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Gezeiten Gezeiten Gezeiten Gezeiten aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie Die Gezeiten oder Tiden (niederdeutsch Tid, Tied [tiːt] „Zeit“; Pl. Tiden, Tieden [tiːdən] „Zeiten“) sind von den Gezeitenkräften ange- triebene periodische Wasser- bewegungen der Ozeane. Zeiträume zwischen Tide- hochwasser und Tideniedrig- wasser werden dabei als Eb- be, Zeiträume zwischen Nied- rig- und Hochwasser als Flut bezeichnet. Die auf die Erde wirkenden Gezeitenkräfte sind von der Gravitation (Anziehung) zwischen Erde und Mond und zwischen Erde und Sonne ver- ursacht. Die Erde ist auch im Vergleich zum Mondabstand und noch viel größeren Sonnenabstand groß genug, dass die Anziehungskräfte von Mond und Sonne nicht an allen Stellen gleich sind und folglich Gezeiten- kräfte bestehen. Obwohl die Sonne viel weiter von der Erde entfernt ist als der Mond, verursacht sie doch Gezeitenkräfte, die fast halb so groß wie die vom Mond stammenden sind. Ursache ist ihre im Vergleich zum Mond sehr viel größere Masse. Die Gezeitenkräfte ändern sich an verschiedenen Orten der Erdoberflä- che infolge der Erddrehung regelmäßig und heben und senken die Meeres- spiegel periodisch. Der beispielsweise vom Mond verursachte Hub ist nur etwa 30 cm, die damit verbundenen Wasserströmungen führen aber an den Meeresküsten zum Anstieg und Abfall des Wasserspiegels in der Grö- ßenordnung von Metern. An einzelnen Stellen können bei entsprechender Küsten- und Meeresbodenform resonante Schwingungen mit besonders großem Tidenhub entstehen. Die Lehre von den maritimen Gezeiten der Erde heißt Gezeitenkunde und ist Bestandteil der nautischen Ausbildung. Allgemeine Beschreibung Erde und Mond kreisen um ihren gemeinsamen Schwerpunkt, der sich innerhalb der Erde befindet (sonst nicht maßstabsgetreue Illustration) Die Bay of Fundy bei Hoch- und bei Niedrig- wasser

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Page 1: gezeiten - sentaklaus.netsentaklaus.net/reisen/gezeiten.pdf · Gezeiten aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie Die Gezeiten oder Tiden (niederdeutsch Tid, Tied [tiːt] „Zeit“;

GezeitenGezeitenGezeitenGezeiten

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Die Gezeiten oder Tiden (niederdeutsch Tid, Tied [tiːt] „Zeit“; Pl. Tiden, Tieden [tiːdən] „Zeiten“) sind von den Gezeitenkräften ange-triebene periodische Wasser-bewegungen der Ozeane. Zeiträume zwischen Tide-hochwasser und Tideniedrig-wasser werden dabei als Eb-be, Zeiträume zwischen Nied-rig- und Hochwasser als Flut bezeichnet.

Die auf die Erde wirkenden Gezeitenkräfte sind von der Gravitation (Anziehung) zwischen Erde und Mond und zwischen Erde und Sonne ver-ursacht. Die Erde ist auch im Vergleich zum Mondabstand und noch viel größeren Sonnenabstand groß genug, dass die Anziehungskräfte von Mond und Sonne nicht an allen Stellen gleich sind und folglich Gezeiten-kräfte bestehen. Obwohl die Sonne viel weiter von der Erde entfernt ist als der Mond, verursacht sie doch Gezeitenkräfte, die fast halb so groß wie die vom Mond stammenden sind. Ursache ist ihre im Vergleich zum Mond sehr viel größere Masse.

Die Gezeitenkräfte ändern sich an verschiedenen Orten der Erdoberflä-che infolge der Erddrehung regelmäßig und heben und senken die Meeres-spiegel periodisch. Der beispielsweise vom Mond verursachte Hub ist nur etwa 30 cm, die damit verbundenen Wasserströmungen führen aber an den Meeresküsten zum Anstieg und Abfall des Wasserspiegels in der Grö-ßenordnung von Metern. An einzelnen Stellen können bei entsprechender Küsten- und Meeresbodenform resonante Schwingungen mit besonders großem Tidenhub entstehen.

Die Lehre von den maritimen Gezeiten der Erde heißt Gezeitenkunde und ist Bestandteil der nautischen Ausbildung.

Allgemeine Beschreibung Erde und Mond kreisen um ihren gemeinsamen Schwerpunkt, der sich

innerhalb der Erde befindet (sonst nicht maßstabsgetreue Illustration)

Die Bay of Fundy bei Hoch- und bei Niedrig-wasser

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Die nicht rotierend gedachte Erde kreist um

ihren mit dem Mond gemeinsamen Schwer-punkt: Alle Orte auf ihr sind der gleichen Fliehkraft (blaue Strecken) un-terworfen.

Zwei Himmelskörper würden sich infolge der gegenseitigen Anziehung aufeinander zu bewegen und zusammenprallen. Ein stabiler Abstand be-steht, wenn sie gegeneinander umlaufen. Dabei ist die Anziehungskraft als Radialkraft, die für das Umlaufen nötig ist, „verbraucht“.

Das bedeutet, dass zum Beispiel die Anziehungskraft des Mondes primär durch den Umlauf der Erde um den mit dem Mond gemeinsamen Schwer-punkt (Abbildung links) kompensiert ist. Im Bezugssystem der Erde ist als Folge dieses Umlaufs eine der Anziehungskraft entgegen gerichtete Flieh-kraft feststellbar. Diese wirkt überall in gleicher Größe, denn alle Punkte der Erde rotieren auf Kreisen gleichen Radius’ (Abbildung rechts). Die An-ziehungskraft ist aber in verschiedenen Punkten der Erde verschieden groß, generell auf der dem Mond zugewandten Seite größer als auf der abgewandten Seite. Im Schwerpunkt wird sie von der Fliehkraft aufgeho-ben, sonst verbleibt eine kleine, Gezeitenkraft genannte Resultierende, die fast überall nach außen (nach „oben“) gerichtet ist. Sie ist an zwei gege-nüberliegenden Stellen der Erdoberfläche am größten, nämlich dort, wo sie von der durch die Schwerpunkte von Erde und Mond gehenden Linie durchstoßen wird (oft wird dieser Größtwert selbst als Gezeitenkraft be-zeichnet). Sie zeigt dort radial nach außen. Folglich entsteht ein Flutberg nicht nur auf der dem Mond zugewandten Oberfläche der Erde sondern auch gegenüber.

