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nove ber music
200812. - 15.11.2008
F O L K WA N G H O C H S C H U L E
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Mittwoch, 12. November 2008, 19:00Uhr, Neue Aula
PAINTINGS - Eine audiovisuelle Performance zu Musik-Graphiken von Louis Andriessen
Louis Andriessen * 1939 | Paintings (1964)
Prof. Peter Becker | Vortrag: "Diesseits und jenseits der Zeichen"
Louis Andriessen | Paintings
Prof. Dr. Peter Rautmann |
Vortrag: "Über die Musikalität von Bildern und die Bildlichkeit von Musik"
Louis Andriessen | Paintings
P A U S E
Dietrich Hahne * 1961
Paintings | 5 Miniaturen für Blockflöte, Klavier, elektronische Klänge und Video
auf zwei Flächen nach den gleichnamigen Graphiken von Louis Andriessen (1964)
Mindaugas Urbaitis * 1952 | Recorderesque
Violeta Dinescu * 1953 | Profi le of Painting 2
Charlotte Seither * 1965 | Scusi
Susanne Erding Swiridoff * 1955 | Fushi - Windgesicht
Günter Steinke * 1956 | Saitenbi lder - luftgemalt
ensemble miroirs
Ulrike Volkhardt, Blockflöte
Susanne Achilles, Klavier
Ya-ou Xie, Klavier
Konzeption und Koordination: Prof. Ulrike Volkhardt
Louis Andriessen ist der wohl interessanteste zeitgenössische Komponist der
Niederlande. Unkonventionell und dabei immer substantiell und essentiell formt er
bis heute mit den ausübenden Künstlern, von denen er sich inspirieren lässt, eine
wirkliche "Avantgarde" in Amsterdam. "Paintings" schrieb er für den großen
Blockflötisten Frans Brüggen, der in Zusammenarbeit mit ihm und anderen Kom-
ponisten wie Luciano Berio das Repertoire seines Instruments entscheidend erneu-
erte und bis dahin ungeahnte Ausdrucksmöglichkeiten entdeckte. In den 1960er
Jahren provozierte diese Komposition sowohl die Kunst- als auch die Musikszene:
Was heute als fruchtbare Interaktion verschiedener Künste sicht- und hörbar wird,
wurde damals als dilettantisches Wildern in fremden Gefilden betrachtet.
Impuls für die Konzeption der auf Andriessens "Paintings" basierenden
Performance waren neben jahrelanger großer Affinität zur künstlerischen
Exploration polyästhetischer Zusammenhänge zum Einen die durch neue
Technologien sich eröffnenden neuen gestalterischen Möglichkeiten im
Zusammenwirken von Hören und Sehen und zum Anderen der Wunsch, das
Repertoire für Blockflöte und Klavier auf professionellem kompositorischem
Niveau zu erweitern: Nur wenige vorhandene Werke bringen die spezifischen
Klang- und Ausdrucksmöglichkeiten der Instrumente zur Geltung. Hier gilt es,
Neues zu entdecken.
Die Performance reflektiert die inzwischen historische Musik Andriessens. Auf der
Basis langjähriger initiativer Zusammenarbeit mit Komponisten und künstlerisch
orientierten Wissenschaftlern entstand ein Programm, das nicht beliebige Inhalte
kombiniert, sondern wiederum ein Gesamtkunstwerk in sich ist: Die Video-
komposition von Dietrich Hahne verarbeitet alle fünf originalen "Paintings" von
Louis Andriessen, fünf weitere Komponisten nehmen jeweils eins der "Paintings"
als Ausgangspunkt und transformieren Andriessens Graphiken in die jeweils eige-
ne Ton- und Bildsprache.
Vorträge ("Diesseits und jenseits der Zeichen" und "Über die Musikalität von
Bildern und die Bildlichkeit von Musik") beleuchten den Zusammenhang von
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Visuellem und Musik und eröffnen intermediale Perspektiven über "Paintings"
hinaus.
Ulrike Volkhardt
PAINTINGS | 5 MINIATUREN
Musikalische Notation dient der Fixierung musikalischer Ideen: graphische
Ereignisse werden klanglich interpretiert. Die Regeln der Übertragung von einem
Medium ins andere folgen dabei einem (jahrhunderte)alten und von Musikern
lesbaren Code. Der musikalisch-kompositorische Avantgardismus nach 1945 brach
mit dieser Tradition insofern, als er die Notwendigkeit neuer Notationsformen als
Ausdruck neuer musikalischer Ideen für sich in Anspruch
nahm. In der Folgezeit entwickelten sich sehr ausdifferen-
zierte neue Notationstechniken, die notwendigerweise ein
immer größeres Spezialistentum seitens der Musiker vor-
aussetzten. Seit den späten 50er Jahren existieren sog.
