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GEORGE STUBBS 1724—1806

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P R E S T E LMÜNCHEN • LONDON • NEW YORK

Herausgegeben von Herbert W. Rott

Mit Beiträgen von Brian Allen, Werner Busch,

Tim Clayton, Sophie Goldhagen, Oliver Kase, Martin Myrone,

Herbert W. Rott und Francis Russell

B AY E R I S C H E S T A A T S G E M Ä L D E S A M M L U N G E N MÜNCHEN • NEUE P INAKOTHEK

GEORGE STUBBS1 7 24 —1 8 0 6 D I E S C H Ö N H E I T D E R T I E R E | V O N D E R W I S S E N S C H A F T Z U R K U N S T

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V O RW O R T

E S S AY S

M a r t i n M y r o n e George Stubbs – Zwischen Markt, Natur und Kunst

W e r n e r B u s c h Stubbs’ Ästhetik

O l i v e r K a s e »Make the Knife go with the Pencil« –Wissenschaft und Kunst in George Stubbs’ ›Anatomy of the Horse‹

T i m C l a y t o n Stubbs und die Druckgrafik

F r a n c i s R u s s e l l Stubbs und seine Auftraggeber

B r i a n A l l e n George Stubbs’ wechselvoller Nachruhm –

Eine Rezeptionsgeschichte 1806–2012

H e r b e r t W . R o t t Einige deutsche Sammler britischer Kunst um 1800

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42

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K A T A L O G

T H E A N A T O M Y O F T H E H O R S E

G E M Ä L D E

R A D I E R U N G E N

R E P R O D U K T I O N S G R A F I K

A N H A N G

G e o r g e S t u b b s — D a t e n z u L e b e n u n d W e r k

B i b l i o g r a f i e

L e i h g e b e r

104

120

194

2 10

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237

239

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K l a u s S c h r e n k

Evolution im Sinne des Fortschritts glaubens der Aufklärung. Diese

Bilder zeigen aber auch die neuen Ideale von Schnelligkeit und Ele-

ganz, Selbstbewusstsein und Modernität als äußerem Ausdruck des

Erfolgs und des hohen Selbstwertgefühls der britischen Gesellschaft

in einer Epoche, in der England mit dem neuen Ideal einer natur -

nahen Kunst bald geschmacksbildend auf ganz Europa wirkte.

Ebenso einzigartig ist die Fundierung der Stubbs’schen Kunst

in einem Empirismus, wie er im . Jahrhundert in keinem anderen

Land ausgeprägter zu finden war als in England. Die unmittelbare

Betrachtung der Natur war die Grundlage für die Entstehung von

Bildern, die Anschauung war die Richtschnur für den Erkenntnis-

prozess. Stubbs ist, um diese Erfahrung zu gewinnen, weiter ge -

gangen als nahezu jeder andere Künstler vor oder nach ihm. Die

Vorstellung, wie er für seinen Traktat The Anatomy of the Horse in

einsa mer Abgeschiedenheit eigenhändig Tiere getötet, seziert und

gezeichnet hat, mag heutigen Betrachtern seiner Werke schauerlich

erscheinen. Doch offenbart dieses Vorgehen einen unbedingten Wil-

len zur Wahrheit, zur eigenen durchdringenden Anschauung, der

charakteristisch für seine künstlerische Haltung ist. Dass er die dabei

gewonnen Erkenntnisse in sorgsam komponierte, ausgesprochen äs-

thetische Bilder umgesetzt hat, kennzeichnet seinen künstlerischen

Rang. Selten sind in der Geschichte der europäischen Kunst Empirie

und Ästhetik eine so enge Verbindung eingegangen wie im Werk

dieses Künstlers.

Die Beiträge dieses Katalogs beleuchten diese Zusammen-

hänge aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Martin Myrone resü-

miert die ungewöhnliche Karriere des zunächst erfolgreichen, später

vergessenen Künstlers vor dem Hintergrund der Gegebenheiten des

Kunstmarktes in England, der sich nach der Mitte des . Jahrhun-

derts mit beträchtlicher Dynamik entwickelte. Werner Busch um-

reißt mit Naturwahrheit und Kunstanspruch die beiden Pole, zwi-

schen denen Stubbs sein Œuvre zu verorten suchte. Oliver Kase

analysiert eindringlich die besondere Stellung, die der Traktat zur

Pferdeanatomie unter den frühneuzeitlichen Anatomiepublikatio-

nen einnimmt – als das Werk einer auf strengster Empirie gegründe-

ten Ästhetik. Tim Clayton behandelt mit der Druckgrafik einen we-

Es mag ungewöhnlich erscheinen, einen Maler wie George Stubbs

einem deutschen Publikum vorzustellen. Er gehört hierzulande

nicht zu jenen Künstlern, deren Name allein Garant für hohe Be -

sucherzahlen und besondere öffentliche Aufmerksamkeit ist. Als

Schöpfer von außergewöhnlichen Pferdeporträts ist er bei Kunst-

und Tierliebhabern zumindest bekannt. Dass er aber zu den heraus-

ragenden Künstlern seiner Epoche gehört, ist hierzulande erst noch

zu entdecken. Diese Ausstellung und der hier vorgelegte Katalog sol-

len dazu Gelegenheit geben.

Die Neue Pinakothek beherbergt eine der bedeutendsten

Sammlungen britischer Malerei des . und . Jahrhunderts auf

dem europäischen Kontinent. Die Anfänge dieser Sammlung liegen

in der Zeit um , als die ersten Bilder von den britischen Inseln

nach München gelangt sind. Dazu gehörte auch der Spanish Pointer

von George Stubbs, vielleicht überhaupt das erste Gemälde des

Künstlers, das Großbritannien verlassen hat. Noch heute ist es eines

der wenigen seiner Werke auf dem Kontinent und das einzige Bild

in einem deutschen Museum. Um und dann vor allem in den

er und er Jahren wurde die Sammlung britischer Malerei

in München beträchtlich erweitert, sodass heute fast alle heraus -

ragenden Künstler der Epoche von Hogarth über Reynolds und

Gains borough bis zu Lawrence, Constable und Turner mit teilweise

bedeutenden Werken vertreten sind. So bietet diese historisch ge-

wachsene Sammlung die Folie, vor der das Werk dieses außer -

gewöhnlichen Individualisten entfaltet werden kann.

Die Bilder von George Stubbs zeigen unverkennbar eine spe-

zifisch britische Lebenswelt: Pferde und Jagdhunde, die Themen der

›Sporting Art‹ reflektieren die Interessen und das Lebensgefühl der

britischen Oberschicht des . Jahrhunderts, die das naturnahe Leben

auf ihren Landgütern als Gegenentwurf zur städtischen Zivilisation

kultiviert und verfeinert hat. Tiere spielten dabei eine wichtige Rolle,

insbesondere Pferde, deren Zucht und Pflege Leidenschaft, Wissen-

schaft und Spiel zugleich waren. Das Englische Rasse vollblut, dessen

bedeutendste Vertreter Stubbs in meisterhaften Porträts festgehalten

hat, steht für beides: für die neue kommerzielle Welt des Sports, des

Vergnügens, aber auch für die Wei ter entwicklung der Natur durch

VORWORT

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sentlichen Aspekt des Werkes von George Stubbs, zählen doch seine

Radierungen zum Schönsten, was auf diesem Gebiet im England

des . Jahrhunderts entstanden ist. Francis Russell beleuchtet das

dichte Geflecht von Beziehungen und persönlichen Verhältnissen,

das die Auftraggeber des Künstlers untereinander verband. Brian

Allen berichtet über die wechselhafte Reputation des Künstlers, die

bei Stubbs größeren Schwankungen unterworfen war als bei jedem

anderen britischen Künstler seines Formats. Herbert Rott schließlich

blickt auf die Verbindungen zwischen Deutschland und England im

späten . Jahrhundert, als in Deutschland die ersten Sammlungen

britischer Kunst entstanden. Allen Autoren sei für ihre Beiträge ge-

dankt, die diesen außergewöhnlichen Künstler erstmals einem deut-

schen Publikum nahebringen.

Anlass des vorliegenden Bandes ist die Ausstellung mit Zeich-

nungen, Grafiken und Gemälden von George Stubbs in der Neuen

Pinakothek. Dass dies möglich geworden ist, verdanken wir allein

der Bereitschaft der Leihgeber, uns ihre kostbaren Werke auf Zeit zu

überlassen. Die großen britischen Museen und Sammlungen, die

Royal Collection, die National Gallery, das British Museum und die

Tate in London wie auch die National Gallery of Scotland haben

sich unserem Vorhaben gegenüber von Beginn an aufgeschlossen

und hilfsbereit gezeigt. Die Manchester Art Gallery leiht mit dem

großartigen Cheetah and Stag eines der Hauptwerke des Museums

nach München. Dass die empirischen Grundlagen und die wissen-

schaftliche Komponente der Kunst von George Stubbs veranschau-

licht werden kann, verdanken wir der Kooperationsbereitschaft der

Royal Academy in London, die eine Auswahl der dort aufbewahrten

Anatomiezeichnungen leiht, und auch den bedeutenden naturwis-

senschaftlichen Sammlungen der Brüder William und John Hunter

in Glasgow und in London, für die Stubbs Porträts exotischer Tiere

gemalt hat. Den Aspekt des zeitgenössischen Sammelns englischer

Drucke in Deutschland dokumentieren die Reproduktionsgrafiken

nach Stubbs, die aus den Kabinetten in Aschaffenburg, Coburg und

Nürnberg geliehen werden konnten.

