Abzahlung (Rate) von 3,000,000 Fr. gefolgt ist. Die Banken behielten einen Betrag von 1,500,000 Fr. zurück, welcher dazu benützt werden sollte, für Rechnung Bulgariens französische, russische und deutsche Renten in einer Höhe von 750,000 Fr. Effektivwert anzukaufen; mit dem. Rest des Betrages werden Obligationen der gegenwärtigen Anleihe angekauft8).

*) Nach Berechnungen der Finanzabteilung der Bulgarischen Nationalbank. - Vgl. auch D a s k a 1 o ff a. a. O. S. 86.

2) Balkan-Revue a. a. 0. S. 352. ») Daskaloff à. a. O. S. 87.

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Von dieser Tabakanleihe von 1902 waren Ende 1913 noch 99,33 Mill. Fr. im Umlauf, die relativ langsam steigende Tilgung (1904er Quote 507,500 Fr., 1911er Quote erst 717,500 Fr.) hatte somit bis dahin erst einen Betrag von 6,67 Mill. Fr. erreicht, während an Zinsen (jetzt noch ca. 5 Mill. Fr. jährlich) in den 11 Jahren 1903 - 1913 etwa 563/4 Mill. Fr. gezahlt worden sind.

Durch diese Anleihen konnte Bulgarien sich aus der Finanzkrisis befreien, wenn es der Volksvertretung auch schwer wurde, die ungünstigen Bedingungen derselben zu genehmigen. Das noch einmal vorübergegangene Schreckgespenst eines Staatsbankrotts hätte die bulgarischen Finanzkreise veranlassen müssen, ihre Wirtschaftspolitik nach der Finanzkraft des Landes einzurichten und die Ungleichmässigkeit der Staatseinnahmen in Rechnung zu ziehen, die bei der Natur des Landes als Agrarstaat erklärlich ist. Aber kaum waren die Männer, welche die Staatsgeschäfte in den Krisen jähren geführt hatten, zurückgetreten, als auch die neuen Leiter schon wieder eine Politik eröffneten, welche die öko- nomische Lage und Kraft des Landes überschätzte. Immerhin hätte man die Führer der damaligen Politik noch entschuldigen können, wenn sie sich von den Idealen für die grosse Zukunft Bulgariens hätten verleiten lassen, derartige wirt- schaftliche Fehler zu begehen. Es scheinen aber auch andere Momente, über welche das Staatsgericht ein Wort zu sagen hat, eine Rolle gespielt zu haben1).

Bei Abschluss der vorigen grossen Anleihe hat wohl niemand geglaubt, dass der Staatskredit schon 2 Jahre später wiederum in starkem Masse in An- spruch genommen werden würde und zwar zur Konsolidierung der schwebenden Schulden, Reorganisation der Armee und deren Bewaffnung und Erbauung von Eisenbahnen. Die Anleihe wurde im Jahre 1904 bei der Banque de Paris et des Pays-Bas über 100,000,000 Fr. Nennbetrag, tilgbar bis 1954, mit 5 % Zinsen und 82 % Zessionskurs für 50 Jahre abgeschlossen. Sie wurde garantiert durch Verpfändung der Einnahmen der Stempelsteuer, des Ueberschusses der Ein- nahmen der Banderolensteuer, soweit ein solcher nach Auszahlung der Summe für die Anleihe von 1902 übrig blieb, und der Einnahmen der sog. Tabaksteuer „Mouroùrié".

Aufgelegt wurde die Anleihe in Paris zu 4471/2 Fr., was einem Kurs von 89V2 % entspricht. Ende 1913 waren von der Anleihe noch etwa 95 Mill. Fr. in Umlauf, so dass bislang knapp 5 Mill. Fr. getilgt sind, während an Zinsen etwa 43V2 Mill. Fr. gezahlt wurden.

Die Einnahmen aus den verpfändeten Steuern verbürgten den Dienst der Anleihe reichlich, dennoch sicherte sich die Banque de Paris et des Pays-Bas noch durch andere Massnahmen, unter anderem hielt sie 25 Mill. Fr. effektiv für Rechnung der bulgarischen Regierung zurück, um sie für Teilzahlungen für von Bulgarien bezogene Kriegsmaterialien zu verwenden. Als Zinsen für diesen Betrag sollte die Bank 1 % unter dem französischen Bankdiskont, keinesfalls über 3 %, erstatten. Allein für dieseSumme bezahlt Bulgarien im Jahr 1,524,500 Fr. Zinsen, bekommt dagegen höchstens 500,000 Fr., was also über 1 Mill. Fr. jähr- lichen Zinsverlust bedeutet.

Nach Berechnungen von Finanzmännern in der XIII. Nationalversammlung hatte Bulgarien gegen Ende des Jahres 1904 406 Mill. Fr. Schulden. Von diesen

*) Daskaloff a. a. O. S. 89. 637

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J gO Weiss-Bartenstein,

Summen waren: a) 161,192,491 Fr. für Eisenbahnen ausgegeben; b) 11 Mill. Fr. für Häfen und c) 20 Mill. Fr. für zu erbauende Eisenbahnen vorgesehen. Im ganzen sind für produktive Zwecke 192,192,491 Fr. ausgegeben. Der Rest von 214,585,009 Fr. ist für unproduktive Zwecke verbraucht1).

In einer Frist von einem Jahre (1904/05) wurden allein für 55 Mill. Fr. Kredite für ausserordentliche Militärausgaben bewilligt, d. h. ungefähr die Hälfte des damaligen gewöhnlichen Budgets und der Anleihe. Dies bedeutet eine jährliche Belastung des Volkes von 3,300,000 Fr., auf die 59jährige Dauer der Anleihe gerechnet, welche wohl besser durch Budgetersparnisse oder eine Verteilung auf mehrere Jahre zu tragen gewesen wäre. Gleichzeitig nahm man wieder Eisen- bahnbauten auf, zu welchen die Mittel infolge der grossen Militärausgaben nicht reichten.

IV. Periode der 41/*- und 4s/4°/oigen Staatsanleihen von 1907 - 1909. Man schritt wegen der grossen Ausgaben 1907 zum Abschluss einer An-

leihe von 145 Mill. Fr. und zwar auch diesmal wieder bei der Banque des Paris et des Pays-Bas. Diese Anleihe wurde mit 41/2%igem Zinsfuss und 85 % Zessions- kurs abgeschlossen, tilgbar in 60 Jahren. Die anderen Bedingungen weisen keinen nennenswerten Unterschied von der Anleihe von 1904 auf. Ende 1913 waren von dieser Anleihe noch rund 14iy2 Mill. Fr. im Umlauf, also kaum 31/2 Mill. Fr. getilgt, während die Zinsenlast bereits einen Betrag von 42 Mill. Fr. erreicht hatte.

Mit der 1907er Anleihe wurden die Reste der 6%igen Anleihen von 1888 und 1889, die sich noch auf 32,239,000 bzw. 21,345,000 Fr., zusammen also auf 53,58 Mill. Fr. stellten, getilgt. Darüber hinaus diente die Anleihe dem Bau neuer Eisenbahnlinien und zur Deckung weiterer laufender Bedürfnisse.

Die Anleihen von 1904 und 1907 wurden in Paris, Brüssel, Amsterdam usw. aufgelegt; sie notieren an diesen Plätzen, ferner auch in London, Wien und Ant- werpen2).

In den Jahren von 1903 bis 1908 sind die ordentlichen Budgeteinnahmen auf eine Gesamtsumme von 684,023.54 Fr. festgesetzt; wirklich eingegangen sind für dieselben Jahre 762,593,990.09 Fr., also 78,570,450.09 Fr. mehr, als man vorgesehen hat. Trotz alledem aber beläuft sich der Fehlbetrag nach den hier wiedergegebenen Berechnungen des Finanzministers im Jahre 1909 auf 82,983,205.04 Fr. Wären die Einnahmen so eingegangen, wie man sie im Budget berechnet hat, so wäre das Defizit auf 161,553,655.13 Fr. gestiegen. Rechnen wir die Militärausgaben von 96,300,000 Fr., welche bis dahin von allen früheren Regierungen aus den ordentlichen Budgeteinnahmen bestritten worden sind, zu den festgestellten Defizits von 82,983,205.04 Fr., dann hätten die tatsächlichen Fehlbeträge eine Summe von 179,283,205.04 Fr. ausgemacht. Auch das Budget für den Bau von Eisenbahnen und Häfen schliesst gemäss der Berechnungen des Finanzministers vom 15. Dezember 1908 mit einem Defizit von 31,146,178 Fr. Da andere Mittel nicht zur Verfügung standen, musste die Regierung durch An- leihen diese Fehlbeträge zu decken suchen, welche von dem gewöhnlichen Budget

!) Stenographische Berichte der XIII. Nat.-Vers. vom 11. November 1904, S. 485. ¿) Balkan-Revue a. a. U. ». 354 ff.

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Finanzpolitik und Finanzwesen Bulgariens. '$'

82,983,205.04 Fr. und von dem ausserordentlichen Budget für Eisenbahnen 31,146,178 Fr. ausmachten1). Infolgedessen nahm Bulgarien im Jahre 1909 weiteren Staatskredit in Anspruch, indem es zwei Anleihen aufnahm, welche an den meisten Börsenplätzen, jedoch nicht in Berlin, notiert wurden. Nämlich eine 43/4%ige Anleihe von 82 Mill. Fr. und eine 472%ige Anleihe von 100 Mill. Fr.

Erstere wurde dazu verwendet, eine Abfindung für die Strecke der Orient- eisenbahnen , welche durch Bulgarien führte und am 9./22. September 1908 aus politischen und ökonomischen Gründen durch die bulgarische Regierung in Besitz genommen worden war, in Höhe von 42 Mill. Fr. und eine Entschädigung an die Türkei für die Unabhängigkeit im Betrage von 40 Mill. Fr. zu zahlen. Die Anleihe wurde am 6. April 1909 von der russischen Regierung zum Nennwert beschafft und war die günstigste Anleihe, die Bulgarien bis zu diesem Zeitpunkt aufgenommen hatte. Allerdings sprachen bei ihrem Abschluss politische Momente zugunsten Bulgariens mit, so dass sie nicht als Massstab für die Kreditwürdigung Bulgariens im Auslande gelten konnte.

Die zweite Anleihe sollte zur Tilgung der schwebenden Schulden, welche durch die vorerwähnten Defizits entstanden waren und sich am 1. November 1909 auf 76,873,260.23 Fr. beliefen, dienen und betrug 100 Mill. Fr. Die Regierung beabsichtigte grundsätzlich, für diese Anleihe keine Sonderbürgschaften zu geben, da sie auf Grund der Kreditfähigkeit des Landes Anspruch auf Bedingungen machen zu können glaubte, welche der Würde des Landes besser entsprachen. Aus gleichem Grunde wollte sie auch keinerlei Verpflichtungen einschränkender Art eingehen über den Bezug der Materialien, Gewährung von Optionen und sonstigen Klauseln. Die Durchsetzung dieser Wünsche stiess in Westeuropa zuerst vielfach auf Wider- stand, bis es schliesslich gelang, mit dem Crédit Mobilier in Paris abzuschliessen. Da die französische Regierung jedoch der Ansicht war, dass bulgarische Anleihen nur mit Realgarantien als sichere Staatspapiere anzusehen seien, so verweigerte sie ihre Einwilligung zur Zulassung einer derartigen Anleihe an den französischen Börsen und brachte hierdurch die Verhandlungen mit dem Crédit Mobilier zum Scheitern. Darauf versuchte die bulgarische Regierung die Durchsetzung ihrer Pläne in Wien und brachte auch den Abschluss einer verhältnismässig günstigen Anleihe mit der Bankgruppe des Wiener Bankvereins zustande. Die Anleihe war zu einem Zinsfuss von 41/2 % und einem Uebernahmekurs von 86 % ab- geschlossen und in 50 Jahren rückzahlbar.

Wenn auch die materiellen Vorteile gegenüber der Anleihe von 1907 nicht besonders gross waren, so bereiteten doch die moralischen Bedingungen eine neue Aera in der Geschichte des bulgarischen Staatskredits vor und entsprachen der Würde und Ehre des bulgarischen Staates. Dies wurde auch bei der Ein- führung der Anleihe in der Volksvertretung freudig begrüsst und sogar von der ganzen Opposition anerkannt. Der frühere Ministerpräsident und spätere Vor- sitzende der grossen Nationalversammlung, Dr. Daneff, obgleich er ein Gegner der damaligen Regierung war, führte aus, wie er in früheren Jahren mit bluten- dem Herzen die in jeder Beziehung für Bulgarien demütigenden Anleiheverträge zerknirscht unterzeichnet habe, und diesen Wendepunkt in der bulgarischen Finanzpolitik dankbar anerkenne.

]) Das k a lof f a. a. 0. S. 9C 639

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Jg2 Weiss-Bartenstein,

Y. Entwicklung der Staatsschulden bis 1909 und ihre Verwendung für produktive und unproduktive Zwecke.

Während der überwiegende Teil (95,26 %) der ersten Anleihen von 1888, 1889 und 1892 für den Bau von Eisenbahnen und nur ein kleiner Teil (4,74 %) für andere Zwecke ausgegeben wurde, sind von den Anleihen von 1902, 1904 und 1907 19,82 % für Eisenbahnen und Häfen, 33,75 % für Militärbedürfnisse ausgegeben. Der Rest ist teilweise zur Konvertierung alter Anleihen, teilweise für andere Zwecke verbraucht worden. Allein durch die Anleihen von 1904 und 1907 ist die Staatsschuld um 170,000,000 Fr. gestiegen, von diesen wurden nur 50 Mill. Fr. für Eisenbahnen verbraucht1). Dagegen beliefen sich die Einnahmen der Eisenbahnen für das Jahr 1907 auf 17,446,999.13 Fr., die Ausgaben auf 16,036,408.71 Fr., der Ueberschuss betrug also kaum 1,410,590.42 Fr. Die Ein- nahmen aus den Häfen Varna und Burgas betrugen für dasselbe Jahr 719,718.45 Fr., die Ausgaben 277,586.62 Fr. Es blieb ein Ueberschuss von 442,131.83 Fr. Alle Ueberschüsse der Eisenbahnen und Häfen betrugen zusammen nur 1,852,722.31 Fr. Die Ausgaben für die Anleihen desselben Jahres beliefen sich aber auf 32,187,764 Fr. Der Rest von 30,335,041.69 Fr. fällt somit fast ganz auf die Steuereinnahmen2).

Von den beiden Anleihen von 1909 wurden nur 31 % für Eisenbahnen, die anderen 69 % für Deckung der schwebenden Schulden und die Bezahlung der Entschädigung an die Türkei verwendet.

Nach finanztechnischen Berechnungen in der Nationalversammlung setzten sich die konsolidierten Staatsschulden gegen Ende des Jahres 1909 aus folgenden Posten zusammen: a) aus der 6%igen Hypothekenanleihe von 1892, von welcher noch ungetilgte Stücke für 92,065,000 Fr. vorhanden waren; b) aus der 5%igen Staatsanleihe von 1902, von der noch 102,290,000 Fr. zu amortisieren waren; c) aus der 5%igen Staatsanleihe von 1904 = 97,700,000 Fr. ; d) aus der 472%igen Staatsanleihe von 1907 = 143,995,000 Fr.; e) aus der 43/4%igen Staatsanleihe von 1909 = 81,935,000 Fr.; f) aus der 472%igen Staatsanleihe von 1909 = 100,000,000 Fr. Die ganze konsolidierte Staatsschuld betrug also nach diesen Berechnungen im Jahre 1909 617,985,000 Fr. Beizufügen ist auch die sog. Okku- pationsschuld an Russland von 28,000,000 Fr. Somit belief sich die ganze Schuld Bulgariens gegen Ende des Jahres 1909 auf 645,985,000 Fr., vorausgesetzt, dass alle schwebenden Schulden mit der letzten Anleihe von 1909 gedeckt worden waren3).

Die gesamten Eisenbahnen und Hafenanlagen werden im günstigsten Falle, d. h. wenn die noch für die Eisenbahnen und Hafenanlagen planmässig auszu- gebenden Summen mit den vorhandenen Mitteln der bis dahin aufgenommenen Anleihen gedeckt werden könnten, einen Wert von 360,808,769.94 Fr. darstellen. Die Staatsschulden dagegen weisen eine Summe von 645,985,000 Fr. auf. Es bleibt ein Betrag von 285,176,230.06 Fr., welcher für andere, meist unproduktive (nicht werbende) Zwecke ausgegeben ist.

Das Bild dieser Berechnungen verdüstert sich noch weiter, wenn man in

*) Aus den Reden des Finanzministers, die am 27. Juni und 15. Dezember 1908 in der Volksvertretung gehalten worden sind. D a s k a 1 o ff a. a. O. S. 108 if.

2) Daskaloff a. a. O. S. 109 if. 3) Vgl. Rede des Finanzministers vom 7. Dezember 1909. Stenographische Berichte

S. 1450. 640

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Finanzpolitik und Finanzwesen Bulgariens. 183

Betracht zieht, dass die Tilgung der Anleihen, welche für das Jahr 1911 die Summe von 40,440,156 Fr. erforderte, zum grössten Teil von den Steuereinnahmen auf- gebracht werden muss, da die Eisenbahnen und die Häfen noch keine bedeutenden Ueberschüsse abwerfen.

Man muss hierbei jedoch die grossen volkswirtschaftlichen Produktions- kräfte, den natürlichen Reichtum des Landes und die Arbeitskraft seiner Be- völkerung berücksichtigen und sich anderseits vor Augen halten, dass die überaus schnelle Entwicklung des jungen Königreiches auf allen Gebieten ganz ausser- ordentliche Ausgaben erforderte, während die dafür geschaffenen Werte mit der Zeit immer mehr Erträge abwerfen und somit die finanzielle Lage des Staates verbessern müssen. Im übrigen hat Bulgarien in der Schaffung der hauptsäch^ lichsten produktiven Anlagen, der Eisenbahnen, gerade viel Missgeschick gehabt und dieselben zu teuer erwerben müssen, wie wir in der Eisenbahngeschichte sehen. Vor derartigen Erfahrungen dürfte es bei seiner jetzigen politischen Selb- ständigkeit und seinen Rückhalt an den Mittelmächten bewahrt bleiben.

VI. Staatsanleihe von 1914/15. Die Balkankriege haben wieder die Aufnahme einer grossen Anleihe not-

wendig gemacht. Zu Anfang des Jahres 1914 suchte die bulgarische Regierung in Berlin um eine Anleihe von 250 Mill. Fr. nach, welche ihr im Prinzip unter der Bedingung zugesagt wurde, dass Rumänien einverstanden sei. Da die Anleihe nicht für Militärzwecke verwendet werden sollte, so hatte Rumänien nichts da- gegen. Die Verhandlungen wurden von den Vertretern der bulgarischen Re- gierung unter Führung des Finanzministers Tontscheff und der Diskontogesell- schaft geführt, kamen aber in der ersten Juniwoche zu einem Stillstand, da eine Verständigung über die Ausgestaltung des Tabakmonopols, welches von beiden Seiten als Unterlage für die Anleihe in Aussicht genommen war, nicht erzielt werden konnte.

Die deutschen Banken unter Führung der Diskontogesellschaft waren ur- sprünglich sogar geneigt, eine Anleihe von 500 Mill. Fr. abzuschliessen. Hiervon sollten zunächst 300, oder wie es später hiess, 250 Mill. Fr. fest begeben werden, während für den Rest die Finanzgruppe das Optionsrecht erhalten sollte. Mit der Anleihe waren in Höhe von etwa 135 Mill. Fr. die Schulden im Auslande {an Frankreich 75-80 Mill. Fr., an Russland 27 Mill. Fr., an Oesterreich 30 Mill. Fr.) zu bezahlen, während etwa 130 Mill. Fr. der Nationalbank als Ausgleich für den geleisteten Vorschuss zufliessen sollten bzw. auch kleinere Bedürfnisse zu decken waren. Erst mit der zweiten Hälfte der Anleihe wäre dann Bulgarien in den Stand gesetzt worden, zivilisatorische Aufgaben zu lösen, seine wirtschaftlichen Quellen und Kräfte intensiver als bisher zu erschliessen, die im Balkankriege neugewonnenen Gebiete der Kultur zu eröffnen.