"Graphische Partituren", die dem Interpreten große
Freiheiten einräumen, ihm also bei der Übertragung von
Notat in Klang wenig oder gar keine Vorgaben machen. Der
Musiker wird dadurch gleichsam zum "Mitkomponisten".
Andererseits entstanden auf diese Weise Partituren, die
nicht nur die traditionelle Funktionalität musikalischer
Notation als autoritäre Spielanweisung in Frage stellten,
sondern - das ist wichtig - eine eigene, rein graphische Qualität entwickelten und
so gleichsam ins Lager der Bildenden Künste wechselten. Dieser Ambivalenz Folge
leistend entstand mein Stück "Paintings / 5 Miniaturen" nach Louis Andriessens
Stück "Paintings". In meiner Komposition betrachte ich Andriessens Partiturblätter
als eigenständige Beiträge zur Bildenden Kunst. Gleichzeitig binde ich sie wieder
in den ursprünglich zeitbezogenen Kontext ein, ohne die visuelle Ebene dabei
allerdings zu verlassen: indem die graphische Partitur digitalisiert, visualisiert und
animiert wird, entsteht eine Art "Musikalisierung-zweiter-Ordnung". Die in den
graphischen Notaten "gefrorene" Zeitlichkeit wird interpretierend sichtbar (statt
hörbar) gemacht und mit einer die Andriessenschen musikalischen Intentionen
kontrapunktierenden, neuen Komposition kombiniert.
Dietrich Hahne
RECORDERESQUE
Ein für mich neues Instrument, die Bassblockflöte, behandle ich als ein Instrument
voller "Drive" und Energie, das dennoch Recorderesque klingt. Das Stück besteht
hauptsächlich aus einer Basslinie, die für zwei Instrumente aufgeteilt ist -
Bassblockflöte und Klavier: Nur in zwei Teilen hat das Klavier einen harmonischen
Hintergrund. Im letzten Abschnitt von "Recorderesque" sind Anklänge an
Andriessens spätere Musik, insbesondere "De Staat", zu hören.
Mindaugas Urbaitis
PROFILE OF PAINTING 2
ist eine "Reaktion" auf Louis Andriessens Painting 2. Ich habe versucht, das, was
Adriessens Blatt 2 für mich suggeriert, ins 'neue' Leben zu rufen. Es war ein Prozess
in zwei Teilen: Zuerst habe ich versucht, die graphische Partiturseite im Kontext
von allen Seiten zu betrachten, da man vielleicht über Verständnis nicht sprechen
kann. Ich glaube, dass Louis Andriessen mit seiner Musik (damals unkonventionell
- bzw. graphisch notiert) in die musikalische Seele des 'Betrachters' so hinein kom-
men wollte, dass man das EIGENE hervorrufen kann. Zweiter Teil dieses Prozesses
war die Suche nach einer eigenen Projektion, einerseits im Einklang mit dem, was
ich bei Andriessen gesehen habe, andererseits im Einklang mit meiner musikali-
schen Vision. Ich glaube, dass man solche Prozesse sowieso immer wieder wieder-
holt, wenn man - an Musik denkt, - Musik wahrnimmt, - Musik gestaltet, - Musik
reflektiert... Es gibt immer eine Art Wechselspiel zwischen dem, was man wahr-
nehmen kann, assimiliert, verwandelt und weiter sendet...
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Das Stück ist so notiert, dass 'Spuren' von Graphischem zu finden sind. Es ergibt
eine Form, die flexible Klangebenen hat, in der man aber kontrollierbare
Proportionen wie in einem imaginären Gemälde finden kann, d.h. : vorstellbar mit
einem 'Blick'. Der musikalische Blick ist immer notwendig. In diesem Fall beinhal-
tet diese musikalische 'Vision' drei Dimensionen: - das Erbe Louis Andriessens, - die
neue Partitur, - die 'Einladung', es kreativ ins Leben zu bringen (zu interpretieren).
