greenpeace switzerland magazin 3/2013 de

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1 GREENPEACE MEMBER 2013, NR. 3 Frankreich: Atomlobby bekommt erste Risse S. 26 Portrait: Öko-Inselbauer Richart Sowa S. 12 Public Eye: «Naming and Shaming» als Prinzip S. 14 Schwerpunkt Frankreich ab S. 22 Pariserin wird Bio-Bäuerin in den französischen Voralpen S. 52

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Schwerpunkt Frankreich; IN DER ATOMFALLE - Die europäische Energiewende hängt ausgerechnet vom AKW-besessenen Frankreich ab. KLEINE FISCHEREI – GROSSE ZUKUNFT - Traditionelle statt industrielle Fangmethoden könnten das Überleben zahlreicher Arten sichern. VERDRUSS STATT GENUSS - Bakterien und Umwelteinflüsse machen den Austern den Garaus. VON DER BÜHNEN- ZUR BIOKULTUR - Eine Tänzerin steigt als Bäuerin ein.

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Page 1: Greenpeace Switzerland Magazin 3/2013 DE

1Magazin Greenpeacenr. 3 — 2013

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Editorial — Es ist uns nicht leichtgefallen, ein Land auf die Titelseite dieses Magazins zu hieven. Länder … Staaten … Nationen. Irgendwie widersprechen sie der Vorstellung von einer Erde, die rundum in Gleichgewicht und Frieden existiert. Während die Umweltprobleme an Landesgrenzen nicht haltmachen, benehmen sich die Staaten, als wäre es gerade so. Doch in ähnlicher Weise, wie es in der Natur Reviere gibt, sind politische Machtbereiche eine Realität. Vielleicht sind sie sogar eine Chance – dort, wo sich positiver Wandel in einem begrenzten Territorium einfacher bewerkstelligen lässt. Frankreich hätte jetzt eine solche Chance: Es könnte die europäische Energiewende ermöglichen. Dieses grosse Land hat bewiesen, dass es grosse Projekte stemmen kann: gesellschaftlich und auch technologisch. Es hat vor zwei­hundert Jahren die Welt politisch umgekrempelt. In den letzten Jahrzehnten hat Frankreich der Welt technologische Impulse gegeben – leider indem es seine Innovationskraft hauptsächlich an die Atomenergie verschwendet hat. Nun könnte es sein immenses Potenzial für eine grüne Zukunft nutzen. Unser Dossier ab Seite 22 berichtet davon. Grenzen werden aber ganz und gar ruchlos genutzt von Konzernen, deren Habgier keine Grenzen kennt, genauso wenig wie ihre Verschlagenheit, sich hinter Grenzen zu verstecken. Der Public Eye Award, wahrscheinlich der weltweit wichtigste Schmähpreis, prangert solche Unternehmen an. Ab Seite 14 zeigen wir, wie es mit dieser Initiative von Green­peace Schweiz und der Erklärung von Bern weitergeht. Keine Grenze zwischen menschlichem Revier und Natur ist klarer als die Meeresküste. Aber auch da verschwimmt diese Linie. Der wunderschöne Fotoessay auf Seite 43 zeigt ein Phänomen mit Symbolkraft: das Austernsterben am Atlantik. Es zeugt vom bedenklichen Zustand des Ozeans, und dieser ist bekanntlich grenzenlos. Wenn immer wir an der Grösse der Umweltprobleme verzweifeln wollen, sollten wir uns ein Zitat des Seefahrers und Archäologen Thor Heyerdahl in Erinnerung rufen: «Grenzen? Ich habe nie welche gesehen. Aber ich habe gehört, sie existieren im Geist gewisser Leute.»

Die Redaktion

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Magazin GreenpeaceNr. 3 — 2013

Schwerpunkt Frankreich ab S. 22

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I N d e r aT o m fa l l eDie europäische Energiewende

hängt ausgerechnet vom AKW-besessenen Frankreich ab

S. 26

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kleine fischerei – grosse ZukunftTraditionelle statt industrielle fangmethoden könnten

das Überleben zahlreicher Arten sichern.S. 36

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verdruss statt genuss bakterien und umwelteinflüsse machen machen den

Austern den garaus…S. 43

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von der Bühnen- zur BiokulturEine Tänzerin steigt als bäuerin ein.

S. 52

Portrait ROBINSON AUF DER ÖKO-PLASTIKINSEL 12

Public Eye DER ANTIPR EIS FüR UMWELTSüNDER 14

Gentech-lobby NEUER DRUCK VOR ABLAUF DES MOR ATORIUMS 18

In aktion 2leserbriefe / Impressum 10Chefsache 11Intressante Fakten 50Kampagnen-news 62In Kürze 65Öko-Rätsel 72

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Südkorea, 28. april 2013 Deutliche Zeichen aufgebrachte Einwohner von Samcheok, knapp 200 Kilometer vor Seoul gelegen, demonstrieren zusammen mit Greenpeace in einem Meer von Slogans gegen ein geplantes atomkraftwerk in der nähe ihrer Stadt.

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nordpol, 15. april 2013 Kapselpost Ein Behältnis aus Glas und titan wird in der arktis im Eis versenkt. Es trägt die «Flagge der Zukunft» und birgt die Unterschriften von 2.7 Millionen Menschen, die sich gegen industriellen Fischfang und Ölförderung am nordpol wehren.

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Deutschland, 12. april 2013 aufklärungsflug Ein Greenpeace-aktivist mit Gleitschirm fordert während der agrarministerkonferenz in Berchtesgaden, man solle die «Geheimakte Wald öffnen» und Fakten zur holzwirtschaft transparent machen.

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australien, 24. april 2013 Schwarzfahrer Greenpeace-aktivisten entern in der nähe des Great Barrier Reef den Kohlefrachter MV Meister und setzen ein Zeichen gegen den abbau wie auch den Export der fossilen Energie.

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ImpreSSUm – greeNpeaCe memBer 3/2013Herausgeberin/Redaktionsadresse Greenpeace Schweiz, Heinrichstrasse 147, Postfach, 8031 Zürich,Telefon 044 447 41 41, Fax 044 447 41 99, [email protected], www.greenpeace.chAdressänderungen unter: [email protected]

Redaktionsteam: Tanja Keller (Leitung), Matthias Wyssmann, Hina Struever, Roland FalkAutoren: Fabien Fivaz, Luigi D’Andrea, Bruno Heinzer, Thomas Niederberger, Samuel Schlaefli, Rita Torcasso, Matthias WyssmannFotografen: James Alcock, Christian Åslund, Jean­Paul Barbier, Sebastien Bozon, Peter Caton,

Jean Chung, Fojtu, Pierre Gleizes, Heike Grasser, Edgar Hagen, Ibra Ibrahimoviç, Jean­Philippe Ksiazek, Lagazeta, Chris Maluszynski, Jacky Naegelen, Gavin Newman, Ruben Neugebauer, Micha Patault, Philip Reynolds, Thomas Rickmann, Samuel Schlaefli, Thomas Schuppisser, Thomas Stutz, Ross White Gestaltung: Hubertus DesignDruck: Stämpfli Publikationen AG, BernPapier Umschlag und Inhalt: 100% Recycling Druckauflage: d 110 0 00, f 21  500Erscheinungsweise: viermal jährlichIllustration: Sibylle Heusser und Marcus Moser, Atelier Oculus, Zürich

Das Magazin Greenpeace geht an alle Mitglieder (Jahresbeitrag ab Fr. 72.—). Es kann Meinungen ent halten, die nicht mit offiziellen Greenpeace­ Positionen übereinstimmen.

Der Lesbarkeit zuliebe sehen wir davon ab, konsequent die männliche und die weibliche Form zu verwenden. Die männliche Form bezieht daher die weibliche Form mit ein – und umgekehrt.

Spenden: Postkonto 80-6222-8Online-Spenden: www.greenpeace.ch/spendenSMS-Spenden: Keyword GP und Betrag in Franken an 488 (Beispiel für Fr. 10.—: «GP 10» an 488)

leserbriefe

«Sind Sie für eine artgerechte Bienenhaltung?» Niemand würde wohl auf eine solche Frage mit Nein antworten. Aber sind wir uns bewusst, was artgerechte Bienen­haltung wirklich bedeutet? Theo­retisch wollen wir nur das Wohl dieses wunderbaren und nützlichen Tieres. Aber warum klaffen Theorie und Praxis so weit ausein­ander? Sobald wir etwas ändern müssen, das an liebgewordenen Gewohnheiten rüttelt und weh tut, sind wir nicht mehr bereit, die logischen Konsequenzen zu ziehen. Ein paar Beispiele:• Ein natürliches Bienenvolk vermehrt sich nur durch Schwär­men. Es lässt sich keine gezüch­tete Königin zusetzen.• Jedes Volk ist bereit, anderen Lebewesen etwas von seinem Honig abzugeben – aber nicht die Menge, die wir ihm abverlangen. Es kann zum Beispiel aus Gesund­heitsgründen nicht auf Früh­lingshonig verzichten.• Die Königin empfindet einen brustgrossen Rückenschild lebens­lang als störenden Ballast und weiss nicht, warum der Imker ihr einen Teil der Flügel abschneidet.• Bienen sind sehr gestresst, wenn mit Rauch gearbeitet wird. Wenn der Imker ruhig arbeitet, erfüllt eine Sprühflasche mit Was­ser den gleichen Zweck.• Das Bienenvolk will in Ruhe gelassen werden. Jeder Eingriff

bringt das Klima im Stock für Tage durcheinander.• Ein Volk kann sich schlecht mit Pesti­ und Insektiziden arrangie­ren (http://nuoviso.tv/uebersicht­alle­videos/item/summ­mir­das­lied­vom­tod­2).• Bienenvölkern würde es gut bekommen, wenn sie jedes Jahr in ihrer Umgebung Trachtpflanzen in ausreichender Menge wieder­finden würden.

Aus all diesen Gründen erfor­dert eine art gerechte Bienenhal­tung ein tiefgreifendes Umdenken.

J. studerus, imker, gonten Ai

Ich gratuliere zum gelungenen Heft Nr. 2/2013. Zum Artikel über Leuchtdioden (LED) möchte ich noch den sogenannten Rebound­Effekt erwähnen: Effizienzstei­gerungen werden oft durch gestei­gerten Konsum zunichte gemacht. Schön zu sehen ist dies auf der Seite 32 beim Bild des Siemens­Gebäudes. Gerade weil LED effizi­ent sind, werden neuerdings Fassaden beleuchtet, die sonst nicht beleuchtet würden.

Auch bei der neuerdings mög­lichen Strassenbeleuchtung durch LED ist zu befürchten, dass die Gemeinden nun einfach mehr Stras senlampen aufstellen als frü­her. Im Fall der gelblichen Natrium­dampflampen ist dies doppelt ungünstig, da die heutigen LED im Vergleich nicht effizienter sind. Auch im Labor, wo ich arbeite, wur­den wenige Leuchtstoffröhren

durch viel LEDs ersetzt. Wir brau­chen jetzt mehr Strom als vorher, einerseits weil die billigen Netztei­le auch Strom beziehen, wenn die Lampen ausgeschaltet sind, und andererseits weil die Mitarbeiter die Lampen viel länger eingeschal­tet lassen als früher – ein Effekt, der auch bei Computerbildschir­men auftritt.

Die Beispiele zeigen, dass die Effizienzsteigerung bei LED überschätzt wird und der Effizienz­gewinn oft durch einen Mehr­verbrauch überkompensiert wird.

T. schmidt, steffisburg bE

Was für ein starkes, magisches Bild! Die 27­jährige australische Künstlerin Allana Beltran thront als Schutzengel in den mächtigen Baum kronen und mahnt zum Stopp der Abholzung tasmanischer Wälder. Künstler mit inhaltlich so bedeutsamen Bildern verdienen unseren Beifall. Ich freue mich schon auf die nächste Ausgabe des Greenpeace Magazins.

Anton c. Meier, Emma Kunz,würenlos Ag

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ZUkUNfTAm Nordpol gibt es eine Fahne: ein Dreieck mit ineinander verwobenen Kreisen in anthroposophischen Farben. Vier junge Greenpeace­AktivistInnen haben sie am 15. April gehisst und unter ihr eine Kap­sel im Eis versenkt, die mit den Unter­schriften von 2,7 Millionen Arktis­Schützer­Innen gefüllt ist. Ein Warnzeichen an Staaten und Konzerne, die aus dem drama­tischen Schmelzen des Polareises Kapital schlagen wollen. Und ein Symbol für die geeinte Kraft der Menschen, die sich welt­weit dafür einsetzen, dies zu verhindern. Einen Monat später verabschiedeten die indigenen Völker der Polarregion gemein­sam mit Greenpeace eine Erklärung zum Schutz der Arktis. Ein erster kleiner Erfolg!

Es vergeht kaum eine Woche, ohne dass ein Greenpeace­Büro irgendwo auf der Welt über eine Erfolgsgeschichte berichtet.

Mitte Juni 2013 konnte Greenpeace Afrika die senegalesische Regierung dazu bewegen, ihren Bewilligungsstopp für ausländische Fischereiflotten zu verlängern.

Anfang Juni 2013 besuchte Susilo Bambang Yudhoyono, der Präsident Indone­siens, die Rainbow Warrior und versprach dem Greenpeace­Chef Kumi Naidoo seine Unterstützung beim Schutz des Regenwaldes.

Im Frühjahr 2013 erreichte die von einer Schweizer Freiwilligengruppe initi­ierte Kampagne zum Schutz der Bienen, dass die EU – und kurz danach die Schweizer Regierung – die Bewilligung für drei be­sonders schädliche Pestizide einschränkte.

2011 rang Greenpeace China der chine­sischen Regierung ein Verbot von gen tech­nisch verändertem Reis ab.

In Indien arbeitet Greenpeace eng mit der Regierung von Bihar zusammen, um den armen Staat zu einer Energieregion mit dezentraler, erneuerbarer Energiepro duk­tion zu entwickeln.

Viele lokale Erfolge führen zu Ver ­besserungen für Umwelt, Tier und Mensch. Doch weder das Ausmass noch die Ge­schwindigkeit der Umweltzerstörung konn­ten bisher entscheidend gebremst werden. Genau das will Greenpeace aber errei­chen! Mit mehr gemeinsamen Kam pagnen, an denen sich engagierte Menschen welt­weit beteiligen. Mit den vereinten Kräften und Ressourcen von 28 Greenpeace­Büros in 5 Kontinenten. Mit der Intelligenz und Kreativität von Meeresbiologinnen, Klette­rern, Webprofis, Klimaaktivistinnen, Schreibenden, Schiffskapitäninnen, Spen­dern, Finanzspezialistinnen und vielen mehr. Und hoffentlich weiterhin mit Ihrer Unterstützung!

Damit Konzerne und Regierungen zum Umdenken gezwungen werden. Und damit die bunte Fahne am Nordpol auch noch für die nächsten Generationen als starkes Symbol über dem ewigen Eis weht.

Verena Mühlberger und Markus Allemann, Co­Geschäftsleitung

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Richart Sowa, 59, Isla Mujeres, Mexiko

Der Inselbauer

seine Vision einer schwimmenden insel wurde für den briten richart sowa zum lebenswerk. seine dritte eigenhändig aufgebaute insel heisst Joysxee island.

sie schwimmt auf 150 000 leeren Plastikflaschen.

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Paradies auf Plastikbasis: althippie und Visionär Richart Sowa mit seiner Spiral Island vor Mexiko.

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Von Rita torcasso — Richart Sowa hat sich den Traum der eigenen Insel erfüllt: Sein Para­dies liegt eine Schwimmbeckenlänge vor der mexikanischen Karibikküste. In der Mitte wird die schwimmende Insel von einem Hauptanker gehalten, drei Seilanker halten sie in Balance. Mit Katzen und Hund lebt der Aussteiger in einem dreigeschossigen Wohnhaus, das er aus Sperrmüll errichtet hat. Joysxee Island ist heute eine Touristenattraktion und wird von Trip­advisor unter den 16 wichtigsten Sehenswürdig­keiten der Isla Mujeres aufgelistet.

1977 zeichnete Richart Sowa erstmals eine schwimmende Insel. Damals arbeitete der Vater von drei Kindern als Schreiner in einer Fabrik für Einbauküchen. Mit 30 wollte er «neue Wege gehen und mehr auf mich hören, statt wo anders und bei andern Antworten suchen». Er zog als Musiker und Strassenmaler durch Europa und die USA bis nach Mexiko. In dieser Zeit habe er das Potenzial entdeckt, das im Müll steckt.

In Mexiko erinnern ihn die schwimmen­den Gärten der Maysa an seine Inselvision. Am Hippiestrand Zipolite beginnt er, Leergut in ausgedienten Gemüsenetzen unter eine Kon struktion aus Pappmaché zu montieren. Die Polizei stoppt den Inselbau. «Spiral Island» nennt er auch seine zweite Konstruktion vor Puerto Aventuras. «Die Spirale ist das Symbol der Entwicklung, denn nur aus Abweichung entsteht Neues», erklärt Sowa den Namen. Mit der Erlaubnis der Behörden kann er in einem künstlich angelegten Kanal ankern. Während dreier Jahre sammelt er Flaschen und Sperrgut für die Insel, die spiralförmig wächst.

Mit Spiral Island erregt Richart Sowa weit über Mexiko hinaus Aufsehen. Für ihn ist die Insel eine Botschaft, dass man mit positivem Denken Energie erzeugen kann, welche die Welt verändert. «Schwimmende Inseln als Lösung für Länder, die von überflutungen bedroht sind, oder als Mittel gegen Nahrungsknappheit», umschreibt er seine Zukunftsvision. Während er sein Ökoparadies aufbaut, wächst an der Küste ein Luxusresort für Touristen heran. 2005 zer­stört der Hurrikan Emily die schwimmende Insel.

Richart Sowa arbeitet wieder als Zimmer­mann und Musiker – und plant. Von Sponsoren erhält er ein Startkapital von 40 000 Dollar und kann ein privates Stück Strand auf der Isla Mujeres für 1000 Pesos Monatsmiete nutzen.

