geschichte des urchristentums ein konstruktionsversuch · entschärfung kultisch-ritueller gebote...

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Prof. Dr. Stefan Schreiber WiSe 2008/09 Geschichte des Urchristentums Ein Konstruktionsversuch Kurzskript Inhalt Einführung 1. Die Zeit Jesu von Nazaret 1.1 Die Überzeugung Jesu: Gottes Königsherrschaft 1.2 Die Praxis der Königsherrschaft Gottes 2. Zäsur: Tod und Erweckung Jesu 2.1 Der Tod Jesu 2.2 Die Erweckung Jesu 2.3 Eine historische Konstruktion der Osterereignisse 2.4 Die Anfänge der Jerusalemer Gemeinde 3. Die erste Generation 3.1 Die Jerusalemer Gemeinde Längsschnitt 1: Überzeugung 3.2 Die Gemeinde in Antiochia – und die ersten Heidenchristen 3.3 Die antiochenische Heidenmission: der Weg in den Konflikt 3.4 Das Jerusalemer Treffen: ein gemeinsamer Lösungsversuch 3.5 Unterschiedliche Wege 3.6 Die paulinische Mission Längsschnitt 2: Urchristliche Riten 3.7 Die Gemeinde in Rom 4. Zäsur: Der Tod der ersten Generation 4.1 Der Tod der urchristlichen Führungsfiguren 4.2 Veränderungen im Beziehungsdreieck Juden – Römer – Christen 4.3 Das Ende der Jerusalemer Gemeinde 5. Die zweite und dritte Generation 5.1 Strömungen innerhalb der zweiten/dritten Generation 5.2 Das Verhältnis zum Judentum 5.3 Geographischer Überblick 5.4 Tradierungsprozesse 5.5 Die Bedeutung der Ortsgemeinden 5.6 Verortung in der hellenistisch-römischen Lebenswelt Längsschnitt 3: Die Entwicklung des Gemeindeamtes Längsschnitt 4: Die Christen und das Imperium Romanum

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Prof. Dr. Stefan Schreiber

WiSe 2008/09

Geschichte des Urchristentums

Ein Konstruktionsversuch

Kurzskript

Inhalt Einführung

1. Die Zeit Jesu von Nazaret 1.1 Die Überzeugung Jesu: Gottes Königsherrschaft

1.2 Die Praxis der Königsherrschaft Gottes

2. Zäsur: Tod und Erweckung Jesu 2.1 Der Tod Jesu 2.2 Die Erweckung Jesu

2.3 Eine historische Konstruktion der Osterereignisse

2.4 Die Anfänge der Jerusalemer Gemeinde

3. Die erste Generation 3.1 Die Jerusalemer Gemeinde Längsschnitt 1: Überzeugung

3.2 Die Gemeinde in Antiochia – und die ersten Heidenchristen 3.3 Die antiochenische Heidenmission: der Weg in den Konflikt 3.4 Das Jerusalemer Treffen: ein gemeinsamer Lösungsversuch 3.5 Unterschiedliche Wege 3.6 Die paulinische Mission Längsschnitt 2: Urchristliche Riten 3.7 Die Gemeinde in Rom

4. Zäsur: Der Tod der ersten Generation 4.1 Der Tod der urchristlichen Führungsfiguren 4.2 Veränderungen im Beziehungsdreieck Juden – Römer – Christen 4.3 Das Ende der Jerusalemer Gemeinde

5. Die zweite und dritte Generation 5.1 Strömungen innerhalb der zweiten/dritten Generation 5.2 Das Verhältnis zum Judentum 5.3 Geographischer Überblick 5.4 Tradierungsprozesse 5.5 Die Bedeutung der Ortsgemeinden 5.6 Verortung in der hellenistisch-römischen Lebenswelt Längsschnitt 3: Die Entwicklung des Gemeindeamtes Längsschnitt 4: Die Christen und das Imperium Romanum

Geschichte des Urchristentums WS 2008/09 Stefan Schreiber 2

Einführung 1. Wie schreibt man Geschichte?

„Geschichte“ als Sinnzusammenhang ist eine Verschränkung von Fakt und Fiktion

gilt schon für historia in Antike, auch für Apg

2. Geschichte des Urchristentums oder Theologie des Neuen Testaments?

Theologie des NT hat Kanon zum Gegenstand – dogmatisch grundgelegt, Systematik

Geschichte sucht einen historischen Zugang

theologische Diskurse im kulturellen Kontext verstanden

3. Zum Begriff „Urchristentum“

Beschreibungssprache – Quellensprache

(1) Unterscheidung einer formativen Phase vom späteren „Christentum“

ist noch Teil des Judentums – Trennungsprozess

(2) keine Normativität ausgedrückt

4. Abgrenzung und Einteilung

in Forschung umstritten:

(1) gehört Jesus zu einer Geschichte des Urchristentums?

• CONZELMANN: Beginn erst mit auferstandenem Jesus (Ostern)

• Jesus als Bestandteil – Kontinuität: überlieferungsgeschichtlich und soziologisch

(2) Ende?

CONZELMANN: vor Lukas: Idee des apostolischen Zeitalters, danach „frühkatholische“ Kirche

LOHSE: mit Abschluss des Trennungsprozesses zwischen Synagoge u. Kirche (Anfang 2. Jh.)

THEIßEN: Abschluss des Aufbaus d. neuen Zeichensystems – Kanonbildung

FRANKEMÖLLE: erst mit „Christentum“ (eigenes Bekenntnis/Ritus) – Konzil von Chalkedon

mein Modell – angeregt von J. BECKER (2007)

Leitlinie: zwei Zäsuren und deren Bearbeitung

1. Tod Jesu und „Ostern“

2. Tod der ersten christlichen Generation

=> fünf „Perioden“

Ende des Urchristentums:

Traditionsströme zur Verfügung gestellt, Traditionsgrundlage gelegt

Geschichte des Urchristentums WS 2008/09 Stefan Schreiber 3

Mitte des 2. Jh. neue Entwicklungen

• Traditionen in neuen geistigen Rahmen gestellt: griechisch-römische Geisteswelt

Gnosis

ThEv

Johannes-Kommentar des Herakleon (160-180)

Apologeten (zuerst um 150 Justin)

• Kanonfrage

Markion (um 140)

5. Quellen

NT

Apostolische Väter: 1 Clem, Did, IgnBriefe u.a.

ThEv?

kaum nichtchristliche Quellen

Geschichte des Urchristentums WS 2008/09 Stefan Schreiber 4

1. Die Zeit Jesu von Nazaret Lit.: S. SCHREIBER, Begleiter §§ 110-118.123f.

Zeit: etwa 28-30 n.Chr.