Neben der deutschen Bankwelt sollte auch, im Einverständnis mit ersterer, die österreichische Bankwelt mit einem Fünftel, d. h. 50 Mill. Fr., beteiligt werdeit und eine gleich hohe Option auf den später zu begebenden Rest der Anleihe er- halten. Die österreichische Bankgruppe wurde durch sieben Wiener und drei ungarische Grossbanken repräsentiert, ausserdem noch durch das Haus Roth- schild. Selbstverständlich waren der deutschen und österreichischen Industrie

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jg4_ Weiss-Bartenstein,

die üblichen Zusagen erteilt worden, dass ihnen die aus dem Erlös der Anleihe durchzuführenden Investitionen im Verhältnis zu dem übernommenen Betrage der Anleihe zugewiesen werden sollten. Es handelt sich bei solchen Aufträgen um Eisenbahnmaterial und sonstige Unternehmungen für öffentliche, staatliche Zwecke.

Die Anleihe war 5%ig gedacht und sollte zu etwa 84 % begeben werden, während die Emissionshäuser sie zu etwa 90 % aufgelegt haben würden. Als Faustpfand sollte der Ueberschuss der Tabakbanderolensteuer dienen, und ebenso war der Gruppe der Diskontogesellschaft der Bau der Bahnlinie Haskovo - Porto -

Lagos und der Bau des Hafens an letzterem Ort innerhalb von höchstens 3 bzw. 5 Jahren zugesichert. Der Rest der Anleihe sollte zum Bau einer zweiten Ver- bindungslinie zwischen Nord- und Südbulgarien von Schumla nach Karnobad, sowie zum Bau einer Linie von Radomir nach Dschumaja verwendet werden. Der Ausbau des Tabakmonopols war derart gedacht, dass einer von der Diskontogesell- schaft zu bildenden Gesellschaft die Konzession auf Errichtung von Tabaktrock- nungs- und Sortierungslagern erteilt werden sollte. An dieser Gesellschaft sollte indessen auch die bulgarische Nationalbank und die staatliche Landwirtschaftliche Bank teilnehmen, während der Vertreter des bulgarischen Finanzministeriums den Vorsitz führen sollte.

Die Verwirklichung der Forderungen der deutschen Bankwelt würde unter den bulgarischen Bauern und Händlern auf grossen Widerwillen gestossen sein, zumal ein schon vor Jahren angenommenes diesbezügliches Gesetz noch immer nicht in Kraft getreten war. Im übrigen hätte eine Erhöhung der bisherigen Tabakbanderolensteuer, die zum Teil in der Preiserhöhung der besseren Tabak- und Zigarettensorten, zum Teil in der Gewichtsverminderung der Tabak- und Zigarettenschachteln der minderen Sorten bei Beibehaltung des Preises erfolgen sollte, bereits ohne Berücksichtigung der neuen Gebiete einen Ueberschuss von ca. 10 Mill. Fr. erzielt, der mit dem bisherigen Ueberschuss der Tabakbanderolen- steuer von 11 - 12 Mill. Fr. für die Annuität der neuen Anleihe durchaus ge- nügt hätte.

Die deutsche Bankwelt dachte bei ihren Forderungen wohl grossenteils an die Ausbeutung der neuerworbenen Tabakgebiete Bulgariens und im Inter- esse deutscher Tabakindustrieller und -handler an die Vertrustungsbestrebungen der Amerikaner, welche ihr Absatzgebiet in Deutschland immer mehr ausdehnen. Durch eine deutsche Monopolgesellschaft oder eine unter deutschem Kapital- einfluss stehende bulgarische Tabakexportgesellschaft auf Grund eines Monopols und einer gesteigerten Tabakerzeugung Bulgariens durch deutsches Geld glaubte man erfolgreich gegen diese Trustbestrebungen arbeiten und durch die Verpfändung der gesteigerten Tabakeinnahmen infolge der Erschliessung der neuerworbenen Tabakgebiete gleichzeitig die Anleihe sicher stellen zu können.

Diese Forderungen der deutschen Bankwelt können nicht als lästige Zwangs- verwaltung, wie sie bei dem Vermögen von zweitklassigen Schuldnern üblich ist, angesehen werden, denn man muss schliesslich berücksichtigen, dass der Dienst der öffentlichen Schuld Bulgariens schon vor dieser Anleihe jährlich 45 Mill. Fr. erforderte und die konsolidierte Staatsschuld Ende 1913 616,6 Mill. Fr. betrug. Dazu kommen die schwebenden Schulden in Höhe von 766V2 Mill. Fr. Diese schwebende Schuld setzt sich hauptsächlich aus 200 Mill. Fr. Requisitions-

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bonds, ferner aus 503,41 Mill. Fr. von der Sobranje bewilligten Sonderkrediten zur Deckung der Kriegskosten zusammen, ferner aus 45 Mill. Fr. offener Schuld auf die ausserordentlichen Budgets der Eisenbahnen und Häfen aus den Jahren 1911, 1912 und 1913, aus einer Schuld bei der Bulgarischen Nationalbank und der Bulgarischen Landwirtschaftsbank von 30,89 Mill. Fr., die noch vor dein Kriege zum Zweck von Strassenbauten, Errichtung von Bädern usw. aufgenommen war und aus dem Restbetrag von 25 Mill. Fr. für den Bau der Bahnlinie Mezdra - Widdin. Was die erwähnten 302V2 Mill. Fr. Sonderkredite für die Kriegsschuld betrifft, so wurden sie gebildet aus 75 Mill. Fr. Schatzscheinen bei der Banque de Paris et des Pays-Bas, 30 Mill. Fr. Schatzscheinen beim Wiener Bankverein und der Oesterreichischen Kreditanstalt, 273/4 Mill. Fr. Schulden bei der Russisch- Asiatischen Bank in Petersburg und 1323/4 Mill. Fr. Schulden bei der Bulgarischen Nationalbank usw.

Von diesen Schatzscheinen und Vorschüssen wurde ein Teil durch die bis 1. August 1915 laufenden, 120 Mill. Fr. Schatzscheine zurückgezahlt. 60 Mill. Fr. davon dienten zur Rückzahlung der bei den russischen und österreichischen Banken vorhandenen Verbindlichkeiten und weitere 60 Mill. Fr. zur Rückzahlung an die Bulgarische Nationalbank. Erst mit dem ersten Teil (250 Mill. Fr.) der auf Grund der Schatzscheine auszugebenden Anleihe von 500 Mill. Fr. sollten die 75 Mill. Fr. französischen Schatzbonds der Banque de Paris et des Pays-Bas zurückgezahlt werden. Da der Uebernahmekurs der 1915er Anleihe etwa 84 % betrug, so flössen der Staatskasse aus dem ersten Abschnitt von 250 Mill. Fr. mehr als 200 Mill. Fr. zu, von denen aber in erster Linie die vorher ausgegebenen 120 Mill. Fr. Schatzscheine zurückgezahlt werden mussten, während der Rest, wie erwähnt, zur Rückzahlung der französischen Schatzscheine dienen sollte. Erst der zweite Teil der neuen Anleihe, die restlichen 250 Mill. Fr., blieben zu produktiven Zwecken vorgesehen.

Der Abschluss des Anleihevertrages bedurfte der parlamentarischen Ge- nehmigung in Sofia und fand bei einem Abgeordnetenblock eine ungewöhnlich herbe Kritik: „Die Anleihe ist als entehrend und unheilvoll für das Land zu be- trachten. . . . Die Unterzeichnung derartiger Verträge durch einen bulgarischen Minister bedeutet ein Verbrechen an der Würde und dem Kredit Bulgariens und eine Herausforderung des bulgarischen Volkes usw." Worte, die durch die Be- dingungen der Anleihe wirklich nicht gegeben waren. Die Hitze des Parlaments- gefechtes offenbarte damals, woher so scharfer Wind wehte: Als ein Opponent auch der russischen Gesandtschaft in Sofia Erwähnung tat, rief Unterrichts- minister Peschow ihm entrüstet zu: „Sie und Ihre Freunde sind es, denen man diese Aeusserung der russischen Gesandtschaft zu verdanken hat, von denen Sie Ihre Aufträge erwarten." Man erfuhr dann, dass der erste Sekretär der russi- schen Gesandtschaft (also wohl diese selbst) Schreiber von gehässigen Zeitungs- artikeln gegen den Anleihe vertrag war! So weit wagte man sich damals schon in der russischen Diplomatie in der Bekämpfung jedes deutschen Einflusses vor, trotzdem damals mit dem Anleihegeld in der Hauptsache wirtschaftliche Zwecke Bulgariens (Bau der Eisenbahn Porto- Lagos - Haskowo, Ausbau des Hafens von Porto-Lagos, Ausbeutung der Kohlengruben Pernik und Bobow-Dol) verfolgt wurden. Auch im Auslande wurde durch Leitartikel in französischen und russi- schen Zeitungen versucht, die Stimmung der leitenden Finanzmänner Bulgariens

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Igß Weiss-Bartenstein,

gegen den Abschluss dieser Anleihe mit Deutschland zu beeinflussen. Als aber alles schliesslich nichts fruchtete, machte der französische Geldmarkt noch in letzter Stunde gewisse Konzessionen, um den deutschen Bariken die Anleihe aus den Händen zu ringen. Da sich aber in Bulgarien die Erkenntnis immer mehr Bahn bricht, dass eine engere wirtschaftliche Verbindung mit den Zentral- mächten auch der bulgarischen Volkswirtschaft in ganz besonderem Grade zum Heile gereichen würde, so stimmte damals die Mehrheit des Parlaments für den Abschluss der Anleihe mit Deutschland und so wurde sie definitiv mit der Diskohto- gesellschaft abgeschlossen. Der Finanzbedarf Bulgariens war auch ein ziemlich hoher, so dass die unter russischer Agitation vom französischen Geldmarkt ge- machten Angebote und Konzessionen weitaus nicht genügten, zumal es von dieser Seite meist auf politische Beeinflussung des Landes abgesehen war.

Das deutsche Konsortium ist zu zwei Dritteln an dem Anleihesyndikat1) beteiligt, und zwar entfallen auf die Diskontogesellschaft 15 %, auf die Dresdener Bank 15 %, auf S. Bleichröder 8 %, auf die Bank für Handel und Industrie 6 %, auf die Kommerz- und Diskontobank 21/2 %, Nationalbank für Deutschland 2*/2 %, Sal. Oppenheim jr. & Cie. V2 %» A- Schaaffhausenscher Bankverein 21/2 %, Norddeutsche Bank in Hamburg 3V2 %> M. M. Warburg & Co. 6 %, L. Behrens & Söhne l1/* %, Vereinsbank in Hamburg 1V2 %, Schröder Gebrüder, & Co. 1 % und J. Dreyfus & Co. 1/2 %. Da die Norddeutsche Bank und der Schaaffhausensche Bankverein nur Filialen der Diskontogesellschaft darstellen, so steigern sich deren Anteile an der Anleihe auf 21 %. Die österreichisch-ungarische Bankgruppe (Wiener Bankverein, Oesterreichische Kreditanstalt, S. M. v. Rothschild, Boden- Kredit- Anstalt, Niederösterreichische Escompte- Gesellschaft, Oesterreichische Länderbank, Unionbank, Pester Erster Vaterländischer Sparkassen- Verein, Pester Ungarische Kommerzialbank, Ungarische Allgemeine Kreditbank) über- nimmt zusammen 25 %, die holländische Bankgruppe 3 %, die belgische 2 %, der Schweizerische Bankverein 1 %. Von den bulgarischen Banken werden ins- gesamt 3 % der Anleihe übernommen.

Es handelt sich um eine Anleihe von 500 Mill. Fr., die in zwei Serien von je 250 Mill. Fr. geteilt ist. Die Anleihe ist 5%ig und wird von der Diskonto- gesellschaft zu 84 % übernommen. Falls der Emissionskurs jedoch 88 % über- schreitet, so nimmt der bulgarische Staat an den überschiessenden Beträgen zur Häute teil.

Bulgarien verpflichtet sich, innerhalb 2 Jahren von der Emission der ersten Serie der Anleihe ab, im Auslande keinerlei Staatsanleihen ohne Einverständnis mit der Diskontogesellschaft aufzunehmen. Eine Ausnahme ist nur gestattet, wenn es sich um eine innere Anleihe für die Konversion der Requisitionsbons, die während des Krieges ausgegeben wurden, handelt. Für die Dauer von 2 Jahren nach der ersten Emission der Anleihe überträgt der bulgarische Staat der Diskonto- gesellschaft das Optionsrecht auf die zweite Serie der Anleihe bis zur Höhe von 250 Mill. Fr., zu den gleichen Bedingungen und zu den gleichen Preisen, wie bei der ersten Serie.

Die Schatzscheinemission von 120 Mill. Fr. wird gewissermassen als eine

*) Die Angaben über diese Anleihe und ihre Grundlagen sind zum Teil der Balkan- Revue entnommen, zum Teil den Akten der Diskontogesellschaft und zum Teil anderen persönlichen und sonstigen Informationen.

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Finanzpolitik und Finanzwesen Bulgariens. Jgy

à Conto-Zahlung der 500-Mill. -Fr. -Anleihe betrachtet. Diese Schatzscheine sind bis zum 1. August 1915 fällig. Wenn die Diskontogesellschaft bis zum 1. August 1915 von ihrem Optionsrecht auf die Anleihe nicht Gebrauch gemacht hat, und der bulgarische Staat dann nicht den ganzen Betrag der Bons zurückerstattet, so werden alle oben erwähnten, für die Annuität der Anleihe vorgesehenen Steuer- erträgnisse zugunsten der Inhaber der 120 Mill. Schatzbons fällig. Ueber die Verwendung dieser Schatzscheinausgabe ist nachstehend weiteres ausgeführt worden.

Erwähnt sei noch, dass die Tilgung der 500-Mill. -Fr. -Anleihe al pari und zwar getrennt für jede Serie der Anleihe im Laufe von 50 Jahren erfolgt. Für den Zinsendienst haften die Ueberschüsse aus der Banderolensteuer auf Tabak, Stempelsteuer usw., soweit sie übrig bleiben nach der Entnahme der Summen, die für den Dienst der Anleihen von 1902, 1904 und 1907 erforderlich sind. Ferner wird der Zinsendienst garantiert durch die Ergebnisse des Staatsprivilegs auf Zigarettenpapier und die Einfuhrzölle.

Der erste Teil der Anleihe sollte hauptsächlich zum Rückkauf der von der Banque de Paris et des Pays-Bas übernommenen Schatzscheine dienen, die dann seitens der Diskontogesellschaft gegen Zahlung eines Vorschusses von 120 Mill. Fr. zu übernehmen waren. Hiervon sollten in Abzug gebracht werden 30 Mill. Fr., die man den österreichisch-ungarischen Banken, und 10 Mill. Rubel, die man der Russisch-Asiatischen Bank schuldete. 55 Mill. Fr. wird die Bulgarische Nationalbank von dem Konsortium erhalten, welches das Recht zum Bau der Linie Haskovo - Porto-Lagos und des Hafens von Porto-Lagos erwirbt, wofür ungefähr 50 Mill. Fr. erforderlich sein dürften. Die Bauvergebung für diese Linie und den Hafen wird im Submissionswege erfolgen. Ausserdem erhalten die Banken die Konzession zur Ausbeutung der Kohlengruben von Pernik und Bobov-Dol, zu welchem Zwecke im März 1916 eine bulgarische Gesellschaft unter der Firma „Nationale bulgarische Bergwerksgesellschaft'4 mit einem Aktien- kapital von 7,1 Mill. Leva gegründet worden ist. Der Administrator der Bul- garischen Nationalbank ist der Präsident dieser Gesellschaft, ihm steht ein Ge- schäftsinhaber der Diskontogesellschaft zur Seite. Der Administrator der Land- wirtschaftlichen Bank, sowie der Direktor der Staatsschuld wurden Mitglieder des Verwaltungsrates, in dem auch der Handelsminister durch einen Delegierten mit beratender Stimme vertreten ist. Die Bulgarische Nationalbank und die Landwirtschaftliche Bank werden am Kapital der neuen Gesellschaft und der Erträgnisse der erwähnten Kohlengruben zumindest mit 30 % beteiligt sein. Endlich wird die bulgarische Regierung Bestellungen in der Höhe von 100 Mill. Fr. bei der deutschen, österreichischen und ungarischen Industrie machen.

Selbst in Bulgarien wurde der Abschluss der bulgarischen Anleihe als ein willkommener politischer und finanzieller Erfolg Deutschlands und Oesterreich- Ungarns aufgefasst, der um so höher zu veranschlagen ist, als Frankreich und Russland immer und immer wieder, auch mittels ihrer Diplomatie, die Anleihe sich zu sichern versuchten. Zu erwarten ist, dass jetzt, wo das deutsche und öster- reichisch-ungarische Kapital mittels der Anleihe und der militärischen Verbindung festen Fuss in Bulgarien gefasst haben, auch der deutsche Kaufmann eine grössere Rolle auf dem Balkan spielen wird.

Der Anleihevertrag enthielt übrigens die bei grossen Anleihen stets übliche 645

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Jgg Weiss-Bartenstein,

Kriegsklausel, wonach das emittierende Bankhaus für den Fall eines europäischen Krieges oder anderer bedeutsamer, die Finanzmärkte in Anspruch nehmende Er- eignisse, oder im Falle eines Sinkens bedeutender Staatsanleihen unter einen be- stimmten Kurs (was infolge der Kriegsereignisse tatsächlich eingetreten war), das Recht haben sollte, auf die Durchführung des Vertrages zu verzichten. Von dem vorerwähnten Vorschuss auf die Anleihe in Höhe von 120 Mill. Fr. gegen Schatzscheine, deren grösserer Teil übrigens bereits von den Banken vor Ausbruch des europäischen Krieges verkauft worden ist , und die mit 6 % Zinsen und vierteljährlich mit 1/2 % Provision zu verzinsen sind, d. h. insgesamt mit jährlich 8 %, waren von vornherein 6 Mill. Fr. als Zinsen des Vorschusses abzuziehen. Ferner war am 20. August 1914 ein fälliger Vorschuss bei der Russisch-Asiatischen Bank von 27,72 Mill. Fr. und am 12. September ein fälliger Vorschuss bei den österreichisch-ungarischen Banken von 30 Mill. Fr. einzulösen. Ausserdem waren zur Zahlung russischer Lieferungen 17 Mill. Fr. in Abrechnung zu bringen. Insgesamt machten diese Abzüge rund 80 Mill. Fr. aus. Bulgarien erhielt somit nur einen Rest von 39,27 Mill. Fr., der nicht zu militärischen Zwecken verwendet werden durfte.

Ausserdem hat das Konsortium später der bulgarischen Regierung noch eine fernere Schatzanweisungsanleihe im Betrage von 150 Mill. Fr. gewährt. Der Vorschuss war mit 71/2 % zu verzinsen und die Hälfte von ihm bei der Unterzeichnung, der Rest in Teilbeträgen von 10 Mill. Fr. in vierzehntägigen Raten vom 9. März bzw. 1. April 1915 an zur Auszahlung zu bringen. Man hatte die Form eines neuen Vorschusses gegen Schatzscheine gewählt, da in Anbetracht der anormalen Verhältnisse des Geldmarktes die Durchführung der Emission der festen Anleihe vorerst nicht möglich war, während das bulgarische Schatz- amt neuer Mittel bedurfte.