Bei Betrachtung von außerhalb der Erde aus werden nur Anziehungs- beziehungsweise Gravitationskräfte gegeneinander verrechnet, nämlich die örtlich verschiedenen Kräfte zu der im Schwerpunkt der Erde wirken-den Kraft. Das macht deutlich, dass die Gezeitenkraft zwar eine Folge der Gravitation, aber nur eine dieser nachgeordneten ist. Die Gezeitenkraft ist somit auch wesentlich kleiner als die verursachende Gravitationskraft.

Die von der Sonne herrührende Gezeitenkraft beträgt etwa 45 Prozent der des Mondes. Bei Voll- und bei Neumond stehen Sonne, Erde und Mond annähernd auf einer Geraden, so addieren sich die Anziehungswirkungen, und es kommt zu einer (höheren) Springtide. Keine Addition erfolgt, wenn Sonne, Erde und Mond in einem rechten Winkel, wie bei Halbmond, zueinander stehen. Es kommt hierbei zu einer niedrigeren Nipptide. Wäh-rend einer Mondphasen-Periode (etwa 29,5 Tage) schwanken die Tiden-hübe annähernd regelmäßig. Unregelmäßigkeiten sind vorwiegend Folge des Wetters, insbesondere der wechselnden Windverhältnisse (Sturm-

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flut), die im Vergleich zu den astrophysikalischen Einflüssen enorme Aus-wirkungen auf den Tidenstand haben können.

Regelmäßige langfristige Veränderungen treten wegen der Nord-Süd-Verlagerung des subsolaren Punkts (im Jahresablauf), der Drehung der Apsidenlinie (Periode 8,85 Jahre) und der Knotenlinie (Periode 18,61 Jah-re) des Mondes auf.

Zwei Aussagen

Aussage bei Betrachtung von außen Die unterschiedliche Anziehungskraft durch den Mond prägt den Masse-

teilchen der Erde einen unterschiedlichen Bahnradius auf, einen kleineren auf der zugewandten beziehungsweise einen größeren auf der abgewand-ten Seite. Der Erdkörper ist zu starr, um sich merklich zwischen zu- und abgewandter Seite zu dehnen. Aber das nur der Erdanziehung unterlie-gende Wasser der Meere kann sich über den mittleren Spiegel erheben und auf jeder Seite einen kleinen Flutberg bilden.

Aussage bei Betrachtung von der Erde aus Die Erde bewegt sich als Ganzes nahezu kreisförmig um den mit dem

Mond gemeinsamen Schwerpunkt. Die als Radialkraft in ihrem Schwer-punkt erscheinende mittlere Mondanziehung ist auf der Erde als überall gleich große Fliehkraft erkennbar. Auf der dem Mond zugewandten Seite ist dessen Anziehungskraft größer, sodass ein kleiner in seine Richtung zeigender Flutberg entsteht. Auf der abgewandten Seite ist die Fliehkraft größer, und es entsteht auch ein Flutberg.

Häufigkeit und Größe der Gezeiten Die Zeit für einen Umlauf der Gezeitenkräfte um die Erde wird von der

täglichen (24 Stunden) Eigendrehung der Erde und vom monatlichen (27,32 Tage) Umlauf des Mondes um die Erde bestimmt. Da Eigendrehung und Mondumlauf gleiche Richtung haben, ist die Gesamt-Periodendauer länger als eine Eigendrehung, nämlich etwa 24 Stunden und 50 Minuten.

Für die Größe der maximalen Gezeiten-Beschleunigung ag gilt folgende Formel:

.

Für die Gezeitenwirkung des Mondes auf die Erde ist ag mit

G = 6,67·10-14 m3/(g s2), die Gravitationskonstante

M = 7,34·1025 g, die Masse des Mondes

r = 3,84·108 m, die mittlere Entfernung des Mondes

R = 6,37·106 m, der mittlere Radius der Erde

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Das ist nur etwa das 10–7-fache der Erdbeschleunigung (9,81 m/s2), weshalb der Meeresspiegel auch nur um etwa 30 cm durch die Gezeiten-kraft des Mondes angehoben wird.

Wendet man die in obiger Formel enthaltene Näherung nicht an, ergibt die Rechnung, dass der Betrag der Gezeitenbeschleunigung auf der dem Mond abgewandten Seite etwa 5% kleiner als der auf der zugewandten Seite ist (ag1 ≈ 0,95 ag2):

Ursache ist die nichtlineare Abnahme der Anziehungskraft.

Der Subtrahend in der obigen Formel ist die im Schwerpunkt der Erde wirkende Gravitationsbeschleunigung aG:

.

Ihr vom Mond ausgehender Wert ist mit

etwa 30 mal größer als die Gezeitenbeschleunigung ag, weshalb letztere

berechtigterweise eine der Gravitation nachgeordnete Erscheinung ge-nannt wird.

Die folgende Kontrollrechnung zeigt die Übereinstimmung der absoluten Werte der Gravitationsbeschleunigung im Erd-Schwerpunkt und der über-all auf der Erde feststellbaren (Erd-festes Bezugssystem) Zentrifugalbe-schleunigung az, die wiederum gleich wie die Zentripetalbeschleunigung berechnet wird:

,

ω = 2π/27,32 Tage = 2,66·10–6 s,

rZ = 3,84·108 m / (81+1) = 4,683·106 m (Abstand zwischen Schwer-punkt und gemeinsamen Schwerpunkt mit dem Mond, der etwa 81 mal leichter als die Erde ist),

.