Problem: Reformkonzept in Israel vermitteln

Quellen

Schriften: keine

Traditionen: Jesus-Tradition der Evangelien – stark „biographisch“ bearbeitet

Strategien: aktives Vertrauen auf Gottes Wirken (Lebensweise)

Gemeinschaftsbildung – als Ort einer neuen Lebenspraxis

Jesus war Jude

innerjüdische Reformbewegung, mit eschatologischer Ausrichtung

1.1 Die Überzeugung Jesu: Gottes Königsherrschaft

Beginn der Königsherrschaft (Basileia) Gottes schon jetzt!

–> frühjüdische Vorstellung aufgegriffen (und neu gesagt)

Gegenwarts- und Zukunftsperspektive verbunden

Wachstums-Gleichnisse: Saat (Mk 4,26-29), Senfkorn (Mk 4,30-32 parr), Sauerteig (Mt 13,33/Lk 13,20f.)

Heilserfahrung bereits in der Gegenwart (Heilungen, Exorzismen)

apokalyptischer Rahmen: Neuwerdung der Welt

Beginn mit Person Jesu (vgl. Lk 11,20) – Wirken Gottes im Fokus

1.2 Die Praxis der Königsherrschaft Gottes

• soziologisch

Konstituierung einer Gemeinschaft

in den Dörfern (z.B. Mk 10,29f.) und Wanderexistenz (Schülergruppe)

die Zwölf – Repräsentanten der endzeitlich restituierten Stämme Israels (Jes 11,12; Mich 2,12f.)

Besonderheiten:

(1) Präsenz von Frauen (Mk 15,40f.; Lk 8,1-3), auch Ehefrauen der Zwölf

(2) Zöllner und Sünder integriert (Mk 2,16; Lk 7,34); Kranke (Mk 5)

(3) Wanderexistenz

=> durchbricht die soziale Ordnung

• traditionstheologisch

freie Tora-Auslegung –> Integration statt Grenzziehung

Entschärfung kultisch-ritueller Gebote (Sabbat, Reinheit)

Verschärfung zwischenmenschlicher Gebote (Ehe, Liebesgebot)

Tempelkritik: Tempelwort Mk 14,58, Tempelaktion Mk 11,15-17

Funktionen des Tempels (Reinigung von Verfehlungen) überflüssig

Geschichte des Urchristentums WS 2008/09 Stefan Schreiber 5

2. Zäsur: Tod und Erweckung Jesu Lit.: S. SCHREIBER, Begleiter §§ 48.125-131; L. SCHENKE, Urgemeinde 11-23

Zeit: 30/31 n.Chr.

Problem: Infragestellung Jesu (Kreuz)

und damit der eigenen Identität der Gruppe

Quellen

Schriften: keine

Traditionen: älteste Formeln; Erzählungen auf Basis alter Tradition – stark bearbeitet

Strategien: Rehabilitation Jesu und Neuformulierung des Jesus-Bildes

erneuerte Gruppenidentität

2.1 Der Tod Jesu

• waren die Schüler/innen auf Jesu Tod vorbereitet?

Konflikte mit Tempelautoritäten – scharfe Reaktionen zu erwarten

offenbar von Verhaftung Jesu überrascht – Flucht (Mk 14,50)

letztes Mahl – Todesahnung in Mk 14,25?

• Wirkung

Kreuz: römische Todesstrafe – politischer Verbrecher; vgl. Dtn 21,22f.

• Verhalten der Schülergruppe

Flucht nach Galiläa (Mk 14,28; 16,7)

einige Frauen blieben in Jerusalem (Mk 15,40)

2.2 Die Erweckung Jesu

(1) Formeltradition – 1 Kor 15,3-5.6-8 Denn ich überlieferte euch als erstes, was auch ich übernahm: Christus starb für unsere Sünden nach den Schriften und wurde begraben und ist erweckt worden am dritten Tag nach den Schriften und erschien (�φθη) Kephas, dann den Zwölf. Danach erschien er über fünfhundert Brüdern auf einmal, von denen die meisten bis jetzt leben, einige aber entschlafen sind; danach erschien er Jakobus, dann allen Aposteln; zuletzt aber von allen, gleichsam wie der Fehlgeburt, erschien er auch mir.

historische Auswertung:

„dritter Tag“: symbolisch (Hos 6,2)? – Erscheinungen sehr bald nach Tod Jesu

Erscheinungen

Personen

prophetische Vision (�φθη/er erschien – in Gen 12,7 LXX Theophanie)

1 Kor 9,1

auffällige Häufigkeit der Erfahrungen – subjektiv überzeugt

Funktion: „gemeindepolitische“ Legitimation – Petrus, dann Jakobus

Geschichte des Urchristentums WS 2008/09 Stefan Schreiber 6

konkurrierende Erfahrungen: Kreuzestod – Erscheinungen

–> neue Deutung Jesu: höchste Erhöhung

apokalyptisches Weltverständnis –> neues Selbstverständnis: wir leben in der Endzeit!

(2) Erzähltradition

• Grabeserzählungen – bei Mk, Mt, Lk, Joh

Frauen – leeres Grab – Verkündigung im Wortlaut sehr ähnlich 1 Kor 15,3-5

eigene Jerusalemer Frauen-Tradition?!

• Erscheinungserzählungen

Spuren der Frauen-Tradition (Mt 28,9f.; Joh 20,11-18)

Galiläa/Schülergruppe (Mk 16,7; Mt 28,16-20; Joh 21,1-23)

Jeursalem/Schülergruppe (Lk 24,13-49; Joh 20,19-29)

2.3 Eine historische Konstruktion der Osterereignisse

30 Tod Jesu – Jerusalem

Frauen, u.a. Maria von Magdala blieben in

Jerusalem (Mk 15,40f.)

Flucht der Schüler (Mk 14,50) nach Galiläa

zeitlich nahe am Tod Jesu Erfahrung von

Erscheinungen

zeitlich nahe am Tod Jesu Erfahrung von

Erscheinungen

Erzählungen/Deutungen

(apokalyptischer Rahmen)

Jerusalemer Frauen-Tradition

Ersterscheinung: Maria von Magdala (u.a.

