gender-bezogene gruppendynamiken im problem based … · außerhalb der deutschsprachigen...
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Abschlussbericht
GENDER-BEZOGENE GRUPPENDYNAMIKEN
IM PROBLEM BASED LEARNING
www.fh-wien.ac.at
Copyright:
© 2012 Stadt Wien Kompetenzteam für Problem Based Learning 1
____________________________________________________________________1 Eine gekürzte Version des Abschlussberichts erscheint im Juli 2012 in: Mair, M./ Brezowar, G./
Olsowski, G./ Zumbach, J. (Hrsg.) (2012): Problem Based Learning im Dialog. Anwendungsbeispiele und Forschungsergebnisse aus dem deutschsprachigen Raum, Wien: Facultas
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1 Einführung
Problembasiertes Lernen und Gender ist ein (nahezu) unerforschtes Gebiet. Davon
ausgehend, dass wir in Österreich sowie weltweit von Geschlechtergerechtigkeit,
verstanden als geschlechtsunabhängige Verteilung von materiellen, zeitlichen,
kulturellen und symbolischen Ressourcen, weit entfernt sind, darf gerade an
Bildungseinrichtungen diese Perspektive nicht außer Acht gelassen werden.
Aus diesem Grund wurde im Wintersemester 2011/2012 an den FHWien-
Studiengängen der WKW eine Studie durchgeführt, die vor allem dazu dienen
sollte, verfeinerte Forschungsfragen für weitere und größere Forschungsprojekte in
diesem Bereich auszuloten. Es wurden dafür drei PBL-Gruppen (eine Frauengruppe,
eine Männergruppe und eine gemischte Gruppe) gebildet und in Hinblick auf die
Beeinflussung der Lernprozesse durch die Geschlechterverhältnisse aus verschie-
denen methodischen Richtungen untersucht.
Im vorliegenden Abschlussbericht werden einführend der geschlechtertheo-
retische Zugang, Impulse aus dem Forschungsgebiet Geschlecht und Didaktik
sowie der Forschungsstand zu PBL und Gender erläutert. Es werden in der Folge
der methodische Aufbau und die Ergebnisse der Interventionsstudie vorgestellt,
die am Institut für Tourismusmanagement mit qualitativen Methoden durchge-
führt wurde. Die Auswertung der strukturierten Beobachtungen der drei PBL-
Gruppen (Frauen-, Männer- und gemischte Gruppe), der Reflexionsprotokolle der
Studierenden und der Interviews mit den LernprozessbegleiterInnen (Coaches)
zeigen klar die Beeinflussung des PBL-Lernprozesses durch die vorherrschende
Geschlechterordnung. Im Fazit werden daher Schlussfolgerungen für den Umgang
mit Gender in der (nicht nur) problembasierten Hochschullehre getroffen.
An dieser Stelle soll allen an der Studie beteiligten Studierenden für ihre
Bereitschaft, sich beobachten zu lassen, gedankt werden, den Coaches für ihre
Offenheit und Karin Dudziak für die Organisation der Gruppeneinteilung.
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1.1 Geschlechterbegriff und theoretischer Ansatz
Die vorliegende Studie zu PBL und Gender knüpft an die Erkenntnisse der
neueren Frauen- und Geschlechterforschung an als auch an den Diskurs über
geschlechtssensible Didaktik (MA57 2007a; b; c).
In der gegenwärtigen Geschlechterforschung existieren in Bezug auf das
Verständnis von Geschlecht zwei Pole: Geschlecht wird zum einen als soziale
Strukturkategorie verstanden, ähnlich anderen Kategorien sozialer Strukturierung
wie Klasse, Ethnizität, Alter usw., und bildet damit einen Eck- oder Ausgangspunkt
in Forschungen zu sozialer Ungleichheit. Zum anderen wird Geschlecht als soziale
Konstruktion untersucht, das heißt, es wird die gesellschaftliche Herstellung jener
Ordnungen untersucht, die im Ergebnis als Geschlechtsdifferenz, als Weiblichkeit
und Männlichkeit, entgegentritt (Gildemeister 2004). Es geht dabei „nicht um die
sozialstrukturellen Auswirkungen, sondern um die Frage, wie es zu der binären,
wechselseitig exklusiven Klassifikation zweier Geschlechter kommt, die dann als
omnirelevante Hintergrundannahme in allen sozialen Situationen wirksam wird
und Hierarchiebildungen impliziert.“ (Ebd., S. 217)
In der durchgeführten Studie zu PBL und Gender wurden die beiden Pole mitei-
nander verknüpft. Geschlecht wurde als gesellschaftlich relevante Strukturkategorie
betrachtet und bildete den Ausgangspunkt der Bildung und Untersuchung
einer Männergruppe, einer Frauengruppe und einer gemischten Gruppe. Der
Fokus lag aber nicht auf einer (angenommenen) Wesens-Differenz, sondern auf
dem Geschlechterverhältnis bzw. den Geschlechterbeziehungen und somit den
Interaktionsprozessen: „Denn Geschlechtszugehörigkeit ist in dieser Perspektive
nicht einfach ein <Merkmal>, das ein Individuum an sich und in sich trägt, son-
dern sie wird in Interaktionen immer wieder aufs Neue hergestellt (…).“ (Ebd.)
Zum Bereich der Interaktion gehören die Aushandlung von Machtverhältnissen,
die Arbeitsteilung, Bündnisse, Ausschlüsse usw. Geschlecht wird also nicht
als Essenz, Wesen oder Natur betrachtet, sondern als Ergebnis eines sozialen
Herstellungsprozesses (im Sinne von „doing gender“).
Da Geschlecht als Strukturkategorie herangezogen wurde, musste beson-
ders darauf geachtet werden, nicht lediglich bekannte Figuren (Stereotype) der
Geschlechterdifferenz zu reproduzieren und damit zu reifizieren. Aus diesem
Grund wurde versucht, das Alltagswissen einer stetigen Kontrolle zu unterziehen.
An Hagemann-White (1993, S. 75) orientierend bedeutet dies, dass man die
„Differenzperspektive abwechselnd ernst nimmt und außer Kraft setzt“.
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1.2 Geschlecht und Didaktik
Ein wichtiger Ausgangspunkt der Studie waren diverse Forschungsarbeiten
zu Geschlecht und Didaktik, insbesondere zu Kleingruppenlernaktivitäten und
Geschlechterdynamiken. So beobachteten beispielsweise Derichs-Kunstmann,
Auszra und Mühting (1999) in einem größeren empirischen Projekt zur Konstitution
und Reproduktion des Geschlechterverhältnisses in der Erwachsenenbildung in den
von ihnen untersuchten selbstständigen Arbeitsgruppen unterschiedliche Rollen-
und Aufgabenverteilungen. Sie kamen zu dem Schluss, dass insbesondere die
männlichen Teilnehmer den Lernprozess thematisch steuerten:
„Sie redeten lange und ausführlich, äußerten sich sowohl kritisch als auch
lobend gegenüber dem Team bzw. den verwendeten Unterrichtsmaterialien und
unterbrachen häufig die Äußerungen anderer. Die weiblichen Teilnehmerinnen
redeten zwar häufiger als Männer, allerdings waren ihre Beiträge wesentlich kür-
zer, so daß sie erheblich weniger Sprachraum einnahmen. Sie fielen durch kurze
oder auch nonverbale Rückmeldungen an die Teamenden auf, enthielten sich aber
einer Kritik an ihnen.“ (Auszra 2001, S. 324f.)