Die früher ausgegebenen Schatzwechsel erhielten als Sicherheit Einnahme- quellen, die auch für die festen Anleihen bestimmt sind, nämlich die Ueberschüsse der Tabakbanderole, der Mourouriéabgaben und der Stempelsteuern, soweit sie nicht für frühere Anleihen beansprucht werden (nach früheren Angaben ver- fügbar pro Jahr schätzungsweise etwa 16 Mill. Fr.), der unbelasteten Erträg- nisse des Zigarettenpapiermonopols (ca. 3. Mill. Fr. pro Jahr) und die bisher ebenfalls noch nicht belasteten Einfuhrzölle (etwa 24 Mill. Fr. pro Jahr). Wenn diese Ertragsquellen in der Zwischenzeit durch den Weltkrieg auch eine Beein- trächtigung erfahren haben, so sind ihre Einnahmen auch jetzt noch mehr als ausreichend für den Dienst der ganzen Anleihe von 500 Mill. Fr., der etwa 28 Mill. Fr. jährlich erfordern würde. Mit dem jetzt Bulgarien zufliessenden neuen Gelde ist der Staatsschatz in der Lage, die dringendsten Ausgaben zu befriedigen.

Trotz der kriegerischen Verhältnisse und angesichts der herannahenden Lösung des gordischen Knotens auf dem Balkan durch das Schwert hat das Anleihekonsortium die am 1. August 1915 abgelaufene Optionsfrist ausgenützt und nach längeren in Wien und Berlin geführten Verhandlungen die Option auf den ersten Teil der im Jahre 1914 vereinbarten neuen 5%igen Staatsanleihe in Höhe von 250 Mill. Fr. ausgeübt. Freilich erfolgte der Vertragschluss nicht in dem Sinne, dass jetzt oder in absehbarer Zeit eine tatsächliche Emission der Anleihe stattfinden soll, die bei der ungeheuren Konkurrenz der ebenfalls 5%igen deutschen Kriegsanleihe -Milliarden auf dem Geldmarkt auch nach dem Kriege

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Finanzpolitik und Finanzwesen Bulgariens. 189

zu den beabsichtigten Ausgabebedingungen nicht möglich und auch bei Kon- zessionen in der Höhe des Ausgabekurses oder des Zinsfusses noch schwierig sein wird. Es handelt sich aber bei der Optionsausübung doch immerhin darum, dass an Stelle der früheren Vorschüsse nunmehr eine feste Anleihe tritt, ohne dass Bulgarien hierdurch neue Mittel in grösserem Umfange erhalten dürfte. Denn der Erlös der Anleihe berechnet sich zum Kurse von 84 % auf ungefähr 210 Mill. Fr., von dem zuerst die am 1. August fällig gewesenen Schatzscheine im Betrage von 120 Mill. Fr. gedeckt und der Rest bei den Banken bis auf weiteres zur Bezahlung von Vorschüssen einbehalten worden ist, welche der bulgarischen Regierung seitens französischer Banken in Höhe von mehr als 75 Mill. Fr. gewährt worden sind. Diese Umwandlung der früheren deutschen Vorschüsse gegen Schatz- scheine in eine feste Anleihe zeigte gerade unter den damaligen Umständen das Vertrauen der Bankwelt und der Regierung in Bulgariens wirtschaftliche Kraft und politische Haltung, das durch die bald darauf folgende Waffenbrüderschaft auch bestätigt worden ist.

VII. Finanzwirtschaft und Staatsschuldenwesen im Weltkriege und Rückblick auf ihre Entwicklung.

Im Hinblick auf den europäischen Krieg, der die Postverbindung zeitweilig unterbrochen und jeden internationalen Geldverk?hr unmöglich gemacht hat, teilte die Direktion der bulgarischen Staatsschulden den Besitzern bulgarischer Schatz- scheine, die von den Ausländern bei der Banque de Paris et des Pays-Bas in Paris oder bei einer anderen Bank einzulösen wären, mit, dass sie bis auf weiteres bei der Nationalbank in Sofia die Beträge für die fälligen Bons zu ihrer Verfügung stellt, so dass die Interessenten jederzeit gegen Einsendung der Schatzscheine das Geld beheben können.

Was die Rückzahlung der Schatzscheine der Russisch- Asiatischen Bank betrifft, die am 20. August mit 28 Mill. Fr. fällig waren, so hat der bulgarische Finanzminister die Russisch- Asiatische Bank benachrichtigt, dass die Diskonto- gesellschaft, die laut dem von Bulgarien mit ihr geschlossenen Vertrage die Ein- lösung vornehmen sollte, angesichts des Krieges jetzt nicht zahle und der Betrag für die bulgarischen Schatzscheine als für die Russisch-Asiatische Bank bei der Diskontogesellschaft hinterlegt zu betrachten sei. Die Russisch- Asiatische Bank lehnte es ab, sich auf diese Regelung der Angelegenheit einzulassen und ver- langte die sofortige Zahlung von Bulgarien. Diese Zahlung konnte indessen keines- wegs geleistet werden, weil die freien Beträge, die aus dem Vorschuss der Diskonto- gesellschaft an Bulgarien gelangt sind, zur regelmässigen Abwicklung des Dienstes der konsolidierten bulgarischen Schuld bestimmt sind und hierfür auch verwandt werden müssen. Die Russisch- Asiatische Bank wird sich also mit der Befriedigung ihrer Forderung bis zum Ende des Krieges gedulden müssen.

Nachdem wir nun die Entwicklung des bulgarischen Staatsschuldenwesens im einzelnen kennen gelernt haben, können wir in der nachstehenden Tabelle1) den Stand des Anleihe wesens von 1888 bis zum Beginn von 1915 Jahr für Jahr Ziffern massig verfolgen. Nach den vorangegangenen Erörterungen haben wir zu dieser Tabelle nichts mehr hinzuzufügen. Hervorzuheben ist nur noch einmal, dass in ihr die Anleihe der Landwirtschaftsbank fehlt.

1) Budget für 1915 S. «6. 647

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190 Weiss-Bartenstein,

Stand der bulgarischen Staatsschulden

Zinslose Staatsschulden Ver-

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Jahre g| g g g 'S S g S 2 £ o g

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1 || 2 | Ü 4 | 5 || 6 | 7

!| in Franken

Nominalwert 26,446,635 10,910,208 - 37,356,843 46,777,500 30,000,000 Schulden am 1. Januar 1888 21,365,842 10,910,000 2,951,000 35,226,842 - -

., 1889 21,365,842 10,410,000 2,951,000 34,726,842 46,777,500 -

1890 21,365,842 9,910,208 2,951,000 34,227,050 46,303,000 30,000,000 1891 12,498,842 9,910,208 2,951,000 25,360,050 45,799,500 29,700,000 1892 12,498,842 8,910,208 2,951,000 24,360,050 45,265,000 29,375,000 1893 12,498,842 8,410,208 2,951,000 23,860,050 44,698,000 29,030,000 1894 12,498,842 7,910,208 2,951,000 23,360,050 44,096,500 28,670,000 1895 12,498,842 7,410,208 2,951,000 22,860,050 43,458,500 28,285,000 1896 12,498,842 6,910,208 2,951,000 22,360,050 42,781,500 27,875,000 1897 11,918,296 6,785,208 2,951,000 21,654,504 42,063,500 27,440,000 1898 9,758,296 5,993,541 2,951,000 18,702,837 41,301,500 26,980,000 1899 8,639,256 5,743,541 2,951,000 17,333,797 40,903,500 26,490,000 1900 8,936,256 5,285,208 2,951,000 16,875,464 40,071,000 25,970,000

., .. 1901 8,639,256 4,743,541 2,951,000 16,333,797 39,188,000 25,420,000 1902 ! 8,639,256 4,576,875 2,951,000 16,167.131 38,251,000 24,840,000 1903 'I

- ■ 3,410,208 2,951,000 6,361,208 37,256,000 24,220,000 1904 ! - 2,951,875 2,951,000 5,902,875 36,202,000 23,565,000

., .. 1905 - 2,410,208 2,951,000 5,361,208 35,083,500 22,865,000 1906 - 1,910,208 2,951,000 4,861,208 33,896,500 22,125,000 19u7 ¡ - 1,410,208 2,951,000 4,361,208 32,648,500 21,345,000

., „ 1908 I - 910,208 2 951,000 3,861.208 - -

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1910 | - - I - - - -

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1913 - - ' - 27,994,276») - -

1914 - - ' 26,644,276») - -

1915 - _ ! "

_ 25,294,2763) - -

! | ! í

!) Nach dem Budget für 1915, S. 6G ff. - 2) Von dieser Summe wurden nur 122,957,500 Franken 648

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Finanzpolitik und Finanzwesen Bulgariens. J9J

am 1. Januar jedes Jahres1)*

zine li che Staatsschulden

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8 I 9 I 10 I 11 | 12 | 13 | 14 15

in Franken

142,780,0002) 30,000,000 106,000,000 99,980,000 145,000,000 - - 600,537,500

- - - - ! - - | - 46,777,500 - - - _ !

' _■ ___ 76,303,000

_ - - - - - ! - 75,499,500 _ - - - - - - 74,C40,000

12,050,000 ------ 85,788,000

31,905,000 _____ - 104,671,500

72,432,000 ______ 144,175,500

74,039,000 ______ 144,695,500

73,141,000 _ - _ _ _ 142,644,500

72,977,000 ------ 141,258,500

91,336,000 ____-- 158,729,500

116,564,500 - - - - - - 182,605,500

113,768,500 25,000,000 - - - - 203,376,500

111,749,500 20,260,000 - - - - 195,100,500

110,109,000 - 106;000,000 _ _ _ _ 277,585,500

108,923,000 - 105,755,000 - - - - 274,445,000

106,444,500 - 105,247,500 80,000,000 - - |

- 349,640,500

102,582,000 - 104,712,500 99,770,000 - - - 363,086,000

101,244,000 - 104,150,000 99,290,000 - - - 358,677,500

98,328,000 - 103,560,000 98,785,000 145,000,000 - - 445,673,000

93,753,500 - 102,940,000 98,257,500 144,510,000 - - 439,461,000

92,065,000 - 102,290,000 97,700,000 143,995,000 81,934,700 - 517,984,700

86,767,500 - 101,605,000 97,117,500 143,460,000 81,799,410 99,450,000 610,199,410

82,974,500 - 100,887,500 96,502,500 142,897,500 81,657,618 98,880,000 603,799,618

78,934,500 - 100,130,000 95,855,000 142,312,500 81,353,260 98,270,000 597,011,010 74,751,500 - 99,337,500 95,177,500 141,697,500 81,353,260 97,640,000 589,932,260 72,687,500 - 98,505,000 94,465,000 141.057,500 81,190,024 96:990,000 584,895,024

entnommen. - 3) Schuld an Russland. 649

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Page 67: Finanzpolitik und Finanzwesen Bulgariens

2g2 Weiss- Barteiistein,

Eine richtige Beurteilung für die Höhe der Anleihen wird man jedenfalls erst gewinnen können, wenn man sie zu der Bevölkerungszahl in Beziehung setzt. Dann erhalten wir nach dem Budget bericht für 1915 das folgende Bild1):

A oí 11 Betrag der kon- Last auf den Kopf des a Jahres V u

11 " I solidierten Schuld Bevölkerung der Bevölkerung des a Jahres u

^ Fr{mken in Franken

1890 j 76,303,000 3,247,263 23,50 1895 144,175,500 3,467,083 41,58 1900 182,605,500 3,744,283 48,77 1905 | 349,645,000 4,035,623 86,64 1910 | 610,199,410 4,329,108 140,95 1913 | 616,601,536 4,760,000 139,54 1914 610,189,300 4,850,000 125,80

Bis 1910 steigt der Betrag der konsolidierten Schuld auf den Kopf der Bevölkerung und geht dann zurück. Das kommt aber nur daher, dass die not- wendige Umwandlung der schwebenden Schuld aus dem Balkankriege noch nicht geschehen ist. Sobald diese Umwandlung vollzogen und auch der Welt- krieg in Rechnung gestellt sein wird, wird auch der Betrag der konsolidierten Schuld auf den Kopf der Bevölkerung noch weiter sehr emporschnellen.

Bulgariens innere Finanzpolitik ist jetzt bestrebt, die schädlichen Fehlbeträge im Budget nicht wieder auflaufen zu lassen und überhaupt das ganze Finanz- wesen auf eine festere Grundlage zu stellen. Denn der Staatskredit beruht auf dem richtigen Verhältnis zwischen Einnahmen und Ausgaben der staatlichen Finanz- wirtschaft. Ein solches dürfte in günstigen Erntejahren ohnehin zu erwarten sein, doch darf man bei einem Agrarstaat nicht mit ständig feststehenden Staats- einnahmen rechnen, zumal bei dem in Bulgarien herrschenden unvollkommenen Ertragssteuersystem; desgleichen kann man auch nicht ohne weiteres voraus- setzen, dass die Leitung der Staatsgeschäfte immer in den Händen solcher Männer liegt, dass durch ihre politischen und wirtschaftlichen Fähigkeiten so günstige Anleihen abgeschlossen werden können wie die von 1914/15. Auf jeden Fall wäre bei der Führung des Staatshaushaltes, sowohl in der Einnahme- wie auch in der Ausgabewirtschaft, eine sorgfältigere Beobachtung finanzpolitischer Grund- sätze zu wünschen, wie sie sich in neuerer Zeit auch schon mehr und mehr be- merkbar macht. Insbesondere sollte es nicht mehr nötig sein, Anleihen für un- produktive Zwecke abzuschliessen. Damit würde die innere Gesundung der bulgarischen Staatsfinanzen den Staatskredit Bulgariens im Auslande derartig heben, dass es zur Steigerung seiner volkswirtschaftlichen Entwicklung im Bedarfs- falle stets offene Arme und günstige Bedingungen von Seiten des ausländischen Kapitals erwarten könnte, nicht nur auf Grund freundlicher politischer Be- ziehungen, wie es bei den Mittelmächten stets der Fall sein wird, sondern auch in Anbetracht seiner gesunden Staatswirtschaft.

!) Die Abweichungen gegen die doppelseitige Tabelle sind zwischen dem Budget- bericht und der offiziellen Statistik des statistischen Amts häufig vorhanden.

650

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Page 68: Finanzpolitik und Finanzwesen Bulgariens

Finanzpolitik und Finanzwesen Bulgariens. J93

Zweiter Teil.

Finanzwirtschaft der Selbstverwaltungskörper. I. Verhältnis des staatlichen Finanzwesens zu dem der Selbst-

verwaltungskörper. Auch in Bulgarien untersteht die Finanzwirtschaft der Selbstverwaltungs-

körper - als solche kommen für Bulgarien die Kreise und die Gemeinden in Frage "'- der Gesetzgebung und der Aufsicht des Staates. Derartige Kontroll- bestimmungen sind hauptsächlich in den Gesetzen von 1897, 1902 und 1904 ent- halten. Diese Gesetze sehen die Bestätigung der höheren Kreis- und Gemeinde- beamten durch den Staat und die Einsetzung von Kontrollbeamten für die Kreise und die Gemeinden vor. Für gewisse Gemeindeeinnahmen ist eine Grenze gesetzt. Ferner bedarf die Gemeinde zur Veräusserung ihres Vermögens oder zur Ein- gehung von Schulden der staatlichen Genehmigung. Dagegen sind die Gemeinden in ihren inneren Angelegenheiten selbständig, so z. B. in der Rechnungsführung der Gemeindeeinnahmen und -ausgaben, Verteilung der Zuschläge und anderer Gemeindelasten auf die Gemeindemitglieder usw.

Die Gemeindeverwaltung hat auch für die Erhaltung der Gemeindestrassen, Wege, Plätze, wie für die Ueberwachung des Marktverkehrs, insbesondere von Mass und Gewicht, zu sorgen. Ausser diesen eigenen Aufgaben der Gemeinden sind ihrem Wirkungskreis von Seiten des Staates besondere Tätigkeiten auf be- stimmten Gebieten übertragen worden. Letztere stehen nicht ausdrücklich im Gesetze1), sondern haben sich geschichtlich nach der Kulturstufe und wirtschaft- lichen Kraft des Volkes im Verwaltungswege entwickelt. Diese Aufgaben er- strecken sich auf die Gebiete des Militärwesens, der Rechtspflege, der Polizei, der Armenpflege, des Unterrichtswesens, des Wege- und Bautenwesens, der Kirche, der Schule usw. Ausserdem liegt den Gemeinden noch die Erfüllung einer ganzen Reihe von Aufgaben ob, welche die Hebung der Kultur und Lebenshaltung mit sich bringt. Die ländlichen und städtischen Gemeinden haben entsprechend ihrer Eigenart ihre besondere Interessensphäre und bedürfen zur Befriedigung aller Ansprüche bedeutender Mittel. Die damit verbundene Steigerung der Ausgaben ist in den städtischen Gemeinden stärker zutage getreten als in den ländlichen, da die Städte mehr für kulturelle und wirtschaftliche Zwecke auf- wenden als die Dörfer.

n. Ordnung der Finanzwirtschaft der Selbstverwaltungskörper. Zur Bestreitung dieser Ausgaben ist die Führung eines geordneten Gemeinde-

haushalts notwendig. Die Gemeinden stellen als Finanzkörper ein eigenes Budget auf, welches, wie auch in Frankreich, bis ins einzelne geregelt. ist und der Ge- nehmigung der Staatsorgane unterliegt. Es zerfällt in das Einnahme- und Aus- gabebudget.

Während im allgemeinen bei der Feststellung des Budgets von den Aus- gaben ausgegangen wird, deren Notwendigkeit die Beitreibung der erforderlichen Einnahmen rechtfertigt, schreibt der bulgarische Gesetzgeber die vorherige Fest-

l) Dies war auch in Serbien der Fall ; vgl. Markovitch, Die Gemeinden und ihr Finanzwesen in Serbien, 1904, S. 40. Diss.

Finanzarchiv. XXXIII. Jahrg. 651 13

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Page 69: Finanzpolitik und Finanzwesen Bulgariens

194 Weiss-Bartenstein,

Stellung der Einnahmen vor, um zu bewirken, dass die strengste Sparsamkeit bei den Ausgaben vorwalte. Sodann darf das Budget nicht mit einem Defizit abgeschlossen werden, das aber dennoch an der Tagesordnung ist.

Nach dem bulgarischen Gemeindegesetz werden die Ausgaben in ordent- liche und ausserordentliche eingeteilt und können obligatorisch und fakultativ sein.

III. Ausgaben der Selbstverwaltungskörper. Die ersten Gemeindegesetze zählten die obligatorischen Gemeindeausgaben

genau auf, zu denen auch diejenigen für staatliche Zwecke gehören, welche be- sondere Ortskenntnisse oder Berücksichtigung örtlicher Verhältnisse erfordern und den Gemeinden durch Spezialgesetze zur Ausführung auferlegt werden. Die Durchführung derartiger Aufgaben setzte einen ausgedehnten Verwaltungs- organismus voraus und erhöhte in den letzten Jahren die Gemeindeausgaben ständig. Diese Kosten sind in allen ländlichen Gemeinden grosser als in den städtischen, Was darauf zurückzuführen sein dürfte, dass die Zahl der ländlichen Gemeinden ganz bedeutend grosser ist als die der städtischen1). Die Besoldungs- ausgaben betragen durchschnittlich über ein Viertel der gesamten Gemeindeausgaben.

Zu den obligatorischen Ausgaben2) der Gemeinde gehört vor allen Dingen das Volksschulwesen, dann die Unterhaltung der Gemeindekrankenhäuser, das Feuerlöschwesen, die Anlegung und Instandhaltung der Wege, Strassen, Wasser- leitungen, Friedhöfe usw. Der Staat ist im Notfall berechtigt, die entsprechenden Summen in das Gemeindebudget einzusetzen.