Er nennt seine dritte Insel «Joysxee Island» – Schlüssel zur Freude. Mit einer Fläche von wenigen Quadratmetern beginnt er – heute ist die als «ökologi sches Boot» registrierte Insel zirka 400 Quadrat meter gross. Mangroven hal­ten mit ihren Wurzeln die Leergutsäcke zu­sammen. Sowas Ziel ist, Besuchern zu zeigen, dass autarkes Leben möglich ist – mit Wasser­auffangbecken, Sonnenofen, Abfallkompostie­rung, wellen betriebenem Kühlschrank. Noch ist der Tüftler auf eine Wasserleitung zum Festland angewiesen und Strom liefert eine Photovol­taikanlage, die mit 800 Kilogramm zu schwer ist für die Insel. Ein «Flaschenfloss» an Seilen verbindet den Inselbauer mit dem Festland, wo er als Musiker Geld verdient – und weiter Flaschen sammelt, um sein Paradies auszubauen.

Was der Althippie als seine Vision aufgebaut hat, plant jetzt ein holländisches Architekten­team im grossen Stil: Mit dem Plastikabfall aus dem gigantischen Müllstrudel zwischen Hawaii und der US-Küste will es eine schwimmende Insel bauen, die 500 000 Personen Wohnraum bietet.

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niemand will ihn bekommen. trotzdem hat es der Public Eye award ins zehnte Jahr geschafft und sich zum unbeliebtesten Schmäh-preis der Geschäftswelt gemausert. Wo steht das «Public Eye»? Und was kann der Preis bewirken?

Von thomas niederberger

Seit dem Jahr 2000 setzt das «Public Eye» einen kritischen Gegenpunkt zum Jahrestreffen des World Economic Forum (WEF) in Davos. Seit 2005 werden die Public Eye Awards vergeben, Schmähpreise für das «übelste Unternehmen des Jahres». Der Anlass hat sich im Kontext ständig weiterentwickelt. Geboren wurde er auf dem Höhepunkt der globalisierungskritischen Bewe­gung, als die Proteste in Davos in einem Zug

mit Seattle, Prag und Genua genannt wurden. Das «Public Eye» war in den ersten Jahren eine Gegenkonferenz, wo Aktivisten aus der ganzen Welt zusammenkamen, um von ihren Kämpfen gegen die globalisierte Herrschaft der am WEF versammelten Konzerne zu berichten. Die Ansicht, dass es «so nicht weitergehen kann», war omnipräsent. Der Film «The Corporation» brachte es auf den Punkt. Betrachtet man die Konzerne als Personen, erfüllen sie alle Kriteri­en eines Psychopathen. Unverantwortlich, manipulativ, grössenwahnsinnig und ohne schlechtes Gewissen gehen sie über Leichen für ihren einzigen Zweck: den maximalen Profit für die Aktionäre.

Seit dem ersten «Public Eye» hat sich viel verändert. Die Konzerne haben dazugelernt. Um ein Bekenntnis zu Umweltschutz und sozia­lem Engagement kommt niemand mehr herum. Das WEF selbst zeigte sich reuig und bemüht um den Dialog mit den KritikerInnen. «Das WEF war für uns ein Symbol für die Hinterzimmer­politik der Konzerne», meint Andreas Cassee, der bei den Protesten dabei war und jetzt in der Jury des Public Eye Award sitzt. «Die reale Bedeu­

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tung der Veranstaltung wurde aber überschätzt. Die wichtigen Entscheide werden anderswo gefällt – es ist ein eher langweiliger Anlass, um Visitenkarten auszutauschen.»

Die Proteste sind abgeklungen, geblieben sind gelangweilte Journalisten aus der ganzen Welt, die nach kontroversen Inhalten suchen und gerne über die Public­Eye­Preisverleihung berichten. Der Preis ist damit zu einem inter­national beachteten Instrument geworden, das es Organisationen ermöglicht, üble Machen­schaften von Konzernen anzuprangern. «Wir setzen auf fundierte Nominierungen und eine solide und unabhängige Jury», erklärt der Greenpeace­Verantwortliche Michael Baum­gartner. Neben VertreterInnen der beiden Trägerorganisationen Greenpeace und Erklä­rung von Bern sitzen deshalb seit diesem Jahr auch vier renommierte Ethiker verschiedener Universitäten in der Jury. Zu jeder Nominie­rung erstellt das Institut für Wirtschaftsethik der Universität St. Gallen ein Gutachten. Geplant ist, die Jury mit VertreterInnen des «globalen Südens» weiter zu stärken.

Mit moralischem Druck gegen Psychopathen«Naming and Shaming» heisst das Prinzip

hinter dem Public Eye Award. Die Probleme zu benennen und bekannt zu machen, sei ein erster Schritt, um moralischen Druck auf die Konzer­ne zu erzeugen, erklärt Wirtschaftsethiker und Jurymitglied Ulrich Thielemann. Dabei richte man sich vor allem an die kritische Öffentlichkeit: an KonsumentInnen, Medienschaffende und nicht zuletzt an die Mitarbeitenden: «Das ist nicht zu unterschätzen: Die allermeisten Leute wollen zu ihrem Arbeitgeber stehen können und das Gefühl haben, etwas Sinnvolles zu tun.» Letztlich müsse die «Moralisierung der Märkte» aber regulatorisch durchgesetzt werden. «Das ist eine Aufgabe der Politik. In diesem Sinn spricht der Preis die StaatsbürgerInnen an – sie müssen Druck machen, damit die Wirtschaft eine gute Rahmenordnung bekommt. Verant­wortungsvoll geführte Unternehmen sollen im Wettbewerb nicht das Nachsehen haben.»

Die Nichtregierungsorganisationen funktio­nieren dabei als Wachhunde der Zivilgesell­schaft. Sie filtern aus der Fülle der Probleme besonders gravierende Fälle heraus und klagen exemplarisch an. Besteht so nicht die Gefahr,

dass man das Gesamtbild aus den Augen verliert? Thielemann verneint: «Alles andere wäre eine überforderung. Klar ist das nur die Spitze des Eisbergs, aber es ist ja auch erken n­bar, dass es noch viel mehr Kandidaten gäbe.» Andreas Missbach, der für die EvB in der Jury sitzt, unterstreicht: «Unser grösstes Problem ist, dass es immer zu viele gibt, die den Preis ver­dient hätten.»

Die tägliche Flut von Meldungen über Umweltsünden, Menschenrechts verletzungen und katastrophale Arbeitsbedingungen lässt nicht nach. Trotz aller Imagepflege: Wenn es ums Geschäft geht, sind die Konzerne so rück­sichtslos wie eh und je. Mit den neuen Kommu­nikationstechnologien wird es einfacher, ihre dunklen Ecken auszuleuchten. Das heisst: noch mehr Meldungen, noch mehr Kandidaten. Ein Kampf gegen Windmühlen?

Was bringts? Eine kleine BilanzIgnorieren, abstreiten, beschönigen. Die

Reaktionen der nominierten und ausgezeichne­ten Konzerne gleichen sich auf den ersten Blick. Doch die Dynamik, die sich darum herum entwickelt, ist jedesmal wieder anders. Seit

«Die nGo funktionieren als Wachhunde der Gesellschaft und klagen exemplarisch an.»

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2005 wurden rund 300 Eingaben gemacht, von denen es mehrere Dutzend zu einer offiziel­len Nominierung gebracht haben, aus denen wiederum 20 Preisträger erkoren wurden. Ein Auswahlkriterium ist, dass die Eingabe in eine Kampagne eingebunden werden kann, die wei­terläuft. Der Public Eye Award ist also immer nur ein Mosaikstein in einem grösseren Bild, «ein winziges Preislein, eine Stimme, die das Bewusstsein wach hält», wie Thielemann sagt. Kann er auch als Anstoss für reale Verbes ­ se rungen dienen? Kaum eine Firma würde das öffentlich eingestehen und es gibt keine syste ma­tische Auswertung, wie sich die «verantwor­tungslosesten Unternehmen» der letzten Jahre entwickelt haben. Immerhin: Eine kleine Um­frage bei den Organisationen, die mit ihren Ein­gaben «gewonnen» hatten, ergab, dass sich der Aufwand für sie gelohnt hat. Hier der Versuch einer kleinen Bilanz über den Nutzen des Schmähpreises.

• Bekannt machen: Die Nominationen wer­den mit kurzen Videos, Social­Media­ und klas­sischer Medienarbeit breit gestreut. Möglichst viele Leute sollen beim Publikumspreis für ihren «Favoriten» stimmen. So werden auch Firmen sichtbar, die kaum jemand kennt, weil sie keine Konsumgüter herstellen. Das wird auffallend oft genutzt. Als Glencore 2008 ausge­zeichnet wurde, war es noch «die grösste Firma, von der du noch nie etwas gehört hast». Der Schweizer Rapper Greis schaffte es nach mehre­ren Versuchen, den Preis zu übergeben, und CEO Ivan Glasenberg liess sich Versprechungen zur Besserung entlocken. Andere Unbekannte, die dank Nominationen eine gewisse Öffent­lichkeit erhielten, sind zum Beispiel die Sicher­heitsfirma G4S oder der finnische Agrotreib­stoffproduzent Neste Oil. Mit Coal India wurde auch ein besonders bedenklicher indischer Staatsbetrieb nominiert, über den international sonst kaum berichtet wird.

• tabus brechen: Der Elektronikkonzern Samsung galt in Südkorea als unantastbar – öffentliche Kritik war kaum möglich. Die inter­nationale Aufmerksamkeit rund um die No­minierung im Jahr 2012 half der lokalen Nicht ­regierungsorganisation Sharp jedoch, das Schweigen zu brechen und die gesundheits­gefährdenden Arbeitsbedingungen in den

Samsung­Fabriken auch in Südkorea aufs Tapet zu bringen.

• an den tisch zwingen: In Ghana schaffte es die Organisation Wacam, die abgebrochenen Verhandlungen über ein neues Minenprojekt wieder in Gang zu bringen, nachdem AngloGold Ashanti 2011 den Jurypreis erhalten hatte. Die Firma versuchte zwar, Wacam in Ghana schlechtzumachen, doch der Druck der lokalen und der internationalen Medien war stärker. Das Renommee des Preises half, Wacam als nicht zu ignorierende Vertreterin der lokalen Gemein­schaften zu stärken.

• Projekte beerdigen und Spekulanten ausbremsen: Der Berner Stromproduzent BKW zog sich 2010, ein Jahr nach der Auszeichnung, von der Beteiligung am Kohlekraftwerkprojekt im niedersächsischen Dörpen zurück. Nomi­niert hatte ihn die lokale Bürgerinitiative. Von der Bündner Repower, dieses Jahr nominiert für ein ähnliches Projekt in Süditalien, wird der gleiche Schritt erwartet. Die britische Barclays Bank, Preisträgerin 2012, gab diesen Februar bekannt, sie werde aus der Spekulation mit Nah­rungsmitteln aussteigen – nachdem ihr das World Development Forum immer wieder mit dem Preis auf die Pelle gerückt war.

• Widerstand stärken: Der brasilianische Rohstoffkonzern Vale gewann 2012 den Publi­kumspreis für seine Beteiligung am Mega­staudamm Belo Monte im Amazonas­Regenwald. Dagegen wehren sich unter anderem die indi­genen Xingu, die ihr Land verlieren würden. Gegen das Megaprojekt laufen diverse Gerichts­verfahren, die Xingu blockieren die Baustellen. Immer wieder entscheiden Richter in ihrem Sinn und verzögern die Arbeiten. Vale erhielt viele Stimmen dank einer starken Social­Media­Kampagne in Brasilien, wodurch auch der Widerstand der Xingu Gewicht erhielt.

Wirklich harte Fakten kann man mit «Schimpf und Schande» nicht schaffen. Dafür bräuchte es starke Gesetze, mutige RichterInnen und Strafen, die richtig schmerzen, nämlich finanziell. Das «Public Eye» zielt in diese Richtung – und hat auch schon getroffen: Shell, erster Preisträger 2005 für die Ölverschmutzungen im Nigerdelta, wurde diesen Januar von einem holländischen

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Gericht erstmals verurteilt, einem Bauern eine Entschädigung zu zahlen – einem von Tausen­den, die nun dasselbe versuchen können. Was ebenfalls ins Geld gehen kann, sind abspringen­de Grossinvestoren. Pensionskassen beispiels­weise führen immer öfter Ausschlusslisten, die sie aufgrund der Bewertung von Monitoring­firmen erstellen. Diese durchsuchen weltweit kritische Meldungen und errechnen daraus einen Index für Reputationsrisiken. Karen Rei­ner von der Firma RepRisk kann zwar nicht beur teilen, welche direkten Auswirkungen eine Public­Eye­Nomination hat, «aber eine Nen­nung wirft sicher ein Licht auf die kontroversen Aktivitäten einer Firma und trägt damit zur Bewusstseinsbildung unserer Klienten bei.» Mit Klienten sind hier nicht Biolädeli gemeint, sondern einige der weltweit grössten Inves­toren, wie zum Beispiel Goldman Sachs, der diesjährige Jurypreisträger.

Der Preis für Goldman Sachs habe eine besondere Qualität, findet Andreas Cassee, «weil damit klar gezeigt wird, dass die Skandale nicht weit weg von uns in ‹armen Ländern› passieren.» Die Grossbank wurde nominiert,

weil sie massiv Einfluss nimmt auf die Regie­rungen westlicher Nationen. Damit hat sie etwa die Schuldenkrise in Griechenland mitverur­sacht und Hunderte Millionen an öffentlichen Geldern eingesackt. Während der Preis ver­liehen wurde, war eine ganze Equipe der Bank am WEF und soll, wie es heisst, gleich eine Krisensitzung durchgeführt haben. Besonders ist auch, dass die Nominierung von einer Filmcrew kam, die damit für die Finanzierung eines Dokumentar films über die Hintergründe der Schuldenkrise und ihre Profiteure.

Die Moral von der Geschichte? In Holly­wood wird der Psychopath am Ende gestellt und für immer eingelocht. In Davos reichte es immerhin zu einer starken Laudatio der griechi­schen Journalistin Eurydice Bersi, die beschrieb, wie ihr Land mit dem Salamimesser Scheibe für Scheibe dem Schuldendienst geopfert wird. Ihr Aufruf zum Schluss: «Findet heraus, was wirklich passiert! Schaut, wer von der Krise profi­tiert! Nicht nur, weil Solidarität ein wunderbares Gefühl ist, sondern auch, weil ihr die nächsten sein könntet.»

Unwürdige Kopfarbeit: Der indische arbeiter rackert sich ab für die Jharia-Mine von Coal India. Wo sie Kohle abbaut, standen früher dichte Wälder. heute ist die Gegend besiedelt von meist mausarmen Migranten.

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Das Moratorium für den kommerziellen Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen endet 2017. Vieles spricht für ein generelles Verbot, aber wirtschaft

und wissenschaft stemmen sich vehement dagegen.

Essay von luigi D’Andrea, geschäftsführer, und fabien fivaz, Präsident von stopOgM

Die Auseinandersetzung um die Weiterführung oder Aufhebung des Schweizer Moratoriums für den kommerziellen Anbau von gentech­nisch veränderten Pflanzen (GVP) wird wieder aktuell. 2005 hatten die Schweizer Stimmberechtigten in allen Kantonen mit grosser Mehrheit ein fünfjähriges Moratorium für den kommerziellen Anbau von Gentechpflanzen angenommen, gegen den Willen von Parlament und Bundesrat. Das Moratorium wurde 2010 erstmals bis Ende 2013 verlängert und nun erneut bis Ende 2017. Die erste Verlängerung sollte den Abschluss und die Analyse der Ergebnisse des Nationalen For­schungsprogramms NFP 59 über Nutzen und Risiken der Freisetzung von GVP ermöglichen. Mit der zweiten Verlängerung verlangt das Parlament bis Ende 2016 eine Kosten­Nutzen­Analyse über gentech­nisch veränderte Organismen (GVO) und gibt sich die Zeit, allenfalls ein Gesetz über die Koexistenz zu erlassen, um den gleichzeitigen Anbau konventioneller und gentechnisch veränderter Pflanzen zu regeln.

Die politische Stimmung ist für Gentechpflanzen denkbar un günstig. Die Bevölkerung und die Bäuerinnen und Bauern sind mehr­heitlich dagegen. Auch setzen alle landwirtschaftlichen Strategien des

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Bundes auf Qualität, womit GVO faktisch ausgeschlossen sind (bei vielen Schweizer Labels ist das bereits der Fall). Nun hat der Bundesrat Anfang Jahr ein Paket von gesetzgeberischen Änderungen in die Ver­nehmlassung geschickt, das den Anbau von GVO nach Ablauf des Mora­toriums im Jahr 2018 ermöglichen soll. Es geht um eine Revision des Gentechnikgesetzes, die einen gesetzlichen Rahmen für gentech nikfreie Zonen schafft. Weiter soll eine Koexistenz­Verordnung erlassen werden betreffend die Bedingungen des Anbaus (Isolationsabstand zwischen konventionellen und gentechnisch veränderten Kulturen usw.).

Mit Ausnahme der Wirtschaft weisen sämtliche Stellungnahmen im Rahmen der Vernehmlassung die Aufhebung des Gentech­Verbots zurück. Die meisten Kantone, sowie die Landwirtschafts­, Umwelt­schutz­ und Konsumentenverbände wollen gar nicht erst auf die Vorlage eintreten. Aus ihrer Sicht sollte der Bundesrat auf sein Vorhaben verzichten: Die kleinräumige und heterogene Struktur der Schweizer Landwirtschaft, die Ausrichtung der landwirtschaftlichen Produktion auf Qualität statt auf Quantität, die Kostensteigerung durch eine allfällige Einführung von GVO und die ablehnende Haltung der Konsumen­tinnen und Konsumenten sprechen gegen die Zulassung von Gentech­pflanzen. Rein technisch werden die vorgeschlagenen Isolationsab­stände als ungenügend beurteilt. Zudem verlangen die meisten Kantone die Möglichkeit, GVO auf ihrem Kantonsgebiet ganz zu verbieten, was im derzeitigen Entwurf nicht vorgesehen ist. Aus der Sicht von StopOGM geht es nicht an, dass grundsätzlich eine Koexistenz von GVO und kon ventionellen Pflanzen eingeführt wird, wobei die Möglichkeit besteht, einfach gentechnikfreie Zonen auszuscheiden. Vielmehr muss die ganze Schweiz gentechnikfreies Gebiet bleiben. StopOGM schliesst sich der Meinung der Eidgenössischen Ethikkommission für die Biotechnologie im Ausserhumanbereich (EKAH) an: Die Wahlfreiheit ist demnach kein Anspruchsrecht, sondern ein Abwehrrecht. Abwehrrecht bedeutet, dass der Staat nicht verpflichtet ist, für die Möglichkeit des Anbaus von GVP zu sorgen. Im Gegenteil: Landwirtschaftsbetriebe, die GVP anbauen wollen, sollen die Schaffung von Gentech­Zonen begründen müssen.