Die Frauen nahmen sich zudem häufig zurück und unterstützten die männlichen
Teilnehmer. Sie übernahmen während des Seminars und in den Freizeiten soziale
Funktionen (Anfertigung von Protokollen, Versorgung des Seminars mit Kaffee,
Organisation des Abschiedsabends,...). Insgesamt wurde konstatiert, dass Männer
und Frauen in den Lernsituationen unterschiedliche Rollen und Aufgaben wahr-
nahmen: Männliche Teilnehmer waren vor allem auf den inhaltlichen Fortgang
und die Verortung ihrer eigenen Position orientiert, während die Teilnehmerinnen
sich sowohl aktiv an dem inhaltlichen Verlauf beteiligten als auch zusätzlich den
sozialen Prozess gestalteten. Daraus schlossen die Forscherinnen, dass sich in den
gemischten Seminaren unterschiedliche Lernmöglichkeiten für Frauen und Männer
ergaben und sich diese als besonders förderlich für die männlichen Teilnehmer
erwiesen:
„Die Anwesenheit von Frauen und ihr sozialorientiertes Verhalten eröffnete
Männern mehr Möglichkeiten, sich in ungewohnten Situationen, wie z.B. der
Berichterstattung im Plenum, zu schulen. Die Teilnehmerinnen machten sich selbst
zuständig für den Dienstleistungs- und Sozialbereich. Sie verzichteten auf die
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zuerst genannten Möglichkeiten oder erhielten sie erst gar nicht, da männliche
Teilnehmer sich mit ihren Interessen durchsetzten.“ (Ebd.)
Unbeeinflusst von der quantitativen Geschlechterzusammensetzung der
Gruppen, meldeten sich nahezu immer Männer für Leitungsfunktionen und
Frauen schlugen Männer und nie andere Frauen für Leitungsfunktionen vor.
Mit Selbstverständlichkeit übernahmen die Frauen hingegen die Position der
Schriftführerin. (Ebd.)
Diese und ähnliche Beobachtungen lassen darauf schließen, dass die soziale
Ungleichheit zwischen den Geschlechtern in gemischtgeschlechtlichen Lehr- und
Lernsettings alltäglich (re)produziert wird.
1.3 Forschungsstand zu PBL und Gender
Im Diskurs über PBL bleibt die Geschlechterdimension nichtsdestotrotz meist
ausgespart. Wird explizit nach ihr gefragt, taucht häufig die Meinung auf, die
kommunikative Auseinandersetzung und die Rollenübernahme (Moderation,
Beobachtung, Schriftführung, reguläres Teammitglied) in vielen PBL-Formen kämen
dem gendergerechten Lernen automatisch entgegen. Auch wird PBL teils als
Schulung von bestimmten, häufig Frauen zugeschriebenen, Soft Skills (kommuni-
kativ, kooperativ, konfliktlösungsorientiert) verstanden. Bis dato gibt es jedoch im
deutschsprachigen Raum keine Publikationen oder laufenden Studien zu PBL und
Gender, die dies (oder anderes) überprüft hätten.
Außerhalb der deutschsprachigen PBL-Community sind jedoch bereits ein paar
wenige Forschungsarbeiten zu diesem Themenbereich durchgeführt worden,
insbesondere im Zusammenhang mit der MedizinerInnen- und IngenieurInnen-
Ausbildung. Beispielhaft erwähnt sei hier die Studie von Kaplowitz und Block
(1998), die, an ein Experiment an der Harvard Medical School in den 1980er-Jahren
anknüpfend, die Geschlechterunterschiede in Bezug auf Partizipationsstile und
subjektive Erfahrungen in gemischtgeschlechtlichen und geschlechtshomogenen
Lerngruppen untersuchten. Bei einer Befragung mit zehn Jahren Abstand zeigte
sich dabei, dass die Frauen die Erfahrung in der geschlechtshomogenen Lerngruppe
als besonders prägend und positiv betrachteten, weil sie sich wohler und selbst-
sicherer fühlten. Durch ihre Selbstbeobachtung in der Frauengruppe konnten sie
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wertvolle Erkenntnisse über ihre Arbeitsstile machen, die sie später in gemischten
Gruppen selbstbewusster auftreten ließen. Die männlichen Studenten empfan-
den ihre Erfahrungen in der geschlechtshomogenen Gruppe hingegen weder als
„anders als sonst“ noch als prägend und beschrieben keinen weiteren Effekt auf
ihre Perzeption von Geschlechterverhältnissen in Kleingruppenlernaktivitäten 2.
Kaplowitz und Block zogen daraus Schlüsse auf die Implementierung von PBL:
TutorInnen (Coaches) sollten in Hinblick auf Gruppendynamik und implizite
Genderdynamiken besser geschult werden und Rollenspiele und Simulationen
könnten den StudentInnen helfen, sich gleichberechtigt auszuprobieren.
Neueren Datums ist beispielsweise das Dissertationsprojekt von Xiangyun
Du (2006), die untersuchte, wie vorherrschende Geschlechterbeziehungen den
Lernprozess von Ingenieurs-StudentInnen in einem problembasierten Umfeld
beeinflussen. Weiterführend wurde diskutiert, ob und in welcher Form die
Methode PBL geeignet ist, Gender Diversity sowohl quantitativ als auch qualita-
tiv (in technischen Studienrichtungen) zu erhöhen (Du/Kolmos 2009). Vor dem
Hintergrund feministischer Arbeiten zum Themenbereich Frauen und Technik, stell-
ten Du/Kolmos die Frage, ob die Lernmethode PBL für Frauen eine freundlichere
Lernumgebung bietet, die auch als Anreiz dienen kann, sich für ein technisches
Fach zu entscheiden. So entschlossen sich tatsächlich mehr Frauen aufgrund der
Methode für die PBL-Universität Aalborg als Männer und die Drop-out-Quote
von Frauen ist geringer als an technischen Universitäten mit traditionellen Lehr-/
Lernmethoden. Dennoch raten Du/Kolmos davon ab, PBL als Patentrezept zur
Rekrutierung von Studentinnen in technischen Fächern anzusehen.
Da die wenigen existierenden Forschungsarbeiten konkret zu PBL und Gender
ausschließlich (und teils bereits vor längerer Zeit) in medizinisch-technischen
Studienkontexten, in den USA bzw. in Dänemark, durchgeführt wurden, stellte sich
die Frage nach der Anwendbarkeit auf den Kontext einer wirtschaftswissenschaft-
lichen Studienrichtung (hier im Bereich Tourismusmanagement).
____________________________________________________________________2 Daraus ließe sich, wie bei Auszra, die These ableiten, dass sie ihren Arbeitsstil im weitesten Sinn
auch in den gemischten Gruppen durchgesetzt hatten.
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2 Studie
Das Ziel der Studie war es auszuloten, in welche Richtung weitere Forschung
zu PBL und Gender sinnvoll gehen könnte. Das Projekt ist daher als Vorstudie, als
Anregung für weitere Forschungstätigkeit, zu verstehen. Des Weiteren sollte ein
Beitrag dazu geleistet werden, bei den beteiligten Studierenden und Lehrenden
die Fähigkeit, eigenes (Rollen-)Verhalten zu erkennen und zu reflektieren zu
schärfen und damit auch die Wahrnehmung von genderrelevanten Vorgängen in
Hochschule und Gesellschaft zu erhöhen.
Als forschungsleitende Fragen wurden schließlich die folgenden gewählt:
• Wie beeinflussen Geschlechterbeziehungen den Lernprozess in einem problemba-
sierten Lernumfeld im gegebenen Kontext?