Dagegen rechnen Ausgaben für Neuanlagen von Brücken, Errichtung von Gebäuden usw. zu den fakultativen Ausgaben. Ferner kommen für die Städte noch die Beleuchtung und Reinigung der Strassen, Abfuhr des Strassen- und Hauskehrichts, Errichtung von Markthallen, Schlachthöfen, Parkanlagen usw. in Betracht, welche nach bulgarischer Auffassung noch grossenteils als Ausgaben für fakultativ -kommunale Zwecke angesehen werden können, weshalb denn auch auf diesem Gebiete in Bulgarien von den Gemeinden noch nicht viel geleistet wird.

Aus der folgenden Tabelle, erster Teil, ist die Verteilung der Ausgaben aller städtischen Gemeinden Bulgariens nach ihren Budgets für die Jahre 1904 bis 1911 geschildert, wobei ordentliche und ausserordentliche Ausgaben gesondert sind. Zu letzteren zählen neue Gemeindegebäude, Strassen, Brücken, sowie Schulden von abgeschlossenen Budgets und einige andere derartige Ausgaben. Wir sehen daraus, dass die Ausgaben sich seit 1904 fast verdreifacht haben und die grössten Ausgaben auf die Verwaltung entfallen, dann die Verzinsung und

Tilgung der Schulden und schliesslich das Schulwesen betreffen. Dies waren die ordentlichen Ausgaben, während bei den außserordentlichen Ausgaben (aus- schliesslich der Ausgaben für die alten Schulen) an erster Stelle die Summen für die Errichtung neuer Gebäude, Anstalten, Brücken, Strassen usw. stehen.

Auf dem Lande betrugen die Ausgaben im Jahre 1904 ca. zwei Fünftel von denen für 1911. Die Verwaltung verschlingt die grössten Beträge und danach das Schulwesen, wie wir aus der Tabelle auf S. 196 u. 197, zweiter Teil, sehen.

i) Nach dem Register aller Gemeindebudgets für 1903, herausgegeben vom Ministerium des Innern, gab es 1812 ländliche und 79 städtische Gemeinden.

2) Näheres über die Gemeindeausgaben bei Nikiphoroff, Wesen und Finanzen der Gemeinden in Bulgarien. Halle 1907. S. 56-65.

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Finanzpolitik und Finanzwesen Bulgariens. JQ5

IV. Einnahmen der Selbstverwaltungskörper. 1. Ordentliche und ansserordentliche Einnahmen«

Auch die Einnahmen der Gemeinden sind in ordentliche und ausserordent- liche geschieden, je nachdem sie sich entweder in jedem Finanzjahre regelmässig wiederholen oder durch Vermögensveräusserungen, Schuldenaufnahme, Staats - beihilfen oder sonstige aussergewöhnliche Beschaffung von Mitteln nicht regel- mässig wiederkehrende Einkünfte sind. Erstere stammen aus dem Grundeigen- tum, irgendwelchen Betrieben, Zuschlägen zu den direkten Staatssteuern, aus indirekter Besteuerung in Form von Oktroi und aus einer Reihe von Gebühren und Taxen.

2. Erwerbseinkünfte. Wir unterscheiden auch hier Erwerbseinkünfte und Einnahmen öffentlich-

rechtlicher Natur. Erstere fliessen aus den beweglichen und unbeweglichen Vermögen1) der Gemeinden und bringen nur eine geringe Quote der Gesamt- einnahmen. In vorstehender Tabelle bilden sie nur knapp ein Fünftel der „an- deren" Einnahmen, drei weitere Fünftel sind Gebühreneinnahmen und der Rest besteht aus Bezügen von verschiedenen kleineren Einnahmequellen. Zwar be- sitzen die Gemeinden fast ein Drittel des ganzen Grund und Bodens in Form von Wald, Weiden und Aeckern, aber infolge der geringen Nutzung werfen diese Ländereien nur einen massigen Reinertrag ab, welcher für die Gemeindebudgets keine überwiegende Bedeutung erlangt hat.

Das gleiche gilt von dem unbeweglichen Vermögen, welches aus Mühlen, Sägewerken, Steinbrüchen, Gewerbebetrieben, Bauten, öffentlichen Anstalten usw. besteht und immerhin rentabler ist als der vorerwähnte Besitz. Das bewegliche Vermögen der Gemeinden besteht entweder in verzinslichen liquiden Kapital- anlagen oder in Objekten, welche der Allgemeinheit nützen, wie verschiedene Geräte, Maschinen, Feuerlöschapparate, Bücher, Rassentiere zur Veredlung der Viehzucht usw. Beide Arten des beweglichen Vermögens verzinsen sich durch- schnittlich mit kaum 5 %.

Sofern die Gemeinden ihren Besitz und Betrieb nach privatwirtschaftlichem Muster etwas intensiver und mehr nach neuzeitlichen Methoden ausnützen und ihren Landbesitz verpachten würden, soweit sie selbst ihn nicht genügend ver- werten können, Wäre die Erzielung grösserer Einnahmen leicht möglich. Be- sonders ist es den städtischen Gemeinden noch vorbehalten, sich den Fortschritt unserer modernen Technik auf dem Gebiet des Wasser-, Beleuchtungs- und Ver- kehrswesens in ökonomischer Weise zunutze zu machen, ebensogut wie dies der Privatinitiative möglich ist. (Elektrische Beleuchtung und Strassenbahnen in Sofia.)

3. Einnahmen öffentlich-rechtlicher Natur. A. Steuern.

Wir wenden uns nun den Einnahmen öffentlich-rechtlicher Natur zu. Das Gemeindebesteuerungssystem beruht in Bulgarien hauptsächlich auf Zuschlägen zu den direkten Staatssteuern, auf Verbrauchssteuern in Form von Oktroi und

!) Leider führt die offizielle Gemeindestatistik den Umfang, Wert und Ertrag der Gemeindevermögen nicht auf.

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196 Weiss-Bar t ens t ein,

Budgets der

a) Budgets der

Einnahmen

ordentliche

Städtische Zuschläge ausser- Gesamt- Gemeinden zu den Oktroi- OïvS. l«*e betrag

Staats'-11 "***« Oktroi- "*ere zusammen l«*e

steuern

in Franken

1911 Sofia 910,000- 2,280,840.- 2,445,360- 5,635 700.- 9,953,560.- 15,589,260.- Philippopel ... 179,368- 462,550.- 657,460.- 1,299;S78.- 533,750.- 1,833,128.- Varna 302,864.- 384,660.- 746,538.- 1,484,062.- 3,587,885.- 5,021,947.- Rustschuk .... 192,000- 340,200.- 441,139.- 973,339.- 2,970,941.- 3,944,280 - Andere städtische

Gemeinden . . . 1,939,464.- 3,685,482.- 6,044,032- 11,668,978.- 5,J50,l07.- 16,819,085.- zusammen für 1911 3,523,696.- 7,158,232.- 10,334,529.- 21,011,457.- 22,196,24a- 43,207,700.-

1910 2,840,475- 7,297,357.- 9,622,526- 19,760,358.- 18,906,689.- 38,667,047- 1909 2,271,825- 6,960,383- 8,062,325.- 17,294,583.- 14,144,217.- 31,438,750.- 1908 2,092,570.- 6,355,743.- 7,480,308.- 15,928,621.- 15,222,820- 81,151,441.- 1907 1,939,807.- 6,241,974.-^ 7,132,589- 16,313,870.- 14,029,655.- 29r348,525.- 190B 1,712,524- 5,775,422- 6,520,927- 14,008,873.- 40,638,188.- 54,672,011 - 1905 1,541,941.90 6,015,934.67 5,618,412.37 13,176,288.94 3,075,004 80 16,251,298.24 1904 1,337,747.- 5,398,033.- 5,038,301- 11,764,081.- 3,551,958.- 15,316,084-

b) Budgets der

Einnahmen

zj^ Zuschläge K-i8e SS f Ä a°bkÄ andere zusammen

Keiles 8te™™ in Franken

1911 Burgas 202 926,187 122,839 1,217,992 2,267,018 Varna .... 68 846,517 120,510 912,143 1,879,170 Vidin 99 468,126 94,599 548,58? 1,106,307 Vratza 145 631,461 128,775 1,146,984 1,907,220 Küstendil .... 89 480,004 86,790 384,560 951,354 Philippopel ... 252 776,008 166,883 2,218,171 3,161,062 Pleven ..... 170 682,329 188,848 $,688,078 2,504,250 Rustschuk .... 142 671,338 194,872 1,592,431 2,458,641 Sofia 196 770,600 156,120 1,246,790 2,178,510 Stara Zagora ... 335 1,064,111 169,247 2,461,927 3,695,285 Tirnovo 240 716,462 170,529 2,048,624 2,935,615 Schumen . . . . 103 529,031 111,368 761,317 1,401,716 zusammen für 1911 2,041 I 8,557,174 1,656,380 16,227,594 26,441,148

1910 ..... . . 1,982 8,677,807 1,687,312 14,879,883 24,695,002 1909 . . . .... 1,812 8,114,388 1,183,210 14,829,571 24,127,169 1908 1,812 7,427,668 1,287,161 13,288,555 21,998,384 1907 . 1,812 7,151,555 1,270,801 18,192,050 21,614,406 1906 1,812 6 412,195 1,224,182 9,961,681 17,598,008 1905 ...- ,,, 1,812 5,855,979 1,208,126 6,258,085 13,317,140 1904 ... . . . . 1,812 5,091,099 1,120,826 4,Ü67,780 10,479,705

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Finanzpolitik und Finanzwesen Bulgariens. 197

Gemeinden.

städtischen (le in einde n.

Ausgaben

ordentliche

Unterhalt ausser- Gesamt- Annuitäten Unterhalt der ordent- betrag Personal und der städtischen andere zusammen licne

Zinsen Schulen Kranken- häuser

in Franken

1,032,240.- 2,997,011.- ! 690,000,- 45,000.- 871,449.- ! 5,635,700.- 9,953,560.- 15,589,260.- 305,740.- 460,141- 184,106.- 12,500.- 266,516.- i 1,229,003.- 534,823.- 1,763,826.- 328,380.- 435,000.- 209,110.- 11,700.- 449,872.- I 1,434,062.- 3,587,885.- 5,021,947.- 313,060.- 200,000,- 77,436- 11,500.- 303,690.- 905,686.- | 3,038,594.- 3,944,280.-

4,310,347.- 1,246,838.- 2,775,023- 84,223.- j 2,802,660.- 11,219,091.- ' 5,538,025.- 16,757,116.- 6,289,767.- ! 5,338,990.- 3,935,675- | 164,923.- 4,694,187. - 20,423,542.- I 22,652,887.- 43,076,429.- 5,913,508.- ! 4,401,531.- 3,922,372.- ' 204,520.- 4,787,927.- 19,229,858.- | 19,299,971.- 38,529,829.- 5,346,294- 4,437,619.- 3,113,447.- 87,603.- 4,026,428.- | 17,011,391 - 14,365,256.- 31,376,647.- 4,973,984.- 4,311,163.- 2,579,471.- 72,386.- 3,749,046.- ! 15,686,050.- ! 15,440,708.- 31,126,758.- 4,752,571.- 3,781,295.- 2,427,514- 73,767.- 3,883,064- j 14,918,211.- 14,342,093.- 29,260,304.- 4,170,678.- I 3,218,001.- 1,982,021- ¡ 64,445.- 3,747,195.- 13,182,430.- 36,830,827.- 50,013,167.- 3,541,129.50 i 3,302,155.11 1,765,546.- I 176,998.- 3,581,374.41 12,367,203.02 3,602,162.75 15,969,365.77 3,274,352.- ! 2,846,254.- 1,578,878.- ; 158,362.- 3,022,591- 10,880,437.- 4,415,203.- 15,295,640.-

ländlichen Gemeinden.

Ausgaben

Personal (Bürgermeister, Unterhalt . Beamte und der Schulen andere . zusammen Feldhüter)

in Franken

779,063 579,926 905,449 2,264,438 584,271 433,883 861,015 1,879,169 374,063 334,578 387,289 1,095,930 596,038 637,148 658,886 1,892,074 330,697 269,897 349,797 950,391 885,169 537,287 1,548,322 2,970,778 644,426 509,526 1,338,191 2,492,143 890,873 394,722 1,115,571 2,401,166 642,894 475,559 1,040,463 2,158,916

1,134,333 750,049 1,779,724 3,664,106 902,829 703,607 1,313,874 2,920,310 600,523 271,669 523,824 _ |_ _ 1,396,016

8,365,179 5,897,851 11,822,405 26,085,435 8,145,673 5,474,315 10,835,510 24,455,498 7,579,243 5,348,254 9,368,311 22,295,808 9,021,729 4,332,988 8,417,828 21,772,545 8,721,732 3,659,090 8,908,542 21,289,364 8,182,992 3,272,737 5,958,576 17,414,305 5,111,486 2,611,742 5,539,902 13,263,130 4,121,560 2,471,829 3,869,277 10,462,666

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j(jg Weiss-Bartenstein,

auf Gebühren, so dass es also kein selbständiges System gegenüber der Staats- besteuerung bildet. In den ländlichen Gemeinden, in denen die Einnahmen aus Besitz und Wirtschaft noch eine etwas grössere Rolle spielen, sind darum die Einnahmen aus Verbrauchssteuern und Gebühren von sehr geringer Bedeutung.

Den Zuschlägen zu den direkten Staatssteuern unterliegen nicht nur die Gemeindeeinwohner, sondern auch alle, welche im Gemeindebezirk Grundbesitz haben oder ein Gewerbe betreiben. Nach dem Gemeindegesetz von 1886 wurden diese Zuschläge von den Gemeinderäten festgesetzt und durften nicht höher Sein als 25 %1) der Steuer auf Immobilien bzw. der verschiedenen Konzessions- abgaben für die Eröffnung irgendwelcher Betriebe. Ausser den ordentlichen Steuern durften die Gemeinden auch ausserordentliche Steuern erheben, die über 10 %2) aller direkten Staatssteuern nicht hinausgehen durften. Die Er- hebung der direkten Staatssteuern geschah bis zum 1. Juli 1892 durch die Ge- meinden und wurde dann vom Staate in die Hand genommen, um eingetretene Misstände in der Erhebung zu verhindern.

Ein Gesetz vom Jahre 1894 bestimmte, dass die ordentlichen Zuschläge nicht mehr als 5 % der Grundsteuern und 10 % der vorerwähnten Lizenz- bzw. Konzessionsabgaben und anderen direkten Staatssteuern betragen dürfen. Zahlt der Steuerpflichtige jedoch keine anderen Staatssteuern ausser der letzterwähnten Lizenzabgabe und der Wegesteuer, so kann die Gemeinde einen Zuschlag bis zu 25 % zu der Lizenz erheben. Die gesamten Kreis- und Gemeindezuschläge dürfen 50 % der Summe der direkten Staatssteuern nicht übersteigen und der Gemeinde- rat ist berechtigt, innerhalb dieser Grenzen die Steuerveranlagung selbständig vorzunehmen. Ausserordentliche Zuschläge können im Bedarfsfalle bis zu 10 % von den Gemeinden und bis zu 5 % von den Kreisen zu den direkten Staats- steuern beschlossen werden. Diese Zuschläge werden auf alle direkten Staats- steuern berechnet, mit Ausnahme der Militär- und Wegesteuern.

Die allgemeinen gesetzlichen Bestimmungen, auch bezüglich der Höhe der Zuschläge, erfuhren noch einige Aenderungen, bei denen wir uns jedoch nicht weiter aufhalten wollen. Kurz erwähnt sei nur das Gesetz von 1897, welches nur für die städtischen Gemeinden die Zuschläge auf 25 % zu den Lizenzen und auf 10 % zu den anderen direkten Staatssteuern erhöhte.

Grundlegend wurde das Gemeindegesetz von 1902, welches die Zuschläge bedeutend erhöhte und zwar sowohl für städtische wie für ländliche Gemeinden bis zu 50 % zu den Lizenzen, bis 30 % zu der Gewerbe- und Gebäudesteuer und bis 15 % zu der Grundsteuer3), sowie zu allen anderen direkten Staatssteuern mit Ausnahme der Militär- und Wegesteuer. Ausserordentliche Zuschläge können nur die ländlichen Gemeinden einfordern. Diese dürfen die Höhe der ordent- lichen Zuschläge nicht übersteigen und nur von denjenigen erhoben werden, welche einen entsprechenden Sondervorteil der Gemeindetätigkeit gemessen. Die Erhöhung der Zuschläge war berechtigt, da die gesteigerten kulturellen und sozialen Bedürfnisse der Bevölkerung mit der Zeit einen immer grösseren Teil der Gemeindeeinnahmen verschlangen.

Ausserdem bestehen noch einige ganz geringfügige Nebenabgaben, welche

i) Art. 109, Punkt 8 u. 14. 2) Art. 111, Punkt 1 bzw. Art. 81, Punkt 1. 3) Gemeindegesetz von 1902, Art. 86, § 13 und Art. U.t § 14.

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Finanzpolitik und Finanzwesen Bulgariens. JQQ

den Charakter einer Versicherung auf Gegenseitigkeit in Händen der Gemeinde gegen Naturschäden der Landwirte haben.

Die Erhebung der Zuschläge geschieht duren den Staat, welcher sie der Gemeinde überweist. Da die Kreis- und Gemeindezuschläge zusammen ungefähr die Hälfte der direkten Staatssteuern betragen, auch häufig übersteigen, so fällt ihre Entrichtung der bulgarischen Bevölkerung nicht immer leicht. Für die Ge- meinden bilden die Zuschläge durchschnittlich ungefähr ein Viertel der Einnahmen, Aiif die ländlichen Gemeinden kommt jedoch davon ein grösserer Prozentsatz.

Berücksichtigt man die finanzwirtschaftliche Tätigkeit der Behörden in Bulgarien, welche im Vergleich zu den westeuropäischen noch nicht auf der Höhe der Zeit stehen, so kann man das Gemeindebesteuerungssystem der Zuschläge zu den direkten Staatssteuern für ganz angebracht halten, da die Veranlagung ungemein einfach ist. Solange jedoch die direkten Staatssteuern in einem Er- tragsbesteuerungssystem bestehen, bedeutet das System der Gemeindezuschläge eine weitgehende Verschärfung der Fehler dieses veralteten Systems, dessen Härten die bulgarische Bevölkerung durch die Zuschläge um so mehr empfinden wird, als die Staats- und Gemeindelasten infolge der steigenden Anforderungen der Bulgaren an eine erhöhte Lebenshaltung eine von Tag zu Tag steigende Tendenz aufweisen.

Die indirekte Gemeindebesteuerung in Bulgarien wirkt in der Form des Oktroi. Dieser nimmt in den städtischen Budgets der Grosse nach die erste Stelle ein, während in den ländlichen Gemeinden die erwähnten Zuschläge die grössten Einnahmen bilden. Das Oktroi wird von verschiedenen Lebensmitteln, Getränken und sonstigen Verbrauchsgegenständen erhoben, sobald sie in den dem Oktroi unterworfenen Umkreis der Gemeinden eingeführt werden.

Diese Besteuerungsart wurde schon bald nach der Befreiung Bulgariens eingeführt. Nach dem „Organischen Statut von Ostrumelien"1), sowie dem am 18. Mai 18812) erlassenen „öffentlich-administrativen Reglement" darf die Steuer in Städten mit mehr als 4000 Einwohnern nicht 2 % von dem Werte der zu besteuernden Gegenstände und 1 % in den kleineren Städten übersteigen.