Frauen) – Grab

Mt 28,9f.; Joh 20,11-18

Galiläische Petrus-/Schüler-Tradition

Ersterscheinung: Petrus

Gruppenerscheinung: „Elf“

1 Kor 15,5; Lk 24,34

1 Kor 15; Mt, Lk, Joh

Tendenz: Tradition eher vernachlässigt

mit hoher Wahrscheinlichkeit historisch „politische“ Funktion: Führungsanspruch

historisch, aber evtl. zeitlich nachgeordnet

2.4 Die Anfänge der Jerusalemer Gemeinde

neue Sammlung des Schülerkreises

Deutungen der Ereignisse: Gott greift anders ein als erwartet

und persönliche Erfahrung: Angenommensein („Vergebung“) trotz Scheitern

bald Rückkehr nach Jerusalem (Apg 1-2)

atl Motive: Sammlung der Versprengten in Jerusalem (Zef 3,11-20)

endzeitliche Völkerwallfahrt (Jes 2,2-4/Mich 4,1-4; Sach 4,14-17; 1QM 12,13-16)

Jesus-Anhänger leben auch weiter in Dörfern Galiläas (Trägergruppen der Q-Überlieferung)

Kontinuität zur Zeit Jesu: soziologisch und theologisch

Geschichte des Urchristentums WS 2008/09 Stefan Schreiber 7

3. Die erste Generation

Zeit: 30/31 bis Anfang 60er Jahre

Problem: Position innerhalb des Judentums

endzeitlicher Ausgriff auf die „Völker“

Stellung von „Heidenchristen“ in den Gemeinden (bleibt die „Kirche“ jüdisch?)

–> „Tora-Krise“

Wahrung der Einheit: mit dem Judentum, innerhalb der Jesus-Bewegung

Quellen

Schriften: sieben authentische Paulusbriefe

Traditionen: in Apg aufgenommen

Q-Material (aus Mt/Lk zu rekonstruieren)

Strategien: Jerusalemer Gemeinde als ideelles Zentrum (Grenzen der Differenzierung)

Erschließung weiter geographischer Gebiete (Städte)

verschiedene Weisen der Mission (organisatorische Trennung)

3.1 Die Jerusalemer Gemeinde

„Urgemeinde“?

Quelle: Apg 1-7 – Tendenz: Idealbild des Lukas

Personen der ersten Stunde – Apg 1,12-14

die Zwölf – „Frauen“ – Maria (Mutter Jesu) – Brüder Jesu (Jakobus 1 Kor 15,7)

zwei Gemeindeteile (Apg 6,1)

• Hebräer

Muttersprache Aramäisch

Gruppe um die Zwölf – Petrus als „Sprecher“/Repräsentant

Teilnahme am jüdischen Leben

• Hellenisten

Muttersprache Griechisch

Herkunft aus Diasporasynagogen in Jerusalem

kamen schon sehr früh zur Gemeinde (Apg 2,8-11)

Apg 4,36f. Josef Barnabas aus Zypern

Kontakte über Jesus-Schüler, die Griechisch sprachen

Andreas und Philippus (aus Betsaida: Joh 1,44); Petrus

wichtig für Jesus-Überlieferung!

eigenes Leitungsgremium: Siebener-Gremium (Apg 6,3.5)

vgl. Leitungsgremien in jüdischen Diasporagemeinden

eigene Versammlungen (Sprachgrenze!)

Profil – Stephanus (Apg 6,13f.):

Tempelkritik – Anknüpfung an Tempelkritik Jesu (Mk 14,58)

Tora-Auslegung: stärker ethisch, weniger kultisch-rituell orientiert

Geschichte des Urchristentums WS 2008/09 Stefan Schreiber 8

Lebenspraxis – Summarium Apg 2,42-47 (vgl. 4,32-35; 5,12-16)

– Hausgemeinde

– Brechen des Brotes (= Herrenmahl)

– „Gütergemeinschaft“

Idealbild (vgl. Essener; griechische/römische Staatsphilosophie: idealer Staat)

soziale Einordnung: arme Gemeinde (Apg 6; 11,28-30)

vgl. Berufe: Fischer, Zollpächter Levi

Diaspora-Juden etwas begüterter (Josef Barnabas Apg 4,36f.; Hananias 5,1; Maria 12)

=> ökonomischer Austausch

Verkündigung – um ganz Israel zu erreichen

Inhalt: Jesu Bedeutung + Erinnerung an Jesu Wirken/Worte weitererzählt

Längsschnitt 1: Überzeugung_________________________________________________

mit Jesu Erweckung ist die Äonenwende eingeleitet, hat die Endzeit begonnen

Geisterfahrungen (vgl. Apg 2,1-13)

(1) Formeln

Kontrastformel Apg 4,10b Jesus, den ihr gekreuzigt habt, den Gott erweckt hat aus Toten

Röm 4,24 (Gott) der Jesus unseren Herrn aus Toten erweckte

Röm 1,3f. (a) geboren aus dem Samen Davids nach dem Fleisch, (b) eingesetzt als Sohn Gottes (in Macht)

nach dem Geist der Heiligung aus der Auferstehung von Toten ...

(2) Titel

Identifizierung Jesu mit frühjüdischen Mittlerfiguren

– Christus/Messias (1 Kor 15,3-5; Röm 5,6.8)

– „Sohn Gottes“ (Ps 2,7; 2 Sam 7,14; 4Q174 3,10-13)

– Kyrios/Herr: maranatha/unser Herr komm (1 Kor 16,22; Offb 22,20; Did 10,6)

Kurzformel 1 Kor 12,3 „Herr (ist) Jesus“

Nähe des Menschen Jesus zu Gott

göttliche Macht Jesu überbietet alle hellenistischen Götter und Kulte: 1 Kor 8,4-6

im Rahmen des Monotheismus Israels

Angriff auf Monotheismus erst im JohEv sichtbar: Joh 5,17-30; 10,22-39

Entfaltung/Anwendung

Uminterpretation von totaler Erniedrigung (Kreuz) zu höchster Erhöhung

Gottesknecht Jes 52,13-53,12 – Sterben für andere (Röm 5,5-10)

Philipper-Hymnus Phil 2,6-11

hellenistische Überformung des Christentums?

G. THEIßEN: „Überbietungssynkretismus“ (Vergöttlichung)

D. ZELLER: „unbewusste Angleichung“

Abgrenzung, z.B. Paulus gegenüber griech. „Weisheit“ 1 Kor 1,18-2,16

3.2 Die Gemeinde in Antiochia – und die ersten Heidenchristen

• Anlass: Konflikte innerhalb der Diasporasynagogen (Apg 6,9.12)

Steinigung des Stephanus (Apg 7) und „Verfolgung“/„Zerstreuung“ (8,1)

Geschichte des Urchristentums WS 2008/09 Stefan Schreiber 9

• Zerstreuung: Verkündigung an den Rändern des Judentums

Philippus-Erzählungen in Apg 8

8,4-8 in Samaria

8,26-40 im Küstengebiet zwischen Gaza und Caesarea

Eunuch ist „fast“ Jude/Proselyt – Taufe

• Gemeinde in Antiochia Apg 11,19-26 Teile der „Hellenisten“ – bildeten Gemeinde in Antiochia/Syrien

Hausgemeine(n) – unter dem Dach der jüdischen Synagogengemeinden

fünf Namen in Apg 13,1: kollegiales Leitungsgremium?