• Unterscheiden sich koedukative und monoedukative PBL-Gruppen hinsichtlich der
Gruppendynamik, der Arbeitshaltung und der Arbeitsverteilung?
2.1 Methodische Herangehensweise
Der Forschungsansatz der vergleichenden Analyse lässt sich folgendermaßen
kurz umreißen: Es wurden drei PBL-Gruppen gebildet und untersucht: eine
Frauengruppe, eine Männergruppe und eine gemischte Gruppe (5. Semester,
Studiengang Tourismusmanagement, 10 Personen pro Gruppe) 3. Es erfolgte
eine ausschließlich qualitative Annäherung mittels drei verschiedener Methoden
(Between-Method-Triangulation, Flick 2004, S. 313). Dies bedeutet, dass die
Ergebnisse aus verschiedenen Perspektiven miteinander verglichen wurden, nicht
nur um Stärken und Schwächen der jeweiligen Analysewege aufzeigen zu können,
sondern auch um zu einem kaleidoskopartigen Bild zu gelangen (Mayring 2002,
S. 147-148).
____________________________________________________________________3 Alle 3 Gruppen arbeiteten an Fällen aus dem Bereich Gesundheitstourismus. In 6 Sessions (à
90 Min.) mussten sie eine Lösung erarbeiten, die an einem 7. Termin dem Fallgeber präsentiert wurde. In den Sessions wurden folgende Rollen eingenommen: Moderation, Schriftführung, Beobachtung, reguläres Teammitglied. Für das Feedback der beobachtenden Person waren 10 Min. am Ende jeder Session anberaumt
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(1) Beobachtung: Die drei Untersuchungsgruppen wurden an je drei Terminen von
einem Team bestehend aus je zwei BeobachterInnen begleitet. Es handelte sich dabei
um systematische/strukturierte, nicht-teilnehmende Beobachtungen, die sich metho-
disch an den Ansätzen von Marie Jahoda (Jahoda/Deutsch/Cook 1956) und Robert F.
Bales (1956) anlehnen. So wurde vorab die Forschungsaufgabe durch die Festlegung
auf ein Kategorienschema genau definiert. Die Kategorien umfassen den sozioemoti-
onalen als auch den Aufgabenbereich und lassen sich wie folgt kurz umreißen:
A) Umgang miteinander (Art des Einbringens der eigenen Position, Umgang mit
anderen Positionen, Zeigen von Wertschätzung, Üben von Kritik, Dominanz
und Wettkampf,…)
B) Gruppen- und Geschlechterdynamiken sowie ihre Reflexion (Thematisierung
der Gruppendynamiken, implizite oder explizite Thematisierung von
Geschlechterfragen, sprachliche Dimension,…)
C) Arbeits- und Aufgabenteilung (Übernahme sowie Delegation von Aufgaben,
geschlechts-spezifische oder –unspezifische Aufgabenverteilung,…)
D) Stimmung (entspannte/ angespannte Stimmung, lachen, scherzen,…)
Diese Dimensionen (mit einer Reihe bereits angedeuteter Unterkategorien) flos-
sen in einen Beobachtungsbogen. Die BeobachterInnen wurden schließlich theore-
tisch in die Methode eingeführt und in die Anwendung des Kategoriensystems ein-
geschult. Bei jeder Eintragung im Beobachtungsbogen hielt der/die BeobachterIn
eine qualitative Einstufung der Handlung, die handelnde Person und den/die
AdressatIn fest. Die Beobachtungen konzentrierten sich sowohl auf verbale
als auch auf nonverbale Interaktionen. Nach jeder Beobachtung fand eine
Nachbesprechung (Reflexion des Beobachteten im Team) statt und nach Beendigung
aller Beobachtungen wurde ein halbtägiger Workshop zur Zusammenführung und
Interpretation der Beobachtungsergebnisse abgehalten.
(2) Reflexionsaufgabe: Die Studierenden der drei Untersuchungsgruppen mussten
nach Semesterende eine schriftliche Reflexion der Gruppendynamiken abgeben.
Die vorgegebenen Leitfragen zielten auf eine Reflexion der für den Lernprozess
förderlichen und hinderlichen Situationen bzw. Gruppendynamiken, eine Reflexion
des eigenen Beitrags am Gruppengeschehen, (vermeintlich) geschlechtsspezifischer
Dynamiken und eigener Entwicklungspotentiale ab. (Zu schriftlichen Befragungen
Diekmann 2007, S. 514)
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(3) Qualitative Interviews: Nach Semesterende wurden qualitative (offene, halb-
strukturierte) Interviews mit den LernprozessbegleiterInnen (Coaches) der drei
Gruppen durchgeführt, um die Wahrnehmungen von Seiten der Lehrenden zu
erfassen. Die Fragen bezogen sich ebenfalls auf Gruppendynamiken und -pro-
zesse (orientierend an den Beobachtungskategorien) und zielten auch auf die
Vergleichserfahrungen der Lehrenden mit anderen Gruppen ab. Methodisch orien-
tierten sich die Interviews an Mayring (2002) und Froschauer/Lueger (2003).
Das gesamte erhobene Material wurde schließlich mittels qualitativer
Inhaltsanalyse ausgewertet. (Mayring 2002, 2008; Gläser/Laudel 2004)
2.2 Ergebnisse
Im Folgenden werden die Ergebnisse der Auswertung der Beobachtungen, der
Interviews mit den LernprozessbegleiterInnen (Coaches) und der Reflexionsprotokolle
der Studierenden detailliert dargestellt. Die Ergebnisse werden Gruppe für Gruppe
nachgezeichnet und im Fazit in einer Zusammenschau noch einmal vergleichend
betrachtet.
2.2.1 Beobachtungen
Beobachtungen der Frauengruppe
In der Frauengruppe zeigte sich ein grundsätzlich wertschätzender Umgang
miteinander. Wertschätzung wurde verbal (nicht nur vonseiten der Moderatorin)
als auch mit körperlichen Gesten ausgedrückt. Gute Ideen wurden gelobt und
die Moderatorin wurde häufig unterstützt. Zwei Teilnehmerinnen brachten
sich häufiger in den Prozess ein, während die anderen sich eher zurückhaltend
zeigten. Dennoch waren weder starkes Dominanzverhalten noch Konkurrenz bzw.
Wettbewerb unter den Gruppenmitgliedern bemerkbar.
Die Stimmung in der Gruppe wurde von den BeobachterInnen tendenziell als
„müde“ und „angestrengt“ beziehungsweise „angespannt“ empfunden. Insgesamt
war nur sehr wenig Dynamik erkennbar. Akustisch war die Gruppe sehr leise und
physisch nahezu unbeweglich. Einer Aufforderung der Moderatorin an die Tafel
zu kommen und ein Brainstorming zu machen wurde beispielsweise nicht nach-
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gekommen und auch die Moderatorin verlieh ihrer Aufforderung keinen weiteren
Nachdruck. Zu Entscheidungen konnte man sich häufig nur sehr schwer durchringen.
Es entstand der Eindruck, dass die Vorgaben lustlos, aber „brav“ abgearbeitet wur-
den. Häufig fielen Formulierungen wie „wir müssen jetzt“ oder „wir sollten dann“.