Die Gezeitenkraft skaliert mit der dritten Potenz des Abstandes vom Gravitationszentrum und fällt schneller ab als die Gravitationskraft, die quadratisch skaliert. Dies führt dazu, dass die Gezeitenkräfte des viel nä-heren Mondes auf die Erde größer sind als die der Sonne mit 2,7·107-facher Masse und folglich fast 180-facher Gravitationskraft.

Die von der Sonne auf der Erde herrührende Gezeitenbeschleunigung ag ist mit

M = 1,989·1033 g , die Masse der Sonne

r = 1,496·1011 m , die mittlere Entfernung der Sonne

,

und die Gravitationsbeschleunigung ist

.

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Im Vergleich zum Mond verursachen die Sonne und einige Planeten fol-gende Gezeitenwirkungen auf der Erde:

Himmelskörper Rel. Kraft Auslenkung

Mond 1 30 cm

Sonne 0,46 14 cm

Venus in unt. Konj. 5·10–5 17 µm

Jupiter 6·10–6 2 µm

Mars in Opposition 2·10–6 0,5 µm

Mars in Konjunktion 1·10–8 3 nm

Die tabellierte Auslenkung ist der Anstieg des Wasserspiegels auf dem offenen Meer.

Gezeitenrechnung Mit Gezeitenrechnungen werden Vorhersagen über den zeitlichen Verlauf

der Tiden und die Höhe der Flut gemacht. Die Phasen der Gezeiten haben erhebliche Bedeutung für die küstennahe Schifffahrt. Sie muss eingestellt werden, wenn die Wassertiefe zu gering ist. Die Gezeitenströmung kann die Schifffahrt beschleunigen oder verlangsamen. Der Zeitpunkt, wenn sie ihre Richtung ändert ist der Kenterpunkt, eine der berechneten Voraussa-gen. Besondere Wirkung auf die Schifffahrt hat die Gezeitenwelle, die bei Flut durch eine Flussmündung in das Landesinnere läuft.

Geschichte der Gezeitentheorie Bereits die griechischen Naturphilosophen (u. a. Aristoteles und Se-

leukos von Seleukia) entwickelten Theorien zur Erklärung der Gezeiten. Schon damals erklärte man Ebbe und Flut mit einer Anziehungskraft zwi-schen dem Wasser der Meere und dem Mond.

Im 14. Jahrhundert veröffentlicht Jacopo Dondi (dall’Orologio), Vater des Giovanni de Dondi (dall’Orologio), De fluxu et refluxu maris, wohl angeregt durch griechisch-byzantinische Quellen, editiert 1912 von P. Re-velli.

Im 16. Jahrhundert erklärte Andrea Cesalpino die Gezeiten in seinem Werk Quaestione Peripatetica (1571) mit der Erdbewegung - ähnlich der Bewegung von Wasser in einem bewegten Eimer. 1590 stellte Simon Ste-vin die Theorie auf, dass die Gezeiten durch die Anziehung des Mondes zu erklären seien.

Galileo Galilei entwickelte Anfang 17. Jahrhundert eine kinematische Gezeitentheorie, die er Dialogo (1632) herausgab, und führte die Gezeiten als Beweis für die Erdrotation an. Seiner Theorie zufolge bewegt sich die von der Sonne angestrahlte Seite der Erde langsamer als die Nachtseite, wodurch sich die Gezeiten aufgrund der unterschiedlichen Beschleunigun-gen ergeben sollen. Johannes Kepler versuchte etwa zugleich mit Galilei die Gezeiten anhand der Planetenbewegungen zu erklären. René Des-cartes postulierte im 17. Jahrhundert eine Theorie auf Basis einer Rei-bung des „Äthers“ zwischen Erde und Mond. Diese Theorie wurde aller-dings schnell widerlegt.

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Isaac Newton zeigte als erster, dass nicht die Zentrifugalkraft, sondern die Anziehungskräfte der Massen von Mond und Sonne für Ebbe und Flut ursächlich sind. In seinem im Jahre 1687 erschienenen Werk Mathemati-

sche Prinzipien der Naturlehre postulierte er ein Gravitationssystem von Erde und Mond, das um einen Gravitationsmittelpunkt, den gemeinsamen Schwerpunkt (Baryzentrum) rotiert.

v. Chr. Griechen Anziehung zwischen Mond und Wasser

14. Jahrhundert Jacopo Dondi

1590 Simon Stevin Anziehung des Mondes

17. Jahrhundert Johannes Kepler Planetenbewegung

1632 Galileo Galilei kinematische Gezeitentheorie

17. Jahrhundert René Descartes Reibung des „Äthers“ zwischen Erde und Mond

1687 Isaac Newton Anziehungskräfte der Massen von Mond und Sonne

18. Jahrhundert Daniel Bernoulli Gleichgewichtstheorie

18. Jahrhundert Pierre-Simon Laplace dynamische Gezeitentheorie

18. Jahrhundert William Whewell Gezeitenwellen

1842 George Biddell Airy Theorie auf Basis einfach geformter Becken mit gleichförmiger Tiefe

1867 William Thomson Harmonische Analyse

20. Jahrhundert Sydney Hough Dynamische Theorie unter Einbeziehung der Co-rioliskraft

Entstehung der Gezeiten

Schematische Darstellung der Gezeitenkräfte und Flutberge

Feld der Gezeitenkräfte

Bahn eines Punktes auf der Erdoberfläche

in einem Monat

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Mond und Erde bilden ein System mit einem gemeinsamen Schwer-punkt, dem Erde-Mond-Schwerpunkt. Sowohl Mond als auch Erde kreisen beide um diesen Systemschwerpunkt, welcher auch Baryzentrum genannt wird. Da die Masse der Erde 81-mal so groß ist wie die des Mondes, befin-det sich dieser Schwerpunkt noch im Inneren der Erde. Er ist 4680 km vom Erdmittelpunkt entfernt (der Radius der Erde beträgt rund 6371 km).