• Synagogengemeinden

Vereinsrecht (collegia licita) – Privilegien

als eigene Gemeinschaft klar erkennbar – Identitätsmerkmale

• Anfänge der Heidenmission – Apg 11,20f.

„Gottesfürchtige“

Taufe – Funktion wie Beschneidung

• folgenschwere Entscheidung

Beschneidung im Judentum bedeutendstes Bundeszeichen (Gen 17,2-13)

Begründung? Endzeit: Öffnung Israels für Völker (rituelle Tora verliert an Bedeutung)

• Notiz in Apg 11,26 In Antiochia wurden die Schüler zuerst Christianoi genannt.

Fremdbezeichnung – als eigene Gruppe wahrgenommen; aber innerjüdisch

3.3 Die antiochenische Heidenmission: der Weg in den Konflikt

Lit.: S. SCHREIBER, Chronologie, in: Einleitung 270f.

• Barnabas und Paulus (Apg 11,22-26)

Barnabas: Diasporajude aus Zypern (s.o.) – Jerusalem – Antiochia

Paulus: Diasporajude aus Tarsus, pharisäische Prägung (Phil 3,5f.; Apg 23,6; vgl. Gal 1,14)

Damaskus, dann drei Jahre Mission in Arabien (Gal 1,18) „an den Rändern“

–> Missions-Team in Antiochia (11,26)

• Missionsauftrag – nach Apg 13-14 erste Missionsreise

Missionstyp: Gemeindemission

Aussendung durch Gemeinde in Antiochia (Apg 13,1-3)

Bezeichnung „Ausgesandte“/Apostel (Apg 14,4.14)

Stationen nach Apg 13-14 auf Zypern und in Kleinasien

in Gal 1,21; 2,1 Syrien und Kilikien

Datierung: etwa 13 Jahre, also von 36/37 bis 48/49

Missionspraxis: Gäste in lokalen Synagogen Apg 13,5.14.42-44; 14,1

richtet sich an Juden und Heiden (Gottesfürchtige)

–> gemischte Gemeinden

• Problempotential: freier Umgang mit identity markers in größerem Stil

Geschichte des Urchristentums WS 2008/09 Stefan Schreiber 10

3.4 Das Jerusalemer Treffen: ein gemeinsamer Lösungsversuch

Lit.: S. SCHREIBER, Begleiter § 136; DERS., Chronologie, in: Einleitung 271f.

• Terminologie

• Datierung: 48/49

• Quellen: Gal 2,1-10 – Apg 15

• Anlass: Streit um unterschiedliche Praxis der Heidenmission

–> Relevanz der Grenzziehung durch jüdische identity markers

Konflikt zwischen den beiden bedeutendsten Gemeinden: Jerusalem und Antiochia

• Personen:

Gal 2,9: Paulus, Barnabas (und Titus) – Jakobus, Kephas, der Zebedaide Johannes

anders Apg 15: Petrus auf Seite des Paulus, christliche Pharisäer dagegen, Jakobus vermittelt

streng traditionelle Gruppe in Jerusalemer Gemeinde Gal 2,4f.; Apg 15,5

Titus als „Fallbeispiel“ – unbeschnittener, getaufter Heide (Gal 2,1.3)

• Tragweite der Entscheidung

bleiben die traditionellen Grenzen letztlich gültig oder werden sie neu definiert?

auf dem Spiel steht die vollgültige Integration der Heidenchristen in den Gemeinden

• Ergebnis Gal 2,9b (Kompromiss):

(1) „Wir zu den Heiden, sie (sc. die Jerusalemer Apostel) aber zur Beschneidung“

= Aufteilung des Missionsgebietes unter ethnographischem Aspekt

Anerkennung der antiochenischen Praxis (und des paulinischen Apostolats)

anders Apg 15,20.29: Auflage – Jakobusklauseln

(2) Kollekte (Gal 2,10) – Zeichen der Einheit mit „Muttergemeinde“

• weitere Entwicklungen zeigen, dass nur scheinbar eine klare Einigung erzielt wurde

3.5 Unterschiedliche Wege

• Der antiochenische Zwischenfall Gal 2,11-14 (nicht in Apg) – in unmittelbarer Nähe zum Jerusalemer Treffen

– konkreter Fall: Petrus – „Leute des Jakobus“ (Gal 2,12)

– Reaktion des Paulus: kritisiert Petrus öffentlich – offener Bruch

– Konsequenz des Paulus: verließ Antiochia und Barnabas

seitdem immer wieder Konflikte mit streng gesetzestreuen Judenchristen: Gal, 2 Kor

• Der „Jerusalemer Weg“ der Heidenmission „Apostelbrief“ Apg 15,23-29

–> Jakobusklauseln 15,20.29: Speise- und Eheregeln

Hintergrund Lev 17f. sog. noachitische Gebote

• Die weitere Ausbreitung Mund-zu-Mund-Propaganda in den Kontakten des alltäglichen Lebens

Geschichte des Urchristentums WS 2008/09 Stefan Schreiber 11

• Die Q-Mission

Ort: Galiläa und syrisches Grenzgebiet

Missionare: Wanderradikale (Q 10,4), wohl v.a. Ehepaare (Mt 10,37) – vgl. 1 Kor 9,5

innerjüdische Erneuerungsbewegung – setzt Verkündigung und Lebensweise Jesu fort

–> wichtige Trägergruppe der Jesustradition (Syrien: Sprachenwechsel)

3.6 Die paulinische Mission

• Die Mission

– Stationen

49-56 Reisen nach Kleinasien, Griechenland, Ephesus (Apg 16-19 zweite Missionsreise)

Philippi, Thessaloniki, Korinth (50-52) – Ephesus (52-55)

– Selbstverständnis

Berufung durch Christus

– Motivation

Evangelium betrifft die ganze Welt –> Ausgriff auf römische Zentren, Provinzhauptstädte

– Strategie

Erstverkündigung (Röm 15,20f. wo der Name Christus noch nicht genannt wurde)

setzt auf Ausstrahlung (z.B. Thessaloniki 1 Thess 1,6-8)

– Missionspraxis

Anknüpfung in Synagogen, im alltäglichen Leben – Heiden und Juden

Missionsnetzwerk

großer Kreis an Mitarbeiter/innen (συνεργο�) – Teamarbeit

(1 Thess 3; 1 Kor 4,17; 2 Kor 8; Kol 1,7; 4,12f.)