Viele der schönsten und bedeutendsten Bilder von George

Stubbs befinden sich nach wie vor im Besitz der Nachkommen der

Sammler und Auftraggeber, die die Bilder vor mehr als zwei Jahr-

hunderten bei Stubbs erworben haben. Und so war es eine entschei-

dende Voraussetzung für das Gelingen unseres Vorhabens, dass etwa

die Bilder, die Stubbs für Lord Rockingham und für den Duke of

Rutland gemalt hat, für die Ausstellung zur Verfügung gestellt wur-

den. Insbesondere Lady Juliet Tadgell sei für dieses Entgegenkom-

men sehr gedankt, ebenso den Besitzern der kostbaren, selten oder

bislang gar nicht öffentlich gezeigten Bilder, die aus Belvoir Castle

in Leicestershire, Grimsthorpe Castle in Lincolnshire, Mount Stuart

in Schottland, Bodrhyddan Hall in North Wales oder Squerryes

Court in Kent nach München gereist sind. Zuletzt ist es ein besonde-

res Zeichen kollegialer Zusammenarbeit, dass auch Hauptwerke aus

dem Besitz jenes Sammlers in der Ausstellung gezeigt werden kön-

nen, der wie kein anderer für die Wiederentdeckung George Stubbs’

im . Jahrhundert steht: Paul Mellon, dessen Sammlung britischer

Kunst im Yale Center for British Art in New Haven beheimatet ist.

Guter Wille und Entschlossenheit auf Münchner Seite hätten

allein nicht ausgereicht, um die Ausstellung möglich zu machen.

Entscheidend war die Unterstützung britischer Kollegen, die mit Rat

und Tat behilflich waren. Judy Egerton, die beste Kennerin des Wer-

kes von George Stubbs und Autorin des bewunderungswürdigen

Werkverzeichnisses, hat das Vorhaben von Anfang an mit Enthusi-

asmus und Herzenswärme unterstützt. Leider war sie aus gesund-

heitlichen Gründen nicht in der Lage, sich mit Beiträgen an Katalog

und Ausstellung so zu beteiligen, wie sie es sich und wir es uns ge-

wünscht hätten. Ihre Ermutigung und spontaner Zuspruch und ihr

Rat aber haben das Projekt entscheidend gefördert. Ebenso entschei-

dende Hilfe hat Francis Russell geleistet, indem er Kontakte zu Leih-

gebern hergestellt, Türen geöffnet und jederzeit als Ratgeber und

Gesprächspartner zur Verfügung gestanden hat. Nicholas Penny hat

unerlässliche Hilfestellung geboten, wie auch David Moore-Gwyn

und Emmeline Hallmark bei der Vermittlung von Leihgaben behilf-

lich waren. Allen diesen Kolleginnen und Kollegen sind wir für die

gute Zusammenarbeit von Herzen dankbar. Ein besonderes Wort

des Dankes gilt Sir Ronald Grierson für seine Unterstützung bei der

Vorbereitung der Ausstellung.

Mit großer Überzeugungskraft hat Herbert Rott als Initiator

und verantwortlicher Kurator der Ausstellung dieses Projekt voran-

getrieben, erstmals Kunstwerke von George Stubbs für eine Präsen-

tation in einem deutschen Museum zusammenzuführen. Dank der

generösen Unterstützung durch die Leihgeberinnen und Leihgeber

ist es ihm gelungen, ein exzellentes Konzept in eine großartige

Ausstellung zu verwandeln. Für seine intensive Arbeit in den zu-

rückliegenden Monaten und sein nicht nachlassendes Engagement

bei der Realisierung dieses ambitionierten Vorhabens gilt Herbert

Rott mein großer Dank und meine vorbehaltlose Anerkennung.

Unterstützt wurde er durch eine junge Kollegin, Sophie Goldhagen,

die bei der Vorbereitung von Katalog und Ausstellung Erstaunliches

geleis tet hat.

Dass der Katalog diese schöne Form angenommen hat, ver-

danken wir dem Prestel Verlag, insbesondere der unermüdlichen

und präzisen Arbeit der Projektleiterin Anja Besserer. Es ist der Ini-

tiative des Verlags zu danken, dass parallel zur deutschen auch eine

englische Ausgabe des Katalogs vorgelegt werden kann. Rachel King

ist dabei für ihren Einsatz zugunsten der englischen Übersetzungen

zu danken. Dass das Paul Mellon Centre for Studies in British Art

einen Zuschuss für die Kosten der Abbildungen gewährt hat, sei ab-

schließend mit Dankbarkeit vermerkt.

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M a r t i n M y r o n e

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George Stubbs zählt zu den wenigen britischen Künstlern des .

Jahrhunderts, dessen Name auch außerhalb der englischsprachigen

Welt ein Begriff ist. Neben Werken von William Hogarth (‒

), Joshua Reynolds (‒), Thomas Gainsborough (‒

) und vielleicht noch George Romney (‒) und Joseph

Wright of Derby (‒) haben auch einige der bedeutendsten

Gemälde von Stubbs den Status von ›Ikonen‹ erlangt. Die Versteige-

rung eines seiner berühmtesten Pferdeporträts, Gimcrack on Newmar-

ket Heath, für den Rekordpreis von mehr als Millionen Pfund im

Juli bestätigte seinen Stellenwert, zumindest in den Kreisen

wohlhabender Sammler. Gemälde wie dieses wurden immer wieder

reproduziert und diskutiert, nicht nur als Hauptwerke dieses einen

Künstlers, sondern ebenso sehr als bildmächtige Vergegenwärtigung

der Werte einer ganzen Epoche. Während Hogarths handfeste mo-

ralische Bilderfolgen und Porträts seiner Zeitgenossen ein lebendiges

Bild der Londoner Gesellschaft im frühen . Jahrhundert zu vermit-

teln scheinen, sieht man in den prachtvollen Porträts von Reynolds,

Gainsborough und Romney das schmeichelhafte Spiegelbild der

High Society der Epoche. Gleichzeitig bieten Gainsboroughs Bilder

von Bauern in lichtdurchfluteten englischen Landschaften aber auch

einen anderen Blick auf Großbritannien, einen Blick auf ländlichen

Wohlstand und die überwältigende Schönheit der Natur. Stubbs’

Bilder wurden traditionell einer ähnlichen Kategorie zugeordnet,

geben sie doch Einblicke in die exklusive Welt des Pferderennsports.

Sein unbefangener Blick auf Pferde, Pfleger und Jockeys, auf edle

Tiere und exotische Wildtiere wird oft gleichgesetzt mit den drei

größten Leidenschaften der britischen Oberschicht: Hunde, Pferde

und ›Rural Sports‹.

Wie bei allen großen Künstlern wurde auch das Œuvre von

George Stubbs aus unterschiedlichen Perspektiven wissenschaftlich

untersucht und kritisch beleuchtet. Die Schlüsse, die man aus der

Beschäftigung mit seinen Werken gezogen hat, sind so unterschied-

lich wie widersprüchlich. Seit langem ist er als der bedeutendste Ver-

treter der ›Sporting Art‹ des . Jahrhunderts, ja der Kunstgeschichte

überhaupt anerkannt. Die Vorrangstellung in diesem Genre ist je-

doch an eine zweite künstlerische Leistung geknüpft: Stubbs wird

vor allem als vorurteilsloser, klarsichtiger Beobachter der Natur ge-

schätzt. Wie Werner Busch in seinem Beitrag darlegt, scheint gerade

die Nüchternheit und Klarheit, mit der Stubbs die Phänomene der

Natur behandelt, zu einem künstlerischen Ansatz jenseits von ästhe-

tischen Kategorien zu führen. So gilt Stubbs neben Joseph Wright

of Derby als einer der bedeutendsten Vertreter des großen Projekts

der Aufklärung im Bereich der bildenden Kunst – jenem Streben des

. Jahrhunderts hin zu Vernunft, Empirie und politischer Freiheit.

Wrights berühmte Darstellungen wissenschaftlicher Experimente

und frühindustrieller Lebenswelten markieren eine entschiedene

Hinwendung zu zeitgenössischen, modernen Themen und eine po-

sitive Haltung gegenüber der Zukunft. Stubbs’ große anatomische

Projekte und Gemälde wie Whistlejacket scheinen mit ihrer sachlich

präzisen und zugleich monumentalen Schau der Natur auf vergleich-

bare Weise einen neuen Blick auf die Welt zu bieten.

Beide Sichtweisen der Stubbs’schen Kunst – die eine, die seine

Fähigkeit betont, eine verlockende, seinen Auftraggebern schmei-

chelnde Vision des britischen Landlebens zu entwickeln, und die an-

dere, die ihn als Künstler von heldenhaft unbeirrbarem und von Tra-

ditionen unbelastetem Verstand ausweist – haben manches für sich.

Doch beide sind nicht unangreifbar. Das Konzept der Aufklärung

hat durch die neuere Forschung an Komplexität gewonnen: Was als

monolithische Bewegung hin zum modernen Rationalismus galt, er-

weist sich inzwischen als komplexes und facettenreiches Phänomen

mit vielfältigen lokalen Ausprägungen in ganz Europa. Es gab eine

schottische und eine englische, es gab eine französische Aufklärung,

und jede hatte ihren eigenen Charakter; ein allgemein gültiges Mo-

dell existiert nicht. Historiker bezweifeln inzwischen auch, dass der

Rationalismus, dem jede Form von Aufklärung verpflichtet war, aus-

schließlich positiv besetzt war, hatte das Streben nach wissenschaft-

GEORGE STUBBS ZWISCHEN MARKT, NATUR UND KUNST

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licher Erkenntnis und Vernunft doch auch seine dunklen Seiten. Für

Stubbs als dem vermeintlichen Exponenten des Mythos einer ge-

nuin britischen Identität aber bedeutet dies, dass genau jene Motive,

die einst vielleicht ein goldenes Zeitalter des Friedens, der Ruhe und

der einfachen Vergnügungen repräsentierten, heute umstrittener sind

denn je. Ländliche Besitzrechte und das als ›Blood Sports‹ bezeich-

nete Quälen und Töten von Tieren zum sportlichen Vergnügen

haben sich zu erbittert umkämpften politischen Themen entwickelt.

Angesichts dieser Widersprüche in Stubbs’ Werk neigt die For-

schung dazu, die Einzigartigkeit des Künstlers zu betonen und die

bestimmende Kraft seiner Kunst in seiner Persönlichkeit zu suchen.

