fremde texte 2_walther
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Johann Drumbl
Fremde Texte
2. Auflage
BELT 1996
BIBLIOTECA ELETTRONICA DI LINGUA TEDESCA
Comitato direttivo
Johann Drumbl, Università Cattolica, Milano (responsabile)
Marcello Soffritti, Università di Bologna
Giuliano Bernini, Università di Bergamo
Eva-Maria Thüne, Università di Verona
Segreteria di redazione:
Ilsemarie Brandmair, Università Cattolica, Brescia
Federica Missaglia, Università di Brescia
Redazione: http://www.bs.unicatt.it/daf/belt.htm
e-mail: [email protected].
STUDI E RICERCHE
D. Heller, Forschungen zur Fachsprache. Geschichte, Methoden, Anwendungen (1995)
F. Missaglia, Aspetti del bilinguismo scolastico italo-tedesco (1996)
J. Drumbl, M. Soffritti, E.M. Thüne (Hg.), Deutsch in Italien - Didaktik Forschung,
Kommunikation (1996)
J. Drumbl, Fremde Texte. 2. Auflage (1996)
2
Inhalt
Vorwort zur 2. Auflage
Einleitung
Fremde Zeremonien und vertraute Texte
- Liturgische Zeremonien und Tropen
- Tropen in der Rezeption
- Interpretationen des Quem quaeritis
Liturgische Zeremonien und geistliches Spiel
- Die Visitatio sepulchri
- Die Visitatio II
Minnesang - Leseversuche
- Das Kürenberger-Corpus
- Walthers Preislied
- Herzeliebes frowelîn
- Vröidelîn und herzeliebe
- Heinrich von Morungen: Ich bin iemer ander
- Ir reinen wîp, ir werden man
Anhang
Gattungsprobleme des geistlichen Spiels (1986)
Walthers Alterston (1986)
Anmerkungen
Bibliographie
3
Johann DrumblFremde TexteUnicopli, Milano 1984(Vergriffen).
4
Vorwort zur zweiten Auflage
Die erste Auflage der Fremden Texte erschien 1984 im Mailänder Verlag Unicopli und wird
hier mit Kürzungen und Korrekturen nachgedruckt. Teile aus den ausgeschiedenen Kapiteln
sind zu einer neuen Einleitung zusammengefaßt.
Die Interpretation von Walthers Alterston Ir reinen wîp, ir werden man wird durch einen
unveröffentlichten Text aus dem Jahr 1986 ergänzt. Aus demselben Jahr stammt der Aufsatz
“Gattungsprobleme des geistlichen Spiels”, der im Anhang nachgedruckt wird. Eine erweiterte
Fassung der Studien zum Minnesang erschien 1992 auf italienisch unter dem Titel Vestigia di
una forma antica, eine knappe Zusammenfassung der Arbeiten zum mittelalterlichen Theater
findet sich in der Einleitung zu Il Teatro Medievale, Il Mulino, Bologna 1989 sowie in Spazio
scenico e attori nell'alto medioevo.
Die inzwischen an anderer Stelle erschienen Untersuchungen zu Goethe, zur literarischen
Hermeneutik und zur Übersetzungsproblematik, die zum ursprünglichen Konzept des
Buchprojektes gehörten, gehen zurück auf eine zweijährige Lehrstuhlvertretung für Mazzino
Montinari an der Universität Florenz in den Jahren 1983/85. Die Fremden Texte sind in enger
Bindung an den Florentiner Kreis um Montinari entstanden und gewachsen. Ich verdanke
Mazzino viel mehr als nur die Aufforderung, das Konzept dieser alle Gattungsgrenzen
überschreitenden Arbeit zu verwirklichen.
Diese Internet-Edition der Fremden Texte stellt eine Art Schlußbericht über meine
Forschungen zum mittelalterlichen Theater dar, die vor 30 Jahren — 1966, im Jahr der
Überschwemmung von Florenz — mit meinem ersten Italienaufenthalt ihren Anfang nahmen.
In die ersten Tage in Rom fiel die Begegnung mit Fabrizio Cruciani, aus der eine lebenslange
Freundschaft und intensive kritische Zusammenarbeit wurde, die der frühe Tod von Fabrizio
unterbrochen hat. Ohne seine Ermutigung und seinen Rat wäre keine meiner Arbeiten zum
mittelalterlichen Theater entstanden. Clelia Falletti hatte beinahe ebenso großen Anteil am
Entstehen der italienisch geschriebenen Texte. Ferdinando Taviani war der immer brillante
und universell belesene Gesprächspartner, nein, diese Formulierung ist unpassend: Nando
stellt in seinem Habitus theatralisches Wissen personifiziert dar, und ich hatte das Privileg,
jahrelang aus dieser einzigartigen Quelle schöpfen zu dürfen. In all diesen Jahren war Eugenio
Barba mit den Schauspielern des Odin Teatret die theatralische Instanz im Hintergrund, die
unserem gemeinsamen Bemühen um das Verständnis des Theaters in seinen historischen
5
Erscheinungsformen eine theoretisch wie praktisch fundierte anthropologische Perspektive
gab.
Bergamo, Dezember 1996 Johann Drumbl
6
Einleitung
Wir lesen und interpretieren mittelhochdeutsche Lieder, die oft schon den Schreibern fremd
waren, denen wir die überlieferten Texte verdanken. Diese Schreiber kopierten aus
schriftlichen Vorlagen, die ihrerseits bereits auf schriftliche Vorlagen zurückgingen.
Überliefert werden Texte ohne Musik, ohne die Betonung des vorgetragenen Wortes, ohne
Rhythmik der Strophen, ohne Angaben über Akzentuierung, Intonation und Pausen, und was
immer an Details beim Vortrag eines Liedes von Gewicht gewesen sein mochte. Wer diese
Texte heute liest, muß daher versuchen, diese ihm unbekannten Aspekte der Lieder
systematisch zu bedenken und sie ebenso methodisch zu behandeln wie die erhaltenen
Schriftzeichen in den Handschriften. Und der moderne Leser wird erkennen, daß es nur zu
Leseversuchen reicht.
Gegenüber dem Anspruch auf “sichere” Ergebnisse ist der Verzicht auf Sicherheit, der in den
neuen Ausgaben von Moser-Tervooren und Schweikle offenkundig ist, ein großer
Erkenntnisfortschritt. Die kritische Beschäftigung mit den Texten ist noch in Verzug. Sie sucht
immer noch Ergebnisse — und findet sie! — durch Aneignung. Der moderne Interpret, der
von diesen Liedern wenig weiß, ihnen daher auch alles zumuten kann, erprobt die ihm
zugänglichen modernen Kategorien der Wertung, bis er auf eine stößt, die ihn zufrieden stellt.
Es fällt auf, daß auch die verworfene Variante mit viel Einfühlung dargestellt wird,
Hypothesen provoziert und den Interpreten dazu veranlaßt, Meinungen zu äußern, die er
anschließend als nicht akzeptabel zurückweist. Aber wo liegt die Grenze zur akzeptablen
Hypothese oder Meinung desselben Interpreten? Das interpretatorische Verfahren ist in keiner
Weise methodisch abgesichert und soll ausschließlich auf Grund des erbrachten Ergebnisses
diskussionswürdig erscheinen. “
Die Probleme der handschriftlichen Überlieferung werden nicht vor dem Hintergrund der
handschriftlichen Überlieferung und ihren möglichen Problemen beurteilt, sondern in einem
abstrakten Raum der Kritik, wo sich Textvarianten, rekonstruierte Inhalte, literarische
Werturteile, Parallelstellen und Zitate aus anderen Interpretationen begegnen und zu einer
neuen Antwort auf die Problematik des Textes gemischt werden.
Die hier vorgestellten Minnesang-Leseversuche zeigen eine dem Minnesang eigene Poetik der
unterschiedlichen “Stimmen”, der sprachlich determinierten Rolle, auf. Wenn es im frühen
Minnesang eine Differenzierung nach Stimmen gegeben hat, so ist sie in den Handschriften
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jedenfalls nicht markiert worden. Hat es sie wirklich gegeben und war sie Teil der Ästhetik
dieser Lieder, dann wissen wir, daß dieser Teil verloren gegangen ist.
Vor dem Hintergrund zahlreicher Indizien für “inszenierte” Strophen im frühen Minnesang
und bei Walther stellt sich auch die Frage nach der Verbindung oder der Grenze von Lyrik und
theatralischem Spiel. Es ist keine neue Frage. Aber welcher Begriff von Lyrik ist im Spiel, und
gegen welchen Begriff von “Dramatizität” ist er abgegrenzt, wenn von Walthers Liedern
gesagt wird: “Only rarely as in the perfect gem Under der linden, can he be called, in the strict
sense, a lyrical poet. His strength lies mainly in dramatic presentation and in the bracing
quality of his didactic verse.” (1) Aber auch das genaue Gegenteil dieser interpretierenden
Wertung scheint möglich, und das selbe Lied wird charakterisiert “in the playing out of make-
believe scenarios”. (2)
Wer nun den Inszenierungs-Typus des Liedes mit in die Interpretation einbezieht, wie Ruth
Harvey in ihrer (postum veröffentlichten) souverän skizzierten alternativen Deutung, oder
Hugo Kuhn in seinem postum veröffentlichen Kommentar — oder, schon vor Jahren, Jean
Fourquet (3) — begibt sich auf ein Terrain, wo anerkannte (vom Konsens der Beteiligten
gleichsam mitverantwortete) Kriterien fehlen. “Inszenierung: Sänger-Auftritt als Frauen-Ich-
Rolle; wieweit als Auftritts-Typ hier und sonst gestützt durch Kostüm, Gestik, Tonlage u. a.,
bleibt immer unerwähnt, sogar noch im Fastnachts- und geistlichen Spiel.” (4) Mit diesem
Blick Kuhns über die Gattungsgrenzen hinweg ist der erste Schritt getan, die
Interpretationshalden zur lyrischen Stimmung dieses Liedes abzutragen, die ein Jahrhundert
wissenschaftlicher Bemühungen um Walthers “perfektes Kleinod” herum errichtet haben.
Aber es genügt nicht, nun die These zu diskutieren, ob dieses Lied “inszeniert” sei oder “in
einer imaginären Szene gespielt” (R. Harvey), da die Beweisnot solcher Thesen offensichtlich
ist; zu fragen ist vielmehr, was diese These für das Verständnis des Textes erbringt, und nur in
diesem Punkt ist ihr Erklärungspotential überhaupt von Interesse.
In einer wissenschaftlichen Tradition, in der offensichtlich alle Antworten akzeptabel
scheinen, weil keine auf ernsthaften Widerstand stößt, ist es ungewöhnlich, schon die
Pertinenz der Frage zu überprüfen; aber gerade dies ist der Moment, wo sich kritisches von
antiquarisch-genügsamem Fragen unterscheidet. Was ist gewonnen, wenn wir das Ergebnis
vorlegen, Walther habe sein Lied wahrscheinlich/wahrscheinlich nicht “gestützt durch
Kostüm, Gestik und Tonlage” vorgetragen, oder für einen solchen Vortrag komponiert, und
wir können für die These oder für ihre Zurückweisung keinerlei Argumente im Text selbst
finden?
8
Das Problem der “Dramatizität” mittelalterlicher Lieder ist der Ursprungsfrage des geistlichen
Spiels insofern verwandt, als die ersten Manifestationen des “(Schon-) Dramatischen” vom
modernen Beobachter gefunden werden müssen. Je nach Temperament und hermeneutischer
Besonnenheit des Forschers wird dann das Resultat vorgestellt als “Das ist Drama!” (5) oder
mit der nötigen Vorsicht wie Peter Dronkes Urteil über das Lied Mei amic, das in den Jahren
1069-99 in Saint-Martial niedergeschrieben wurde. “Unter der geistlichen Lyrik sticht dieses
Lied wie eine Perle hervor und möglicherweise ist es auch das erste ganz in der Volkssprache
erhaltene Drama.” (6) Dronke kommt zu dieser Annahme durch Analyse der ersten drei
Strophen:
Mei amic e mei fiel Ihr meine Freunde, meine Treuen,
laisat estar lo gazel laßt bleiben eure Tändeleien
aprendet u so noel und lernt den neuen Gesang
de virgine Maria von der Jungfrau Maria.
“No perdrai virginitat “Nie werd ich ohne Unschuld sein
os temps aurai chastitat für alle Zeiten bleib ich rein,
si cum es profetizat, so wie es sagt die Prophetie,
Pois (er) virgo Maria.” bleib ich Jungfrau Marie.”
“Eu soi l angels Gabriel, “Ich bin der Engel Gabriel,
aport vos salut fiel: getreuen Gruß bring ich euch schnell:
Deus (descen) de sus deu cel Gott steigt vom Himmel ab allhie
in te, virgo Maria.” in Euch, Jungfrau Marie.” (7)
Völlig zu recht betont Dronke: “Die Annahme, daß einige erzählende Übergangsstrophen
verloren gegangen sind, ist gar nicht nötig. Das Lied ist ein lyrischer Dialog, in dem Maria und
Gabriel neben dem Erzähler ihre Rollen haben.” (8) In der Fortführung seiner Analyse hat sich
jedoch mit dem Begriff des “Dialogs” eine unhistorische Kategorie eingeschlichen, die sofort
ihr Potential an plausiblen Ausweitungen und Anwendungen entfaltet: “Ich halte es für
wahrscheinlich, daß diese Rolle gesungen und gespielt wurden, daß ein junger Mann und ein
junges Mädchen die göttliche Werbung szenisch darstellten, wie etwa in vielen Tanzliedern,
die den Liebhaber vorführen, wie er seinem Mädchen den Hof macht.” Zwar sind alle diese
9
Beispiele aus der volkstümlichen Tradition der Tanzlieder nur in jüngeren Dokumenten
bekannt, aber dieses Argument hat noch nie die These von einer “kräftigen
volkstümlich-mündlichen Tradition von dramatischem Spiel” (9) widerlegen können.
Dronkes Annahme, der überlieferte Text des Liedes sei zwar als Text vollständig, enthalte aber
gleichsam eine Lücke, die durch die Interpretation des modernen Lesers geschlossen werden
muß/kann, findet im Wortlaut des Liedes keinerlei Stütze. Im Gegenteil, das vom Sänger als
“neues Lied” dem änigmatischen gazel seines Publikums entgegengestellte Lied, drückt alles,
was zu seiner Aufführung gehört, im Text selbst aus. Mit den ersten Worten zeigt der Sänger,
daß er nicht in einer Rolle auftritt, sondern als Sänger zu seinem Publikum spricht. Nach der
lateinischen Schlußzeile der ersten Strophe, die sprachlich als Titel formuliert ist, folgt die
zweite Strophe in der Rolle Marias, ebenfalls schon im ersten Satz klar erkennbar: No perdrai
virginitat; in der dritten Strophe soll nun Gabriel das Wort erhalten, aber sein Gruß ist als
sprachliche Konvention nicht spezifisch genug, um die Rolle — wie es der “nichtdramatische”
Vortrag durch einen Solisten verlangt — schon von den ersten Worten an klar zu bestimmen,
also stellt sich die Figur ihrem Publikum vor: Eu soi l’angels Gabriel. Alles was das Publikum
über die auftretenden Figuren wissen muß, erfährt es aus dem Text des Liedes selbst, und
gerade diese Vollständigkeit der Angaben im Text spricht dagegen, daß dieses Lied auch
gespielt worden sei — nach welchen Vorbildern auch immer dies um 1100 möglich gewesen
sein mag.
Daß Dronkes Hypothese demnach nicht notwendig ist, heißt zwar nicht, daß seine
Interpretation falsch ist, aber es gibt auch keine Möglichkeit, ihren Anspruch auf Richtigkeit
zu überprüfen. Ein zweiter Umstand, der gegen die Hypothese spricht, ist ihr zu großer
Geltungsbereich. Da sie sich auf keine spezifischen Charakteristiken des Liedes stützt, müßte
sie konsequent auf alle mittelalterlichen Kompositionen angewandt werden, die dem
provenzalischen Rollenlied entsprechen, so auf einen Großteil des frühen Minnesangs, wo
Rollenstrophen und Sängerstrophen abwechseln können. Alle diese Lieder müssen wir uns
dann gespielt vorstellen — oder keines von ihnen. Die von Dronke in diesem Zusammenhang
so stark hervorgehobene Eigenschaft der präsumtiven Dramatizität eines Liedes in der
Volkssprache ist somit jedes Erkenntniswertes beraubt, so daß auch der Aufwand, eine solche
These zu verteidigen, nicht gerechtfertigt ist.
Gegen Dronkes These gibt es noch andere Bedenken. Sollte eine dramatische
Darstellungstechnik tatsächlich mit etablierten lyrischen Gattungen eine so enge Verbindung
eingegangen sein, wie Dronke annimmt, dann muß der moderne Leser der handschriftlich
10
überlieferten Dokumente voll den möglichen Verlust im Moment der Verschriftlichung einer
mündlichen Tradition mitkalkulieren. Mit welchen Schreibstrategien rechnet der Interpret, der
einen zum Gesang komponierten Text “dramatisch” nennt? Wohl damit, daß alles, was zur
Aufführung gehörte, im Moment der Niederschrift einfach verloren ging, ohne Spuren zu
hinterlassen. Bei der Untersuchung der liturgischen Traditionen “fremder” Kompositionen
können wir genau erkennen, daß diese nichtrezepierbaren Zeremonien sehr wohl Spuren
hinterlassen haben, und daß es gerade diese Spuren sind, die uns Aufschluß geben über die
Eigenschaften, die diese Zeremonien in ihrem eigenen historischen Milieu zu fremden machen.
* * *
Als Gegenbeispiel zu den unergiebigen Spekulationen über das erste mittelalterliche Spiel in
der Volkssprache kann die Analyse des ersten “weltlichen” Spiels (10) gelesen werden.
Das sogenannte “Spiel von der Laube”, korrekter vielleicht, “Das Spiel von den Narren”, das
Jeu de la Feuillée von Adam de la Halle, überschreitet nicht nur die Gattungsgrenzen zwischen
Theater und Lyrik, sondern auch die Grenzen zwischen Kunst und Leben. Das Spiel ist fester
Bestand des Maifestes der Stadt Arras, deren Bewohner als Schauspieler agieren, so auch der
Dichter selbst, sein Vater Rikier Auri, sowie die Mitbürger Hane Gillot, Reinelet, Walet und
Walaincourt, die alle mit ihrem echten Namen auftreten und nach dem Auftritt einfach wieder
Bürger der Stadt sind, die weiter an den Festlichkeiten des Tages Anteil haben.
Das Stück beginnt mit einem Monolog des Dichters Adam, der ein Thema aufnimmt, das er
schon einmal in einer lyrischen Komposition, seinem Congé, behandelt hatte, und das hier im
Kontext karnevalistischer Traditionen neues Gewicht erhält: der Dichter verabschiedet sich
von der “Welt”, von seiner Ehefrau und von den Genüssen der Sexualität überhaupt, um sich
fortan in Paris ausschließlich dem Studium zu widmen. Was in der Dynamik des Spiels als
Umkehrung der Werte, als spielerische Verspottung einer “verrückten” Lebensart in
Erscheinung titt, erscheint in den wissenschaftlichen Studien zum Jeu als gelehrte Fußnote:
trotz intensivster Bemühungen seien von einem Aufenthalt des Autors in Paris keine
archivalischen Spuren zu entdecken, so daß die Biographie des Dichters an diesem Punkt mit
einem Fragezeichen versehen werden müsse... Im Fortgang des Spiels wird Adams Torheit
geheilt, wie aus den Worten der bösen Fee Magloire zu entnehmen ist:
11
Magloria: Dico: Richieri sia pelato, e non abbia dinanzi capelli. Quanto all'altro, che si
millanta d'andare a studio a Parigi, vo' che s'ingolfi a tal punto nella mala compagnia
d'Arras, e si dimentichi fra le braccia di sua moglie, ch'è morbida e tenera, sì che perda
e aborrisca lo studio, e lasci in asso il suo viaggio. (11)
Im Realismus des Jeu, wo jeder Mitspieler sich selbst darstellt, hat man sich Richeri wohl als
eitlen Mann vorzustellen, der sich wegen seiner spärlichen Haare Sorgen macht, und Adam,
den Dichter und Musiker, als Provinzler, der von einer Karriere in der Weltstadt träumt,
während er nicht imstande ist, sich von seiner kleinen Stadt und seiner Ehefrau zu lösen.
Vergebliche Mühe, in den Pariser Archiven nach Spuren von Adams Aufenthalt zu suchen!
Adam war nie in Paris. Der Wunsch, die Ehefrau zu verlassen und sich nur mehr dem Studium
zu widmen - während liebessüchtige Kandidaten schon für die Nachfolge im Bett bereitstehen
- gehört zur komischen Figur, nicht zum Leben des Dichters, ja, die Diskrepanz zwischen
Wort und Tat schafft überhaupt erst die Rolle des komischen Dichters.
Die einzige vollständige Handschrift des Jeu, der wertvolle cod. fr. 25.566 der Pariser
Nationalbibliothek, überliefert eine Miniatur, die den Schauspieler auf einem als Bühne
erkennbaren Raum darstellt, wie er mit erhobener Hand ins Publikum winkt. Dort ist eine Frau
zu sehen, die lächelnd den Gruß erwidert und mit ihrer erhobenen Hand zur Bühne weist.
Wer anders als die Ehefrau des Dichters Adam sollte diese Frau sein, eine junge schöne Frau,
die im Publikum sitzend den Monolog ihres Mannes mitanhört, in dem er sie als unattraktive
Furie beschreibt, die zu verlassen kein Opfer darstellt.
Adam wird zur komischen Figur - und das hervorragende Ergebnis macht ihn zum Autor des
ersten “weltlichen” Schauspiels des europäischen Mittelalters. Das Anprangern und Verspotten
von Lastern verbindet dieses “Spiel vom Toren” mit den vorliterarischen Traditionen des
Karnevals. Daß der verspottete Protagonist aber ein Dichter ist, sichert seinem Werk den
Eintritt in die Welt der schriftlichen Kultur und somit das Überleben auf dem Pergament.
Um die Logik der Entstehung des ersten weltlichen Schauspiels des Mittelalters zu ergründen,
bedarf es keiner Versuche, gleichsam hinter die erhaltenen Dokumente zurückzugehen auf der
Suche nach verborgenen Ursprüngen und verlorenen Traditionen. Die Aufgabe besteht
vielmehr darin, die tatsächlich erhaltenen Element so zu “ordnen”, daß das ihnen
zugrundeliegende Prinzip erkennbar wird - das Prinzip eines fremden Werkes.
* * *
12
An der Methode der traditionellen Textkritik irritiert nicht so sehr die Sicherheit, mit welcher
der Herausgeber Lesarten akzeptiert oder verwirft, sondern die völlige Unsicherheit, die das
ganze Verfahren kennzeichnet: überall können im überlieferten Text Fehler versteckt sein,
schon der simple Wunsch, zwei gleiche Wörter einige Zeilen näher beieinander zu sehen,
könnte der Grund dafür gewesen sein, daß die Strophenfolge in einem Lied umgekehrt wurde
— als wäre das Lied keinem anderen thematischen Aufbau verpflichtet als dem, den der eine
oder andere moderne Interpret für den richtigen (oder möglichen) hält.
Der Text, von dem wir auszugehen haben, ist nicht “garantiert”, und er wird es auch nach
erfolgter Interpretation nicht sein. Jeder Eingriff von Herausgebern und Interpreten bedarf der
Rechtfertigung und stellt neue Fragen, wo voreilige Interpreten immer schon Antworten sehen.
Wie H. Moser und H. Tervooren in den Editionsprinzipien der neuen Ausgabe von
“Minnesangs Frühling” anmerken, hat der Philologe, der sich bemüht, die Texte zu verstehen,
so wie sie in den Handschriften überliefert sind, eine besonders schwierige Form der
philologischen Arbeit gewählt; er kann die objektiven Schwierigkeiten von Überlieferung und
Textverständnis nicht einfach mit Hilfe persönlicher Eingriffe lösen. Daher die Entscheidung
der Herausgeber, der Edition das Prinzip der “Leithandschrift” zugrunde zu legen. Von
Strophe zu Strophe entscheiden sich die Herausgeber für die jeweils beste handschriftliche
Quelle, die dann als Grundlage für die Edition dient.