Die Festsetzung und Einführung der Steuer geschah durch das Gemeinde- gesetz von 18823) und beschränkte sich auf Städte mit mehr als 5000 Einwohnern. Diese Beschränkung wurde schon im nächsten Jahre auf Städte mit 2000 Ein- wohnern herabgesetzt. Die Einführung geschah auf Beschluss dès Gemeinde- rates und 24 der höchstbesteuerten Gemeindemitglieder, von welchen auch die Höhe der Steuern und die Art der zu besteuernden Gegenstände innerhalb der Grenzen eines vorgeschriebenen Tarifes bestimmt wurden. Steuerpflichtig waren nur Gegenstände, welche in die Stadt zum Verbrauche eingeführt werden. Da- gegen waren Durchgangswaren steuerfrei.

Diese Bestimmungen wurden durch Gesetze von 1887, 1889, 1895 und 1897 ergänzt und geändert. Im Jahre 1895 hatten von 78 städtischen Gemeinden nur 64 das Oktroi eingeführt und so wurde es 1897 für obligatorisch erklärt, ob- gleich die volkswirtschaftlichen Schäden derartiger innerer Zollgrenzen prin- zipiell erkannt waren. Ursprünglich hatte deshalb die bulgarische Regierung

J) Art. 235. 2) Art. 1 u. Art. 13. 3) Art. 6t>.

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200 Weiss-Bartenstein,

aus dieser Erkenntnis heraus nur alle ausländischen Waren mit dem Oktroi be- lasten wollen, musste aber schliesslich den zollpolitischen Gegenmassregeln des Auslandes weichen und auch alle inländischen Waren besteuern. Die Erhebung sollte vorgenommen werden:

1. von den vom Auslande eingeführten Gegenständen durch die staat- lichen Zollämter;

2. von dem inländischen Tabak, Bier und Spiritus durch die betreffenden Behörden des Ministeriums der Finanzen bei den Fabriken und

3. von den übrigen inländischen Gegenständen durch die Gemeinden selbst bei der Einführung in die letztere.

Ein Tarif stellt die dem Oktroi zu unterwerfenden Gegenstände und die Höhe der Abgabe fest. Die Erhebung geschieht durch die staatlichen Zollämter und Behörden, und die daraus stammenden Einnahmen werden auf die Gemeinden pro Kopf der Bevölkerung verteilt, wobei die letzte Volkszählung zugrunde gelegt wird, sowie die Konsumtion und die Einnahmen der Gemeinde. Von dem Oktroi sind diejenigen Waren befreit, für welche eine Steuerbefreiung im Zollgesetze vorgesehen ist.

Im Jahre 1897 wurde dieses Gesetz geändert und die Oktroierhebung von den beiden wichtigen Artikeln, Bier und Spiritus, der Gemeinde überwiesen» Art. 5 des Gesetzes macht die Einführung des Oktroi für alle Gemeinden obli- gatorisch, indem er Gemeinden, welche diese Besteuerung nicht einführen, auch das Recht auf den Bezug der Oktroieinnahmen von ausländischen Waren ab- spricht, sowie die Erhebung von Zuschlägen zu den direkten Staatssteuern unter- sagt. Dieses Gesetz gab zu vielen Miss brauchen seitens der Erhebungsbeamten Anlass, welche die Bevölkerung in willkürlicher und ungerechter Weise besteuerten. Im übrigen verbreitete sich bald ein umfangreicher Schmuggel mit den besteuerten Waren.

Durch derartige Oktroisteuern werden Handel und Verkehr stark gehemmt und die ärmeren Klassen verhältnismässig zu hoch besteuert, so dass das Oktroi wie eine Kopfsteuer wirkt. Aus dieser Erkenntnis heraus wurde im Jahre 1900 durch ein Gesetz eine Reform dieser Besteuerungsart eingeführt, in welchem die folgende Besteuerung festgesetzt wird. Für die Oktroiabgaben von heimischen und ausländischen Waren:

1. Von Spiritus, Schnaps, Bier und Kognak nach Geilüsaks Alkoholmeter bei normaler Temperatur von 15° C. (12° R.) wird erhoben: 0,05 Fr. pro Liter. (Spiritus für Brenn-, Beleuchtungs- und Industriezwecke ist befreit von der Abgabe.)

2. Von Bier in Fässern und Flaschen 0,04 Fr. pro Liter. 3. Von Wein in Fässern 0,04 Fr. pro Liter. 4. Von Zucker und den aus ihnen gewonnenen Produkten, wie Bonbons,

Konfitüren, Kompotts usw. 0,04 Fr. pro kg. 5. Von Tabak, Zigarren, Zigaretten und Schnupftabak von extra Qualität

1 Fr. pro kg. I. Qualität = 0,50 Fr.

II. „ = 0,30 „ und III. „ = 0,10 „

(Der Schnupftabak gehört zur II. Qualität.) 658

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Finanzpolitik und Finanzwesen Bulgariens. 201

Für die Oktroiabgaben nur von ausländischen Waren: 1. Von verschiedenen Weinen in Flaschen von 3/4 Liter = 0,50 Fr. 2. Von

verschiedenen Likören in Flaschen von % Liter = 0,30 Fr. 3. Von Kaffee und Surrogat (Zichorien) 0,16 Fr. pro kg. 4. Von Tee in Paketen und Schachteln ohne Unterschied 0,80 Fr. pro kg. 5. Von Tee in Kästen 0,20 Fr. pro kg. 6. Von Makkaroni, Fadennudeln, Graupen, Grieß, Stärke, Seife, Zitronen, Apfelsinen, Rosinen, Feigen, Datteln, Mandeln, Erdnüssen, Oel u. dgl. 0,08 Fr. pro kg. 7. Von Oelbaumfrüchten 0,04 Fr. pro kg. 8. Von Kaviar u. dgl. 0,80 Fr. pro kg. 9. Von Austern, Achtapod, eingemachten Früchten u. dgl. 0,16 Fr. pro kg. 10. Von Kerzen 0,08 Fr. pro kg. 11. Petroleum 0,03 Fr. pro kg. 12. Von Schweizerkäse, Holländerkäse u. dgl. 0,32 Fr. pro kg. 13. Von frischen Fischen 0,04 Fr. pro kg. 14. Von allen anderen Waren, die im Gesetz nicht aufgezählt sind, werden 2 % ad valorem erhoben1).

Die Erhebung der Abgaben von den inländischen Waren (Wein und Schnaps ausgenommen) geschieht durch staatliche Beamte bei den Fabriken und von allen ausländischen Waren bei den Zollämtern.

Der Gemeindeoktroiabgabe unterliegen nach dem Gesetze (Art. 4) auch die Weinberge2) und zwar zahlen

Weinberge von I. Qualität 1,20 Fr. pro Dekar Oktroiabgabe „ II. „ 1,00 „ „ „ III. „ 0,75 „ „ „ IV. „ 0,50 „ „ „ V. „ 0,25 „ „ „

Die Erhebung dieser Abgabe wird zusammen mit der Grundsteuer durch die Staatssteuereinnehmer vorgenommen3).

Die Verteilung der auf diese Weise erhobenen Einnahmen geschieht alle 3 Monate unter die Gemeinden. Die Ausgaben zur Unterhaltung der hierzu besonders geschaffenen Abteilung für die Gemeindeoktroiabgaben bei dem Mini- sterium der Finanzen werden abgezogen. Somit erhalten ungefähr:

1. Die städtischen Gemeinden mit mehr als 45,000 Einwohnern 16 Fr. pro Kopf der Bevölkerung4).

2. Mit 25,000-45,000 Einwohnern 11 Fr. pro Kopf 3. „ 12,000-25,000 „ 8 „ „ 4. „ 6,000-12,000 „ 6 „ „ 5. „ 2,000- 6,000 „ 5 „ „ 6. Die ländlichen Gemeinden 0,50 Fr. pro Kopf der Bevölkerung. Durch dieses Gesetz5) wurden die schädlichen Zollgrenzen im Lande auf-

J) Die Höhe der Abgabe aller bisher angeführten inländischen und ausländischen Gegenstände wurde mit der Aeuderung des Gesetzes von 1903 (30. Dez.) um 50<>/0 vermehrt. Punkt 14 wurde im Jahre 1U05 in folgendem Sinne abgeändert. Von allen anderen Waren werden 20°/0 erhoben, gerechnet nach dem Zoll, dem sie unterliegen. Die Aenderung tritt dann in Kraft, wenn der neue Zolltarif in Kraft tritt.

2) Die neubepflanzten amerikanischen Weinberge bleiben 5 Jahre lang abgabefrei. 3) Diese Abgabe von Weinbergen wurde durch die Aenderung des Gesetzes von 1905

abgeschafft. 4) Die Gemeinde der Stadt Sofia bekommt nach der Aenderung des Gesetzes von

1903 = 20 Fr. pro Kopf der Bevölkerung. &) Vgl. Nikiphoroff a. a. O. S. 93-96.

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202 Weiss-Bartenstein,

gehoben und der Schmuggel beschränkt. Anderseits hatten die neuen Bestim- mungen eine Besserung der sozialpolitischen Wirkungen zur Folge, incfem die Rohstoffe, Brennmaterialien und die nötigsten Lebensmittel entlastet wurden, so dass sowohl die gesamte Produktion Bulgariens erleichtert, als auch die ärmeren Klassen von der Kopfsteuer befreit wurden. Dagegen wurden Gegenstände des verfeinerten Lebensgenusses oder des Luxus stärker zur Besteuerung heran- gezogen. Ausserde m wurde der Art. 10 des Handelsvertrages zwischen Bulgarien und Oesterreich-Ungarn zur höheren Besteuerung der Produkte dieses Haupt- importeurs benützt, nach welchem für diese Waren die Erhebung von Akzisen und Oktroi gestattet war. In den städtischen Gemeinden betrugen nunmehr die Oktroieinkünfte 30 - 40 % der gesamten städtischen Einnahme und wurden hauptsächlich zur Zinszahlung und Tilgung der Stadtanleihen benützt.

Da die Hauptstadt Sofia grössere Arbeiten, wie Kanalisation, Pflasterung, Wasserleitung und andere hygienische und kulturelle Anlagen im Bau hatte, benötigte sie grösserer Einkünfte. Infolgedessen wurde der Gemeinde seit dem Jahre 1904 die Erhebung eines Oktroi auf Wein gestattet. Wein im Fass wurde pro Liter mit 0,06 Fr. und in Flaschen mit 0,75 Fr. besteuert, sobald er in die Stadt eingeführt wurde.

Nach einem am 2./15. März 1915 in Kraft getretenen Gesetz 1) vom 25. Februar (a. St.) 1915, ist das Gemeindeabgabengesetz2) geändert worden, so dass die Gemeindeabgabe von den nachstehend aufgeführten inländischen und ausländischen Waren in folgender Höhe erhoben wird:

1. Spiritus, Branntwein, Rum und Kognak, nach dem' Geilüsakschen Alkoholmeter gemessen bei 15° C. (12° R.) Normaltemperatur 1 Liter und Io •74 Cts.3).

2. Bier in Fässern und Flaschen r Liter 6 Cts. 3. Ausländische Weine aller Art in Fässern 1 Liter 6 Cts. 4. Zucker und Zuckerwaren (wie Rahat-Lokum, Halwa, Kandiszucker,

Bonbons, Schokolade und andere Zuckerwaren oder verzuckerte Waren, Glykose, Kartoffel- und Fruchtsirup, Marmelade, Fruchtteig, Madjums) und überhaupt alle gezuckerten Esswaren 1 kg 6 Cts.

5. Geschnittener Tabak, Zigarren, Zigaretten und Schnupftabak:

Extraqualität 1 kg 1,50 Fr. I. Qualität 1 „ 0,74 „ II. „ 1 „ 0,45 „

III. „ 1 „ 0,15 „ 4). 6. Ausländische Weine aller Art in versiegelten Flaschen 1 Liter 1 Fr.5) 7. Liköre aller Art: Absinth, Bitter, Curauro, Vanille, Wodka u. a., in

Fässern oder Flaschen, ferner ausländischer Rum und Kognak in Flaschen 1 Liter 0,80 Fr.

!) Nachrichten, April 11)15, Nr. 2H, S. 7. 2) Deutsches Handels-Archiv 1900, Bd. 1, S. :ji;5 und HM)t>, Bd. 1, S. 79s. ;l) Für den zum Heizen, zur Beleuchtung und zu gewerblichen Zwecken bestimmten

vergällten Spiritus wird eine Abgabe von 5 Cents für l Liter Spiritus von 100« erhoben. *) Zigarren und Turabeki (geschnittener Tabak für Nargile) gehören zur KxtraqualiUfc,

der Schnupftabak zur II. Qualität. 6) Medizinische Weiue unterliegen einer Gemeindeabgabe nach Ziff. lì).

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Finanzpolitik und Finanzwesen Bulgariens. 203

8. Kaffee, Zichorie und andere Kaffeeersatzstoffe 1 kg 0,24 Fr. 9. Tee in Paketen und Kisten bis zu 1 kg Gewicht 1 kg 1,20 Fr.

10. Tee in Paketen, Kisten und andaren Umschliessungen im Gewichte von mehr als 1 kg, 1 kg 0,30 Fr.

11. Makkaroni, Fadennudeln, Zwieback (in Fässern oder Büchsen), Biskuit ohne Zuckerzusatz, Grieß, Stärkemehl und Stärke, Grütze, Sago, Wasebseife, Zitronen, Apfelsinen, Mandarinen, Rosinen, Feigen, Datteln, Mandeln, Pista- zien, Johannisbrot, Bananen und andere Südfrüchte; ferner Olivenöl und andere Pflanzenöle zu Genusszwecken, Tahin, Anis, Hemsel und eingemachte Oliven 1 kg 0,12 Fr.

12. Gesalzene Oliven und Kichererbsen 1 kg 0,06 Fr. 13. Schwarzer Kaviar und Fischrogen 1 kg 1,20 Fr. 14. Austern, Langusten, Hechtkaviar, marinierte, eingemachte, getrocknete

oder geräucherte Fische 1 kg 0,20 Fr. 15. Stearin-, Walrat- und andere Kerzen 1 kg 0,12 Fr. 16. Petroleum, Benzin und andere Mineralöle zu Leucht- und Heizzwecken

1 kg 472 Cts. 17. Schweizer, Holländer Käse und andere Käsesorten dieser Art 1 kg 48 Cts. 18. Frische Fische 1 kg 6 Cts. 19. Alle anderen vorstehend nicht aufgeführten ausländischen Waren unter-

liegen einer Gemeindeabgabe von 20 v. H. des auf sie entfallenden Einfuhrzolls. Die Gemeindeabgabe wird nach dem Reingewichte der Ware erhoben;

von ihr sind diejenigen Waren befreit, die auf (¿rund des Zollgesetzes1) Zollfreiheit geniessen.

Es war ein dauerndes Steigen der Oktroieinnahmen zu bemerken, das auf den steigenden Wohlstand und der Hand in Hand mit der Kultur gehenden Ver- grösserung der Lebensbedürfnisse im bulgarischen Volke schliessen lässt. Da man dennoch kein übertriebenes Wohlleben feststellen kann, welches über den Rahmen der produktiven Kräfte des Landes hinausgeht, so ist dieser Umstand nur freudig zu begrüssen und wird nach dem Weltkriege auch besonders dem deutschen Handel zugute kommen.

B. Gebühren. Von grosser Bedeutung in der Finanzwirtschaft der bulgarischen (¿emeinden

ist die Erhebung von Gebühren, da die (¿emeinden kaum berechtigt sind, selb- ständige Steuern zu erheben. Das Gebührenwesen der bulgarischen Gemeinden ist vollkommen gutzuheissen , da grosse „ Wechselbeziehungen zwischen den Leistungen der Behörden und den Interessen der Bürger vorhanden sind.

Die Gemeindegebühren2) sind in zwei Arten zu teilen: 1. Die Gebühren, deren Maximum im (¿emeindegesetz festgesetzt ist, und 2. Gebühren, welche vom Gemeinderate innerhalb seiner Befugnisse be-

stimmt werden. Unter den Gebühren der ersten Art finden wir eine bei dem Verkauf von

Grossvieh auf Wochenmärkten erhobene Gebühr, welche nach dem (¿emeinde- gesetz nicht mehr als 2 % des Wertes betragen darf (für die Gemeinde Sofia aber

'» Deutsches Hnndels-Archiv 1907, Bd. 1, S. C5¿. -) Näheres über die Geineiudegebühren bei N i k i |> li o r o f f a. >'. 0. S. i>s - hm.

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204 Weiss-Bartenstein,

3 %). Dieses heute noch geltende Gesetz war schon während der türkischen Herrschaft in Kraft. Da eine Kontrolle über den Handel mit Vieh besteht, so werden von der Gemeinde über die abgeschlossenen Geschäfte Zeugnisse aus- gestellt, zum Beweise, dass der Verkäufer der rechtmässige Besitzer des Viehs und der Käufer der rechtmässige Enverber ist. Infolgedessen muss der Ver- käufer, um das Vieh auf einem der Viehmärkte verkaufen zu können, ein Zeugnis vorzeigen, in dem er als Besitzer der Tiere genannt ist. Für die Ausstellung eines solchen Zeugnisses wird der Gemeinde eine Gebühr im Rahmen der vorerwähnten Beschränkung, jetzt 0,20 Fr., bezahlt, ausserdem wird noch ein Zuschlag von 5 % für „Intisapgebühr"1), um einen Fonds für die Episootien zu schaffen, er- hoben, welchen das Gesetz von 1897 über die sanitär- veterinärpolizeilichen Mass- nahmen vorschreibt. Das Ministerium für Handel und Landwirtschaft verwendet die durch den oben erwähnten Zuschlag zusammengekommene Summe zur Ver- hütung von Viehkrankheiten und zur Entschädigung der Besitzer von erkranktem, eingegangenem oder getötetem Vieh. Erhoben wird diese Gebühr entweder durch die Agenten der Gemeinde oder, im Falle der Verpachtung, durch den Pächter. Die Einnahmen aus dieser Gebühr zeigen in allen städtischen Gemeinde- budgets ein stetiges Steigen.

In dieselbe Gruppe gehört die Schlachtgebühr, die in den ländlichen, wie auch in den städtischen Gemeinden erhoben wird. Die ländlichen Gemeinden erheben die Gebühr pro Kopf des Viehs, nämlich 1 Fr. für das Grossvieh, 0,40 Fr. für ein, Schwein, 0,20 Fr. für eine Ziege und ein Schaf und 0,10 Fr. für ein Ferkel, Lamm u. dgl. Die städtischen Gemeinden dagegen erheben für 1 kg des für den städtischen Verbrauch in der Stadt geschlachteten Viehs 0,05 Fr., nur die Ge- meinde der Stadt Sofia 0,10 Fr. für 1 kg reines Fleisch (ohne Kopf, Fell und Beine des Tieres). Wird das Fleisch der geschlachteten Tiere zur Herstellung von Fleischkonserven gebraucht, so ist nur eine Gebühr von 0,02 Fr. für 1 kg zu ent- richten. Auch von dieser Gebühr wird für Episootien ein Zuschlag von 5 % erhoben. Das Schlachten des Viehs muss in den Schlachthäusern vorgenommen werden, die jede Gemeinde zu bauen hat und in denen sanitär- veterinäres Personal gehalten werden muss, um das Fleisch zu beschauen. Meistens Wird der 5%ige Zuschlag von Pächtern erhoben. Auch in dieser Gebühr kann man den Grund- gedanken des Gebührenwesens beobachten. Aus dieser Gebühr haben die Ge- meinden eine ziemlich grosse Einnahme, welche in den städtischen Budgets sogar die dritte Stelle einnimmt.

Die Gewichts- und Massgebühren werden wie folgt erhoben von Waren, die auf den Wochenmärkten, auf Strassen und Plätzen veräussert werden, und zwar 0,02 Fr. von je 10 kg (aufwärts von 50 kg) beim Wiegen und 0,02 Fr. von jedem Doppeldekaliter (1 Krina = 20 Liter) beim Mass. In den türkischen und den späteren Gesetzen sind diese Gebühren auch zu finden, damals wurden sie als Entgelt für den Gebrauch des offiziellen Gewichtes und Masses und für die Angestellten, die das Wiegen und Messen der Waren unter sich hatten, von den Gemeinden erhoben. Damit eine Uebervorteilung von Seiten des Verkäufers nicht zu häufig stattfand, überwachten Staat und Gemeinden den Gebrauch der richtigen Gewichte und Masse.