Somit steht ein definitives Verbot von GVO in der Schweiz erneut auf der Tagesordnung. Falls der Bundesrat auf seiner Absicht beharrt und eine Mehrheit im Parlament findet, stellt sich die Frage nach der Lancierung einer entsprechenden Initiative als Gegenmassnahme.

Wissenschaftliche Offensive für Gentech«GVO stellen weder für die Gesundheit noch für die Umwelt ein

Risiko dar», verkündete der Schlussbericht des NFP 59 lauthals. Aber wie stichhaltig ist diese Aussage? Beim NFP 59 wurden die Versuche im Bereich der Biosicherheit mehrheitlich mit Weizensorten und frühen, nicht kommerzialisierten Genmaissorten durchgeführt, und zwar unter experimentellen Bedingungen, die nichts mit der Realität zu tun haben.

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Die Erkenntnisse aus kleinräumigen, kurzfristigen Versuchen sind nicht auf den grossflächigen, langfristigen Anbau auf kommerzieller Basis übertragbar. Es ist wissenschaftlich nicht haltbar, aus diesen Versuchen zu schliessen, GVO stellten generell für die Umwelt kein Risiko dar. Der Schlussbericht des NFP 59 ist im übrigen das Produkt eines fach­fremden Kommunikationsteams des Schweizerischen Nationalfonds. Unter den beteiligten Forschenden ist der Text inhaltlich umstritten.

Gesundheitliche Aspekte, worüber sich der Schlussbericht auch äussert, wurden im NFP 59 gar nicht untersucht. Hier wurde lediglich die vorhandene Literatur analysiert. Das Fazit diesbezüglich fällt indessen nicht so eindeutig aus wie der Schlussbericht. Beispielsweise ist zu lesen: «Die Toxizitätsanalysen beruhen auf Tests zur Identifi­kation akuter toxischer Effekte. Mittel­ und langfristige Auswirkungen sind schwierig nachzuweisen, es fehlen geeignete und aussagekräftige Testverfahren.»

Ende Februar 2013 erhielt das Parlament von den Akademien der Wissenschaften Schweiz (AWS) einen offenen Brief mit Titel «Kein schleichendes Gentechnikverbot in der Schweizer Landwirtschaft». Das Schreiben wirft den Parlamentsmitgliedern vor, die Ergebnisse des NFP 59 nicht zu berücksichtigen. Das Forschungsprogramm habe gezeigt, dass GVO keine höheren Risiken für Umwelt und Gesundheit darstellten als herkömmliche Pflanzen. Die AWS halten die Koexistenz für möglich und sind der Ansicht, die Schweizer Landwirtschaft dürfe sich künftigen Entwicklungen der Gentechnik nicht verschliessen. Obwohl das Gentech­Moratorium auf einer Volksabstimmung beruht, behaupten die Akademien der Wissenschaften, die Ablehnung von GVO durch die Bevölkerung und die Bauern sei eine reine Annahme. Was sie aber nicht daran hindert, im gleichen Schreiben einen demo­kratischen Entscheid über die Zukunft der Gentechnik in der Schweizer Landwirtschaft zu fordern. Der Brief betont weiter, ein Schweizer GVO-Verbot würde die Forschung insgesamt behindern.

Kurz darauf stellten die AWS an einer Pressekonferenz im Parla­ment ihren neuen Bericht vor: «Gentechnisch veränderte Nutzpflanzen und ihre Bedeutung für eine nachhaltige Landwirtschaft in der Schweiz». Die Strategie besteht ganz offensichtlich darin, die Gentech­nik mit dem grünen Wörtchen «nachhaltig» zu verbinden. Letztlich soll GVO absurderweise der biologischen Landwirtschaft schmackhaft gemacht werden.

Im Brief der Akademien der Wissenschaften offenbart sich zudem eine gehörige Portion Ignoranz gegenüber politischen Entschei­dungsprozessen. Würde sich Politik darauf beschränken, wissen­schaftliche Schlussfolgerungen durchzuwinken, so könnte man die politischen Instanzen gut und gerne durch einen wissenschaftlichen Beirat ersetzen. Dass Expertenmeinungen politische Entscheide überflüssig machen sollen, wäre jedoch eine gefährliche Entwicklung.

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Zudem räumen Expertinnen und Experten selbst ein, dass viele Ungewissheiten bestehen bleiben. Wissenschaftliche Befunde können daher nicht als die reine Wahrheit angesehen werden. Deutliche Worte an die Adresse der AWS seitens von Parlamentsmitgliedern blieben denn auch nicht aus. Sie forderten vertiefte Forschungen zum Thema und hielten fest: «Ob in der Schweiz gentechnisch veränderte Pflanzen angebaut werden sollen, ist kein rein technischer Entscheid und es geht auch nicht ausschliesslich um Biosicherheit. Es handelt sich um die Frage, in welcher Gesellschaft wir leben möchten, welche Landwirtschaft und welche Lebensmittel wir wollen.»

Biologische Landwirtschaft schliesst GVO und jegliche ins Genom eingreifenden Technologien grundsätzlich aus. Diese international geltenden Richtlinien werden die Akademien der Wissenschaften nicht aushebeln können, auch wenn sie ihr Konzept einer «nach haltigen Gentechnologie» weiter propagieren.

Es wird Freisetzungsversuche gebenDas Moratorium erlaubt Freisetzungsversuche zu Forschungs­

zwecken. Ende Januar hat die Universität Zürich ein Gesuch für solche Versuche im Zeitraum 2014–2015 eingereicht. Es geht um Tests mit mehltauresistenten Genweizenlinien, die denjenigen sehr ähnlich sind, welche bereits 2008–2009 im Rahmen des NFP 59 untersucht wurden. Eine Million Franken Steuergelder wird der Bau des dafür nötigen geschützten Versuchsstandorts in Reckenholz ZH kosten.

Die Freisetzungsversuche sollen zeigen, ob die Expression von Resistenzgenen unabhängig von der Umgebung erfolgt und ob das Einbringen von Resistenzgenen an unterschiedlichen Stellen im Genom die Funktion anderer Gene beeinflusst. Das sind jedoch Fragen, die bereits in den ersten Versuchen beantwortet wurden.

Die Notwendigkeit von Freisetzungsversuchen und agronomi­schen Ertragsexperimenten ist für StopOGM nachvollziehbar für Linien, die in der Umwelt, d.h. in der Landwirtschaft, eingesetzt werden sollen. Im vorliegenden Fall betonen die Forschenden jedoch, dass die Versuche der Grundlagenforschung dienten und keine Vermarktung beabsichtigt sei. Das tun sie mit gutem Grund, denn der Mehltau ist für die Schweizer Landwirtschaft gar kein Problem. Tests im Gewächs­haus sind viel besser geeignet, um die genetische Stabilität einer gentechnisch veränderten Linie zu analysieren. Unter diesen Bedin­gungen ist die Umgebung genau kontrolliert und es können direkte Kausalzusammenhänge zwischen der Variation eines Faktors und den Auswirkungen auf die Pflanze erkannt werden.

Die öffentliche Forschung sollte ihre Mittel unseres Erachtens besser für die klassische Agronomie verwenden und Lösungen suchen, die der Schweizer Landwirtschaft wirklich nützlich sind.Mehr informationen und newsletter abonnieren: www.stopogm.ch

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Auf den ersten Blick scheint das Land der 58 Atomreaktoren wenig geeignet zu sein als Schwerpunkt eines ökologischen Magazins (dessen Redaktion beim Gedanken an Länder­schwerpunkte ohnehin ihre Mühe hat). Aus dem eigentlich verheis sungsvollen Westen errei­chen uns wenige Impulse für den Umwelt­schutz. Und doch ist Frankreich eminent wich­tig in der Schweiz und für Europa.

Die Grande Nation wird eine wichtige Rolle spielen, wenn in den nächsten J ahren die europäische Energiepolitik gemacht wird. Zwischen den anderen EU-Grossmächten Deutschland und Gross­britannien kann es den Ausschlag geben, ob der Kontinent auf erneuerbare statt fossile und nukleare Energien setzt. Die Regierung unter Präsident François Hollande könnte also Grosses vollbringen. Es wird ein histo rischer Moment sein, hoffentlich, wenn Frankreich und Europa diese Chance packen. Doch das ist nicht der einzige Grund, warum wir uns in Frankreich umgesehen haben.

Auch nicht nur, weil sich Frankreich wie kein anderes Land der Welt der Atomenergie ver­schrieben hat. Die damit verbundene Abhängig­

keit stellt eine enorme Gefahr dar und führt bei der Regierung in Paris zu einiger Ratlosigkeit, jetzt, da die meisten französischen AKW ihre geplante Lebenserwartung erreicht haben und abgestellt werden müssten. Die Schweiz blickt nicht ohne Bangen auf Fessenheim bei Basel und Le Bugey bei Genf. Allerdings hat sie mit ihrem eigenen, noch greiseren Atompark genug vor der eigenen Tür zu kehren. Umso mehr lohnt sich ein Blick in die französische Nuk­learpolitik (ab Seite 26), um nicht ohne Grusel zu sehen, wie sich ein Land dieser gefährlichen Energiequelle so sehr ver­schrieben hat, dass sie darin feststeckt wie im Treibsand.

Vor allem aber widmen wir dieses Heft unserem westlichen Nachbarn, weil sich hier die Widersprüche, die die ökologische Wende so schwierig machen, besonders gut zeigen: zwi­schen Stadt und Land, zwischen Fortschritt und Tradition, zwischen Industrie und Landwirt­schaft, zwischen Zentrum und Peripherie, zwi­schen Freiheit und Gleichheit.

Frankreich hat den Zentralstaat gehegt und gepflegt wie kaum eine andere Demokratie. Da ist das hochkomplizierte Machtzentrum Paris, und dort sind die riesigen Provinzen im zweit­

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Wenn es um die Umwelt geht, blicken wir Schweizer gerne nach Deutschland,

in die nordischen Länder, vermehr t auch nach China. Aber nach Frankreich?

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grössten Land Europas. Da herrschen zuweilen undurchschaubare Eliten, dort ist viel Platz für Individualität und Freiheit: ein Land für Aufsteiger und Aussteiger zugleich (zu Letzterem siehe ab Seite 52). Für abge­hobene in tellektuelle Debatten. Für populistische Proteste und gegen Paris wet­ternde Fäuste. Beidem wohnt eine gewisse Ohnmacht inne.

Dabei verdanken wir Frankreich den wahr­scheinlich wichtigsten Wandel der Moderne: die grosse Revolution von 1789, die bestimmend war für Aufklärung, Demokratie und Kapita­lismus. Im 20. Jahrhundert war das Land nicht weniger prägend für die Identität nicht nur unseres Kontinents. Frankreich hat die Kraft, Gros ses zu denken. Ist es deshalb nicht nur logisch, in den nahen und nicht immer in den ameri kanischen Westen zu blicken, wenn man den Wandel herbeisehnt?

Leider suchten die französischen Eliten in den letzten 70 Jahren diese Grösse vor allem in technologischen Errungenschaften. In der bereits erwähnten Atomkraft als militärisches und friedliches Machtmittel. Aber auch in den «grands projets», den Grossprojekten, die vermeintlich für den Nationalstolz so wichtig sind: Concorde, Minitel, TGV, La Défense und so weiter.

Projekte, Revolution, gesellschaft­licher Wandel: Wann war all dies je not­wendiger als jetzt?

Trotz Wirtschaftskrise und ständiger sozialer Unruhen scheint Frankreich erstaunlich satt,

fast träge. Die immense Kompaktheit dieser rie­sigen, fruchtbaren Scholle mag ein Grund dafür sein. Und dann ist da – für Greenpeace beson­ders bedeutsam – das Meer. Es eröffnet Frank­reich die Welt und hat unzählige Abenteurer und Entdecker hervorgebracht: Unerschrockene Einhandsegler, Tiefseetaucher, Siedler und Söldner. Dem Wort «évasion» (die Flucht in all ihren Facetten) haftet eine tiefe Sehnsucht an. Die für die Franzosen stilbildende ökologische TV-Sendung trägt die entlegenste Stadt der Welt als Namen: ushuaïa. Auch hier findet sich der Traum vom Aussteigen.

Wie wir in unseren beiden Ozeange­schichten zeigen (Seiten 36 und 43) holt die ökologische Wirklichkeit auf dem Meer die Menschen vom Land ein. Hier zeichnet sich ein Wandel ab.

Mit Präsident Hollande, der versprochen hat, den Anteil der Atomkraft an der Stromver­sorgung von 75 auf 50 Prozent zu reduzieren, verbindet sich aus ökologischer Sicht viel Hoff­nung. Er muss die Industrie zügeln und sie erneuern. Er muss sein riesiges Land von «Aus­steigern» und «Flüchtlingen» reformieren. Er muss seine verkrusteten Eliten aufbrechen, obwohl er selbst Teil davon ist. Für Frankreich und für Europa. Am Schluss ist es freilich dieses wunderbare französische Volk, von dem der Wandel abhängt.

Allons enfants!

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alloNS!

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Schauplätze unserer Reportagen

Kernergie

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Meeresschutz

Landwirtschaft

Atomreaktoren

Stillgelegte Atomreaktoren

Anlagen zur Produktion und Wiederaufbereitung von Nuklearbrennstoff

Baustelle oder Projekt neuer AKWs

Arctic Sunrise­Tour für nachhaltige Fischerei in Europa

Industrielle Fischerei: Tiefkühlschiffe plündern die Meere

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Magazin GreenpeaceNr. 3 — 2013

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NUkleokraTeN

Er ist Anfang fünfzig, von gewichtiger Statur, trägt einen Seehundschnauz, hat liebevolle Augen und strahlt eine gemütliche Jovialität aus. Man würde dem legendären Anti­Atom­Akti­visten Rousselet aus Cherbourg eher den Kapi­tän eines Fischkutters auf dem Ärmelkanal geben; oder vielleicht Verleihnix aus dem Dorf von Asterix: ganz und gar gutmütig – solange man ihn nicht wütend macht. Denn wenn es um die Atomkraft geht, ist es beim Nor­mannen mit der Gemütlichkeit schnell vorbei. Da lässt er nichts anbrennen. Als er 2009 Wind bekommt von einem Transport radioaktiver Abfälle nach Russland, kettet er sich kurzerhand und im Alleingang an die Geleise.

Als er anlässlich einer Aktion in der Schweiz einen freien Tag hat, besichtigt er flugs alle vier AKW – von Leibstadt bis Mühle­berg. Es gibt wenig in Sachen Kernkraft, das der streitbare Greenpeacer nicht eingehend

studiert hätte – als bewegte er sich ständig in den am besten gehüteten Anlagen der Atom­industrie.

Als wir von einem Ausflug zur Wieder­aufbereitungsanlage La Hague zurück nach Cher­bourg kommen, sieht er von weitem mit Sper­beraugen etwas im Hafen, das ihn be unruhigt: «Der Kran der Areva ist in Betrieb.» Die Areva ist einer der französischen Nuklearkonzerne. «Es muss ein Schiff im Hafen sein. Warum weiss ich nichts davon!» Für Atomtransporte gibt es ein eigenes Pier, wo das Material aus­ und eingeschifft wird. Rousselet vermutet, dass heu­te bloss leere Container für radioaktive Trans­porte geliefert werden: «Die ‹Pacific Grebe› muss aus Japan eingetroffen sein.» Er kennt jedes Schiff, jede Route im Atomgeschäft. Er kramt seinen Feldstecher aus dem Hand schuhfach. «Da stehen sie», sagt er befriedigt. «Nur die Japaner verstehen es noch, solche Behälter zu schmieden.»

Frankreich scheint fest im Griff einer atombeses senen Elite. Aber Greenpeace hält dagegen

und der Machtblock bekommt erste Risse – wie eine in die Jahre gekommene Reaktorhülle.

Die Geschichte eines historischen Moments aus der V. Republik in fünf Kapiteln.

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g e h a r n i s c h te r P r o te s t :« Au f h ö re n , w i r h a b e n s c h i s s » , v e rd e u t l i c h t f re i ü b e r s e t z t d a s s c h i l d d e r D e m o n s t ra n te n v o r d e m A K w b u g e y b e i s a i n t -Vu l b a s i m O s te n fra n k re i c h s .

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Um es vorwegzunehmen: Die Halbinsel La Hague ist traumhaft schön. Die berüchtigte Wieder­aufbereitungsanlage und das benachbarte Lager für radioaktive Abfälle besetzen, wie verse­hentlich hingestellt, ein säuberliches Rechteck von vielleicht 5 mal 0,5 Kilometern: gut sichtbar aus dem Weltall als graue Narbe auf dem grünen Land. Im Umfeld aber stehen romanti­sche, vielleicht etwas ausgestorbene Weiler. Gelber Ginster wächst auf den malerischen Klippen. Man möchte hier sofort Urlaub machen.

Solange die Fabrik ausser Sicht ist. Sym­metrisch ihre Silhouette, irgendwie schweigsam, nicht bedrohlich, sondern grotesk provisorisch. Das radioaktive Material, , das die Anlage im Tag durchschnittlich verwertet, hat Platz auf zwei, drei Lastern: lächerlich wenig für eine Fabrik, die so gross ist wie eine Kleinstadt.

Am imposantesten ist ein blaugrauer Block, in dem die radioaktiven Abwässer behandelt werden (bevor sie einige hundert Meter vor der Küste «legal» ins Meer geleitet werden).

Links und rechts davon UP 1 und UP 2: «Usine à plutonium» hiess das einst, Plutonium­fabriken. Heute steht die Abkürzung harmlos für «Unité de production», denn das ursprünliche Wort weckte Ängste in der hiesigen Bevölkerung.