Violeta Dinescu
SCUSI
besteht aus kurzen, weich gebogenen Mikrogesten, die stark unterblasen und mit
einem umfangreich syntaktischen Pausensystem durchsetzt sind. Es ist die
Unterschreitung der Gestaltgrenze, die hier die Geste im einzelnen wie auch in
ihrem Wechselspiel von An- und Abwesenheit bestimmt, während sie gleichzeitig,
als eine Art Gegenpol, in einer pointierten Zeitstruktur „gerastert“ wird. Im Verlauf
des Stückes erweitert sich das musikalische Material mehr und mehr ins Lineare,
bleibt dabei jedoch stets dem Prinzip der „produktiven Unschärferelation“ verhaf-
tet. Der Unterschreitung der Mittel im Detail steht dabei stets die Vertikalisierung
der Zeitstruktur im Ganzen gegenüber, zwischen denen sich weitere graduelle
Abstufungen ereignen.
Charlotte Seither
FUSHI - WINDGESICHT
ist teils in graphischer und teils in präziser Notation geschrieben. Die hier gewähl-
te Form der graphischen Notation für die beiden Stimmen von Subkontrabassflöte
und Klavier ist inspiriert durch die Komposition "Paintings" von Louis Andriessen
und vom Kulturbegriff Japans und Chinas. Das Wort "Wind" bedeutet hier so
etwas wie "Charakter" oder "Art und Weise" und nicht etwa die Luftbewegung. Das
vorbeigehende Etwas ist das, was in den Ausdrücken "Windgesicht" oder
"Windgestalt" impliziert ist, wobei es auf verschiedene Art "weht" - es sind dies
positive, dichterische Bewegungen, die das Innere des Menschen betreffen. Sitten
und Gewohnheiten als kulturelle Phänomene eines Volkes sind nicht nur von der
Geschichte eines Volkes abhängig, sondern können auch als Naturphänomene
angesehen werden, so dass die kulturellen Phänomene des sozialen Lebens oft mit
dem Wort "Wind" benannt werden.
So entspricht auch die Realisierung der Partitur einer in Noten dargestellten Form
von musikalischen Schriftzeichen. Das Zusammenspiel von Flöte und Klavier, das
"Windgesicht", kann gemäß der graphischen Vorlage realisiert werden. Hier kön-
nen alle präzise notierten, aber auch alle frei notierten Stellen im Rahmen einer
optischen Rhythmik improvisatorisch gestaltet werden.
Susanne Erding Swiridoff
SAITENBILDER - LUFTGEMALT
ist als ein „formloser“ Kommentar zu Louis Andriessens graphischer Partitur für
„Paintings“ gedacht. Das Verschiedene der beiden Instrumente schlägt sich in
unterschiedlichen Linien, Klängen und plötzlichen Einwürfen nieder, die sich auf
die Artikulation der Flöte fokussieren. Die Flöte als Schlagzeug, als Sprachrohr, als
Riesenpfeife, als Flöte und äußerst fragiles „Klangholz“ steht den Klängen, Linien,
Aktionen und Akkorden des Klaviers häufig entgegen. Luft und Saiten, zwei so
unterschiedliche Materien werden quasi durch die Instrumente personalisiert
und wollen miteinander in wechselnden Rollen und musikalischen Situationen in
Beziehung treten, was jedoch nicht immer in homogener Weise möglich wird.
Günter Steinke
Alle Kompositionen - ausser "Paintings" von Louis Andriessen - wurden für das
"ensemble miroirs" geschrieben und am 19. Oktober 2008 im Sprengelmuseum
Hannover uraufgeführt.
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Donnerstag, 13. November 2008, 18:00Uhr, Kammermusiksaal
LECTUREVortrag Roland Pfrengle - "Mensch und Maschine in der Musik - Sinn und
Desillusion - Andeutungen"
Die Maschine in der Musik – das unmittelbare Gegenüber von Mensch und
Maschine.
Bedeutungsvielfalt des Maschinellen / Körperlichkeit und Wiederholung /
Vermenschlichung und Entmenschlichung / Authentizität, Virtualität,
Austauschbarkeit / Emotionalität zwischen Apparat und Spieler / Interaktion /
Wahrnehmung / Wirkung
Donnerstag, 13. November 2008, 20:00Uhr, Neue Aula
CON VOCERoland Pfrengle | SprachMusi k (2006/08)
für Altflöte, Stimme, Talking Machine und Computer
Karlheinz Stockhausen | Gesang der Jünglinge (1956) für Tonband )
Luigi Nono | La Fabbrica I l luminata (1964)
für Stimme und Tonband
P A U S E
Trevor Wishart | Tongues of Fire (1994)
für Tonband
Dirk Reith | sound poem (2008, UA)
for Mezzosoprano and Sound Transducer
Lesley Olson, Stimme und Altflöte
Almerija Delic, Mezzosopran
Roland Pfrengle, Klangregie
Dirk Reith, Sound Transducer und Klangregie
SPRACHMUSIK ist eine Komposition in der Lesley Olson über einen Computer
mit der Talking Machine von Martin Riches zusammenspielt.