selbständiges Missionspaar Priska und Aquila (Apg 18,1-3.18-21.26; 1 Kor 16,19)

• Die paulinischen Gemeinden

– Form: Hausgemeinden

– charismatisches Modell: Charismen als Basis (1 Kor 12)

Bild: Leib aus vielen Gliedern = Motto „Einheit in Vielfalt“

„natürliche“ Strukturen

– Grundbegriff für Gemeinde: Ekklesia (�κκλησ�α)

Hintergrund: Vollversammlung der freien Bürger in griechischer Polis, demokratisches Basisorgan

–> in Ekklesia Gottes sind alle gleichberechtigte Bürger!

ungewöhnliche Sozialformen (Gal 3,28)

soziale Schichten verloren Bedeutung

– Probleme:

Streitigkeiten zwischen Hausgemeinden 1 Kor 1,10-12, Einzelgruppen 1 Kor 14

• Paulus und Jerusalem Großprojekt „Kollekte“: demonstriert Verbundenheit

Kollektenreise 55/56 (Griechenland), Pfingsten 56 Jerusalem (Apg 20,16; 21,15)

Annahme der Kollekte fraglich (Röm 15,30-32)

Geschichte des Urchristentums WS 2008/09 Stefan Schreiber 12

Form der Jerusalemer Gemeinde hat sich verändert: Auflösung des Zwölferkreises: 41/42 Märtyrertod des Zebedaiden Jakobus (Apg 12,1f.) um 48/49: „Säulen“ Jakobus, Kephas, Johannes (Gal 2,9) Weggang des Petrus Gal 2,11-14; 1 Kor 9,5 Herrenbruder Jakobus neue Autorität (Apg 12,17; 21,18) Ältestenordnung (Apg 11,30; 15,2.4.6.22f.; 16,4; 21,18)

Verhaftung des Paulus (Apg 21,27-36; 23,23-35)

misslang die Überreichung der Kollekte?

Längsschnitt 2: Urchristliche Riten____________________________________________

• Taufe Anknüpfung an Johannestaufe – eschatologische Sündenvergebung

Konkurrenz zur Beschneidung („Hellenisten“, Paulus)

Paulus Röm 6: Taufe als Grundlage der Christus-Beziehung Oder wisst ihr nicht, dass wir, die wir in den Christus Jesus hinein getauft wurden, in seinen Tod hinein ge-

tauft wurden? Begraben wurden wir also mit ihm durch die Taufe in den Tod, damit, wie Christus erweckt wurde aus Toten durch die Herrlichkeit des Vaters, so auch wir in Neuheit des Lebens wandeln. Denn wenn wir verbunden wurden mit der Gleichheit seines Todes, werden wir dies auch mit der Auferstehung sein. ... So seid auch ihr überzeugt, dass ihr zwar Tote seid für die Sünde, Lebende aber für Gott im Christus Jesus. (Röm 6,3-5.11)

Teilhabe an Jesu Tod und Erweckung

im Taufritus konzentriert erlebbar

Initiationsriten in hellenistischen Mysterienkulten (z.B. Dionysos, Isis/Sarapis):

Apg 2,38: Umkehr; Taufe auf den Namen Jesu Christi; Sündennachlass; Geistgabe

Did 7,1-4 (um 90-120): praktische Anordnungen

• Herrenmahl

„Brotbrechen“ Apg 2,42; 20,7.11; 1 Kor 10,16

neue Deutung eines gebräuchlichen Ritus: beracha/Segenswort und kiddusch/Dankgebet

Deuteworte zu Brot und Becher – Tod Jesu: „für uns“ + neuer Bundesschluss

Herrenmahl in Korinth: 1 Kor 11,17-34

Sättigungsmahl und Symbolhandlung (Brot, Becher) – Rekonstruktion

Problem: soziale Gegensätze brechen beim Herrenmahl auf

11,21: „der eine hungert, der andere ist betrunken“

Praxis des „Herrentags“ vgl. Apg 20,7; Offb 1,10; Did 14,1; IgnMagn 9,1; Barn 15,9

Did 9; 10; 14 Dankgebete zu Becher und Brot, nach Sättigung

Gebete als Vorlage für Mahlfeiern (10,7); ergänzt Abendmahlsworte Jesu (Mt 26,26-30)

Beispiel: Dankgebet über Brot Did 9,3f.

Betreffs des Brotes: Wir danken dir, unser Vater, für das Leben, das du uns offenbart hast durch Jesus, deinen Knecht. Dir die Herrlichkeit in Ewigkeit. Wie dies auf den Bergen zerstreut war und zusammengebracht ein Brot geworden ist, so soll deine Kirche zusammengebracht werden von den Enden der Erde in dein Reich! Denn dein ist die Herrlichkeit und die Kraft in Ewigkeit.

Teilnahmebedingungen: getauft (9,5) und Versöhnung mit Nächstem (14,2)

These: beide Riten sehr früh

Ignatius (Sm 8,2, Anfang 2. Jh.): lokale Tendenz zur amtlichen Fixierung der Riten

Geschichte des Urchristentums WS 2008/09 Stefan Schreiber 13

3.7 Die Gemeinde in Rom

Lit.: S. SCHREIBER, Römerbrief, in: Einleitung 289-291

• in Rom große jüdische Bevölkerungsgruppe, „Gottesfürchtige“

–> Anknüpfungspunkte für judenchristliche „Missionare“,

• Einschnitt: 49 n.Chr. Claudius-Edikt Sueton Claud. 25,4

Diejenigen Juden, die, von Chrestus aufgehetzt, fortwährend Unruhe stifteten, ließ er aus Rom vertreiben.

innerjüdische Streitigkeiten –> Ausweisung der führenden Judenchristen (Apg 18,2)

Beginn eines Trennungsprozesses: Synagogen schützten sich vor „Abweichlern“

–> bei stadtrömischer Verfolgung unter Nero 64 „Christen“ als eigene Gruppe erkennbar

• Grußliste Röm 16,3-16 –> Sozialgestalt der römischen Gemeinden Mitte der 50er Jahre

– Priska und Aquila

– Maria, Tryphäna, Tryphosa, Persis

– von 26 Gegrüßten 9 Frauen, davon 7 eigens gewürdigt

– Andronikus und Junia

– sieben Hausgemeinden

Geschichte des Urchristentums WS 2008/09 Stefan Schreiber 14

4. Zäsur: Der Tod der ersten Generation

Zeit: 60-70 n.Chr.