Die Erde führt die Bewegung um den Systemschwerpunkt als starres Ganzes aus. Durch diese kreisförmige Bewegung wirkt eine identische Be-schleunigung (und Fliehkraft) auf jeden einzelnen Punkt der Erde. Diese Fliehkraft ist also überall auf der Erde gleich groß und hat die gleiche Rich-tung: parallel zur Verbindungslinie Erdmittelpunkt-Mondmittelpunkt vom Mond wegweisend. Je nach Position auf der Erde ist sie unter Umständen in die Erde hinein gerichtet.

Das Gravitationsfeld des Mondes erzeugt für jeden dieser Punkte eine nahezu entgegengesetzte Beschleunigung. Im Mittel über die gesamte Er-de heben sich beide Beschleunigungen auf. Durch dieses Gleichgewicht laufen Mond und Erde auf stabilen Bahnen. Das Mond-Gravitationsfeld übt allerdings nicht auf jeden Punkt der Erde die gleiche Beschleunigung aus. Auf der mondnahen Seite der Erde ist das Gravitationsfeld etwas stärker als die in die Erde gewandte Fliehkraft, und es bildet sich der erste Flut-berg. Auf der mondfernen Seite ist die vom Mond abgewandte Fliehkraft stärker als die Mondgravitation, und es bildet sich der zweite Flutberg.

Es ist intuitiv nicht einzusehen, dass die Fliehkraft durch die Erdbewe-gung um den Systemschwerpunkt an jedem Punkt der Erde identisch sein soll. Aus eigener Erfahrung weiß jeder, dass die Fliehkraft mit steigender Geschwindigkeit (das zu schnelle Auto wird aus der Kurve getragen) oder abnehmendem Radius (zu enge Kurvenfahrt gelingt nicht) zunimmt. Be-trachten wir nun also alle auftretenden Kräfte im bewegten Erde-Mond System (Schätzwerte):

Schwerkraft der Erde, Beschleunigung 9806,65 mm/s²

Rotation der Erde um den Erdmittelpunkt, Beschleunigung 33,9 mm/s²

Revolution der Erde um den Systemschwerpunkt, Beschleunigung 0,0332 mm/s²

Mondgravitation, Beschleunigung von 0,0321 bis 0,0343 mm/s²

Addiert man all diese Kräfte unter Berücksichtigung der Richtung, in die sie wirken (vektoriell), erhält man für jeden Punkt der Erde einen Be-schleunigungswert und damit die Gezeitenkräfte. Beschleunigungen treten immer dann auf, wenn der Bewegungszustand eines Objektes geändert wird. Das bedeutet, das Objekt muss die Geschwindigkeit oder die Bewe-gungsrichtung ändern. Durch die Trägheit übt jede beschleunigte Masse eine der Beschleunigung entgegengesetzte Kraft aus. Wollen wir also die Fliehkraft untersuchen, müssen wir nur alle Geschwindigkeits- und Rich-tungsänderungen berücksichtigen. Fasst man die Geschwindigkeit und die Bewegungsrichtung zu einem Vektor zusammen, kann man beide Aspekte in einem Rechenschritt erfassen. Das Problem reduziert sich somit auf die Addition von Vektoren. Es ist dabei egal, in welcher Reihenfolge wir addie-ren, das Ergebnis bleibt gleich.

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Fangen wir also an mit der Revolution der Erde um den Systemschwer-punkt. Diese dauert etwa so lange wie die Umlaufzeit des Mondes um die Erde. Die Erde bewegt sich dabei als Ganzes. Der Mittelpunkt der Erde bewegt sich auf einer Kreisbahn um den Systemschwerpunkt als Zentrum. Alle anderen Punkte bewegen sich mit dem Erdmittelpunkt, denn sie sind fest mit ihm verbunden. Jeder Punkt bewegt sich deswegen auf einer Kreisbahn mit dem gleichen Radius, aber um je ein eigenes Zentrum. Die-ses Zentrum ist zum Systemschwerpunkt jeweils um die gleiche Strecke verschoben wie der Punkt selbst vom Erdmittelpunkt. Achtung: Die Erde und jeder ihrer Punkte rotiert bei dieser Betrachtung nicht, auch nicht um den Erdmittelpunkt! Ihre Ausrichtung im Raum ist fest und sie wird sozu-sagen an einer Kreisbahn entlanggeschoben. Probieren Sie das am besten mit einem Bierdeckel auf dem Tisch, ohne das Handgelenk dabei zu dre-hen. Die erzeugte Fliehkraft ist in jedem Punkt der Erde gleich groß, denn Geschwindigkeit und Radius sind für jeden Punkt identisch. Die Richtung der Fliehkraft ist in allen Punkten parallel. Im Erdmittelpunkt zeigt sie vom Systemschwerpunkt weg. Der Wert beträgt überall etwa 0,0332 mm/s². Weit entfernt auf der gegenüberliegenden Seite des Systemschwerpunktes befindet sich der Mond und seine Masse erzeugt sein Gravitationsfeld. Lässt man einen Gegenstand in einem Gravitationsfeld fallen, beschleunigt er in Richtung des Gravitationszentrums. Für jeden Punkt eines Gravitati-onsfeldes kann man also einen Beschleunigungsvektor angeben. Wir wäh-len uns drei Punkte auf der Erdoberfläche relativ zum Mond:

(A) nächster Punkt (mondnah)

(B) fernster Punkt (mondfern)

(C) Zwischenpunkt

Alle drei Punkte liegen auf demselben Breitengrad. Der Zwischenpunkt liegt auf der Erdoberfläche, in der Mitte zwischen mondnahem und mond-fernem Punkt. Am mondnahen Punkt erzeugt das Gravitationsfeld eine Be-schleunigung von etwa 0,0343 mm/s². Das ist etwas mehr als die bis jetzt berechnete Fliehkraft. Die Beschleunigung ist gen Mond gerichtet, also entgegengesetzt der Fliehkraft. Wir müssen also einfach beide Werte sub-trahieren. Die Differenz von 0,0011 mm/s² entspricht einer winzigkleinen Beschleunigung in Richtung Mond. Auf der anderen Seite der Erde beträgt die Mondgravitation nur etwa 0,0321 mm/s². Die Richtungen bleiben gleich, wir subtrahieren also wieder und erhalten -0,0011 mm/s². Diesmal ist also die Fliehkraft stärker und die resultierende Beschleunigung zeigt vom Mond weg. Im Zwischenpunkt können wir nicht einfach die Beträge subtrahieren, denn Fliehkraft und Gravitation zeigen nicht in die gleiche Richtung. Deswegen lautet das Ergebnis auch nicht null, sondern es ergibt sich eine winzige Beschleunigungskomponente in Richtung Erdinneres.