Judy Egerton, als Autorin des grundlegenden Werkverzeichnisses

und führende Stubbs-Expertin in diesem Katalog nicht ohne Grund

häufig zitiert, kommt zu dem Schluss, die größte Qualität des Ma-

lers habe darin bestanden, dass er seinen eigenen Neigungen gefolgt

und, unbeeinflusst von den vorherrschenden Moden und ökonomi-

schen Interessen, seinen Themen treu geblieben sei.1 Diese Einsicht

lässt uns den besonderen Charakter des Werdegangs von George

Stubbs besser verstehen, zumindest in streng biografischer Hinsicht.

Doch wie die Essays in diesem Band belegen, kann Stubbs’ Kunst

keinesfalls unabhängig von den gesellschaftlichen Verhältnissen und

der theoretischen Diskussion seiner Zeit betrachtet werden.

B E S C H E I D E N E A N F Ä N G E

Der Vater des Künstlers, John Stubbs, war in Liverpool als selbststän-

diger Handwerker in der Lederverarbeitung tätig. Stubbs selbst war

im wesentlichen Autodidakt. Nur für eine kurze Zeit – wohl nur we-

nige Wochen – arbeitete er bei dem lokalen Maler Hamlet

Winstanley und kopierte in Knowsley Hall bei Liverpool Altmeister-

gemälde. So kam er mit einem wenig bedeutenden Segment des

Kunstmarktes in Berührung: Winstanley war Porträtmaler in der eng-

lischen Provinz und versah daneben die Aufgaben eines Hofmalers

für den . Earl of Derby in Knowsley Hall. Auch wenn biografische

Berichte von einer früh nach Höherem strebenden Leidenschaft für

die Kunst wissen wollen, folgte Stubbs in seinen ersten Jahren doch

eher einer Laufbahn nach Winstanleys Vorbild; er lief Gefahr, wie

dieser als ein Provinzmaler zu enden, als der er heute längst vergessen

wäre. Wir wissen, dass Stubbs nach der möglicherweise im Streit er-

folgten Trennung von Winstanley einige Jahre in Liverpool ver-

brachte, zeichnete und Anatomiestudien betrieb. Laut Humphrys

Memoir hatte er die Absicht, sich auf dem Gebiet der Historien- und

Bildnismalerei weiterzubilden.2 Er versuchte sich zunächst als Por-

trätmaler zu profilieren und lebte einige Zeit in Wigan und Leeds.

Danach ging er für einige Jahre nach York. Am dortigen Kranken-

haus betrieb er anatomische Studien und stieg in kurzer Zeit zum

Lehrer für Anatomie auf, was aus heutiger Sicht beunruhigend er-

scheinen mag, war Stubbs doch gerade erst Anfang . Von Dr. John

Burton, der Geburtshelfer am York Hospital war, erhielt er den Auf-

trag, die Illustrationen für dessen Traktat An Essay Towards a Complete

New System of Midwifery zu stechen, der erschienen ist. Die

Tafeln sind technisch unausgereift (vgl. S. , Abb. ). Stubbs hatte

keinerlei druckgrafische Erfahrung, und auch nachdem ein Haus -

maler aus Leeds ihm die Grundlagen des Radierens beigebracht

hatte, fehlte ihm das passende Werkzeug. Anstelle einer professionel-

len Radiernadel soll er eine haushaltsübliche Nähnadel verwendet

haben. Die geätzten Platten überarbeitete er mit Werkzeugen, die er

sich bei einem örtlichen Uhrmacher lieh.

An diesen ersten datierten Arbeiten von Stubbs ist zweierlei

bemerkenswert: Zum einen zeigen sie uns einen Künstler, der un-

mittelbar in die wissenschaftliche Forschung seiner Zeit involviert

ist; zum anderen erinnern sie an die dunkle, schauerliche Seite der

Naturwissenschaften im . Jahrhundert, an die umstrittenen und

kommerziellen Aspekte damaliger wissenschaftlicher Publikationen.

Wären sie nicht mit dem Namen Stubbs verbunden, würden wir die

kleinen und etwas unbeholfen ausgeführten Tafeln in Burtons Essay

heute wohl als hastig hergestellte Produkte aus der Welt der kom-

merzialisierten (und nicht selten ausbeuterischen) medizinischen

Forschung des . Jahrhunderts abtun; kaum würden wir in ihnen

die eindringlichen Visualisierungen natürlicher Sachverhalte erken-

nen, als die sie heute gelegentlich beschrieben werden.

Im Jahr oder zog Stubbs, der »unentwegt Porträts

malte und Leichen sezierte«,3 erneut um, diesmal nach Hull. Dem

folgte ein kurzer Aufenthalt in Italien. Für ambitionierte Künst-

ler war die Italienreise zunehmend unverzichtbar geworden, einer-

seits um sich künstlerisch weiterzubilden, mehr aber noch um in

Kontakt zu den adligen Reisenden zu kommen, die auf ihrer Grand

Tour Italien und hier vor allem Rom besuchten. Dass ein Aufenthalt

in Italien der Karriere eines Künstlers eine neue Richtung geben

konnte, belegen zahlreiche Beispiele. Besonders spektakulär verlief

die Verwandlung im Fall von Joshua Reynolds. Er verließ England

als vielversprechender junger Porträtmaler mit vorwiegend pro-

vinziellem Hintergrund und kehrte als Mitglied eines einfluss-

reichen Netzwerks von Künstlern und Auftraggebern und mit neuen

Ideen aus Italien zurück, sodass er während der folgenden drei Jahr-

zehnte die Entwicklung der britischen Kunst maßgeblich bestim-

men konnte.

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George Stubbs gehörte wie Reynolds, der Bildhauer Joseph

Wilton (‒), der Architekt William Chambers (‒)

und der Landschaftsmaler Richard Wilson (‒) einer Gene-

ration britischer Künstler an, die mehr oder weniger gleichzeitig in

Italien waren, um später wichtige Rollen in der sich rasch entwickeln-

den britischen Kunstszene zu übernehmen. Während die anderen

Künstler ihren Ehrgeiz auf die in London gegründete Royal

Academy of Arts richteten, blieb Stubbs allerdings zu dieser elitären

Institution lange Zeit auf Distanz; stattdessen schloss er sich der de-

mokratischeren Society of Artists an, der er bis verbunden blieb.

Die Royal Academy und ihre Künstler vertraten eine idealisti-

sche Auffassung der Kunst, die ihre Wurzeln in der Antike und in

der bildnerischen Praxis und Theorie der französischen und italieni-

schen Kunst des . Jahrhunderts hatte. Die Erfahrung einer Italien-

reise und die Möglichkeit, dort die großen Vorbilder zu kopieren,

sollte den nach hohen Idealen strebenden Künstlern zu einer soli-

den Grundlage verhelfen. Stubbs’ erster Biograf legte jedoch Wert

auf die Feststellung, dass Stubbs während seines Romaufenthalts

weder kopiert noch nach Antiken gezeichnet habe.4 Spätere Autoren

äußerten Zweifel an dieser Darstellung und meinten, Stubbs müsse

zumindest antike Skulpturen aufmerksam studiert haben. Seine Be-

handlung des ›Horse and Lion‹-Motivs, das er ab in einer Reihe

von Gemälden, Drucken und auf Wedgwood-Porzellan variierte,

wurde ohne Zweifel von der lebensgroßen antiken Skulpturengrup -

pe inspiriert, die er im Hof des Konservatorenpalastes hatte sehen

können. Reproduktionen dieser Gruppe waren indes bei den Reisen-

den der Grand Tour so beliebt, dass Stubbs mühelos auch erst später,

nach seiner Rückkehr nach England, einen Stich oder eine Bronze-

fassung der antiken Plastik hätte sehen können. Von dieser eher aka-

demischen Debatte abgesehen, scheint es wichtig festzuhalten, dass

die Italienreise so gut wie keinen Einfluss auf Stubbs’ weitere Kar-

riere hatte. Nicht umsonst verweist Francis Russell in seinem Beitrag

darauf, dass Stubbs in Rom offenbar keinen Kontakt zu seinen spä-

teren Auftraggebern Lord Bolingbroke und dem . Duke of Grafton

hatte, obwohl beide sich zur selben Zeit auf ihrer Grand Tour befan-

den; die ersten Gemälde bestellten sie erst Jahre später bei ihm. Der-

weil ging Stubbs nach seiner Rückkehr aus Italien wieder zu-

rück nach Liverpool, wo er zwei Jahre verbrachte, ohne dass seine

Karriere erkennbare Fortschritte gemacht hätte.

So waren seine Aussichten nicht viel besser als zehn Jahre

zuvor. Doch dann begann Stubbs jenes Projekt, das seinen späteren

Ruhm begründen sollte. Gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin

Mary Spencer zog er sich nach Lincolnshire zurück. Innerhalb von

Monaten sezierte er ein Pferd nach dem anderen, arbeitete an

jedem von ihnen mehrere Wochen lang, machte Notizen und fertigte

detaillierte Zeichnungen an, die später die Grundlage einer Veröffent-

lichung zur Pferdeanatomie bilden sollten. Er entwickelte ein Verfah-

ren zum Konservieren und Aufhängen der Pferdekörper, das Ozias

Humphry, Stubbs’ Erinnerungen folgend, in allen Einzelheiten be-

schrieb.5

Wie Werner Busch und Oliver Kase in ihren Beiträgen ausführ-

licher darlegen, handelte es sich in der Tat um ein singuläres Vor -

haben. Der einzige Vorläufer auf diesem Gebiet war Carlo Ruinis

mit relativ groben Holzschnitten bebilderte Pferdeanatomie von

. Sie war vielfach plagiiert und auch von den zahlreichen veteri-

närmedizinischen Traktaten des . Jahrhunderts mit geringerem An-

spruch nicht übertroffen worden. Stubbs hingegen führte mit seiner

Anatomy of the Horse einen Grad von Sorgfalt und wissenschaftlicher

Präzision in die Tieranatomie ein, der bis dahin allein den Studien

zur menschlichen Anatomie vorbehalten war. Sein Unternehmen

war daher nicht nur einzigartig, sondern auch ein wenig exzentrisch

und vor allem gefährlich. In einer Zeit ohne effektive Desinfektions-

methoden wurden Anatome häufig von Krankheiten befallen, die

tödlich enden konnten. Stubbs aber hatte vor, sich mit der Veröf-

fentlichung seiner Pferdeanatomie einen Namen zu machen.

oder ging er mit den Zeichnungen nach London. Nachdem er

keinen professionellen Reproduktionsstecher finden konnte, der be-

reit war, ein so komplexes Projekt zu übernehmen, stach er die

Zeichnungen selbst. erschien The Anatomy of the Horse und

wurde begeistert aufgenommen.

