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1 Szene Die sommerliche Bierzelt-Saison steht unmittelbar vor der Tür und auch der Klassiker der alpenländischen Marschmusik schlechthin wird sicher- lich wieder freudige Stimmung unter den Besuchern verbreiten. Die Rede ist von »Dem Land Tirol die Treue« aus der Feder von Florian Pedarnig. Mit seinen eingängigen Melodien und dem von Sepp Pedar- nig gedichteten Text im Trio findet dieser Marsch stets regen Anklang im Publikum und reißt jede freie Hand zum Klatschen mit… Seit einigen Jahren jedoch lässt sich eine Unsitte erkennen, die sich inzwischen über einige Landes- grenzen hinweg ausgebreitet hat: Nach den Text- zeilen »[…] von dir gerissen wurde Südtirol« in der 2. Strophe sind des Öfteren die lautstarken Zwi- schenrufe »Gott sei Dank« oder auch »scheißegal« zu vernehmen. In der Regel ertönen diese Worte inbrünstig aus den Reihen des Publikums, doch musste ich auch schon miterleben, dass sich sogar die Musikanten auf der Bühne dieser Worte be- dienten. Gott sei Dank? Seit mir dieses Phänomen zum ersten Mal auffiel, frage ich mich, welche Motivation dahinter steckt, wer diesen Stein wohl ins Rollen brachte und schlussendlich: Ob diese Rufe auch wirklich so ge- meint sind oder ob es sich hierbei nur um gedan- kenlos herausgerufene Worte handelt, weil diese eben ganz gut ins Versmaß passen. Denn jeder, dem schon einmal das Glück zuteil ward, Südtirol besuchen zu dürfen, wird bestätigen können, dass es sich bei den Einheimischen um ein wahrlich gastfreundlich und frommes Volk handelt. Wieso sollte man also gerade Gott dafür danken, dass die Südtiroler dieses schlimme Schicksal, von ihren Tiroler Landsmännern gerissen zu werden, ertra- gen mussten? Zuvor singt jeder Zwischenrufer ja noch »Ein harter Kampf hat dich entzwei geschla- gen« und verdeutlicht mit dem Wort »gerissen« ja selbst einen eher unglücklichen Standpunkt zum Verlauf der modernen Südtiroler Geschichte. »Gott sei Dank« in diesem Zusammenhang entzieht sich also zusätzlich auch noch dem Kontext, was fol- gende Annahme bekräftigt: Wirklich ernst und so- mit auch gehässig gemeint sind diese Rufe also wohl von den wenigsten. Vielmehr handelte es sich ursprünglich wohl um eine Frotzelei zwischen Nord- und Südtirolern, welche sich dann weiter verbreitete. Etwa so wie die altbekannten und selten ernst gemeinten Reibereien zwischen den »Piefkes« und den »Ösis«. GOTT SEI DANK NICHT ALLEN SCHEISSEGAL Ein Kommentar von Denis Spiess

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Page 1: gott sei dank nicht allen scheissegal - Schlanzlmusidort ist mein schönes Heimatland […]« 3 Szene mucke u Mai/Juni 2013 ten – im Falle Südtirols am Alpenhauptkamm. Als die politischen

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Szene

Die sommerliche Bierzelt-Saison steht unmittelbar vor der Tür und auch der Klassiker der alpenländischen Marschmusik schlechthin wird sicher-lich wieder freudige Stimmung unter den Besuchern verbreiten. Die Rede ist von »Dem Land Tirol die Treue« aus der Feder von Florian Pedarnig. Mit seinen eingängigen Melodien und dem von Sepp Pedar-nig gedichteten Text im Trio findet dieser Marsch stets regen Anklang im Publikum und reißt jede freie Hand zum Klatschen mit…

Seit einigen Jahren jedoch lässt sich eine Unsitte erkennen, die sich inzwischen über einige Landes-grenzen hinweg ausgebreitet hat: Nach den Text-zeilen »[…] von dir gerissen wurde Südtirol« in der 2. Strophe sind des Öfteren die lautstarken Zwi-schenrufe »Gott sei Dank« oder auch »scheißegal« zu vernehmen. In der Regel ertönen diese Worte inbrünstig aus den Reihen des Publikums, doch musste ich auch schon miterleben, dass sich sogar die Musikanten auf der Bühne dieser Worte be-dienten.