Problem: Tod der führenden Christen der ersten Stunde

und Wegfall des ideellen Zentrums in Jerusalem

–> zentrale Autoritäten und Traditionsträger fallen aus

Umbruch in den Beziehungen zu den jüdischen Synagogen

und zu den römischen Behörden

Quellen

Schriften: keine

Traditionen: in späteren Texten (Apg, 1 Petr, 1 Clem, Eusebius)

Jos. Ant. 20,200; Tacitus, Ann. 15,44 (außerchristliche Quellen!)

Strategien: „Weitermachen“ (Reflexion?)

Erinnerung und „Verklärung“

Ist-Zustand Anfang der 60er Jahre

Ausbreitung – Zentren

Binnendifferenzierung

Gemeindestrukturen noch sehr offen

4.1 Der Tod der urchristlichen Führungsfiguren

• Tod von Petrus und Paulus wohl Anfang der 60er Jahre in Rom

– Apg 20,24f. (vgl. 21,13)

– Joh 21,18f.

– 1 Petr 5,1

– 1 Clem 5,4-7

– Eusebius, Hist.Eccl. 2,25,5-7 (Anfang 4. Jh.!)

• Tod des Herrenbruders Jakobus 62 in Jerusalem

Jos. Ant. 20,200

–> zentrale Autoritäten und Traditionsträger fallen aus

4.2 Veränderungen im Beziehungsdreieck Juden – Römer – Christen

• Die stadtrömische Christenverfolgung unter Nero 64 n.Chr.

Tacitus, Ann. 15,44

Auswirkungen in Gemeinden („traumatisch“)

Geschichte des Urchristentums WS 2008/09 Stefan Schreiber 15

• Der jüdisch-römische Krieg 66-70

– jüdische Niederlage: 70 Jerusalem zerstört, Tempel niedergebrannt

–> Judentum verliert sein religiös-kulturelles Zentrum

– religiös-kulturelle Neukonstituierung – Pharisäer

–> Schriftensammlung als normative Basis

–> neue Lehrtradition: bestimmte Tora-Auslegung und mündliche Tradition

– Auswirkungen auf frühes Judenchristentum

Exklusivitätsanspruch und eigene Tora-Auslegung nicht akzeptabel

politische Seite: nach Krieg Abgrenzung von „Christus“-Bewegung

• Fazit Gemeinden zunehmend ohne „gesellschaftlichen Ort“:

4.3 Das Ende der Jerusalemer Gemeinde

• Vorgeschichte Konfliktpotential im Verhältnis zur jüdischen Führung in Jerusalem (vgl. Apg 21,18-26)

fragiles Machtgefüge zwischen jüdischer Aristokratie und römischer Behörde in Jerusalem

Hinweise auf Konfliktsituation:

ca. 41/42 Hinrichtung des Zebedaiden Jakobus

Ende der 40er Jahre „Verfolgungen“ in Judäa laut 1 Thess 2,14-16

Paulus etwa 56 in Jerusalem verhaftet

Zuspitzung 62 Hinrichtung des Jakobus

• wohl Auflösung kurz vor dem jüdisch-römischen Krieg

Eusebius, Hist.Eccl. 3,5,3: 66 Flucht nach Pella/Ostjordanland (Peräa)

• nach dem Krieg wieder Gemeinde in Jerusalem

Eusebius, Hist.Eccl. 3,11,1: Anhängergruppe mit Verwandten Jesu

keine weiterreichende Bedeutung mehr

–> Jerusalem als ideelles Zentrum des Urchristentums fällt aus!

Geschichte des Urchristentums WS 2008/09 Stefan Schreiber 16

5. Die zweite und dritte Generation

Zeit: etwa 70 bis Anfang 2. Jh.

Probleme: Bestimmung der Traditionsgrundlage

Verortung in der hellenistisch-römischen Welt:

Organisation – Assimilation – Konfrontationen

Quellen

Schriften: Mk, Mt, Lk, Joh; Apg; Deuteropaulinen; Hebr; kath. Briefe; Offb

1 Clem; Did; Ignatius-Briefe

Plinius d.J., Ep. 10,96 (außerchristliche Quelle!)

Traditionen: wenig in späteren Schriften (Eusebius; Kirchenväter)

Strategien: Fixierung von Tradition (Traditionsströme)

Stabilisierung der Gemeinden durch Strukturen und Ämterordnung

aber punktuell auch: prophetischer Einspruch

Gratwanderung: Übernahme gesellschaftlicher Ordnungsmuster und zugleich

innergemeindliche Ausprägung christlicher Identität (Ethos)

5.1 Strömungen innerhalb der zweiten/dritten Generation

• Forschung die Vielfalt der unterschiedlichen Strömungen und Gruppen betont

H. KOESTER 1980; K. BERGER 21995

„Tübinger Geschichtsbild“ – Ferdinand Chr. BAUR (19. Jh.)

dialektische Einheit: Petrinismus (Ur-MtEv) und Paulinismus (paulinische Briefe)

Synthese: „Katholizismus“ (JohEv!)

Modell von G. THEIßEN

vier Strömungen, d.h. Gruppierungen innerhalb des Urchristentums

• mein Modell: Traditionsströme (siehe nächste Seite)

• Erläuterungen

– Akzentuierungen innerhalb der paulinischen Tradition

z.B. Gedanke der Gegenwart der Auferstehung

2 Tim 2,18 – Kol 2,12 (vgl. Eph 2,5f.)

– Lk/Apg

personales Kontinuitätsschema: Jesus → Zwölf → Paulus

– JohEv

Zusammenhang mit den „Hellenisten“? Samaria, Philippus

eigenprofiliertes Christus-Bild (frühjüdischer Weisheitsmythos)

Verhältnisbestimmung geliebter Jünger – Petrus (Joh 21,15-23)

= Anbindung an die Jerusalemer Tradition

später ThEv

Geschichte des Urchristentums WS 2008/09 Stefan Schreiber 17

Jesus-Gruppen

in Galiläa/Judäa

(Q-Gruppen)

Jerusalemer Gemeinde

Hebräer

Zwölf, Jako-

bus u.a.

Hellenisten

Stephanus, Phi-

lippus u.a.

Gemeinde von

Antiochia

Barnabas, Pau-

lus u.a.