!) Intisiip ist die übernommene türkische Bezeichnung der Gebühr. 662

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Finanzpolitik und Finanzwesen Bulgariens. 205

Das Gemeindegesetz von 1902 lässt die Gebühren nur erheben, wenn der An- oder Verkäufer verlangt, dass die Menge der Ware nach dem offiziellen Ge- meindegewicht und Mass festgestellt werden soll. Das Jahr 1904 machte die Erhebung der Gebühren obligatorisch, d. h. Gebühren wurden von allen Waren erhoben, gleichviel ob sie mit amtlichen oder privaten Gewichten oder Massen gewogen oder gemessen waren. Auch aus diesen Gebühren schöpfen die Ge- meinden, besonders diejenigen, in denen der Getreidehandel vorherrscht, grosse Einnahmen. Da diese Gebühren aber für die Ausfuhr sehr lästig waren, befreite das Gesetz von 1904 Kohlen aus den bulgarischen Staatsbergwerken und das Seesalz gänzlich, ebenso alle Waren, welche Durchgangswaren sind oder nach dem Ausland versandt werden. Die vorgenannten Waren haben die Gewichts- gebühr nur einmal zu entrichten, obgleich sie durch mehrere Hände ge- gangen sind.

Die sog. Batschgebühr ( Strassengebühr) wird von Lastwagen und Last- tieren wie folgt erhoben. Wagen haben 0,20 Fr. und Tiere 0,05 Fr. beim Ein- tritt in die Stadt zu entrichten. Wagen und Zugtiere, welche aus den Gütern der Umgegend (Kreisgebiet der Gemeinde) stammende Waren und Durch- gangswaren oder Produkte zum Selbstgebrauch befördern, sind von der Gebühr befreit. Diese Gebühr bringt keine so grosse Einnahme wie die vorerwähnten, ist aber für die Verbesserung der Strassen sehr willkommen. Ihre Erhebung ist mit grossen Unbequemlichkeiten verbunden, da sie vor dem Eingang der Stadt stattfinden muss und häufig Verkehrsstockungen, besonders an Markttagen, hervorruft. An ihre Abschaffung ist aber noch nicht zu denken, da die Städte nicht vermögend genug sind, um sich diese Einnahme entgehen zu lassen, die jährlich immerhin für einige Städte 50,000 Fr. ausmacht.

Gleichfalls werden auch von Droschken, Fahrrädern, Wagen usw. Ge- bühren von den städtischen Gemeinden erhoben, die fast ebensoviel einbringen. Desgleichen ist eine Gebühr für das Uebersetzen mit Gemeindekähnen und die Brückengebühr zu erwähnen, deren Einkünfte aber nur gering sind.

Den Besitzern von Weinbergen, Obstgärten, Rosenfeldern u. dgl. wird eine Höchstgebühr von 1 Fr. pro Dekar auferlegt. Der Gemeinderat bestimmt ihre Höhe nach der Grosse der Grundstücke und nach den Bemühungen, die die Gemeinde durch die Bewachung derselben hat. Seit dem Jahre 1899 gehen die Einkünfte in die Gemeindekasse, während früher die Besitzer den Feldhütern ihre Leistung in Geld oder Naturalien unmittelbar vergüteten. Die Einnahmen aus diesen Gebühren belaufen sich für alle städtischen Gemeinden zusammen im Jahre auf rund 200,000 Fr.

In den städtischen Gemeinden wird auch eine Plakatgebühr erhoben und zwar von den Plakaten aller Handelsbetriebe, von Schankwirten, Kauf leuten, Banken, Versicherungsgesellschaften, Firmen der Rechtsanwälte, Aerzte usw. Die Gebühr ist in verschiedene Klassen eingeteilt, von denen die erste 20 Fr., die zweite 10 Fr. und die dritte 3 Fr. zu bezahlen hat, wenn die Anschläge nur in bulgarischer Sprache abgefasst sind. Der Betrag verfünffacht sich, wenn die Schilder in bulgarischer und einer fremden Sprache angebracht sind, und ver- zehnfacht sich, wenn sie nur in einer fremden Sprache lauten. Die Plakatgebühren werden also von dem Gemeinderat in verschiedene Klassen nach der Höhe der Lizenz oder Gewerbesteuer eingeteilt. Der Gemeinderat der Stadt Sofia hat

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2Qß Weiss-Bartenstein,

die Gruppen wie folgt gesondert. Diejenigen Personen, welche über 150 Fr. Gewerbesteuer zahlen, gehören zu der ersten Klasse, zur zweiten Klasse zählen diejenigen, welche 50 - 150 Fr. entrichten, und diejenigen mit einer Gewerbe- steuer von 50 Fr. zur dritten Klasse. Wohltätigkeitsgesellschaften, die vom Staate anerkannt sind, sind von der Zahlung der Gebühren befreit. Das Budget aller städtischen Gemeinden zusammen weist eine Einnahme von rund 100,000 Fr. auf, wovon auf die Gemeinde der Stadt Sofia ca. ein Viertel entfällt, was bei dem Mangel an grösseren Städten und der ganz überragenden Bedeutung der Hauptstadt nicht wundern kann.

Bei öffentlichen Versteigerungen wird von den städtischen Gemeinden eine Gebühr bis zu 2 % vom Verkaufspreis des beweglichen oder unbeweglichen Ver- mögens erhoben. Einnahmen aus dieser Gebühr sind äusserst schwankend.

Zu der zweiten Art der Gemeindegebühren, welche vom Gemeinderate be- stimmt sind, gehören die Gebühren für Ausstellung verschiedener Zeugnisse, Kopien u. dgl.1).

a) Die Gebühr für die Erlaubnis, Fische zu fangen. Nach dem Gesetz vom 4. Februar 1883 für den Fischfang wird für die Ausstellung eines solchen Zeugnisses 1 Fr. zugunsten der Gemeinde erhoben.

b) Die Gebühr für die Ausstellung eines Zeugnisses sur Berechtigung, ein Gewehr zu tragen, gleich 0,50 Fr. (Gesetz vom 10. November 1887).

c) Zur Ausstellung eines Zeugnisses, um einen Pass für das Ausland zu bekommen, gleich 0,20 Fr. an die Gemeinde und 5 Fr. an die Bezirksverwaltung oder 1 Fr. an Grenzgemeinden, welche den Gemeindeangehörigen zu diesem Zwecke einen Ausweis für die Dauer von 15 Tagen ausstellen (Gesetz vom 17. Dezember 1880, 15. Dezember 1888 und das letzte von 1897).

Der Gemeinderat bestimmt die Höhe der Gebühr für die Ausstellung von verschiedenen Zeugnissen, Bescheinigungen, Kopien usw., die aber nicht die Höhe der Gebühr, welche der Staat erhebt, übersteigen darf. Die Bestimmung des Gemeinderates erlangt nur dann Kraft, wenn sie vom Kreisgouverneur oder für die Gemeinde der Stadt Sofia vom Minister des Innern bestätigt wird.

Solche Zeugnisse sind z. B. : a) Eigentumsausweis. (Von der Gemeinde der Stadt Sofia wird für Aus-

stellung eines solchen Zeugnisses über Vermögen, geschätzt auf 3000 Fr., eine Gebühr von 3 Fr. erhoben und darüber 1 % vom Werte des Vermögens.)

b) Beglaubigung der Garantie eines Beamten. (Von der Gemeinde der Stadt Sofia 3 Fr. für ein Zeugnis.)

c) Zeugnis für Rechtsanwaltsfähigkeit. (In Sofia 20 Fr.) d) Ehrenzeugnis zur Teilnahme an öffentlichen Arbeiten. (In Sofia 20 Fr.) e) Zeugnis für die Erzeugung und den Handel mit, oder zum Gebrauch

von Explosivstoffen. f ) Patentzeugnis für den Handel mit Alkoholgetränken wie auch mit Tabak. g) Leumundszeugnis zur Erlangung der Mitgliedschaft in einer Gemeinde.

(In Sofia 3 Fr.) h) Zeichnungen (Skizzen) vori Bauplätzen und Bauten, i) Für die Ausstellung von Dienstbüchern für Diener, welche bis 20 Fr.

i) Vgl. Nikiphoroff S. 105/ti. 66A

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Finanzpolitik und Finanzwesen Bulgariens. 207

monatlich Gehalt bekommen, 1 Fr. und 2 Fr. für höheres Einkommen. Für Kon- trolle der Bücher 0,50 Fr. (Dies gilt nur für die Gemeinde der Stadt Sofia.)

k) Bezeugung der Wahlfähigkeit für Volksvertreter. (Sofia gleich 10 Fr.) Ausserdem noch für viele andere derartige Schriftstücke, über welche der

Gemeinderat beschliesst und die wir hier nicht aufzählen können. Die städtischen Gemeinden haben ansehnliche Einkünfte aus diesen Gebühren, während die ländlichen Gemeinden nur unbedeutende Summen erzielen.

Zum Beweise, dass alle Mass- und Gewichtsapparate von der Gemeinde kontrolliert sind, werden sie gestempelt und dafür wird von den Besitzern der- selben eine Gebühr erhoben. Diese Eichgebühr unterscheidet sich von der er- wähnten Gebühr für die Benützung der Gemeindemasse. Ihre Höhe ist vom Gemeinderat in einem Tarif festgesetzt. Während der Türkenherrschaft flössen die Einnahmen in die Staatskasse, seit 1878 handhaben die Gemeinden die Kon- trolle und die Einnahmen gehen in ihre Kassen.

Auch die Gebühr für die Stempel auf Spielkarten will hier erwähnt sein, welche in ländlichen Gemeinden 0,50 Fr. und in städtischen Gemeinden 1,50 Fr. nach dem Gemeindegesetz beträgt. Domino, Billards usw. unterliegen auch der Gebühr. Desgleichen sind auch die Vergnügungsgebühren zu nennen, zu welchen man die Abgaben von Eintrittskarten zu Theatervorstellungen, Kon- zerten und sonstigen Vergnügungsveranstaltungen zählen kann.

Die Höhe der Gebühr für die Erteilung der Bauerlaubnis und der Aus- führung grosser Reparaturen wird für die einzelnen Bauten vom Gemeinderat bestimmt und muss vom Kreisgouverneur bzw. vom Minister des Innern be- stätigt werden. Diese Einnahmen aller städtischen Gemeinden zusammen kommen auf ca. 100,000 Fr. pro Jahr. Die Gebühren für die Verkaufsstände auf den Strassen und Märkten sind seit der Türkenzeit vorhanden und bringen den Ge- meinden, besonders den städtischen, eine grosse Einnahme von rund 300,000 Fr.

Die Friedhofsgebühr ist in den städtischen und ländlichen Budgets folgender- massen vorgesehen. Die Gemeinde der Stadt Sofia nimmt z. B. für eine Familien- grabstelle für fünf Personen von der I. Klasse 500 Fr., von der II. Klasse 200 Fr., von der III. Klasse 100 Fr. Für eine Grabstelle für eine Person in der I. Klasse nimmt die Gemeinde 46 Fr., II. Klasse 18 Fr. und III. Klasse 3 Fr., die Bereitung des Grabes ist mit einbegriffen. Der ärmeren Bevölkerung werden von der Ge- meinde unentgeltlich Grabstätten verliehen. Nach den Budgets aller städtischen Gemeinden waren die Einnahmen rund 25,000 Fr. pro Jahr.

Nur die städtischen Gemeinden erheben eine Gebühr für Kehrichtabfuhr, für Verbindung der Häuser mit Strassenkanalisation und für die Wasserleitung. Die Einnahmen aus der Gebühr für Kehrichtabfuhr betrugen rund 250,000 Fr., wovon allein ein Drittel auf die Gemeinde der Stadt Sofia entfällt. Die Ver- bindung der Häuser mit der Strassenkanalisation brachte eine Einnahme von rund 40,000 Fr. bzw. 25,000 Fr. Die Gebühr für die Wasserleitung 200,000 Fr. bzw. 90,000 Fr.

Desgleichen werden noch viele andere kleine Gebühren erhoben, die wegen ihrer geringen Bedeutung nicht mehr erwähnt zu werden brauchen.

Die Einnahmen aus den Geldstrafen für die verschiedenen Vergehen der Gemeindeangehörigen zählen auch zu den ordentlichen Einnahmen der Gemeinden. Sie bezifferten sich nach den Budgets aller städtischen Gemeinden auf 60,000 Fr.

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208 Weiss-Bartenstein,

V, Einnahme- und Ausgabewirtschaft der Selbstverwaltungskörper, ihre Entwicklung und ihr Stand in neuerer Zeit,

Die Einnahmen der Gemeinden in Bulgarien sind aus der Tabelle auf S. 196 u. 197 ersichtlich. Sie haben sich in den städtischen Gemeinden seit dem Jahre 1904 in gleichem Masse vermehrt wie die Ausgaben, und zwar in der Hauptsache durch ausserordentliche Einnahmen, welche im Jahre 1904 3,5 Mill. Fr. und im Jahre 1911 22 Mill. Fr. ausmachten. Besonders hoch waren die ausserordentlichen Einnahmen im Jahre 1906, nämlich 40,6 Mill. Fr. Die ordentlichen Einnahmen setzten sich hauptsächlich aus Gebühren und Zuschlagsteuern zusammen.

Die Einnahmen der ländlichen Gemeinden haben sich, entsprechend der geringeren Steigerung der Ausgaben, weniger schnell vermehrt. Die Haupt- einnahmen rühren von den Zuschlägen auf die direkten Staatssteuern her, im Verhältnis zu denen die Oktrois nur ein Fünftel betragen. Näheres zeigt die vor- erwähnte Tabelle.

Die Budgets der Kreise gestalteten sich in den letzten Jahren laut nach- stehender Tabelle. Sie haben weit weniger zugenommen, als diejenigen der Ge- meinden. Die Haupteinnahmen bilden die Zuschläge, während die Gehälter die hauptsächlichsten Ausgaben bilden. Im allgemeinen ist zu sagen, dass sowohl die Finanzen der Kreise wie der Gemeinden nicht besonders günstig sind, worauf wir bei der nachfolgenden Besprechung des Schuldenwesens der Selbstverwal- tungskörper zurückkommen werden.

Budgets der Kreise.

a) Einnahmen.

Ordentliche Ausser-

Domänen ordent- pesami- li rei s e Kreis- und andere zu- liehe betraS

zuschlage Kapi- summen talien

in Franken

1911 Burgas 247,558 56,200 7,600 311,258 85,853 397,111 Varna 807,850 28,085 9,555 346,490 171,768 517,258 Vidin 167,585 - 3,700 171,285 83,338 254,623 Vratza 244,000 3,000 7,000 254,000 80.580 334,580 Küstendil 153,369 11,000 9,200 173,569 76,806 250,375 Philippopel 336,196 11,742 16,750 364,688 234,135 598,823 Pleven 300,000 6,600 20,700 327,300 204,566 531,866 Rustschuk 300,185 9,879 68,717 378,781 117,541 496,322 Sofia 440,500 13,400 10,000 463,900 239,080 702,980 Stara Zagora .... 325,658 13,837 11,800 351,295 111,075 462,370 Tirnovo 388,774 240 7,000 316,014 238,424 554,438 Schumen . .... 206,109 7,295 7,000 220;404 110,756 331,160

zusammen für 1911 '' 3,337,784 161,278 178,922 3,677,984 1.753,922 5,431,906 1910 3,122,395 194,352 89,866 3,406,613 1,392,845 4,799,458 1909 2,742,754 138,600 70,566 2,951,920 1,515,207 4,467,127 1908 2,686,544 152,346 84,963 2,923,853 1,016,998 3,940,851 1907 2,469,980 111,151 1,147,049 3,728,180 - 3,728,180 1906 2,301,411 95,489 1,486,861 3,883,761 - 3,883,761 1905 2,088,446 254,831 850,496 3,193,781 - | 3,193>781

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Finanzpolitik und Finanzwesen Bulgariens. 209

b) Ausgaben.

Ordentliche

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tfonen S*ben in Franken

1911 Burgas 57,240 23,730 56,720 169,526 307,216 90,395 397,611 Varna 54,200 11,580 73,020 147,230 286,030 229,196 515,226 Vidin 30,020 10,050 11,900 118,336 170,306 85,316 255,622 Vratza 78,240 19,790 45,020 102,607 245,657 88,922 334,649 Küstendil 33,780 13,380 32,740 81,911 161,811 86,814 248,625 Philippopel

.... I 65,860 25,507 70,480 204,341 366,188 234,076 600,264

Pleven 97,480 10,200 35,200 181,614 324,494 207,372 531,866 RustBchuk 66,480 30,925 65,080 194,565 357,050 139,272 496,322 Sofia 125,120 9,150 102,400 194,120 430,790 272,190 702,980 Stara Za-gora .... 133,780 18,350 40,800 143,360 336,290 126,080 462,370 Tirnovo 74,900 9,900 38,470 181,987 305,257 249,122 554,879 Schumen . . . . . 44,900 12,280 49,300 108,060 214,540 116,620 331,160

zusammen für 1911 862,000 194,842 621,130 1,827,657 3,505,629 1,925,375 5,431,004 1910 821,145 157,845 539,264 1,793,558 3,311,812 1,484,862 4,796,674 1909 698,860 157,341 455,092 1,551,703 2,862,996 1,339,809 4,202,805 1908 651,558 193,259 465,514 1,547,515 2,858,114 1,067,783 3,925,897 1907 558,300 453,877 509,365 2,101,381 3,622,923 - 3,622,923 1906 531,420 429,755 588,325 2,322,635 3,872,135 - 3,872,135 1905 385,120 365,690 579,400 1,860,617 8,190,827 - 3,190,827

VI. Schuldenwesen der Selbstverwaltungskörper. 1. Allgemeines über das Schuldenwesen der Seibstverwaltungskörper.

Während wir bisher nur die ordentlichen Einnahmen der Gemeinden in Bulgarien besprochen haben, wollen wir jetzt die ausserordentlichen kurz be- handeln, welche für die Finanzwirtschaft der Kommunen wegen ihres verhältnis- mässig grossen Umfanges von erheblicher Bedeutung sind. Dies ist jedoch bei einem aufstrebenden Lande wie Bulgarien durchaus natürlich, da die neuzeit- lichen, kulturellen, hygienischen und wirtschaftlichen Bedürfnisse der Bevölke- rung, soweit dieselben bei der zunehmenden Bildung der Bulgaren Eingang ge- funden haben, nur mit ungewöhnlichen Ausgaben befriedigt werden können. Die hierzu nötigen Kapitalien können jedoch nicht nur von einer Generation aufgebracht werden, so dass es völlig gerechtfertigt ist, diese Aufwendungen nicht durch die gewöhnlichen Einnahmen und Gemeindemittel zu bestreiten, sondern den Geldbedarf durch Anleihen zu befriedigen, um so mehr als auch die zukünftigen Generationen den Nutzen von der Erfüllung derartiger Ver- waltungsaufgaben haben und deshalb auch einen Teil der Kosten tragen können.

Die Gemeinden sind nicht zur selbständigen Aufnahme von Schulden be- rechtigt, sondern bedürfen zwecks Vermeidung von Missbräuchen hierzu, der Genehmigung des Staates. Deshalb bestimmen die Gemeindegesetze, dass bei ländlichen Gemeinden ein Beschluss des Gemeinderates zur Aufnahme von Dar- lehen über 5000 Fr. gesetzlich genehmigt werden muss, für eine geringere Summe genügt ein Erlass des Königs. Desgleichen, wenn die Höhe der Schuld für städtische Gemeinden mit Budgets bis 250,000 Fr. nicht höher als 10,000 Fr. und höheren

Finanzarchiv. XXXIIT. Jahrg. 667 14

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2 JO Weiss-Bartenstein,

Budgets nicht über 20,000 Fr. ist. In allen anderen Fällen muss um die gesetzliche Genehmigung nachgesucht werden1).