Dabei dürfte es kaum eine Gegend geben, wo der Bau einer der gefährlichsten nuklearen Anlagen aller Zeiten auf weniger Widerstand gestossen wäre. Als im deutschen Wackersdorf eine ähnliche Höllenmaschine geplant wurde, hagelte es 880 000 Einsprachen. Es wurde nie gebaut. In den Dörfern von La Hague und im malerischen Hafenstädtchen Cherbourg hinge­gen stiess das Geschäft mit der Kernspaltung auf wohlwollende Einheimische.

Das mag mit der militärhistorischen Lage zu tun haben. Cherbourg liegt auf dem so genan nten Cotentin, der wie ein Finger weit in den Ärmelkanal hinauszeigt: ein Vorposten. Im Hafen zeigt ein bronzener Napoleon hoch zu Ross ins Meer hinaus gegen England, den Erz­feind. Militärische Forts dominieren die grösste künstliche Hafenbucht der Welt. Im Zweiten Weltkrieg erlebte man den D-Day an den benach­

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g re e n p e a c e - Ak t i v i s t Ya n n i c k ro u s s e l e t h a t s i c h i n c h e r b o u r g a n d i e b a h n s c h i e n e n g e k e tte t , u m e i n e n Tra n s p o r t v o n a u f b e re i te te m ura n n a c h ru s s l a n d z u v e r h i n d e r n .

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barten Stränden Utah und Omaha. In Cherbourg hat jeder jemanden in der Familie, der in der Atomindustrie oder in einem Armeebetrieb arbeitet. In den Werften werden Atom­U-Boote gebaut – und abgewrackt, wenn sie ausgebrannt sind. Auch Yannick Rousselet arbeitete dort – wie schon sein Vater und sein Grossvater –, bevor er 2001 zu Greenpeace wechselte.

Davor war er ein Aktivist der ersten Stunde gewesen und hatte sich ab den 70er Jahren gegen die Aufrüstung der Halbinsel zu einer Art atomarem Disneyland engagiert. In der Werft nahm man sein politisches Engagement gelassen hin. Wer gegen Atomkraft war, gehörte zu einer verschwindend kleinen Minderheit.

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Mehr als irgendwo sonst wird uns in diesem abgelegenen Winkel der Basse­Normandie bewusst, dass die Wurzeln der Kernenergie militärisch sind.

Wer Atomwaffen will – eine «Force de frappe» –, braucht Plutonium. Und dafür gibt es La Hague, das aus verbrauchten Brennstäben das Supergift extrahiert.

Für Yannick Rousselet geht es bei der Kern­kraft denn auch nicht bloss um Strom: «Vor allem ist sie eine Frage der Macht», sagt er. «Die Atomenergie kann in einer Demokratie eigent­lich gar nicht funktionieren. Sie braucht einen Typ von Gesellschaft, der auf Sicherheit und Kontrolle setzt: einen autoritären Zentralstaat.»

Der Stolz der grossen Projekte, die rechte gaullistische Vision Frankreichs als Grande Nation einerseits und anderseits das linke jako­binische Erbe der Guillotinen­Revolution, aber auch die französischen Kommunisten und Stali­nisten hatten in der Atomkraft die Erfüllung eines mächtigen, produktiven, zentralistischen Staats gefunden: Der dichteste AKW-Park der Welt wurde zu einer Frage nationaler Identität und gesellschaftlicher Orga­nisation.

Dadurch hat sich in Frankreich ein Macht­system gebildet, das rund um die AKW das halbe Land kontrolliert. Die weitgehend staatli­chen Energiekonzerne EDF (Electricité de

France) und Areva sind fest in den Händen einer Elite, von denen viele dem «Corps des mines» an gehören: Abkömmlinge einer Eliteschule, die man – nein, das ist keine TV-Serie – auch «X-Mines» nennt. Für sie hat Yannick Rousselet einen Namen: die «Nukleokraten».

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Das Greenpeace­Büro in Paris liegt diskret an einer Nebenstrasse im zehnten Bezirk, irgendwo zwischen Place de la République und Mont­martre. Ein kleines Namensschild, keine weite­ren Insignien. Der Einlass erfolgt durch eine Art Schleusensystem aus automatischen Türen.

Greenpeace Frankreich ist in seiner Geschichte ausspioniert, gehackt, zum Feind erklärt worden. Der französische Geheim­dienst hat 1985 die erste «Rainbow Warrior» in der Südsee versenkt, wo sie gegen die französischen Atombomben­tests im Mururoa­Atoll im Einsatz war.

2006 hat sich EDF ins Computersystem von Greenpeace gehackt und unzählige Doku­mente gestohlen. Vorsicht ist also angebracht. «Zuerst ignorieren sie dich, dann lachen sie über dich, dann spionieren sie dich aus, und dann siegst du», soll Gandhi gesagt haben. Passend dazu steht im Treppenhaus breit an der Wand: «Die gros sen Veränderungen scheinen un­möglich zu Beginn – und am Ende unvermeid­lich.» Das liesse sich prophetisch auch über eine sauberere Energieversorgung in Frankreich sagen. Die Ahnung, dass der Atomausstieg unvermeidlich ist, beschleicht heute selbst Leu­te, die sich das Gegenteil wünschen. Das Wort «Energiewende» hat es tatsächlich in die offizi­elle Regierungssprache geschafft.

Gleichzeitig jedoch bleibt die Gewissheit, dass der Ausstieg aus der Atomenergie eine Revo­lution für Frankreich sein wird. Wird Präsident François Hollande den Mut und die Kraft zur Veränderung aufbringen? Will er sie überhaupt?

«Die Amtszeit von Präsident Hollande ist ausschlaggebend», sagt Sophia Majnoni mit Entschiedenheit. Die neue Kam pagnen direk­torin von Greenpeace Frankreich spricht schnell und messerscharf und scheint den in den Elite­

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schulen gestählten Machtbestien in Verwaltung und Wirtschaft durchaus gewachsen. Ihre nicht minder elegante und kluge Politbe raterin Karine Gavand bestätigt den Eindruck, dass Greenpeace Frankreich als David gegen Goliath die Steinschleuder immer treffsicherer einzu­setzen weiss. Auf die Frage, ob Greenpeace denn überhaupt Zugang zu wichtigen Politikern hat, entgegnet Gavand lapidar: «Heute Nach­mittag sind wir beim Premierminister.»

Bis Frankreich die Energiewende wirklich in Angriff nimmt, wird das grüne Lager noch viel, sehr viel Arbeit leisten müssen. Daran ändert auch nichts, dass die Grüne Partei in der Regierung sitzt: «Es ist seither nur schlimmer geworden», sagt Majnoni: «Wir haben eine Stimme verloren.» – «Immerhin», sagt ihre Kol­legin, «hat sich mit Hollande zum ersten Mal überhaupt ein französischer Präsident zu einer Reduktion der Kernenergie verpflichtet. Aber wir machen uns wenig Illusionen.»

Wie wendig François Hollande seine energie politischen Pirouetten dreht, zeigt auch die Art, wie er am Vorabend der Wahlen 2012 mit den Grünen umgesprungen ist. Die Sozialis­ten hatten im Herbst 2011 in zähen Verhand­lungen der Ökopartei erhebliche Zugeständnis­se gemacht, um sich ihre Unterstützung zu sichern. Vereinbart wurde – im Fall eines Wahl­siegs – die Reduktion des Anteils der Kern­energie von 75 auf 50 Prozent bis 2025, was unter anderem die Schliessung von 24 der 58 Reaktoren bedeuten würde.

Gerade einmal drei Wochen nach der Unter­zeichnung des Pakts mit den Grünen kündigte Hollande an, dass er ihn nicht respektieren werde.

Die einst hoffnungsvolle Frage, ob Hollande sich gegen den nuklearen Machtblock würde behaupten können, stellt sich gar nicht mehr. Der Präsident, Abkömmling gleich dreier Elite ­schulen, ist selbst ein Nukleokrat. Heute tut er sich sogar schwer damit, die Zeitbombe Fessen­heim zu schliessen.

Hollande spielt eine gefährliche Partie.

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Un v e r m e i dlic h e

Der Herrscher im Élyséepalast setzt nicht nur sein Land und dessen Nachbarn den nicht kalku­lierbaren Risiken der Atomenergie aus. Im Fall einer Wiederwahl 2017 würde er die nukle­are Frage erst recht lösen müssen – und zwar um so dringender, nachdem er für die Energie­wende so viel kostbare Zeit vertan hat. Der französischen Energiewirtschaft steht das Was­ser nämlich bis zum Hals.

«Achtzig Prozent des Nuklearparks», sagt Sophia Majnoni, «wurden innerhalb der zehn Jahre um 1980 gebaut. Sie erreichen demnächst alle das Ende ihrer geplanten Laufzeit. Und die Reaktoren sind alle vom selben Bautyp. Würde man bei einem einzigen einen strukturellen Fehler entdecken, müssten wir alle abstellen. Dann droht tatsächlich ein Black­out.» Fukushima hat gezeigt, wie schnell so etwas gehen, wie gross ein solches Klumpen risiko sein kann.

Seit Fukushima hat sich das kritische Lager jedoch verstärkt. Nicht nur Greenpeace ge­winnt an Einfluss. Es gibt nun auch kompetente Journa listen auf dem Gebiet. Die Informations­mauern der Nukleokraten bröckeln. Die Nukle­arsicherheitsbehörde ASN (bei uns: Ensi) frisst EDF und Areva nicht mehr völlig aus der Hand. Die Kosten der Atomenergie steigen und nagen an der Geldmacht der Energiekonzerne – und an ihrer Grosszügigkeit: Die lange mitverdie­nenden Gewerkschaften murren, weil der Rubel nicht mehr rollt. Grüne Technologien und die Konkurrenz durch immer günstigeren Ökostrom aus dem Ausland bedrohen die hiesige Indust­rie. Auf lokaler Ebene haben die Bürgermeister nach Fukushima begriffen, dass sie bei einem Unfall völlig hilflos wären.

Zwei Drittel der Franzosen leben in einem Umkreis von 75 oder weniger Kilo­metern von einem AKW entfernt.

Bloss hat sich die Debatte in Frankreich lei­der immer nur um die Risiken gedreht. Lösun­gen im Sinn der Energiewende sind im Hochtech­nologie­ und Pionierland kaum ent wickelt worden. Und nun soll bis 2014 ein neues Energie­gesetz erarbeitet werden. 2015 beherbergt Frankreich die Klimakonferenz COP und wird

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im ökologischen Rampenlicht stehen. Und bis 2016 stellt die EU energiepolitisch ihre Weichen.

Gerade bei Letzterem kann Frankreich eine entscheidende Rolle spielen zwischen dem atom­ und kohlefreudigen britisch­polnischen auf der einen und dem deutsch­dänisch­progres­siven Lager auf der anderen Seite. Das ist etwas viel für die Nukleokraten. In der Tat dürften Hollandes fünf Jahre bis 2017 entscheidend sein. Der Moment ist für Frankreich geradezu historisch. Hoffen wir, dass er zum positiven Momentum wird.

— V —F l a m a n v i lle

Zurück in die Normandie zu Yannick Rousselet. Auf der Halbinsel fahren wir durch reiche, herausgeputzte Dörfer mit überdimensionierten Sporthallen und protzigen Gemeindehäusern.

«Die Atomfirmen», erzählt Rousselet, «haben eine Strategie, die lokale Bevölkerung für sich einzunehmen.» Mitarbeiter, die sich lokalpolitisch engagieren, werden mit Mitteln ausgestattet. Standortsteuern

vergolden die Gemeindekassen. Die Jobs sind gut bezahlt.

Wenn aber der von fast unbeschränkten Mitteln geölten Politmaschinerie das Geld ausgeht, schwindet der Einfluss auf die Politik und auf die Gewerkschaften. La Hague arbeitet an der Grenze der Rentabilität, weil der Pluto niumfabrik die Kunden davonlaufen. Das Plutonium aus La Hague ist ökonomischer Stumpfsinn. «Die Wiederaufbereitung war eine politische Lösung, um die Leute glauben zu lassen, man hätte die radioaktiven Abfälle im Griff», sagt Rousselet. Doch je ökonomischer die Energiewirtschaft zu denken anfängt, desto absurder wird das antiquierte System, das sich Frankreich aufgebaut hat. «Die Privatisie­rung wird die Nuklearindustrie killen», sagt Rousselet voraus.

Wir fahren von La Hague der Küste ent lang nach Süden. Auch die Normandie spürt den Klimawandel. Der Winter war schneereich. Viel kalter Wind bläst auch im Frühjahr herbstlich aus dem Osten. Ja, es wird Herbst im Land der Nukleokraten. Wir erreichen Flamanville, wo zwei Atomreaktoren schon länger laufen und

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s ta a ts g e wa l t g e g e n g re e n p e a c e , 1 . Au g u s t 1 9 8 5 : um d i e Ak t i v i s te n a n P r o te s te n g e g e n At o m te s ts i m Mu r u r o a - At o l l z u h i n d e r n , z o g d e r f ra n z ö s i s c h e g e h e i m d i e n s t i m ha f e n v o n Au c k l a n d ( ne u s e e l a n d)

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ein dritter gebaut wird: ein EPR (European Pressurized Reactor), ein trauriger ehemaliger Hoff nungs träger der französischen Nuklear­industrie. Sie hatte den EPR als neuen Export­schlager gedacht. Tatsächlich ist er ein öko­nomisches Desaster.

Dabei liess sich der Handel gut an. Finn­land bestellte ein solches AKW für Olkiluoto zum Fixpreis von drei Milliarden Euro. Jetzt hat es Areva schon deren acht gekostet und ist noch nicht fertig. Areva will in England bauen, aber die dortige Regierung weigert sich, Strom­preis garantieren für den 9­Milliarden­Bau zu leisten. Und auch Flamanville hat bereits solche Unsummen verschlungen, dass der italienische Partner Enel ausgestiegen ist.

Die Pleite hat viele Gründe. Vor allem wurde der EPR mit 1650 Megawatt Leistung viel zu gross konzipiert. Die Nukleokraten waren sich nicht bewusst, dass die Zeiten sich geändert haben. «Ein kleinerer Reaktortyp hätte sich wahrscheinlich besser verkauft», schätzt Rous­selet. «Dann wären wir heute schlechter dran.» Die Arroganz von Areva, EDF und Co. ist auch eine Chance.

Man kann über Frankreich und seine atombesessene Machtelite den Kopf schütteln. Doch in den Ansätzen verhält sich die schwei­zerische Stromoligarchie ganz ähnlich: Da wird einer dezentralen, demokratischen Energiever­sorgung jeder mögliche Stein in den Weg gelegt. Im Grunde sind gewisse eidgenössische Beton­köpfe um Doris Leuthard noch verantwortungs­loser. Die hiesigen AKW sind nicht nur älter, im Gegensatz zum westlichen Nachbarn droht bei einem Atomausstieg auch nicht die Spur einer Stromlücke.

In Cherbourg schiff ten sich einst Hundert­tausende Emigranten in die Neue Welt ein. Von hier ist die «Titanic» ihrem Untergang entge­gen in See gestochen. Vielleicht wird es dereinst heissen: Hier blühte der nukleare Wahnsinn. Wir blicken auf den Ärmelkanal, La Manche, hinaus mit seinen Winden und seinen gewaltigen Meeresströmungen.

«Als die (mittlerweile entlassene; A.d.R.) Umwelt­ und Energieministerin Delphine Batho im Februar hier war», erzählt Rousselet und schmunzelt unter seinem normannischen Schnauzbart, «erklärte sie, dass wir hier Strömungskraftwerke bauen könnten mit dem Potenzial von mehreren EPR.»

Frankreich hat lange genug mit dem Feuer gespielt. Vielleicht liegt seine Strom­zukunft in diesen Wassern.

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K om m e n ta r G r e e n pe ac e

So vollmundig zwitscherte Präsi­dentschafts kandidat Hollande im August 2011 seinen Wählern zu. Auch vom geplanten Super­Reaktor in Penly nahm er in jenem heissen Wahl­jahr Abstand – und gefi el den Grünen, deren Unterstützung er brauchte. Der eingeläutete Traum vom Atom­ausstieg unter sozialistischer Führung war aber von kurzer Dauer…

Nach der Wahl war nicht mehr die Rede davon, die notwendigen 20 Reaktoren stillzulegen. Selbst mit der Schliessung des Atomwracks Fessen­heim tut sich der Präsident schwer. Am Ausbau von Flamanville hält er fest. Und in der lancierten Energiede­batte werden alle Risiken der Atom­energie systematisch ausgeblendet. Ein Atomausstieg ist freilich kein Thema. Die Förderung der Erneuerba­ren dümpelt knapp über der Null­grenze

Jüngste Episode: Das Budget des Ministeriums für Umwelt, nachhaltige Entwicklung und Energie wird massiv gekürzt. Die sozialistische Ministerin Delphine Batho kritisiert diesen Ent­scheid und musste gehen. Der Druck der Industrie­ und Energielobby bleibt wohl zu wuchtig für Hollande.

K E r n E n E r g i E

«Wir müssen weg von der Kernenergie. Ich schlage vor, den Anteil an Atomstrom bis 2025

von 75 auf 50% zu senken.»

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frankreichs kleinfischer in der Bredouille

Das Jahresende 2013 könnte für die Fischerei und die Meere eine Wende bringen – zu­mindest, was Europa betrifft. Bis dahin wird die Fischereipolitik der EU für die kom­menden zehn Jahre neu ausgerichtet. Frank­reich spielt dabei eine besondere Rolle: Das Land ist eine der grössten Fischereina­tionen und konsumiert am meisten Meerestie­re. Zudem ist es nach den USA das Land mit der grössten Meeresfläche. Abgefischt wird sie von Grossunternehmen – die französischen Kleinfischer, meist traditionelle Familienunter­nehmen, gehen zunehmend leer aus.

V o n B r u n o H e i n z e r

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G u y Vau d o, Kleinfischer und Taucher in Sète an der Mittelmeerküste, ist ein Mann der klaren Worte: «In weniger als einem halben Jahr hundert hat es die indus tri elle Fische­rei geschafft, Fischbestände zu über­nutzen, die über Jahrtausende präsent waren.

Ich bin Fischer geworden aus überzeugung und aus Leidenschaft. Ich wünsche mir, dass die EU-Fischereipolitik endlich auch die Men­schen berücksichtigt, die auf nach haltige Weise arbeiten. Wir kleinen Fischer hatten schon immer ein Bewusstsein für die Umwelt – sie ist die Grundbedingung unserer Existenz. Unsere Fischerei erlaubt es uns, die Grösse der Fische auszuwählen, die wir behalten wollen. Wir können uns den Jahreszeiten anpassen und respektieren den natürlichen Jahreszyklus der Arten, die wir befischen.»