Tonhöhe, Lautstärke und Klangspektrum ihrer Stimm- und ihrer Flötenklänge
steuern Klangerzeugung und Strukturen der mechanischen, elektrisch gesteuer-
ten Sprechmaschine. Diese Maschine, von Martin Riches erfunden und gebaut,
fungiert in Ausstellungen als Klangobjekt.
Sie dokumentiert nicht den letzten technologischen Stand von Sprachsynthese,
wie sie auf elektronischem Wege heute machbar ist. Die Maschine bildet für mich
eher einen etwas ironischen Kontrast zum fortschrittsgläubigen Positivismus,
indem sie auf Bauprinzipien des 18./19. Jahrhunderts basiert und diese zu perfek-
tionieren sucht. In dieser Negation ist sie Kunstwerk im besten Sinne.
2006 hatten Martin Riches und ich Gelegenheit als ‚artists in residence’ des Tesla
im Podewilschen Palais in Berlin einige Monate an diesem Kommunikations-
system zu arbeiten. So konnten viele zunächst verborgenen Eigenschaften der
Maschine herauskristallisiert werden. Gerade mechanische Klangerzeuger wie
diese Sprechmaschine haben ein Eigenleben, besonders in den Randbereichen, das
ihnen als eigenmächtige, überraschende Objekte eine hohe Nichtaustausch-
barkeit verleiht.
In SprachMusik zeigt sich ein libidinöses Verhältnis zwischen Mensch und
Maschine. Da keine Klangmodulation stattfindet, entsteht ein reines Gegenüber
zweier ‚ungefilterter’ Partner. Verschiedenste Charaktere beider treten in
Erscheinung: Dominanz, Verletzlichkeit, Miteinander, Brutalität, freiwillige und
unfreiwillige Ironie. Sprechweisen wie Flüstern, Hauchen, Lallen, Stottern,
Quasseln zeigen emotionale Aspekte, Strukturarten wie artikuliert/unartikuliert,
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entstehend/absterbend, schroff/weich werden formbildend genutzt. Die
Maschine, deren Klänge zunächst keine musikalische Eignung zu haben scheinen,
wird über die Sprachlichkeit, deren Störung und Verunsicherung zum
Musikwerkzeug, das von verschachtelter Rhythmik bis zu anrüchiger
Grundtönigkeit viele Schattierungen zeigt. Ihre einzelnen Klangerzeuger formen
in der Hauptsache englische Sprachklänge, die in dieser Komposition zur Bildung
einer Art Kunstsprache dienen, die entsteht und zerbröckelt in ihren rudimentären
Anfängen. Sie ist auf wenige Worte reduziert. Fast alle rhythmischen Elemente
resultieren aus einem Sprachrhythmus, der durch die Überlagerung von Worten
entsteht. Die Strukturen reichen von kurzen Satzteilen über Einzelworte zu rotie-
renden, maschinellen Abfolgen, die entstehen oder gestört werden. Gewissen
"Humanizing"-Methoden der Maschine stehen "Dehumanizing"-Entfremdungen
der Musikerin gegenüber.
Roland Pfrengle
Mit dem GESANG DER JÜNGLINGE schlug Stockhausen 1956 ganz neue Wege in der
Komposition elektronischer Musik ein, indem er wie in der "Musique concrète"
ebenfalls konkretes Material verarbeitete. Dieses Werk ist die erste elektronische
Komposition in der der Raum als musikalischer Parameter komponiert wurde. Die
Arbeit an der elektronischen Komposition Gesang der Jünglinge ging von der
Vorstellung aus, gesungene Töne mit elektronisch erzeugten in Einklang zu brin-
gen: sie sollten so schnell, so lang, so laut, so leise, so dicht und verwoben, in so klei-
nen und großen Tonhöhenintervallen und in so differenzierten Klangfar-
benunterschieden hörbar sein, wie die Phantasie es wollte, befreit von den physi-
schen Grenzen irgendeines Sängers. Komponiert hat Stockhausen das Werk für
fünf Lautsprechergruppen, die um den Hörer im Raum verteilt sind.