» M R S T U B B S , T H E H O R S E P A I N T E R «

Der Vorstoß in das Gebiet der Pferdemalerei scheint wohlüberlegt

gewesen zu sein. Der Markt wollte erobert werden. Die Gattung war

so weit heruntergekommen, dass der Schweizer Maler André Rou-

quet (‒), der von bis in London lebte, sich ein-

drücklich über deren Zustand beklagte.6 Von den führenden Vertre-

tern der ›Sporting Art‹ hatte John Wootton (‒) das Genre

inzwischen zugunsten der Landschaftsmalerei aufgegeben; James

Seymour (‒) war einige Jahre zuvor verstorben. Die Bahn

war frei für Stubbs, und dank seiner langjährigen und außergewöhn -

lichen Erfahrung mit anatomischen Studien gelang es ihm, der

Kunst der ›Sporting Pictures‹ neue Impulse zu geben.

Stubbs hatte in seinen anatomischen Zeichnungen die techni-

sche Präzision und den geistigen Anspruch seiner ehrgeizigen Kon-

zeption unter Beweis gestellt. So gelang es ihm innerhalb kürzester

Zeit, eine Reihe hochrangiger Auftraggeber zu gewinnen, die auf

dem Gebiet der Jagd- und Pferdemalerei nach etwas Neuem verlang-

ten. erhielt Stubbs den Auftrag zu drei großformatigen ›Spor-

ting Scenes‹ für Charles Lennox, . Duke of Richmond (Abb. –).

Der Duke, noch keine Jahre alt, hatte an der fortschrittlichen Lei-

dener Universität studiert und die Grand Tour absolviert. Er war

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Mitglied der naturwissenschaftlichen Royal Society und hatte seine

Londoner Galerie mit Abgüssen nach klassischen Skulpturen für

Kunststudenten zugänglich gemacht. Er gehörte einer jüngeren Ge-

neration von Mäzenen an, die sich vom Sammeln der üblichen

Alten Meister abwandten und stattdessen junge britische Künstler

förderten. Als weitere wichtige Auftraggeber von Stubbs kamen unter

anderem der . Duke of Grafton, Lord Spencer, Lord Bolingbroke

und Lord Rockingham hinzu. Wie Francis Russell in seinem Beitrag

ausführt, unterhielten diese Männer – allesamt Grundbesitzer und

Mitglieder der oppositionellen Whig-Partei – enge persönliche, mit-

unter vertrauliche familiäre und politische Beziehungen zueinander;

und sie förderten Joshua Reynolds, der für Stubbs’ Etablierung in

diesem Kreis durchaus eine wichtige Rolle gespielt haben könnte.

Möglicherweise ist ihre Unterstützung eines aufstrebenden britischen

Künstlers auch vor dem Hintergrund der Verwicklung Großbritan-

niens in den Siebenjährigen Krieg (‒) zu sehen, in dessen

Verlauf ein Anstieg von Nationalstolz festzustellen war.

In den er Jahren war Stubbs weitestgehend mit ›Sporting

Pictures‹ beschäftigt. Er arbeitete hauptsächlich für den eng ver netz -

ten Zirkel von pferde- und rennsportbegeisterten adligen Grund -

besitzern. Zu Stubbs’ Auftraggebern gehörte aber auch ein Selfmade-

man des Pferderennsports wie William Wildman, ein Fleisch groß -

händler aus Smithfield, der mit Investitionen im Pferdesport zu

Geld und Ansehen gelangt war. Wildman war der erste Besitzer von

Gimcrack und Auftraggeber eines ersten Porträts dieses berühmten

Hengstes. Noch vor dessen legendärem Sieg in Newmarket hatte er

das Pferd an Viscount Bolingbroke verkauft, der anlässlich eines wei-

teren Rennsieges in Newmarket im Juli Stubbs mit einem zwei-

ten Porträt des Pferdes beauftragte. Dieses Gimcrack-Porträt bietet

eine weitaus größer angelegte Komposition; zugleich ist es jenes Bild,

12

George Stubbs, The rd Duke of Richmond with the Charlton Hunt,

um , Öl auf Leinwand, , , cm

Trustees of the Goodwood Collection, Goodwood House, West Sussex

M a r t i n M y r o n e | Z W I S C H E N M A R K T , N A T U R U N D K U N S T

Page 13: GEORGE STUBBS - bilder.buecher.de · kes von George Stubbs und Autorin des bewunderungswürdigen Werkverzeichnisses, hat das Vorhaben von Anfang an mit Enthusi- asmus und Herzenswärme

das bei der Auktion den erwähnten Rekorderlös erzielte. Es zeigt

Gimcrack, wie er bereits trockengerieben wird, während rechts im

Bild andere Pferde auf der Rennstrecke zu sehen sind (Abb. ).

Stubbs hat mit einer verhältnismäßig kleinen Zahl von Bild-

formeln gearbeitet, die er wieder und wieder mit feinen, aber be-

deutsamen Unterschieden variiert hat. Das ›Rubbing House‹ in

Newmarket, ein Stallgebäude, in dem die Pferde vor und nach dem

Rennen gepflegt wurden, taucht in verschiedenen seiner ›Sporting

Pictures‹ auf, so auch in drei Gemälden dieser Ausstellung. Es ist ein

augenfälliges Indiz dafür, wie der Maler sich in Gemälden mit sehr

ähnlicher Funktion für sehr ähnliche Auftraggeber wiederholt hat.

Stubbs’ Pferdeporträts und Bilder von den Rennplätzen, gleich ob

sie für einen Unternehmer wie Wildman oder für Pferdebesitzer mit

ererbtem Reichtum wie Bolingbroke gemalt wurden, imaginieren

einen Schauplatz von nahezu unterkühlter Ruhe. Wie weit dies von

der Realität entfernt war, wissen wir aus Berichten über Pferderen-

nen der Zeit und von anderen ›Sporting Pictures‹. Die Rennplätze

waren überfüllte, laute und schmutzige Orte, an denen Menschen

aus allen sozialen Schichten sich mischten, wetteten und spielten

(Abb. ). Dieser gesellschaftliche Freiraum schien den besonderen

Reiz des Pferderennsports auszumachen: Gentlemen führten offen

ihre Geliebten aus, verprassten ihr Geld und verfolgten Box- oder

Hahnenkämpfe, auf die sie Wetten abschlossen. Im Strudel dieses

ausschweifenden Zeitvertreibs verschwammen, wenn auch nur teil-

weise und vorübergehend, die Grenzen zwischen erwachsenem und

kindischem Benehmen, zwischen Ober- und Unterschicht. Pierre-

13

George Stubbs, The Duchess of Richmond and Lady Louisa Lennox

Watching Racehorses in Training at Goodwood, um , Öl auf Leinwand, , , cm

Trustees of the Goodwood Collection, Goodwood House, West Sussex

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Jean Grosley, der sich für einige Wochen in England aufhielt

und später einen dreibändigen Reisebericht veröffentlichte, stellte

fest: »Viele vermögende Gentlemen ruinieren sich mit diesen Ver-

gnügungen [...]. Mit allergrößtem Erstaunen sah ich, wie sehr sich

die Zuschauer aller Klassen für Hahnenkämpfe begeistern, die am

Ende doch nur ein Kinderspiel sind [...]. Bei den Rennen gibt es

weder Starterlisten noch Absperrungen: die Pferde laufen mitten

durch die Menge, die nur gerade so viel Platz macht, dass das Feld

hindurchpasst, und es dabei mit Gesten und lauten Rufen anfeuert.

Im Ziel hat der Sieger es schwer, sich von der Menge loszumachen,

die ihn beglückwünscht und umarmt, mit einer herzlichen Leiden-

schaft, die sich kaum vorstellen kann, wer sie nicht selbst gesehen

hat«.7 Schon zuvor hatte Daniel Defoe den Auflauf von hohem und

niederem Adel bei den Pferderennen in Newmarket bemerkt und

berichtet, dass »alle so angespannt, so verbissen, so geschäftig den

spielerischen Teil des Sports verfolgten, mit ihren Einsätzen und

Wetten, dass sie mir vorkamen wie eine Horde Pferdetreiber in

Smithfield, die von ihrem hohem Rang und ihrer Würde (wie sie

die größten unter ihnen besaßen) herabstiegen und zu Taschendie-

ben wurden«.8 So war der Rennplatz eine verkehrte Welt auf Zeit:

Die Reichen benahmen sich wie Gauner oder spielten wie Kinder,

und auch die Armen kamen zu ihrem Vergnügen. Die Rennbahn

des . Jahrhunderts war ein Schauplatz dessen, was der einflussrei-

che Kulturtheoretiker Mikhail Bakhtin als »das Karnevalistische« be-

schrieb: ein Ort, an dem gesellschaftliche Normen außer Kraft ge-

setzt wurden und die Welt, zumindest für kurze Zeit, Kopf stand.9

Eines der bestimmenden Merkmale der Stubbs’schen Ge-

mälde ist das vollständige Fehlen jeden Hinweises auf diese ›karne-

valistische‹ Unordnung (vgl. Kat. Nr. , und ). Menschen mas -

sen kommen in seinen Bildern schlicht nicht vor. Stubbs entwirft

ein abstraktes Bild des Renngeschehens, losgelöst nicht nur von der

Realität des Pferderennens als gesellschaftlichem Ereignis, sondern

auch abstrakt in der Verwendung einer begrenzten Palette von Bild-

elementen, die er immer wieder neu arrangiert zu einer Serie ›neuer‹,

14

George Stubbs, Gimcrack on Newmarket Heath, um ,

Öl auf Leinwand, , , cm

Privatbesitz

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einander allesamt ähnlicher Kompositionen. Was uns in diesen Ge-

mälden gegenübertritt, ist nicht die Dokumentation und das Geden-

ken einzelner Rennen oder gar einzelner Pferde, sondern ein Lob-

preis der Kunst, die imstande ist, das Bild einer höheren und jenseits

spezifischer Umstände existierenden Ordnung zu entwerfen – eine

Ansicht, der Stubbs’ Auftraggeber, als soziale Klasse einschließlich

der (wenigen) Selfmademen des Rennsports und der reichen Erben,

gerne zustimmten.