Das Prinzip, die Leithandschrift nicht von Lied zu Lied, sondern von Strophe zu Strophe zu
wechseln, wo dies opportun erscheint, ist Gegenstand von Kritik geworden. Auch die
kurzgefaßte Rechtfertigung im Vorwort zur 37. Auflage wird die Gegenposition nicht
entkräften können. Die Herausgeber der Neuauflage betonen nämlich in ihrer Replik nicht die
technischen Aspekte ihrer Entscheidung, sondern führen “poetologische” Gründe an:
Wir meinen nämlich, daß Strophe und Lied auch im Minnesang verschieden gewertet
werden sollten. Auf die Strophe konzentriert sich das Bemühen des Dichters, sie ist
Endziel dichterischer Gestaltung, aber gleichzeitig auch Baustein zu Liedern (nicht aber
des Liedes). Das mehrstrophige Lied ist dagegen in seiner aktuellen Verwirklichung
stärker von den Bedürfnissen der Aufführungssituation bestimmt und darum in seiner
Gestalt weniger fest und eher, leichter dem verändernden Zugriff des Dichters und
anderer Reproduzenten ausgesetzt. (12).
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Das kann richtig beobachtet sein und trifft sicher in einigen Fällen zu, aber gewiß nicht in
allen. Diese Antwort läßt vor allem eine Vorentscheidung erkennen, die im Rahmen der
nachfolgenden “poetologischen” Wertung des Minnesangs nicht mehr fragwürdig scheint, daß
die verändernden Eingriffe nämlich tatsächlich als Folgen der Aufführungspraxis entstanden
seien und nicht etwa im Lauf der schriftlichen Überlieferung von Liedern. Aber die Annahme,
auf der diese Vorentscheidung gründet, ist keineswegs gesichert, ja, sie wurde von den
Vertretern dieser Hypothese überhaupt noch nie systematisch an den handschriftlichen
Zeugnissen überprüft.
In Hinblick auf diese unüberprüfte Hypothese genügt als pars destruens ein einziges
überzeugendes Gegenbeispiel, das einen “motivierten” Eingriff eines mittelalterlichen
Kopisten nachweist. Mehrere solcher Beispiele werden in den Fremden Texten gegeben.
Motivierte Eingriffe entstehen aus dem Bedürfnis, einen unverständlichen Text wieder
verständlich und brauchbar zu machen, und sind in all den Fällen, in denen auch der vom
Bearbeiter rezepierte Text einen Sinn ergibt - einen neuen, von der Vorlage unterscheidbaren
Sinn - Zeichen dafür, daß einige dieser Lieder, oder zumindest ihre Texte, schon relativ bald
nach ihrer ersten Blütezeit, noch im 13. Jahrhundert, zu “fremden” Texten geworden waren.
Ein Beispiel für einen folgenreichen Moment des Nicht-Verstehens einer prägnant
formulierten Pointe ist in Walthers sogenanntem Preislied zu finden. Es zeigt nicht nur einen
kritischen Moment in der Rezeption dieses Liedes, eine Hürde, die dazu hätte führen können,
daß das Lied vom Schreiber nicht in die neue Sammlung aufgenommen wurde. Aber in beiden
Fällen der getrennt verlaufenen Überlieferung des Liedes wurde diese Hürde - jeweils unter
Einsatz anderer Mittel - überwunden, und das Lied “überlebte”, jedoch um den Preis eines
Eingriffs in den Text der Vorlage bzw. des Verlustes einer ganzen Strophe.
Das “Ergebnis” einer systematischen Darstellung aller Elemente der Überlieferung dieses
Liedes kann sich als Versuch darstellen, die Logik der Veränderung zu erkennen, die in beiden
Fällen gerade das Ergebnis erbringt, das in den Handschriften tatsächlich überliefert ist, und
damit ist der Weg eröffnet, der zur Rekonstruktion jenes Archetyps führt, der sich
zurückgewinnen läßt, wenn wir die als motiviert erkannten sekundären Änderungen
rückgängig machen.
Überprüft werden soll mit dieser Fallanalyse, die mit der “Fremdheit” des Textes schon in der
Phase der handschriftlich dokumentierten Rezeption rechnet, ob Rücksichten auf die
kompositorische Einheit des Liedes tatsächlich so geringes Gewicht in der Ästhetik des
Minnesangs haben, wie Moser-Tervooren annehmen.
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Der Weg zu den Texten wird durch die Erschwernis der Übersetzung erleichtert. Jeden Text
aus didaktischen Gründen übersetzen zu müssen, jeden Satz einer germanistischen
Interpretation vor dem Hintergrund seiner syntaktischen und semantischen Komplexität zu
betrachten, erweist sich als Filter, der vor voreiligem Verstehen und selbstgenügsamem
Weiterlesen schützt. Die Gegenwart einer zweiten Sprache verlangsamt die Aneignung des
Textes und ermöglicht so die Erkenntnis von “Bruchstellen” des Verstehens, die zum Mittel
werden, der unerkannten Fremdheit des Textes auf die Spur zu kommen. Zu ahnen, daß die
vordergründige Fassade des Textes einen noch unerkannten “fremden” Kern verbirgt, ist das
eigentliche Problem, das uns die fremden Texte aufgeben.
15
Minnesang-Leseversuche
Ir sult sprechen willekomen
Das Preislied Ir sult sprechen wilekomen ist jüngst wieder fragwürdig geworden. K. Smits hat
Textbezüge zu Morungen (MF 122, l) aufgezeigt, die Walthers Lied stärker noch, als die
Anspielungen auf Reinmar bisher glauben ließen, als Werk literarischer Polemik
charakterisieren. (34) In einer knappen Anmerkung verwirft H. Rupp dieses Ergebnis mit
einem methodischen Hinweis grundsätzlicher Art, den wir als Ausgangspunkt für diese
Untersuchung akzeptieren wollen: “Ein Lied wie das Preislied muß kommunikativ als Ganzes
verstanden und interpretiert werden, d. h. der Inhalt der einzelnen Strophen ergibt sich nicht
aus der betreffenden Strophe selbst, sondern mit aus dem, was der betreffenden Strophe
vorausgegangen ist. Die Preisstrophe 5 ist nur richtig zu verstehen, wenn man ihren Gehalt aus
dem der Strophen l-4 herauswachsen läßt.” (35)
Wer aber, wie Rupp, den Gehalt einer speziellen Strophe aus dem der vorhergehenden Strophe
“herauswachsen” lassen will, muß Sicherheit (gewonnen) haben über die Reihenfolge der
Strophen im Lied. Und wenn wir selbst auf diese Weise den Sinn des Liedes zu verstehen
suchen, dann werden wir wohl auch den Lesern des 13. Jahrhunderts dasselbe Bedürfnis
zumuten können, einzelne schwierige oder ganz unverständliche Stellen aus dem Ganzen des
Liedes heraus zu “erklären”. Für den Fall eines motivierten Eingriffs heißt das jedoch, daß ein
solcher Eingriff womöglich nicht nur eine Strophe betraf.
Um die handschriftliche Überlieferung ohne Vorurteile beurteilen zu können — es handelt sich
um eines der berühmtesten und meistinterpretierten Lieder Walthers —, soll die Reihenfolge
der Strophen, wie sie die einzige Handschrift zeigt, die alle sechs Strophen überliefert, als
Norm gesetzt werden; dann ergibt sich folgendes Bild der Überlieferung:
C A U E La
1 1 1 1 1 1. Ir sult sprechen
2 2 2 2 2 2. Ich wil
3 4 5 5 4 3. Tiusche man
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4 5 3 3 5 4. Ich hân lande
5 3 - 4 3 5. Von der Elbe
6 - - - 6 6. Der ich vil
Es ist ein Bild nicht nur der Überlieferung, sondern auch der traditionellen Textkritik und
philologischen Arbeit an mittelalterlichen Texten. Nach ästhetischen Kriterien wird ein
Zeugnis akzeptiert, in diesem Fall die Reihenfolge nach der Handschrift A, und nach dem
vollständigeren Zeugnis ergänzt. Die Textvarianten können, je nach Plausibilität im Einzelfall,
sowohl aus A als auch aus C übernommen werden.
Die Tabelle der nach C geordneten Strophen zeigt ein dem Philologen ganz unvertrautes Bild
der Überlieferung und konfrontiert ihn mit einer verfremdeten Situation, in der keine der
traditionellen Sicherheiten Gültigkeit haben. Nur eines ist klar zu sehen: es hat Eingriffe
gegeben, die sowohl die Reihenfolge als auch die Zahl der Strophen des Liedes betroffen
haben.
Die ursprüngliche Reihenfolge der Strophen zeigt sich erst, wenn man die Logik der
Veränderung erkannt hat, die für die abweichende Reihung in den divergierenden Textzeugen
C und A verantwortlich ist.
Die Plausibilität eines rekonstruierten Archetyps der Überlieferung kann nicht darin liegen,
daß die inhaltliche Folge der vorgetragenen Gedanken überzeugender wäre als in anderen
Folgen der Strophen, denn jede der bisher in der Forschung diskutierten Strophenfolgen hat
noch den Interpreten gefunden, der die von ihm selbst gewählte Lösung als besonders
plausible und akzeptable gepriesen hat. Das einzige Kriterium, das den hypothetischen
Archetyp kennzeichnet und das auch die Hypothese zu stützen hat, daß es sich tatsächlich um
den Archetyp handelt, liegt im Erklärungspotential einer bestimmten Strophenfolge in
Hinblick auf die Logik der Veränderung und auf die tatsächlich erhaltenen handschriftlichen
Zeugnisse.
Um dieses (hypothetische) Ergebnis darzustellen, bedarf es eines zweiten verfremdenden
Eingriffs: die Reihenfolge der Strophen muß nämlich das hypothetische Ergebnis als Norm
setzen, denn nur diese Reihung läßt ableitbare Einsichten erkennen. Die Strophen sind zwar
wiederum durchnumeriert, aber mit 3 und mit 4 werden nun andere Strophen bezeichnet als in
der ersten Tabelle.
17
C w A E U
l l l l l l. Ir sult sprechen
2 2 2 2 2 2, Ich wil tiuschen frowen
4 3 3 5 5 3. Ich hân lande
3 4 5 4 4 4, Tiusche man
5 5 4 3 - 5, Von der Elbe
6 6 - - - 6. Der ich vil
Innerhalb eines festen Strophengefüges zeigt sich die vierte Strophe als mobiles Element, in C
tauscht sie mit der dritten den Platz, in A hingegen mit der fünften. Der verändernde Eingriff
ist damit lokalisiert: beide Eingriffe lassen sich als ein Schritt deuten, dem eine Ursache
zugrunde liegen kann. Und diese Ursache können wir an dem ablesen, was in beiden
veränderten Strophenfolgen hinsichtlich des Archetyps anders geworden ist. Für die Benutzer
des Liedes im 13. Jahrhundert war es anscheinend unmöglich, dem Lied bei der Strophenfolge
3-4 einen kohärenten Sinn abzugewinnen.
Als schon im 13. Jahrhundert fragwürdig gewordene Stelle im rezepierten Text zeigt sich der
nur im ursprünglichen Kontext der literarischen Polemik verständliche Vers was hülfe mich,
ob ich vil rehte strite (A) in der dritten Strophe, dessen Sinn ich mit der interpretierenden
Übersetzung “Was hülfe es schon, wenn ich (um das Lob fremder Sitte zu singen) meine
besten Kunstmittel einsetzte?” wiederzugeben versuche. Die in C überlieferte Lesart was hülfe
mich, ob ich unrehte strite hat hingegen die Bedeutung “Was nützte es mir schon, wenn ich
Falsches behauptete?”; um die Konsequenzen dieses ändernden Eingriffs beurteilen zu
können, müssen wir das ganze Lied lesen.
Ir sult sprechen willekomen:
der iu maere bringet, daz bin ich.
allez daz ir habt vernomen,
daz ist gar ein wint: nû frâget mich.
ich wil aber miete.
wirt min lôn iht guot,
18
ich gesage iu lîhte daz iu sanfte tuot.
seht waz man mir êren biete.
Ich wil tiuschen frowen sagen
solhiu maere daz si deste baz
al der werlte suln behagen,
âne grôze miete tuon ich daz.
waz wold ich ze lône?
si sint mir ze hêr.
sô bin ich gefüege, und bite si nihtes mêr
wan daz si mich grüezen schône.
Ich hân lande vil gesehen
unde nam der besten gerne war.
übel müeze mir geschehen,
kunde ich ie mîn herze bringen dar
daz im wol gevallen
wolde fremeder site.
nu waz hulfe mich, ob ich vil rehte strite?
tiuschiu zuht gât vor in allen.
Tiusche man sint wol gezogen,
rehte als engel sint diu wîp getân.
swer si schildet, derst betrogen.
ich enkan sîn anders niht verstân.
tugent und reine minne,
swer die suochen wil,
der sol komen in unser lant: da ist wünne vil.
lange müeze ich leben dar inne !
Von der Elbe unz an den Rîn
und her wider unz an Ungerlant
mugen wol die besten sîn,
die ich in der werlte hân erkant.
kan ich rehte schouwen
guot gelâz unt lîp,
sem mir got, sô swüere ich wol daz hie diu wîp
19
bezzer sint danne ander frouwen.
Der ich vil gedienet hân
und iemer mêre gerne dienen wil,
diust von mir vil unerlân.
iedoch sô tuot si leides mir sô vil.
si kan mir versêren
herze und den muot.
nu vergebez ir got dazs an mir missetuot,
her nâch mac si sichs bekêren.
Sagt (mir) “Willkommen!”
Der Euch Neuigkeiten bringt, das bin ich.
Alles, was Ihr (bisher) gehört habt,
das ist nur ein Wind. Nun fragt mich.
Ich will aber belohnt werden.
Wird mein Lohn gut,
so sage ich Euch gerne, was Euch angenehm ist.
Seht zu, was Ihr mir an Ehren bieten könnt.
Ich will deutschen Frauen
solche Neuigkeiten sagen, daß sie
vor der ganzen Welt stolz dastehen können.
Das tue ich ohne große Belohnung.
Was könnte ich schon als Lohn verlangen?
Sie sind ja so vornehm!
Daher benehme ich mich korrekt und bitte sie nur,
daß sie mich freundlich grüßen.
Ich habe viele Länder gesehen
und habe überall die besten (Menschen) kennengelernt.
Ein Unglück soll mir geschehen,
könnte ich je mein Herz dazu bewegen,
daß ihm gut gefalle
fremde Sitte.
Was würde es mir schon helfen, wenn ich auch meine besten Kunstmittel einsetzte
20
(um das Lob fremder Sitte zu singen)?
Deutsche Art übertrifft sie alle.
Die deutschen Männer sind wohlerzogen,
und die Frauen sind ganz wie Engel geschaffen.
Wer von ihnen Schlechtes sagt, der ist irre geleitet;
anders kann ich es mir nicht erklären.
Edles Wesen und reine Liebe,
wer immer die sucht,
der komme in unser Land, da wird er viel Freude haben.
Lange möchte ich noch darin leben!
Von der Elbe bis zum Rhein
und bis hierher ans Ungerland
da leben sicher die Besten,
die ich in der Welt gefunden habe.
Wenn ich edles Benehmen und Schönheit
überhaupt beurteilen kann,
o helf mir Gott, dann schwöre ich, daß die Frauen
hier besser sind als anderswo.
(Die Frau), deren Dienst ich mich ganz hingegeben habe
und der ich immer mit Freuden dienen will,
der bin ich noch immer treu.
Sie jedoch fügt mir großen Schmerz zu.
Sie versteht es, mir zu verwunden
das Herz und den Sinn.
Vorerst möge Gott ihr vergeben, was sie an mir sündigt.
Später wird sie es sich vielleicht anders überlegen...
In Hinblick darauf, daß auch die sechste Strophe zur ursprünglichen Komposition gehört, ist
die Strophenfolge inhaltlich völlig kohärent und bedarf keiner einfühlsam nacherzählend-
interpretierenden Rechtfertigung. Der Sänger präsentiert sich seinem Publikum in der Rolle
des professionell tätigen Sängers und Komponisten und spielt gleich zu Beginn auf die
Käuflichkeit dieses Berufsstandes an — eine Spitze gegen den provenzalischen Kollegen Peire
21
Vidal, der als Gast des ungarischen Königs Emmerich Spottlieder gegen die Deutschen verfaßt
hatte? In der dritten Strophe bereitet Walther bereits die pointierte Schlußwendung des Liedes
vor, indem er die Rollen wieder trennt: auf der einen Seite er, der Mann, der persönliche
Folgen auf sich zu nehmen bereit ist: “Ein Unglück soll mir geschehen...”, und auf der anderen
der Sänger: “Meine besten Kunstmittel würden nicht genügen...”.
Die Behauptung “Deutsche Art übertrifft sie alle” wird in den nachfolgenden Strophen im
einzelnen ausgeführt, zuerst allgemein mit dem Lob des Landes in der vierten Strophe und
schließlich speziell in Hinblick auf die Frauen, deren Lob am Ende der fünften Strophe
gesungen wird. Die letzte Strophe bringt die pointierte Wende. Nach soviel Lob wird der
Topos der freudeverweigernden Minne-Dame gegen die Lobesstrophen ausgespielt, der Mann
widerspricht mit seiner Erfahrung dem Sänger. Aber nicht ganz im Ernst, sondern mit Ironie
und spielerisch. Das erlittene Leid braucht ja nicht endgültig zu sein. Vielleicht wird die Dame
von alleine vernünftig werden — Gott braucht sich also nicht mit einem Wunder zu bemühen
(Morungen: got der welle ein wunder sin / vil verre an ir erzeigen, “Gott müßte schon eines
seiner Wunder an ihr vollbringen”) — für den Moment genüge es wohl, daß er der ungefügen
Dame verzeihe...
Ein solch subtiles Spiel mit Erwartungen, mit Zitaten und dem literarischen Hintergrund der
eigenen Produktion hatte kaum eine wirkliche Chance, auf dem Pergament zu überleben. Um
überhaupt rezepierbar zu sein, mußte dem Lied ein “stabilerer” Sinn abgewonnen werden, der
sprachlich genauer fixiert war und “besser reiste”. Durch die Umstellung der zwei zentralen
Strophen und den Texteingriff am Ende der alten dritten, nun vierten Strophe hat die in C
erhaltene Fassung genau dieses Ziel erreicht. Die Strophen folgen aufeinander in einer
oberflächlich gesehen klaren inhaltlichen Entwicklung:
2: Ich wil tiuschen frouwen sagen..
3: Tiusche man sint wol gezogen...
... der sol komen in unser lant
4: Ich hân lande vil gesehen...
zu der nun als Abschluß nur die negierte Wendung passen konnte: ... ob ich unrehte strite,
“Was würde es mir nützen, wenn ich Falsches behauptete?”. An diesem Punkt würde der
Sänger, der Gegenteiliges behauptete, seinen eigenen Worten widersprechen. Der Texteingriff,
den C erhalten hat, ist kohärent und sinnvoll in Zusammenhang mit der Umstellung der dritten
und vierten Strophe zu erklären.
22
Wie jedoch ließe sich der umgekehrte Weg vorstellen, die Änderung einer C nahestehenden
Vorlage zu ob ich vil rehte strite? Aus der Sicht, die negierte Variante sei die ursprüngliche (so
in allen Ausgaben des Liedes), kann sowohl die positive Variante als auch der
Änderungsprozeß, der zu ihr geführt hat, nur als sinnlos erscheinen, eben als “Fehler”.
Dagegen steht der Versuch, Textvarianten, Unterschiede in der Strophenfolge und die “Logik
der Veränderung” im Bereich der handschriftlichen Überlieferung in ein System zu bringen,
dessen Elemente nur “schwach” mit Bedeutung beladen sind, so daß keines isoliert das onus
probandi einer aufwendigen Interpretation zu tragen hat.
Der ändernde Eingriff in A ist anderer Art als der, den C dokumentiert; wiederum werden die
Strophen nach oberflächlichen Motivverknüpfungen neu geordnet, aber der Leser des
rezepierten Textes sieht die thematische Entwicklung anders: auf die dritte Strophe mit Ich hân
lande vil gesehen läßt er die Strophe folgen, die ihm mit der Aufzählung der Länder als direkte
Fortsetzung jener Strophe erscheint: Von der Elbe unz an den Rîn, auf die nun als fünfte die
ehemalige vierte Strophe folgt. In dieser Position im Lied, nach der Nennung aller Länder,
erhält das Lob des eigenen Landes und der Wunsch, “lange dort leben zu können” eine ganz
präzise Bedeutung als Akt der Zusammenfassung der inhaltlich verknüpften Gruppe von drei
Strophen (3-4-5) und markiert die letzte Strophe der Gruppe als “Schluß". Die alte sechste
Strophe paßte nicht mehr in das neue Sinngefüge und ließ sich auch nicht an die fünfte
Strophe, die bereits einen Abschluß markiert, anfügen; der Bearbeiter ließ sie weg.
Die Eingriffe sind also jeweils punktuell und zeigen sich dem Philologen im Fall der
“motivierten” Textvariante isoliert an einer ganz bestimmten Stelle im Text, sie sind aber aus
dem Bestreben der Leser entstanden, dem ganzen Lied, so wie es ihnen die Überlieferung
darbot, einen Sinn abzugewinnen, und nicht im Zweifel über eine isolierte, “schwierige” Stelle
im Text. Das Ergebnis, das nun in der Form von drei verschiedenen, jeweils plausiblen und
akzeptablen Anordnungen der Strophen vorliegt, ist aber gerade kein Beweis für die Freiheit
der Strophen in ihrem Gebrauch, sondern für das Gegenteil — für die Suche nach einer
sinnvollen Ordnung.
23
Herzeliebez frowelîn
Prüfstein jeder alternativen Methode, den Sinn von Walthers Liedern zu erfassen, ist der
postum erschienene Kommentar zu einigen Minneliedern Walthers, den zu vollenden Hugo
Kuhn nicht mehr vergönnt war. Die ausführlichste Kommentierung und Analyse hat Kuhn
dem dritten der kanonischen “Mädchenlieder” gewidmet, Herzeliebez frowelîn. Im Gegensatz
zu den bisher untersuchten Liedern hat dieses Lied weder undeutbar scheinende
Einzelprobleme, noch Problemfälle textkritischer Art; auch die Strophenfolge ist durch A, E
und G gut gesichert.
Herzeliebez frowelîn,
got gebe dir hiute und iemer guot.
kund ich baz gedenken dîn,
des hete ich willeclîchen muot.
waz mac ich dir sagen mê,
wan daz dir nieman holder ist?
Owê, dâ von ist mir vil wê.
Sie verwîzent mir daz ich
sô nidere wende mînen sanc.
daz si niht versinnent sich
waz liebe sî, des haben undanc!
sie getraf diu liebe nie,
die nâch dem guote und nâch der schoene minnent;
wê wie minnent die?
Bî der schoene ist dicke haz:
zer schoene niemen sî ze gach.
liebe tuot dem herzen baz,
liebe gêt diu schoene nâch.
liebe machet schoene wîp:
desn mac diu schoene niht getuon,
sin machet niemer lieben lîp.
24
Ich vertrage als ich vertruoc
und als ich iemer wil vertragen.
du bist schoene und hast genuc:
waz mugen si mir dâ von gesagen?
swaz si sagen, ich bin dir holt,
und nim dîn glesîn vingerlîn
für einer küneginne golt.
Hâst dû triuwe und staetekeit,
sô bin ich dîn an angest gar
daz mir iemer herzeleit
mit dînem willen widervar.
hâst ab dû der zweier niht,
son müezest dû mîn niemer werden.