Wird das Steuer in der Fischereipolitik nicht herumgerissen, gibt es in 35 Jahren nichts mehr zu fischen. Heute werden 80 Prozent der Fangquoten an die industrielle Fischerei verge­ben, die mit ihren unselektiven und zerstö­rerischen Fangmethoden für die überfischung der Meere verantwortlich ist. Sie entnimmt den Meeren zwei­ bis dreimal so viel Fisch, wie nachwachsen kann. Dazu kommen Millionen von Meereslebewesen, die tot oder verstümmelt als Beifang wieder über Bord geworfen werden. Das Absurdeste ist, dass diese mit neuster Techno­logie aufgerüstete Flotte von riesigen Fabrik­schiffen nicht einmal kostendeckend arbeitet! Nur dank Hunderten von Millionen Euro Steuer­geldern kann sie über Wasser gehalten werden.

H au p t - for de ru n g e n

von K le i n f i s c h e r n u n d G r e e n pe ac e

Um die überfischung der Meere in Europa zu stoppen, stellen Kleinfischer und Greenpeace folgende drei Hauptforderungen an die neue EU-Fischereipolitik 2014–2023:

i Der Fischereidruck muss sinken: Die gefischten Mengen müssen in übereinstimmung stehen mit den Fischressourcen und ihrer Reproduktionskraft. Fischen wir weniger, aber besser! Respektieren wir die wissen­schaftlich untermauerten Fang­quoten und respektieren wir die Schutzzonen, damit sich die Bestände erholen können.

ii Schluss mit dem Beifang: Die Verschwendung muss aufhören, die Fangmethoden müssen selektiv sein.

iii Zusammenhang zwischen Fangquoten und Nachhaltigkeit: Die höchsten Fangquoten sollen diejenigen Fischer erhalten, welche die nachhaltigsten Prakti­ken anwenden – sowohl aus so zialer Perspektive wie auch im Hinblick auf die Umwelt.

Auf der anderen Seite bekommen die lokalen Küstenfischer – die in Frankreich mehr als die Hälfte, europaweit sogar 80 Prozent der Beschäftigten im Fischereisektor ausma­chen – keine Subventionen und nur 20 Prozent der Fangquoten. Noch finden sie in Brüssel kein Gehör.

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A n n e -M a r i e Ve rg e z , 53, Führerin eines Fischerboots in Saint­Jean­de­Luz (Baskenland): «In der industriellen Fischerei sind die Schiffsbesitzer nicht die Fischer selbst, sondern Geschäftsleute. Anders bei der Küstenfischerei: Hier fahren die Bootsbesitzer mit ihrem eige­nen Boot hinaus.»

Anne­Marie Vergez, Fischerin und Besitze­rin der «Nahikari» (auf Baskisch: Wunsch), ist die einzige Frau, welche die Arbeit als Patron­Pêcheur in Saint­Jean­de­Luz im Baskenland ausübt. Sie fischt mit der ausgelegten Grundleine (Palangre). Das ist eine Hauptleine, an der in regelmässigen Abständen Seitenarme oder Vor­fächer angebracht sind, wo die beköderten Haken sitzen. Diese Leinensysteme werden für einige Stunden ausgelegt und dann eingeholt. Die traditionelle Technik ist wohl eine der ältes­ten überhaupt. Bevor man die Palangre vom Boot aus verwendete, wurde sie auf den Strän­den ausgelegt, vor auflaufender Flut.

Anne­Marie kämpft für ein einziges Ziel: «Die Politik auf französischem und euro­

päischem Niveau muss endlich die kleinen Fischer berücksichtigen; die Einzigen, die in der Lage sind zu überdauern, weil sie einen nachhaltigen Umgang mit den Res­sourcen pflegen.»

Die Kleinfischerei, die in einem begrenzten Gebiet in Küstennähe fischt und deren Boots­besitzer in der Regel die Fischenden selbst sind, hat eine grundsätzlich andere Denk­ und Vor­gehensweise als multinationale Fabrikschiffsge­

Ü b E r f i s c h u n gT i pp s f ü r

K on s u m e n t e n

Auch die Konsumenten können etwas beitragen, zum Beispiel beim Einkauf während der Ferien am Meer.

Direkt am Hafen oder in der Fischhalle einkaufen, nicht beim Grossverteiler. Intermarché betreibt z.B. in Frankreich eine eigene Fischereiflotte.

Keine zu kleinen Fische kaufen. Die Schonmasse betragen für den Wolfsbarsch (Bar/Branzino) 36 cm, für Makrelen (Maquereau/Sgombro) 20 cm, für den Seehecht (Merlu/Merluzzo) 27 cm oder für die Meerbrasse (Sar/Sarago) 25 cm.

Keinen Fisch während der Reproduktionszeit kaufen, also zum Beispiel Bar/Wolfsbarsch nicht zwischen Mitte Februar und Ende März.

Qualität statt Quantität: Auf lokale Labels wie «Bar à la ligne» oder «Merlu de ligne» achten statt billi­gen Tiefkühl­ oder Zuchtfisch kaufen.

Fragen stellen an der Fisch theke oder im Restaurant, woher der Fisch kommt, ob aus kleiner, nach­haltiger Fischerei oder von einem grossen Fischtrawler.

Die Petition von Fish Fight France: www.fishfight.fr unterschreiben.

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sellschaften wie zum Beispiel die PFA (s. Maga­zin 2/2013). Die lokalen Fischer streben keine Profi tmaximierung an und müssen keinen Akti­onärshunger nach Dividenden stillen, sondern lediglich ihrer Familie eine Lebensgrundlage ermöglichen. Meist fi schen sie schon seit Gene­rationen und entsprechend denken sie auch voraus: Es soll auch noch Fisch für ihre Kinder und Kindeskinder geben. Zudem angeln sie mit spezifi schen Methoden nach genau einem Zielfi sch, nach dem Wolfsbarsch zum Beispiel mit Leinen (im Winter) oder Angelruten (im Sommer), nach dem Seehecht mit Grundleinen (Palangre) oder nach Krustentieren mit Fallen. Hängt mal ein anderer Fisch am Haken, wird auch der verkauft oder selber verspeist. Beifang gibt es nicht. Die Kleinfi scher schädigen die Biotope nicht und sind fl exibel genug, sich im Jahresverlauf den Zyklen der Fischarten an­zupassen. Sie halten sich im Unterschied zu den Mannschaften der grossen Schlepp­ oder Ringnetztrawler an Schonmasse und Schon­zeiten, haben sie doch ein Interesse, im kommenden Jahr am gleichen Ort wieder aus­gewachsene Fische fangen zu können.

Um dieser zukunftsfähigen Fischerei end­lich ihren gebührenden Platz in der EU-Politik zu verschaff en, haben sich die Kleinfi scher in Frankreich erstmals organisiert. In der Platefor­me de la Petite Pêche Artisanale haben sich bereits über 500 Fischer mit Booten von maximal 12 Metern Länge zusammengetan – die meisten aus dem Languedoc­Roussillon, der Bretagne und dem Baskenland sowie einzelne aus den überseegebieten. Sie wollen darauf hinwirken, dass die neue gemeinsame Fischereipolitik der EU endlich auch ihre Interessen und ihre Leis­tung berücksichtigt und die überkapazitäten der unrentablen Fabrikschiff e wirkungsvoll re duziert. Die Fangquoten sollen in Zukunft auf­grund ökologischer, sozialer und territorialer Gesichtspunkte vergeben werden. Die Küsten­fi scher, die lokal verwurzelt sind, haben seit je so gefi scht, dass auch die nachfolgenden Genera­tionen noch etwas zu fangen haben. Diese Fischerei ist zukunftsfähig und muss gefördert werden.

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L e e rg e f i s c h t ?Fischerei in der EU

Welche Länder fischen am meisten?Fänge in Millionen Tonnen

2010 4,9 17% 15% 12% 9% Dänemark Spanien GB Frankreich

2005 5,6

1995 8,1

Die drei meistgefangenen Fischarten

Europäische Sprotte

Makrele

Atlantischer Hering

Am meisten gefährdete Art

Roter Thun (Blauflossen­Tunfisch)

Wo werden die meisten Fische gefangen?2009 in Kilotonnen Lebendgewicht

Atlantik Nordosten 3549, 8Atlantik Osten/Mitte 489,7Mittelmeer 448, 4

Sind die Fischbestände unerschöpflich?

ÜberfischteBestände 68% 80% 47% EU Mittelmeer Atlantik, Nordosten

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Seit Jahren drängt Greenpeace auf die Schaffung von Meeresschutz­gebieten, die 40 Prozent der Welt­meere umfassen und in denen, zumindest bis sich die Bestände erholt haben, keine industrielle Fischerei mehr stattfinden darf. Nur so kann der völlige Kollaps der Ozeane verhindert werden. Inzwischen sind auch die zuständi­gen UNO-Gremien zum gleichen Schluss gekommen und schlagen die Unterschutzstellung von 20 Prozent der Meeresfläche vor.

Um diese Ziele der Biodiver­sitätskonvention umzusetzen, hat Frankreich von 2009 bis 2012 einen «Grenelle de la mer» einbe­rufen, eine dreijährige Initiative mit dem Meer im Mittelpunkt. Der

«Grenelle» ist ein breites Ver­nehm lassungs verfahren unter Ein­bezug aller betroffenen Gruppie­rungen (auch Greenpeace France beteiligt sich daran) und mit Hunderten von Arbeitsgruppen, die ihre Resultate am Ende zentral zusammenführen. Er hat der Regierung das Ziel gesetzt, bis 2020 insgesamt 20 Prozent der fran­zösischen Meere unter Schutz zu stellen (10 Prozent davon als fischereifreie Zonen): ein guter Entschluss, aber nicht verbindlich genug.

Leider sind staatliche und in­ternationale «Beschlüsse» meist nur Lippenbekenntnisse, die unter dem Druck der mächtigen Lobby der industriellen Fischerei schnell

wieder vergessen gehen. Weltweit stehen erst 1,2 Prozent der Meere unter Schutz und auch in den französischen Gewässern ist noch kaum etwas von den Grenelle­Zielen umgesetzt. Den Meeren bleibt aber nicht mehr genügend Zeit, sie können nicht auf die Umsetzung der grossen Ziele war­ten. Umso dringlicher ist es, bei der Fischerei direkt anzusetzen, die schlimmsten Exzesse aus­zumerzen und die nachhaltigsten Methoden zu fördern.

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Gw e na ë l P e n na ru n, traditio neller Küstenfischer aus Sainte­Marine (Bretagne): «Ich kann nicht sagen, ob ich diesen Beruf gewählt habe oder der Beruf mich. Schon von Kindsbeinen an habe ich meinen Vater aufs Meer begleitet, und es sind jetzt dreissig Jahre, dass ich in der südlichen Finistère den Wolfsbarsch mit der Leine fange. Fischer zu sein, ist für mich ein Synonym für Frei­heit – oder vielmehr, so war es früher. Denn jetzt muss ich raus, wenn der Fisch auftaucht, und bevor er wieder weg ist. Wir merken, dass die Zahl der Fische in den letzten dreissig Jahren stark abgenom­men hat.».

Greenpeace hat von März bis Juni dieses Jahres eine «revolutionäre» Schiffstour durch­geführt. Zum ersten Mal waren die Fischer keine Gegenspieler, sondern gemeinsam mit der Greenpeace­Crew an Bord der Arctic Sunrise, die durch die europäischen Meere gezogen ist mit dem Ziel, die nachhaltig arbeitenden lokalen Fischer zu unterstützen und eine Änderung der EU-Fischereipolitik zu fordern. Als Symbol für den gemeinsamen Kampf für gesunde europäische Meere reichte die Arctic Sunrise eine Schiffslaterne von Land zu Land weiter – mit Beginn in Rumänien und dem Schlusspunkt in England. Dabei legte sie in neun Ländern an und sammelte Unterstützungsbotschaften für die lokale Küstenfischerei, um Druck auf die EU-Verhandlungen zur Fischereireform auf ­zu bauen.

Die gemeinsamen Anstrengungen von Kleinfischern, Greenpeace und anderen Mee­resschützern tragen bereits erste Früchte. Ende Mai haben Unterhändler des EU-Minister­rats und des EU-Parlaments einen Entwurf zur neuen Fischereipolitik vorgelegt, der erst­mals die Fangmengen an wissenschaftlich abgestützte Nachhaltigkeitsgrenzen binden und den Beifang deutlich reduzieren soll. Der erzielte Kompromiss muss allerdings noch von den Mit gliedstaaten und vom EU-Parlament abgesegnet werden, damit das Gesetzespaket Anfang 2014 in Kraft treten kann.

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Die Mehrheit der Speisefischbestände in den europäischen Meeren ist über­fischt oder kurz davor. Eine grundlegen­de Umgestaltung der EU-Fischerei­politik ist längst überfällig.

Am 30 Mai 2013 haben sich die verschiedenen EU-Staaten dieser Her­ausforderung gestellt und einigten sich nach zähen Verhandlungen auf das Herzstück zur Reform der Gemein­samen Fischereipolitik in Europa.

Ku r z i n fo z u r E U - F i s c h e r e i p oli t i k

Wer in Europa nicht nur mit der Angel, sondern mit einem Kutter im großen Maßstab fischen will, kommt um die sogenannte Gemeinsame EU-Fischerei­politik nicht herum. Unter dem Dach Europas regelt sie, wer wann wo wie viel fangen darf.

Die bisherige Fischereipolitik gilt als gescheitert – sie hatte sich bisher vor allem an den Interessen der Industrie orientiert und die Belange des Meeres­schutzes vernachlässigt. Die Folge: schwindende Fischbestände durch über­fischung, hohen Beifang und Fang­quoten, umstrittene Fördergelder für

die Grossindustrie – all dies zu Lasten der Meeresumwelt und der kleinen, nachhaltigen Fischer.

K om m e n ta r G r e e n pe ac e

Thilo Maack, Meeresexperte von Greenpeace Deutschland, äussert sich wie folgt über die neue Vernehmlas­sung der EU-Fischereireform: «Immer­hin hat man sich in Brüssel endlich geeinigt, wie sich die europäischen Fischbestände wieder erholen sollen. Angsichts der massiven überfischung hätten wir uns dennoch strengere Fischereiregeln für Europa gewünscht. Von den ehrgeizigen Parlamentsplä­nen ist bei diesem Kompromiss leider nicht viel übrig geblieben: Beifang darf weiter auf See entsorgt werden und auch mit dem Aufbau der Fischbestän­de will man sich länger Zeit lassen, als es nötig wäre. Immer noch ist die Mehrzahl der Speisefischbestände in europäischen Gewässern überfischt oder steht kurz davor. Jetzt kommt es darauf an, wie die EU-Mitgliedsländer die neuen Fischereiregeln umsetzen und Verstöße konsequent verfolgen.»

Ü b E r f i s c h u n g

«Das offene Meer verbirgt enorme Quellen an unerforschten Reichtümern.

Zudem hat es keine eigentlichen Besitzer. Dies ist ein besonderer Zustand und bedeutet eine

multilaterale Herausforderung.» D e l p h i n e b a th o , e h e m a l i g e um w e l t m i n i s te r i n d e r f ra n z ö s i s c h e n r e g i e r u n g ,

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Magazin GreenpeaceNr. 3 — 2013

Das Bienensterben ist längst in aller Munde. Dass auch jun-ge Austern auf dramatische Weise dahingeraff t werden, ist weniger bekannt. B etroffen ist vor allem Frankreichs Aus -ternproduktion – die vier t-grösste der Welt nach China, Japan und Südkorea. Seit 2008 herrscht Alarmstimmung.

Im April begann ein Massensterben unter den Jungtieren – zuerst in den Lagunen am Mittel­meer, dann an der Atlantikküste. Etwa 40 bis 80 Prozent aller unter einem Jahr alten Tiere raffte die Todeswelle dahin, in manchen Gebieten sogar alle. Jeden Sommer sterben seither junge Aus­tern, welche die Zuchtbasis für die nächsten Jahre bilden sollten, fast vollständig weg. Die Folgen sind ökologisch wie ökonomisch gravierend. Von den 4800 Betrieben mit ihren 15 000 Mitar­beitern, meist Familienunternehmen, ist bereits jeder vierte in seiner Existenz bedroht. fo r ts e t z u n g s . 4 8

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44Magazin GreenpeaceNr. 3 — 2013

Au s te r n z u c h ta n l a g e i n b a i e d u M o n t s a i n t - M i c h e l : ne b s t z w e i b a k te r i e n a r te n k ö n n te n a u c h um w e l t g i f te a u s d e r l a n d w i r ts c h a f t z u m M a s s e n s te r b e n d e r s c h a l e n t i e re f ü h re n .

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b i l d o b e n : i m k a l te n wa s s e r w e rd e n d i e Au s te r n b a b y s i n M a s c h e n s ä c k e n a u f s ta h l k o n s t r u k t i o n e n z u r Au f z u c h t d ra p i e r t u n d i n re g e l m ä s s i g e n Ab s tä n d e n g e w e n d e t ,

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F ü r di e K on s u m e n t e n n o c h k e i n P rob le m

Noch können die Grosshändler die Lücken mit Importen aus Asien schliessen. Das mag die Gourmets trösten, nicht aber die Züchter. Und falls auch die wilden Austern sterben, droht eine Umweltkatastrophe, denn die Mollusken sind nicht nur ein wichtiges Glied in der Nahrungsket­te, sondern reinigen durch ständiges Filtrieren auch das Meerwasser.

Da s S om m e r s t e r b e nDas Phänomen des Sommersterbens ist nicht neu: Austern verfügen über keine Antikörper, man kann sie nicht impfen oder heilen, sondern nur warten, bis die Infektionen abklingen – oder eben nicht. Dieser Worst Case ist in der fran­zösischen Austernwirtschaft schon zweimal eingetreten, das erste Mal Anfang des 20. Jahr­hunderts. Ostrea edulis heisst die europäische Ursprungsauster, die schon im alten Rom verspeist wurde. Ihre Bestände wurden vor gut hundert Jahren durch den Bonamia­ostreae­Parasiten dezimiert. Heute findet man sie noch in typischen Austerndörfern, in Frankreich als huître plate, in England als flat oyster. Nach dem Niedergang der Ostrea edulis wurde verstärkt die portugiesische Sorte Crassostrea angulata gezüchtet. Doch ein Virus in Frankreich rottete diese zwischen 1970 und 1972 aus. Also wurde sie durch die pazifische Sorte Crassostrea gigas ersetzt, die heute über 98 Prozent des Markts ausmacht – und nun ebenfalls gefährdet ist.