48/49 strenge Juden-

christen

„Falschbrüder“

Jakobus Petrus Barnabas Paulus

70

Prophetische

Tradition

Johanneische

Tradition

Synoptische

Tradition

Jerusalemer

Tradition

Paulinische

Tradition

(Q) (Q) Mk Kol 2 Thess

Jak Eph

JohEv Mt Lk Apg (Hebr)

Offb

JohBriefe (Jud)

1 Petr

(1 Clem) Past

100 Did

Ign 2 Petr

Hermas

(Monta-

nisten)

HebrEv EbEv

ThEv NazEv

(Ign)

Barn

5.2 Das Verhältnis zum Judentum

• auf organisatorischer Ebene: Trennung Gemeinde – Synagoge (Abgrenzung Did 8,1)

• Judentum religionsgeschichtliche Bezugsgröße (Basis bzw. Bestandteil Israels)

– Paulus: Röm 13,8-10; Röm 9-11

– Hebr: Typologie

– Mt: Bergpredigt als neue Tora-Auslegung

– Lk: Jesus-Bewegung aus dem Herzen Israels (Lk 1-2), Urgemeinde am Tempel (Apg 1-3),

versteht Gemeinde als Teil des Volkes Israel (= λα�ς)

– prophetische Tradition: judenchristliche Züge (Q, Offb, Hermas)

Geschichte des Urchristentums WS 2008/09 Stefan Schreiber 18

LXX – „christologische Hermeneutik“:

Vorausdeutung auf Jesus, Beispielgestalten, Gebote (Ethik), Gottesbild

• Judenchristen als eigene soziale Größe in einigen Gegenden Palästinas, z.B. Pella

spätere Schriften: NazEv, EbEv, HebrEv

5.3 Geographischer Überblick

• Kleinasien

– paulinische Gemeinden breiten sich aus – Beleg: Kol

– Jerusalemer Tradition – 1 Petr

– prophetische Tradition – Offb

=> große Zahl an Gemeinden, Vielfalt an Traditionsströmen

– römische Außenwahrnehmung – Plinius´ d.J., Ep. 10,96,9f.

Dominanz der Christen

Gegenmaßnahmen – Assimilationsdruck

• Antiochia (Syrien)

– MtEv?

– Did (ca. 90-120)

– Ignatius (nach 100) – Situation in Antiochia: Gruppenkonflikt

vergeistigtes Christentum – individualisierende Züge

Ignatius: konkrete Nachfolge, Einheit unter einen Episkopos

– joh Tradition???

• Griechenland

Korinth – vgl. 1 Clem

• Rom

– MkEv?

– LkEv?

– 1 Clem

• Palästina

Judenchristen

5.4 Tradierungsprozesse

• Vergewisserung der eigenen Herkunft

vgl. in römischer Kultur: mos maiorum

Eph 2,20; Apg 1,21f.

• Verschriftlichung und Literarisierung der Erinnerung an Jesus,

Bewahrung des Erbes der Apostel

literarische Formen: Viten, Historia, Briefe

• Ergebnis: Traditionsströme

Geschichte des Urchristentums WS 2008/09 Stefan Schreiber 19

5.5 Die Bedeutung der Ortsgemeinden

• Wandermissionare existierten bis ins 2. Jh.

Beispiel: Peregrinos Proteus (+ 165) – Lukian, De morte Peregrini 11-13.16

• Mt 7,15-20 „Falschpropheten“, Kriterium: „an ihren Früchten sollt ihr sie erkennen“

• Did 11 Distanzierung gegenüber Wanderlehrern, -aposteln, -propheten

prüfen auf Übereinstimmung; Apostel nur ein/zwei Tage beherbergen

• 2 Joh 9-11 abweichende Lehre – nicht „ins Haus aufnehmen“

dann Konflikt in 3 Joh 9f.: Diotrephes weist alle Wanderpropheten ab

5.6 Verortung in der hellenistisch-römischen Lebenswelt

• Voraussetzungen – organisatorische Trennung von lokalen Synagogen

– Naherwartung wird schwächer

• Tendenzen (1) feste Ordnung der Gemeinden: Strukturen etablieren sich

(2) Anpassung an Kultur der Umwelt

–> eines der Hauptprobleme der 2./3. Generation

–> Gegenreaktion: Plädoyer für eine christliche „Gegenwelt“, eine eigene „Kultur“

Mt 18 – LkEv – 1 Petr – Offb

• verschiedene Konzeptionen der Lebensgestaltung

Offb Past

gleicher Ort: Kleinasien; etwa gleichzeitig

apokalyptischer Großangriff auf den römi-

schen Kaiser und die römische Kultur

Mythos

Schärfe der Bilder

Lebensordnung der Gemeinden in paulini-

scher Tradition

Paulus als Identitätsfigur; Evangelium als paratheke

(1 Tim 6,20); „gesunde Lehre“ (2 Tim 4,3); Ämter

dahinter steht

kulturelle Auseinandersetzung:

Distanzierung von römischer Kultur,

Besinnung auf das christliche Proprium

und die jüdischen Wurzeln

Gemeinden innerhalb der römisch gepräg-

ten Gesellschaft lebensfähig machen:

Haustafeln, Ständeordnung

Organisation wie „großes Haus“

innergemeindliche Gruppendifferenzierung („Gegner“)

innergemeindliche Krise: Angriff auf

Gruppe der „Nikolaiten“

Vorwurf: fehlende Abgrenzung

Unzucht, Götzenopferfleisch

vermieden Reibungsflächen nach außen,

Ausgrenzung

innergemeindliche Konkurrenz: Angriff auf

„Falschlehrer“ (1 Tim 1,3-7; 4,1; 6,3-5 u.ö.)

Vorwurf: jüdische Elemente

Beschneidung, Gesetz, „jüdische Geschichten“;

Speisevorschriften (1 Tim 4,3-5)

prophetische Ausrichtung

Abgrenzung gegenüber der „Welt“

Geschichte des Urchristentums WS 2008/09 Stefan Schreiber 20

unterschiedliche Strategien:

scharfe Abgrenzung

um Anpassungstendenzen zu widerstehen

Offb 18,4 „Geht hinaus aus ihr (sc. der

Stadt), mein Volk, dass ihr nicht teilhabt

an ihren Sünden!“

Anpassung/Reduzierung der Distanz

Integration in die gesellschaftliche Ordnung

Tit 1,15 „Den Reinen ist alles rein.“

zwei gegensätzliche christliche Antworten!

–> entsprechen sich die Gruppierungen wechselseitig?

real existierende Ämter völlig ignoriert

Johannes lebt selbst als Wanderprophet

Ämterordnung als zentrales Strukturmoment

Fokus auf Leitern ortsansässiger Gemeinden

• zeigt das Konfliktpotential verschiedener Traditionsströme

(Geist/Prophetie – Ordnung/Amt)

• deutlich, dass Kategorien Orthodoxie/Häresie (für Frühzeit) nicht greifen

• muss das Fazit lauten: gegenseitige Verwerfung – oder Ergänzung?