Owê danne, ob daz geschiht! (36)
H. Kuhn sieht seine Interpretation als Versuch, das Lied von seinem “pragmatischen”
Gebrauchs-Horizont aus zu verstehen. In seiner Übersetzung ist das angestrebte Ergebnis
jedoch schon in Form von präjudizierenden Entscheidungen, wie der Text im Einzelfall zu
verstehen sei, vorbereitet; besonders deutlich natürlich in der ersten Strophe, der Grundlage für
das Verständnis des ganzen Liedes:
Kleine Herrin der Herzeliebe
Gott begabe dich heute und allezeit mit “Gut”.
Könnte ich dich “besser” grüßen
dazu wäre ich mit ganzem Willen bereit.
Was kann ich dir “mehr” “sagen” als:
daß dir niemand mehr “Hulde” leistet?
O weh, dadurch leide ich sehr. (37)
In der Übersetzung Kuhn’s sind die Schlüsselwörter des Liedes (aber korrekter wäre zu
präzisieren: die Schlüsselwörter der Interpretation des Liedes) durch Anführungszeichen
markiert, des öfteren auch dadurch, daß sie die mhd. Form wiedergeben oder aber einen
Terminus technicus aus mittelalterlichem Geistesleben. Mit diesen genauen Anklängen an
bestimmte Bereiche der mittelalterlichen “Ideologie”, sind die Weichen für die Interpretation
25
des Liedes von allem Anfang an klar gestellt: “Walther zitiert hier eindeutig die, philosophisch
seit Aristoteles traditionelle, Dreiteilung des “Guten” (neben anderen!) als Ziel allen Strebens,
in verschiedenwertige “Güter: Guot = bonum externum, schoene = bonum corporis, womit
dann schon liebe als bonum animi, als herzeliebe (I,1; III, 3), und damit ihre überraschende
Einführung als geforderte Wert-Erkenntnis des Minnens (II, 4), impliziert ist.” (38)
Schon an diesem Punkt, an dem die Hypothese Kuhns noch in keiner Weise abgesichert ist,
muß er das wichtigste Element der vorausgesetzten Triade an Werten, die liebe, als
“impliziert” zum Text hinzudenken, und in einem anderen Moment der Interpretation ist er
gezwungen festzustellen: “Guot = bonum externum (II, 6) wird bis zur Strophe IV fallen
gelassen; es war wohl zunächst nur um der Systematik willen zitiert.” Damit ist das komplexe
Gebäude der Interpretation bereits in höchstem Maß fragwürdig geworden, und der Verdacht
liegt nahe, die von Kuhn im Text gefundene Systematik sei nichts anderes als eine
Konstruktion des modernen Beobachters, der auf ihm bekannte mittelalterliche Daten
zurückgreift, um die “Fremdheit” eines Textes zu überwinden, der ohne solch verfremdenden
Zugriff entweder als banal oder als gefährlich “modern” erschiene.
Daz dir nieman holder ist am Schluß der ersten Strophe übersetzt Kuhn daher nicht, wie es
durchaus angemessen scheint, mit “daß dich niemand mehr liebt als ich”, sondern auf eine
Weise, daß die (mitausgedrückten) Konnotationen des Adjektivs holt zur eigentlichen
Denotation eines Substantivs hulde werden, mit weitreichenden Konsequenzen für die
Deutung des ganzen Liedes: “Als lehensrechtliche Metaphorik für die Minne-Werbung ist es
hier ausschließich die Hulde (=Treueid, fidelitas), die das ganze Lied von nieman holder I, 6
an durchzieht. Die Belehnung aber wird hier zum Paradoxon der niederen Adresse dieser
Hulde (II,2) gesteigert.” (39)
Dem aufmerksamen Leser konnte jedoch nicht entgehen, was den Interpreten eigentlich zur
Vorsicht hätte mahnen müssen, daß sich nämlich dieser Interpretation bereits am Ende der
ersten Strophe eine unüberwindliche Hürde entgegenstellt. Denn was bedeutet die Klage des
Sängers über sein Lied? Kuhn ist gezwungen, diesen Satz aus dem Kontext der Stelle
“wegzuinterpretieren”, indem er ihm nur Verweisfunktion für die Leid-Thematik am Ende der
letzten Strophe zuspricht: “Es liegt nahe, die — wiederum überraschende — Wendung am
Schluß der Strophe im Anschluß an die letztere Komponente der hulde in Sinne der liebe-leit-
Formel zu verstehen. Aber daß dann die letzte Strophe (V) wieder mit owe danne... schließt, ist
kaum ohne Absicht.” (40)
26
Das Lied hat noch zwei Stellen, wo Kuhn gezwungen ist, das “Textverständnis” der
Interpretation zu beugen, und zwar die Klage am Schluß des Liedes und die zentrale Aussage
des Sängers in der Diskussion der Minneproblematik: liebe tuot dem herzen baz, wo der
Komparativ jedem Versuch widerspricht, liebe = bonum animi in einer Triade von abgestuften
Werten zu verankern. Die einzelnen Punkte des Textes sollen aber im Zusammenhang einer
alternativen Interpretation/Übersetzung des Liedes diskutiert werden, und dieser alternative
Ansatz muß schon die Voraussetzungen selbst kritisch überprüfen, auf denen die Interpretation
von Kuhn stillschweigend gründet: sie liegt in der lakonischen Angabe zum Auftrittstyp: “Mit
dem Sänger-Auftritt von Strophe I gibt sich das Lied zunächst als Typ einer traditionellen,
werbend-huldigenden Gruß-Adresse an eine Dame.” (41)
Das Lied ist damit in seiner Sprechhaltung präzise festgelegt, bevor die eigentliche Analyse
des Textes begonnen wurde, denn der Sänger wendet sich nach dieser Bestimmung des
Auftrittstyps an ein in seiner fiktiven Welt anwesend gedachtes Mädchen. Und Kuhns
Übersetzung betont die Anwesenheit des Mädchens gerade an den Stellen, wo der Text,
zwanglos “interpretiert”, eigentlich das Gegenteil sagt, gedenken in I,3, das Kuhn mit “grüßen”
wiedergibt und nicht mit “an dich denken”, sowie die Worte zu Beginn des Liedes, die sehr
wohl als Indiz für Distanz gelten können. Die Worte des Sängers könnten in einer fiktiven
Szene situiert sein, in der der Mann allein, vom geliebten Mädchen getrennt, das Wort ergreift,
ja, der Wortlaut der letzten Strophe legt sogar nahe, daß die beiden, modern ausgedrückt,
überhaupt noch kein Liebespaar sind, sondern daß da ein junger Mann von einem Mädchen
träumt und von seinen Vorstellungen einer idealen Verbindung.
Entscheidend für das Textverständnis und zugleich Anstoß zu einer gegenüber Kuhns Deutung
grundlegend anderen Interpretation des Liedes sind die Klagerufe am Ende der ersten und der
letzten Strophe. In der letzten Strophe stellt der Liebende eine Bedingung für den guten
Ausgang seines Sehnens: das Mädchen muß treu und beständig sein; sollte sie es jedoch nicht
sein, dann kann sich seine Liebe überhaupt nicht verwirklichen — und er wird darunter leiden.
Es ist ein hypothetischer Fall, der mit schmerzlichen Konsequenzen droht: owê danne, ob daz
geschiht!
Am Ende der ersten Strophe hat der Sprecher ganz andere Probleme: das wê als Folge einer
bereits vollbrachten Handlung ist bereits eingetreten: owê, da von ist mir vil wê! Der Grund für
diese Klage steht — dem modernen Leser verborgen — im Kontext der Stelle.
Beim Lesen von “fremden” Texten ist der moderne Leser um sichere Anhaltspunkte besorgt;
die sucht und findet er, unter anderem, indem er textinterne Beziehungen tendentiell eher als
27
anaphorische denn als kataphorische deutet. Der Text wird also in seinem thematischen
Aufbau so rekonstruiert, wie der Leser in seinem Versuch, den Text zu verstehen, fortschreitet
— zögernd, immer mit einem Blick zurück, sich vergewissernd, ob der erspürte
Sinnzusammenhang bis dahin auch “in Ordnung” sei. So beziehen die Interpreten dieses
Liedes den Komparativ baz gedenken aus der dritten Zeile der ersten Strophe ohne zu zögern
auf die vorangegangene Anrede Herzeliebez frowelîn. Nur H. Kuhn ist gezwungen, den
Komparativ, der nicht in sein Interpretationskonzept paßt, wegzuinterpretieren: “Hier nicht als
Überbietung, sondern als Weiterführung des huldigenden Grußes”. (42) Aber auch dieser
Leseversuch setzt einen anaphorisch gedachten Bezugspunkt und läßt den kontinuierlichen
Gedankenablauf mit der vierten Zeile zu Ende gehen.
Die Strophe kann aber ganz anders verstanden werden. Eine Pause ist nach dem ersten Satz zu
denken. Dann eilen die Gedanken des Sprechers in einem Zug voran bis zur Pause vor dem
Klageruf: “Ich möchte” — umschreibend wiedergegeben — “dir in Gedanken verbunden sein,
so gut ich nur kann, nein, besser, als ich vermag, aber wie könnte ich es besser machen, als
dadurch, daß ich sage, daß ich niemanden mehr liebe als dich?” Dem modernen Sprachgefühl
fehlt im mhd. Text nur eine adversative Konjunktion zu Beginn der fünften Zeile, aber im
Mhd. mit seiner geringeren Differenzierung der Beziehungen innerhalb von Satzgefügen
konnte die Abfolge der Ausdrücke im Komparativ baz gedenken, sagen mê und nieman holder
durchaus genügen, um den Sinn der ausgedrückten Gedanken verständlich zu machen.
Der Sprecher blickt also vorwärts — um die semantische Strukturierung seiner Sätze bildlich
zu fassen — und nicht zurück, und im vorwärtsdrängenden Satzgefüge dieser Strophe hat er
eine Pointe versteckt, die den Aufbau und den “Sinn” seines Monologs entschlüsseln hilft. Es
ist der Gegensatz von gedenken und sagen. Im privaten Bereich des Menschen sind die
Gedanken und das gesprochene Wort nur durch eine jederzeit überschreitbare Schwelle
getrennt. Nicht jedoch im Leben des Sängers — denn nur sein Denken ist “privat”, sein
Sprechen ist “öffentlich”.
Thema dieses Liedes ist der dem Sänger auferlegte Verzicht auf privates Sprechen. Dem
Sänger, und nur ihm, ist es nicht gestattet, das Gefühl der Liebe öffentlich auszusprechen, denn
als öffentlich Sprechender ist der Sänger Normen verpflichtet, die seine “Rolle”, und damit
seine Rolle in der Gesellschaft, überhaupt erst konstituieren. “Der Akt des Singens wird zur
Erfüllung der Rolle, die er besingt: Dienst an der Dame als höchstem gesellschaftlichen Wert
und damit Dienst an der Gesellschaft selbst”, (43) faßt R. Warning dieses, auf der
Identifikation von Sänger und seiner Rolle basierende Programm des “hohen Minnesangs”
28
zusammen. Die Sprache des Sängers ist von diesen Normen geregelt, aber es sind soziale
Normen und sie gelten nur im engen Bereich höfischer Hochkultur. Wie alle “Spielregeln”
verpflichten sie nur in Relation zum “Spiel”; wer jedoch die Spielregeln bricht, die seine Rolle
in diesem Spiel konstituieren, hört eben auf, diese Rolle weiter zu spielen. Ist er Sänger, dann
verliert er seine soziale Funktion als Sänger.
Aus der entgegengesetzten Perspektive hat P. Wapnewski dieses Dilemma so beschrieben:
“Mit der öffentlichen Zulassung des persönlichen erotischen Gefühls aber im Minnedienst
wird dieser als gesellschaftskonstituierendes Phänomen zerstört.” (44) Walthers Anteil an
dieser Zerstörung des traditionellen Sinngefüges des hohen Sanges wird von der Forschung
seit über einem Jahrhundert intensivst untersucht, und das Lied Herzeliebez frowelîn dient
gleichsam als Kronzeuge für den vollständig vollzogenen Wandel in der Minneanschauung
Walthers. Auch Hugo Kuhn kommt zu diesem Ergebnis, wenn er den Inhaltstyp kennzeichnet:
“Im Vortrag aber entwickelt es sich als Typ einer Diskussion und Definition der (nideren)
Minne.” (45)
Kuhns Deutung weist dem Lied die Funktion eines öffentlichen Sprechaktes zu, der Sänger
verteidige mit Argumenten aus dem Horizont des ritterlichen Publikums die Würde des
“niederen Sanges”. Aber im Lied wird kein Gegensatz zum “hohen Sang” erwähnt. Der Sänger
spricht in diesem Lied in einer fiktiven Situation, und das ganze Lied hindurch läßt kein
sprachliches Indiz auch nur vermuten, daß diese “Situation” die des öffentlichen Diskurses sei,
die Verteidigung eines Programms oder das Zurückweisen der Ansichten anderer. Vorgestellt
wird ein Mann in der Rolle des Klagenden. Er hat zweifaches Leid zu tragen: den Gedanken
an die mögliche Untreue seiner Geliebten — aber davon wird er erst am Schluß seines Liedes
singen. Das ist sein “privater” Bereich: für ihn als Mann gilt die Forderung nach gegenseitiger
Bindung und er überlegt, daß er nur von seiner eigenen Treue wirklich weiß. Das kann ihm
vielleicht noch Leid bringen.
Aber dieser Mann ist Sänger, und als Sänger hat er gegenwärtiges Leid zu ertragen. Es ist ihm
verboten, von seiner Liebe zu singen.
[...] owê, da von ist mir vil wê:
Sie verwîzent mir daz ich
so nidere wende minen sanc.
Diese Stelle des Textes wird von allen modernen Lesern so verstanden, wie es die Übersetzung
von G. und U. Pörksen ausdrückt: “Man wirft mir vor, daß ich mein Lied an ein einfaches
29
Mädchen richte.” (46) Gute Übersetzungen, wie die eben zitierte, unterscheiden sich von
weniger guten auch dadurch, daß die Übersetzer immer bestrebt sind, einen kohärenten Sinn
wiederzugeben. Bei diesem Beispiel gehört zur Kohärenz der getroffenen Entscheidung, daß
mit der zweiten Strophe ein ganz neuer Sprechakt einsetzt — und die Übersetzer trennen nun
den Beginn der Strophe vom Ende der vorangegangenen, indem sie vil mit “oft” wiedergeben:
“Ach, das tut mir oft weh”, wodurch der Eindruck entsteht, mit der ersten Strophe gehe ein
abgeschlossener Gedankengang zu Ende, der in keiner Beziehung zu den nachfolgenden
“Programmstrophen” steht.
Die zweite Strophe erklärt, um was für ein Leid es sich handelt, das am Ende der ersten
Strophe beklagt wird. Es ist nicht das Leid des Mannes, sondern das des Sängers. Er würde
dem Mädchen gerne öffentlich sagen, daß er keine mehr liebt als sie. Aber er denkt diesen
Gedanken nur für sich, es bleibt ein unerfüllbarer Wunsch: sie verw”zent mir daz ich so nidere
wende minen sanc. In der traditionellen Deutung dieses Satzes wird ein recht kompliziertes
Sinngefüge angenommen. Einerseits gilt das Lied als Ausdruck des “niederen Sanges”,
andererseits aber als Vorwurf wegen des “niederen Singens”. In diesem Kontext kann der
Vorwurf eigentlich nur anderen Liedern der “niederen Minne” desselben Sängers gegolten
haben, und nicht dem Lied, das der Sänger gerade singt — es sei denn, man wollte den Satz als
eine Anspielung auf Protestaktionen im Publikum während des Vortrages des Liedes deuten!
Dieser Satz stellt auf der Ebene des Satzes dasselbe Bedeutungsproblem, das auf der Ebene der
“Gattungen” dann auftritt, wenn der Ursprung einer Gattung gesucht und/oder untersucht
werden soll. Ich möchte es das Problem der erfolgten oder nicht-erfolgten Aktualisierung
nennen. Der moderne Interpret, der es unternimmt, “das erste liturgische Spiel” des
Mittelalters zu untersuchen, setzt immer schon voraus, daß der von ihm untersuchte Text ein
bereits aktualisiertes Ereignis innerhalb des definitorisch bestimmten Rahmens der neuen
“Gattung” darstelle — oder er bestreitet, daß in einem speziellen Fall die Bedingungen erfüllt
seien, die es erlauben, das Ereignis als Beispiel für die neue Gattung zu werten. Aber weder
dem affirmativen noch dem negierenden Akt der Beurteilung gelingt es, hinter die Grenze der
Aktualisierung zurückzublicken — die Voraussetzung für Frage nach dem Ursprung des
Neuen.
In gleicher Weise wurde immer versucht, die einst heftig umstrittene Ursprungsfrage des
Minnesangs einer Lösung näher zu bringen, indem jeweils bereits aktualisierte “Elemente”
(Äußerungen mittelalterlichen Lebens) gleichsam als Versatzstücke hin und her geschoben
wurden, bis sich ein passendes Bild zu ergeben schien, das vom nächsten Forscher dann
30
wiederum als unrichtig verworfen wurde. Es ist das große Verdienst von Hugo Kuhn, diesem
ständig erneuerten, aber immer steriler gewordenen Bild des Minnesangs eine grundsätzlich
alternative Deutung des Phänomens in fieri entgegengestellt zu haben. In Entsprechung zur
Funktion des heiligen Raumes der mittelalterlichen Kathedralen sieht Kuhn auch im
Minnesang das Merkmal “eines wesentlich sakramentalen Vollzugs” und definiert:
“Minnesang ist immer nur Rede zur höfischen Gesellschaft über die höfische Rolle der Liebe,
die in der Form des persönlichen Dienstes dargestellt und vollzogen wird. [...] Das Minnelied
hat ja überhaupt noch keinen Inhalt im eigentlichen Sinn, den es darstellen könnte, hat noch
gar nicht die Liebe, das Gefühl der Liebe, zur Aussage, sondern es baut im Vollzug seiner
gedanklich-syntaktisch-metrisch-musikalischen Formstruktur die Liebe als Minne-Dienst, als
höchste, fast kultische Vollzugsform seiner ständischen Umwelt. Sein Vollzug fällt also mit
seinem Inhalt zusammen, weil dieser Inhalt selbst nichts anderes als Vollzug ist, ritterlich-
höfische Dienst-Form, ständischer Kult, wenn man so will.” (47)
Wir können nun die in diesem Exkurs angeschnittene Problematik auch in der fragwürdigen
Stelle des Liedes erkennen. Mhd. Präsens kann in bestimmten Fällen auch futurische
Bedeutung ausdrücken. Wer diese Texte heute liest, muß den Kontext befragen, ob im
Einzelfall eine solche Deutung wahrscheinlich ist oder nicht. Könnte der Vorwurf in diesem
Kontext also noch gar nicht “aktualisiert” sein, wird er vom Sänger nur als Drohung in
Gedanken erörtert? Etwa wie, “Nun werden sie mir wohl vorwerfen, daß ich mein Lied an ein
so einfaches Mädchen richte...”. Aber er hat an diesem Punkt seines Monologs ja noch gar
keine genauen Angaben über das Mädchen gemacht, dem seine Liebe gilt, die Zuhörer können
also noch gar nicht wissen, daß seine Liebe ihm Leid bringt, weil sie einem einfachen
Mädchen gilt.
Warum aber sollte Liebe zu einem einfachen Mädchen Leid bringen? Natürlich im Fall einer
Zurückweisung oder einer Enttäuschung der Liebe. Davon spricht der Sänger auch in diesem
Lied, aber an einer anderen Stelle. Wo liegt also der Grund für sein Leid, das er in der ersten
Strophe klagt, wenn nicht in der gesellschaftlich sanktionierten Norm, die es ihm verbietet,
von solcher Liebe zu singen? Das verwizen reguliert das Verhalten des Sängers, bevor er die
Grenzen seiner Rolle überschreitet, die Gesellschaft verweist ihm das Singen (nicht
aktualisiert!), nicht jedoch die Lieder (“der niederen Minne”). Der Sänger klagt über ein
Verbot, nicht über eine Rüge.
Das Rollen-Ich dieses Liedes spricht vom Leid des Sängers. Alles, was zu seiner öffentlichen
Rolle und zu seinem Auftreten als Sänger in der Gesellschaft gehört, also auch der “hohe
31
Sang”, ist in seinem Monolog ausgeklammert und fern von ihm. Er stellt sich seinem
Publikum in der — fiktiven — Rolle des privaten Mannes vor, abgeschminkt und hinter der
Rampe. Und allein für sich klagt er sein Leid: daß er seine Liebe dem geliebten Mädchen nicht
mit den Kunstmitteln künden kann, über die er so souverän verfügt, das ist sein wê als Sänger.
Der regulierende Eingriff der sozialen Instanz hat ihn erreicht vor der Aktualisierung des
Verpönten. Der Sänger hat das Lied für sein herzeliebez frowelîn nicht gesungen.
Darüber singt er nun ein Lied — ein anderes Lied, das auch von diesem nicht-gesungenen
spricht und von den Gründen für das Nichtsingen. Der Sänger klagt sein Leid, aber er klagt
auch an:
daz si niht versinnent sich
waz liebe sî, des haben undanc.
Ziel des höfischen Singens ist die hochgemute Stimmung des Publikums, das, schon durch
festliche Stimmung geeint, den Beginn des Sängerauftritts erwartet hatte. Das Gefühl der
erhöhten Existenz, hoher muot, aber auch der innigere, “private” Ausdruck des Gefühls, als
Freude des Herzens — liebe nach mhd. Sprachgebrauch — sind die Werte, an denen höfisches
Singen sein Gelingen zu messen hat; gelingt es ihm, Freude zu schaffen, hat es erfolgreich
gewirkt. Was soll schon Singen, das nicht der liebe dient, der Freude? “Daß sie sich nicht
darauf besinnen, was Herzensfreude ist, dafür sollen sie (= diejenigen, die ihm das so nidere
gerichtete Singen verboten haben) keinen Dank ernten.”
Der Sänger fährt fort: “Wer in der Liebe (minnen) nach Reichtum und Schönheit sucht, der hat
noch nie Herzensfreude erfahren.” Liebe tuot dem herzen baz. Was kann schon die Schönheit
einer Frau dem Herzen des Mannes geben? Allein die Freude kann ihn beglücken. Schönheit
kommt erst an zweiter Stelle, denn “ein freudiges Herz macht jede Frau schön, aber Schönheit
allein macht niemanden von Herzen froh.”
Nach diesem Plädoyer in Sachen Freude gedenkt der Sänger wieder seines Mädchens und des
innigen Bandes, das ihn mit ihr verbindet: Ich vertrage als ich vertruoc und als ich iemer wil
vertragen. Das absolut gesetzte vertragen ist unübersetzbar, das heißt, seine Bedeutung muß
interpretiert werden. Nur im Kontext eines verbalen Syntagmas mit Akkusativobjekt hat mhd.
vertragen die Bedeutung “erdulden”, “ertragen”, wobei die pejorative Bedeutung des
Syntagmas von der Negativität des im Akkusativ Ausgedrückten mitbestimmt wird. Bei
diesem Gebrauch des Verbums kann daher auch in poetisch verkürzter Sprache das
Akkusativobjekt nicht fehlen. Wohl aber kann ein Dativobjekt fehlen, wenn die im
32
unmittelbaren Kontext angesprochene Person gemeint ist, und die von der Valenz des
Verbums geforderte Nominalgruppe aus dem Kontext eindeutig ergänzt werden kann.
Vertragen mit Dativ hat aber keineswegs negative Konnotationen, sondern kann nhd.
wiedergegeben werden mit “Nachsicht haben”, “Geduld haben”, “jemanden verschonen”, (48)
hat also einen Gebrauchswert, der sich dem nhd. “sich mit jm. vertragen” bereits stark nähert.
Ich übersetze die Stelle daher mit diesem nhd. Ausdruck. Daß der Sprecher an dieser Stelle
einen positiv konnotierten Gedanken ausdrückt, wird durch den Kontext hinreichend bestätigt.
In der letzten Strophe fällt schließlich das Stichwort, das dem Monolog des von seiner
Geliebten getrennten Sängers die thematische Einheit verleiht, herzeleit. Auch die Anrede an
das Mädchen zu Beginn des Liedes erhält dadurch ihre inhaltliche Bestimmung.