Die im PBL vorgegebenen Rollen wurden in der Frauengruppe beinahe über-
genau eingenommen. Insgesamt schienen die Motive, „gut“ sein zu wollen
und die (PBL-)Plicht zu erfüllen, dominant. Die Rolle der Moderatorin wurde als
moderierend, jedoch nicht leitend interpretiert. Wenn auch von Person zu Person
variierend, zeigten sich die Moderatorinnen doch tendenziell zurückhaltend. Die
Schriftführerinnen verhielten sich gänzlich still, um sich, wie vorab vereinbart, bes-
ser auf ihre Aufgabe konzentrieren zu können. Die Beobachterinnen bemängelten
zwar teils die fehlende Dynamik, das Feedback fiel jedoch nie wirklich kritisch aus
und es wurden in der Gruppe keine Veränderungsziele festgelegt, um den bemän-
gelten Zustand zu beheben. Bei den Beobachtungen entstand der Eindruck, dass
die fehlende Dynamik in der Gruppe Spannungen ausgelöst hatte, die jedoch nicht
direkt angesprochen wurden.
Die Lernprozessbegleiterin wurde von der Frauengruppe stark miteinbezogen.
Relativ häufig wurde nach der Zustimmung oder nach Tipps von ihr gefragt oder
sie wurde fragend angeblickt.
Gender-Fragen wurden in der Gruppe nicht thematisiert. Auch sprachlich wurde
nicht gegendert (auch nicht bei Selbstbezeichnungen).
Beobachtungen der Männergruppe
Auch in der Männergruppe zeigte sich ein wertschätzender Umgang. Die Teilnehmer
konnten ungehindert ausreden und machten sich teils auch mit Handzeichen
bemerkbar. Wertschätzung und Lob wurden jedoch selten verbal ausgedrückt und
in den wenigen Fällen lächelnd und übertreibend. Die BeobachterInnen hatten den
Eindruck, dass eine große Schwierigkeit darin bestand, verbale Bekundungen von
Wertschätzung anzunehmen. Erfolgte der Ausdruck von Wertschätzung allerdings
nonverbal, durch nicken, auf den Tisch klopfen oder ein kurzes „super!“, so zeigte
sich diese Schwierigkeit nicht. Der Umgang miteinander kann als „kumpelhaft“
beschrieben werden. Kleinere Wettkämpfe (durch Gesten und Wortgefechte)
waren bemerkbar, die Stimmung war allerdings insgesamt locker und nicht von
Dominanzkämpfen geprägt. Nach Meinungen anderer Teilnehmer wurde zwar
nur selten explizit gefragt, es entstand allerdings der Eindruck, dass niemand
Schwierigkeiten damit hatte, seine Position selbst aktiv einzubringen.
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Die Dynamik in der Männergruppe kann insgesamt als sehr lebhaft beschrieben
werden, was sich z.B. in großer Diskussionsfreude (und wenig Leerlauf) zeigte. Die
Stimmung in der Gruppe wurde von den BeobachterInnen als gut und humorvoll
wahrgenommen: Es wurde viel gescherzt und gelacht, oft gleichzeitig und chaotisch
und damit den Lernprozess wenig voranbringend. Akustisch war die Gruppe relativ
laut. Auch war (physisch) viel Bewegung im Spiel: So standen einzelne Teilnehmer
auf, um ihren Wortmeldungen Nachdruck zu verleihen. Die humorvolle Stimmung
wurde von den BeobachterInnen in vielen Fällen als Ausdruck von „unter sich Sein“
oder aber von Unsicherheit wahrgenommen. Vieles wurde lächerlich gemacht
und übertrieben (z.B. Lob, Anspielungen auf die Gruppenzusammensetzung, auf
Geschlechterfragen, sprachliches Gendern usw.).
Die Moderation wurde tendenziell als dominante – im Sinne einer leitenden, sich
durchsetzenden – Rolle interpretiert und von der Gruppe akzeptiert. Die Rolle des
Schriftführers wurde gewissenhaft wahrgenommen. Allerdings wurde innerhalb
der Gruppe die Vereinbarung getroffen, dass der Schriftführer sich auch in die
Diskussion einbringen dürfe. Für die Beobachtungen am Ende der Sessions blieb
in den meisten Fällen nur wenig Zeit. Das Feedback fiel zumeist wenig kritisch,
teilweise sogar überzogen positiv (mit Augenzwinkern) aus. Der PBL-Prozess selbst
war häufig indirekt Thema, insbesondere in Form von Scherzen. Die bei einigen
Teilnehmern bestehenden Widerstände gegenüber PBL waren als Einfluss auf die
Gruppendynamik bemerkbar. Diese Dynamiken wurden allerdings während der
Sessions nicht thematisiert und auch in den Feedbacks nicht aufgegriffen. Der
Lernprozessbegleiter wurde von der Männergruppe wenig beachtet und selten
angesprochen, seine Inputs wurden jedoch gehört und beachtet.
In Hinblick auf die Thematisierung von Geschlechterfragen waren die
Beobachtungen in der Männergruppe gehäuft. Es wurde eine Reihe von Witzen
über Geschlechterrollen sowie über sprachliches Gendern gemacht. Wie in den
anderen Gruppen auch, wurde ausschließlich von einem männlichen Patienten und
dessen weiblicher Begleitperson auf Kur ausgegangen. Allgemein entstand bei den
BeobachterInnen der Eindruck, dass die geschlechtshomogene Zusammensetzung
in der Männergruppe für Unsicherheit sorgte, die sich z.B. in Anspielungen auf bzw.
Distanzierungen von Homosexualität zeigte.
Beobachtungen der gemischten Gruppe
Der zwischenmenschliche Umgang in der gemischten Gruppe war ebenfalls groß-
teils wertschätzend. Es wurde Lob ausgedrückt und insbesondere im ersten Setting
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wurde immer wieder (stark von einem Teilnehmer ausgehend) Rücksichtnahme
eingefordert. Auch während der Sessions wurde häufig nach Positionen anderer
TeilnehmerInnen gefragt. Es wurden klare Positionen bezogen und (teils vehement)
den KollegInnen widersprochen. Zeitweise führte dies zu heftigen Zwiegesprächen
mit starker Lautstärke. Über alle Settings hindurch wurde die Gruppe von den
BeobachterInnen als zweigeteilt wahrgenommen. Der Prozess wurde über weite
Strecken von vier Personen dominiert (eine Frau und drei Männer), die sich häufig
einbrachten, sich stark aufeinander bezogen – teils affirmierend, teils vehement
Gegenposition beziehend. Der Rest der Gruppe wurde dabei häufig übertönt und
teils auch „überfahren“. Die ruhigeren TeilnehmerInnen (der Rest der Frauen und
ein Mann) kamen eher selten zum Sprechen. Sie versuchten Inputs aus der Literatur
einzubringen oder durch Nachfragen nach Erklärungen etwas Geschwindigkeit
aus der Diskussion zu nehmen. Erst in den letzten PBL-Settings versuchten die
ruhigeren Teilnehmerinnen sich mit Nachdruck mehr Gehör zu verschaffen und
ihren Unmut über den dominanten Gruppenteil zu äußern.
Die Gruppendynamik kann insgesamt als stark (laut, lebendig, konfliktreich)
bezeichnet werden. Die Diskussion war rege bis laut und „aufgeregt“, schnell und
teilweise konfus und unstrukturiert. Es entstand viel Bewegung (durch Aufstehen,
Mimik und Gesten) im Raum. Die Gruppendynamik wurde in den ersten beiden
beobachteten Sessions nicht thematisiert, in der dritten Session wurde allerdings
(siehe oben) Unmut über die Dominanz einzelner TeilnehmerInnen geäußert. Mit
fortschreitenden Sessions war zudem eine latente Aggressivität vonseiten der
ruhigeren, übertönten Teilnehmerinnen bemerkbar. Die Gruppendynamik spiegelte
sich auch in der (selbstgewählten) und bei jedem Setting gleich eingenommenen
Sitzordnung der Studierenden wider. So saßen die dominantere Frau und die drei
dominanteren Männer nebeneinander und der Rest der Gruppe ihnen (vereinzelt)
gegenüber. Die ruhigste Teilnehmerin saß ein gutes Stück außerhalb der Tischrunde.