D i e vor de rg rü n dig e Ur sac h e i s t b e k a n n t

Die Hauptursachen des neusten Massensterbens sind die miteinander verwandten Bakterien Vibrio splendidus und Vibrio aesturianus, in ers­ter Linie aber eine aggressive Art eines Herpes­

virus. «Das grosse Problem, dem wir uns stellen müssen, ist ein neuer Erreger. Es ist ein Ab­kömmling des alten Bekannten OsHV­1, wir haben ihn OsHV­1 Microvariant getauft», berich­tet die Biologin Nathalie Cochennec von Ifre­mer, dem französischen Forschungsinstitut für Meeresnutzung. In jeder zweiten Probe von Austerngewebe aus dem Jahr 2008 konnten die Wissenschaftler den Erreger nachweisen. Im Jahr 2009 fand er sich bereits in 96 Prozent der Proben, meist gemeinsam mit den beiden Vib­rio­Bakterienarten.

Warum die jungen Austern von Viren getötet werden, mit denen sie sonst problemlos zusammenleben, ist unklar. Der französische Meeresbiologe Jean­FranÇois Samain sieht den Grund im Klimawandel: «Die steigende Was­sertemperatur stimuliert die Auster zur Repro­duktion. Sie konzentriert ihre Energie darauf, Keimzellen zu produzieren, und wird dadurch geschwächt.» Zudem schliessen Experten nicht aus, dass weitere Faktoren wie Umweltgif­te aus der Landwirtschaft oder Toxine aus Algen eine Rolle spielen. Die US-Forscher ver­muten, dass auch übersäuerte Meere zum Sterben beitragen.

Hof f n u n g au f r e s i s t e n t e Au s t e r n s tä m m e

Hoffnungsvoll stimmt, dass einige Austern resis­tent sind gegen den neuen Erreger. Gelänge es, diese widerstandsfähigen Tiere zu identifizieren und zu züchten, könnten sie die Basis bilden für neue Bestände. Auf dieses Ziel arbeiten nicht nur das Ifremer, sondern auch die vier grössten Austernlarven züchter des Landes hin. Einer von ihnen, Frédéric Chenier, sammelt wilde Aus­tern von den rausten Küsten der Bretagne. «Das sind die Kräftigsten. Daraus züchte ich einen Stamm, setze ihn den Erregern aus und mit den überlebenden setze ich die Zucht fort. Wenn alles klappt, sind sie 2015 auf dem Markt.»

D i e t i e f e r e Ur sac h e m u s s b e k ä m pf t w e r de n

Ob diese Strategie auf lange Sicht aufgeht, ist aber fraglich. Denn die tiefer liegenden Proble­me – übersäuerung, Erwärmung und Ver­schmutzung der Ozeane – sind damit nicht gelöst.

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Magazin Greenpeacenr. 3 — 2013 48

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49Magazin GreenpeaceNr. 3 — 2013

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Magazin GreenpeaceNr. 3 — 2013 52

Vermutlich kennen alle Städter den Gedanken: Die Habe packen, der urbanen Betonwüste und den überfüllten Trams den Rücken kehren und in der ländlichen Weite ein Stück ver­lorene Freiheit wiederfinden. Meist bleibt es bei der Utopie. Nicht für Nicole Klein: Nach 19 Jahren in Paris begann die Tänzerin vor vier Jahren ein neues Leben als Biobäuerin in den französischen Voralpen.

Solo auf ungewohnter Bühne

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Magazin GreenpeaceNr. 3 — 2013 53

Kurz vor 22 Uhr. Eine Bilderbuchnacht ist über dem Vercors angebrochen, einem zerklüfteten Bergmassiv südlich von Grenoble. Hier in St­Roman, am westlichen Ende des Vercors, steht Nicole Kleins Jurte. Wir sitzen in der Mitte auf Stoffballen und Matratzen um einen impro­visierten Klubtisch: Nicoles Nachbarin Sandra, ihr Freund Florent, der soeben im Imkerum­hang hereingeplatzt ist und ich. Derweil tischt Nicole Köstlichkeiten der fruchtbaren Umge­bung auf: Feldsalat mit jungen Lindenblättern vom benachbarten Moor, dekoriert mit leuch­tend violetten Borretschblüten. Dazu gibt es Bulgur, selbstgemachten Bärlauchpesto, Champignons, geraspelte Weissrüben, Brot und frischen Kuhmilchkäse aus dem Dorf. Wir essen, während Nicole, die kleine, gedrungene Frau mit frischem Teint, das Gesicht gespren­kelt mit blassen Laubflecken, von Zeit zu Zeit ein Holzscheit in den alten Emailofen schiebt. Es ist Anfang Mai und noch immer kühl. Als die Glühbirne über uns wegen eines Batterie­problems der Solaranlage kurz erlischt, leuch­ten die Sterne hell durch die transparente Folie im Dachspitz. Draussen das Quaken der Frö­sche vom Moor, das Rauschen der Drôme und vereinzelt der schrille Schrei einer Nachtigall. «Ein unglaubliches Zuhause, bei dem der Un­terschied zwischen draussen und drinnen fast aufgehoben ist», hat Nicole ihr neues Heim vor unserem Treffen beschrieben.

K olle r nac h 3 2 Ja h r e n

G ro s s s ta dt

Das war in Paris anders: Dort hatte sie sich zuletzt eine 50­Quadratmeter­Wohnung mit ihrem damaligen Partner und einem Freund geteilt. Das Einzige, was bis nach Mitter­nacht rauschte, war der Verkehr auf der viel befahrenen Strasse vor der Haustür. Und wenn einmal nächtlicher Gesang zu hören war, kam er von ein paar johlenden Betrunkenen auf dem Heimweg. Mit 13 war Nicole ihrer Mutter von Chicago, ihrem Geburtsort, nach Paris gefolgt. 19 Jahre war das französische Zentrum für Kommerz, Kunst

und Politik ihr Zuhause. Ein Ort, an dem man einen Grossteil seines Tages im fahlen Kunst­licht von Metroschächten verbringt und wie ein dribbelnder Fussballer stets darauf bedacht ist, den Mitmenschen möglichst elegant aus­zuweichen. Ein Ort auch, an dem den Menschen unsichtbare Scheuklappen wachsen, damit sie nicht vom un­aufhörlichen Strom der Eindrücke überwältigt werden. Der Alltagswahn des Grossstadtlebens, der für die Hälfte der Menschheit zur Normalität geworden ist, hat Nicole fertig gemacht: «Ich habe die Gewalt der Stadt irgendwann nicht mehr ausgehalten. Damit meine ich nicht die Verbrecherstatistiken, sondern die zwischenmenschliche Kälte und die gegenseitige Ignoranz. In der Stadt rennt jeder irgendetwas hinterher. Aber was will man genau, was ist das Ziel?»

Nicoles Interesse an biologisch produzierten Nahrungsmitteln erwach­te in einem Bioladen in Montreuil in der Pariser Agglomeration. Dort arbeitete sie während ihres Tanzstudiums an der Ecole Nationale Supérieure des Beaux Arts de Cergy­Pontoise. Später machte sie sich als Teilzeit­Büroangestellte bei Greenpeace mit Themen wie Nahrungsmittelsouveränität und gentech­nisch veränderten Organismen (GVO) vertraut. 2006 folgte sie ihrem damaligen Freund für ein Kunststipendium nach Benin und nahm jede Menge DVDs zu Umweltthemen mit. In missio­narischem Eifer versuchte sie die Kleinbauern über die Gefahren von GVO, Kunstdüngern, Pestiziden und der Abhängigkeit von global agie­renden Agrochemiekonzernen aufzuklären. «Ich predigte eine biologische Landwirtschaft, von der ich keine Ahnung hatte», gesteht sie heute. Doch Benin war ein Wendepunkt: «Ich realisierte plötzlich, wie stark ich mich im Alltag von meiner natürlichen Umwelt entfernt hatte und dass die Subsis­tenzlandwirtschaft – ein Leben mit und von der Natur – für die meisten Menschen dieser Erde Normalität ist. Mein urbaner Lebensstil war die Ausnahme, nicht ihrer.» Nicole wollte sich diesen Men­schen fortan verbunden fühlen. Nicht in Afrika, wo sie komplett andere Voraussetzun­gen gehabt hätte als alle anderen Kleinbauern, sondern bei sich zuhause in Frankreich.

Page 56: Greenpeace Switzerland Magazin 3/2013 DE

Magazin GreenpeaceNr. 3 — 2013 54

K le i n bäu e r lic h- w e lt bü rg e r lic h e r

Hy b r i d

Die Nacht in Nicoles Jurte war erholsam. Geschlafen haben wir auf den Matratzen, auf denen wir zuvor gegessen hatten. Geweckt hat uns das Krähen eines Hahns. Nicole holt aus dem rudimentär gebauten Hühnergehege neben der Jurte ein paar Eier, die wir am Mittag essen werden. Sonst gibt der «Hof» noch nicht viel her. Hier in St­Roman bewirtschaftet Nicole lediglich eine kleine Baumschule mit Pfir sichen, Zwetschgen, Mispeln, Vogel­beeren und Quitten. Das reicht nicht weit. Obschon die Bodenluken ihrer Jurte mit Ein­gemachtem vom letzten Sommer gefüllt sind, braucht sie für den Speiseplan Waren etablierter Biobauern auf dem Markt. Sie hätte sich an der grösseren Landparzelle ihrer Nachbarin Sandra beteiligen können. Doch Nicole hat sich in ein anderes Stück Land verguckt, in Trièves, wo ihr Freund zuhause ist und wohin sie ihre Jurte bald zügeln wird. Sie will mir den neuen Standort

und den dortigen Gemeinschaftsgarten später zeigen. Vorher wolle sie noch rasch ihre E-Mails checken. Surfen in der Jurte? Ja, ein Leben ohne Internet könne sie sich nur schwer vorstel­len. Nicole bestellt über Webshops, nimmt Anmeldungen für Tanzkurse entgegen und kommuniziert mit den Schwestern in den USA. Dafür hat sie von Sandras Haus ein Kabel in die Jurte gezogen. Die Verbindung ist nicht schlecht. «Weisst du, ich bin weder technik­feindlich noch will ich mich von der Welt abkoppeln.» Ihr Vater in Chicago frage manch­mal, ob das hier «so ein Neo­Hippie­Ding» sei. «Nein, ist es nicht!» In Nicoles Lebensentwurf sind Selbstversorgung, die Anpassung an die natürlichen Zyklen und die Entbehrung von häuslichem Komfort kein Widerspruch zu Web­shops und «Around the world»­Flugtickets. Auf Flugreisen nach Kanada, Japan, USA und Indien will sie nämlich auch künftig nicht ver­zichten. «So weit geht meine Moral nicht.» Prinzipien ja, aber nur solange die eigene Ent­faltung nicht eingeschränkt wird. Sind die «Néos», wie die Neuankömmlinge von den

s z E n E n w E c h s E l

Ke i n Ö r tc h e n i n ni c o l e s J u r te b l e i b t u n g e n u t z t . nu r wa s w i r k l i c h n ö t i g i s t , w i rd g e h o r te t . Au f e i n e n c o m p u te r m i t i n te r n e t z u g a n g m ö c h te d i e b i o b ä u e r i n a b e r t r o t z d e m n i c h t v e r z i c h te n .

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Magazin GreenpeaceNr. 3 — 2013 5555

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ni c o l e i m g ä r t n e r f i e b e r z u s a m m e n m i t i h re n fre u n d i n n e n v o m «Ja rd i n d u M a r g a r o u » . « D i e um g e b u n g h i e r g i b t m i r K ra f t , s i e l ä d t m i c h a u f. Pa r i s h i n g e g e n h a t m i c h k o m p l e tt a u s g e l a u g t .»

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«Autochtones», den Einheimischen, hier genannt werden, vielleicht eine Art Hybrid aus kleinbäuerlicher Genügsamkeit und weltbür­gerlicher Lebensfreude? Die Radikalität und die Dogmen früherer Aussteigerbewegungen gehen ihnen jedenfalls ab. «Eigentlich bin ich Vegetarierin», erklärt Nicole. «Doch wenn sich jemand Mühe gibt und mir ein Stück Fleisch kocht, dann gewichte ich das höher.» Zuerst das Miteinander, dann die Prinzipien.

Nicole holt ihren alten Peugeot 306 und beklagt gleich die nächste ökologische Inkonse­quenz: «In Paris war ich die meiste Zeit mit dem Fahrrad unterwegs. Hier sitze ich dauernd im Auto.» Zum Col de Grimone auf 1318 Metern Höhe windet sich eine Passstrasse durch steile, dicht bewaldete Schluchten. Aus historischen Felsengalerien öffnen sich erhabene Blicke in die Sturzbäche am Fuss des Vercors­Massivs. Im Zweiten Weltkrieg waren die Felsen ein belieb­tes Versteck der Résistance beim Kampf gegen die deutsche Besatzung. Heute stehen zehn Prozent des Naturparks Vercors unter Schutz: Die 170 Quadratkilometer sind das grösste Naturschutzgebiet Frankreichs. Knapp vor der Passhöhe hält Nicole abrupt. Auf einer Ma­gerwiese hat sie Schlüsselblumen entdeckt. Aus ihnen wird sie zuhause eine «infusion» zube­reiten, einen Kräutertee gegen Erkältung. Auf der anderen Strassenseite stehen Hagebut­tensträucher. «Meine Lieblingsbeere», meint Nicole. Immer im Herbst kommt sie mit ihrem Freund zum Pflücken. Die Butten verarbeiten sie später zu Glace. Das Wissen über die Flora und ihre kulinarische Verarbeitung hat sie sich während der letzten sieben Jahre kontinuierlich erarbeitet. Nach ihrem Schlüsselerlebnis in Benin begann sie zu «wwoofen»: mit Einsätzen auf biologischen Landhöfen gegen Kost und Logis zu arbeiten. Später engagierte sie sich bei einem «Urban Farming»­Projekt in Montreuil. Doch sosehr Nicole die immer zahlreicher werdenden «Urban Far­ming»­ und «Transition Town»­Initiativen bis heute schätzt: Das Stadtgärtnern geht ihr zu wenig weit. «Ich fühlte mich nach wie vor als Teil einer Minderheit in einem Meer von An­dersartigen.» Schliesslich begann sie im Städt­chen Die, nicht weit von St­Roman und ihrer Jurte entfernt, eine einjährige Ausbildung in biologischem Gemüseanbau. Die ist ein kleines

Bio­Mekka – nirgends sonst in Frankreich gibt es mehr Biobauern als in der Region Rhône­Alpes, zu der die beiden Departements Drôme und Isère gehören, welche das Vercors­Massiv umfassen. Heute produzieren in Drôme über zehn und in Isère fünf Prozent der Bauern bio­logisch. Der französische Durchschnitt liegt bei 2,5 Prozent.

Nach dem überqueren der Passhöhe öffnet sich eine weite und fruchtbare Hochebene. Gelb leuchtende Rapsfelder grenzen an wilde Graslandschaften, dazwischen verlieren sich schmale Waldbänder entlang des Flusses Ebron und entlang den Rebbergen wird der Clairette herangezogen, ein prickelnder Süsswein, für den die Umgebung bekannt ist. «Die Umwelt hier gibt mir Kraft, sie lädt mich auf. Paris hingegen hat mich komplett ausgelaugt.» Oft habe sie sich erschöpft und nutzlos gefühlt – selbst wenn sie an Wochenenden durch ganz Frankreich raste, um an Diskussionen zu Er näh rungs­souveränität und an Antiglobalisierungsprotes­ten teilzunehmen. Zwar findet sie die zivil­gesellschaftlichen Bewegungen nach wie vor inspirierend. «Aber hier kann ich viel mehr bewegen.» Mir kommt Mahatma Gandhi in den Sinn und sein Credo: «Sei du selbst die Verän­derung, die du dir wünschst für diese Welt.»

D i e Né o s k om m e n, di e K i n de r de r

Au to c h ton e s g e h e n

Wir fahren in Tréminis ein, wo Nicoles Freund Sylvain lebt: ein kleines, verschlafenes Dorf mit mehr Bienenkästen als Einwohnern. Die Luft ist getränkt von süssem Nektar. Eine Epicerie markiert so etwas wie ein Zentrum, einen ande­ren Treffpunkt gibt es nicht. Viele Dörfer im Gebiet des Vercors sind nahezu leer. Die Jungen ziehen mangels Job­ und Ausbildungsvielfalt in die Stadt – ein nationales Problem: Jedes Jahr gehen Frankreich 30 000 Bauern verloren. Heute existieren offiziell noch 770 000, sie machen rund drei Prozent der Bevölkerung aus. Die Bauern werden auch immer älter: Nur noch ein Drittel ist unter vierzig. Dafür kommen jetzt die Néos, junge Menschen wie Nicole und Sylvain, die ihrer guten Ausbildung und den Entfaltungs­ und Beschäftigungsmöglichkeiten

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der Grossstadt zum Trotz aufs Land ziehen. Zwei Drittel der 30 Teilnehmer in Nicoles Ausbildungskurs in Die kamen aus der Stadt und hatten keinen bäuerlichen Hintergrund. Wie viele Néos sich in den letzten Jahren in der Gegend um den Vercors niedergelassen haben, kann niemand genau sagen. Die Neu­linge tauchen erst in den Statistiken auf, wenn sie über 12 Hektaren verfügen, also über 120 000 Quadratmeter Land, und damit als profes sionelle Bauern anerkannt werden.