Gott sei Dank?

Seit mir dieses Phänomen zum ersten Mal auffiel, frage ich mich, welche Motivation dahinter steckt, wer diesen Stein wohl ins Rollen brachte und schlussendlich: Ob diese Rufe auch wirklich so ge-meint sind oder ob es sich hierbei nur um gedan-kenlos herausgerufene Worte handelt, weil diese eben ganz gut ins Versmaß passen. Denn jeder,

dem schon einmal das Glück zuteil ward, Südtirol besuchen zu dürfen, wird bestätigen können, dass es sich bei den Einheimischen um ein wahrlich gastfreundlich und frommes Volk handelt. Wieso sollte man also gerade Gott dafür danken, dass die Südtiroler dieses schlimme Schicksal, von ihren Tiro ler Landsmännern gerissen zu werden, ertra-gen mussten? Zuvor singt jeder Zwischenrufer ja noch »Ein harter Kampf hat dich entzwei geschla-gen« und verdeutlicht mit dem Wort »gerissen« ja selbst einen eher unglücklichen Standpunkt zum Verlauf der modernen Südtiroler Geschichte. »Gott sei Dank« in diesem Zusammenhang entzieht sich also zusätzlich auch noch dem Kontext, was fol-gende Annahme bekräftigt: Wirklich ernst und so-mit auch gehässig gemeint sind diese Rufe also wohl von den wenigsten. Vielmehr handelte es sich ursprünglich wohl um eine Frotzelei zwischen Nord- und Südtirolern, welche sich dann weiter verbreitete. Etwa so wie die altbekannten und s elten ernst gemeinten Reibereien zwischen den »Piefkes« und den »Ösis«.

gott sei dank nicht allen scheissegal

Ein Kommentar von Denis Spiess

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Ganz ungeachtet der Frage, wie es heute um Südtirol in Italien steht, ob eine Rückkehr zur deutschen Heimat er-wünscht ist oder nicht – es ist unab-streitbar, dass die Abtretung Südtirols an Italien nach dem Ersten Weltkrieg und die größtenteils erfolglose Italieni-sierung ganz Südtirols durch die faschis-tische Regierung unter Mussolini ab 1922 ein düsteres Kapitel im Zeitstrahl ganz Tirols darstellt. So heißt es dann ja auch zu Recht »von dir gerissen wurde Südtirol« und nicht etwa »von dir, unter mehrheitlicher Zustimmung der ganzen Bevölkerung freundlichst übergeben, wurde Südtirol«. Da es Teilen der Festzelt-Besucherschaft vermutlich an geschichtlichem Wissen über Südtirol mangelt, wird folgend der relevante Teil, der nicht einmal 100 Jahre zurückliegt, dargestellt.

Totengräber Südtirols und Orts namensfälscher: Ettore Tolomei

Nachdem das heutige Gebiet Südtirols schon seit dem 8. Jahrhundert germanisch war und die Zu-gehörigkeit zu Bayern und Österreich mehrmals wechselte, wurde es nach dem für Österreich-Un-garn verlorenen Ersten Weltkrieg 1919 von Italien besetzt und aufgrund des Vertrags von Saint-Ger-main am 10. Oktober 1920 offiziell, aber gegen den Willen der ansässigen Bevölkerung, angegliedert. Zwar sicherte König Viktor Emanuel III. am 1. De-zember 1919 den Südtirolern noch »sorgfältige Wahrung der lokalen Institutionen und der Selbst-verwaltung« zu, was nach einer friedlichen Lösung dieser Landnahme aussah, doch bemerkten die Südtiroler recht bald, dass ihnen anders ge schehen sollte. Schon bald marschierten die Schwarzhem-den, also die faschistischen Anhänger Mussolinis, in Südtirol ein und versuchten gewaltsam, Über-bleibsel der ehemaligen Doppelmonarchie zu ent-fernen. Mit der offiziellen Machtübernahme Mus-solinis am 30. Oktober 1922 begann die radikale Italienisierungsphase Südtirols, welche einen knall-harten Identitätsentzug zum Ziel hatte. Der glühende Nationalist Ettore Tolomei war hier-bei die Schlüsselfigur: Dieser war schon seit An-fang des 20. Jahrhunderts in die pseudo-wissen-schaftliche These vernarrt, dass Staatsgrenzen grundsätzlich an Wasserscheiden verlaufen zu hät-