Im Juli 1964 stellte Luigi Nono im Studio "Die Fonologia Mailand" sein Stück LA
FABBRICA ILLUMINATA fertig. Er widmete das Werk den Arbeitern der Italsider-
Werke von Genua-Cornigliano. Überdies verarbeitete Nono einen Text von
Giuliano Scabia und ein Fragment aus "Due poesie a. T." von Cesare Pavese. La
Fabbrica Illuminata gehört mit zu den ersten Werken dieser Zeit in dem ein live
musizierender Musiker – hier eine Mezzosopranistin – zu einem Zuspielband
agiert. Die Partitur orientiert sich an den Textvorlagen. Sie enthält außer
Gesangstönen auch Sprechklänge mit oder ohne festgelegte Sprechtonhöhe,
geflüsterte, fast geflüsterte oder fast gesprochene Klänge. Die Klänge des Bandes,
konkrete Geräusche aus der Arbeitswelt, aber auch aufgenommener Gesang,
werden durch die Sängerin auf der Bühne kommentiert. Die auf Band fixierten
und verarbeiteten Arbeitsweltgeräusche sollen auch stellvertretend für den
Arbeitsprozess in der Fabrik stehen, der, wie Nono meint, das sozial ungerechte
System im Kapitalismus in Gang hält.
In TONGUES OF FIRE befasst sich Trevor Wishart mit dem Pathos menschlichen
Seins durch das Medium Stimme. Dabei wird die aufgenommene Stimme durch
vielfältige Transformationen im Computer so verändert, dass die Klänge auf
Trommeln, Wasser, metallischen Widerhall, Feuerwerk oder gänzlich imaginäre
Materialien oder Geschehnisse hinzuweisen vermögen. Im Eröffnungsteil werden
zwei „Klangmotive“ vorgestellt, aus denen dann das Gesamtwerk entwickelt wird.
Tongues of Fire ist eine wahre Fundgrube an von Wishart z.T. neu erfundenen
Signalverarbeitungstechniken: „Spectral Tracing“, hier wird der Klang unter
Verwendung eines so genannten Phasen Vocoders in eine Art Gitter verwandelt,
das dann in der Resynthese manipuliert wird; auch das so genannte „Time
Streching“, bei dem die Klänge verlangsamt werden, ohne ihre Tonhöhe zu verän-
dern und viele weitere Verfahren gehören dazu. Tongues of Fire ist ohne Zweifel
eines der herausragenden Werke für Stimme des 20. Jahrhunderts.
SOUND POEM basiert auf dem Gedicht High Flight des jung im 2. Weltkrieg
gefallenen Anglo-Amerikaners John Gillespie Magee. Es handelt sich bei diesem
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Gedicht um ein Klanggedicht (Sonett). Dabei ging es mir nicht nur um eine
Vertonung des Gedichts, sondern um die Aufdeckung seiner Struktur im Verlauf
des Stücks, gleichsam wie eine fotographische Entwicklung in der Dunkelkammer
auf chemischem Wege. So ist das Gedicht auch mehr als nur der Text, es ist der
Generator, der das gesamte kompositorische Material für sound poem liefert. Mit
Hilfe der von mir entwickelten „Klang-Transducer“-Programme wird die vorher
zerlegte Sprache oder der Gesang im Zusammenspiel mit der Mezzosopranistin
auf der Bühne zu etwas Neuem zusammengesetzt. Aus Phonemen werden Laute,
aus diesen Wörter und neue Sätze. Die Stimme ist in sound poem einem
Instrument vergleichbar, das zusammen mit der Elektronik immer neue
Instrumente entstehen lässt. Dieser Prozess bringt den musikalischen Aspekt des
Klang-Gedichts in den Vordergrund und verändert so auch dessen ursprüngliche
Semantik.