G e s uc h t : G e s c h ä f t s mode ll f ü r

M i n i m a le i n k om m e n

Sylvain hat erst 120 Quadratmeter Land – hinter dem renovationsbedürftigen Postgebäude von Tréminis, wo er seit sieben Jahren lebt. Dort zieht er Salate, Radieschen, Brombeeren, Rha­barber, Zwiebeln, Kartoffeln und Äpfel. Zu­sammen mit dem Hühnergehege reiche das, um sich mit Gemüse, Früchten und Eiern zu ver­sorgen, versichert er. Den restlichen Lebens­unterhalt verdient Sylvain mit Bioglace. Mit einer staatlichen Anschubfinanzie­rung hat er sich dafür in einer früheren «Maison pour tous» eine kleine Produ k­tionsstätte eingerichtet. Sein Geschäfts­modell steht, das von Nicole hingegen ist noch immer schwammig. Sie hatte vor unserem Treffen von einem Waldgarten mit Beeren und Früchten geschrieben, die sie zu Säften und Glace verarbeiten möchte. Doch das passende Land fehlt. «Ein regelmässiges Einkommen wäre langsam wieder eine gute Sache», sagt sie. Nach ihrer Flucht aus Paris hatte sie ein Jahr lang Anrecht auf Arbeitslosengeld. Ihr früherer Arbeitgeber unterstützte sie während der Umschulung für ein weiteres Jahr. Derzeit lebt sie vom Ersparten und dem bisschen, was ihr Tanz­ und Atemtechnik­Kurse von Zeit zu Zeit einbringen. «Mit 300 bis 400 Euro pro Monat geht das schon irgendwie.» Ihre aktuelle Geschäftsidee: eine Pilzzucht, deren Erträge sie auf den lokalen Märkten ver­kaufen will. Heute Morgen ist das Myzel dafür bei Sylvain eingetroffen: die fadenförmigen Pilz zellen, die sie über einen Webshop in den USA bestellt hat.

Der Staat investiert derzeit zwar viel Geld, um unter 40­Jährige für den Beruf des Bauers und der Bäuerin zu begeistern. Doch für Subven tionen bräuchte Nicole zuerst einen ausformulierten Geschäfts­plan und vor allem genügend Land. Letzteres macht ihr am meisten Sorgen, sei doch das Land hier genauso beschränkt und be gehrt wie anderswo in Europa. «Das ist eine Art geschlossenes, aristokratisches System.» Die Parzellen bleiben meist über Generationen in den Händen der ursprünglichen Besitzer­familien. Diese sind bei der Landvergabe äus­serst vorsichtig, weil das französische Gesetz einen guten Pächterschutz bietet. Ist ein Pacht­vertrag erst einmal unterschrieben, kann er von den Verpächtern während der regulären Laufzeit von neun Jahren nur noch in Ausnahme­fällen gekündigt werden. Auch Nicole und Sylvain mit ihren drei Freundinnen und Freun­den vom Gemeinschaftsgarten in Prébois verhandeln zurzeit mit Bauern und Landeigen­tümern aus der Umgebung. Ihr Ziel: vier Hektaren. Das wären drei mehr, als sie aktuell besitzen, und würde vorerst zur Selbstver­sorgung und für ein ausreichendes Einkommen auf dem Markt reichen, glauben sie. In zwei Tagen werden sie sich zu weiteren Gesprächen mit Landbesitzern treffen. Ob ich sie begleiten dürfe, frage ich Nicole. «Nein, dafür steht zu viel auf dem Spiel.»

Die Autochtones stehen den Plänen der Néos skeptisch gegenüber. Sie wollen nicht «so ein Hippie­Ding» und sich zuerst vergewissern, dass es die Néos ernst meinen mit dem Bauern. «Die Jungen heute ändern ihre Pläne ja andauernd», musste sich Nicole von ihren Nachbarinnen mehr als einmal anhören. Sowieso entsprechen die Bauern nicht ganz dem Bild, das sich Nicole in Paris von ihnen gemacht hatte: Freiheitsliebend und revo­lutionär sollten sie sein. «In Wahrheit sind die meisten sehr konservativ und arrangieren sich mit den Vorgaben aus Paris», sagt sie heute. So zum Beispiel bei der «loi COV», die Ende 2011 verabschiedet wurde: Sie beschränkt die Wei­zenaussaat auf 22 Sorten und wer eigene Samen aufbewahrt, wird zu Zahlungen an Saatgut­hersteller verpflichtet. «Der Aufschrei der Bau­ern in Drôme und Isère blieb aus. Das finde ich beängstigend.»

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«Né oru r au x» vs. «M e t ro, b ou l ot, d od o»

Im 1979 erschienenen Werk «Le retour à la nature: au fond de la forêt» beschreiben die Soziologen Bertrand Hervieu und Danièle Hervieu­Leger stadtmüde Junge auf der Suche nach neuen Formen der Arbeit, des Konsums, der Gemeinschaft und der Landwirt­schaft. Solche «Néoruraux» (abgekürzt Néos) fanden sie vor allem in einst ertragreichen Land­wirtschaftsregionen, nun ent­leert, wo kleine Steinruinen mit wenig Hektaren Land für unter 10 000 Francs zu kaufen waren. Charakteristiken der Néos waren laut den Wissenschaftlern der Wille zur Isolierung und zur Ab­kehr von allen «Pervertierungen»

der Grossstadt, die Sehnsucht nach einer intakten Natur und nach einem Leben in Einklang mit dieser und die Rückkehr ins Dorf, wo man sich kennt und Solida­rität gelebt wird.

Seither wird der Begriff «Néoruraux» in Literatur und Alltag vielfältig verwendet. Einer Studie des Instituts Ipsos von 2003 zufolge sind 4,2 Prozent der französischen Bevölkerung über 15 Jahren Néos, also rund zwei Millionen Bürger. Dazu zählen jedoch sämtliche aufs Land Gezo­genen aus Städten und Agglo­merationen, unabhängig von Beruf und Arbeitsort. Nur 14 Prozent dieser Gruppe interessieren sich

noch für die Erneuerung und Ent­wicklung der ländlichen Um­gebung. Solche Néos des 21. Jahr­hunderts sind nicht mehr mit den poli tisierten und utopischen von Hervieu­Leger vergleichbar.

Tra u m h a f te r b l i c k i n s Ta l d e r r e g i o n Tr i è v e s u n d a u f d i e f ra n z ö s i s c h e n Al p e n : h i e r b a u t ni c o l e i h re n e u e E x i s te n z a u f. s i e l e b t v o n d e r fr u c h t b a r k e i t d e s b o d e n s u n d i m E i n k l a n g m i t d e n n a t ü r l i c h e n zy k l e n .

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Zw i s c h e n Ja r di n du M a rg a rou

u n d Pa r i s

Von Tréminis aus fahren wir weiter zum Gemein­schaftsgarten im nahen Prébois. Ein handge­maltes Schild bezeichnet die Abzweigung auf einen Landweg zum Jardin du Margarou, einem Grundstück von 8000 Quadratmetern mit zwei grossen Treibhäusern und zwei Äckern. In den Treibhäusern wachsen Basilikum, über 20 Sorten Tomaten, Spinat, Paprika, Salat und Melisse. Nicoles Kolleginnen Faith und Calou sind gerade dabei, die Setzlinge in einen Transporter zu verladen. Morgen werden sie auf einem Biomarkt im benachbarten Mens verkauft. Die Äcker sind noch karg. Nicole hat im April einige Pfi rsich­ und Pfl aumenbäu­me gesetzt. Nun inspiziert sie Blätter und Knospen und spricht zärtlich mit den jungen Gewächsen, wie zuvor mit den Setzlingen auf Sylvains Fens­tersims. Viele der Bäume sind krank, stellt sie fest: von einem Pilz befallen. Vielleicht eine schlechte Sorte, vielleicht liegt es auch einfach am lehmigen Boden. Der macht den Gärtnern Sorgen: Den Grundsätzen der Agrarökologie folgend, wollten sie ihn erst nicht pfl ügen, um die Bodenmikrobiologie zu erhalten. Doch das funktioniert hier nicht, hat die Natur sie gelehrt. Die Margarou­Gärtner mussten sich bei einem konventionellen Bauern einen Pfl ug borgen.

Nicole gesellt sich zu ihren Freundinnen zum Schwatz vor dem alten Wohnwagen, der als Saatgutlager und als Küche zum Kaff eekochen dient. Die Atmosphäre ist freundschaftlich, entspannt und hemdsärmlig. Faith ist Englän­derin, lebt aber schon seit vielen Jahren in den französischen Voralpen. Ihre Arme sind kräftig und von der Sonne gegerbt. Sie steckt sich eine selbstgedrehte Zigarette in den Mund. Zwischen den Zügen beisst sie in ein Stück Baguette, Schinken oder Schokolade. Zum ersten Mal habe ich das Gefühl, in Nicole die Pariserin zu er­kennen. Ihr Faserpelz ist zwar verfl eckt und die Schuhe sind zerschlissen, genauso wie bei den anderen. Aber ihre Hände sind noch nicht so dunkel und schrundig wie die von Faith und Calou. Auch wirkt ihr Lachen weniger ausgelas­sen und unbekümmert – als wäre sie nach wie vor ein wenig gefangen zwischen ihrer alten Identität als Pariser Künstlerin und der neuen

als Biolandwirtin. «Ich weiss, ich bin anders», hat sie selbst gesagt. Die Vergangen heit lässt sich nicht einfach abschütteln. Ihr Denken ist geprägt von Jahren der genauen Betrachtung und der Auseinandersetzung mit Ästhetik. Dabei hat sie ein feines Gespür für das Transzendentale entwickelt, fürs das, was hinter den Dingen steckt. Doch ihr Vorschlag, die kommende Ernte in ein Freilufttheater zu verpacken, wurde von den anderen abgeschmet­tert. Und manchmal vermisst Nicole das kul­turelle Durcheinander von Paris. In den wenigen Bistros in Isère triff t man selten auf einen Marokkaner, eine Filipina oder einen Musiker aus der Côte d’Ivoire. Denkt sie manchmal an Rückkehr? «Nein, im Moment kann ich mir nichts anderes vorstellen. Aber nichts ist endgültig.»

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l A n D w i r T s c h A f T

K om m e n ta r G r e e n pe ac e

«Einkaufen ist ein politischer Akt. Bei jedem Griff ins Lebensmittelgestell entscheiden wir, welche Landwirtschaft wir in Zukunft haben wollen. Es sind aber auch die politischen Rahmenbe­dingungen, die zulassen, ob Gemüse, Obst oder Getreide mit Umweltgiften angebaut werden dürfen oder ob die Lebensmittelproduktion die natürliche Vielfalt auf den Ackerfl ächen res­pektiert und schont. Die Politik reagiert erst, wenn die Gesellschaft als ganze – also ich im Coop, du in der Migros und andere im Quartierladen – Lebens­mittel aus biologischer Produktion nachfragen. Erst der Druck der Konsu­menten sowie das Engagement von Umweltorganisationen und anderen Akteuren bringt die Entscheidungsträ­ger zum Handeln.»Marianne Künzle, Landwirtschaftscam-paignerin, Greenpeace Schweiz

Au s r ic h t u n g de r G r e e n pe ac e

L a n dw i rt s c h a f t s k a m pag e

Greenpeace setzt sich weltweit für eine moderne, ökologische Landwirtschaft ein, die sich an den natürlichen Kreis­läufen und Ressourcen ausrichtet und Lebensmittel ohne Gentechnik und Schadstoff e erzeugt.

Mehr Erträge und die Rationalisie­rung der Produktionsabläufe waren bislang die zentralen Herausforderun­gen der Landwirtschaft weltweit. Doch heute wissen wir: Mit der industriali­sierten Landwirtschaft sind durch den Einsatz von Kunstdünger, Pestiziden, ineffi zientem Wasserverbrauch und Gentech­Pfl anzen viele Probleme für Mensch, Tier und Umwelt entstanden.

Um den Herausforderungen der Zukunft gewachsen zu sein, bedarf es eines radikalen und systematischen Wandels in der landwirtschaftlichen Forschung, Bildung und Praxis. Die Verfügbarkeit von Lebensmitteln und deren Produktion vor Ort sind die besten Garanten für eine lokale Ernäh­rungssicherheit, die auf kleinbäuer­lichen Strukturen aufb aut. Die Multi­funktionalität der Landwirtschaft mit ihren ökologischen und sozialen Leistungen muss weltweit anerkannt und gezielt gefördert werden.

«Ich habe vor, eine umweltfreundlichere Landwirtschaft zu fördern, die den Erwartungen

der Gesellschaft besser entspricht.»s té p h a n e l e fo l l , fra n z ö s i s c h e r l a n d w i r ts c h a f ts m i n i s te r

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holzlabel FSC schliesst Danzer Group aus

Greenpeace begrüsst den Entscheid des holzla-bels FSC, sich von der in Baar ZG ansässigen Dan-zer Group zu trennen. Er erfolgt rund 18 Monate nachdem Greenpeace bei FSC International eine Klage gegen die Danzer Group wegen Beteili-gung der damaligen tochtergesellschaft Siforco an Gewalttaten von Militär und Sicherheitskräften gegen Dorfbewohner der Waldgemeinde yalisika im norden der Demokratischen Republik Kongo eingereicht hatte. In Deutschland reichten die Menschenrechtsorganisationen ECChR und Glo-bal Witness wegen dieses Vorfalls, der sich im Mai 2011 ereignet hatte, vor rund einem Monat eine Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft tübingen gegen einen leitenden Mitarbeiter und deutschen Staatsangehörigen der Danzer Group ein.Mit seinem Entscheid beweist das holzlabel FSC, dass seine «Policy for association» (ethische Richtlinien für FSC-zertifizierte Firmen) nicht bloss auf dem Papier besteht und dass FSC nicht mit Un-ternehmen in Verbindung gebracht werden will, die in schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen verwickelt sind. Der Fall zeigt auch, dass FSC drin-gend Sicherheitsvorkehrungen für die holzzerti-fizierung in hochrisikogebieten einführen muss. hochrisikogebiete zeichnen sich durch ein hohes Mass an Korruption, fehlende Rechtssicherheit und -umsetzung sowie durch eine schwache und unterdrückte Zivilgesellschaft aus.Schweizer Unternehmen geraten bei ihren akti-vitäten im ausland immer wieder mit Menschen-rechten und Umweltstandards in Konflikt. Green-peace Schweiz unterstützt deshalb die Kampagne «Recht ohne Grenzen», die von Bundesrat und Parlament zwingende ökologische und soziale Be-stimmungen sowie Unternehmens verantwortung für global operierende Firmen mit Sitz in der Schweiz einfordert.

Monsanto zieht sich aus Europa zurück

Monsanto wird in Europa die Produktion von gen-technisch verändertem Mais einstellen — ausser in Spanien, Portugal und tschechien. Der agrokonzern bestätigte gegenüber dänischen Medien, dass er keine weiteren Investitionen in Versuche, Entwick-lung und Vermarktung von gentechnisch verän-derten Pflanzen tätigen werde. «Wir werden keine weiteren Gelder dafür einsetzen, landwirte zu über-zeugen, unsere gentechnisch veränderten Pflanzen anzubauen», sagte der für Europa verantwortliche PR-leiter von Monsanto. nur gerade auf einem Prozent der Mais-anbaufläche in Europa wird heu-te gentechnisch veränderter Mais angepflanzt. Der Rückzug erfolgt stillschweigend. Zuvor hatten be-reits BaSF, Bayer und Syngenta ihre Gentechspar-ten aus Europa abgezogen. Die ankündigung von Monsanto ist zwar sehr erfreulich und darf als Erfolg der gentechnikkritischen Bewegung verbucht wer-den. Was genau dies aber für die Zukunft bedeutet, bleibt unklar. Voraussichtlich wird die EU demnächst über die Zulassung des Gentechmais SmartStax befinden. Diese Maissorte, entwickelt von Monsanto und Dow agroSciences, produziert sechs verschie-dene Insektengifte und ist gegen zwei Unkrautver-nichtungsmittel resistent. obwohl die Dossiers der Industrie Mängel aufwiesen, wurde der Mais in einer ersten Begutachtung von der EFSa positiv bewertet. Das Institut testbiotech fordert nun in einer E-Mail-aktion an die zuständigen Behörden die neube-wertung von SmartStax und wirksame Masnahmen gegen den Import. Denn es wird vermutet, dass die-ser Mais bereits heute in Europa unkontrolliert ein-geführt wird, da verlässliche testverfahren fehlen. Quelle: SaG

Sauberer Strom ohne Kohle

Kohlekraftwerke sind die dreckigste und ineffi-zienteste Methode, Strom zu produzieren. In der Schweiz wären Kohlekraftwerke undenkbar. Das Bündner Stromunternehmen Repower plant je-doch in Saline Joniche in Kalabrien ein riesiges Kohlekraftwerk. Dieses Kraftwerk würde jedes Jahr sechsmal so viel Co2 ausstossen wie alle haushalte im Kanton Graubünden zusammen. neue Kohlekraftwerke verhindern die Ener-giewende und zementieren die fossil geprägte

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Stromversorgung in Italien auf Jahrzehnte hinaus — auch zu unserem Klimaschaden. In Kalabrien wehren sich Bevölkerung und Politik gegen das Kohlekraftwerk. auch in Graubünden stösst die Investition der Repower, die mehrheit-lich dem Kanton Graubünden gehört, auf Wider-stand. am 22. September können die Bündner und Bündnerinnen die Weichen Richtung Ener-giewende stellen. Mit einem Ja zur kantonalen Ini-tiative «Sauberer Strom ohne Kohlekraft» ist es für Unternehmen mit Beteiligung des Kantons nicht mehr erlaubt, in Kohlekraftwerke zu investieren.Die Chancen für den Werkplatz Graubünden lie-gen nicht in Investitionen in eine technisch total veralteten technologie, wie sie Kohlekraftwer-ke darstellen. Zu den wachsenden Märkten der nächsten Jahrzehnte gehören Effizienz und er-neuerbare Energien. Diese gilt es mit sinnvollen Investitionen zu nutzen. Dazu braucht es auch das wichtigste Bündner Stromunternehmen, die Repower. Genau das verlangt die Initiative «Ja zu sauberem Strom ohne Kohlekraft».