Addieren wir nun die Gravitation der Erde von 9806,65 mm/s². Das ist ein sehr hoher Wert, verglichen mit den bis jetzt berechneten Beschleuni-gungen. Allerdings ist er für jeden Punkt der Erdoberfläche identisch und zeigt immer genau zum Erdmittelpunkt. Die Erdgravitation trägt also nicht zur Erklärung unterschiedlicher Beschleunigungen bei.

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Addieren wir nun die Fliehkraft der Rotation der Erde um ihre Achse. Sie wirkt der Erdgravitation in jedem Punkt entgegen, da sie im Gegensatz zu dieser nach außen gerichtet ist. Allerdings ist sie viel schwächer. Sie ist entlang der Breitengrade gleich groß und kann auch nicht dazu beitragen, unterschiedliche Beschleunigungen zu erzeugen.

Somit erklären sich die Gezeiten allein durch die Differenz von inhomo-genem Mondgravitationsfeld und konstanter Fliehkraft durch Revolution um den Systemschwerpunkt.

Intuition gegen Mathematik

Warum widerspricht das so sehr unserer Intuition? Es gibt auch folgende Sichtweise: Rotation und Revolution der Erde haben die gleiche Drehrich-tung. Auf der mondnahen Seite subtrahieren sich also ihre Geschwindig-keiten. Auf der mondfernen Seite addieren sie sich. In Wirklichkeit bewe-gen wir uns auf einem mondnahem Punkt viel langsamer durch den Raum als auf der mondfernen Seite. Die Differenz beträgt etwa 25 Meter pro Se-kunde. Hinzu kommt, dass die wahre Bahn durch den Raum keineswegs kreisförmig ist, sondern eher einer langgezogenen Spirale entspricht. Trotzdem entstehen diese Werte lediglich durch Addition zweier Rotatio-nen, die man in beliebiger Reihenfolge einzeln analysieren kann. Das er-gibt sich daraus, dass man letztendlich nur Geschwindigkeitsvektoren ad-diert. Ein Punkt auf dieser Bahn unterliegt in der Tat unterschiedlich star-ken Beschleunigungen. Das ergibt sich dadurch, dass der Winkel zwischen den Fliehkräften aus Rotation und aus Revolution sich für jeden Punkt der Erdoberfläche jede Sekunde ändert. Das spielt aber keine Rolle, denn das Gravitationsfeld des Mondes addiert sich mit der Fliehkraft durch Revoluti-on stets zu null, bis auf die winzigen gezeitenbildenden Abweichungen. Übrig bleibt dann nur noch die relativ starke Fliehkraft der Rotation um den Mittelpunkt, die aber an allen Punkten entlang eines Breitengrades gleich stark ist. Diese Rechenreihenfolge ist zwar intuitiver, aber auch komplizierter, und führt letztendlich doch zum gleichen Ergebnis wie der mathematisch einfachere Weg.

Die Gezeitenkräfte ziehen die Erde gewissermaßen in die Länge und füh-ren an den Enden zu jeweils einem Flutberg, wobei sich der Erddurchmes-ser im Bereich zwischen diesen Flutbergen entsprechend verringert. Bei einer vollständig mit Ozean bedeckten Erde ergäbe sich eine Höhenvaria-tion von knapp 50 cm. Die Mondgravitation nimmt mit der Entfernung zum Mond quadratisch ab. Dadurch ist die Kräftedifferenz auf der mondnahen Seite höher als auf der mondfernen. Deswegen ist der Flutberg der mond-nahen Seite etwa 7 Prozent höher. Die zugehörige Flut wird auch Zenitflut genannt.

Ebbe und Flut Flut ist der Zeitraum und der Vorgang ansteigenden beziehungsweise

„auflaufenden“ Wassers.

Ebbe ist der Zeitraum und der Vorgang sinkenden beziehungsweise „ab-laufenden“ Wassers.

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Den Zeitpunkt des höchsten Wasserstandes bezeichnet man mit Hoch-wasser (HW), den des tiefsten Wasserstandes mit Niedrigwasser (NW). Der Wasserstand zu diesen Zeiten wird Hochwasserhöhe (HWH) bzw. Niedrigwasserhöhe (NWH) genannt. Aufeinander folgende Hoch-wasser- und Niedrigwasserhöhen sind unterschiedlich, da sich die Stellun-gen von Mond und Sonne relativ zur Erde ändern.

Der Höhenunterschied zwischen Niedrigwasserhöhe und der folgenden Hochwasserhöhe (während der Flut) wird als Tidenstieg bezeichnet. Der Höhenunterschied zwischen Hochwasserhöhe und der folgenden Nied-rigwasserhöhe (während der Ebbe) wird alsTidenfall bezeichnet. Den Mittelwert aus Tidenstieg und Tidenfall bezeichnet man als Tidenhub. Der zeitliche Verlauf des Wasserstandes zwischen Niedrigwasser, Hoch-wasser und darauf folgendem Niedrigwasser ergibt die Tidenkurve. Die gezeitenbedingte Höhe des Wasserstandes bezogen auf das örtliche Seekartennull (meistens LAT) bezeichnet man als Höhe der Gezeit.