Die im PBL festgelegten Rollen wurden in der gemischten Gruppe sehr unter-
schiedlich wahr- beziehungsweise eingenommen. Die Moderation war teils hilflos,
teils aber auch gut vorbereitet, in den seltensten Fällen jedoch wirklich leitend.
Der/die SchriftführerIn verhielt sich größtenteils still. Für die Beobachtungen blieb
nur wenig bis keine Zeit. Einige BeobachterInnen hielten ihr Feedback sehr knapp
und größtenteils oberflächlich und positiv, andere gaben jedoch auch fundiertes
und kritisches Feedback am Ende der Einheit. Der PBL-Prozess selbst wurde kaum
thematisiert und die Lernprozessbegleiterin wurde wenig in den Prozess involviert.
Geschlechterfragen wurden (wie bei der Frauengruppe) nicht explizit behandelt.
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Die Fallbeschreibung beinhaltete jedoch die Personen eines „Bürgermeisters“, eines
„reichen Russen“ und „seiner Frau“. Diese, etwas stereotype Fallbeschreibung, wurde
von den Studierenden kommentarlos übernommen und auch nicht abstrahiert.
Wie in den anderen Gruppen wurde (nahezu) immer vom männlichen Patienten
und seiner weiblichen Begleitperson gesprochen. So geisterte das Stereotyp des
reichen Mannes und seiner jungen Frau (als Begleiterin, nicht als Hauptakteurin)
durch alle Settings. Sprachliches Gendern war auch in der gemischten Gruppe eine
Ausnahmeerscheinung. Es wurde großteils die männliche Form verwendet (auch
für Selbstbezeichnungen von Frauen, wie z.B. „Ich bin Moderator“), es gab jedoch
(im Unterschied zu den anderen Gruppen) in zwei Situationen Einwände: Einmal
wurde die Rolle „des Beobachters“ in „die beobachtende Person“ umgewandelt
und einmal korrigierte eine Teilnehmerin einen Kollegen, als er sie in männlicher
Form ansprach.
Die Aufgabenverteilung verlief in allen drei Gruppen gleichermaßen reibungslos
und fair, sodass nicht näher darauf eingegangen wird. Das ForscherInnen-Team
wurde von allen Gruppen weitgehend ignoriert, lediglich in der Männergruppe
kann von einem geringen Zerrfaktor ausgegangen werden.
2.2.2 Interviews mit den LernprozessbegleiterInnen
Die Wahrnehmungen der LernprozessbegleiterInnen deckten sich weitgehend
mit den Beobachtungen der ForscherInnen. Im Folgenden werden noch einmal
jene Aspekte dargestellt, die von den Coaches besonders hervorgehoben wurden.
Interview mit der Lernprozessbegleiterin der Frauengruppe
Die Lernprozessbegleiterin der Frauengruppe hob die uneingeforderte Einhaltung
der „goldenen PBL-Regeln“ (Zuhören, Ausreden lassen, andere Meinungen gelten
lassen,…) in der Frauengruppe besonders hervor. Die Teilnehmerinnen seien sehr
darauf bedacht gewesen, dass es allen gut gehe, aber auch darauf, dass niemand
etwas Falsches sage/tue. Die Gruppe hätte sie als Coach daher immer im Auge
behalten und sich stark auf ihre Reaktionen, ihre Mimik usw. konzentriert. Ihrer
Wahrnehmung nach habe die Gruppe großen Druck empfunden, etwas Kreatives
zu produzieren, um gutes Feedback zu bekommen. Es sei keine große Lust am
Bearbeiten des Falles aufgekommen und der im PBL ermöglichte Freiraum sei
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nicht wahrgenommen worden. Auch die Ergebnispräsentation wollte anfänglich
keine Teilnehmerin übernehmen. Im abschließenden Gruppenfeedback seien
vonseiten der Teilnehmerinnen die Harmonie und die Ruhe thematisiert worden
– größtenteils positiv. Im Vergleich zu anderen, gemischten Gruppen betonte die
Lernprozessbegleiterin noch einmal das unterschiedliche Einbringen der eigenen
Meinungen: Während Studenten ihre Wortmeldungen häufig mit „so ist das“
einleiten würden, würden Frauen häufig mit „ich glaube, dass“ beginnen. Gehört
würden vor allem jene TeilnehmerInnen, die ihre Meinung am lautesten einbringen
würden. In gemischten Gruppen würden daher häufig männliche Teilnehmer mehr
Beachtung und Gehör finden.
Interview mit dem Lernprozessbegleiter der Männergruppe
Der Coach der Männergruppe betonte die Festlegung einer „Hackordnung“ im
ersten Setting. Auch die besondere Gruppenzusammensetzung sei im ersten
Setting ein großes Thema gewesen. Die Gruppe sei seinem Eindruck nach aber
nach dieser anfänglichen Klärung schnell ins Arbeiten gekommen.
Der Umgang miteinander sei äußerst offen und direkt gewesen. Es hätte keine
„verschnörkselten“ Formulierungen gegeben. Nur ein einziger Teilnehmer habe
seine Wortmeldungen mit wertschätzenden Formulierungen eingeleitet, da dies
in der Gruppe so einzigartig gewesen sei, habe er dies aber der Interpretation
des Coaches nach zunehmend unterlassen. Die Feedbacks der beobachtenden
Studenten seien unterschiedlich ausgefallen, einige seien sehr genau gewesen,
andere eher reduziert. Im direkten Vergleich zu den (zufällig entstandenen)
Frauengruppen, die er als Coach schon geleitet habe, seien die Reflexionen jedoch
tendenziell weniger detailliert und weniger präzise gewesen, vor allem was den
zwischenmenschlichen Umgang anbelange. In den Frauengruppen hätten die
Teilnehmerinnen häufig direkte, an einzelne Personen gerichtete Feedbacks gege-
ben und nahezu immer hätten sich Teilnehmerinnen (z.B. Moderatorinnen) nach
Ende des Settings Feedback vom Coach geholt, was in der Männergruppe nie
vorgekommen sei.
Auch in Bezug auf die Moderationen betonte der Coach Unterschiede in seiner
Arbeit mit der Männergruppe und mit Frauengruppen. Den Studenten würde es
leichter fallen zu leiten und zu führen, sie würden häufig auch eine Führung for-
dern, während die Studentinnen sich in ihrer Moderation stark am PBL-Rahmen
orientierten und sich wenig Freiraum nähmen, verschiedene Moderationsstile
auszuprobieren.
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Bei der den PBL-Prozess abschließenden Reflexion in der Gruppe sei von den
Teilnehmern die schnelle Entscheidungsfindung und die gemeinsame Wellenlänge
betont worden. Ein Großteil habe es seiner Meinung nach „befreiend“ gefunden,
einmal ohne Frauen zu arbeiten, würde dennoch künftig lieber in gemischten
Gruppen arbeiten.
Das Fallverständnis sei häufig klischeehaft gewesen, tendenziell würden sich
aber alle Gruppen schwer tun, konkrete Fallbeschreibungen auf eine abstraktere
Ebene zu heben.