In diesem Sinne haben Stubbs’ Gemälde selbst zur Neuord-

nung und Regulierung des Rennsports beigetragen. Um die Mitte

des . Jahrhunderts waren Pferderennen wegen ihrer Unbotmäßig-

keit und Störung der sozialen Ordnung zunehmend in die Kritik ge-

raten. Gesetze zur strengeren Überwachung der Wetten traten in

Kraft, und um wurde der aristokratische Jockey Club als selbst

gewähltes Kontrollorgan gegründet. Der Club führte das System der

Jockeyfarben ein und gab autorisierte Publikationen zur Dokumen-

tation von Rennen und zur Genealogie der Pferde heraus. Das

Renngeschehen wurde einem Prozess der Rationalisierung unterwor-

fen, mit dem Effekt, dass die Öffentlichkeit besser und genauer in-

formiert, zugleich aber auch die Vorrangstellung des Adels unter-

mauert wurde. Ein Renntag mochte noch immer eine raue,

unkultivierte Angelegenheit sein, doch die Richtlinien für einen or-

dentlichen Verlauf der Rennen selbst waren jetzt gesetzt. Mit seinen

Gemälden brachte auch Stubbs (dessen Auftraggeber nicht selten

Mitglieder im Jockey Club waren) seine Angelegenheiten in Ord-

nung. In seiner Kunst, wie auch in den gedruckten Rennaufzeich-

nungen und -regularien, wurden die Rennpferde nach einem streng

formalisierten System klassifiziert und nobilitiert.

Stubbs’ Darstellungen aus der Welt des Pferdesports bewegen

sich auf einer unscharfen Linie zwischen ästhetisch verfeinerter Prä-

zision und deskriptiver Sachlichkeit. Je nach Blickwinkel sind es ent-

weder herausragende Bilder natürlicher Schönheit, die weit über die

oft banalen Umstände ihrer Entstehung hinausweisen, oder es sind

schonungslose Zergliederungen der sichtbaren Wirklichkeit. Man

kann den Versuch unternehmen, zwischen diesen Positionen zu ver-

mitteln, oder man schwankt zwischen ihnen hin- und her; Stubbs’

umstrittene Stellung in der Kunstgeschichte jedenfalls, die Brian

Allen in seinem Katalogbeitrag beleuchtet, hat ihre Ursache in eben

dieser Ambivalenz.

Diese kunsthistorischen Fragen zu seinem Werk und nach der

Einschätzung seiner künstlerischen Leistung hat man erst lange nach

dem Tod des Künstlers zu stellen begonnen. Stubbs selbst sah sich

in seiner Zeit vor sehr viel konkretere Herausforderungen gestellt.

Der Kunstbetrieb war in einem sehr weitgehenden Maß formalen

Regeln unterworfen. Um eine künstlerische Ausbildung zu erhalten,

musste man in das Atelier eines etablierten Meisters eintreten, ent-

weder in der Heimat oder auch im Ausland. Eine Zeichenschule gab

es zwar in London, doch wurde sie bis in die er Jahre hinein

nur sehr informell betrieben. Erst der von Reynolds und anderen

Künstlern angeführten Initiative gelang es, eine striktere Organisa-

tion unter königlichem Patronat einzuführen. Am Ende dieser Be-

mühungen stand die Gründung der Royal Academy. Stubbs

stand – wie Wright of Derby und Gainsborough – in einem distan-

zierten Verhältnis zur Akademie, war gewissermaßen nur halb ein-

gebunden. Er wurde zwar zum assoziierten und zum Voll-

mitglied gewählt, hat jedoch nie das obligatorische Probestück

eingereicht, das seine Mitgliedschaft formal besiegelt hätte. Bis

unterstützte er stattdessen die konkurrierende Society of Artists und

demonstrierte damit eine gewisse Unabhängigkeit gegenüber den

elitären und exklusiven ästhetischen Prinzipien der Royal Academy.

Gleichwohl war Stubbs durchaus bestrebt, mit den neuen äs-

thetischen Anforderungen der akademischen Malerei zu konkurrie-

ren, insbesondere nachdem im Lauf der er Jahre die Aufträge

aus den Reihen der pferdebegeisterten Whigs allmählich weniger

wurden. Am deutlichsten zeigt sich dies in einer Reihe von Darstel-

lungen, in denen ein Löwe ein Pferd erschreckt, angreift oder ver-

schlingt. Beginnend mit einem Großformat für den Marquess of

Rockingham von schuf Stubbs bis in die er Jahre hinein

zahlreiche Varianten dieser gewaltsamen Begegnung zwischen den

ungleichen Tieren in Form von Gemälden und Stichen (Kat. Nr.

–). Mit diesen Bildern zielte er auf ein Publikum, das sich erst

nach mit den neu entstandenen Kunstausstellungen und dem

Grafikmarkt entwickelt hatte und weit über den kleinen Kreis der

Auftraggeber für ›Sporting Pictures‹ hinausreichte. Stubbs zeigte

15

John Nixon, Brighton Races, , Aquarell, , , cm

New Haven, Yale Center for British Art, Paul Mellon Collection

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verschiedene Fassungen des Themas bei der Society of Artists

in den Jahren , , und . Die Gemälde wurden in

Drucken reproduziert, das Motiv erscheint auf Keramikreliefs von

Wedgwood, später auch auf kunstgewerblichen Produktionen ver-

schiedener Manufakturen. Mit dieser weiten Verbreitung war das

›Horse and Lion‹-Motiv das über lange Zeit beliebteste und popu-

lärste seiner Sujets.

Diese Werkgruppe zeigt aber auch, dass sich Stubbs durchaus

dessen bewusst war, dass die Pferdemalerei mit ihrer bescheidenen

Geschichte und ihrem vermeintlichen Mangel an intellektuellem

Gehalt im Allgemeinen wenig angesehen war. In der akademischen

Kunstlehre, die mit der Gründung der Royal Academy neue Ver-

bindlichkeit erlangt hatte, stand die Tiermalerei auf der niedrigsten

Stufe der Künste. Stubbs versuchte also durchaus, das Image des

›Sporting Artist‹ zu überwinden; er malte sogar eine Reihe von Sze-

nen aus der klassischen Mythologie. Während davon lediglich Phae-

ton mit dem Sonnenwagen des Helios in Fassungen auf Leinwand und

als Wedgwood-Keramik erhalten ist, wissen wir, dass Stubbs auch

große Darstellungen von Herkules und Acheloos () und Herkules,

Dejanira und der Kentaur Nessus () gemalt und ausgestellt hat, au-

ßerdem ein Urteil des Herkules, das mit seinem künstlerischen Nach-

lass versteigert wurde. Wären diese Gemälde erhalten, müssten wir

vielleicht unsere Auffassung revidieren, Stubbs habe die idealisie-

rende ›Grand Manner‹, die eng mit der Royal Academy verknüpft

war, so weit als möglich gemieden. Immerhin aber sind diese Werke

dokumentiert und so müssen wir annehmen, dass Stubbs tatsächlich

bereit und imstande war, sich mit diesen Stoffen auseinanderzuset-

zen. Dass es freilich offenbar nur wenige Gemälde dieser Art gab,

lässt dagegen den Schluss zu, dass er diese Versuche doch als mehr

oder weniger misslungen angesehen hat.

N E U E T E C H N I K E N U N D N E U E T H E M E N

Erfolgreicher waren dagegen seine Bemühungen, sein künstlerisches

Repertoire auf das Gebiet der Darstellung exotischer Tiere auszuwei-

ten. Als im . Jahrhundert die ersten Exemplare fremder Arten

nach England gelangten, stieß dies auf ein ungeheueres öffentliches

Interesse. kam das erste Zebra auf die Insel, es wurde in Buck-

ingham House, dem späteren Buckingham Palace, zur Schau gestellt

und danach auf eine Tournee durch das ganze Land geschickt;

Stubbs malte ein Porträt des Tieres, das er bei der Society of Artists

ausstellte (Kat. Nr. ). Als der erste Elch aus Kanada eintraf,

bestellte der Arzt und Naturforscher William Hunter bei Stubbs ein

Porträt des Tieres, um die Unterschiede zwischen dem kanadischen

und dem ausgestorbenen irischen Elch zu veranschaulichen (Kat.

16

George Stubbs, Haymakers,

, Öl auf Holz,

, , cm

London, Tate

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Nr. ). Um Hunters Argumentation zu verdeut lichen, fügte Stubbs

das Geweih der einheimischen Spezies links unten im Bild ein. Der

Reiz des Exotischen erfasste und verband die Welt der populären

wandernden Tierschauen, die Wissenschaften und das allgemeine

Interesse des Jägers und Naturliebhabers an solchen Dingen. Stubbs’

Gemälde funktionierten in jedem dieser Kontexte. Unabhängig von

den Umständen ihrer Entstehung zeichneten sie sich durch stets die-

selben Eigenschaften aus: seinen Sinn für die Besonderheiten des

Tieres, dessen Farbe und Textur, die körperliche Beschaffenheit;

seine Fähigkeit, die fremdartigen Kreaturen zu bedeutsamen Bildge-

genständen zu erheben und in atmosphärische Naturlandschaften

einzubetten. Jedes dieser Bilder zeugt von Stubbs’ Begabung, ein

tatsächliches Abbild der Natur zu schaffen, was es nach den Maßstä-

ben der Zeit unmöglich machte, ihn als Künstler ernst zu nehmen.

Zugleich gelang es ihm aber, diese Faktizität des Naturabbilds als vi-

suelles Spektakel zu inszenieren. Die Kultur der Aufklärung mit

ihrem Verlangen, die Dinge offenzulegen, zu bestimmen und zu

klassifizieren war auch eine Kultur der Kommerzialisierung.