Dirk Reith
Freitag, 14.November 2008, 19:30, Neue Aula
INTRODUCTIONGünter Steinke
EINFÜHRUNG IN DEN ZYKLUS CHIFFRE VON WOLFGANG RIHM
Freitag, 14. November 2008, 20:00Uhr Neue Aula
CHIFFRE Wolfgang Rihm Chiffre-Zyklus
Chiffre I (1982) für Klavier und 7 Instrumente
Chiffre II „Silence to be beaten“ (1983) für 14 Spieler
Chiffre III (1983) für 12 Spieler
Chiffre IV (1983/84) für Bassklarinette, Cello und Klavier
Bild (Untertitel: "eine Chiffre") (1984) für 9 Spieler
Chiffre V (1984) für 17 Spieler
Chiffre VI (1985) für 8 Spieler
Chiffre VII (1985) für 17 Spieler
Chiffre VIII (1985/88) für 8 Spieler
Ensemble folkwang modern
Bernhard Wambach, Klavier
Peter Rundel, Dirigent
Eva Fodor, musikalische Assistenz
Wolfgang Rihm (*1952) ist sicherlich einer der bedeutendsten deutschen
Komponisten der Gegenwart. Seit den 70er Jahren hat er ein sehr umfangreiches
musikalisches und essayistisches Oeuvre geschaffen, das sich von Anfang an
gegen die strukturalistische Verplanung von Musik wandte. Dass er zu den
Komponisten der „Neuen Einfachheit“ gezählt wurde, die ebenfalls gegen die
Vorherrschaft des musikalischen Serialismus durch Rückbesinnung auf vergange-
ne Traditionen antraten, ist sicherlich ein Missverständnis der Geschichte. Denn
seine Musik ist alles Andere als einfach im Sinne von „einfältig“: Das vorsichtige
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Abtasten musikalischer Zustände verbunden mit einer sehr sinnlich geprägten
und dabei stets reflektierten Herangehensweise an das Hervorbringen von Musik
stellt die existentielle Wahrnehmung und Erfahrung des Individuums stets in den
Mittelpunkt des Schaffens. Komposition und Kunst im Allgemeinen als
Aufforderung zu künstlerischer Freiheit, Spontaneität als verantwortungsvolles
Erleben musikalischer Zustände und Momente, Entstehung von Zusammenhang
aus der Verinnerlichung existentieller Erfahrung, das vorantastende Suchen, das
Risiko des Scheiterns und der ungebändigte Ausdruckswille sind nur einige wich-
tige Aspekte seines künstlerischen Schaffens.
Wolfgang Rihms Chiffre-Zyklus entstand zwischen 1982 und 1988 als ein „work in
progress“: Chiffre - ein unaufgeschlüsseltes musikalisches Zeichen, hieroglyphisch,
fremd und rätselhaft zugleich, in einem Moment verantwortungsvoll gesetzt,
ohne das nächste Zeichen zu kennen: „Die Stücke mit dem Titel Chiffre – und die
Komposition Bild (die den Untertitel „eine Chiffre“ trägt) – sind Versuche, eine
Musiksprache zu finden, die frei ist von Verlaufs- und Verarbeitungsvorgaben. Es
geht um freie Setzung des Einzelereignisses, unherbeigeführt folgenlos im engen
Sinn – freie Fortsetzung eines Imaginationsraumes; Suche nach Klangobjekten,
nach Klangzeichen, einer Klangschrift. Ein Stadium in meiner immer wieder unter-
brochenen, immer wieder aufgenommenen Suche nach Musik als Zustand. Musik
als Zustand von Musik.“ (Wolfgang Rihm) Unter den verschiedenen Stücken des
Zyklus kommt dem „Bild“ eine Sonderstellung zu, da dieses Stück auch als Musik
zum Film „Ein andalusischer Hund“ von Luis Bunuel aufgeführt werden kann,
allerdings nicht als untermalende Synchronverdoppelung des Films, sondern als
asynchron zu spielende Übermalung oder „Klangplastik“.
Samstag, 15. November 2008, 15:00Uhr, Alte Aula
TALKGünter Steinke im Gespräch mit Wolfgang Rihm und den Studenten ihrer
Kompositionsklassen
Samstag, 15. November 2008, 17:00Uhr, Alte Aula
CLASSESKonzert der Kompositionsklassen von Prof. Wolfgang Rihm und Prof. Günter
Steinke
(Hochschule für Musik Karlsruhe und Folkwang Hochschule)
Zur Aufführung kommen jeweils drei Werke von Kompositionsstudenten aus
Karlsruhe und Essen. Beide Hochschulen haben eine lange Tradition in der
Ausbildung von jungen Komponisten. Das Konzert und die vorausgehende
Gesprächsveranstaltung um 15 Uhr ist zugleich als Gedankenaustausch auch mit
dem Publikum und als Plattform für die nachkommende Generation von
Komponisten gedacht. Das Gegenkonzert in Karlsruhe wird am 20. Januar 2009 im
ZKM in Karlsruhe stattfinden.