Interview mit der Lernprozessbegleiterin der gemischten Gruppe
Die Lernprozessbegleiterin der gemischten Gruppe betonte die zufällige
Zusammensetzung der Gruppe mit vielen sehr starken Charakteren und die daraus
resultierende Dynamik. Eine Zweiteilung der Gruppe habe sie nicht wahrgenom-
men, sondern eher ein Agieren in Duos, bestehend jeweils aus zwei lauteren, häu-
fig aufeinander Bezug nehmenden TeilnehmerInnen beziehungsweise zwei stilleren
TeilnehmerInnen. Zusätzlich hätten einige der ruhigeren TeilnehmerInnen vereinzelt
agiert. Geschlecht habe sie nicht als wesentliches Strukturelement in der Gruppe
erlebt, wenn auch ein Großteil der federführenden TeilnehmerInnen männlich
gewesen sei. Sie nahm aber die Verwendung von Geschlechterstereotypen in der
Auseinandersetzung mit dem Fall wahr.
Die Feedbacks seien teils recht zurückhaltend gewesen. Im Allgemeinen spiele
aber in allen Gruppen ein wechselseitiges „Gefallenwollen“ eine große Rolle, was
impliziere, dass die Studierenden sich schwer tun würden, in reale Konflikte zu tre-
ten und auch die Feedbacks häufig eher zurückhaltend formulieren würden (nichts
Negatives ansprechend).
2.2.3 Reflexionsprotokolle
Reflexionsprotokolle der Frauengruppe
Von den Studentinnen in der Frauengruppe wurden als in ihrem Lernprozess förder-
liche Aspekte mehrheitlich Respekt, Rücksicht und Ausredenlassen genannt. Vier von
zehn Teilnehmerinnen hoben zudem hervor, dass niemand die Macht „an sich geris-
sen“ habe. Weiters wurden die angenehme Atmosphäre, privates Kennen, gegensei-
tiges Ermutigen, Studentinnenzentriertheit (im PBL), Gleichberechtigung, demokra-
tisches Abstimmen, Verzicht auf Rivalitäten und Gewissenhaftigkeit genannt.
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Als hinderliche Aspekte wurden von rund der Hälfte die geringe Dynamik und die
Ruhe benannt. Mehrmals erwähnt wurden zudem die Ähnlichkeit der Charaktere,
die Detailkonzentration, Entscheidungsschwierigkeiten, Unentschlossenheit, man-
gelnde Leitung und dass keine Teilnehmerin die Ergebnisse präsentieren wollte.
Als ihren eigenen Beitrag zur Gruppendynamik nannte nahezu die Hälfte der
Studentinnen, den Überblick bewahrt zu haben. Genauso viele schilderten ihre
Zurückhaltung (aus Angst die anderen zu stören, unhöflich zu sein oder jemanden
zu verletzen). Eine Teilnehmerin beschrieb ihre Überwindung zu moderieren und
eine weitere ihre Überwindung letztlich zu präsentieren. Zwei Teilnehmerinnen
erwähnten hingegen die Tatsache in einer Frauengruppe zu sein und die entspan-
nte Atmosphäre als besonders motivierend und ihr ansonsten starkes Bedürfnis
sich im Hintergrund zu halten minimierend.
Die Hälfte der Teilnehmerinnen führte an, dass die Gruppendynamik nicht auf
das Geschlecht sondern auf die Charaktere rückführbar sei. Einige betonten auch
(allgemein) die Existenz besonders dominanter Frauen sowie die Unterschiedlichkeit
von Frauen. Die Hälfte empfand jedoch den respekt- und rücksichtsvollen Umgang
als spezifisch für Frauengruppen. So schrieb eine Teilnehmerin:
„Nach wie vor bin ich überzeugt davon, dass wir besonders rücksichtvoll waren,
weil wir nur Frauen waren. Es hat auf jeden Fall Vorteile, aber leider war es auch
blockierend bei der Lösungsfindung, da kaum eine Dynamik geherrscht hat.“
Eine weitere Teilnehmerin:
„Allgemein fand ich es sehr toll, in der Frauengruppe zu sein. Bereits in den
ersten beiden Fallstudien ist mir eine gewisse ‚Männer-Dominanz‘ aufgefallen.
Die Männer in der Gruppe haben die Gespräche an sich ‚gerissen‘ und mir kam
es vor, als würden sie uns Frauen gar nicht richtig ernst nehmen. Für mich, als
eher introvertierter Mensch, war es daher besonders schwer, den anderen meinen
Standpunkt näher zu bringen und mich oft einzubringen.“
Rund die Hälfte der Teilnehmerinnen nannte als eigenen Entwicklungswunsch,
künftig ihre Meinungen und Bedürfnisse stärker einzubringen (selbst wenn es nicht
„der perfekte Zeitpunkt“ ist), sich weniger in den Hintergrund zu stellen und sich
durchzusetzen. So schrieb z.B. eine Studentin:
„Ein wenig von der ‚Hier bin ich – das sind meine Ideen – und ich will, dass wir
sie genauso durchsetzen‘–Mentalität würde uns gar nicht schaden. In Zukunft
werde ich versuchen, mehr hinter meinen Ideen zu stehen und meine Meinungen
immer einzubringen, auch wenn ich vielleicht denke, dass mein Gesprächspartner
doch mehr Ahnung hat als ich.“
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Zwei führten an, kritischer werden zu wollen und mitunter auch einmal zu pro-
vozieren.
Rund die Hälfte der Teilnehmerinnen betrachtete die Arbeit in der Frauengruppe
als besonders erkenntnisreich:
„Bei den gemischten Gruppen mit vielen und dominanten Männern kommt man
nie zu Wort und wird als Frau übergangen und nicht ernst genommen. Innerhalb
der Frauengruppe wird man wie im ‚Glashaus‘ behandelt und keiner traut sich
etwas Negatives über die Meinung der Anderen zu sagen. Was ich daraus lerne,
ist, dass man die Männer nicht immer so ernst nehmen sollte und versuchen sollte,
sie von ihrem hohen Podest herunter zu holen. Man sollte als Frau versuchen,
mehr die eigene Meinung und den Standpunkt durchzusetzen. Jedoch ist mir auch
klar, dass es, auch besonders für mich, nicht immer leicht ist und ich noch viel
dazulernen und durchsetzungsfähiger werden muss.“
Eine weitere Studentin schrieb:
„Ich werde versuchen, mich öfter, vor allem in gemischten oder reinen Männer-
gruppen, in den Vordergrund zu stellen bzw. meine Meinung durchzusetzen und
die Gruppe zu vertreten oder präsentieren. Wenn ich mich, oder generell Frauen,
sich zum Wohl der Gruppe (bzw. aus Angst vor Konfrontationen) immer im
Hintergrund halten, wird sich die Situation am Arbeitsmarkt nie ändern.“
Reflexionsprotokolle der Männergruppe
In der Männergruppe wurden als förderliche Dynamiken am häufigsten die
(humorvolle) lockere Stimmung, das „unkomplizierte“, schnelle Treffen von
Entscheidungen, freundschaftlicher Umgang, unterschiedliche Blickwinkel,
Leistungsstärke und Produktivität genannt.
Als hinderliche Dynamiken bezeichnete die Hälfte der Teilnehmer häu-
figes Abschweifen. Weiters wurden unterschiedliche Vorkenntnisse, die kri-
tische Einstellung mancher Teilnehmer gegenüber PBL, die kindische Art einiger
Teilnehmer und der mangelnde Einsatz von Kreativitätstechniken genannt.