Gezeitenwasserstände:

Deutsch Abk. Englisch Abbr. Bedeutung

Höchstmöglicher Gezei-tenwasserstand

Highest Astro-nomical Tide

HAT Bezug für Durchfahrtshöhe unter Brücken

Mittleres Springhochwas-ser

MSpHW Mean High Wa-ter Spring

MHWS

Mittleres Hochwasser MHW Mean High Wa-ter

MHW Definition der Küstenlinie

Mittlerer Wasserstand MW Mean Sea Level MSL Seekartennull, Nullebene für Wassertiefen in gezeitenfrei-en Gewässern

Mittleres Niedrigwasser MNW Mean Low Water MLW

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Mittleres Springniedrig-wasser

MSpNW Mean Low Water Spring

MLWS früher Nullebene für Wasser-tiefen (lt. IHO veraltet)

niedrigst möglicher Ge-zeitenwasserstand

NGzW Lowest Astro-nomical Tide

LAT Seekartennull, Nullebene für Wassertiefen in Gezeitenge-wässern

Die deutschen Abkürzungen werden in offiziellen Werken der IHO nicht mehr verwendet.

Gezeitenunterschiede:

Deutsch Abk. Englisch Abbr. Bedeutung

Höhe der Gezeit Height of Tide Unterschied zwischen aktuellem Wasserstand und Seekartennull

Mittlerer Springtidenhub Spring Range of Tide

Unterschied von Ebbe und Flut bei Springzeit (Hub gross)

Mittlerer Nipptidenhub Neap Range of Tide

Unterschied von Ebbe und Flut bei Nippzeit (Hub klein)

Seekartennull:

Deutsch Abk. Englisch Abbr. Bedeutung

Seekartennull SKN Chart Datum CD

Grundlage für: • amtliche Definition der Basis-linie • Nullebene für die Messung von Wassertiefen ist bezogen auf: • LAT Lowest Astronomical Tide (oder MLLW) • oder auf MSL in tidenfreien Gewässern

Gezeitentheorie In 24 Stunden dreht sich die Erde einmal um sich selbst und der Mond

durchläuft seine scheinbare Bahn am Himmel jeden Tag etwa 50 Minuten später. Dadurch ergibt sich, dass zwischen zwei Tidehochwässern 12 Stunden und 25 Minuten vergehen. So gibt es meist zwei Mal täglich Flut und Ebbe. Aufgrund der Küstenmorphologie (siehe unten), der Neigung der Erdachse und der elliptischen Bahn des Mondes um die Erde treten zu-sätzlich Variationen in den Abständen aufeinander folgender Hoch- und Tiefwasserstände auf. Im freien Ozean, wie beispielsweise bei den Azoren, beträgt diese Variation etwa eine Stunde. In Flussmündungen sind die Va-riationen größer, in Hamburg beispielsweise bis über zwei Stunden. Infol-ge der Bildung von Knoten (siehe unten) können sie aber auch niedriger ausfallen. So beträgt diese Variation beispielsweise in Wilhelmshaven rund 40 Minuten.

Die Gezeitenkraft des Mondes in den Ozeanen entspricht etwa 0,0000001 (10-7) der Kraft, welche die Erde durch ihre Gravitation auf das Wasser in den Ozeanen ausübt. Der Mond allein kann also den Wasser-spiegel nur geringfügig anheben. Das Wasser verliert in den Gebieten, in denen die Gezeitenkraft wirkt, an Gewichtskraft. Der relative Gewichtsver-

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lust (nicht Massenverlust) durch die Anziehungskraft des Mondes ent-spricht dort etwa 0,0001%. Dieser Gewichtsverlust bewirkt in den Gebie-ten der Gezeitenkraft eine Druckminderung im Wasser der Ozeane, so dass eine Wasserströmung ausgelöst wird. Die Wasserströmung führt zu einer Materialverschiebung in den Ozeanen, in die Tidenberge hinein. Im (nicht realen) statischen Fall, also bei einer nicht rotierenden Erde, würde dieser Prozess solange fortgesetzt werden, bis die Oberfläche des Ozeans eine Äquipotentialfläche im kombinierten Gravitationsfeld von Erde und Mond angenommen hat. Diese Äquipotentialfläche liegt im Maximum etwa 60 Zentimeter höher als die ungestörte Oberfläche der Ozeane. Real wird dieser statische Zustand wegen der Erdrotation nicht erreicht, bezie-hungsweise von den auftretenden Strömungs- und Wellenprozessen über-lagert. Die Gezeitenkraft ist aber die Anregung des gesamten Vorgangs.

Weitere Effekte der Gezeitenkräfte Da ein Teil des Erdkerns flüssig und Erdmantel und -kruste elastisch

sind, führen die Gezeitenkräfte auch zu einer Verformung der Erdoberflä-che. Die Gezeitenkräfte wirken auf das gesamte Volumen der Erde ein. Genau wie in den Ozeanen kommt es im flüssigen Material des Erdinneren zu Druckschwankungen, die im gesamten flüssigen Volumen des Erdinne-ren auftreten. Die Gezeitenkraft wird mit zunehmender Tiefe immer schwächer, der Druckunterschied zu den Regionen ohne Gezeitenkraft nimmt jedoch mit der Tiefe zu. Die Druckänderungen erfolgen mit der Pe-riode der Gezeitenkraft. Wie in jeder Flüssigkeit, so werden durch diese Druckschwankungen im Erdinneren Materialströmungen ausgelöst. Da es sich dabei um die Strömung einer leitenden Flüssigkeit im Magnetfeld der Erde handelt, sind Effekte aus der Magnetohydrodynamik (MHD) zu erwar-ten. Das gilt auch für das Wasser der Ozeane, wo die Strömungen der Ge-zeiten offensichtlich sind. Schwankungen im Magnetfeld der Erde sind ab-hängig von Mond- und Sonnenstand, und können zum Teil mit diesem magnetohydrodynamischen Effekt erklärt werden.

Die Verformung der Erdoberfläche erfolgt mit einer Verzögerung von et-wa zwei Stunden, aber immerhin mit einer Vertikalbewegung von 20 bis 30 (im Äquatorbereich sogar 50) Zentimetern.