Ensemble der Hochschule für Musik Karlsruhe
Ensemble folkwang modern
Eva Fodor, Dirigentin
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Samstag, 15. November 2008, Neue Aula
UNIDENTIFIED FLYING ORCHESTRA
20:00Uhr The Astronomical Unit
Matthias Müller_trombone
Clayton Thomas_bass
Christian Marien_percussion
21:30Uhr U.F.O. - Unidentified Flying Orchestra
Katrin Scherer_baritonsax, bassclarinet, composition
Sven Decker_tenorsax., bassclarinet, composition
Oleksandr Berezhny_1. altosax., sopransax., flute
Miriam Frank_2. altosax., clarinet, flute
Hans- Martin Schnittker_lead trumpet
Sinje Glaeßner_2. trumpet
John Dennis Renken_3. trumpet
Philipp Schug_1. trombone
Max von Einem_2. trombone
Tobias Schütte_basstrombone
Andreas Wahl_guitar
Hartmut Kracht_bass
Nils Tegen_drums
23:00 Uhr ANIMA
Uli Beckerhoff_trumpet
Reinhard Schimmelpfeng_vocals
THE ASTRONOMICAL UNIT
freie improvisierte musik!
matthias müller, *1971, zog im jahr 2004 von essen, wo er zehn jahre gelebt hat,
nach berlin. er spielte mit einigen herausragenden improvisatoren wie frank grat-
kowski, johannes bauer, matthias schubert, michael zerang, gebhard ullmann, jack
wright, olaf rupp, christian weber und rudi mahall sowie albert mangelsdorff.
seine cd „bhavan“, die 2004 auf dem label „jazzhausmusik“ erschien, wurde von
dem chicagoer musiker und journalisten john corbett produziert. obwohl sein
musikalischer schwerpunkt in der improvisierten musik liegt, arbeitet er regelmä-
ßig auch im bereich der neuen musik und an theatern. konzertreisen führten ihn
nach indien, usa, russland sowie diverse europäische staaten.
clayton thomas, *1976 in tasmanien, begann 24jährig als autodidakt in sydney. von
anfang an auf improvisierte musik fixiert, nahm er später unterricht bei wilber
morris, henry grimes und peter kowald. durch den einsatz erweiterter spieltechni-
ken und seiner großen physischen präsenz erreicht seine musik unerwartete
dimensionen. er spielt mit musikern aller generationen z.b. alex v. schlippenbach,
peter brötzmann, sonny simmons, marilyn crispell, jon rose, jim denley, newton
armstrong, sabir mateen, daniel carter, mike pride, mary halvorson, makigami koi-
chi u.a. in australien wurde er schnell zu einer der zentralen persönlichkeiten der
improvisierten musik. er ist mitbegründer des nownow festivals und der kon-
zertreihe "if you like improvised music, we like you". clayton thomas leitete das 30-
köpfige "the splinter orchestra". seit mai 2007 lebt er in berlin.
christian marien, *1975, lebt seit 2000 in berlin. als mitglied zahlreicher ensembles
wie z.b. müller-marien-duo, momentum, stereolisa, olaf ton spielte er zahlreiche
konzerte in europa und den usa und veröffentlichte cds auf labels wie „leorecords“
oder „jazzwerkstatt“. aktuell liegt sein augenmerk auf der weiterentwicklung sei-
nes solospiels („sieben mal solo“, erschienen bei schraum 2007) und einer intensi-
ven zusammenarbeit mit den performance-künstlern „ritsche&zast“ an der
schnittstelle von musik und urbaner kalligraphie. sein schlagzeugspiel im sinne
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einer (interdisziplinären) künstlerischen ausdrucksweise begreifend, arbeitet er
nicht nur mit musikern wie christian weber, michael zerang, clayton thomas,
johannes bauer zusammen, sondern auch mit künstlern wie dem maler und bil-
denenden künstler thomas bratzke oder tänzern wie hans-werner klohe und kadir
„amigo“ memis.