Als eigenen Beitrag führten je zwei oder drei Teilnehmer an, dass sie versucht
hätten den Überblick zu bewahren, nach anderen Meinungen zu fragen und
ihr Fachwissen einzubringen. Einzelne Teilnehmer nannten als ihren Beitrag zur
Gruppendynamik die Auflockerung der Stimmung, starke Dominanz und den
Versuch, sich zurückzuhalten.
Als ein Spezifikum der Männergruppe nannten mehr als die Hälfte der
Teilnehmer die schnelle Entscheidungsfindung, das Vermeiden „mühsamer, langer
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Diskussionen“ und die entspannte, „unkomplizierte“ Stimmung. Vier Teilnehmer
führten die Offenheit in der Gruppe positiv an:
„Des Weiteren hat mir sehr gut gefallen, dass sich niemand ein Blatt vor den Mund
genommen hat, was meiner Erfahrung nach bei gemischten Gruppen doch eher
weniger vorkommt, da Frauen eher bedachter sind bezüglich ihrer Äußerungen.“
Ein anderer Teilnehmer betonte, dass es
„unter rein männlichen Kollegen eine ganz andere Atmosphäre ist zu arbeiten,
in vielerlei Dingen unkomplizierter (in Bezug auf Einteilungen, ohne sinnlose
Diskussionen darüber zu führen) und dass die Hemmungen sich gewählt auszu-
drücken fallen (was in Gegenwart von Damen so wäre).“
Niemand verwehrte sich gegen eine Geschlechtsspezifik der Gruppendynamik
und fast alle Teilnehmer fanden es angenehm „einmal ohne Frauen so ein Thema
zu bearbeiten, da dies so gut wie nie vorkommt und man in einer solchen Gruppe
einfach offener reden kann.“ Einige der Teilnehmer betonten jedoch, künftig lieber
wieder in gemischten Gruppen zu arbeiten:
„Grundsätzlich bleibe ich aber, wie ich bei der ersten Einheit bereits erwähnt
hatte, dabei, dass ich gerne mit Frauen arbeite. Da nehme ich Umwege wie län-
gere Diskussionen selbstverständlich in Kauf.“
Oder: „Obwohl die Konstellation der Männergruppe meiner Meinung nach
sehr gut zusammengearbeitet hat, bin ich Befürworter geschlechtlich gemischter
Arbeitsgruppen. Aus dem einfachen Aspekt, dass Frauen ‚anders‘ denken und
somit die Sichtweise einer Problemstellung ebenfalls beeinflussen können.“
Ein Teilnehmer benannte die geschlechtshomogene Zusammensetzung als
besonders lehrreich. Andere Nennungen von Erlerntem waren der Wert von PBL als
Vorbereitung auf die Arbeitswelt, die Bedeutung von Spaß in der Teamarbeit usw.
Individueller Entwicklungsbedarf wurde (in starkem Kontrast zur Frauengruppe und
zu den Studentinnen der gemischten Gruppe) nur von zwei Teilnehmern genannt
(z.B. sich mehr einbringen bzw. sich mehr zurückhalten).
Reflexionsprotokolle der gemischten Gruppe
In der gemischten Gruppe wurden insbesondere (sieben von zehn) die Emotionalität,
die Extrovertiertheit, die intensive Diskussion beziehungsweise die „erfrischende
Dynamik“ als förderlich für den Lernprozess wahrgenommen.
Die Hälfte der TeilnehmerInnen erlebte jedoch das dominante Gesprächsverhalten
einiger KollegInnen als hinderlich. Hier wurde häufig auch die mangelnde
Moderation erwähnt.
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Ihr eigenes Verhalten beschrieben drei TeilnehmerInnen als zurückhaltend, drei
als emotional und teils dominant. Zwei Teilnehmerinnen fühlten sich durch das
Gesprächsverhalten stark gestört und hatten das Gefühl, dass ihre Ideen nicht
gehört wurden. Auch die Übernahme von bestimmten Aufgaben (kritisches
Hinterfragen, auf die Zeit schauen, Struktur einbringen) wurde als eigener Beitrag
mehrmals genannt.
Nicht ganz die Hälfte der TeilnehmerInnen betonte, dass die Dynamik nicht auf
das Geschlecht, sondern auf die Charaktere rückführbar sei und dass sie allgemein
im Studium starke Geschlechtereffekte beobachtet hätten, nicht aber in dieser
Lehrveranstaltung. Als Problematik in anderen Lehrveranstaltungen wurde vor
allem die starke Dominanz der männlichen Teilnehmer in Bezug auf „Redezeit,
Durchsetzung und Aktivitäten“ genannt und dass in Gruppen mit männlicher
Minderheit meist Männer die Präsentation hielten. Aber auch in der beobachte-
ten Lehrveranstaltung nahmen einige Teilnehmerinnen diese Tendenzen wahr:
„Obwohl unser Studiengang zum Großteil aus Frauen besteht, ist es doch so, dass
meistens Männer Redensführer sind. Auch in unserer Gruppe konnte man genau
dieses Phänomen feststellen.“
Oder:
„Insgesamt übernahmen auch mehr Männer die Rolle der Moderation als
Frauen.“ Eine andere Teilnehmerin betonte jedoch, dass man bei den Frauen in
der Gruppe beobachten hätte können, „dass wir uns durchaus zu wehren wussten,
wenn uns etwas nicht recht war oder für uns keinen Sinn machte.“
Als Beobachtung und eigenes Entwicklungspotential nannte eine Teilnehmerin:
„Dazu ist mir aufgefallen, worüber ich schon oft nachdachte, dass Männer
bewusster zu ihren Fähigkeiten stehen und sich und ihre Kompetenzen gut ver-
kaufen können. Frauen sind oft zurückhaltender und nicht so überzeugt von sich
selbst. Manchmal konnte man diese Tendenz auch bei uns in der Gruppe erkennen.
Ich weiß auch von mir selbst, dass ich zu meinen Stärken selbstbewusster stehen
sollte.“
Weitere Nennungen in Bezug auf eigenes Entwicklungspotential waren, sich künf-
tig stärker einbringen und selbstbewusster zu den eigenen Stärken zu stehen, emo-
tionale Zurückhaltung üben, einen besseren Umgang mit Motivationsproblemen
erlernen usw.
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3 Fazit
Durch die Annäherung an den Forschungsgegenstand aus drei verschiedenen
Richtungen entstand wie intendiert ein kaleidoskopartiges Bild. In der Auswertung
der systematischen Beobachtungen und der Interviews zeigten sich insbeson-
dere in Bezug auf das Ausdrücken und Annehmen von Wertschätzung große
Unterschiede zwischen den Gruppen. Während in der Frauengruppe, aber auch
in der gemischten Gruppe, Wertschätzung primär verbal ausgedrückt wurde und
das Annehmen von Lob mit keiner sichtbaren Schwierigkeit verbunden war, wurde
in der Männergruppe Wertschätzung primär nonverbal ausgedrückt und häufig
abgetan beziehungsweise belächelt.
Insgesamt unterschieden sich die Gruppendynamiken stark. Während in der
Frauengruppe nur wenig Lebhaftigkeit bemerkbar war (akustisch leise und phy-
sisch weitgehend unbeweglich, angestrengte Stimmung, eher „Pflichterfüllung“),
waren in der Männergruppe und in der gemischten Gruppe rege Diskussion, viel
Bewegung und teils gehobene Lautstärke beobachtbar. Dominanzverhalten
zeigte sich vor allem in der gemischten Gruppe (vonseiten einer Frau und dreier
Männer).
Die ModeratorInnen-Rolle wurde vom Männerteam als Leitungsfunktion inter-
pretiert, während im Frauenteam die Moderation eher zurückhaltend ausfiel und
im gemischten Team sehr unterschiedlich.