Mädchen, Freude meines Herzens,
Gott gebe dir heute und alle Tage nur Gutes.
Ich würde wirklich gerne
noch viel besser deiner gedenken —
aber was könnte ich mehr tun, als dir zu sagen
daß dich niemand mehr liebt als ich?
Oh weh, dadurch habe ich großes Leid !
Sie verbieten mir,
meinen Gesang an ein so einfaches Mädchen zu richten.
Aber die verstehen ja nichts von Herzensfreude.
Dafür soll ihnen niemand Dank sagen!
Der hat die Herzensfreude noch nie erfahren,
der in der Liebe nach Reichtum und Schönheit sucht.
Was für eine Liebe ist das schon!
Hinter äußerer Schönheit verbirgt sich oft ein böses Herz.
Die Schönheit suche man daher nicht zu eilfertig.
Freude ist besser für das Herz.
Schönheit kommt nach der Freude:
Herzensfreude macht eine Frau schön,
das vermag die Schönheit nicht —
sie macht niemals jemanden von Herzen froh.
33
(Mit dir) vertrage ich (mich), habe ich (mich) vertragen,
und will (mich) immer vertragen.
Für mich bist du schön und reich.
Was können die anderen schon dagegen sagen.
Was immer sie sagen: ich liebe dich —
Und nehme dein gläsernes Ringlein lieber
als den goldenen Ring einer Prinzessin.
Hast du Treue und Beständigkeit,
so habe ich keine Angst,
daß du mir je willentlich Herzeleid
zufügen wirst.
Hast du die beiden aber nicht,
so kannst du niemals mein werden.
O weh, falls dies geschieht!
Der mit der Rollendifferenzierung Liebender/Dichter erreichte Erkenntnisgewinn ist ein
zweifacher: erstens lassen sich bestimmte Lieder überhaupt nur mit ihrer Hilfe als sinnvoll
geordnete Werke verstehen: das ist von Fall zu Fall interpretativ nachzuweisen, wobei zu den
Ergebnissen in Form von Textverständnis und literarischer Analyse auch die Einsichten über
die handschriftliche Überlieferung hinzukommen.
Zweitens jedoch ist die als notwendig erkannte Differenzierung nach sprachlich genau
gestalteten Rollen auch in solchen Fällen von Interesse, wo sie innerhalb eines Liedes nicht
vorgenommen wird. Diese Lieder müssen ihren Sinn und ihre poetische Struktur dem
modernen Beobachter eben vor dem Hintergrund ihres einheitlichen “Tons” zeigen.
34
Vröidelîn und herzeliebe
In Walthers Werk findet sich ein anscheinend einzigartiges Lied, dessen Verständnis allein,
nach dem Urteil C. von Kraus, die innere Chronologie von Walthers Schaffen zu klären
imstande ist. Ebenso sagt P. Wapnewski in seiner Ausgabe: “Die grundsätzlichen Erörterungen
dieses Liedes geben ihm eine wichtige Stellung in Walthers Werk und könnten unser
Verständnis seiner Liebesauffassung und ihrer gesellschaftlichen Relevanz wesentlich
erhellen, wenn es uns gelänge, es klar zu verstehen.” (49) Einem unverstandenen Lied wird
also zugemutet, was die verständlichen Lieder nicht zu geben vermochten: ein klares Bild der
Entwicklung von Walthers Einstellung zur Liebe. Im Bändchen der Sammlung Metzler zieht
Halbach die Summe dieser Bemühungen: “Die Deutung der Strophen hat bis heute, ja gerade
in neuester Zeit, vor ganz großen Interpretationsschwierigkeiten gestanden”, (50) womit er
wohl sagen wollte, die neueren Deutungen hätten mehr Verwirrung als Klärung gebracht.
Unbeirrt von solcher Unsicherheit bieten die Interpreten aber bis in kleinste Nuancen
detailreich gezeichnete Ergebnisse.
Aus diesen mit dem Erfolg ihrer Deutungen immer zufriedenen Kollegen ragt Hugo Kuhn mit
seinem lebenslangen Bemühen um das Verständnis mittelalterlicher Dichtung wie ein
erratischer Block hervor. Kuhns Methode war, bei aller Meisterschaft der philologischen
Arbeit im einzelnen, der Zweifel. Walthers von der jüngsten Forschung so gewaltsam
gedeutetes “Programmlied” Aller werdekeit ein füegerinne schien Kuhn klarer verständlich zu
sein, wenn man es zusammen mit den drei Strophen, die ihm in der hs. Überlieferung
unmittelbar vorangehen, als einheitliches Lied verstand. Daß in der deutlich durch innovative
Textvarianten gekennzeichneten Überlieferung von C und E die letzte Strophe der ersten
Gruppe von drei Liedern ans Ende einer Gruppe von fünf Strophen gerückt ist — also ans
Ende eines “Liedes”, in dem tatsächlich die von Kuhn angenommene Einheit aller fünf
Strophen verwirklicht ist —, spricht aber eher gegen diese These. Die schwer verständlichen
theoretischen Strophen könnten nach erfolgter Rezeption mit bedeutungsändernden Eingriffen
in den Text als zu wenig konsistent angesehen und somit zusammen mit ursprünglich getrennt
überlieferten Strophen in ein größeres Sinngefüge gebracht worden sein.
Kuhns Ansicht hat daher, ebenso wie die entgegengesetzte Ansicht, die seit der Ausgabe von
Lachmann mit zwei getrennten Liedern rechnet, keine vorab und extern fixierte Plausibilität
35
für sich. Die Argumente müssen im Text der Lieder selbst gesucht werden. Kuhn meinte, den
Schlüssel für die von ihm erkannte Einheit der fünf Strophen im Wortspiel am Ende der dritten
Strophe gefunden zu haben: “Alle Versuche, es als Adynaton, als Unmöglichkeits-Topos zu
verstehen, blieben und bleiben pointelos.” (51) Nur in Zusammenhang mit der nachfolgenden
Begriffsdiskussion lasse der Schluß der dritten Strophe “in witziger Pointe” seinen
eigentlichen Sinn erkennen, der zugleich die Brücke schlage zu den beiden nachfolgenden
Strophen und damit die Einheit des Liedes erweise.
Diese Argumentationsreihe hat einen schwachen Punkt im Verständnis des Wortspiels am
Ende der dritten Strophe, dessen Pointe gerade das Gegenteil von dem beweist, was Kuhn
nachzuweisen sich bemüht — die thematische Einheit der ersten drei Strophen; eine Einheit,
die gegenüber den nachfolgenden Strophen eine Grenze markiert.
Sô di bluomen ûz dem grase dringent,
same si lachen gegen der spilden sunnen,
in einem meien an dem morgen fruo,
und diu kleinen vogellîn wol singent
in ir besten wîse die si kunnen,
waz wünne mac sich dâ gelîchen zuo?
ez ist wol halb ein himelrîche.
suln wir sprechen waz sich deme gelîche,
sô sage ich waz mir dicke baz
in mînen ougen hât getân,
und taete ouch noch, gesaehe ich daz.
Swâ ein edeliu schoene froze reine,
wol gekleidet unde wol gebunden,
dur kurzewîle zuo vil liuten gât,
hovelîchen hôhemuot, niht eine,
umbe sehende ein wênic under stunden,
alsam der sunne gegen den sternen stât, —
der meie bringe uns al sîn wunder,
waz ist dâ sô wünneclîches under,
als ir vil minneclîcher lîp?
wir lâzen alle bluomen stân,
und kapfen an daz werde wîp.
36
Nû wol dan, welt ir die wârheit schouwen!
gên wir zuo des meien hôhgezîte!
der ist mit aller sîner krefte komen.
seht an in und seht an schoene frouwen,
wederz dâ daz ander überstrîte:
daz bezzer spil, ob ich daz hân genomen.
owê der mich dâ welen lieze,
wie rehte schiere ich danne kür!
hêr Meie, ir müeset merze sîn,
ê ich mîn frowen dâ verlür. (52)
In der ersten Strophe evoziert Walther in vielgerühmten Versen die Schönheit und die Wonne
des Frühlings — in der zweiten Strophe stellt er der natürlichen Schönheit die Dame als
Sinnbild höfischer Schönheit gegenüber. Fazit: “wir lassen die Blumen Blumen sein und
schauen die schöne Frau an.”
Wollte jemand diese Entscheidung als falsch zurückweisen, er überzeuge sich selbst — fährt in
pointierter Form die dritte Strophe fort — er soll vergleichen und sich selbst überzeugen, ob
er, der Sänger, in diesem Wettstreit die richtige Partei ergriffen habe (daz bezzer spil, ob ich
daz han genomen). Die Aufforderung ist rhetorisch, wie auch die Aufforderung, sich zwischen
den Freuden des Mai und denen der edlen Dame zu entscheiden, spielerisch ist. Aber im
abgesteckten Raum des Spieles verteidigt der Sänger die von ihm getroffene Wahl: “O weh,
wenn ich gezwungen wäre zu wählen, und das eine dem andern opfern müßte, wie rasch ich da
meine Wahl getroffen hätte! Herr Mai, ich nähme lieber in Kauf, statt deiner einen zweiten
Monat März zu erleben (hêr Meie, ir müeset merze sîn), als daß ich statt dessen auf meine
Dame verzichtete.”
Mit dieser Schlußpointe, die dem Lied, dessen beide ersten Strophen deutlich auf diese Pointe
hin gestaltet sind, thematische Einheit verleiht, ist das Lied zu Ende. In seiner Interpretation
mißt Kuhn den einzelnen Elementen, die an diesem “Spiel” beteiligt sind, zu schweres
Gewicht zu und verändert so die thematische Struktur des ganzen Liedes, denn die
übergewichtigen Elemente lenken den Blick ab von der Bedeutung der Relationen im Text.
Walthers Lieder, die oft auf dem Spiel der Relationen aufbauen, verlieren in dieser Sicht ihren
spielerischen Ton und werden zu schwerfälligen Spekulationen über die Liebe und die Welt.
37
In Walthers berühmten Mailied, Muget ir schouwen, waz dem meien wunders ist beschert, das
auf ganz ähnliche Weise das Motiv der Frühlingsfreude mit dem der Liebe vermengt, führte
Kuhns Interpretation seinerzeit zu einem analogen, “schwerwiegenden” Ergebnis, für das es
im Text keine Stütze gibt. Das Lied ist ganz pointiert auf der Opposition von
freudevoll/freudelos aufgebaut: die ganze Welt ist von den Freuden des Mai erfüllt, alle fühlen
sich wie neugeboren und strahlen in neuer Blüte und Lebenskraft: Uns wil schiere wol
gelingen, wir suln sîn gemeit, tanzen lachen unde singen âne dörperheit. “Uns wird es bald gut
gehen, wir werden fröhlich sein, tanzen, lachen und singen ohne Zuchtlosigkeit.” (53)
Die Modalverben bringen erste Zeichen eines Bruchs in dieses Bild: es ist von Glück und
Freude die Rede, doch stehen sie noch aus: Wê wer waere unvrô? “Ach, wer möchte da unfroh
sein?” Und die suggestiv vorausgesetzte Antwort, daß niemand freiwillig auf Freuden
verzichten wollte, wo alle Welt sich ergötzt, weist bereits auf den thematischen Gegenpol des
Liedes voraus, auf das Fehlen der Freude. Denn ein im Lied Genannter ist von dieser Freude
ausgenommen, das Rollen-Ich selbst: Daz mich, frowe, an fröiden irret, daz ist iuwer lîp. “Was
mich, Herrin, am Frohsein hindert, das seid Ihr. Ihr allein macht mir Kummer, grausame
Frau!” (ungenaedic wîp). Er, der Sänger, muß in dieser allen günstigen Jahreszeit beiseite
stehen, er allein erfährt von minneclîchem munde nichts als unminne (Strophe 4).
Walther hat diese Wende im Lied raffiniert vorausgeplant. Er führt das Beispiel des Sängers
selbst in der zweiten Strophe in signifikantem Kontext erstmalig ein: wê wer waere unvrô? / sît
die vogele alsô schône / singent in ir besten dône / tuon wir ouch alsô! “Ach, wer möchte da
unfroh sein? — Da die Vögel so herrlich singen in ihrer schönsten Melodie — machen wir es
ebenso.” (54)
Der Sänger wird zum Singen ermuntert, gleich, ob ihm danach zumute ist oder nicht. Die uns
heute eigentlich unverständliche dritte Strophe (man beachte die unterschiedlichen Deutungen,
die Kuhn in seinen zwei Übersetzungen gegeben hat!) (55) will mir im Ton, in der Wortwahl
(scheiden, haz, strîten), in Thema und Ausführung das Lied eines nicht zum Singen in
fröhlicher Runde gestimmten Sängers scheinen. Der Sänger wird dem Publikum gleich seine
eigene Lage darstellen, daz mich, frowe, an fröiden irret..., und wird in der Schlußstrophe sein
Verlangen noch deutlicher vorbringen:
Scheidet, frowe, mich von sorgen,
liebet mir die zît:
oder ich muoz an fröiden borgen,
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daz ir saelic sît.
muget ir umbe sehen?
sich froit al diu welt gemeine:
möhte mir von iu ein kleine
fröidelîn geschehen!
Es ist der Sänger, der von sich sagen muß, daz mich an fröiden irret. Um hochgestimmt zu
werden, wie es sein Gesang erfordert, den er nun anstimmen soll, daz ir saelic sît — also zum
Vergnügen der Dame —, soll die Dame ihm das Leid nehmen, oder — pointiert auf die Rolle
des Sängers anspielend, ich muoz fröiden borgen, “ich muß Freude borgen (um singen zu
können)”. Keine andere kann ihm Freude geben, als sie und von ihr verlangt er auch nicht viel,
nur ein kleine fröidelîn...
Walthers Lieder lassen sich also “enträtseln”, oder zeigen dem modernen Leser überhaupt erst,
daß sie ein Rätsel enthalten — wie das eben zitierte Lied — wenn wir die uns fremden
Elemente im Text (meist mhd. Wörter mit sehr großem Bedeutungsumfang, der nur durch den
Kontext eingeschränkt werden kann, in dem aber wiederum Elemente auftauchen, die selbst
der Begrenzung ihrer Bedeutung bedürfen) nicht schon im ersten Leseversuch sofort mit
Bedeutung “aufladen” d. h., eindeutig in ihrer präsumtiven Bedeutungsgrenze bestimmen,
sondern zuerst die Semantik der Relationen zu bestimmen suchen, durch die diese uns so
schwer deutbaren “Elemente” miteinander verknüpft sind.
Mit diesem methodischen Bewußtsein läßt sich auch das schwer zu deutende Lied Aller
werdekeit ein füegerinne lesen:
Aller werdekeit ein füegerinne
daz sît ir zewâre, frowe Mâze.
er saelic man, der iuwer lêre hât.
der endarf sich iuwer niender inne
weder ze hove schamen noch an der strâze.
dur daz (sô) suoche ich, frouwe, iuwern rât,
daz ir mich ebene werben lêret:
wirb ich nider, wirb ich hôhe — ich bin versêret.
ich was vil nâch ze nidere tôt,
nû bin ich aber ze hôhe siech.
unmâze enlât mich âne nôt.
39
Nideriu minne heizet diu sô swachet,
daz der muot nâch kranker liebe ringet:
diu minne tuot unlobelîche wê.
hôhiu minne reizet unde machet,
daz der muot nâch hôher wirde ûf swinget:
diu winket mir nû, daz ich mit ir gê.
mich wundert, wes diu mâze beitet!
kumet diu herzeliebe, ich bin iedoch verleitet:
min ougen hânt ein wîp ersehen,
swie minneclich ir rede sî,
mir mac doch schade von ir geschehen. (56)
Mit Hilfe ausführlicher textsemantischer Analysen ließe sich nachweisen, daß die Interpreten
dieses Liedes meist schon mit dem ersten Satz ihrer Inhaltswiedergabe den Grundstein für das
Mißverständnis des ganzen Liedes legen. In krassem Widerspruch zur erklärten oder
stillschweigend vorausgesetzten Absicht der Interpreten, mit der Paraphrase noch keine
Interpretation zu geben, ist jeder Versuch, den “Inhalt” dieses Liedes mit anderen Worten zu
referieren, bereits ein entscheidender Schritt auf dem Weg der Interpretation, denn die
Paraphrase ändert in allen Fällen die Thema-Rhema-Struktur des Sprechaktes im Lied.
Der bisher nur als alternativer methodischer Vorschlag präsentierte Versuch, das Sinngefüge
der Texte mit Hilfe von “schwach” determinierten Elementen zu rekonstruieren, erweist sich
bei diesem Text als notwendiger methodischer Schritt. So betrachtet, offenbart dieses trotz
aller Deutungsversuche bisher unverstanden gebliebene Lied eindeutig und klar seinen Sinn,
im Spiel von Oppositionen, das den ganzen Text durchzieht wie ein Gerüst, an das die
einzelnen hochsignifikanten Elemente mit ihrer klaren Zeichenfunktion geheftet werden
können, ohne daß der Sänger zu befürchten hätte, sein Publikum könnte ihn etwa mißverstehen
— denn sein Publikum kannte den Wert der Zeichen im jeweils evozierten System der
Oppositionen.
Der moderne Leser hingegen muß dieses System erst rekonstruieren. Erst wenn verschiedene
Einzeltexte, auf diese Weise rekonstruiert, erkennen lassen, vor welchem Horizont die
bedeutungstragende Elemente im Text funktionieren, können die Ergebnisse verglichen und
für Aussagen über Teilbereiche oder größere Traditionen innerhalb der mhd. Lyrik verwendet
werden. Die eilig gesuchten Parallelstellen zu “Schlüsselwörtern” eines schwer zu
verstehenden Textes haben bisher nur Verwirrung gestiftet und die Unsicherheiten der
40
Interpreten vermehrt. Bei all den Unsicherheiten, die eine genaue Inhaltsanalyse eines uns so
fremden Liedes mit sich bringt, ist es erstaunlich, mit welcher Sicherheit ganz klare
sprachliche Indizien einfach aus dem Text entfernt wurden, nur weil sie nicht in das Bild
passen, das der Interpret sich von diesem Text gemacht hatte. Walthers Text wurde immer mit
dem vor-entschiedenen Wissen gelesen, herzeliebe in Vers 19 komme in diesem Kontext die
Funktion eines terminus technicus der Minnediskussion zu. Damit war für das Verständnis des
Textes an einer entscheidenden Stelle eine Barriere errichtet, die sich bis heute als
unüberwindbar gezeigt hat.
Diese Barriere besteht nicht einfach darin, daß einem Lexem eine “falsche” Bedeutung
zugeordnet wird, denn dieser Typus von “Fehler” kann beim notorisch weiten
Bedeutungsumfang mhd. Lexeme kaum allzu großen Schaden stiften; ein einzelner Fehler
verhindert aber dann das Verständnis des Textes, wenn er den Blick auf die
Bedeutungsstrukturen eines größeren Textsegments verstellt, wie die traditionelle
Interpretation von herzeliebe in diesem Lied. Das Substantiv herzeliebe findet sich in der
zweiten Strophe in stark pejorativ konnotiertem Kontext, in dem es, durch die adversative
Konjunktion jedoch in Opposition gerückt, unvermittelt erscheint. Zuvor war ein einheitlich
negatives Bild von den Wirkungen der Minne gegeben worden, das im Schlußsatz der Strophe
noch ergänzt wird und folgende Elemente des Textes umfaßt: nideriu minne bewirkt kranke
liebe, (“niedrige Sinneslust”) und bereitet wê, ohne daß man dafür irgend ein Lob verdiente:
diu minne tuot unlobelîche wê. Damit ist die Opposition zu einer minne erklärt, die lobelîche
wê tuot — es ist die hôhiu minne, die den Mann dazu bringt, daz der muot nach hôher wirde ûf
swinget, ihm aber schade “Leid” zufügen wird.
Das Oppositionsgefüge ist im letzten Satz deutlich zu erkennen: wie minneclîch die edle Dame
auch sprechen mag, dem Rollen-lch mac doch schade von ir geschehen, “wird dennoch Leid
von ihr zugefügt werden.” C. von Kraus hatte seinerzeit beide adversativen Konjunktionen aus
dem Text entfernt, indem er iedoch in Vers 19 iterativ deutete, und an Stelle von doch in Vers
22 die Variante wol aus BCE in den Text einsetzte. (57) Es kommt noch hinzu, daß der
Schlußsatz mit dem Modalverb mac in den beiden verbreitetsten Übersetzungen nicht in
futurischer Bedeutung wiedergegeben wird, wodurch ein weiteres sprachliches Element im
Sinngefüge des Textes verloren geht. Es dürfte wenige poetisch streng strukturierte Texte
geben, die drei solche Eingriffe in ihre vom Autor konzipierte semantische Strukturierung des
Textes heil überstehen würden. Walthers Lied wurde von diesen groben Versuchen, es zu
deuten, in seinem Kern zerstört.
41
Die Opposition von minneclicher rede der Frau, die dem Mann schade (“Unglück”) zufügt,
entspricht der Klage des Sängers im “Mailied”, von minneclîchem munde nichts als unminne
zu erhalten. Beide Klagen des Mannes setzen als Hintergrund voraus, daß seine offenkundige
Absicht der vröide gilt. Dem höfischen Publikum mußte das nicht in jedem Lied erneut gesagt
werden, die in Freude erlebte Hochstimmung des Herzens war von je der “Sitz im Leben”
höfischen Singens. Wer aber, wie der besitzlose Sänger verholne sorge in seinem Inneren
trägt, ist um so stärker darauf angewiesen, im Moment der sozialen Interaktion den Grund für
jene Stimmung des Herzens zu suchen, die ihn im Wertgefühl des hôhen muot seinem
höfischen Publikum gleichstellt.
Dieses Vorverständnis des Sängers wird in anderen Liedern in strenger Kasuistik aller am
Erreichen des hohen muot beteiligten Schritte, von der Gunst der Umstände über die innere
Herzensregung und den öffentlichen Ausdruck dieses Fühlens als letztem Akt ausgesprochen;
im Lied Aller werdekeit ein füegerinne ist es vom gattungsspezifischen Horizont des
Minneliedes in seinem sozialen Kontext aus am Aufbau des Liedes immer mitbeteiligt und
kann daher im Oppositionsgefüge des negativ markierten Kontextes als positiv markiertes
“Stichwort” in einer Weise auftauchen, die nur den modernen Leser als unvermittelt anmutet:
Kumet diu herzeliebe, ich bin iedoch verleitet. Dieses das Herz mit Freude erfüllende Gefühl
kann den Sänger nicht erreichen, denn er hat sich bereits abgewandt, ungeleitet, wie er sagt,
von den Ratschlägen derjenigen Instanz, die ihm hilfreich zur Seite stehen könnte — die ihm
in diesem Moment aber nicht hilft.
Vor dem Hintergrund dieser pointierten und vielleicht unerwarteten Wende, daß die
angerufene Helferin nicht eingreift, erhalten die Worte des Sängers in der ersten Strophe einen
auch dem modernen Leser nachvollziehbaren Effekt der Verfremdung. Ich versuche, ihn mit
Hilfe einer Übersetzung wiederzugeben, die nach Walthers Sprachgebrauch wirde als
öffentlich erfahrbaren Aspekt des erreichten höfischen Lebensziels versteht, fröide dagegen als
ihren Ausdruck im privaten Bereich:
swer wirde und fröide erwerben wil,
der diene guotes wîbes gruoz.
swen si mit willen grüezen muoz,
der hât mit fröiden wirde vil. (58)
42
Entscheiden für das Erreichen beider Ziele ist das gute Gelingen des Werbens. Gerade daran
fehlt es dem Rollen-Ich des anderen Liedes:
In allen Bereichen höfischen Lebens
entscheidet Ihr, Frau Maze, über den Erfolg.
Glücklich der Mann, der Eure Lehre besitzt.
Der wird damit immer gut fahren,
sowohl bei Hofe als auch unterwegs.
Ich suche daher Euren Beistand,
daß ihr mich lehrt, erfolgreich zu werben.
Werbe ich niedrig, werbe ich hoch — es bringt mir Leid.