U.F.O. ist das Avantgarde-Jazz-Orchester aus dem Ruhrgebiet und spielt aus-
schliesslich Eigenkompositionen und Arrangements von Katrin Scherer und Sven
Decker, die aufgrund ihrer musikalischen Frische und Authentizität reif und unbe-
fangen daherkommen. Die Stücke sind nicht einfach nur für den Klangkörper
einer Großformation konzipiert, sondern auch auf die Improvisatoren zugeschrie-
ben. Jeder Einzelne hat dadurch die Möglichkeit, die Kompositionen nachträglich
mitzugestalten und ihr eine konkrete Daseinsberechtigung zu verleihen. Die
Musik swingt, rockt und experimentiert mit diversen Klangfarben und rhythmi-
schen Parametern. Das Konzept vom U.F.O. ist progressiv und modern und ver-
spricht aufgrund der Vielzahl an Instrumentierungsmöglichkeiten ein musikali-
sches Hörerlebnis der besonderen Art. Im Frühjahr 2008 erschien die aktuelle CD
von U.F.O. auf dem Label GREEN DEER MUSIC. - www.ufo-music.de - www.green-
deermusic.de
„ANIMA“ ist der Titel des Programms, mit dem Uli Beckerhoff und Reinhard
Schimmelpfeng seit 2007 gemeinsam auftreten. Die Zusammenarbeit der beiden
Musiker entfaltet einerseits jene klanglich-spirituelle Dimension des Jazz, auf die
Joachim Ernst Berendt nachhaltig hingewiesen hat. Andererseits bereichert sie die
im harmonikalen Klang verhaftete Obertonmusik durch phrasierte und melodisch
zumeist modal artikulierte Strukturelemente. Jedes Stück des Konzerts ist durch
eine charakteristische Auswahl an Instrumenten des Obertonmusikers, ein daraus
entwickeltes Basismaterial und ein darauf klanglich abgestimmtes
Artikulationsrepertoire des Trompeters bestimmt. Als Hörer, der die musikalische
Entwicklung der beiden Künstler bisher verfolgt hat, aber auch als neugieriger
Neuling im Feld von Crossovers des 21. Jahrhunderts spürt man, dass sich hier zwei
Herangehensweisen an Musik zu einer eigentümlich-neuen Qualität verbinden.
Während die Obertonmusik sich aus der Natur des musikalischen Klanges melo-
disch elementar - als Obertonreihe - entwickelt hat, arbeitete der Jazz eher struk-
turell an von Menschen gesetzten („komponierten“) Akkordfolgen und deren
melodischen Implikationen. In beiden Genres jedoch ist die Spannung zwischen
Festgesetztem und Spontanem, zwischen Komposition und Improvisation eine
entscheidende Produktivkraft. Auf dieser Ebene treffen sich die beiden Musiker in
diesem Konzert, fordern sich gegenseitig heraus und stoßen zu neuen musikali-
schen Konstellationen hervor. (Wolfgang Martin Stroh)
Reinhard Schimmelpfeng wirkt als Obertonkünstler, Obertonkomponist und
Klangforscher. Seine musikalischen Wurzeln liegen sowohl in der Musik westlicher
Traditionen als auch in außereuropäischen Musikkulturen. Kompositionsstudien
u.a. bei Hans Otte. Seit 1989 arbeitet er als freier Musiker. Als Obertonmusiker
spielt Schimmelpfeng mit seinem Soloprogramm in ganz Deutschland und dem
europäischen Ausland. Überdies hat er langjährige Erfahrung als Dozent an deut-
schen Hochschulen und bei internationalen Workshops.
Uli Beckerhoff gehört seit mehr als 30 Jahren zu den namhaftesten Trompetern in
Europa. Er spielte auf nahezu allen großen Festivals in Europa und bestritt viele
Konzerte und Tourneen für das Goethe-Institut in Europa und Afrika. Er wurde mit
diversen Preisen ausgezeichnet und komponiert Film-, Theater- und
Hörspielmusiken. Beckerhoff ist Professor für Jazztrompete an der Folkwang
Hochschule in Essen und Dozent bei internationalen Jazzworkshops. Er wirkte als
künstlerischer Berater bei „Weimar 1999 – Kulturstadt Europas“ und ist künstleri-
scher Leiter von „Jazzahead“, dem großen europäischen Jazzereignis im Congress
Centrum Bremen.
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IMPRESSUM
Programm, Redaktion und Künstlerische Leitung:
Prof. Dietrich Hahne, Prof. Thomas Neuhaus, Prof. Dirk Reith, Prof. Günter Steinke
Grafische Gestaltung: Katja Heinroth
Tonproduktion: Dipl.-Toning. Arthur Jogerst, Philipp Kramarczik, Stefan Colsmann
Technische Leitung: Dipl.-Ing. Roland Masslich
Ton- und Bildtechnik: ICEM der Folkwang Hochschule
Bühnentechnik Techn. Ltg. : Rüdiger Klahr, Bernd vom Felde, Volker Löwe
Beschallungs - und Medientechnik: Martin Preu, Ralf Galberg,
Philipp Kramarczik, Dipl. Ing. Michael Schlappa
Orchesterwart: Peter Piotrowski
Beleuchtung/Bühnentechnik: Joaquin Berenguel, Gerd van Megern,
Peter Mursall, Ralf Rodloff, Carsten Teuwsen
Druck: cue sound service GmbH
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entdeckungen
Dokument 2 16.10.2008 20:35 Uhr Seite 20