Außerhalb Tirols und überhaupt außerhalb Öster-reichs liegt es wohl eher am Gruppenzwang oder einfach nur am Spaß an der Freude in Bierzelten und bei Blasmusikveranstaltungen. Jeder schreit »scheißegal« und keiner denkt über seine Worte nach. Wieso denn auch? Die anderen schreien es ja auch. Und genau an diesem Punkt möchte ich zum Nach-denken anregen. Denn Tatsache in vielen Fest-zelten im süddeutschen Raum ist: Bei »Dem Land Tirol die Treue« brodelt es und die Stimmung steigt an betreffender »Gott sei Dank«- und »Scheißegal«-Textstelle aufs Maximum. Dann schreien diese Worte aber nicht nur ein paar vielleicht schon an-getrunkene Einzelgänger, sondern nicht selten mehrere hundert Personen im Chor. Ein weiterer Widerspruch, der dieses »Gott sei Dank«-Geschreie noch viel bizarrer erscheinen lässt, liegt der Tatsache zugrunde, dass ein und die-selbe Personengruppe, welche gerade noch froh um Tirols Spaltung war, oft nur ein »Prosit der Gemütlichkeit« später beim »Bozner Bergsteiger-marsch« die natürliche Sprachraum-Grenze Süd-tirols bejubelt: »[…] Ist doch die Heimat mein […]Von Sigmundskron der Etsch entlang bis zur Salur-ner Klaus.« Oder sich mit der Hand am Herzen an der Heimatliebe der Südtiroler erfreut: »Wo König Ortler seine Stirn hoch in die Lüfte reckt, bis zu des Haunolds Alpenreich, das tausend Blumen deckt, dort ist mein schönes Heimatland […]«