Die Meere können den Gezeitenkräften leichter folgen, insbesondere auch ihren horizontalen Komponenten, die vor und hinter den Flutbergen auftreten. Ebbe und Flut stellen zum Teil die Differenz zwischen den Be-wegungen der Meere und der Erdkruste dar, und sind zum anderen Teil eine Folge der komplexen (von der Geographie abhängigen) Strömungs- und Wellenvorgänge in den Weltmeeren, die durch die Gezeitenkraft ange-regt werden.

Die Verformung der Erde durch die Gezeitenkräfte betrifft das gesamte Volumen der Erde, und nicht, wie oft angenommen, nur die Ozeane. Die Gezeiten regen im Erdinneren kontinuierlich eine stehende seismische Welle an, die mit Seismografen gemessen werden kann, sofern diese für die Messung langperiodischer Signale ausgelegt sind. Dies wird unter An-derem in der Erdspektroskopie untersucht. Das Phänomen ist an den Küs-

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ten der Ozeane besonders eindrucksvoll sichtbar, zum Teil deswegen, weil es dort durch Strömungen erheblich verstärkt wird.

Die Verformung der Erde durch die Gezeitenkraft ist weitaus geringer als die Erdabplattung von 21 km als Folge der Erdrotation, die jedoch nicht auffällt, da sie statisch ist und die träge Erdkruste ausreichend Zeit hatte, sich der riesigen Änderung der Äquipotentialfläche anzupassen.

Küstenphänomene

Durch Gezeitenbewegungen typisches östliches Inselende am Beispiel von Norderney

In Küstennähe sind die Gezeiten erheblich durch die geometrische Form der Küsten beeinflusst. Das betrifft sowohl den Tidenhub als auch den Zeitpunkt des Eintretens von Ebbe und Flut. So ist der Tidenhub an den Küsten der Weltmeere oft größer als auf offener See. Das gilt insbesonde-re für trichterförmige Küstenverläufe. Das Meer schwappt bei Flut gewis-sermaßen an die Küste. So beträgt der Tidenhub in der westlichen Ostsee nur etwa 30 Zentimeter, an der deutschen Nordseeküste etwa ein bis zwei Meter. In der Nordsee schwappen Ebbe und Flut in einer Kreiswelle durch ihr komplettes Becken. In Ästuaren (Mündungen) der tidebeeinflussten Flüsse, zum Beispiel Elbe und Weser, beträgt der Tidenhub aufgrund der Trichterwirkung in diesen auch Tidefluss genannten Abschnitten bis über vier Meter. Noch höher ist der Tidenhub beispielsweise bei St. Malo in Frankreich oder in der Severn-Mündung zwischen Wales und England. Er kann dort über acht Meter erreichen. In der Bay of Fundy treten die welt-weit höchsten Gezeiten mit 14 bis 21 Metern auf.

Die Zunahme der Höhe der Flutwelle an den Küsten erfolgt in etwa nach dem gleichen Prinzip wie bei einem Tsunami. Die Geschwindigkeit der Flutwelle verringert sich in flachem Wasser, wobei sich die Höhe der Welle vergrößert. Im Gegensatz zum Tsunami ist die Gezeitenwelle aber nicht Resultat eines einzelnen Impulses, sondern enthält einen Anteil, der durch die Gezeitenkraft stets neu angeregt wird.

Die durch die Tide auf hoher See an den Küsten angeregten Meeres-schwingungen können auch zu Schwingungsknoten führen, an denen gar kein Tidenhub auftritt (Amphidromie). Ebbe und Flut rotieren gewisserma-ßen um solche Knoten herum. Herrscht auf der einen Seite Ebbe, so herrscht auf der gegenüberliegenden Seite Flut. Dieses Phänomen findet man vor allem in Nebenmeeren, wie der Nordsee, die zwei solcher Knoten aufweist (siehe diesbezügliche Abbildung im Artikel Amphidromie). Her-ausragend ist hierbei vor allem die Tideresonanz der Bay of Fundy.

Durch die Gezeiten werden insbesondere in Küstennähe erhebliche Energiemengen umgesetzt. Dabei kann die kinetische Energie der Strö-

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mungen oder auch die potentielle Energie mittels eines Gezeitenkraft-werks genutzt werden.

Rückwirkungen auf Erde und Mond (Gezeitenreibung) Die Tide wirkt auch wieder auf den Hauptverursacher, den Mond, zurück.

Da die Flutberge aufgrund von Erdrotation und Massenträgheit bezüglich der Verbindungslinie zwischen Erd- und Mondmittelpunkt etwas in Rich-tung dieser Rotationsbewegung verschoben sind, ist die Anziehungskraft der beteiligten Massen auf den Mond nicht exakt zum Erdmittelpunkt hin gerichtet (Da die Erde schneller rotiert als der Mond die Erde umkreist, und wegen der Trägheit der Strömungen, laufen die Flutberge immer „vor dem Mond“). Durch die größere Masse der Zenitflut und ihren geringeren Abstand zum Mond ergibt sich dabei eine Kraft auf den Mond, die eine kleine Komponente in dessen Flugrichtung aufweist, sodass dem Mond permanent Energie und Drehimpuls zugeführt werden. Der Verlust an Ro-tationsenergie der Erde ist nicht auf die Übertragung von Energie auf den Mond beschränkt. Es treten zusätzlich Reibungsverluste wegen der Strö-mungen auf und in der Erde sowie magnetohydrodynamische Verluste auf (siehe Magnetohydrodynamik, MHD). Die oben erwähnten Gezeitenkraft-werke würden zu diesem Energieverlust beitragen.

In einer genaueren Analyse müssen Energie und Drehimpuls in diesem Prozess separat bilanziert werden, da es für beide Größen in der Physik jeweils einen Erhaltungssatz gibt. Die folgenden Erläuterungen gehen zwecks besserer Verständlichkeit von einem isolierten Erde-Mond-System aus. Das ist kein vollständiges Modell, da es Planeten und die Sonne gibt, die dieses System stören (Bahnstörung) und ihrerseits Gezeitenkräfte ausüben.