Längsschnitt 3: Die Entwicklung des Gemeindeamtes ____________________________

(1) Die erste Generation

• Hausgemeinden

charismatische Struktur (Begabungen)

• Terminologie für Funktionen noch völlig offen

nicht-technischer Sprachgebrauch, z.B. „Sich-Mühende“

oder Funktionen aus der Umwelt, z.B. Phil 1,1 Episkopen und Diakone

auch Frauen beteiligt, vgl. Röm 16,1f. Diakonin Phöbe

(2) Die zweite/dritte Generation

• Ältestengremium weite Verbreitung (Eph; Apg; Jak 5,14; 1 Petr 5,1-5; Past; 1 Clem)

• 1 Clem

– Absender – Briefanlass – Motivation

– Argumentation in 42-44

1. Einsetzung der Amtsträger als Legitimation

Gott → Christus → Apostel → Episkopen/Diakone → sollen die Reihe fortsetzen

2. Rekurs auf atl Kultordnung (als Modell – argumentiert typologisch)

Hohepriester, Priester, Leviten, Laien (!) je eigene Aufgaben (40,5)

– historisch: Strukturen und Verhältnis der Ämter in Rom und Korinth Ende 1. Jh. noch offen

Geschichte des Urchristentums WS 2008/09 Stefan Schreiber 21

• Did

– Ämter der Episkopen und Diakone (Did 15,1f.)

Funktionen? Finanzverwaltung, evtl. Gottesdienst-Vorsitz/Organisation

15,3: Zurechtweisung und Buße Sache der ganzen Gemeinde

– Übergangszeit: Episkopen/Diakone übernehmen die Aufgaben der Propheten/Lehrer

• Past

– Modell Ortsgemeinde als Haus (1 Tim 3,15) – strukturelle Konsequenzen

ein Hausvorstand: Episkopos

Ordination: Handauflegung (1 Tim 4,14; 2 Tim 1,6) – „Amtscharisma“

Kataloge mit Anforderungen für Episkopen und Diakone (1 Tim 3,1-13)

Koppelung Leitung und Lehre: Verpflichtung auf (paulinische) Lehrtradition

vgl. „gesunde Lehre“ und „anvertrautes Gut/paratheke“ (1 Tim 1,10; 6,20; 2 Tim 1,12-14)

„Besoldung“ 1 Tim 5,17f.

– offen: Auswahl der Amtsträger und genaue Zuordnung

– Veränderungen gegenüber Paulus:

Charisma auf Amtscharisma konzentriert

Frauen ans Haus (Hausherrn) gebunden (1 Tim 2,9-15); Diakone (1 Tim 3,11), nicht aber Episkopen

– Verdacht: Anstoß – Attraktivität des römischen Gesellschaftsmodells

Propaganda der frühen Kaiserzeit: Ordnung durch Herrschaft eines einzelnen garantiert

vgl. Aelius Aristides, Romrede (Mitte 2. Jh.):

• Ign: 110-117, Kleinasien: Ephesus, Magnesia, Tralles, Philadelphia, Smyrna

– dreigestufte Ämterordnung mit Monepiskopat: Episkopos – Älteste – Diakone

– theologische Begründung:

· Abbild-Gedanke (IgnEph 9,2)

Parallelsetzung Gott / Ratsversammlung der Apostel / Christus – Episkop / Älteste / Diakone (Mg 6,1; Tr 3,1)

· Einheits-Gedanke (IgnSm 8,1f.)

• kritische Stimmen

Mk 10,42-44 parr: keine Herrschaft über andere

Mt 23,8-12: gegen prestigeträchtige Ehrenbezeichnungen „Rabbi“, „Abba“, „Kategetes“

Lk 14,7-11: gegen Vorrangstellung einzelner (beste Plätze beim Mahl)

JohEv: alternatives Gemeindemodell – kein Gewicht auf Ämtern

Geist Jesu als Leitung, Jesus-Unmittelbarkeit (Joh 10; 15), Modell „Freunde“

• Ergebnis

– Anfang 2. Jh. noch große regionale Unterschiede (Monepiskopat – Ältestenkollegium)

– noch keine übergemeindliche Organisation

– nirgends die hellenistisch-römische Institution des Kults aufgegriffen

Geschichte des Urchristentums WS 2008/09 Stefan Schreiber 22

Längsschnitt 4: Die Christen und das Imperium Romanum _______________________

• Trennung von jüdischen Synagogengemeinden –> Verlust des Rechtsschutzes

• Wahrnehmung der Christen durch die römischen Behörden als Unruhestifter

auch im Volk eher abschätzig betrachtet: „Chrestianer“ (Tac. Ann. 15,44)

• Rechtsverhältnisse im 1. Jh. ungeregelt

meist Duldung der Gemeinden durch Behörden

aber auch Vorgehen gegen einzelne Unruhestifter (2 Kor 11,25)

erst Briefwechsel Plinius – Trajan (um 110)

„Opfertest“, Christsein an sich als Staatsverbrechen (crimen maiestatis)

• nur wenige Märtyrer aus 1. Jh. bekannt

Paulus, Petrus; Offb 2,13 Antipas

unter Domitian (+ 96) keine Christenverfolgung, wohl lokale Repressionen (Offb)

unwahrscheinlich: Konsul T. Flavius Clemens, dessen Frau Flavia Domitilla (Suet. Dom. 15,1)

• Strategie der Gemeinden

– nach außen: Loyalität, Eingliederung in Gesellschaft, Unauffälligkeit

– im Inneren: subversive Lebenspraxis und Kritik an politischen Verhältnissen

Texte – sprachliche Gestaltung erlaubt ambivalente Deutung

Mk 12,17

Röm 13,1-7

MkEv beginnt mit „Evangelium“ eines „Sohnes Gottes“

LkEv: Geburt Jesu = Beginn eines neuen Zeitalters (nivelliert „Goldenes Zeitalter“ des Augustus)

1 Petr 2,11-17 Position der „Mitte“: Unterordnung und „subversives“ Element

• stärkere Anpassungstendenz in Past Tit 3,1 sich den Magistraten und Machthabern unterordnen

1 Tim 2,2 Gebet für den Kaiser und seine Amtsträger

theologische Begründung in 1 Tim 4,3f. „die ganze Schöpfung Gottes ist gut“

• dagegen scharfe Konfrontation in Offb

Imperium Romanum: wildes Tier (Macht des Satan, Offb 13)

verführerische Prostituierte (Offb 17)

gegen Religion als Privatsache – Zugehörigkeit im Alltag zeigen!

Geschichte des Urchristentums WS 2008/09 Stefan Schreiber 23

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