An der niederen bin ich beinahe zugrunde gegangen,
nun kranke ich an der hohen.
Daß ich ohne den Beistand der Maze bin, bringt mir nichts als Not.
Das Rollen-Ich wendet sich direkt an die in der Szene anwesend gedachte Personifikation der
Maze. Da sie für alle Bereiche des Lebens zuständig sei, solle sie auch ihm beistehen, der nie
âne nôt ist. Der letzte Satz der Strophe ist in anderer Sprechhaltung gesprochen, nicht mehr der
Maze zugewandt, sondern kommentierend, in ihrer Abwesenheit, und diese Haltung ist auch in
der zweiten Strophe beibehalten. Es ist üblich, in den nhd. Übersetzungen minne mit “Minne”
wiederzugeben, und auch dieses, Verständnis nur suggerierende Wort muß einer eindeutigen
Entscheidung über die Bedeutung des Wortes im Kontext, die das Risiko einer Fehldeutung
nicht scheut, weichen. Wenn wir mhd. werben durch nh. “werben” wiedergeben, dann
entspricht dem mhd. minne das nhd. “Liebe”.
Niedere Liebe heißt die, die den Sinn so sehr hinabzieht,
daß er nur nach erbärmlicher Lust strebt.
Diese Liebe tut weh, und bringt kein Lob.
Hohe Liebe spornt den Sinn an und bringt ihn dazu,
sich zu hohem Wert aufzuschwingen.
Die winkt mir nun, daß ich ihr folge.
Mich wundert, warum die Maze zögert!
Kommt jetzt die Herzensfreude, so bin ich doch wieder irregeleitet:
Ich habe eine Frau gesehen,
die mir, wie liebevoll sie auch sprechen mag,
43
doch Unglück bringen wird.
In der ersten Strophe hatte der Sänger an die Instanz das Wort gerichtet, der die
Verfügungsgewalt über die soziale Anerkennung individuellen Handelns zugesprochen wird;
gelingt dieses Handeln, so erhöht es die werdekeit des Menschen und bringt “Lob”, dieses
ebenfalls nicht als privater Akt des Lobens verstanden, sondern als öffentliche Anerkennung
durch eine Gemeinschaft von Gleichgesinnten. Das vom Einzelnen dafür erbrachte Zeichen,
das zugleich das Gefühl der Zusammengehörigkeit ausdrückt, ist der hôhe muot. Daran hat der
Sänger teil.
Der Sänger in diesem Lied beklagt jedoch seine Rolle. Er empfindet sein Handeln nicht als
erfolgreich, denn sein Ziel — wie das jedes anderen Teilnehmers der höfischen Gemeinschaft
— sollte es sein, mit fröiden wirde vil zu gewinnen; nicht aber will er, wie der Sänger hier
klagt, um der wirde willen den persönlichen Anspruch auf Freude aufgeben müssen. Seine
Hilferufe an die Mâze sind von Anfang an entweder durch Ironie oder durch das Wissen um
den Mißerfolg gebrochen. Der Sänger ruft die Mâze in der ihr zugewiesenen Rolle überhaupt
nur an, um öffentlich aussprechen zu können, was ihn bedrückt, daß er von dem von ihr
Verfügten ausgeschlossen bleibt!
Denn der Sänger erfährt nun — in der Fiktion des Liedes — das Paradox des höfischen
Sängers gleichsam am eigenen Leib, das heißt im eigenen Herzen. Er, der den hôhen muot der
höfischen Welt öffentlich darstellt, müßte seinen hôhen muot verlieren, wie auch die Lust,
Lieder zu singen, denn es fehlt ihm die Freude im Herzen (liebe), die Voraussetzung dafür im
Inneren des Menschen. Diese in seinem Innern gefühlte Bereitschaft zum Ausdruck der Freude
nennt der Sänger mit dem Wort herzeliebe; es ist nicht “Freude”, wenn wir als Freude bereits
den Ausdruck des Gefühlten meinen, sondern von diesem Ausdruck getrennt, eine
Disponibilität des Herzens, anders als wenn es in Trägheit verstummt oder in herzeleit sich
verschließt.
Walther verteidigt in diesem Lied also keineswegs eine inhaltliche oder stilistische
Entscheidung im Bereich seiner Kunst, (59) sondern gibt — dem “Mann” im “Sänger” das
Wort, der nun die in der Fiktion des höfischen Minnesangs vorausgesetzte Einheit von Sänger
und Mann nicht mehr stillschweigend voraussetzt und akzeptiert, sondern sie mit fordernder
Geste verlangt. Mit seiner unverzichtbaren Forderung nach privater liebe im Herzen des
Mannes war der Sänger an Frau Mâze herangetreten und hatte sie gebeten, ihm ein Maß an
werdekeit zuteil werden zu lassen, das vereinbar wäre mit seinem Anspruch auf fröide,
44
“Freude” — Ausdruck jener inneren Macht, die nun immer stärker den Menschen ergreift und
formt und für die erst die höfische Literatur und der Minnesang den sprachlichen Ausdruck
geschaffen haben.
45
Heinrich von Morungen, Ich bin iemer ander
In einer mutigen Stellungnahme, zu einer Zeit, als der von ihr diagnostizierte Zustand noch
keineswegs überwunden war, bekannte Ingeborg Schröbler: “Zu der Größe der Forschung des
19. Jahrhunderts und des beginnenden zwanzigsten gehörte die Ungebrochenheit auch des
Glaubens an die Gültigkeit der eigenen Logik für entlegene Bereiche und Zeiten. Wir verfügen
nicht mehr über diese Ungebrochenheit. Vielleicht sollte dafür unser Bewußtsein für die
eigenen Grenzen um so empfindlicher sein.” (60) Sie bringt als Beispiel für die Grenzen
unseres Verstehens Walthers Lied Ir sult sprechen willekomen, und läßt erkennen, daß sie der
Überlieferung von A zu folgen geneigt ist.
Es stellt sich somit die Frage, was es mit der nur in C überlieferten sechsten Strophe auf sich
habe. Wie sollte sie gelöst werden? Statt nun den üblichen Weg zu gehen, die eigene Meinung
wortgewaltig als Ergebnis vorzutragen, entscheidet sich I. Schröbler für eine theoretische
Überlegung, die zwar nicht imstande ist, das Problem zu lösen, aber auch den Zugang zu
einem nicht weiter befragbaren fremden Text nicht mit der Fülle moderner Argumente
verschüttet: “Die Textkritik kennt den Begriff der lectio difficilior. Ich bin ein wenig geneigt,
die Existenz dieser Strophe in der Handschrift C als eine Art lectio difficilior anzusehen. Man
pflegt aber der lectio difficilior den Vorzug zu geben vor anderen Lesarten.” (61)
Und durch diesen Verzicht auf manifeste Ergebnisse erreicht sie den entscheidenden
Erkenntnisgewinn, eine von diesen Liedern gestellte Frage zu sehen, die zuvor unsichtbar
geblieben war, “die Problematik der letzten Strophe”.
In einer brillanten Analyse desselben Problems, nun noch pointierter als “Nichtverstehen
mittelhochdeutscher Literatur” angesprochen, kommt Peter Ganz zu einem ganz ähnlichen
Ergebnis. Der von ihm untersuchte Text, das sogenannte Kindheitslied des Wilden Alexander,
war ihm auch nach der Analyse geblieben, was er zuvor gewesen war, “ein Beispiel für einen
Text, dessen Intention und historischer Sinngehalt verloren sind.” (62) Statt den
unverstandenen Schluß nun einfach mit der Hypothese wegzuinterpretieren, das Lied sei eben
nicht vollständig erhalten, gelingt seinem hermeneutisch verunsicherten Fragen der Sprung
von der offensichtlich dunklen Stelle zur versteckten: “Konnte der Schluß als Signal dafür
aufgefaßt werden, das ganze Gedicht rückwärts allegorisch zu entschlüsseln? Was bezeichnen
dann die Rinder, die da jetzt grasen?” Zum Problem wird damit ein Satz am Ende der ersten
Strophe, der zuvor noch nie als problematisch erkannt worden war.
46
Die kritische Fundierung der Wissenschaft von Sprache und Literatur, die auch Ganz fordert,
gibt keine Garantie für richtige Antworten, aber sie soll den modernen Interpreten in die Lage
versetzen, die richtigen Fragen an den Text zu stellen.
Das unreflektierte (Nicht-)Verstehen der modernen Leser fällt mit allen Konsequenzen auf die
Texte selbst zurück. Wo der Interpret keine Ordnung erkennen kann, erkennt er die
Unordnung, den Mangel an gewollter Norm und projiziert nun diese Erkenntnis als stabile
Kategorie seines Wissens von diesen Texten in die Texte selbst hinein. Da der Interpret
erkennen mußte, daß jede Anordnung der Strophen eines nicht homogen überlieferten Liedes,
die nur nach der Plausibilität der durch diese Anordnung erreichten Inhaltsparaphrase
vorgenommen wird, durch eine ebenso plausible, oder noch plausiblere ersetzt werden kann,
findet er — anscheinend weiser geworden — in solchen Texten das Prinzip der “wechselnden
Ordnung”. Und jeder Leser kommt zu seinem Recht. Er hat ein mögliches Lied interpretiert.
Auch im Mittelalter gab es unterschiedliche Situationen, in denen das Lied seinen Sinn zu
entfalten hatte, warum sollte der Sänger nicht bei solchen Anlässen selbst die Strophenfolge
geändert, ja in einigen Fällen auch Textvarianten erfunden habe, die dann irgendwie auf das
Pergament gelangt sind und nun den modernen Herausgebern so großes Kopfzerbrechen
bereiten?
Im Konflikt mit der Meinung anderer Interpreten, wird nicht die Meinung aufgegeben, sondern
der Text. Statt kritisch zu fragen, wie dieser Prozeß der Meinungsbildung zu mittelalterlichen
Texten überhaupt vor sich geht und nach welchen Urteilskriterien sich einige Meinungen als
gemeinsamer Besitz einer Gruppe moderner Leser stabilisieren, während andere wieder
aufgegeben werden, statt Kritik am Verfahren anderer zu üben, die auf den Kritiker selbst
zurückfallen würde, bekennt sich der moderne Interpret zum Agnostizismus, den er aber gleich
— seiner ganzen wissenschaftlichen Haltung entsprechend — ontologisch im Text selbst
verankert. Die unerkannte Schlußstrophe wird zur wechselnden “Gleitstrophe” stilisiert, die
unterschiedliche Strophenzahl in einigen Handschriften als Nachweis jüngerer Zusätze des
Sängers zu erfolgreichen Liedern gewertet, und alles, was irgendwie unerklärlich scheint oder
trotz aller Anstrengungen der Philologen unerklärt geblieben ist, der “wechselnden
Aufführungssituation” zugeschrieben. (63)
Die heute von Herausgebern mittelalterlicher Texte geforderte Rückkehr zu den Handschriften
ist ein weiterer Aspekt dieser Situation. Anläßlich eines (wie aus der beigefügten Übersetzung
ersichtlich) unverstandenen Liedes Heinrichs von Morungen hat H. Tervooren diese nun
geltenden Prinzipien erneut verteidigt: “Dieses Lied ist in den Handschriften in so
47
verschiedenen Strophenfolgen und so stark differierenden Lesarten überliefert, daß eine
Herstellung im Sinne der herkömmlichen Textkritik, d. h. die Rekonstruktion einer dem
Original möglichst nahekommenden Fassung, der Überlieferung schwerlich gerecht wird. Die
in dieser Ausgabe gebotenen Texte (Doppelabdruck des Liedes nach A und B (C) und ein
dreifacher Abdruck der Programmstrophe Sît si herzeliebe nach A, B und C gewährleistet dem
Benützer einen besseren Einblick in die Eigentümlichkeit der Überlieferung und bieten ihm
immerhin mittelalterliche Existenzformen des Liedes.” (64)
Aber die “Eigentümlichkeit” der Überlieferung ist dem modernen Leser ja gerade verborgen!
Welche Art “Einblick” sollte also der Benutzer einer solchen Ausgabe schon gewinnen
können? Und können wir Strophenfolgen, die keinen erkennbaren Sinn aufweisen oder deren
Sinn wir nur vermuten können, wirklich als “Existenzformen” eines Liedes ansehen? Der von
Tervooren ausgesprochene Erkenntnisverzicht stellt also mehr Probleme, als er zu lösen
imstande ist und verschleiert die notwendige Folgerung aus den eigenen Prämissen, daß wir
nämlich eine andere Textkritik brauchen, eine Textkritik, die ihren hypothetischen Charakter
nicht verleugnet, sondern gerade ihn zu ihrem kritischen Fundament macht.
Die wissenschaftliche Arbeit an mittelalterlichen Liedern, die in variabler Strophenfolge oder
mit Lücken überliefert sind, beginnt meist damit, die Strophen in Form einer Tabelle
übersichtlich darzustellen, wobei die als richtig erkannte Reihenfolge bereits als Maßstab der
Anordnung zugrundeliegt. Die in den Handschriften überlieferten Strophenfolgen sind damit
schon als “falsch geordnet” markiert. Natürlich ist es im Prinzip gleichgültig, nach welcher
Norm wir die Strophen numerieren und wo wir die Lücken ansetzen, aber das Bild der
Überlieferung, das wir aus solchen Tabellen gewinnen können und das unser kritisches
Interesse in der Folge stark beeinflußt, wird dadurch bereits vorgeprägt.
Die Anschauung der handschriftlichen Überlieferung führt den Interpreten zur Anschauung
des Liedes. Wer in den überlieferten Strophenfolgen nur Chaos sieht, wird sich aufgerufen
fühlen, nach eigenem Maß Ordnung zu schaffen, wer jedoch bereits geordnete Einheiten
entdeckt, wird seine Bemühungen um die äußere Anordnung der Strophen innerhalb der
Grenzen entfalten, die ihm von den Textzeugen gegeben werden. Wer nichts sieht, ist frei und
kann alles finden — je mehr der moderne Leser im handschriftlich überlieferten Text erkennt,
desto engere Grenzen sind seiner Willkür gesetzt.
Vor diesem Hintergrund zeigt das Editionsverfahren der Neuausgabe von Minnesangs
Frühling erst seine Problematik. Natürlich stellt es gegenüber der vorangegangenen Ausgabe
einen Gewinn dar, eine Art propädeutischen Schritt weg von der Hybris des allwissenden
48
Interpreten, aber es eröffnet auch neue Wege ungelenkter Spekulationen und stellt somit noch
keinen Schritt zum poetischen Werk dar, das ebenso unerkannt und unerreichbar bleibt wie
zuvor.
Die Alternative kann darin bestehen, alle Elemente eines Textes in ein System zu bringen, wo
alle Elemente miteinander verknüpft erscheinen. Dieser Zustand ist nur eine Fiktion, so wie die
Kategorien, die der Systematisierung der Elemente dienen, nur Erkenntnisinstrument des
beobachtenden Subjekts sind und keine ontologisch im Objekt verankerten Eigenschaften. Wir
können in dieser Hinsicht das poetische Werk wie jede sprachliche Äußerung systematisch auf
die Funktion der Elemente befragen. Es ist eine einzige, ungeteilte Frage, die nur aus Gründen
der besseren Organisation und der übersichtlicheren Darstellung an zwei Teilbereiche der
“Äußerung” getrennt gestellt wird, an den Bereich, der alle äußeren Fakten umfaßt, also im
Fall des handschriftlich überlieferten Liedes auch alle Daten der Textüberlieferung, und an den
Bereich der inhaltlichen Aspekte.
Diese von de Saussure getroffene Differenzierung in signifiant und signifié wurde in der
Literaturwissenschaft, vor allem in Nachfolge Jakobsons, benutzt, um charakteristische
Eigenschaften der modernen Poesie deutlicher zu fassen, als dies mit anderen Methoden
möglich schien. (65) Man spricht da von einem “Signifikanten” des poetischen Werkes, als ob
es sich um einen in der Realität existierenden Teilaspekt eines Objekts handelte, und vom
“Signifikat”, als sei die Bedeutung ablösbar von dem zu ihrem Ausdruck eingesetzten
Produktionsmittel. Mit einem Wort, an die Stelle eines hochdifferenzierten
Erkenntnisinstruments, dessen hermeneutisches Potential bei de Saussure zwar angedeutet,
aber keineswegs erschöpfend genutzt war, ist der blinde Nominalismus der erstarrten
Kategorien getreten. (66)
Die Germanistik, die zu de Saussure nur spät einen Zugang gefunden hatte, war mit der
nominalistischen Variante dieses Erbes in Berührung gekommen. Von einer auf dem
Denkansatz des Strukturalismus basierenden Erneuerung konnte dabei natürlich nicht mehr die
Rede sein. Und es ist kein Verlust, daß dieser Strukturalismus genauso rasch, wie er
aufgekommen ist, auch wieder aus der wissenschaftlichen Diskussion verschwand.
Verloren ging damit aber auch das Erkenntnispotential eines Instruments, das dem modernen
Leser gerade das nicht gibt, was er unbewußt immer sucht, nämlich Sicherheiten.
Wie de Saussure es für die Analyse der Zeichenfunktion vorgeschlagen hat, können wir nun
bei unserer Suche nach dem hypothetischen Sinn des poetischen Textes alle Elemente der
handschriftlichen Überlieferung (Textvarianten, Strophenzahl, Strophenfolge) in ein System
49
zusammenfassen und den Elementen der Inhaltsseite so zuordnen, daß jeder Schritt immer in
Hinblick auf seine Folgen transparent gemacht wird. Das soll nun an zwei Beispielen,
Morungens Lied Ich bin iemer ander und Walthers Alterston Ir reinen wîp, ir werden man
erprobt werden, an zwei Liedern also, deren Sinn mit den traditionellen Methoden der
Philologie und der Literaturwissenschaft bisher noch nicht gefunden werden konnte.
Morungens Lied ist vom ersten Satz an problematisch. Dem Satz ist kein plausibler Sinn
abzugewinnen. Tervooren übersetzt: “Stets bin ich zu zweit, denn ich bin nie ohne die starke
Liebe, die mich noch niemals freiließ.” (67) Ganz abgesehen vom hohen Redundanzgrad
dieser Aussage, die schlecht in den Rahmen eines kunstvoll konstruierten Liedtextes paßt, ist
dieser dem Satz zugeordnete Sinn inkompatibel mit einem Satz der letzten Strophe, wo der
Sänger sagt, daß er nicht mehr wisse, wie er die liebe benennen solle (von Tervooren
wiederum als “Liebe” übersetzt). Tervoorens Verständnis des ersten Satzes stellt demnach
bereits eine definitive Barriere dar für den Versuch, dem ganzen Lied einen kohärenten Sinn
zu geben. Und es ergibt sich die minimale Forderung an den Interpreten/Übersetzer, innerhalb
des Systems des signifié (d.h. der möglichen Bedeutungen) eine widerspruchsfreie, kohärente
Bedeutungsstruktur zu rekonstruieren.
Daß diese minimale Forderung oft nicht erfüllt wird, ist verständlich, denn sie widerspricht der
Mentalität des modernen Lesers, der, ungeübt in der Kunst, die einzelnen Elemente eines
Textes als nur “schwach” mit Bedeutung beladene zu verstehen und die Bedeutungen erst in
einem größeren Zusammenhang zu fixieren, schon mit dem ersten Blick die Elemente des
Textes isoliert, sie mit Bedeutung stark auflädt, also tendenziell überinterpretiert.
Es ist also sinnvoll (und wohl auch der einfachere Weg), die Analyse nicht bei der Inhaltsseite
zu beginnen, sondern beim signifiant, und zu versuchen, dessen Elemente in einen
systematischen, widerspruchsfreien und kohärenten Zusammenhang zu bringen, mit anderen
Worten, eine hypothetische Ordnung zu schaffen, die sich sodann in der Gegenüberstellung
mit der hypothetischen Ordnung des Inhalts zu bewähren haben wird.
Wie Tervooren richtig bemerkt, ist Morungens Lied in zwei verschiedenen Redaktionen
überliefert. Da in A, also in der Handschrift, die in vielen Fällen als der hervorragendste
Textzeuge des Minnesangs bekannt ist, nur drei Strophen erhalten sind, während B und C fünf
Strophen überliefern, müssen wir als erste Hypothese überprüfen, ob A eine Reduktionsform
von drei Strophen eines ursprünglich fünf-strophigen Liedes erhalten hat, und welche zwei
Strophen vielleicht ausgeschieden wurden. Da A und BC mit derselben Strophe beginnen, aber
50
eine andere Schlußstrophe haben, erscheint die Hypothese, A habe die alte erste Strophe an
ihrem ursprünglichen Platz erhalten, wahrscheinlicher.
Wenn also (1 . . . . ) gegeben ist, können die restlichen zwei Strophen von A einen der
folgenden Fälle eines fünf-strophigen Liedes wiedergeben:
l 2 3 . .
1 2 . 4 .
1 2 . . 5
1 . 3 4 .
1 . 3 . 5
1 . . 4 5
Da A und BC nicht dieselbe Strophe als letzte verzeichnen, müssen wir in unserer
hypothetischen Rekonstruktion weiter gehen. Wenn die “Logik der Veränderung” des
Archetyps darin zu suchen ist, daß es im Lied eine schon im 13. Jahrhundert nicht mehr
verständliche Stelle gab, dann sind die “Antworten” auf dieses Problem (im Falle von A die
Reduktion, im Falle von BC jedoch verändernde “motivierte” Eingriffe in den rezepierten
Text) als gleichwertige Versuche zu bewerten, ein Problem zu lösen. A würde die Tendenz
zeigen, das Unverstandene auszuscheiden, während in BC eine Umordnung stattgefunden
hätte. Also ist es wahrscheinlicher, daß A die ursprünglich letzte Strophe an ihrem alten Platz
bewahrt hat, als daß die letzte Strophe von BC die ursprünglich letzte Strophe des Liedes war.
Zu diesen rein theoretischen Überlegungen kommt aber ein anderes Problem, das ich nun als
“Problematik der letzten Strophe” bezeichnen möchte. Es gibt eine Fülle von Indizien sowohl
im Bereich der geistlichen Poesie als auch in verschiedenen Bereichen der weltlichen Dichtung
des Mittelalters, die darauf hinweisen, daß die letzte Strophe eines mehrstrophigen Liedes in
ihrer Funktion als Schlußstrophe dem zeitgenössischen Publikum erkannt wurde. Wir können
nicht ausschließen, daß diesen Strophen eine Charakteristik gemeinsam war, die uns heute
nicht mehr faßbar ist und die dem mittelalterlichen Publikum die Botschaft vermittelte: das ist
der Schluß! Viele dieser Werke sind auf den Schluß hin komponiert. Das Motiv am Ende des
Liedes gibt dem Werk Einheit und strukturiert oft von hinten den Aufbau der ganzen
Komposition.
Wir können aus diesen Beobachtungen den folgenden Schluß ziehen: wenn wir, wie im Fall
des Liedes von Morungen, drei Strophen überliefert finden, von denen die erste wahrscheinlich
51
die ursprünglich erste ist, dann liegt es näher, daß die letzte auch in der Vorlage die letzte
Strophe war, als daß die Strophenfolge völlig arbiträr ist. Warum sollte eine mittelalterliche
Handschrift eine völlig unverständliche Strophenfolge aufgezeichnet haben?
Da die tatsächliche Überlieferung einen entscheidenden Tatbestand darstellt, muß jeder
Versuch, die ursprüngliche Strophenfolge zu rekonstruieren, bei den erhaltenen Strophen in
ihrer Anordnung ansetzen. Wir müssen daher entscheiden, welcher der drei folgenden Fälle bei
der Überlieferung von A wahrscheinlicher ist: (1 2 . . 5), (1 . 3 . 5) oder (1 . . 4 5). Diese
Entscheidung kann nur nach inhaltlichen Kriterien erfolgen. Aber die Frage nach dem Inhalt
— die erste Frage inhaltlicher Art in diesem Argumentationsgang! — betrifft einen ganz eng
umrissenen Bereich und stellt sich nur als Frage nach inhaltlichen Bindungen zwischen der
ersten und der zweiten oder zwischen der zweiten und der dritten Strophe.