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mucke u Mai/Juni 2013

ten – im Falle Südtirols am Alpenhauptkamm. Als die politischen Begebenheiten ihm den Weg zu seinem unrechten Plan öffneten, machten sich er und seine Schergen daran, Südtirol gänzlich an Ita-lien anzugliedern. Die Lehre der deutschen Spra-che in den Schulen wurde verboten, Italienisch als Amtssprache eingeführt, Orts-, Flur und sogar Vor- und Familiennamen wurden durch mehr oder we-niger frei übersetzte Bezeichnungen ersetzt und geschändet. Zu sämtlichen deutschen Familien-namen in Südtirol ließ Tolomei sogar eine gut 200 Seiten lange Liste mit entsprechenden »Überset-zungen« anfertigen. Selbst der Name »Süd-Tirol« wurde verboten und durch die heute noch gültige Bezeichnung »Alto Adige« ersetzt. Tolomei setzte also an einem sehr verletzlichen Punkt an: Sind doch Orts- und Familiennamen sowie die Mutter-sprache das höchste Kulturgut und Ausdruck der Identität eines Volkes. Sollten diese Schätze einmal ausgerottet sein, wäre eine vollständige Italienisie-rung nur noch mit wenigen Mühen verbunden. Zudem wurden die nördlichen Grenzen gesichert, die Einwanderung Deutscher verhindert und die Zuwanderung von Italienern begünstigt. Es wurde also versucht, in Südtirol den Anschein zu er-wecken, als sei dieses Gebiet schon seit alters her eine italienische Provinz. Und dies war schlichtweg Geschichtsfälschung höchsten Grades. Die deut-sche Bevölkerung nannte ihn schon bald »Toten-gräber Südtirols« und »Ortsnamensfälscher«.Kurz vor Beginn des Zweiten Weltkriegs am 21. Ok-tober 1939 kam es zu einem Abkommen zwischen Hitler und Mussolini. Nach dem Übel des italieni-schen Faschismus bekamen die Südtiroler nun auch noch die gnadenlose Faust des National-sozialismus zu spüren, sie wurden vor die Wahl gestellt: entweder bleiben und italienisch werden oder in deutsche Gebiete umsiedeln. Etwa 85 Pro-zent der Bevölkerung entschied sich für die Um-siedlung ins Reich. Nachdem bis 1943 schon etwa 75 000 Südtiroler ausgewandert waren, wendete sich das Blatt: Mus-solini wurde gestürzt, Italien verbündete sich mit den Alliierten und Südtirol wurde im September desselben Jahres von Deutschland besetzt, was die Auswanderung beendete. Nach 1945 kehrte ein Großteil der Aussiedler wieder in die Heimat zurück. Trotz eines Antrags zur Wiederangliede-rung an Österreich, für den fast 100 Prozent der Bevölkerung stimmte, ging Südtirol wieder zurück an Italien. Jedoch: Die angestrebte Beherrschung Südtirols nach faschistischem Schlüssel in der ers-

ten Hälfte des 20. Jahrhunderts scheiterte. Doch nach wie vor fällt es den Italienern in Südtirol und dem Staat Italien in dieser Hinsicht ungemein schwer, sich von kolonialistischer Grandeur zu ver-abschieden und zu frei denkenden Europäern zu werden. Betrachtet man nur einmal das Monu-mento alla Vittoria, das 1928 eingeweihte und bis heute in Bozen stehende faschistische Siegesdenk-mal sowie die dort nach wie vor bestehenden faschistischen Straßennamen. Gerade diese Tat-sache macht ein Bewusstsein der Südtiroler Ge-schichte noch mehr erforderlich.

Zum Schluss: ein Dank, ein Appell

Ich möchte nochmals betonen, dass ich den we-nigsten Dazwischenrufern eine feindselige Absicht unterstelle. Aber anstatt diesem verächtlichen »Gott sei Dank« wäre vielmehr Solidarität mit sämt-lichen Südtirolern und allen Opfern des Faschis-mus angebracht. Ich will nicht anregen, dass »Gott sei Dank« oder »Scheißegal« durch einen alter-nativen Ausschrei ersetzt werden, sondern plä-diere einfach nur für: Ruhe an dieser Stelle. Mein Appell richtet sich also an alle, die diese Ruhe – sei es aus Gedankenlosigkeit oder Unwissenheit – bis dato störten. Ebenso gilt mein Dank allen, die an betreffender Textstelle bisher schon respektvoll Ruhe bewahrten und denen der Sachverhalt somit nicht »scheißegal« war und ist. Denn friedliche Ruhe ist das, was man sich auch in Südtirol schon seit jeher wünscht. t Denis Spiess

denis spiesswurde 1991 geboren und wuchs in Friesen-hofen, zwischen Isny, Leutkirch und Kempten gelegen, auf. Im »richtigen Leben« studiert er Maschinenbau in Kempten, seine Leidenschaft gehört der Blas-musik. Als 14-Jähriger erlernte er das Spiel auf dem Tenorsaxofon. Heute beherrscht er auch Posaune und Tuba. Diese spielt er bei der »Allgaier Schlanzlmusi«, den »Muhsikanten«, der Musikkapelle Frauenzell und der Stadtkapelle Kempten. Durch die Part-nerschaft der Feuerwehren aus Frie-senhofen und St. Leonhard in Passeier besucht er Südtirol seit Kindesalter nahezu jedes Jahr.