Auch Menschen hat Stubbs gelegentlich porträtiert – mit

mäßigem Erfolg, zumindest, was Josiah Wedgwood anbetrifft, einen

seiner wichtigsten Auftraggeber auf diesem Gebiet. Die Verbindung

zu Wedgwood kam zustande, als Stubbs mit Emailfarben auf

Wedgwood-Keramik experimentierte. Wiederholt versuchte er mit

beständigeren Materialien als Ölfarbe auf festeren Bildträgern als

Leinwand zu arbeiten, zuerst mit Emailfarben auf Kupfer (Kat. Nr.

), später mit Malereien auf Keramikplatten (Kat. Nr. ). Obwohl

diese Werke zu Stubbs’ brillantesten und besterhaltenen Arbeiten

zählen, war das Verfahren hochriskant und führte nie zu vollauf zu-

friedenstellenden Ergebnissen. Stubbs’ Vorstoß in die Druckgrafik

und seine Entdeckung der Radierung als eigenständiges kreatives

Medium sind, wie Tim Clayton in diesem Katalog ausführt, ein wei-

terer Beleg für die experimentierfreudige Haltung des Künstlers.

Mit besonderer Ausdauer widmete sich Stubbs den Motiven

der Haymakers und Reapers, mit denen er das Feld der ländlichen

Genremalerei zu erobern hoffte. war er mit diesen beiden Ge-

mälden in der Ausstellung der Royal Academy vertreten, nachdem

er sich seit gar nicht mehr beteiligt hatte (Abb. ‒). zeigte

er sie auf einer Ausstellung der Society for Promoting Painting and

Design in Liverpool. kündigte er zwei Stiche nach den Gemäl-

den als Teil einer Serie von Druckgrafiken an, die schließlich

auf den Markt kam (vgl. Kat. Nr. und ). ⁄ wiederholte er

die Motive noch einmal in Form von drei ovalen Emailgemälden

(Haymakers und Haycarting befinden sich heute in der Lady Lever

Art Gallery in Liverpool, Reapers im Yale Center for British Art in

New Haven). Mit Haymakers und Reapers hoffte Stubbs ein breiteres

Kunstpublikum anzusprechen, wie es sich in jenen Jahren entwi-

ckelte. Drucke ländlicher Szenen, meist in der weichen Tonigkeit der

Punktiermanier ausgeführt – die auch Stubbs für die Reproduk-

tionen der beiden Bilder verwendete –, verkauften sich hervor -

ragend. Adressat dieser Motive war insbesondere ein städtisches

Publikum, das auch die Kunstausstellungen besuchte. Den Städtern

boten diese Motive ein mythisches und idealisiertes Bild vom Land

17

George Stubbs, Reapers,

, Öl auf Holz,

, , cm

London, Tate

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als einem Ort der sicheren, beständigen Werte und eine Bestätigung

dafür, wie sehr doch das Landleben Herz und Seele berührte.

Doch während die Mehrzahl der Bilder von Landarbeitern da-

rauf abzielte, diese möglichst lebensnah und daher mitunter auch in

schmutzigen und zerlumpten Kleidern darzustellen, sowohl zum

Beweis für die ›Natürlichkeit‹ der Szene als auch wegen ihrer ›male-

rischen‹ Qualitäten, treten die Arbeiter bei Stubbs erstaunlich sauber

und ordentlich in Erscheinung. Die Männer tragen Schnallenschuhe

und Kniehosen, in denen das Bücken unbequem gewesen wäre, und

die Frauen modische Kleider. Aus zeitgenössischen Berichten wissen

wir, dass Landarbeiter oft besser gekleidet waren, als wir heute ver-

muten würden, und dass Arbeiterinnen auf dem Feld bisweilen die-

selbe Kleidung trugen wie bei ihren anderen Aufgaben, etwa als

Dienstmädchen, für die ein gewisses Maß an Eleganz unerlässlich

war. Doch selbst gemessen daran erscheinen Stubbs’ Arbeiter außer-

gewöhnlich reinlich gekleidet und dürften damit kaum die sentimen-

talen Reaktionen eines städtischen Publikums hervorgerufen haben,

die mit solchen Bildern eigentlich beabsichtigt waren.

Stattdessen hat Stubbs seine Figuren in einem festen Rhyth-

mus gruppiert. In Haymakers bilden die Arbeiter eine sorgsam kom-

ponierte Pyramide, in der jede Figur eine bestimmte Rolle in einem

vorgegebenen Ablauf übernimmt; in Reapers formen sie eine sanfte

Bewegung unterschiedlicher Tätigkeiten, eingebunden in eine Ku-

lisse aus Kirchturm, berittenem Aufseher und hoch aufragenden

alten Eichen, die die wirtschaftlichen, religiösen und zeitlichen Rah-

menbedingungen ihrer Existenz bezeichnen. Beide Gemälde entwer-

fen das Bild einer strengen Ordnung, die aus heutiger Sicht zu rigide

und unwirklich anmuten mag. Stubbs mag darauf gehofft haben,

dass sein städtisches Publikum in einer Zeit wachsender Probleme

auf dem Land die Gewissheit haben wollte, dass wenigstens die

Landarbeiter streng diszipliniert wären. Doch er sollte sich täuschen.

Als Haymakers und Reapers erstmals öffentlich gezeigt

wurden, fanden die Bilder wenig Anerkennung. Der Kritiker der

Morning Post vom . Mai wies Stubbs’ Ambitionen jedenfalls

scharf zurück: »Als Pferdemaler ist dieser Künstler unerreicht; was

aber seine Schnitter angeht, hätte sein Ruhm keinen Schaden ge-

nommen, hätte er sie gar nicht erst gemalt. Wie schwer ein Mann

doch davon zu überzeugen ist, seinen Stärken zu folgen«. Der Kriti-

ker des Daily Universal Register vom . Mai hielt Stubbs zwar

zugute, dass er »zu seinen vereinigten Brüdern zurückgekehrt ist und

seine feindselige Haltung aufgegeben hat«, indem er nach mehreren

Jahren wieder in der Academy ausstellte, bemerkte jedoch auch: »Die

Stärke dieses Meisters sind Tiere; den Figuren fehlt es zweifellos an

Geschmack in der Anlage, und die Komposition erscheint insgesamt

zu gotisch«. Der Begriff ›gotisch‹ steht hier für eine als unzeitgemäß

empfundene Formalisierung, die man heute eher mit der Frührenais-

sance assoziieren würde. Er verweist aber auch ganz allgemein auf

die nüchterne Präzision, mit der Stubbs seine Motive in eine etwas

trocken anmutende, sperrige Komposition gekleidet hat. Das ent-

sprach wiederum gar nicht den ästhetischen Vorgaben der Akade-

mie, deren erklärtes Ziel eine mehr poetisch durchdrungene Auf -

fassung war, die den Intellekt und die schöpferische Kraft des

Künstlers reflektierte. Die ›gotische‹ Künstlichkeit dieser Darstellun-

gen jedenfalls dürfte der Grund dafür gewesen sein, dass sie, falls

sie überhaupt dafür gedacht waren, am Ende nicht markttauglich

waren.

Die zeitgenössische Kritik an Haymakers und Reapers zeigt,

dass Öffentlichkeit und Sammler nicht bereit waren, in Stubbs etwas

anderes als einen ›Sporting Artist‹ zu sehen. Wie Brian Allen in sei-

nem Beitrag zeigt, beeinflusste die Tatsache, dass Stubbs ›nur‹ als

Pferdemaler eingestuft wurde, seine Rezeption bis weit in das .

Jahrhundert hinein. Der in der oben zitierten Kritik enthaltene Vor-

wurf, Stubbs’ Gemälde wirkten unnatürlich, ist dagegen schwerer

nachzuvollziehen, wenngleich solche Vorwürfe damals tatsächlich

erhoben wurden. Ein Zeitungskritiker etwa erblickte in einem

ausgestellten Stubbs-Gemälde von Kühen »unnatürliche, kalte und

tönerne Szenen«.10Man neigt dazu, über derartige Äußerungen hin-

wegzusehen oder sie als voreingenommen und unqualifiziert abzu-

tun. Doch sollte man bedenken, dass für den ›Naturalismus‹ in der

Kunst keine universellen Normen existieren, im . Jahrhundert

ebenso wenig wie heute. Kritikern und Kommentatoren, die eine

akademischere Definition des malerischen Realismus verfochten,

eines Realismus, der die Erscheinungen der Natur veredelte und zu

einem zeitlos vollkommenen Ideal perfektionierte, mussten Stubbs’

Gemälde mit ihrer sorgfältigen Behandlung kleinster Details und

ihrem Interesse an Texturen und Lichteffekten ›unnatürlich‹, ja sogar

hässlich und verwirrend vorkommen.

D I E L E T Z T E N J A H R E

Während also Stubbs von der gesellschaftlichen Elite, vom Adel ge-

fördert wurde und auch von anderen Seiten Unterstützung erfuhr

und Anerkennung erhielt, bestanden gleichwohl weiterhin Zweifel

am Wesen seiner Kunst und den Beschränktheiten des Genres, mit

dem er am stärksten identifiziert wurde – der ›Sporting Art‹. Kritik

und Öffentlichkeit waren nicht bereit, in Stubbs mehr zu sehen als

›nur‹ einen Maler von Pferden und Hunden.