Sind überhaupt keine Bindungen nachweisbar, dann ist die Reihung (1 . 3 . 5)
wahrscheinlich; besteht eine Verknüpfung zwischen 1 und 2, dann ist es die Reihung (1 2 . .
5); sind jedoch die Strophen 2 und 3 miteinander verbunden, dann sind die drei Strophen in A
als (1 . . 4 5) geordnet. Mit der Antwort auf diese Frage ist zugleich der Schlüssel gefunden für
die Rekonstruktion des Liedes.
Zwischen der ersten und der zweiten Strophe besteht keine irgendwie ersichtliche semantische
Solidarität. Aber am Ende der zweiten Strophe verwendet der Sänger einen ungewöhnlichen
Ausdruck, um die freudige Erregung des Herzens zu bezeichnen, die er in der ersten Strophe
liebe genannt hatte: mir si von herzen wol. Warum verwendet er nicht auch an dieser Stelle den
allgemein üblichen Ausdruck liebe? Warum er dies nicht tut, das sagt der Sänger in der dritten
Strophe, die damit als der zweiten eng verbunden erwiesen ist. Wir haben also als erstes
Ergebnis — ein hypothetisches Ergebnis jedenfalls! — die Anordnung der Strophen in A als
(1 . . 4 5) der fünfstrophigen Originalkomposition rekonstruiert.
In BC sind die in A nicht überlieferten Strophen in den Positionen 2 und 3 überliefert. Wir
erhalten also einen hypothetischen Text des Liedes mit den Strophen 1-4-5 nach A und 2-3
nach BC:
Ich bin iemer ander und niht eine
der grôzen liebe, der ich nie wart vrî.
waeren nû die huotaere alle gemeine
toup unde blint, swenne ich ir waere bî,
sô mohte ich mîn leit
52
eteswenne mit sange ir wol künden.
mohte ich mich mit rede zuo ir gevründen,
so wurde wunders vil von mir geseit.
Mîner ougen tougenlîchez sehen,
daz ich ze boten an si senden muoz,
daz neme durch got von mir vür ein vlêhen,
und obe si lache, daz sî mîn gruoz.
Ich enweiz, wer dâ sanc:
ein sittich unde ein star âne sinne
wol gelerneten, daz siu sprâchen ‘minne.’
wol, sprich daz unde habe des iemer danc.
Wolte sî mîn denken vür daz sprechen
und mîn trûren vür die klage verstân,
sô müese in der niuwen rede gebrechen.
owê, daz iemen sol vür vuoge hân,
daz er sêre klage,
daz er doch von herzen niht meinet,
alse einer trûret unde weinet
unde er sîn niemen kan gesagen.
Sî ensol niht allen liuten lachen
also von herzen, same si lachet mir,
und ir ane sehen sô minneclîch niht machen.
waz (hât) aber ieman ze schouwen daz an ir,
Der ich leben sol
unde an der ist mîn wunne behalten?
ja enwil ich niemer des eralten,
swenne ich si sîhe, mir sî von herzen wol.
Sît si herzeliebe heizent minne,
so enweiz ich, wie diu liebe heizen sol.
liebe won mir dicke in mînen sinnen.
liep haet ich gerne, leides enbaere ich wol.
Liebe diu gît mir
hôhen muot, dar zuo vröide unde wunne.
53
sô enweiz ich, waz diu leide kunne,
wan daz ich iemer trûren muoz von ir. (68)
Dieser Text soll nun seinen Sinn zeigen. Das Stichwort liebe im ersten Satz setzt das Thema,
das auch in anderen Liedern Heinrichs von Morungen aufscheint: nach der liebe sent mîn
herze sich, “mein Herz sehnt sich nach Freude” (MF 137,33). Die Rollenproblematik des
Sängers ist auch bei Heinrich Thema von Liedern, und der Anspruch der Gesellschaft, an ihm,
der seine Tage mit ungemüete verbringt, gewin zu haben, ist Anlaß für Kritik. Der Sänger hat
eine alte nôt im Herzen, die sich immerfort erneuert. Man spottet seiner, wenn er zur Freude
der Gesellschaft seine Leiden klagt. “Seht, wie der singt! Wäre er wirklich voll Leid, würde er
sich wohl anders verhalten!” (XIII,2). Die nôt des Sängers ist es, daß er immer fröhlich sein
muß, ganz gleich wie es in seinem Inneren aussieht, “denn Kummer hat dort keinen Wert, wo
die Leute fröhlich sind.”
In diesem Lied tragen die Seele des Sängers und die des Mannes im Sänger ihren Konflikt
offen aus. Der Mann ergreift das Wort und klagt, daß er immer nur in seiner Rolle als Sänger
Gehör findet, nie jedoch als er selbst. Das ganze Lied ist von dieser Argumentation des
gespaltenen “Ich” durchzogen, bis schließlich der Sänger selbst — die anscheinend
privilegierte Seite des sprechenden “Ich” — Anlaß zur Klage findet. Die Sänger-Konkurrenten
hindern ihn durch ihre modernisierende Wortwahl an der Ausübung seiner eigenen Kunst! Sie
nennen die Minne — von der jedermann weiß, daß sie Freude und Leid bringt, mit dem Wort,
das wie kein anderes dazu bestimmt ist, die private Freude des Menschen auszudrücken,
herzeliebe. Wie sollte er, der Sänger der Freude, nun die “Freude” benennen?
Die große Freude, die ich nie verloren habe,
erlebe ich immer als ein anderer, nie als ich selbst.
Wären doch die Aufpasser alle taub und blind,
so könnte ich, wenn ich bei ihr bin,
ihr mein Leid in einem Lied verkünden.
O könnte ich doch in freundlichem Umgang (mit ihr)
zu ihr sprechen!
Ich würde ihr wer weiß was sagen!
Die versteckten Blicke meiner Augen,
die ich ihr als Boten senden muß,
54
die möge sie um Gottes willen wie bittende Worte
von mir aufnehmen,
und wenn sie dann lächelt, so soll es ein Gruß für mich sein.
Ich weiß nicht, wer gesungen hat:
“Obwohl sie ohne Verstand sind, haben ein Sittich und ein Star gut gelernt,
Minne zu sagen.”
Sag’s auch du und ich werde dir immerfort dafür dankbar sein.
Könnte sie das, was ich denke, wie ein gesprochenes Wort
und mein Trauern wie eine laute Klage vernehmen,
so müßten sie auf dieses neue Lied hier verzichten.
O weh, daß es jemandem hoch angerechnet wird,
daß er bitter beklagt,
was er doch im Herzen gar nicht meint,
während ein anderer voller Leid ist und weint,
und niemandem etwas davon sagen kann.
Sie soll nicht allen Leuten so herzlich
zulächeln wie mir,
und nicht so liebevoll aussehen.
Warum sollte sich jemand weiden an ihr,
für die ich lebe,
und die meine ganze Glückseligkeit ist?
Fürwahr, ich will nicht so alt werden,
daß mir nicht jedesmal, sooft ich sie sehe,
von Herzen wohl ist.
Seit man Minne auch Herzensfreude (herzeliebe) nennt,
weiß ich nicht mehr, wie ich die Freude benennen soll!
Freude soll mich oft erfüllen.
Was mich erfreut, habe ich gern, was Leid bringt,
darauf kann ich verzichten!
Freude, die bringt mir
Hochstimmung, Glück und Seligkeit.
Aber wozu das Leid gut sein soll, weiß ich nicht,
außer dazu, daß es mich immer traurig stimmt.
55
Die Aufstellung der überlieferten Strophen ergibt folgendes Bild:
A B C
Ich bin 15 17 38
Mine ougen 18 39
Wolte si 19 40
Si ensol 16 21 42
S”t si 17 20 41
Da in B die Strophen 17 und 20 (und analog hierzu C) gegenüber A mit sehr stark
innovierenden Textvarianten überliefert sind, wozu noch die Umstellung der Strophen am
Ende des Liedes kommt, läßt sich deutlich die Inkompatibilität zwischen dem Strophenpaar 2-
3 und der Gruppe 1-4-5 erkennen, die ja in der Tat in zwei getrennten Überlieferungssträngen
erhalten sind.
Welcher Art diese Unvereinbarkeit der beiden Strophengruppen war, zeigt die interpretierende
Neuformung von BC, die schon in der ersten Strophe den Inhalt des Liedes entscheidend
verändert; die Pointe, daß sich ein Sänger wünscht, seiner Geliebten ein Lied singen zu dürfen,
war unverständlich. Sie ist es bis heute geblieben, denn verständlich ist sie nur, wenn wir sie
im Kontext der ganzen Strophe und des ganzen Liedes als Aussage des getrennten
“wirklichen” Ich des Sängers verstehen. Nur sein “anderes” Ich darf in der Öffentlichkeit das
Wort ergreifen, “er selbst”, d. h. der Mann mit seinen echten Gefühlen, muß schweigen. In BC
wird aus dieser komplexen Diskussion der Rollenproblematik die Erzählung einer im Herzen
verborgen gehaltenen Liebe: “Ach! Wären nur die Aufpasser alle taub und blind, so könnte
ich, wenn ich bei ihr bin, ihr mein Leid zuweilen durch Gebärden anzeigen und mich ihr mit
Worten zum Freund machen.” (69) Es sind nicht, wie in A, zwei getrennte Sätze, die jeder für
sich das Thema antithetisch bestimmen, sondern es wird ein zusammenhängender Vorgang
erzählt.
Als “Erzählung” sind auch die dunklen Stellen der zweiten und dritten Strophe entschärft und
die Strophen rezipierbar. Die Pointe in der dritten Strophe, daß der Mann seinen echten
Schmerz und seine Tränen dem kunstvoll gestalteten Leid des Sängers entgegenhält (ich
übersetze die Stelle in Anlehnung an die Formulierung in der ersten Strophe “während ein
anderer voller Leid ist... ”, ein anderer, das ist, er selbst in seiner Rolle als Mann, wird
umgedeutet zu einem Vergleich: “... wie wenn einer still leidet.” (70)
56
In diesen neuen Kontext paßte keine theoretische Strophe als Schluß, das Spiel mit der
Bedeutung von minne, herzeliebe und liebe war dem Schreiber ohnedies nicht mehr
verständlich, da mhd. liebe in der Zwischenzeit die Bedeutung von nhd. “Liebe” angenommen
hatte. Es war aber möglich, der überlieferten Strophe mit kleinen Textänderungen einen Sinn
abzugewinnen, wenn man die Strophe als Einleitung zur Strophe Si ensol auffaßte und die
darin angesprochene Frau schon in der nun vorletzten Strophe einführte: diu guote diu mir gît
hôhen muot, dar zuo vröide unde wunne, “die Gute, die mir Hochstimmung, Glück und
Seligkeit gibt”. Das ist die Version des Liedes, die B und C erhalten haben.
57
Ir reinen wîp, ir werden man
Morungens Lied mußte den modernen Lesern ein unlösbares Rätsel bleiben, solange sie die
ungelösten Probleme jedes für sich isoliert zu lösen versuchten: ein unverständlicher Beginn,
ein unklarer Schluß, die ungewöhnliche Überlieferung, die tief in das Verständnis des Textes
eingreifenden Varianten, alle diese Elemente lassen sich jedoch als zusammengehörige
Schwierigkeiten eines Textes erkennen und auch verstehen. Dazu bedarf es eines anderen
Blicks, einer anderen Anschauung sowohl der Überlieferung als auch der Art und Weise, wie
sich in einem poetischen Text Bedeutung und Sinn konstituieren.
Die empirischen Daten, die vom Interpreten immer schon als geordnete Daten erfahren
werden, auch wenn er sich über die von ihm zugrundegelegten Ordnungsprinzipien keine
Rechenschaft ablegt, können nur mit einem Blick auf die Möglichkeiten innerhalb eines
systematischen Zusammenhangs in ihrer jeweils spezifischen Gegebenheit erkannt werden. De
Saussures Metapher vom système, où tout se tient hat sich somit als Instrument der Erkenntnis
sowie der Korrektur jenes platten Positivismus erwiesen, der in den Daten der Überlieferung
so wenig erkennt, daß er dem Interpreten freie Bahn lassen muß für jede beliebige Deutung des
Textes — empirische Arbeit am Text zugleich entgründend.
Die philologische Tradition der letzten hundert Jahre hat ein immer stärkeres Mißtrauen
gegenüber dem überlieferten Text entwickelt, das in den Neudichtungen C. von Kraus’ (wie
der von Morungens Lied!) und D. v. Kraliks ihren ruhmlosen Höhepunkt fand. (71) Es war ein
italienischer Germanist, Carlo Grünanger, der als einer der ersten gegen diese Methode und
nicht nur gegen ihre Auswüchse entschieden das Wort ergriff. (72) Die Wende der letzten
Jahre ist eine Abkehr von diesen Auswüchsen, genügt aber in dieser, einer pars destruens
verpflichteten Einsicht, noch keineswegs, um dem wissenschaftlichen Umgang mit Sprache
und Literatur ein neues Fundament zu geben.
Während der neue Trend, die handschriftliche Überlieferung beinahe im Rohzustand zu
präsentieren, die Bahn für neue Interpretationen bereitet, überleben die alten Interpretationen
sowie die Kunst der Interpretation, der sie ihre Entstehung verdanken. Walthers Lied Ir reinen
wîp, ir werden man, wohl eines der schönsten Gedichte des deutschen Mittelalters, ist ihr
denkwürdigstes Opfer. Dieses Lied hat erst in den letzten 50 Jahren Leser gefunden, die es
überhaupt als einheitliches Lied mit geordneter Strophenfolge anerkannten; aber jeder dieser
58
Leser hat eine andere Reihenfolge der Strophen rekonstruiert, jeder hat dem Lied einen neuen
Inhalt gegeben, und jeder war davon überzeugt, die allein richtige Lösung gefunden zu haben.
(73)
Walthers Lied stellt aber gar nicht die Aufgabe, die zu lösen in all diesen Interpretationen mit
so großem Aufwand versucht wurde. Die Überlieferung ist überhaupt nicht das Trümmerfeld
isolierter Strophen, zu welchem eine falsche Anschauung es gemacht hat. Im Gegensatz zur
Analyse von Morungens Lied, die einen motivierten verändernden Eingriff in seiner Logik
erkennen und danach rückgängig machen mußte, um zum verlorenen Lied in seiner
ursprünglichen Gestalt zu gelangen, bedarf es zum Verständnis von Walthers Lied nur (?)
eines Eingriffs in die überlieferten Meinungen, die den Blick auf das Lied und seine
Überlieferung völlig verstellt haben.
Wenn es gelingt, diese Barriere wieder zu entfernen, die von der Forschung um das Lied
errichtet wurde, dann zeigt sich, daß Walthers Lied in den Fragmenten von w in der
ursprünglichen Reihenfolge erhalten ist. Bisher war es tatsächlich einfacher, eine neue
plausible Anordnung der Strophen selbst zu konstruieren, als die authentische, die tatsächlich
überliefert ist — und die kein Interpret als plausible Reihung rekonstruiert hatte — zu
erkennen.
Die in drei Gruppen getrennte Überlieferung stellt sich, wenn wir die Strophen in der in w
erhaltenen Reihenfolge anordnen, folgendermaßen dar:
A BC w
3 1 1
4 2 2
1 5 3
2 3 4
5 4 5
Die Einsichten, die dieses Bild der Überlieferung vermittelt, sind ganz klar: aus einem
ursprünglich fünfstrophigen Lied wurden die dritte und die vierte Strophe eliminiert, so daß
der Block 1-2-5 als neues Lied von drei Strophen blieb; die ausgeschiedenen Strophen standen
aber als Nachtrag oder aus einer zweiten Vorlage auch später noch zur Verfügung und wurden
als Block der neugeschaffenen Dreiergruppe entweder voran- (A) oder nachgestellt (BC).
59
Das Ausscheiden dieser zwei Strophen aus dem ursprünglichen Gefüge ist motiviert durch die
auf dem Pergament unverständlich gewordene vierte Strophe, die einer anderen “Stimme”
gehört als die restlichen Strophen des Liedes. Starke thematische Bindungen zwischen der
dritten und der vierten Strophe verlangten, daß beide Strophen aus dem ursprünglichen
Sinngefüge entfernt wurden, als eine unverständlich geworden war.
Soweit das Ergebnis. Aber auch ohne auf ein präzises Ergebnis zielen zu wollen, ist dem
ersten Leseversuch die in w erhaltene Strophenfolge zugrunde zu legen, und nur im Falle, daß
diese Folge als völlig sinnlose Reihung erwiesen werden kann, sind arbiträre Eingriffe in die
Überlieferung notwendig, also textkritisch legitimiert.
Dieser erste Leseversuch von Walthers berühmtem Lied kann an einem Text unternommen
werden, an dem sich zeigen läßt, daß man ohne Konjekturen der handschriftlichen
Überlieferung auskommt: (74)
Ir reinen wîp, ir werden man,
ez stêt also daz man mir muoz
êr unde minneclîchen gruoz
nû volleclîcher bieten an.
des habet ir von schulden groezer reht dan ê.
welt irz vernemen, ich sage iu wes:
wol vierzec jâr hab ich gesungen oder mê
von minnen und als iemen sol.
dô was ichs mit den andern geil.
nune wirts mir niht, ez wirt iu gar.
min minnesanc der diene iu dar,
und iuwer hulde sî mîn teil.
Lât mich an eime stabe gân
und werben umbe werdekeit
mit unverzageter arebeit,
als ich von kinde habe getân.
swie nider ich sî, sô bin ich doch der werden ein.
genuoc in mîner mâze hô.
muet daz die nideren, ob mich daz iht swache? nein.
die biderben hânt mich deste baz.
der werden wirde ist sô guot,
60
daz man irz hoehste lop sol geben.
ezn wart nie hovelîcher leben,
swer sô dem ende tuot.
Mîn sêle müeze wol gevarn!
ich hân zer welte manegen lîp
gemachet frô, man unde wîp.
künd ich dar under mich bewarn!
lobe ich des lîbes minne, deis der sêle leit.
si giht, ez sî ein lüge, ich tobe.
der wâren minne giht si ganzer staetekeit,
wie guot si sî, wies iemer wer.
lîp, lâ die minne diu dich lât,
und habe die staeten minne wert.
mich dunket, der dû hâst gegert,
diu ensî niht visch unz an den grât.
Ich hât ein schoenez bilde erkorn.
Owê daz ichz ie gesach!
unt ie sô vil mit im gesprach!
ez hât schoen unde rede verlorn.
dâ wonte ein wunder inne; daz fuor ine weiz war.
dâ von gesweic daz bilde iesâ.
sîn rôserot, sin liljewîz wart kachelvar,
daz ez verlôs smac unde schîn.
mîn bilde, ob ich bekerkelt bin
in dir, sô lâ mich ûz alsô
daz wir ein ander vinden frô,
wan ich musz aber wider in.
Welt, ich hân dînen lôn ersehen.
swaz dû mir gîst, daz nimest dû mir.
wir gescheiden alle blôz von dir.
scham dich, sol mir alsô geschehen.
lîp unde sele hân ich (des was gar ze vil)
gewâget tûsentstunt dur dich.
nû bin ich alt und hast mit mir dîn gampelspil.
61
und zürn ich daz, sô lachest dû.
nû lache uns eine wîle noch
dîn jâmertac wil schiere komen,
und nimet dir swaz du uns hâst benomen,
und brennet dich dar umbe noch! (75)
Auch Walthers Lied hat die zwei Seelen im Inneren des Sängers zum Thema, aber im
Gegensatz zu Morungen ist es keine spielerisch pointierte Diskussion, die in einer ironischen
Klage endet, sondern Ausdruck einer Anschauung von sich selbst, die im Ernst und nicht nur
in der Fiktion einer Rolle ausgesprochen wird. Wie so oft in seinen Liedern entfaltet Walther
sein Thema in einer starken Spannung gegenüber dem Publikum, das in das Lied
hineingenommen wird oder zu dem der Sänger aus seinem Lied heraus spricht. Der Hinweis
auf das Altern des Sängers in Morungens Lied war konventionell. Für die Rolle des Sängers ist
das Alter kein pertinentes Merkmal. In Walthers Lied aber spricht ein alter Mann; sein Alter ist
nicht nur charakteristisch für die Rolle, sondern sie ist dem Lied zugleich Thema und Anlaß.
Das Lied setzt mit einer stark strukturierten Eingangssequenz ein, die das Interesse auf die
sechste Zeile hindrängt: “wollt ihr es hören, so sage ich euch weshalb...”; das höfische
Publikum der reinen wîp und werden man wird an eine Pflicht erinnert: es schulde dem Sänger
“nun” in noch höherem Maße ehrenvolle Anerkennung (das ist Aufgabe der Männer) und
liebenswürdigen Gruß (von Seiten der Damen) als je zuvor.
Die Textvarianten von w haben gegenüber A einen deutlich höheren Grad semantischer
Solidarität im Kontext: nû volleclîcher (statt noch vollecl”chen, “immer noch großen Dank")
und nû in Vers 5 in Opposition zu groezer reht dan ê, geben dem Anfang eine markante
Ausrichtung nach vorne, auf eine Antwort hin, welche die nicht gegebene Begründung des von
schulden nachholt.
Vierzig Jahre oder noch länger, habe er — so erklärt der Sänger seinen Anspruch — im
festlichen Rahmen, mit den anderen freudig gestimmt (geil), seine Pflicht als Sänger erfüllt.
Nun hat er an der freudigen Erregung keinen Anteil mehr. Aber sein Minnesang soll weiter
seine Aufgabe erfüllen: mîn minnesanc der diene dar, in w ohne iu - also die anspruchsvollere
Lesart: der Satz hat drei schwer betonte Glieder, nicht vier: mîn minnesanc - diene - iuwer
hulde. (76) Das zu Beginn gesetzte Thema ist damit bekräftigt. Der Sänger verkündet seinen
wohlverdienten Anspruch auf hulde, da heißt, seinen Anspruch auf Anerkennung seines
Dienstes nach den Konventionen höfischen Lebens.
62
Zu einer Zeit, als die durchschnittliche Lebenserwartung der Männer dreißig Jahre betrug, war
ein Sänger, der auf über vierzig Jahre professioneller Tätigkeit zurückblicken konnte,
sicherlich ein “alter Mann”. Walthers “altes” Rollen-Ich ist jedoch weder senil, noch blickt es
mit Wehmut zurück auf ein erfülltes Leben. Dieses Ich tritt im Vollbesitz seiner Kräfte und im
vollen Bewußtsein des eigenen Wertes auf. “Sollte ich auch an einem Stock gehen (d. h. in
Zukunft, nicht jetzt!), so will ich noch um edle Würde mich bemühen, in unverdrossener
Mühe, wie ich es von Jugend auf getan habe.” Selbst dann, wenn er — noch älter geworden —
einen Stock nötig haben wird, wird er sich weiterhin so verhalten wie in der Gegenwart, der
sein Lied gilt und in der Vergangenheit, die er darin evoziert. Der Sänger berichtet von seinem
Lebensprogramm, das er bis an sein Ende weiter erfüllen wird. Im Abgesang erklingt die
Folgerung: “Wie niedrig (geboren) ich auch sein mag, so bin ich doch der werden ein. Dazu
ein Nachsatz: “Wenn das auch die niedrig Gesinnten ärgert, erniedrigt mich das? — Nein; die
recht Denkenden schätzen mich um so höher ein.” Hier wird ein Gegensatz zwischen nideren
und biderben ausgesprochen, der die Urteilskraft zum Gegenstand hat, nicht die Teilhabe an
der werdekeit höfisch gesinnter Menschen. Gegenüber der Lesart von BC in Vers 8 die
werden, die unverständlicherweise von den meisten Herausgebern und Interpreten der Lesart
von A vorgezogen wird, ist dies eindeutig die ausdrucksstärkere Variante, zugleich auch lectio
difficilior, da werden im unmittelbaren Kontext zweimal erwähnt wird, also Perseverations-
oder Antizipationsfehler sein kann.