Energieerhaltung: Die Erde verliert Rotationsenergie durch die Ab-bremsung infolge der Tiden. Diese Energie findet sich in der Rotations-energie des Mondes, einer Erwärmung (Wärmeenergie) der Erde durch Reibung, den Strömungen im Erdinneren (kinetische Energie) und den durch einen MHD-Prozess ausgelösten Veränderungen im Magnetfeld der Erde wieder (genauer: elektromagnetisches Feld).

Drehimpulserhaltung: Der Drehimpulsverlust bei der Abbremsung der Erdrotation wird auf den Drehimpuls des Mondes in seinem Orbit um die Erde, auf den Drehimpuls von Strömungen im Erdinneren, und auf das Erdmagnetfeld der Erde übertragen.

Durch die Abbremsung der Erde und die Übertragung von Drehimpuls und Rotationsenergie auf den Mond vergrößert sich der Abstand zwischen Erde und Mond jährlich um etwa 4 cm. Die Gegenkraft auf die Flutberge führt zu einem Drehmoment, das die Erdrotation bremst. Dadurch verlän-gern sich die Tage jedes Jahr um etwa 16 Mikrosekunden. Vor 500 Millio-nen Jahren dauerte ein Erdentag nur etwa 21 Stunden.

Diese Darstellungen illustrieren die physikalischen Prozesse bei der Ab-bremsung der Erdrotation (Die Überlegungen gelten umgekehrt genauso für den Einfluss der Gezeitenkraft der Erde auf den Mond.).

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Der Mond erzeugt Tide (Gezeitenberge) auf der dem Mond zugewandten und abgewandten Seite der Erde. Diese Tide entstehen dadurch, dass sich im gesamten Körper der Erde (natürlich auch in den Ozeanen) Druckun-terschiede bilden, die Materialströmungen und Verformungen auslösen. Die mit diesem Prozess verbundenen Reibungsverluste entziehen der Erd-rotation Energie.

Da sich die Erde dreht, wandern die Tide um die Erde herum. Die Erde dreht sich schneller, als der Mond umläuft. Wegen der Trägheit des Mate-rials in den Tiden laufen sie „vor dem Mond“. Deswegen enthält die An-ziehung der Erde auf den Mond eine Komponente, die den Mond in seiner Bahnrichtung vorwärts zieht.

Die Drehung der Erde wird durch die umgekehrte Anziehung des Mondes auf die Tide verlangsamt. Ein Körper in einer Umlaufbahn, der vorwärts beschleunigt wird wie der Mond, steigt in eine höhere Umlaufbahn auf und gewinnt an Energie. Dieser Prozess entzieht der Erde wieder Rotations-energie.

Energieerhaltung: Ein Teil des Verlustes an Rotationsenergie der Erde geht also durch Reibung (als Wärmeenergie) verloren, der andere Teil wird auf den Mond übertragen. Der Reibungsverlust hängt dabei von ver-schiedenen Eigenschaften des Materials in der Erde ab, die auf den Mond übertragene Energie wird ausschließlich durch die geometrische Massen-verteilung bestimmt. Diese ist unter anderem abhängig von der Geografie der Erde, wie etwa den Kontinenten, da sie die Ausbildung der Tide stö-ren.

Drehimpulserhaltung: Der Verlust an Eigendrehimpuls der Erde muss dem Gewinn an Bahndrehimpuls des Mondes entsprechen, plus einem Drehim-puls, der „irgendwo in der Erde“ auftritt (genau genommen ändert sich der Bahndrehimpuls der Erde bei der Drehung um den Erde-Mond Schwerpunkt auch ein wenig). Der auf den Mond übertragene Drehimpuls hängt über die transferierte Energie nur von der geometrischen Massen-verteilung auf der Erde ab. Der Verlust an Eigendrehimpuls der Erde wird dagegen durch den Verlust ihrer Rotationsenergie bestimmt, die auch von der inneren Reibung der Erde abhängig ist. Es gibt im Allgemeinen eine Differenz zwischen dem Verlust an Eigendrehimpuls der Erde und dem

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Gewinn an Bahndrehimpuls des Mondes. Dieser Drehimpuls muss irgend-wo im System wieder auftauchen. Etwas locker gesagt: Was der Mond macht, hängt vom Äußeren der Erde ab. Der kann nicht ihre inneren Ei-genschaften sehen, welche die Reibungsverluste bestimmen. Daraus er-geben sich Differenzen, die erklärt werden müssen.

Auf der Erde gibt es einen Mechanismus, der einen Drehimpuls (und da-mit verbundene Energie) zwischenspeichern kann. „Zwischenspeicherung“ deswegen, weil dieser Drehimpuls nur über Verformungen der geometri-schen Massenverteilung auf der Erde als Bahndrehimpuls an den Mond übertragen werden kann. Ein Kandidat für diesen Mechanismus ist eine Kombination aus dem elektromagnetischen Feld und inneren Material-strömungen der Erde. Die Kombination aus elektromagnetischem Feld und Strömungen einer leitenden Flüssigkeit ist ein magnetohydrodynami-sches System (MHD-System). Je nachdem, wie viel Rotationsenergie durch Reibung in der Erde verloren geht, und wie viel Drehimpuls über Verformungen der Erde an den Mond abgegeben wird, kommt es zu Schwankungen im Magnetfeld der Erde.

Die Gezeiten haben über den oben beschriebenen Mechanismus Einfluss auf die Erdrotation. Dabei ist wichtig, dass der Drehimpuls ein Vektor ist, der einen Betrag und eine Richtung hat. Die Übertragung von Eigendreh-impuls der Erde auf Bahndrehimpuls des Mondes verursacht auch eine Veränderung von Drehachsen. Der International Earth Rotation and Refe-rence Systems Service (IERS), die unter anderem das Setzen von Schalt-sekunden empfiehlt, ist die internationale Koordinierungsinstitution in Fra-gen der Erdrotation. Bisher wurde die Tagesdauer jeweils nur um Schalt-sekunden verlängert, nie verkürzt. Die Tiden haben einen Anteil an der Ursache.

Tatsächlich gemessen wurden kontinuierliche Schwingungen (stehende Welle) als seismologische Wellen der Erde, die durch die Tide angeregt werden (siehe Erdspektroskopie).