18

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Angesichts der neueren Tendenz, in Stubbs einen heroischen

Verfechter eines aufklärerischen Naturalismus zu sehen, der sich

nicht um Geld und Konventionen scherte, überrascht seine maßgeb-

liche Beteiligung an einem kommerziellen Projekt. Bereits im fortge-

schrittenen Alter hob er gemeinsam mit seinem Sohn die Turf

Gallery aus der Taufe. Den von Judy Egerton veröffentlichten Re-

cherchen David Oldreys zufolge waren die Erben von Colonel

Denis O’Kelly (dem Besitzer des berühmten Rennpferds Eclipse) die

treibende Kraft hinter dem Projekt.11 In der Galerie sollten Stubbs’

Gemälde berühmter Rennpferde gezeigt und Subskribenten für die

Drucke gewonnen werden, die George Townley Stubbs nach den Ge-

mälden des Vaters anfertigen würde. Die Serie sollte Porträts um-

fassen, begleitet von einer Chronik des Pferderennsports. Die Arbeit

an der Turf Gallery nahm Stubbs sehr in Anspruch. Zwischen

und beteiligte er sich an keiner Ausstellung der Royal Academy,

sodass das Sporting Magazine die Eröffnung der Turf Gallery in der

Londoner Conduit Street als Gelegenheit pries, endlich wieder

Werke von Stubbs in der Öffentlichkeit zu sehen. In den Jahren

zuvor hatte es mehrere ähnliche Projekte gegeben. Von größter Be-

deutung waren dabei die Gemäldegalerien, die die Ver leger John

Boydell, Robert Bowyer und Thomas Macklin gegen Ende der

er Jahre gegründet hatten. Mit den dort ausgestellten Gemälden

britischer Künstler mit literarischen und historischen Themen sollten

ebenfalls Kunden für grafische Reproduktionen der Bilder geworben

werden. Obwohl die Turf Gallery wohlwollend aufgenommen wurde

und das Sporting Magazine ausführlich berichtete, scheint das öffent-

liche Interesse sehr begrenzt gewesen zu sein. Nach der Veröffentli-

chung nur einiger weniger Stiche wurde die Galerie wieder ge-

schlossen. Laut Humphrys Memoir hatte der Krieg mit Frankreich die

Ausfuhr von Druckgrafik verhindert und so das Geschäft unrentabel

gemacht. Das Scheitern des Projekts könnte aber auch ein Indiz für

die kommerziellen Grenzen der ›Sporting Art‹ sein. Während Pfer-

desportliebhaber sich vielleicht für die Bilder interessierten, gab es

unter den Kunstsammlern offenbar nicht genügend Käufer, die ein

solch ehrgeiziges Projekt zu unterstützen bereit waren.

In der ersten biografischen Veröffentlichung zum Künstler von

Joseph Mayer () heißt es, an Stubbs erinnere man sich, wenn

überhaupt, nur deshalb, weil sein Name auf Stichen in »alten Land-

19

George Stubbs, Hambletonian, Rubbing Down, , Öl auf Leinwand, cm

Mount Stewart House and Garden, County Down, Northern Ireland (The National Trust)

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gasthäusern in Yorkshire« erscheine. Kunsthistoriker kannten ihn laut

Mayer damals nur als »einen Mann, der Rennpferde gemalt hat«.12

Der Welt des Jagd- und Pferdesports konnte Stubbs zeit lebens nicht

entrinnen. gab der junge und temperamentvolle Henry Vane-

Tempest ein Porträt seines Pferdes in Auftrag, das kurz zuvor in

Newmarket Joseph Cooksons Diamond geschlagen und damit Sir

Henry einen beträchtlichen Wettgewinn gesichert hatte. Zeitgenössi-

schen Berichten zufolge trieben beide Jockeys ihre Pferde mit Sporen

und Gerte an, bis sie bluteten. Hambletonian gewann das brutale

Rennen mit einer halben Halslänge. Sein monumentales Porträt

wurde in der Royal Academy ausgestellt, stieß jedoch auf Vorbehalte

(Abb.). In der Presse fand es kaum Erwähnung, und der Morning He-

rald traf die für ein Stubbs-Gemälde ungewöhnliche Feststellung, die

menschlichen Figuren seien besser gelungen als das Pferd, das »nur

eine sehr geringe Vorstellung von seiner überlegenen Schnelligkeit

vermittelt«. Aus nicht bekannten Gründen verweigerte Vane-Tempest

die Zahlung des vereinbarten Honorars. Der Fall kam vor Gericht, wo

George Garrard, Ozias Humphry und Thomas Lawrence zu Stubbs’

Gunsten aussagten, während John Opie und John Hoppner sich »sehr

heftig gegen die Forderung« des Malers aussprachen.13 Stubbs gewann

zwar den Prozess, sein Ruf aber hatte gelitten. Der Maler Joseph

Farington jedenfalls notierte wenig später in seinem Tagebuch, er

habe, nachdem ein potenzieller Auftraggeber ihn nach ei nem geeig-

neten Porträtisten für sein Pferd gefragt hatte, »Garrard empfohlen,

weil ich das Gefühl hatte, Stubbs könnte zu teuer werden«.14

Stubbs’ letztes großes Projekt war eine Serie von Zeichnungen

nach sezierten Tigern, Hühnern und Menschen. Sie sollten als Vor-

20

M a r t i n M y r o n e | Z W I S C H E N M A R K T , N A T U R U N D K U N S T

‒ George Stubbs, A Comparative Anatomical Exposition of the

Human Body with that of a Tiger and a Common Fowl, ‒

Menschlicher Körper im aufrechten Gang, Bleistift, , , cm

Menschliches Skelett im Kriechgang, Bleistift, , , cm

Skelett eines Tigers, Bleistift, , , cm

New Haven, Yale Center for British Art, Paul Mellon Collection

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lagen für die Tafeln einer großen Publikation zur vergleichenden

Anatomie dienen und »die Analogien zwischen dem menschlichen

Körperbau, dem eines Vierbeiners und dem eines Vogels zeigen, mit

einer genauen Beschreibung der Knochen, Knorpel, Muskeln, Seh-

nen, Bänder &c. &c. (die er anschließend auf die Pflanzenwelt aus-

dehnen wollte)«.15 Die mehr als erhaltenen Zeichnungen und

vier Manuskriptbände mit Text (davon zwei in französischer Spra-

che) demonstrieren die gigantischen Dimensionen des Projekts.

Mensch, Tiger und Huhn sind in vergleichbaren Körperhaltungen

dargestellt: von vorn, von der Seite und von hinten, mit und ohne

Haut und bis auf das Skelett reduziert. Unklar bleibt, wie das Projekt

wohl »auf die Pflanzenwelt« hätte ausgedehnt werden sollen.

Stubbs starb im Juli , ohne die Comparative Anatomy voll-

ständig veröffentlicht zu haben. Humphry zufolge waren seine letz-

ten Worte: »Den Tod fürchte ich nicht, ich verspüre keinen beson-

deren Wunsch weiterzuleben. Tatsächlich hatte ich gehofft, meine

Comparative Anatomy zu vollenden, bevor ich gehe, aber um an-

dere Dinge sorge ich mich nicht«.16 Am Ende seiner mehr als sechs

Jahrzehnte währenden Laufbahn als Künstler scheint Stubbs hoch

verschuldet gewesen zu sein, insbesondere bei Lady Isabella Salton-

stall. Der Erlös der Nachlassauktion floss an sie, und Joseph Faring-

ton vermerkte in seinem Tagebuch: »Es heißt, nachdem ihre An-

sprüche befriedigt sind, wird nicht mehr viel übrig sein.«17 Man

könnte dies als ein Indiz für die Selbstvergessenheit eines Künstlers

werten, der ohne Rücksicht auf materielle Belange sein Leben ganz

der Kunst gewidmet hat. Es spricht jedoch vieles dafür, dass dies

eher ein Hinweis auf Stubbs’ stetes – und nur bedingt erfolgreiches

– Bemühen ist, seine Fähigkeiten und Interessen einem komplizier-

ten und veränderlichen Markt anzupassen. Bei der Versteigerung sei-

nes künstlerischen Nachlasses verkauften sich die Emailgemälde

und Porträts exotischer Tiere sehr gut, die weniger aufregenden Pfer-

deporträts aus der Turf Gallery dagegen eher schlecht, und die Dru-

cke, die eigentlich als finanzielle Absicherung des Künstlers gedacht

waren, fanden kaum Interesse.

Die Comparative Anatomy hätte Stubbs’ letztes großes Werk

und künstlerisches Vermächtnis werden sollen, doch die Veröffent-

lichung der Drucke hat kaum ein Zeitgenosse zur Kenntnis genom-

men. Zwar war der Gedanke einer vergleichenden Anatomie von

Mensch und Tier in der Zeit geläufig, Stubbs jedoch war zu einer

isolierten Figur geworden, und seine Darstellungen wirken heute

seltsam befremdlich. Wie das künstlerische Werk in seiner Gesamt-

heit mag man sie als Ausdruck einer singulären künstlerischen Vor-

stellung verstehen. Die Illustrationen streben nach einer vollständi-

gen Verschmelzung von Ästhetik und Naturwissenschaft. Jede

einzelne Kreatur wirkt wie lebendig, Beleuchtung und Pose verwan-

deln sie von einem Gegenstand wissenschaftlicher Betrachtung in

ein ästhetisches Objekt (Abb. ‒). Aus historischer Sicht ließe sich

die Comparative Anatomy als ein letztes Monument des aufkläreri-

schen Glaubens an die Macht der Bilder verstehen, die uns von der

Wahrheit überzeugen soll. Stubbs’ begrenzter kommerzieller Erfolg

aber und die schon zu Lebzeiten wie auch später geäußerten Zweifel

an seiner künstlerischen Stellung deuten auf einen komplexeren In-

teressenskonflikt hin: die Diskrepanz zwischen seinen persönlichen

künstlerischen Idealen, der Wirklichkeit der Kunstwelt und den un-

terschiedlichen geistigen und ästhetischen Ansprüchen seiner Auf-

traggeber, der einfachen Kulturkonsumenten wie den konkurrieren-

den Berufsgruppen. Angesichts der Makellosigkeit seiner Gemälde

mag es vielleicht unangemessen erscheinen, von einem ›Scheitern‹

als Künstler zu sprechen. Doch gerade dieses ›Scheitern‹, die Fremd-

artigkeit und die aus mancherlei Sicht mangelnde Kohärenz der

Kunst von George Stubbs haben dazu beigetragen, dass sie Bestand

hat und uns noch heute fasziniert.