Der werden wirde ist sô guot, fährt der Text nach A fort: der Sänger nimmt das Thema des
durch höfisches Leben erreichten Ansehens aus Vers 5 wieder auf — es verdiene das höchste
Lob, mit anderen Worten, es stellt das höchste dem Menschen erreichbare Ziel dar. Er selbst
hat es angestrebt, “es hat nie ein höfischeres Leben gegeben, als wenn einer sô (also ein
textinterner Verweis auf zuvor Gesagtes) dem ende tuot.
Im Text nach A ist hier, aus der Sicht metrischer Einheitlichkeit der Versfügung gesehen, eine
Lücke. Wird sie nicht geschlossen, erhält jedes Wort in diesem Vers Schwere und zusätzliche
Bedeutung durch die nun notwendigen Pausen. Es ist der zentrale Satz des Liedes, der auf
diese Weise hervorgehoben wird, der Satz, der die Werte des höfischen Lebens als die
höchsten im Leben eines Menschen deklariert, den Sprecher mit seinem berechtigten Anspruch
vorstellt, an diesen Werten teilzuhaben, und zugleich mit dem Thema des “Endes” den
nachfolgenden Einwand gegen dieses Weltbild vorbereitet.
63
Die Textvarianten von A zeigen gegenüber den Varianten von B C eine alle Varianten gleich
betreffende Kohärenz, die nun beide Texte als sinnvoll geordneten Ausdruck einer jeweils
anders verstandenen Vorlage ausweist.
A
der werden wirde ist sô guot,
daz man irz hoehste lop sol geben.
ezn wart nie hovelîcher leben,
swer sô dem ende tuot.
BC
diu werde wirde diu ist sô guot,
daz man ir das beste lop sol geben.
ez wart nie lobelîcher leben,
denne swa man dem ende rehte tuot.
In BC ist eine starke semantische Solidarität erreicht, die im Gegensatz zur höfischen und
damit als “weltlich” konnotierten Sprache in A das Lob in der Sprache der Moral wiedergibt
und damit dem Ethos der Welt entzieht. Es folgte danach die Strophe, die mit den Worten
einsetzt: Welt, ich hân dînen lôn ersehen! Die in A erhaltene Fassung des zweiten Stollens
zeigt hingegen nicht nur eine stark ausgeprägte semantische Solidarität innerhalb des
Strophenpaars, an dessen Ende diese Worte gesungen werden, sondern auch zum Beginn der
ursprünglichen dritten Strophe, die das eben erst neu eingeführte Thema des Lebensendes
explizit aufnimmt, Mîn sêle müeze wol gevarn!, andererseits jedoch das Thema der ersten zwei
Strophen, das Sichbemühen um höfische werdekeit zum Abschluß bringt: “Meiner Seele möge
es wohl ergehen! Ich habe im weltlichen Leben vielen Menschen, Männern und Frauen, zur
Freude verholfen. Hoffentlich gereicht mir das nicht zum Verderben!”
Es ist der wohlbekannteste Anspruch der “Seele”. Selbst der Traktat des Andreas Capellanus
von der höfischen Liebe, De arte honeste amandi, kann sein Thema nur ausführen unter der
Bedingung, daß der religiöse Aspekt des Problems für eine Weile beiseitegelassen wird: sed
divinarum rerum ad praesens disputatione omissa. Das kunstvoll erstellte Gerüst der
Liebeskasuistik ist in jedem Moment bedroht von der Einsicht: Ergo, si servire Deo tantum
vultis eligere, mundana vos oportet cuncta relinquere. (77)
64
Davon spricht jetzt auch der Sänger in Walthers Lied. Er referiert Worte der Seele: “sie sagt,
ich lüge, ich sei von Sinnen, und sie spricht von der Standhaftigkeit der echten Liebe, wie
wertvoll die sei und daß sie immerfort währe.” Dann zieht er das Resumé für sich selbst, aber
es ist keine harte Entscheidung, die hier erklingt. Im belehrenden Ton volkstümlicher Weisheit
spricht da einer mich dunket, der dû hâst gegert, diu ensî niht visch unz an den grât — nicht
nur ein Kontrast zu den schwerwiegenden Folgen, die der Sänger kurz zuvor in Erwägung
gezogen hatte, sondern auch ein “Bruch” in der sprachlichen Haltung der Rolle. “Leib, laß die
Liebe, die dich läßt, und halte die beständige Liebe hoch”, übersetzt Maurer den Beginn dieses
Stollens. Warum sollte aber gerade der Leib die Aufgabe erhalten, die wahre Liebe zu pflegen?
Und von wem erhält er diesen Rat? Vom selben Sänger, der gerade sein lebenslanges Werben
um Ansehen in der Welt verkündet hat, das heißt vom “Mann” im Rollen-Ich des Liedes? Wer
den Satz so versteht, legt dem Sänger den Gedanken an eine radikale Umkehr in den Mund.
Das Rollen-Ich beugt sich dem Diktat der Seele und wendet sich mahnend an den eigenen
Leib.
Es soll gar nicht darüber geurteilt werden, ob eine solche Wende im thematischen Aufbau des
Liedes sinnvoll ist, und ob es ein poetisch gelungenes Bild ist, das der Dichter da zeichnet: das
kurz zuvor noch so selbstsichere Ich, das nun in sinnierender Haltung zu seinem Körper
spricht. Zu fragen ist allein, ob diese Deutung aus dem Text ohne Alternativen hervorgeht,
gleichsam ohne den interpretierenden Eingriff des modernen Lesers, den eine solche Abkehr
von den unsicheren Werten der Welt im Gedanken an den nahen Tod von seinem eigenen
Weltbild her plausibel scheint und der daher zufrieden zur Kenntnis nimmt, daß selbst ein
lebenslang weltlich Gesinnter noch im letzten Moment, in dramatischer Zuspitzung gleichsam,
eben die Wendung zu den religiösen Werten akzeptiert, die er noch wenige Sätze zuvor aus
seinem Weltbild ganz ausgeklammert hatte. Es gibt für solche Zweifelsfälle, wo der Sinn eines
ganzen Werkes in einem einzigen Wort kondensiert scheint und wo sich die Interpretation an
der Deutung dieses Worte oder eines winzigen Textsegmentes zu entscheiden hat, nur ein
sinnvolles Verfahren, das hier schon wegen der sprachlichen Ambivalenz des Wortes lip, das
“Leib” bedeuten kann, aber auch “Mensch” oder einfach an Stelle eines Pronomens verwendet
wurde, ohnedies naheliegt: die zweifelhafte Stelle soll unbelastet bleiben vom onus probandi,
das sie zum Kronzeugen der Interpretation werden läßt.
Die Strophe besteht aus drei deutlich getrennten Sprechakten: im ersten weist der Sprecher mit
hoher Frequenz auf sich selbst, mîn sêle und das dreimal gesetzte Pronomen der ersten Person
in nur vier Versen! Es folgen drei Verse mit den in indirekter Rede wiedergegebenen Worten
65
der Seele und, neu ansetzend mit lîp und nachfolgendem Imperativ, die Aufforderung, der
echten Liebe zu folgen:
Laß die vergängliche Liebe
und halte die beständige in Ehren.
Mir scheint, die Liebe, der dein Sehnen galt,
die ist nicht Fisch bis hin zu den Gräten.
Es ist ein Rat, der hier erteilt wird, und das sprechende Ich hat die sprachlichen
Charakteristiken, die wir in Analogie zu anderen Fällen als Merkmale der “Spruchdichter-
Rolle” bezeichnen können. Die Sentenz ist nicht das letzte Wort des Sängers, der hier in der
Fiktion dieses Disputs sich selber einen Rat gegeben hat.
Der Wechsel der “Stimme” kommt an dieser Stelle nicht unbedacht und zufällig. Er ist durch
das lange Zitat in indirekter Rede vom bis dahin homogenen Sprechakt des Sänger-Ich klar
getrennt. Und nach dem Rat, den der Sänger in der Rolle dessen vorbringt, der Anteil hat an
der anonymen Weisheit der Sprüche und Sentenzen des Volkes, erteilt er in der nun folgenden
Strophe der Seele selbst das Wort. Da das von der Seele verwendete Wort für den Menschen
bilde auch bei Walther an anderen Stellen mit stark religiösen Konnotationen auf den
Schöpfungsakt Gottes verweist, übersetze ich es mit “Geschöpf”; das nicht ganz klare
kachelvar (A) in Vers 7, das den Gegensatz zur farbigen Blüte des Lebens ausdrückt, (78)
übersetze ich mit dem nhd. Adjektiv, das dieselben Konnotationen ausdrückt, “aschfahl”.
Ich hatte mir ein schönes Geschöpf erkoren.
O weh, daß ich es je erblickt habe,
und daß ich so viel mit ihm gesprochen habe!
Es hat nun seine Schönheit und seine Sprache verloren.
Ein Wunder war in ihm, das ist wer weiß wohin entflohen,
das Geschöpf ist darob verstummt
und sein (lebendiges) Rot und Weiß wurde aschfahl,
sodaß es allen Duft und Glanz verlor.
Mein Geschöpf, bin ich eingekerkert
in dir, so laß mich frei,
daß wir einander voller Freude (einst) wiederfinden,
denn ich werde in dich zurückkehren!”
66
In der letzten Strophe spricht wieder das Rollen-Ich vom Anfang des Liedes. Dieses Ich
antwortet nun auf die von den verschiedenen Stimmen vorgetragenen Ratschläge und Lehren.
Und in dieser Antwort ist keine Spur von Widerruf oder Resignation. Gut, die Welt wird ihren
Sieg erringen und dem Menschen nehmen, was sie ihm gegeben hat. Aber Walther blickt auch
in diesem Moment unbeirrt vorwärts und nutzt die Chance seines christlichen Weltbildes, ohne
sich ihm auszuliefern. Er läßt das Lied mit einem grimmigen Blick nach vorne enden, zum
Jüngsten Gericht, wenn die Welt in Asche versinken wird, er aber wiedererstehen wird in
seiner vollen Integrität.
So verlache uns noch eine Weile.
Wir werden bald deinen Jammertag erleben.
Der nimmt dir, was du uns genommen hast
und verbrennt dich noch dafür!
67
Walthers Alterston: Ir reinen wîp, ir werden man (1986)
Bei Walthers Lied ir reinen wîp, ir werden man beeinflußt der Gedanke an die möglichen
Interpretationen bereits die Haltung der modernen Interpreten gegenüber den handschriftlichen
Zeugnissen. Da in den Handschriften drei unterschiedliche Strophenfolgen überliefert sind,
scheint dieses Lied der textkritischen Ratio weitgehend entzogen und in besonderem Maße der
interpretatorischen Aneignung überantwortet. Jede Deutung des Liedes bringt einen eigenen
Text hervor, dem allein, streng genommen, das interpretierende Bemühen des modernen
Lesers jeweils gilt.
Daß der Interpret den Text erst schafft, ist hier keine Metapher; Lachmann hatte nur die beiden
ersten von fünf überlieferten Strophen als zusammengehörig ediert, Wackernagel gar jede
Strophe einzeln gedruckt. Bis in die Gegenwart reichen die Zweifel, und ein obligatorisches
Fragezeichen eröffnet auch die jüngsten wissenschaftlichen Arbeiten zu die Lied. Diese
Zweifel stechen ab von einer Gegenposition, die seit dem ersten Versuch, die Einheit des
Liedes nachzuweisen (C. von Kraus 1925), an ihrem sprachlichen Duktus sich zu erkennen
gibt: “Die richtige Reihung ergibt sich aus einer eindringlichen Interpretation; sie zeigt
zugleich, daß ein unteilbares, von einem einheitlichen Gedanken durchzogenes Lied vorliegt.”
(1) Diesem “einheitlichen Gedanken” gilt seitdem das Bemühen der Interpreten. Bei Carl von
Kraus ist es die Formel am ende rehte tuon, der sich Deutung wie Textherstellung beugen
müssen:
Mit der wernden wirde, mit dem Begriff guot und mit dem Gedanken, daß beides nur
dem zuerkannt werden kann, was sich bis zum Ende bewährt, ist das Thema für alles
Folgende gegeben: von der Welt gilt alles das nicht (III); vom lîbe auch nicht (IV); und
von des lîbes minne gleichfalls nicht (V). (2)
In den nachfolgenden Versuchen von G. Jungbluth und W. Mohr sind es die Motive der
“inneren Umkehr” bzw. der “Resignation”:
Von ernstlichen Mahnungen der Seele beunruhigt und eigener Erfahrung eingedenk
willens, ihnen Gehör zu leisten, tritt der Dichter vor sein höfisches Publikum, vor dem
68
er vierzig Jahre lang vergänglich-irdischer Schönheit in seinem Sang gehuldigt hat, tut
seine Absicht dar, fürder diesem Gesang zu entsagen, vertraut sein Werk der Obhut der
Gesellschaft an und kündigt an, was er nun zu tun sich entschlossen hat: nämlich sein
lebenslanges strebendes Bemühen durch einen Akt zu krönen, der auf ein
unvergängliches und himmlisches Ziel ausgerichtet sein wird - durch eine Pilgerfahrt.
(2)
Dieses Bild der schönen Welt verlischt in Todesnähe, aber der Dichter findet in letzter
Stunde die Worte, schmerzlich davon Abschied zu nehmen. Diesen Moment
festzuhalten ist der Dichtung selten gelungen; Fausts Erblinden ist wohl das einzige,
was man vergleichen könnte. (3)
Diese drei Interpretationen, die unter dem Thema der Absage an die Welt stehen, gelten drei
unterschiedlichen Strophenfolgen, das heißt, drei verschiedenen Texten. Die von der je
individuellen Ansicht über Mögliches und Plausibles bestimmte Interpretation stößt — wie es
scheint — bei den nachkommenden Lesern leicht auf Unglauben, und an ihrer Kritik entzündet
sich der Gedanke an eine bessere, d.h. eine noch plausiblere Lösung.
Umso erstaunlicher muß es daher scheinen, daß es möglich ist, wie Peter Dronkes Deutung des
Liedes nahelegt, der von Mohr interpretierten Strophenfolge einen geradzu entgegengesetzten
Sinn abzugewinnen. Auch Dronkes Interesse gilt dem “schönen Bild” in der letzten Strophe,
nun aber “als Bild seines Ideals” gesehen,
der ganzen Schönheit und Liebe, nach der er in Dichtung und Leben gestrebt hatte. [...]
Jetzt weiß er, daß das Bild, selbst wenn er seiner müde geworden ist und es
vernachlässigt hat, sein Bild ist, das Ende, dem sein Leben gerecht werden muß. Wenn
seine Seele ihn versucht, sein Bild zu verleugnen, ein anderes, fremdes dafür
einzusetzen, dann ist sie im Unrecht. Für einen Dichter der menschlichen Liebe und
Ehre liegt die endgültige Vollendung, die Erlösung in seinem Dasein als Dichter der
menschlichen Liebe und Ehre. Er muß die Freiheit haben, “das, was er immer war”, zu
finden und schließlich wieder darin einzutreten, und zwar nicht, als ob er in ein
Gefängnis zurückkehrte, sondern zu der Bestimmung, die er frei gewählt und ein Leben
lang zu erreichen gesucht hat. [...] Es geht nicht um den Sieg für Seele oder Körper,
sondern für den Menschen Walther, wenn er angesichts der Zweifel, die ihn gequält
haben, erkennt, daß es nicht der Verrat an seinen lebenslangen Idealen als Mensch und
Dichter, sondern das freudige endgültige Bekenntnis zu ihnen ist, worauf sein Wert in
der Ewigkeit beruht. (4)
69
Diese Interpretation ist nicht nur als “Antwort” auf einen Text entstanden, sondern zu gleich
als Widerspruch gegen das Vorurteil, auf dem die bis dahin vorgetragenen Deutungen so
offensichtlich gründeten. Es ist schwierig, sich der Faszination von Dronkes alternativer
Deutung zu entziehen, spricht sie doch für Walther — und gegen seine Interpreten. Aber
Dronkes Deutung von Walthers bilde ist kaum mehr als eine intuitive Verteidigung des
Dichters, die den Blick schärfen hilft für den Hintergrund, vor dem auch diese alternative
Deutung vor sich geht.
Den Nachkommenden ist nun eine Entscheidung abverlangt, die neu ist, eine ideologische
Vorentscheidung gleichsam darüber, was der Interpret diesem Text oder seinem Autor
zumutet. Dronkes salopper Gegenentwurf, der — wie noch zu zeigen ist — philologisch
unhaltbar ist, bringt den großen Erkenntnisgewinn, den jede Überwindung eines “Vorurteils”
darstellt: mittels der unerwarteten Alternative zu zeigen, daß die alten Versuche veränderbar
sind, daß sie nicht in einem natürlich vorbestimmten Raum der Deutung erfolgen, sondern
ebenso einem Vorurteil verpflichtet sind, wie der neue Versuch es offensichtlich ist.
Ist somit der Blick für den Hintergrund geschärft, so stellen sich auch die jeweiligen
“Korrekturen” in einem neuen Lichte dar. Sie erscheinen nun ebensowenig “natürlich”, wie
schon der erste Versuch, dem ihr Bemühen gilt, auf natürliche Weise entstand. Es sind
philologische Korrekturen, aber sie korrigieren ein “Bild”, das nicht mit philologischen Mitteln
gewonnen wurde, in Hinblick auf ein anderes Bild, dessen Ursprung ebenfalls nicht
philologischer Natur ist. Es sind kleine Abweichungen von einem vorgezeichneten Weg. Der
Nachkommende findet einen Rahmen, den er aber nicht als solchen wahrnimmt; was er sieht,
sind Details. Jeder verbessernde Eingriff, der immer nur einem Detail gilt, stützt diesen
Rahmen, indem er ihn unberührt läßt. So versuchen die Carl von Kraus nachfolgenden
Interpreten jeweils bessere Hypothesen über die Strophenfolge aufzustellen, bei
gleichbleibender Tendenz der Interpretation. Wer die Grundentscheidung von Dronkes
Interpretation teilt, sich aber um ein strengeres philologisches Verfahren bemüht, wird eine
Korrektur von Dronkes Analyse des Wortes bilde anstreben. So bestimmen Interpretationen
den thematischen Schwerpunkt von nachfolgenden Interpretationen.
So wie Dronkes weitreichende Neubewertung an der Deutung eines einzelnen Wortes ansetzt,
haben auch die älteren Interpretationen dieses Liedes ein übergewichtiges Zentrum: in seinem
Bemühen, die Strophen mit einem Blick auf den Anfang, wie auf den Schluß sinnvoll zu
70
ordnen, ging Carl von Kraus so weit, in der Schlußstrophe eine Wendung Walthers zur
“Gottesminne” zu postulieren, ein Leseakt, in dem ihm niemand gefolgt ist. Die Interpretation
von Günther Jungbluth hat ihr Zentrum in der Deutung des Satzes zu Beginn der zweiten
Strophe, lât mich an eime stabe gân, der, mit Sinn überfrachtet, zum Wunsch nach einer
Pilgerreise wird — was die Leser dieser Interpretation nicht zu überzeugen vermochte. In der
“letzten” Strophe hat hingegen die Interpretation von Wolfgang Mohr ihr übergewichtiges
Zentrum, wo Mohr — gegen die sprachliche Evidenz — einen Dialog zwischen dem
Menschen und seiner Seele rekonstruiert, dessen Funktion eigentlich nur darin besteht, das
unverstande Wort bilde deutbar zu machen.
In der jüngsten wissenschaftlichen Arbeit zu Walthers Lied erscheint das in der Forschung
fragwürdig gewordene Einzelwort des Textes bereits im Titel: “Walthers bilde”. Der Autor,
der englische Germanist Timothy McFarland, gibt eine differenzierte Darstellung mit
umfangreichen philologischen Begründungen, die im Ergebnis, oft sogar in wörtlichen
Anklängen, mit der Interpretation von P. Dronke übereinstimmt:
When Walther does treat the conflict of body and soul, we see that he appears to remain
slightly detached from it; his main concern is with the survival of his own self, which is
threatened by this dichotomy. [...] The eschatological goal on which his attention is
fixed is not the souls salvation, but the resurrection of the body, seen in terms which
suggest a view of man made in the image of God. [...] We may go further than this,
because of the way in which this poem sums up and revalues the themes of much of
Walther’s poetry in the light of old age; and say that the ich of L 68,7 will carry with
him the whole of Walther’s poetry. (5)
Mohr, Dronke und McFarland interpretieren Walthers Lied in derselben, in den Handschriften
B und C tatsächlich überlieferten, Strophenfolge. Während jedoch Mohr und Dronke die in der
Folge gewonnene Einheit betonen, kommt McFarland zur entgegengesetzen Anschauung: “the
strophes exist independently of each other”, verbindend sei jedoch der gemeinsame
Standpunkt, unter dem die einzelnen Themen behandelt werden; B und C überliefern di
Strophen in einer so sinnvollen Anordnung, daß wir diese Reihenfolge als die richtige
anerkennen sollten.
Die “richtige” Reihung der Strophen bleibt somit ein entscheidender Faktor der Interpretation,
obwohl der Autor die Autonomie der Einzelstrophen hervorhebt. An der Stelle seiner Arbeit,
71
wo er von der handschriftlichen Überlieferung handelt, läßt McFarland jedoch deutlich
erkennen, wie das unterschwellige Interesse an der Ordnung schon sehr früh — und von
diesem unbemerkt — die Schritte des Interpreten zu lenken beginnt. Wenn wir die Strophen,
B/C als Norm folgend, numerieren, zeigt die Überlieferung folgendes Bild:
A B/C w
4 1 1
5 2 2
1 3 4
2 4 5
3 5 3
McFarland sieht die beiden relativ stabil überlieferten Strophenpaare, 1/2 und 4/5; zu Strophe
drei merkt er an: “The remaining strophe follows L 66,21 ff. and L 66,33 ff. in MSS A, B and
C, although it is thematically more closely related to L 67,20 ff. and 67,32 ff., which follow it
in B and C”, mit anderen Worten, die Reststrophe 3 folge dem Strophenpaar 1/2, obwohl sie
thematisch besser in Anschluß an 4/5 passe. Diese “passendere” Reihenfolge ist aber im
Fragment w tatsächlich überliefert. Wird der thematischen Folge großes Gewicht beigemessen,
so müßte eigentlich das Textzeugnis w besonderes Interesse verdienen; ist dieses Kriterium
hingegen für die philologische Rekonstruktion des Liedes ohne Bedeutung, so sollte es
überhaupt nicht ins Spiel gebracht werden.
Diese Inkohärenz methodischer Natur läßt erkennen, daß auch hier die “philologische”
Erkenntnis vor dem Hintergrund vorbestimmter Urteile vor sich geht, die den Ergebnissen der
wissenschaftlichen Arbeit im konkreten Fall sogar widersprechen können. So betont
McFarland als Ergebnis seiner Untersuchung die Autonomie der Strophen, die Position einer
bestimmten Strophe wird von ihm jedoch in Hinblick auf die vorhergehenden Strophen
festgelegt. Die kritische Arbeit an Text und Überlieferung geht also mit Hilfe einer
“Anschauung” vor sich, die es — ihrer tatsächlichen Bedeutung gemäß — nicht nur vom
Makel des Vorurteils zu befreien gilt, sondern die es verdiente, selbst als Ergebnis der
philologisch-kritischen Arbeit am Text anerkannt zu werden.
Die Geschichte der Interpretationen dieses Liedes zeigt, daß die thematische Bindung
zwischen zwei (oder mehreren) Strophen dem modernen Leser auf ganz unterschiedliche
72
Weise evident werden kann; und jeder Interpret war überzeugt, gerade ihm sei es gelungen,
mit seiner Rekonstruktion die richtige Lösung zu finden.
Es muß auffallen, daß bei all diesen Versuchen, die unterschiedlichsten Reihungen jeweils als
allein plausible zu erklären, die in w tatsächlich überlieferte Folge noch nie als “plausible”
Anordnung erklärt worden ist. Diese Grenze der Plausibilität gilt es ins Auge zu fassen. Um
sie zu überwinden, bedarf es eines theoretischen Gerüstes, das nicht vom Inhalt des Liedes her
(vor-)bestimmt ist, und das auch nicht erst in dem Moment zur Verfügung steht, in dem der
Interpret es “braucht”, nämlich im Moment des “Verstehens”. Ein mittelalterliches Lied, das
mit sinnändernden Textvarianten und mit unterschiedlicher Strophenreihung überliefert ist,
stellt nicht nur die Frage nach seinem Gehalt, sondern auch die nach der Logik seiner
Überlieferung, die dem Philologen zum Problem wird als Logik der verändernden Eingriffe im
Moment der Rezeption.