Der Gemeinderat hat zu diesem Zwecke eine eingehend begründete Ein- gabe einzureichen, in welcher der Zweck, die Notwendigkeit, die Höhe, der Kredit- geber, die Frist, die Verzinsung und die jährliche Tilgung, sowie alle sonstigen Umstände genau aufzuführen sind. Nach der erhaltenen Bewilligung darf die Anleihe nur zu dem angegebenen Zweck Verwendung finden, was jedoch nicht immer innegehalten wird.

Als Kreditgeber kommen im allgemeinen nur die Nationalbank und die Agrikolbank in Betracht2); letztere gewährt Darlehen hauptsächlich für land- wirtschaftliche Verbesserungen. Aeusserst selten treten als Kreditgeber private Gesellschaften auf. Die verworrenen Besitzverhältnisse der bulgarischen Ge- meinden, sowie die übliche, überaus langsame Erledigung der Zahlungsverpflich- tungen haben zu vielen Prozessen geführt, deren Kosten, zusammen mit den aufgelaufenen Zinsen, die bei den obengenannten Banken vorhandenen beträcht- lichen Schulden der Gemeinden noch vergrössert haben.

Die Anleihen werden meist auf Grund der Verpfändung des unbeweglichen Vermögens oder Ueberschreibung der ordentlichen Gemeinde- oder Kreisein- nahmen gewährt. Bis zur völligen Rückzahlung der Anleihe darf der Wert der verpfändeten Objekte nicht willkürlich verringert werden3). Die Beleihung der- selben geschieht höchstens zu 50 % des Verkaufswertes und auf eine Frist von höchstens 30 Jahren4). Bei nicht pünktlicher Einhaltung des Anleihedienstes kann die Nationalbank eine Geldstrafe von 3 % der betreffenden Summe fordern.

2. Entwickelung des Schuldenwesens der Gemeinden und Kreise. Die Schulden aller Gemeinden in Bulgarien beliefen sich gegen Schluss

des Jahres 1896 auf 24,097,166 Fr., also 7,27 Fr. pro Kopf der Bevölkerung. Hiervon kamen auf die städtischen Gemeinden 21,947,346 Fr., also 33,19 Fr. auf den Kopf der ganzen städtischen Bevölkerung. Von dieser Summe schuldete allein die Gemeinde Sofia mehr als die Hälfte, nämlich 13,136,420 Fr. oder 281,94 Fr. pro Kopf der Bevölkerung. Die ländlichen Gemeinden waren weit Weniger verschuldet, nämlich nur in Höhe von 2,149,820 Fr., d. h. 0,81 Fr. pro Kopf der ländlichen Bevölkerung. Im Laufe der Zeit steigerte sich die starke Verschuldung der bulgarischen Gemeinden, welche seit dem Jahre 1887 begann. Bis dahin erfüllte man gewisse Gemeindeaufgaben nur im Rahmen der vor- handenen Mittel. Erst später setzte die „epidemische Krankheit" ein, zur Aus- führung grosser Neuanlagen Anleihen in hohen Beträgen aufzunehmen5).

Bis zum Jahre 1911 hatten sich die Schulden sämtlicher Gemeinden in Bulgarien fast vervierfacht und eine Höhe von 92,052,007 Fr. erreicht, wovon auf die städtischen Gemeinden 87,039,585 Fr. und auf die ländlichen 5,012,422 Fr. kamen. Allein die Schuld der Stadt Sofia betrug im Jahre 1911 52,142,910 Fr. und hat sich gegen früher ebenfalls vervierfacht.

J) Gemeindegesetz von 1902. a) Gesetz für die Landwirts eh a ftl. Bank vom 31. Dez. 1903. 3) Bankgesetz und Statut vom Jahre 1885, Art. 34 u. 45. 4) Ebenda Art. 26. &) T. Wassileff in der Schrift des bulg.-ökonom. Vereins von 1897, Bd. 11.

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Finanzpolitik und Finanzwesen Bulgariens. 211

Von den gesamten Anleihen wurden 56,973,148 Fr., also ein sehr grosser Teil, bei privaten und verschiedenen ausländischen Bankinstituten aufgenommen. Dieser Betrag setzt sich jedoch fast ganz aus den Anleihen der städtischen Ge- meinden Sofia (49,065,000 Fr.) und Varna (7,867,110 Fr.) zusammen.

Die Kreise waren im Jahre 1911 nur mit einem Betrage von ungefähr 1 Mill. Fr. und zwar nur im Inlande verschuldet1).

Wie wir schon vorher andeuteten, rührt die hohe Verschuldung der bul- garischen Gemeinden zum grossen Teil daher, dass die Anleihebeträge trotz der strengen Bestimmungen des Gesetzes nicht immer nur für ausserordentliche Bedürfnisse und für diejenigen Zwecke, für welche sie aufgenommen und vom Staate genehmigt waren, verwandt wurden, sondern auch für Ausgaben, welche entweder aus den gewöhnlichen Mitteln der Gemeinde zu decken oder überhaupt nicht notwendig waren. Da eine genügende Kontrolle fehlte, so war die kom- munale Finanzwirtschaft von Missbräuchen nicht frei. Der Anleihedienst wurde nachlässig gehandhabt, ebenso wie auch die Einlösung der sonstigen Verbindlich- keiten vielfach erst nach langwierigen Streitigkeiten mit grosser Verzögerung erfolgte, was auch heute noch sehr oft der Fall ist. Die Ursache hierfür ist die Organisation bei der Besetzung der massgebenden Beamtenstellen, welche viel- fach von Parteiinteressen, statt von dem Geist grösstmöglicher Zweckmässig- keit getragen wird.

Anderseits wurden ja auch bedeutende Summen für die Planierung der Städte, Anlegung guter Strassen, Durchführung der Kanalisation und Wasser- leitung, sowie für den Bau von Kasernen, Schulen, Krankenhäusern usw. aus- gegeben, welche bis zu einem gewissen Grade die Aufnahme von Anleihen recht- fertigten. Die überhastete Vornahme dieser Anlagen, sowie die unrichtige kom- munale Finanzwirtschaft hat einige Städte in eine sehr ungünstige finanzielle Lage gebracht, die sie aus eigenen Kräften nur schwer verbessern können. Im allgemeinen haben sie bei der Aufstellung des Budgets die Einnahmen stets zu hoch angesetzt und die Ausgaben zu niedrig, so dass sie am Schluss des Jahres unerwartete Defizits hatten, die mit irgendwelchen Mitteln zugestopft werden mussten und die Verschuldung stets vergrösserten.

Eine Besserung dieser Verhältnisse ist dringend wünschenswert und kann nur durch eine energischere Einwirkung der staatlichen Autorität auf die kommunale Finanzwirtschaft, sowie durch die Besetzung der massgebenden Beamtenstellen mit solchen Kräften erreicht werden, welche die nötigen finanzwirtschaftlichen Kenntnisse, sowie das volle Verantwortlichkeitsgefühl für ihre Handlungen haben.

Nach Nikiphoroff2) wären folgende Einzelmassnahmen zur Besse- rung der finanziellen Lage der Gemeinden zu empfehlen:

1. Die Gemeinden müssen sich in den Grenzen ihrer rein wirtschaftlichen und finanziellen Verpflichtungen beschränken und die Parteikämpfe in den Gemeinden aufhören. Auf diese Weise würde die Möglichkeit gegeben, an die Spitze der Gemeinden die würdigsten und ehrenhaftesten unter den Gemeinde- angehörigen zu wählen, welche ihrerseits das Gedeihen der Gemeinde zu er- streben haben.

J) Letztes Statist. Jahrb. des Königr. Bulgarien für 1911, erschienen Ende 1914. 2) Nikiphoroff, Wesen und Finanzen der Gemeinden in Bulgarien, Halle a. S.

1907, S. 116 f. 669

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Page 87: Finanzpolitik und Finanzwesen Bulgariens

212 Weiss-Bartenstein,

2. Die Kontrolle des Staates über die Tätigkeit der Gemeindeverwaltung muss tatsächlich ausgeübt werden.

3. Die Genehmigung zur Aufnahme einer Anleihe darf nur dann gegeben werden, wenn die Notwendigkeit bzw. die Nützlichkeit der bezüglichen Auf- wendung genügend festgestellt worden ist.

4. Es wäre auch wünschenswert, bei der Aufnahme von Anleihen und der Errichtung von grossen Neuanlagen auch die Meinung der Gemeindeangehörigen zu berücksichtigen.

5. Alle Bestimmungen der Gemeindegesetze dürfen nicht bloss auf dem Papier stehen, sondern müssen in Wirklichkeit genau erfüllt werden.

6. Das Gemeindebudget muss richtig aufgestellt und ausgeführt werden. 7. Viele Ausgaben für den Verwaltungsapparat müssen vermindert werden,

indem viele unnötige Dienste abgeschafft werden. 8. Der Staat muss (und das liegt in seinem Interesse) eine Anleihe zur Aus-

zahlung der Schulden der in finanzieller Beziehung am schlechtesten stehenden Gemeinden aufnehmen, weil er zu jeder Zeit eine solche Anleihe unter den besten Bedingungen abschliessen kann, was die einzelnen Gemeinden nur schwer und meist unter ungünstigen Bedingungen erlangen können. Als Garantie kann der Staat sich einige Einnahmen der Gemeinden verschreiben, welche sonst bei der Aufnahme von Anleihen den Kreditgebern als Pfand von den Gemeinden ge- geben werden.

Auch das ausländische Kapital ist in Bulgarien in Form von Kommunal- anleihen angelegt. Betrachten wir diese Anleihen zuerst in der Gemeinde der Hauptstadt Sofia.

3. Anleihen der Gemeinde Sofia. Als Sofia bald nach der Befreiung zur Haupt- und Residenzstadt erhoben

wurde, war die Gemeinde nach Möglichkeit bestrebt, der Stadt einen gross- städtischen Anstrich zu geben, indem sie gute Strassen anlegte, die Schulen und öffentlichen Gebäude verbesserte und für gute Beleuchtung sorgte. Ausserdem musste Wasserleitung und Kanalisation angelegt werden. Natürlich war die Gemeinde nicht imstande, diese Kosten aus ordentlichen Einnahmen aufzubringen. Die Bevölkerungszahl der neuen Hauptstadt stieg ziemlich schnell und ver- grösserte somit noch erheblich die Ausgaben. Die ordentlichen Einnahmen reichten jedoch nicht aus, die notwendigsten Arbeiten in Angriff zu nehmen, so dass die Stadt zum Hilfsmittel der Anleihe greifen musste und zwar, da im Inlande die entsprechend hohen Summen nicht aufzubringen waren, zu ausländischen.

Die erste auswärtige Anleihe der Stadt Sofia fiel schon in die Periode, in welcher auch der Staat die Anleihepolitik aufnahm, da im eigenen Land natur- gemäss kein Geld verfügbar war. Im Jahre 1889 schloss Sofia eine Anleihe von 10,000,000 Fr. mit der Anglo-Foreignbank in London für folgende Zwecke:

1. für die elektrische Beleuchtung der Stadt; 2. für die Anlegung von neuen Strassen; 3. für die Anlage von Wasserleitungen. Als Garantie für die Sicherung der Anleihe gelten die Gemeindeeinnahmen

vom Oktroi, die Wägegebühren, die Gemeindeeinnahmen von dem Verkauf des Grossviehes, die Einnahmen für Viehschlachten in der städtischen Schlächterei,

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Finanzpolitik und Finanzwesen Bulgariens. 213

die Miete der unbeweglichen Gemeindegüter und alle Einnahmen, welche aus den Arbeiten, für welche die Anleihe abgeschlossen wurde, entstehen.

Die obenerwähnten Bauten konnten von dem Erlös der Anleihe aber nicht beendigt werden, da auch eine beträchtliche Summe für „moderne Einrichtungen" und für die „Verschönerung" der Stadt ausgegeben worden war. Es bedurfte nqch vier neuer Anleihen, die mit dem Staat, der Nationalbank und der Land- wirtschaftlichen Bank in Höhe von 11,744,800 Fr. abgeschlossen wurden, um die Verbesserungsarbeiten weiter zu führen. Erst im Jahre 1901 wurde eine Wasserleitung angelegt, die jedoch recht primitiv genannt werden kann.

Oft vergab die Stadt grosse Arbeiten an eine Gesellschaft auf Grund einer Konzession, die für die Kapitalanlage vollauf entschädigte und die Möglichkeit zur baldigen Abschreibung aus den Gewinnen bot. So erhielt eine französische Gesellschaft im Jahre 1898 die Konzession, elektrische Beleuchtung und Strassen- bahnen einzurichten. Durch diese Konzession hat die Gemeinde sich aber einen erheblichen Verdienst entschlüpfen lassen, denn hätte sie selbst die elektrische Versorgung der Stadt übernommen, wäre ein einträglicher jährlicher Ueber- schuss in ihre Kasse geflossen.

Im Jahre 1906 wurde mit der Berliner Handelsgesellschaft und der Bank für Handel und Industrie die grösste Anleihe der Stadt Sofia im Ausland zu 5 % Zinsen abgeschlossen. Der Zessionskurs belief sich auf 81 %. Die Anleihe wurde für den Zeitraum von 50 Jahren aufgenommen und zwar in Höhe von 35,000,000 Fr. Die näheren Bedingungen der Anleihe wurden durch ein Gesetz vom 25. Ja- nuar/7. Februar 1906 von der bulgarischen Nationalversammlung genehmigt und waren die folgenden: Der bulgarische Staat übernahm die Garantie für die Ver- zinsung und planmässige Rückzahlung mit Wirkung vom 30. November 1908 ab. Für den Anleihedienst wurden folgende städtische Einkünfte verpfändet: a) der Oktroi, b) die Schlachtgebühr, c) die Steuer auf die die Stadt betretenden Last- wagen und Lasttiere, d) die Mietzinsen der städtischen Liegenschaften, e) die Wasserverbrauchsgebühren. Die verpfändeten Einkünfte werden unter Auf- sicht des Staates vereinnahmt, unmittelbar an die Banken abgeführt und durften während der ganzen Dauer der Anleihe weder verändert, noch aufge- hoben werden, es sei denn, dass sie ergänzt oder ersetzt wurden durch andere gleichwertige Einkünfte; dies galt jedoch nicht für die Oktroisteuer, welche, soweit sie der Stadt Sofia zufliesst, weder aufgehoben noch ermässigt werden konnte. Die Schuldverschreibungen mussten von allen Staatsbehörden, allen Bezirksverbänden und allen Kommunen des Fürstentums zu ihrem Nennwerte zur Sicherstellung angenommen werden, ebenso die fälligen Zinsscheine als Zah- lung für alle Steuern und Abgaben. Die Anleihe wurde für immer befreit von allen Steuern und Abgaben des Staates, der Bezirksverbände und der Kommunen.

Die Mittel der Anleihe ' waren von der Stadt unter Aufsicht des Staates zu folgenden Zwecken zu verwenden:

a) zur Rückzahlung der städtischen Anleihe bei der Anglo-Foreign Banking Company Limited in London im Betrage von ungefähr 7,700,000 Fr. (genau ohne Zinsen 7,433,000 Fr.);

b) zur Rückzahlung der Anleihe bei der Bulgarischen Nationalbank von ungefähr 5,400,000 Fr., der laufenden Rechnung bei derselben Bank von rund 300,000 Fr., der Anleihe bei der Bulgarischen Landwirtschaftlichen Bank im

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2J4 Weiss-Bartenstein,

Betrage von ungefähr 2,370,000 Fr. und der bei der Staatskasse aufgenommenen Kanalisationsanleihe im Betrage von ungefähr 3,150,000 Fr.;

c) zur Bezahlung der im öffentlichen Interesse enteigneten Liegenschaften und anderer schwebender städtischer Schulden im Betrage von ungefähr 1,100,000 Fr.;

d) zum Bau eines städtischen Mineralbades, eines Badehotels, zur Strassen- pflasterung und Anlage neuer Strassen, zum Bau einer Markthalle, eines Schlacht- hauses, von Kloaken und zur Vollendung der städtischen Wasserleitungsarbeiten, der Flussregulierung, sowie der Brückenbauten im Gesamtbetrage von ungefähr 6,800,000 Fr.;

e) zu Zinsen, Spesen und Reservestellungen in Höhe des Restbetrages. Der Anleihedienst musste im ausserordentlichen Teil des städtischen Bud-

gets unter dem Abschnitt „Einnahmen und Ausgaben" den bestehenden Vor- schriften entsprechend eingestellt werden. Der Staat war berechtigt, eine Auf- sicht über die Anleihe, sowie über die städtischen Finanzen im allgemeinen aus- zuüben. Die Schuldverschreibungen dieser Anleihe waren zu 5 % vom Nenn- werte jährlich verzinslich. Die Rückzahlung der Anleihe sollte zum Nennwerte in 50 Jahren geschehen1).

Auch die Summe der letzten Anleihe genügte nicht für die Fertigstellung der Bauten, für die sie aufgenommen war, da man mit Absicht niedrigere Summen für die dagegen zu errichtenden Anlagen genannt hatte. So kostete z. B. der Bau der Markthalle, welcher mit einer halben Million angegeben war, nach seiner Fertigstellung 1V2 Mill. Fr.; desgleichen betrugen die Kosten für die Mineral- bäder 21/2 Mill. Fr. und nicht wie vorher angegeben worden war, 1 Mill. Fr.

Durch die Verpfändung der wichtigsten Gemeindeeinnahmen verlor die Gemeinde einen Teil ihrer Bewegungsfreiheit und schliesslich führte die städtische Finanzwirtschaft dazu, dass sie zur Befriedigung neuer Bedürfnisse stets auf ausserordentliche Einnahmen rechnen musste. Jahrelang hatte die Gemeinde ihre ausserordentlichen Einnahmen zu unproduktiven Zwecken verbraucht, so dass die Einnahmen aus diesen Anlagen jetzt sehr gering sind. Infolgedessen musste sie, entgegen den Regeln der Finanzwissenschaft, die ordentlichen Ein- nahmen zur Tilgung der Anleihen benützen. Man hatte eben die Bestimmungen des Gesetzes für die Stadtgemeinden nicht genügend beachtet, welches in Art. 93 als ausserordentliche Ausgaben diejenigen kennzeichnet, welche zur Herstellung von Strassen, Brücken, Wasserleitungen, für die Gründung von höheren Lehr- anstalten und andere derartige gemeinnützige Anlagen notwendig sind.

Die ausserordentlichen Einnahmen der Gemeinde betrugen in den Jahren 1887 - 1908 folgende Summen:

Aus dem Verkauf von beweglichen und unbeweglichen Gemeinde werten 5,659,760.52 Fr. und aus den Anleihen 29,512,188.39 Fr.; insgesamt also 35,171,948.91 Fr. Für diese Summe, deren Aufbringung mit der Nützlichkeit der Ausgaben, zu welchen sie verbraucht werden sollte, gerechtfertigt wurde, besass die Gemeinde gemäss ihren eigenen Schätzungen am 1. Januar 1909 fol- gende Besitzungen2):

') Anleihenrospekt. 2) Vgl. D a s k a 1 o f f a. a. O. S. 115I6.