1 »I suggest, he is unique (certainly among his contemporaries) in having followed

his own bent, unswayed by the prevailing grand manner or by sensationalism,

remaining faithful to his preferred subject-matter despite awareness that it was

deemed to occupy only a lowly place in the academic hierarchy; and, in pursuing

his own projects, unconcerned with making money«. Egerton, George Stubbs, 2007,

S. 97f.

2 »… to qualify himself for painting Rural, Pastoral & familiar subjects in History as

well as portraiture.« Zur Geschichte des Memoir von George Stubbs, das Ozias

Humphry auf der Basis von Gesprächen mit dem alternden Künstler verfasste,

siehe Egerton, George Stubbs, 2007, S. 10. Für diesen Beitrag wurde die erste voll-

ständige Abschrift des Manuskripts von Helen Macintyre herangezogen,

veröffentlicht in Ausst. Kat. Fearful Symmetry, 2000, S. 195–212, hier: S. 201.

3 Ausst. Kat. Fearful Symmetry, 2000, S. 202.

4 »It does not appear that whilst he resided in Rome he ever Copied one picture or

even designed one subject for an Historical Composition; nor did he make one

drawing or model from the antique.« Vgl. Ausst. Kat. Fearful Symmetry, 2000, S. 202.

5 Ebenda, S. 211.

6 »As soon as a race horse has acquired some fame, they have him immediately

drawn to the life: this for the most part is a dry profile, but in other respects

bearing a good resemblance; they generally clap the figure of some jockey or

other upon his back, which is but poorly done.« André Rouquet, The Present State

of the Arts in England, London 1755, S. 58.

7 Pierre-Jean Grosley, A Tour to London, or, New Observations on England, and its

Inhabitants, 2 Bde., aus dem Französischen übersetzt von Thomas Nugent,

London 1772, hier: Bd. 2, S. 156–158.

8 Daniel Defoe, A Tour Through the Whole Island of Great Britain, Harmondsworth

1971, S. 98.

9 Zur Anwendbarkeit von Bakhtins ›Karneval‹-Begriff auf das Großbritannien des

18. Jahrhunderts siehe Peter Stallybrass und Allon White, The Politics and Poetics

of Transgression, London 1986.

10 »unnatural, cold and clayey scenes«; vgl. Egerton, George Stubbs, 2007, Nr. 107.

11 Ebenda, S. 547.

12 Joseph Mayer, Early Exhibitions of Art in Liverpool with some Notes for a Memoir of

George Stubbs, Liverpool 1876, S. 93.

13 Kenneth Garlick et al. (Hrsg.), The Diary of Joseph Farington, 17 Bde., New Haven

und London 1978–1998, hier: Bd. 4, S. 1536.

14 Ebenda, S. 1574.

15 »… shewing the analogy between the Human frame, the Quadruped and the fowl,

giving also an accurate description of the bones, cartilages, muscles, fascias,

ligaments &c &c (which he intended to have carried on to the vegetable world)«;

vgl. Ausst. Kat. Fearful Symmetry, 2000, S. 207.

16 »I fear not death, I have no particular wish to live. I had indeed hoped to have

finished my Comparative Anatomy eer I went, but for other things I have no

anxiety«; vgl. Ausst. Kat. Fearful Symmetry, 2000, S. 208.

17 Garlick 1978–1998 (wie Anm. 13), Bd. 8, S. 3056.

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STUBBS’ ÄSTHETIK

W e r n e r B u s c h

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Ästhetik? Kann es bei einem Künstler, der als bloßer Pferdemaler

gilt und die Dinge so genau wiedergibt, wie sie erscheinen, und sich

dabei auch wissenschaftlich absichert, überhaupt sinnvoll sein, von

Ästhetik zu reden? Haben wir vor seinen Bildern nicht eher den

Eindruck, es handele sich um eine bloße Addition von genau Beob-

achtetem, um ein bloßes Nebeneinanderstellen? Was soll da die

Frage nach der Ästhetik? Kann bloß Dokumentiertes überhaupt

eine Ästhetik haben?

Unser Begriff von Ästhetik ist immer noch, ob wir es wollen

oder nicht, klassisch-idealistischer Natur. Bilder sollen komposito-

risch ausgewogen sein, aber nicht steif und unbeweglich. Möglichst

sollen sie etwas erzählen, sich entfalten, einen Anfang, einen Höhe-

punkt und Abschluss haben. Bilder sollen ein Zentrum haben, auch

in gedanklicher Hinsicht. Dieses Zentrum soll möglichst nicht auf

der senkrechten Mittelachse platziert sein, was Bewegung stillstellen

würde, sondern unseren europäischen Lesegewohnheiten folgend

leicht aus der Mitte nach rechts verschoben sein. Die übrigen Ge-

genstände der Bilder sollen auf dieses Zentrum bezogen sein bzw.

von da ihren Sinn bekommen. Insofern soll ein Bild aus Über- und

Unterordnung bestehen, die Dinge sollen sich möglichst harmo-

nisch fügen. Dankbar sind wir zudem, wenn das Bild eine nachvoll-

ziehbare räumliche Entfaltung aufweist, wenn es Atmosphäre zeigt,

fließende Übergänge.

Zugegeben: Dem widerspricht die Moderne nicht selten in

vielfacher Hinsicht, doch historischer Kunst fordern wir die geschil-

derte lebendige Bildordnung ab, sie bestimmt unseren Bild- und

Kunstbegriff. Stubbs’ Zeitgenossen sahen diese Anforderungen an

das Bild bei seinen Werken nur sehr begrenzt eingelöst. Sie hatten

für seine Kunst ein einfaches Abqualifizierungsmodell parat, das

sich gänzlich klassischer Kunsttheorie verdankt. Für sie war Stubbs

ein reiner Naturnachahmer und von daher waren er und seine

Kunst niedrig einzuschätzen. Dahinter steht der Gedanke, dass ei-

gentliche Kunst die Natur nicht bloß so wiedergibt, wie sie ist, son-

dern wie sie sein soll, und das heißt in idealisierter Form einem be-

stimmten Schönheitsbegriff folgend, einem Idealtypus. Über einen

entsprechenden Schönheitstypus kann der Künstler nach aristote -

lischer oder platonischer Lehre verfügen. Vereinfacht gesagt: Das

eine Mal destilliert er aus dem breiten Wirklichkeitsangebot einen

idealen Typus heraus, das andere Mal ist er göttlich inspiriert, schaut

im Geiste die reine Schönheit und bringt sie in seinem Werk zur An-

wendung. Die eine Schönheit entsteht a posteriori, als Resultat von

Erfahrung und Studium, die andere stellt sich a priori beim begeis-

terten Künstler ein und entäußert sich im Schaffensrausch.

Der bloß nachahmende Künstler dagegen verfährt mecha-

nisch, uninspiriert und unintellektuell, rein handwerklich. Das, was

er vor sich sieht, überträgt er möglichst eins zu eins, ohne Rest, je-

denfalls nach dieser Vorstellung, ins Bild. Nun hat die klassische

Theorie nicht nur ein Schönheitsideal propagiert, sondern, vielleicht

noch wichtiger und eng mit dem Idealentwurf verflochten, eine Hie-

rarchie der Gegenstände bzw. Gattungen der Malerei. Diese Hierar-

chie hatte spätestens seit dem . Jahrhundert Gültigkeit, doch end-

gültig ausformuliert wurde sie erst überraschend spät: in André

Félibiens »Préface« zu seiner Herausgabe der Conférences von ,

also der Diskussion über bestimmte, besonders hervorragende Bil-

der an der französischen königlichen Akademie der Künste unter

dem Vorsitz des Akademiepräsidenten Charles Lebrun. Félibien

schreitet fort von den niederen zu den hohen Gegenständen, von

den unbelebten zu den belebten und steigert diese in ihrer Bedeut-

samkeit. Ganz unten ist das Stillleben angeordnet, der französische

Begriff ›nature morte‹ verweist ausdrücklich auf ihre Leblosigkeit.

Dem folgt die Landschaftsdarstellung, auch sie ist im Kern unbeweg-

lich. Die folgenden Tierdarstellungen beschäftigen sich immerhin

schon mit Lebewesen, aber sie erregen nicht unser individuelles In-

teresse. Das tut allein der Mensch. Seine Wiedergabe im Porträt

zeigt den Maler zwar auf dem Wege zu den höchsten Gegenständen,

doch ist das Porträt, selbst wenn es schon eine Tendenz zur Verschö-

nerung aufweist, immer noch primär Naturnachahmung, schließlich

geht es um Ähnlichkeit. Erst der Übergang von der Einzelfigur zum

Figurenensemble durch die Erstel lung eines szenischen Zusammen-

hanges, das Erzählen einer Geschichte von exemplarischem Charak-

ter – bedeutend in der Geschichte, gefällig in der Dichtung – er -

öffnet den Weg zur Perfektion. Allerdings – und hier überbietet

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UNVERKÄUFLICHE LESEPROBE

Herbert W. Rott, Brian Allen, Werner Busch, TimClayton, Oliver Kase, Martin Myrone, Francis Russell

George Stubbs (1724-1806)Die Schönheit der Tiere. Von der Wissenschaft zur Kunst

Gebundenes Buch mit Schutzumschlag, 240 Seiten, 25x30150 farbige AbbildungenISBN: 978-3-7913-5169-8

Prestel

Erscheinungstermin: Februar 2012

Edle Pferde, Reiter, Hunde – ein außergewöhnlicher Bildband Der englische Tiermaler George Stubbs ist der bedeutendste Vertreter der sogenannten„sporting art“, die sich im 18. Jahrhundert zu einem Höhepunkt entwickelte. Pferdezucht,Rennsport und Jagd sind die Themen dieser edlen und beeindruckenden Gemälde. Gezeigtwerden Porträts von schönen Rassepferden und ihren Reitern, von Hunden, Jagdszenen undwunderbare Landschaften. Mit subtil ausgewogenen, gelegentlich kühnen Kompositionenerreicht Stubbs eine Klassizität mit Bildinhalten, die dem Leben einer prosperierendenOberschicht entnommen sind. Stubbs’ schönste Gemälde werden erstmals in einer deutschsprachigen Monografie gezeigt,die anlässlich einer Ausstellung in der Neuen Pinakothek erscheint, der ersten Schau zudiesem Künstler in einem europäischen Museum außerhalb Großbritanniens. Der Band ist reichbebildert mit Gemälden, Zeichnungen und Druckgrafiken – ein besonderes Geschenkbuch füralle Kunst- und Pferdeliebhaber. Begleitbuch zur Ausstellung.