Die somit als Ziel der Untersuchung geforderte Hypothese zur handschriftlichen Überlieferung
ist kein Versuch, des geschichtlichen Moments habhaft zu werden, in welchem eine bestimmte
Handschrift oder ihre Vorlage tatsächlich enstanden ist; eine solche Hypothese versucht allein,
die empirisch verfügbaren Daten der Überlieferung so zu “ordnen”, daß die Erklärung der
einzelnen Phänomene sich zu einem widerspruchsfreien Ganzen fügt, zu einem système où
tout se tient, das — wie in der strukturalistischen Tradition — nach seiner Funktion
bestimmbar wird.
Wenn wir, auf dem Weg zu einer solchen alternativen Anschauung der handschriftlichen
Überlieferung, die Strophen nicht nach dem Vorbild von B/C, sondern nach w durchgehend
numerieren, dann erscheint die Überlieferung in einem ganz anderen Bild:
A B/C w
3 1 1
4 2 2
1 5 3
2 3 4
5 4 5
Obwohl gegenüber der ersten Anordnung nichts verändert ist, gibt dieses Bild mehr als eine
bloße Übersicht über die erhaltenen Strophen; es suggeriert nämlich zugleich eine Hypothese,
indem es eine Anschauung von jenem Prinzip vermittelt, das den verändernden Eingriffen
73
zugrunde liegen könnte. Aus einem ursprünglich fünfstrophigen Lied — so die Hypothese —
seien die dritte und die vierte Strophe ausgeschieden worden, so daß der Block 1-2-5 als neues
Lied von drei Strophen verblieb; die ausgeschiedenen Strophen standen aber auch später noch
zur Verfügung und wurden der neugeschaffenen Dreiergruppe entweder vorangestellt, wie in
A, oder nachgestellt, wie in B/C.
Diese Hypothese wurzelt in einer Anschauung der handschriftlichen Überlieferung, der alle
Elemente als potentiell gleichwertige Akteure eines Spiels von Beziehungen anerkannt
werden, so daß es nötig ist, in einem weiteren Schritt dieses Potential einzuschränken. In
diesem Bild ist kein Raum für Kategorien wie der “übriggebliebenen” Strophe, die wir in den
traditionellen Analysen als “Rest” vorfinden, nachdem der moderne Beobachter das ihm
vorliegende Material mit “seinen Augen” angesehen hat.
Es gibt, wenn wir von unserem Vorwissen einmal absehen, nur zwei Arten von besonders
markierten Strophen: die jeweils erste einer Reihe und die jeweils letzte. Unter diesem
Gesichtspunkt betrachtet, sticht w unter den Textzeugen dadurch hervor, daß w ( und nur w!)
mit BC die erste Strophe gemein hat, mit A jedoch die letzte. Dieser Befund kann, bei
umgekehrter Perspektive, so gelesen werden, daß A den (hypothetischen) Nachtrag auf eine
Weise zur älteren Dreiergruppe gefügt hätte, daß die letzte Strophe tatsächlich die letzte blieb,
während B/C, umgekehrt verfahrend, die erste Strophe des reduzierten Liedes 1-2-5 als erste
der fünfstrophigen Komposition bewahrt hätte. Die beiden Verfahrensweisen sind
gleichermaßen plausibel, und ihre Plausibilität trägt nun in der Form eines
Erklärungspotentials der handschriftlichen Überlieferung dazu bei, daß auch die zuerst
formulierte Hypothese an Plausibilität gewinnt.
Die Plausibilität der Hypothese hängt also nicht vom Urteil dessen ab, der sie gerade
aufgestellt hat, sondern von den mit ihrer Hilfe gewonnenen Einsichten. Dieser indirekte Weg
der Kontrolle ist ein erster, entscheidender Damm gegenüber der Bereitschaft des modernen
Lesers, die Texte mit Sinn aufzuladen, noch bevor er diese Texte “angehört”, sie zum
Sprechen gebracht hat.
Seit über einem Jahrhundert bemühen sich Forscher um dieses Lied, seit mehr als fünzig
Jahren im Bewußtsein seiner thematischen Einheit. Als Ergebnis dieser Arbeit steht ein
unverständlicher Satz, Ich hât ein schoenes bilde erkorn, dessen “Verständnis” weitreichende
Folgen hat: versteht man bilde, wie C. v. Kraus es tut, als Hinweis auf Walthers Minnesang, ist
die Stelle freilich entschärft, zugleich wird dabei die Strophe inhaltlich so stark entleert, daß
sie an einer beliebigen anderen Stelle des Liedes zu stehen kommen kann. In der Interpretation
74
von G. Jungbluth wird das Gewicht einseitig auf das Motiv des Stabes gelegt, sodaß die
Strophe, in der vom schoenen bilde gesprochen wird — an eine andere Stelle des Liedes
gerückt —, ebenfalls an Bedeutung verliert. Wird das Wort hingegen nicht vom Interpreten in
den Hintergrund gedrängt, dann zeigen sich erstaunliche Folgen: Mohr ist gezwungen, die
Strophe in Rede und Gegenrede zu teilen; Dronke entzieht sich der philologischen Problematik
im hohen Flug seiner alternativen ideologischen Deutung, und McFarland, der die
philologischen Probleme gelöst hat, kommt dadurch zur Überzeugung, Walthers Lied bestehe
aus selbstständigen Einzelstrophen — ein Ergebnis, das die Forschung eigentlich wiederum an
den Punkt zurückführt, von dem sie vor einem halben Jahrhundert ausgegangen war.
Könnten Eingriffe der modernen Leser überhaupt drastischer gedacht werden, als diese vier
Versuche, auf ein von der Überlieferung gestelltes Problem zu antworten? Es scheint nicht
ganz abwegig, daraus den Schluß zu ziehen, diese Strophe sei eigentlich — trotz aller
gelehrten Versuche — bis heute unverständlich geblieben.
Ist es zu kühn, zu vermuten, diese Strophe habe schon den Schreibern im 13. Jahrhundert
dieselben Schwierigkeiten bereitet? Und verbirgt sich die Lösung vielleicht gerade in der
Erkenntnis des Problems selbst, daß sich die handschriftliche Überlieferung gerade an dieser
Stelle aufspaltet, und damit ein empirisch überprüfbares Indiz gibt für ein sehr altes
Verständnisproblem?
Die Grenze zwischen “normaler” und problematischer Rezeption liegt bei diesem Lied am
Ende der zweiten Strophe, das ist aber nicht gleichbedeutend mit dem Beginn der dritten
Strophe, denn nach dem Eingriff wird nicht mehr die alte dritte, sondern die letzte Strophe an
dritter Stelle stehen. Von dieser neuen Anordnung aus betrachtet, findet sich demnach eine
zweite “Bruchstelle” zwischen der ursprünglich vorletzten und der letzten Strophe.
An der zweiten Grenze finden wir nun gerade die Strophe mit dem noch heute
problematischen Wort bilde, dessen Verständnis nur mit Hilfe des Kontextes möglich ist; wird
dieses Verständnis jedoch nicht erreicht, so hat dies Folgen, die auf denselben Kontext
zurückwirken.
Am Ende der zweiten Strophe hingegen überliefern A und B/C zwei unterschiedlich gestaltete
Redaktionen, die, beide mit großer inhaltlicher Kohärenz, auf zwei verschiedene Kontexte
“antworten” — und zwar eine von ihnen auf den neuen Kontext, der nach der Ausgliederung
der Strophen drei und vier entstanden war.
A B/C
75
der werden wirde ist sô guot, Diu werde wirde diu ist sô guot,
daz man in daz hoehste lop sol geben. daz man ir das beste lop sol geben.
ezn wart nie hovelîcher leben, Es wart nie lobelîcher leben,
swer sô dem ende tuot. Danne swa man dem ende rehte tuot.
Die Würde der edlen Menschen ist so wertvoll, Die dauernde würdige Haltung ist so wertvoll,
daß man ihnen das höchste Lob zollen muß. daß man ihr das höchste Lob zollen muß.
es gab nie ein höfischeres Leben, Es hat nie ein preisenswerteres Leben gegeben
als wenn einer so am Ende handelt. als wenn einer dem Ende gerecht wird.
In der Fassung A wird den Menschen höfischer Lebensart das höchste Lob zugesprochen, in
BC hingegen wird eine abstrakte Eigenschaft gelobt, die wirde. In B/C ist eine starke
semantische Solidarität erreicht, die im Gegensatz zur höfischen und damit als weltlich
konnotierten Sprache von A das Lob in der Sprache der Moral wiedergibt und damit dem
Ethos der Welt entzieht. Derjenige sei zu loben, der so lebe, daß er seinem Ende gerecht
werde: es ist eine allgemeine Aussage, die hier erklingt, und nicht die Selbsteinschätzung eines
sprechenden Ich, wie in A. Mit dem Hinweis auf die werden und mit sô werden in A zwei
anaphorische Bezüge zum Kontext geschaffen, die dem Schluß der zweiten Strophe den
Charakter eines abschließenden Gedankenganges verleihen. Dazu paßt die Betonung der
höfischen Werte, denen auch der Anfang des Liedes gewidmet ist, an gerade dieser Stelle:
hovelîcher ist, textkritisch gesehen, die lectio difficilior gegenüber lobelîcher in B/C.
In der Fassung von B/C, die sich durch diese Indizien bereits als Bearbeitung einer Vorlage
erwiesen hat, sind auch die für A so charakteristischen anaphorischen Bezüge eliminiert; die
Strophe gewinnt dadurch an Freiheit gegenüber ihrem Kontext, und kann nun, von ihrem
eigenen thematischen Zentrum aus — der Betonung moralischer Werte — mit der neuen
Folgestrophe auf ganz neue Art inhaltlich verbunden werden.
In der (ursprünglichen) Fassung, deren Textvarianten offensichtlich in A erhalten sind, nimmt
das Lied, nachdem das Stichwort vom Lebensende gefallen ist, mit dem Gedanken an die
eigene Seele des sprechenden Ich eine Wende.
Der nachweisbare Eingriff in den Text der Vorlage am Ende der zweiten Strophe und das
Ausscheiden der alten Strophen drei und vier sind bei dieser hypothetischen Rekonstruktion
nicht nur als gemeinsam motiviert, sondern auch als gleichzeitig entstanden zu denken. Der
innovierenden Textfassung am Ende der zweiten Strophe käme die Aufgabe zu, die Strophe
76
mit der unmittelbar nachfolgenden neuen Schlußstrophe zu einem kohärenten Ganzen zu
verbinden.
Beim Versuch, diese Hypothese dem modernen Leser erfahrbar zu machen, kann an die Stelle
des mittelhochdeutschen Textes eine Übersetzung treten. In diesem ersten Schritt kann die
Hypothese nur an der Evidenz bewertet werden, die das Ergebnis für den Leser hat. Auch
gegenüber der Evidenz ist jedoch kritisches Bemühen des Beobachters vonnöten. Jede
Übersetzung verändert den Text, wie auch jeder Akt des Lesens. Übersetzungen unterscheiden
sich daher nicht qualitativ von Originaltexten: in ihnen ist die Problematik des Verstehens
gleichsam verdoppelt. Rechnet der Leser jedoch mit einem “Verlust”, den er der Übersetzung
zuschreibt, dann wird sein Blick vielleicht an Qualität gewinnen, indem er nämlich auch in
jenen Bereich vorzudringen versucht, wo er das Verlorene beheimatet wähnt.
Alterston synoptisch: w — B/C
Ihr reinen Frauen, edlen Männer,
es steht nun so, daß man mir
Ehre und liebreichen Gruß
noch stets in vollem Maß erweisen muß.
Ihr habt dafür mit Recht noch mehr Anlaß als je:
Wollt ihr hören, sag ich euch, weshalb.
Wohl vierzig Jahre oder mehr habe ich gesungen
von Liebe, und zwar, wie man es soll.
Da war ich mit den andern fröhlich:
jetzt hab ich nichts mehr davon, es ist ganz für euch.
Mein Minnesang, der diene fortan euch,
und eure Zuneigung sei mir zuteil.
Selbst wenn ich an einem Stab gehen werde,
werde ich unverzagt
um Ehre mich bemühen.
Wie ich es von Kind auf getan habe —
so bin ich doch, wie niedrig ich auch sei,
nach meinem Maße hoch genug.
Das verdrießt die Neider. Ob mich das kränkt? Nein.
Die rechten Leute schätzen mich um so mehr.
Die Würde der edlen Menschen ist so wertvoll, Bewährte Würde ist es, die verdient,
77
daß man ihnen das höchste Lob zollen muß. daß man das höchste Lob ihr gebe.
Es hat nie ein höfischeres Leben gegeben, Es gab nie löblicheres Leben,
als wenn einer so am Ende handelt. als wer dem Ende gerecht wird.
Meine Seele fahre wohl! Welt, ich habe deinen Lohn erkannt:
Ich habe manchen auf der Welt was du mir gibst, das nimmst du mir.
froh gemacht, Mann und Frau: Wir scheiden alle bloß von dir.
Hätt ich mich dabei bewahren können! Schäm dich, soll mir auch so geschehen.
Lob ich des Leibes Liebe, ist’s der Seele leid: Ich habe Leib und Seele (dies war allzuviel!)
und sagt, ich lüge und ich sei von Sinnen. tausendmal für dich gewagt. Nun bin ich alt,
Nur wahre Liebe nennt sie ganz beständig du hast mit mir dein Possenspiel:
und sagt, wie gut sie sei und wie sie immer währe. und bin ich drüber zornig, so lachst du.
Leib, laß die Liebe, die dich läßt, So lache uns noch eine Weile:
und halte die bleibende Liebe hoch: dein Jammertag wird bald kommen und
mich dünkt, die du begehrt hast, nimmt dir alles, was du uns genommen hast
sei nicht bis auf die Gräte Fisch. und wird dich trotzdem brennen.
Ich hatte mir ein schönes Bild erwählt: Meine Seele fahre wohl!
o weh, daß ich es je erblickte Ich habe manchen auf der Welt
und immer so viel mit ihm sprach! froh gemacht, Mann und Frau:
Es hat Schönheit und Sprache verloren. Hätt ich mich dabei bewahren können! Lob
Da wohnte ein Wunder drin: das ist, ich des Leibes Liebe, ist’s der Seele leid
weiß nicht wohin, gefahren. und sagt, ich lüge und ich sei von Sinnen.
Davon ist das Bild sogleich verstummt. Nur wahre Liebe nennt sie ganz beständig
Seine Lilienrosenfarbe ward so kerkerfarbig und sagt, wie gut sie sei und wie sie immer
daß es Duft und Glanz verlor. währe.
Mein Bild, wenn ich gekerkert bin Leib, laß die Liebe, die dich läßt,
in dir, so laß mich denn heraus, und halte die bleibende Liebe hoch:
daß wir einander fröhlich finden: mich dünkt, die du begehrt hast,
denn ich muß wieder einst hinein. sei nicht bis auf die Gräte Fisch.
Welt, ich habe deinen Lohn erkannt: Ich hatte mir ein schönes Bild erwählt:
was du mir gibst, das nimmst du mir. o weh, daß ich es je erblickte
Wir scheiden alle bloß von dir. und immer so viel mit ihm sprach!
Schäm dich, soll mir auch so geschehen. Es hat Schönheit und Sprache verloren.
Ich habe Leib und Seele (dies war allzuviel!) Da wohnte ein Wunder drin: das ist,
tausendmal für dich gewagt. ich weiß nicht wohin, gefahren.
Nun bin ich alt, du hast mit mir dein Possenspiel Davon ist das Bild sogleich verstummt.
78
und bin ich drüber zornig, so lachst du. Seine Lilienrosenfarbe ward so kerkerfarbig
So lache uns noch eine Weile: daß es Duft und Glanz verlor.
dein Jammertag wird bald kommen Mein Bild, wenn ich gekerkert bin
und nimmt dir alles, was du uns genommen hast, in dir, so laß mich denn heraus,
und verbrennt dich noch dafür. daß wir einander fröhlich finden:
denn ich muß wieder einst hinein.
79
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81
ANMERKUNGEN
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3 J. FOURQUET, Thèses sur le Minnesang, in Etudes Gérmaniques IX, 1954, 300.
4 H. KUHN, Minnelieder, S. 10 f.
5 W. F. MICHAEL, Drama, S. 19.
6 P. DRONKE; Lyrik des Mittelalters, S. 42 f.
7 Text und Übersetzung nach Dronke, cit. S. 41 f.
8 P. DRONKE, cit. S. 42.
9 P. DRONKE, Lyrik, cit. S. 35.
10 Der Abschnitt über das Jeu de la Feuillée ist ein Zusatz gegenüber dem Text von 1984 und
geht auf die italienisch geschriebene Untersuchung von 1989 zurück. Die Übersetzung lehnt
sich stark an den 1996 entstandenen Aufsatz Spazio scenico e attori nell’alto medioevo an.
Vgl. J. Drumbl, Il Teatro Medievale, Il Mulino, Bologna 1989, S. 53-61.
11 R. Brugesan, La Pergola, ovvero il gioco della follia, Marsilio, Venezia 1986; K. H.
Schroeder, Das Laubenspiel, Fink, München 1972.
12 MF, S. 7.
MINNESANG
31 MF, S. 26.
32 Übersetzung von G. Schweikle, cit. S. 123.
33 MF, S. 25; Übersetzung von H. BRACKERT, Minnesang, S. 7
34 K. SMITS, Preislied, passim.
35 H. RUPP, Preislied, S. 31, Anm. 9.
36 Text nach Maurer.
37 H. KUHN, Minnelieder, S. 70f.
38 H. KUHN, cit., S. 73.
82
39 H. KUHN, cit., S. 76.
40 H. KUHN, cit., S. 71.
41 H. KUHN, cit., S. 79.
42 H. KUHN, cit., S. 71.
43 R. WARNING, Lyrisches Ich, S. 121.
44 P. WAPNEWSKI, Dt. Literatur des Mittelalters, S. 93.
45 H. KUHN, Minnelieder, S. 79.
46 G. u. U. Pörksen, Nemt, frouwe, S. 117.
47 H. Kuhn, Zur inneren Form.
48 Lexer, s. v.
Vröidelîn und herzeliebe
49 WAPNEWSKI, Walther, S. 247.
50 K.H. HALBACH, Walther, S. 77.
51 H. KUHN, Minnelieder, S. 51.
52 KW, S. 63.
53 Übersetzung nach Maurer, 189
54 Übersetzung nach Maurer.
55 In: H. KUHN, Text und Theorie, S.191-98 und in: H. KUHN, Minnelieder, S. 92 ff.
56 Text nach Maurer.
57 KWU, S. 161.
58 L 96, 15-18.
59 So der jüngste Trend der Interpretationen: vgl. G. MEISSBURGER, Wes Brot ich esse, S.
32 ff. Zur Bedeutung von herzeliebe vgl. die Arbeit von T. EHLERT, Konvention, deren
methodische Ansprüche einen neuen Standard in der germanistischen Mediävistik setzen.
HEINRICH VON MORUNGEN
60 I. SCHRÖBLER, Von den Grenzen des Verstehens, S. 2f.
61 I. SCHRÖBLER, cit., S. 6.
62 P. GANZ, Vom Nichtverstehen, S. 150.
83
63 W. MOHR, Vortragsform, S. 136, Anm. 18 u. ö.
64 H. TERVOOREN, Heinrich von Morungen, S. 159.
65 Vgl. zu Jakobson, die m. E. begründete Kritik bei G. KURZ, Relevanz, S. 162-169 mit
Bibliographie.
66 Vgl. L. JÄGER, Rekonstruktion, passim, und L. JÄGER (Hg.), Erkenntnistheoretische
Grundfragen.
67 H. TERVOOREN, Heinrich v. Morungen, S. 69.
68 MF, S. 253 ff. Ich übernehme die Strophen aus den Editionen von XI a, bzw. XI b nach
dem Prinzip der “Leithandschrift".
69 Übersetzung von Tervooren (a.a.O.).
70 Übersetzung von Tervooren (a.a.O.).
WALTHERS ALTERSTON
71 Kraliks Interpretation der Elegie ist wohl das extremste Beispiel für die Arroganz eines
modernen Wissenschaftlers gegenüber dem poetischen Text.
72 C. GRÜNANGER, Heinrich von Morungen, cap. III La ricostituzione critica del testo e il
problema centrale del Minnesang.
73 C. v. KRAUS; Ir reinen wîp aus dem Jahr 1925 setzt den Maßstab; G. JUNGBLUT,
Walthers Abschied (1958) läßt das Unbehagen am Krausschen Erbe erkernen und dazu die
engen Grenzen für eine alternative Deutung. Vgl. gegenüber diesem und anderen Versuchen
germanistischer Tradition, den weitaus souveräneren Versuch von P. DRONKE, Lyrik des
Mittelalters, S. 253-256 dem ich zwar auch nicht zustimmen kann, der jedoch der einmal
erkannten poetischen Qualität des Werkes gerecht zu werden versucht.
Wie stark sich Dronke darin von den typisch germanistischen Arbeiten unterscheidet, kann
man an der jüngst erschienen Arbeit von Th. Bungarten ersehen, deren Ergebnisse für sich
selbst sprechen, ebenso der Stil: “Die Seele bittet um Freilassung [...] sie betont dieses frô, da
die Vereinigung nach christlicher Lehre sowieso (!) notwendig erfolgt.” (S. 140). Vgl. dagegen
die im kritischen Urteil besonnene und philologisch fundierte Arbeit von T. McFARLAND,
Walthers bilde.
74 Ich lasse alle metrisch problematischen Stellen im Text, da ich über die stilistischen
Möglichkeiten, innerhalb eines festen metrischen Schemas unterfüllte oder überfüllte Verse
einzusetzen, in diesem Zusammenhang keine Spekulationen anstellen machte. Die Problematik
metrischer Deutungen wird, ebenso wie die Problematik der Interpretation im allgemeinen, nur
84
dann bewußt, wenn die eigene Deutung auf Widerspruch stößt. So merkt W. Mohr in einer
Arbeit zu Morungen an: “Mit Bestürzung bemerke ich, daß Friedrich Maurer die rhythmisch-
syntaktische Gliederung der Strophe erheblich anders hört als ich. Auch solcherart
Beobachtungen bringen also keine objektiven Ergebnisse ein!” (W. MOHR, Vortragsform, S.
133, Anm. 13).
75 Ich gebe nur die Abweichungen gegenüber der Ausgabe von Lachmann-Kraus-Kuhn: S. 95
ff.: 1, 4: nu / noch; 5 ir nu von / ir von; 6 irz / ir; 10 nune wirts / nu enwirt; 11 diene dar / dien
iu dar; 2, 1 La / Lat; 5 swie nider ich si; so bin ich doch / so bin ich doch, swie nider ich sie; 7
müet daz / daz müet; 8 biderben / werden; 9 der werden wirde ist / diu wernde wirde diust; 11
hovelicher / lobelicher; 12 ende tuot / ende rehte tuot. 3, 12 ensi / sî; 4, 3 unt / ald, mit im /
zuoz ime; 4 daz hat nu schoen / ez hat schoen; 7 roserot, sin liljewiz wart kachelvar /
liljerosevarwe wart so karkelvar; 5, 5 lip unde sele han ich ich han lip unde sele; 9 unser / uns,
10 schier uns / schiere; 11 dazt / zwazt; 12 noch / jedoch.
76 So T. Mc FARLAND, Walthers bilde, S. 190.
77 Andreas Capellanus, De arte honeste amandie, (ed. TROJEL), S. 147 u. 161. Die Zitate
finden sich auch bei C. S. LEWIS, The Allegory of Love, S. 41.
78 Ich übernehme diese Deutung von T. Mc FARLAND, cit. S. 205. Anm.44. Auf S.195- 199
die Parallelstellen zu bilde.
85
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