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Finanzpolitik und Finanzwesen Bulgariens. 215

1. Strassen, chaussiert und gepflastert 5,123,968 Fr. 2. Schulgebäude 500,000 „ 3. Krankenhäuser 40,000 „ 4. Einnahmenbringende Gebäude . . 1,800,000 „ 5. Andere Gebäude, sowie das Rathaus 550,000 „ 6. Wasserleitung und Kanalisation . 4,500,000 „ 7. Badehäuser 2,000,000 „ 8. Schlächtereien und Markthallen . 1,100,000 „

Im ganzen 15,613,968 Fr.

Diese Gemeindebesitzungen sind grösstenteils mit ausserordentlichen Ein- nahmen erworben worden, doch sind obige Summen die Marktwerte, da die Ge- meinde ihre Immobilien nicht zum Anschaffungswerte in Rechnung stellt. Die damaligen Anlagekosten waren aber im Gegensatz zum heutigen Marktwerte bedeutend höher, trotzdem die Werte sich durch die Steigerung der Grundrente in der aufblühenden Hauptstadt in den letzten 25 Jahren stark vergrössert haben. Wir brauchen jedoch diesen Wertzuwachs der Grundstücke nicht einmal zu be- rücksichtigen, um zu zeigen, dass das Wirtschaftssystem der Stadtgemeinde nicht dazu geführt hat, für die gemachten Ausgaben auch zum mindesten die gleichwertigen Anlagen zu erhalten.

Rechnen wir die von der Gemeinde für Hinterlegungen usw. benützten Summen, deren Höhe sich am 1. Januar 1909 auf 5,731,875 Fr. belief, zu den umstehenden Marktwerten der Anlagen hinzu, so ergibt sich ein Betrag von 21,327,843 Fr., welcher in wirtschaftlichen Werten vorhanden ist. Für die Er- werbung dieser Güter hat die Stadtgemeinde ausserordentliche Einnahmen im Betrage von 35,171,948 Fr. aufgewendet, was einen Fehlbetrag von 13,841,405 Fr. ergibt. Hierbei ist noch zu berücksichtigen, dass ein Teil dieser Werte schon vorhanden war, bevor im Jahre 1887 die erste Anleihe aufgenommen wurde. Somit vergrössert sich der Ausfall noch.

Führen wir uns ferner vor Augen, dass die gesamten Stadtbesitzungen nur etwa den vierten Teil von den Summen, den der Schuldendienst erfordert, an Einnahmen bringen, so verdüstert sich das Bild noch mehr. Am 1. Januar 1909 hatte die Gemeinde Sofia 38,177,500 Fr. konsolidierte und 523,521 Fr. schwebende Schulden. Diese Last von zusammen 38,641,021 Fr. ist für die Budgetverhält- nisse der Stadt ausserordentlich gross, so dass die Ausgaben für den Anleihedienst mehr als die Hälfte der Gesamtausgaben beanspruchen, und zwar 54 v. H.

Rechnet man hierzu noch die Ausgaben von 20 % für das Personal, so bleiben im günstigsten Falle nur noch 26 % von den ordentlichen Einnahmen für andere Zwecke zur Verfügung. Allerdings war dies Verhältnis in früheren Jahren besser. Da die Steuerschraube schon recht stark angezogen ist, so dürfte eine Steigerung der Einnahmen auf diesem Wege nicht zu erwarten sein. Des- halb werden auch in Zukunft die freien Mittel nicht ausreichen, grosse gemein- nützige Einrichtungen mit den Mitteln der ordentlichen Einnahmen ins Leben zu rufen.

Da aber auch die Mittel der Anleihe von 1906 zur Durchführung der not- wendigsten Aufgaben, wie zur Pflasterung der Strassen, Erweiterung der Kanali- sation und der Wasserleitung nicht gereicht hatten und die Anforderungen an den

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21g Weiss-Bartenstein,

Stadtsäckel von Tag zu Tag wuchsen, so musste bald eine neue Anleihe abgeschlossen werden. Diese wurde bei der Allgemeinen Verkehrsbank in Wien aufgenommen, und zwar ungefähr auf der gleichen Grundlage wie die Staatsanleihe von 1909. Eine Verpfändung der Gemeindeeinnahmen fand nicht statt.

Die Stadtgemeinde Sofia emittierte zufolge des Gemeinderatsbeschlusse» vom 21. Dezember 1909 und auf Grund des Gesetzes vom 15. Februar 1910 diese Anleihe in der Höhe von 15,000,000 Fr. in Gold, verzinslich mit 472 %> zum Zessionskurs von 87 %. Der aus dieser Anleihe zu erzielende Erlös sollte zufolge gesetzlicher Bestimmung und unter der Kontrolle des Staates für die nachfolgen- den Zwecke verwendet werden:

1. Zur Pflasterung 5,100,000 Fr. 2. Zur Kanalisation, Flussregulierung, Wasser-

leitungs- und Reservoirbauten 3,850,000 „ 3. Zur Errichtung von Gebäuden für Schulen . 2,500,000 „ 4. Für billige Wohnungen 200,000 „ 5. Zur Aufforstung der Grenzen der Gemeinde-

wiesen 200,000 „ 6. Zur Enteignung der Wässer des Vitosch . . 500,000 „ 7. Zur Errichtung eines Schlachthauses . . . 700,000 „

Die alljährlichen Ausgaben aus der vorstehenden Anleihe sollten im Ge- meindebudget nachgewiesen werden. Für die pünktliche Verzinsung und richtige Kapitalrückzahlung haftete die Stadtgemeinde Sofia mit ihrem gesamten be- weglichen und unbeweglichen Vermögen und den ihr gesetzlich zustehenden Einkünften, ausserdem haftete das Königreich Bulgarien zufolge des Gesetzes vom 15. Februar 1910 für die Verzinsung und Rückzahlung der Anleihe.

Die Stadtgemeinde Sofia behält sich aber das Recht vor, vom Jahre 1915 angefangen, in dem einen oder dem anderen Jahre der planmässigen Tilgungs- periode nach freiem Ermessen auch eine grössere Zahl von Schuldverschreibungen, als nach dem Tilgungsplane bestimmt ist, auszulosen oder auch sämtliche noch nicht ausgelosten Schuldverschreibungen halbjährig aufzukündigen und zum vollen Nennwerte an den Ueberbringer rückzuzahlen1).

Die Ergebnisse der letzten Haushaltungsabschlüsse der Stadtgemeinde Sofia wurden vor Abschluss der Anleihe rechnungsmässig wie folgt aufgestellt:

1907 Ordentliche und ausserordentliche Einnahmen 5,198,869.89 Fr. Ordentliche und ausserordentliche Ausgaben . 4,866,188.64 „

Ueberschuss 332,681.25 Fr.

1908 Ordentliche und ausserordentliche Einnahmen 5,432,874.18 Fr. Ordentliche und ausserordentliche Ausgaben . 4,714,462.30 „

Ueberschuss 718,411.88 Fr.

J) Aus dem Alileiheprospekt. 674

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Finanzpolitik und Finanzwesen Bulgariens. 217

Der Voranschlag für das Jahr 1909 weist folgende Ziffern auf: Ordentliche Einnahmen 4,182,310.- Fr. Ordentliche Ausgaben 4,174,410. - „

Ueberschuss 7,900.- Fr.

Ausserordentliche Einnahmen 4,443,080. - Fr. Ausserordentliche Ausgaben 4,443,080. - „

Das Vermögen der Stadt Sofia weist nach der Bilanz vom 31. De- zember 1909 einen

Aktivstand von 66,084,498. - Fr. und einen Schuldenstand von 42,084,498. - „

aus, sie besitzt daher ein Reinvermögen von . . 24,000,000. - Fr.

In Berücksichtigung des Unistandes, dass vom Jahr 1911 an in dem Budget noch die Einnahmen der ihrer Fertigstellung entgegengehenden Markthalle und des grossen Thermalbades, welche mit ca. 500,000 Fr. zu taxieren sind, zur Ver- rechnung kommen werden, ergibt sich, dass das Erfordernis der vorliegenden Anleihe aus den verbleibenden Gebarungsüberschüssen gedeckt erscheint, un- geachtet der aus den Neuinvestitionen dieser Anleihe hinzukommenden neuen Einnahmen.

Die Anleihe war eine der günstigsten, welche eine öffentliche Körperschaft Bulgariens je aufgenommen hatte, doch hatte die Stadt Sofia die günstigen Be- dingungen der Anleihe vor allem der gehobenen wirtschaftlichen Stellung Bul- gariens zu verdanken, da die Staatsgarantie jedes Risiko ausschloss.

Durch diese Anleihe wird der verfügbare Teil des Budgets noch erheblich vermindert. Dennoch können sich die Finanzverhältnisse mit der Zeit bessern, da auch die vorerwähnten Anlagen, wie schon gesagt, Einnahmen bringen werden, welche auch sonst durch die erhebliche Zunahme der Bevölkerung und die steigende Wohlhabenheit der besitzenden Klassen zunehmen dürften. Vor allem müsste die Verwaltungsorganisation verbessert werden. Einige Aenderungen in der städtischen Verwaltung wurden auch schon getroffen, welche allerdings auf das Wirtschaftssystem nur mittelbar einen Einfluss haben dürften und mehr rein verwaltungstechnischer Art sind, so dass sie hier nicht behandelt zu werden brauchen.

4. Anleihe der Gemeinde Varna von 1907.

Um noch die Finanzen einer Provinzgemeinde kurz zu betrachten, skizzieren wir das Schuldenwesen der Hafenstadt Varna. Auch diese musste ausländisches Kapital in Anspruch nehmen.

Mit dem Konsortium der Banque Commerciale Hongroise de Pest, Banque Internationale de Bruxelles und Banque Générale de Bulgarie schloss Varna im Februar 1907 eine Anleihe von 8 Mill. Fr. auf die Dauer von 50 Jahren ab. Der Zessionskurs belief sich auf 86 %. Die Anleihe wurde für folgende Bauten verwendet: 2XI2 Mill. Fr. für die Kanalisation, l1^ Mill. Fr. für die Wasserleitung, 791,000 Fr. zur Begleichung alter Schulden und der Rest von 3,209,000 Fr. nomi- nell für die Anlage neuer Strassen.

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21g Weiss-Bartenstein,

Folgende Gemeindeeinnahmen sind als Garantie für die Anleihe verpfändet worden und werden unter der Kontrolle des Staates eingezogen:

Oktroi 320,000 Fr. Schlachtgebühren 82,725 „ Akzise 51,521 „ Miete von den unbeweglichen Gemeindegütern . . 46,000 „

Im ganzen 500,246 Fr.

Am 1. März 1910 waren von dem Reinertrag der Anleihe (7,092,222.23 Fr.) nur 2,745,762.48 Fr. verbraucht, so dass noch eine Restsumme von 4,346,459.75 Fr. zur Verfügung stand, für die augenblicklich keine Verwendung war. Man musste die Summe auf den Banken liegen lassen, mit denen der Vertrag geschlossen war. Die Verzinsung seitens der Banken war eine sehr niedrige, sie stand 1 % unter dem Diskontosatz der Oesterreichisch-Ungarischen Bank, durfte aber nicht höher als 3 % und nicht niedriger als 2 % sein (Art. 17 des Anleihevertrages)1). Wir sehen daraus, dass die Gemeinde für die überflüssige Summe 6l/2 % Zinsen zahlen musste, dagegen aber höchstens 3 % erhielt. Dieser Zinsenausfall, sowie die Unkosten für die Aufnahme der damals noch nicht benötigten Gelder sind durch die Unachtsamkeit des Gemeinderats entstanden, der eine Anleihe ab- geschlossen hat, ohne eine genaue Aufstellung der zu bauenden Anlagen und ihres Kostenbetrages gemacht zu haben. Im Jahre 1908 beschloss der Ministerrat im Einverständnis mit dem neuen Gemeinderate, die noch unbenutzte Summe von 4,748,318.59 Fr. gegen eine Verzinsung von 4V2 % zu übernehmen. Durch diese Massnahme wurde ein Teil des Zinsverlustes wieder eingeholt.

Als die Anleihe am Anfang des Jahres 1907 abgeschlossen wurde, erregte sie seitens der Presse und der Sobranje ein sehr begründetes Missfallen. Am 24. Februar wurde ein Gesetz über die Annahme der Anleihe von der Sobranje vorgelegt. Eine aus den Direktoren der beiden staatlichen Kreditanstalten Bulgariens (Nationalbank und Landwirtschaftliche Bank), aus dem General- sekretär des Ministeriums des Innern und dem Kontrolleur der Staatsanleihen beim Finanzministerium zusammengesetzte besondere Kommission wurde, nach den Bestimmungen des Art. 98 des Reglements, mit der Erstattung eines Gut- achtens betraut, welches der Regierung als Grundlage für ihre Stellungnahme zu dem Projekt dienen sollte. Da die Kommission aber erst 12 Tage nach der Annahme des Anleihegesetzes ihr Gutachten über dasselbe abgeben konnte, also nicht vor der Genehmigung des Gesetzes vor der Sobranje, wie Art. 98 vor- schreibt, so verhinderte sie die Annahme der Anleihe nicht mehr, trotzdem sie sich in dem nachfolgenden Protokoll sehr abfällig über dieselbe äussert.

„Die Stadtgemeinde Varna hat 850,000 Fr. reguläre Einnahmen und Aus- gaben; von dieser Summe sind 620,000 Fr. für die Durchführung ihrer Aufgaben unbedingt notwendig, infolgedessen wird sie imstande sein, jährlich für Ver- zinsung und Amortisation der Anleihe 230,000 Fr. zu zahlen. Da aber für Zinsen und Amortisation dieser Anleihe von 8 Mill. Fr. 436,000 Fr. und für allgemeine Unkosten gemäss den Bedingungen ca. 10,000 Fr., im ganzen also 446,000 Fr. notwendig sind, so wird sich schon im ersten Jahre ein Fehlbetrag von 210,000 Fr.

») Daskaloff S. 123/4. 676

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Finanzpolitik und Finanzwesen Bulgariens. 219

ergeben, welcher vom Staate als Bürgen getragen werden muss. Es ist hierbei nicht auf etwaige Ersparnisse zu hoffen. Die Vermehrung der heutigen Ein- nahmen der Gemeinde ist aus dem einfachen Grunde nicht möglich, weil diese Einnahmen mit dem höchsten vom Gesetze erlaubten Betrag eingestellt sind. Es kommt hinzu, dass die Anleihe für unproduktive Zwecke abgeschlossen und somit keine Steigerung der Gemeindeeinnahmen bewirkt wird; im Gegenteil, es werden dadurch sogar die Ausgaben nur noch vergrössert. Deswegen ist die Anleihe unannehmbar1)."

Trotz dieses Beschlusses der Kommission wurde die Anleihe von dem da- maligen Ministerrat genehmigt. Nach 4 jähriger Arbeit waren die Bauten, für welche die Anleihe abgeschlossen war, noch nicht fertiggestellt. Nach den Be- schlüssen des Gemeinderats vom 19. Mai und 8. Juli 1909 wurde eine belgische Gesellschaft mit der Lieferung der Gusseisenrohre im Betrage von 750,000 Fr. betraut. Ende des Jahres 1911 sollte die Wasserleitung in Betrieb gesetzt werden. Die Kanalisationsarbeiten nahmen noch mehr Zeit in Anspruch, da, trotzdem die Anleihe schon abgeschlossen war, die Projekte noch nicht gehörig ausgearbeitet waren, so dass erst im Jahre 1910 mit der Arbeit begonnen werden konnte.

Diese Anleihe hat das städtische Budget auf lange Zeit hinaus ungünstig beeinflusst und wir müssen auch hier in der kommunalen Finanzwirtschaft einen Mangel an Gründlichkeit bei dem Erwägen der Wirtschaftspläne feststellen. Hoffen wir, dass bald die staatlichen oder privaten Bankinstitute des Inlandes finanzkräftig genug sein werden, um auch die kommunalen Kreditbedürfnisse zu befriedigen und dadurch einen Einfluss auf die Gestaltung der kommunalen Finanzen zu gewinnen. Auf Grund ihrer Kenntnis der einschlägigen Verhältnisse würde diese Einwirkung geschulter Finanzmänner auf die Gemeindebudgets nur von Nutzen sein.

VII. Kritik der bulgarischen Finanzpolitik und des Finanzwesens. Ziehen wir das Fazit unserer Betrachtungen auf dem Gebiete des gesamten

öffentlichen Finanzwesens Bulgariens, so müssen wir zu dem Resultate gelangen, dass Bulgarien seine Leihkraft stark angespannt hat, dass es aber dennoch wohl in der Lage sein dürfte, seinen Verpflichtungen in der Zukunft nachzukommen, wenn es den gesamten öffentlichen Besitz an Wirtschaftsgütern aufs sorgfältigste nutzbar macht; dazu sind freilich gegenwärtig noch wenig Anstalten getroffen. Der grosse Schaden, an dem augenblicklich das bulgarische Wirtschaftsleben krankt, ist unseres Erachtens der, dass die Bewirtschaf tung sämtlicher öffentlicher Wirtschaftsgüter Bulgariens, der staatlichen wie der gemeindlichen, vollständig im argen liegt. Hier kann und muss die Reform einsetzen, wenn die Finanzen Bulgariens einer aussichtsvollen Zukunft entgegengehen sollen. Dies zu hoffen, scheint nach dem von der bulgarischen Regierung in den letzten Jahren ein- geschlagenen Kurs berechtigt zu sein, welcher auf die baldige Beseitigung der geschilderten Missstände hinzielt. Da auch das höhere Beamtentum des Staates sich jetzt aus der geistigen Aristokratie Bulgariens zusammensetzt, die ihre Kennt- nisse grösstenteils an ausländischen Universitäten erworben hat, so kann man eine durchgreifende Besserung in der Verwaltung erwarten.

*) Aus dem Archiv des Ministeriums des Innern. 677

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220 Weiss-Barten stein, Finanzpolitik und Finanzwesen Bulgariens.

Wenn die Verwaltungsorganisation Bulgariens in den letzten Jahren auch innerlich gefestigt und ausgestaltet worden ist, so hat sie doch noch einen Wurm im Holze, der in der Abhängigkeit der verantwortlichen Mitglieder der Regierung von den jeweils herrschenden Parteien besteht. Es würde somit für Bulgarien einen grossen Fortschritt bedeuten, wenn die Anstellung oder Entlassung der Beamten nicht mehr oder weniger an die Macht der Parteien geknüpft, sondern an allgemein feststehende . Bedingungen gebunden wäre, so dass die politischen Parteien nicht in dem Augenblicke, der sie ans Ruder bringt, die alten tüchtigen und eingearbeiteten Beamten durch die Anhänger ihrer Partei ersetzen können, wie es jetzt üblich ist. Sobald hier einmal andere Verhältnisse Platz greifen, wird für den innerpolitischen Aufbau Bulgariens eine neue Zeit anbrechen, die nicht von persönlichen Einflüssen, sondern von Grundsätzen und von dem Wunsche nach kulturellem Fortschritt, sozialer Gesundung, wirtschaftlicher Entwicklung und politischer Grosse beherrscht sein wird. Mit der zunehmenden staatsbürger- lichen Erziehung des innerlich tüchtigen bulgarischen Volkes und seinem wachsen- den politischen Verständnis sind auch hierfür die Grundlagen gegeben, so dass wir der zukünftigen Entwicklung der bulgarischen Volkswirtschaft mit Vertrauen entgegensehen können. Wie wir jetzt Bulgarien auf dem Wege zu politischer Grosse begleiten, so werden wir auch später berufen sein, seinen wirtschaftlichen Aufschwung vermittels unserer technischen Errungenschaften, unserer geschulten Arbeitskräfte und unserer Kapitalmacht zu fördern. Es wird unsere Aufgabe sein, die wirtschaftlichen Wechselbeziehungen zwischen den Mittelmächten und den Anliegern der freien Handelsstrasse nach dem Orient zu gemeinsamem Nutz und Frommen enger zu gestalten und dennoch die uns gebührende Stellung auf dem Weltmarkte voll und ganz zu behaupten.

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