Geschlechterfragen wurden weder in der Frauen- noch in der gemischten
Gruppe explizit erörtert. In der Männergruppe war Geschlecht hingegen ein
großes Thema. Es wurden insbesondere in den ersten beiden beobachteten
Sessions Witze über Geschlechterrollen, sprachliches Gendern und die eigene
Gruppenzusammensetzung gemacht. Sprachlich gegendert wurde in der Frauen-
und in der Männergruppe nicht, in der gemischten Gruppe teilweise. In allen drei
Gruppen wurden Geschlechterstereotype aus der Fallbeschreibung unkommentiert
übernommen.
Die Auswertung der Reflexionsprotokolle brachte die Sichtweise der Studierenden
in den Forschungsprozess und ihre Wahrnehmung der Gruppendynamiken und
etwaiger Geschlechtsspezifiken. Es zeigte sich, dass im Frauenteam insbesondere
Rücksichtnahme, Respekt und der Verzicht auf Machtkämpfe geschätzt wurden.
Im Männerteam wurden hingegen vor allem Eigenschaften wie „Lockerheit“ und
„Unkompliziertheit“ genannt. Im gemischten Team wurden Emotionalität und
Extrovertiertheit als für den Lernprozess förderlich hervorgehoben.
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Im Frauenteam wurde am häufigsten die Ruhe im Lernprozess bemängelt, im
Männerteam das Abschweifen in den Diskussionen und im gemischten Team das
dominante Gesprächsverhalten einiger.
Die eine Hälfte der Teilnehmerinnen der Frauengruppe bemerkte keine
geschlechtsspezifische Dynamik, die andere führte vor allem Rücksichtnahme
als Geschlechtsspezifik an. In der gemischten Gruppe betonte ebenfalls die
Hälfte, dass Geschlecht in der Gruppendynamik – im Unterschied zu anderen
Lehrveranstaltungen – keine Rolle gespielt hätte. Die andere Hälfte sah auch in
dieser Lehrveranstaltung deutliche Geschlechtereffekte (Dominanzverhalten,…).
Die Teilnehmer der Männergruppe betrachteten die schnelle Entscheidungsfindung,
den Verzicht auf als mühevoll empfundene Diskussionen und die unkomplizierte,
offene Stimmung (weniger „correctness“) als „männertypisch“. Trotz des aus-
nahmslosen Lobs für die Gruppendynamik artikulierten aber mehrere Teilnehmer,
künftig lieber in gemischten Teams zu arbeiten.
Insbesondere in der Frauengruppe wurde die Gruppenzusammensetzung
als erkenntnisreich betrachtet. Ausnahmslos alle nannten in der Reflexion
einen Entwicklungswunsch hin zu einem selbstbewussteren Auftreten, mehr
Durchsetzungsvermögen usw., um sich künftig in gemischten Gruppen besser
einbringen zu können. Nur ein Teilnehmer der Männergruppe hielt hingegen die
Gruppenzusammensetzung für „lehrreich“. Entwicklungswünsche wurden lediglich
von drei Teilnehmern genannt (weniger Dominanz, mehr Selbstmotivation, sich
mehr Einbringen). Auch in der gemischten Gruppe, sahen sich primär Frauen dazu
veranlasst, künftig ihr Verhalten zu verändern.
Insgesamt zeigte sich in der Forschungsarbeit, dass Geschlechterbeziehungen
(auch) in einem problembasierten Lernumfeld den Lernprozess wesentlich beein-
flussen, wenn auch aus Sicht einiger Studien-TeilnehmerInnen weniger als in kon-
ventionellen Lehrveranstaltungen. Durch die Gruppenzusammensetzungen wurden
für die BeobachterInnen differente Gruppendynamiken und Arbeitshaltungen
sichtbar, jedoch eine sehr ähnliche Arbeitsverteilung. Letztlich ist es jedoch wichtig,
darauf hinzuweisen, dass die Ergebnisse nicht repräsentativ sind (nur drei Gruppen).
Mit einigen der StudienteilnehmerInnen gesprochen, sind Gruppendynamiken
stark von individuellen Charaktereigenschaften abhängig und können dement-
sprechend, je nach zufälliger Gruppenzusammensetzung, auch anders ausfallen.
Ebenso ist der Kontext einer wirtschaftswissenschaftlichen Fachhochschule zu
berücksichtigen. In einer sozial- oder kulturwissenschaftlichen Studienrichtung (mit
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einem stärkeren Schwerpunkt auf Geschlechterforschung) wären die Ergebnisse
möglicherweise andere gewesen. Zudem sollen die Ergebnisse wie anfangs
erwähnt nicht als Wesenseigenheiten eines Geschlechts verstanden werden,
sondern als Auswirkungen einer geschlechtstypischen Sozialisation. Diese hat
jedoch auch auf den Lernprozess im PBL eine Auswirkung. Um Studierende in
ihren jeweiligen Stärken und Schwächen zu fördern, gleiche Teilnahmechancen zu
schaffen, sie zu geschlechtsuntypischem Verhalten zu ermutigen und damit ihren
Handlungsspielraum zu erweitern, wäre es sinnvoll die LernprozessbegleiterInnen
in dieser Hinsicht zu schulen. Auch Fallbeschreibungen und Feedbacks wären ver-
stärkt auf Aspekte der Geschlechtergerechtigkeit zu reflektieren. Nur im Fall eines
(in Hinblick auf Gender) durchdachten Aufsetzens der Problemstellung, gezielter
Interventionen und Ermutigungen sowie gemeinsamer Reflexionen kann der
Freiraum, den problembasiertes Lernen potentiell eröffnet, genützt werden, um
Geschlechterdemokratie zu fördern.
Für weitere Forschungsarbeiten würde sich eine Wiederholung mit ähnlichem
Design aber einer größeren Gruppenanzahl empfehlen. Auch ein Fokussieren
auf den normalen Studienalltag, also auf die Beobachtung mehrerer gemischt-
geschlechtlicher PBL-Gruppen an verschiedenen Instituten, könnte spannende
Ergebnisse liefern. Und schließlich wäre auch eine vergleichende Studie zwischen
traditionellen und problembasierten Lernumfeldern hinsichtlich Gender interessant,
um die Frage zu beantworten, ob PBL tatsächlich ein besseres Umfeld darstellt,
um aus traditionellen Geschlechterrollen auszubrechen. Ohne gezielte Schulung
und Interventionen der LernprozessbegleiterInnen sowie einer allgemeinen
Bewusstseinsarbeit an der Hochschule ist dies, angesichts der Studienergebnisse,
aber für unwahrscheinlich zu halten.
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Autorin
Mag.a Elke RAJAL | FHWien-Studiengänge der WKW
Stadt Wien Kompetenzteam für Problem Based Learning
Währinger Gürtel 97, 4. Stock / B437 | 1180 Wien, Österreich
www.fh-wien.ac.at/pbl
Studie des Stadt Wien Kompetenzteams für Problem Based Learning
Gender-bezogene Gruppendynamiken im Problem Based Learning
Impressum:
Stadt Wien Kompetenzteam für Problem Based Learning
www.fh-wien.ac.at/pbl
www.fh-wien.ac.at/pbl
FHWien-Studiengänge der WKW
Stadt Wien Kompetenzteam für Problem Based Learning
Währinger Gürtel 97, A-1180 Wien | 4. Stock, Raum B437
Tel.: +43 (1) 476 77-5879 | e-Mail: [email protected]