Gesundheitliche Folgen der Kohleverstromung

Eine von Greenpeace veröffentlichte Studie hat die gesundheitlichen Folgen der Kohleverstromung in Europa untersucht. Sie kommt zum Ergebnis, dass die luftverschmutzung durch die 300 gröss-ten europäischen Kohlekraftwerke das leben der Europäer allein im Jahr 2010 um insgesamt 240 000 Jahre verkürzt hat. Das entspricht umge-rechnet 22 000 vorzeitigen todesfällen.Die Studie errechnete zudem die möglichen Fol-gen der 50 neu geplanten Kohlekraftwerke in Eu-ropa: Sollten alle ans netz gehen, würden sie uns weitere 31 000 lebensjahre oder 2700 vorzeitige todesfälle kosten. Die Schweiz ist mitgefangen: Sie bleibt von den gesundheitlichen Folgen nicht verschont und investiert trotzdem in neue Koh-lekraftwerke, beispielsweise in lünen und Wil-helmshaven.«Kohlekraftwerke sind stille Killer. Ihre giftigen Emissionen verursachen bei Menschen in Europa atemwegserkrankungen, herzinfarkte, lungen-krebs, asthmaanfälle und andere Gesundheits-schäden», sagt lauri Myllyvirta, Energieexperte bei Greenpeace International. Greenpeace for-dert den ausstieg aus der Kohlekraft und verbind-liche europaweite Vorgaben für den ausbau der erneuerbaren Energien bis zum Jahr 2030.www.stromohnekohle.ch

Schüler in Ebnat-Kappel hell begeistert

von Solarenergie

Das bisher grösste Jugendsolarprojekt von Green-peace Schweiz hat Mitte Mai in Ebnat-Kappel SG stattgefunden. Rund 140 Schüler und 20 lehrer der oberstufe Wier befassten sich eine Woche lang mit dem thema «Erneuerbare Energien» und betätigten sich als Solarmacher.höhepunkt der Projektwoche im toggenburg war der Bau einer Solaranlage auf dem Dach der Firma alder & Eisenhut. «hoffentlich werde ich sie noch meinen Kindern zeigen können», sag-te ein 14-jähriger Schüler. laut dem Greenpeace Schweiz Solarexperten Georg Klingler zeigt Eb-nat-Kappel eindrücklich, «dass wir nicht auf den Bund warten müssen, um die Energiewende zu vollziehen». Während der Projektwoche haben die Schüler zum Beispiel das grosse Solarpotenzial der Gemeinde erfasst und mit einer Solarküche gekocht. «Ein solches Jugendkraftwerk stimmt mich zuversichtlich, dass die Zukunft erneuerbar ist», fügte Klingler hinzu.Die Projektwoche wurde von Jugendsolar by Greenpeace zusammen mit dem Förderverein Energietal toggenburg organisiert. Projektleite-rin Christiane Pietsch war begeistert: «Wir hatten alle hände voll zu tun, aber es ist unglaublich, wie sehr sich Schule, Gewerbe und alle Partner enga-gierten.»

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aKW: Dringender handlungsbedarf

Bundesrat und Parlament haben sich 2011 für den schrittweisen atomausstieg ausgesprochen. Weder Bundesrat noch Parlament haben jedoch bislang ver bindliche laufzeiten für die laufenden atomkraftwerke beschlossen und berufen sich auf den Grundsatz: «Ein atomkraftwerk wird weiterbetrieben, solange es sicher ist.» Dem will die Petition «40 Jahre sind genug» einen Riegel schieben, und zwar aus folgenden hauptgründen:

• In keinem anderen land weltweit bleiben Reaktoren so lange am netz wie in der Schweiz.

• nachbesserungen lohnen sich nicht und werden durch die alterung der anlagen zunichte gemacht.

• Erneuerbare Energien und Stromeffizienz können den atomstrom problemlos ersetzen

Wichtig! Sammelfrist bis 30. September! Unterschreiben Sie den Petitionsbogen heute noch und lassen Sie auch Ihre FreundInnen/Familie mit unterzeichnen. Sie könnten auch online unterschreiben auf www.greenpeace.ch/40

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Bilanz

Jahresbericht 2012 ist online

Der multimediale Jahresbericht 2012 von Greenpeace ist online und zeigt auch dieses Jahr bewe­gende Bilder und Videos von Kam­pagnen und weltweiten Aktionen. Shell unterbrach die Bohrpläne in der Arktis, Textilfirmen verab­schiedeten sich von umweltschäd­lichen Giften und in der Schweiz lancierten Greenpeace­Freiwillige eine Kampagne zum Schutz der Bienen, die mittlerweile euro­päische Wellen schlägt. Die Zahlen sind ebenfalls positiv: Das Spendenvolumen konnte auf CHF 25,4 Mio. erhöht werden und die Zahl der UnterstützerInnen ist ebenfalls leicht gestiegen.onlineversion: www.greenpeace.ch/jahresbericht

Greenpeace

Greenpeace Senegal goes solar!

Anfang Juni installierten Green­peace­Mitarbeiter und freiwillige Helfer ein Solarpanel auf dem Dach des Greenpeace­Büros in Dakar. Es soll ein Zeichen sein, dass um­weltfreundliche Energie auch in Afrika günstig produziert und für jeden Zweck verwendet werden kann.

Solarenergie

Kataster für Gemeinden

Das Solarkataster für Gemeinden ist ein Sensibilisierungspro­gramm für Jugendliche und die lokale Bevölkerung zum Thema Solar energie. Das Projekt wird vom Büro «Weichen stellen» und von Jugendsolar by Greenpeace gemeinsam angeboten.

Das Projekt basiert auf dem persönlichen Kontakt der Jugend­lichen mit den Hausbesitzern der Gemeinde. Ausgerüstet mit Mess­band und einer eigens entwickelte webbasierten Applikation gehen die Jugendlichen von Haus zu Haus und vermessen die Dachflächen. Das erfasste Potenzial wird auf einer Karte eingetragen, die zu jedem Dach Informationen liefert über Fläche, Neigung, Dachtyp und den potenziellen Energieertrag.

Parallel zur Erfassung des Potenzials montieren die Jugend­lichen unter der Leitung von Jugend solar by Greenpeace eine Solaranlage irgendwo in der Region. Am Ende einer Projektwoche organisiert die Projektleitung mit der Gemeinde und lokalen Solar­firmen eine Informationsveranstal­tung. Dort erhält die Bevölkerung Einblick in die Arbeit der Projekt­woche und lernt das Nutzungs­potenzial des eigenen Dachs ken­nen. Hausbesitzer, Investoren und Solarfachleute kommen mit­einander ins Gespräch.Kontakt und weitere Informationen:Büro Weichen stellen leiter Solarprojekt Emmental lukas Friedli [email protected] by Greenpeace leiter Jugendsolar Retze Koen [email protected]

Bienen-Film

«More than Honey» für 20 000 Kinder

über ein Drittel unserer Lebens­mittel entstehen mit Hilfe der Bienen, doch diese sterben mas­senweise. «More than Honey», der erfolgreichste Schweizer Doku­mentarfilm aller Zeiten, widmet sich den gefährdeten Tieren und gelangt nun in 900 Schweizer Schulen. Auf anschauliche Weise hilft der Film, das Wissen der Lernenden zu erweitern.

Im Rahmen einer Schulaktion hat «Filme für die Erde» mit schulbesuch.ch by Greenpeace Schweiz und der Fachhochschule Nordwestschweiz 900 Gratis­DVDs von «More than Honey» für Schweizer Schulen bereitgestellt. Ein Grosserfolg: Im Sekundentakt gingen Bestellungen aus der ganzen Schweiz ein und fast täglich organisiert schulbesuch.ch neue Termine für Bienen­Schulbesuche.

Kai Pulfer, Leiter «Filme für die Erde»: «Das Thema des Bienen­sterbens zeigt, dass der Mensch an seinem eigenen Ast sägt. «Filme für die Erde» ist begeistert, dass Schweizer Lehrkräfte der kommen­den Generation das Wissen für ihre Zukunft mitgeben und auf ihre Fragen reagieren.»Interessierte mit pädagogischem hintergrund melden sich bitte bei Schulbesuch.ch oder unter 044 447 41 29.

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Energieweg SonneDie Energieregion Emmental und Jugendsolar by Greenpeace haben den «Energieweg Sonne» ins Leben gerufen. Mit diesem neuen Angebot will man der Bevölkerung das breite Spektrum der Solar­stromnutzung vorstellen und die Diskussion ankurbeln. Neun verschiedene Anlagen gibt es auf der 40 Kilometer langen Strecke von Burgdorf über Sumiswald nach Langnau zu entdecken – am bequemsten per Elektrobike.Routenplan und Beschreibung der Solaranlagen finden sich unter www.energieweg-sonne.ch. Das Informationsfaltblatt ist unter www.energieregion-emmental.ch erhältlich. hier lassen sich auch Führungen bei der Energieregion Emmental organisieren

Eigeninitiative

Alternativstrom für Favelas in Rio de

JaneiroIn Brasilien haben Jugendliche aus der Favela Vila Isabel mit einem Team von Greenpeace­Freiwilli­gen ein Community Center und die angeschlossene Fussballhalle mit Solarpanels ausgestattet. So können die Jugendlichen auch abends spielen und trainieren. Es ist der Traum vieler Kinder in den Favelas, eines Tages den grossen Sprung zum Profifussballer zu schaffen, wofür es prominente Beispiele gibt. Ziel des Projekts ist es, Jugendliche aus der Favela bei der Installation zu beteiligen und ihnen bessere Berufsperspektiven zu eröffnen. Zudem soll die Öf­fentlichkeit für alternative Ener­giethemen sensibilisiert werden.

Filmtipp

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350 000 Tonnen hochradioaktive Atomabfälle müssen für Tausende von Jahren an einem sicheren, für Mensch und Umwelt gefahrlosen Ort end­gelagert werden.

Der Regisseur begleitet den Physiker Charles McCombie auf der Suche nach dem «gelobten» Ort. Die Reise führt nach China in die menschenleere Wüste Gobi, nach Gorleben in Deutschland, nach Grossbritannien, in die USA, nach Schweden und Australien, aber auch immer wieder in die Schweiz. Hier ringen Behörden unter anderem im Zürcher Weinland mit den Betroffenen darum, ein Endlager unter deren Wohnhäusern zu realisieren.

Edgar Hagens Film bringt fixe Weltbilder ins Wanken. Seine Reise führt uns an die Grenzen von Wissen und gesellschaftlicher Verantwortbarkeit. Nicht verpassen!ab Ende oktober läuft der Film «Die Reise zum sichersten ort der Erde» in den Schweizer Kinos

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Bienensterben

Bestand der Schweizer

Bienen völker sinkt

Seit letztem Winter betragen die Verluste von Bienenvölkern in der Schweiz laut Mitteilung von Agroscope und dem Imkerver­band VDRB 28,1 Prozent (4,7 Pro­zent Verluste bis zum Einwin­tern, 14,7 Prozent zwischen Ein­ und Auswintern und 8,7 Prozent schwache Völker im Frühling). Das ist dramatisch.

Der Bestand von Bienen und anderen Bestäubern ist global stark gefährdet. Die Verluste in Europa zeigen: In den letzten Jahren lag die Sterberate bei Honigbienenvöl­kern durchschnittlich bei 20 Pro­zent, wobei die Zahlen in den ein­zelnen Ländern zwischen 1,8 und 53 Prozent stark variieren. Diese Fakten machen den Schutz der Bienen zu einer vordringlichen Aufgabe. Das Bienensterben ist durch mehrere Fakten bedingt. Ein wirksamer erster Schritt ist ein Verbot der für Bienen besonders giftigen Substanzen in der Land­wirtschaft. Greenpeace fordert von den Behörden, dass sie alle bie­nenschädlichen Pestizide für immer aus dem Verkehr ziehen und einen Aktionsplan zur Reduktion von chemischen Pestiziden vorschla­gen. Nötig ist ein Richtungswechsel hin zu einer ökologischen, chemie­freien Landwirtschaft.

Filme für die Erde Festival 2013

1 Tag, 6 Filme, 11 StädteAm Freitag, 20. September 2013, lädt Filme für die Erde Gross und Klein zum Nachhaltigkeitskino in 11 Schweizer Städten ein! Das Festival richtet sich an Schulklassen, Unternehmen, Privatpersonen und Nachhaltigkeitspioniere.

Die Abendvorführung gilt als Höhepunkt des Festivalta­ges: Der brandneue Film «Revolution» feiert seine Schweizer Premiere! Unter anderem werden sechs ausgewählte Umwelt­dokumentarfilme gezeigt.Eintritt frei, Kollekte (ausnahme ist das lunchkino um 12 Uhr: Kosten pro Sitzplatz ChF 23.— inkl. Bio-lunch und Getränk)Weitere Infos Weitere Infos und Reservation (empfohlen) auf www.filmefürdieerde.org

Programm

Öffentliche Vorführungen12.00–13.30 Lunchkino «Taste the Waste»16.00–17.45 Nachmittags­Kino «Solartaxi» / Ausnahme Luzern: «Waste Land»18.00–19.30 After­Work­Kino «I Am» (CH-Erstaufführung)20.00–22.00 Abendveranstaltung mit «Revolution» (CH-Premiere), Bio­Apéro und Spezialgast

Schulvorführungen09.00–11.30 Schulkino für Mittelstufenschulen «Weil ich länger lebe als du»14.00–15.45 Schulkino für Oberstufenschulen «Plastic Planet» 16.00–17.45 Schulkino für Oberstufenschulen «Solartaxi» / Ausnahme Luzern: «Waste Land»

Eintritt für Schulvorführungen frei. Reservation nötig auf http://filmefuerdieerde.ch/schulkino

Die 11 austragungsorte: Basel, Bern, Chur, horgen Zh, luzern, neuenhof b. Baden aG, Schwyz, Sursee lU, Winterthur, Zug, Zürich

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Friedliche Protestaktion

Solidaritätsaktionen für türkische

Demonstranten

Weltweit haben Solidaritätsaktio­nen zur Unterstützung der türki­schen Demonstranten stattgefun­den. Auch in Zürich, Bern und Genf setzten Greenpeace­Freiwil­lige ein friedliches Zeichen für mehr Mitbestimmung und Umwelt­schutz in der Türkei.

Das Büro von Greenpeace in Istanbul befindet sich in der Nähe des Gezi­Parks und musste zur Notfallklinik umfunktioniert werden, um Demonstranten zu betreuen.

Kumi Naidoo, Vorsitzender von Greenpeace International, forderte die türkische Regierung auf, die Gewalt sofort zu been­den: «Der Protest richtet sich nicht nur gegen die Zerstörung eines Parks und die Errichtung eines Einkaufszentrums. Es handelt sich nunmehr um eine Bürgerbewe­gung, die sich für Bürgerrechte und politische Freiheiten einsetzt und das Recht einfordert, friedlich zu demonstrieren, damit das Gemeinwohl den wirtschaftlichen Interessen nicht geopfert wird.»

Auf dem Spiel stehen insbe­son dere die Meinungs­ und die Gewaltfreiheit sowie der Umwelt­schutz. Gezi ist nur der letzte Vorfall, bei dem die türkische Re­gierung Anliegen der Bevölkerung komplett ignorierte. Kürzlich wurden beispielsweise verschie­dene Kohlekraftwerke geplant und der lokale Widerstand unter­drückt, ohne dass die Medien dar­über berichteten. Auch der Bau eines neuen Atomkraftwerks wur­de von der Regierung in die Wege geleitet, ohne dies transparent zu machen und die Bevölkerung zu involvieren. Deshalb fordert Greenpeace ein stärkeres Mitbe­stimmungsrecht der türkischen Bevölkerung – und nicht dessen Einschränkung, wie es zurzeit eine Gesetzesrevision im Umweltbe­reich vorsieht.

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Der Konsumenten­schutz braucht Ihre

UnterstützungViele kennen das: Kaum ist die Garantie eines Geräts abgelaufen, gibt es den Geist auf. Hinzu kommt, dass der Hersteller sich weigert, es zu reparieren, oder man findet keine passenden oder be­zahlbaren Ersatzteile. Der Geräte­abfall schadet durch die Ent­sorgung der Umwelt und man ist gezwungen, das kaputte Produkt durch ein neues zu ersetzen.

Mit der Meldung eines Produkt­defekts helfen Sie mit, die Umwelt und auch Ihr Portemonnaie vor den profitsteigernden Massnah­men der Produzenten zu schützen. Um die Aktion der Stiftung für Konsumentenschutz SKS zu unter­stützen, melden Sie Ihre defekten Produkte unter www.konsumen­tenschutz.ch. Die Umfrage dauert zehn Minuten.

Buchtipp

Kämpferische «Gärtner Gottes»

Auf den Dächern der Stadt liegt das Paradies. Seine Bewohner nähren sich von Gemüse, Früchten und Honig und kultivieren ihren Garten Eden, den sie dem «Waste Land» einer Stadt jenseits der drohenden Klimakatastrophe abgetrotzt haben. Die junge, kämp­ferische Toby findet Zuflucht in der Gemeinschaft der «Gärtner Gottes», nachdem sie durch die Maschen der Gesellschaft gefallen ist, die von einer militärisch orga­nisierten Wirtschaftsorganisation regiert wird. Hier trifft sie auf Ren, die spätere Trapeztänzerin, auf die anarchische Amanda und Jimmy, der zu ihnen allen in einer speziellen Beziehung steht. Gros senteils aus Tobys Perspektive erzählt Margaret Atwood von einer Welt, in der die globalisierte Wirtschaft die Exekutive über­nommen hat und die Forschung lediglich ökonomischer Kontrolle unterworfen ist.Margaret atwood, «Das Jahr der Flut», Berlin Verlag, ChF 35.90ISBn 9783827008848

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69Magazin GreenpeaceNr. 3 — 2013

«Vor über zwölf Jahren stand ich an Bord des Greenpeace­Aktionsschiffes Beluga und sah den Papierfrachter Zamosvorechye die Elbe hoch­kommen. Das Schiff brachte Papier aus Archan­gelsk, einer grossen Hafenstadt am Weis sen Meer in Russland. Ich war an Bord, um mit zwei Dutzend Greenpeace­Aktivisten gegen die Urwaldzerstörung in Russland zu protestieren. Immerhin trugen wir in Deutschland einen grossen Teil der Verantwortung, denn wir kauf­ten schliesslich das Papier, das in Hamburg gelöscht werden sollte.

Ich erinnere mich noch gut an jene Nacht, denn es war kalt. Eisiger Wind zog über die Elbe und ich fragte mich, wie wir bei dem Eisregen jemals an Bord des Schiffes kommen wollten, um unser Protestbanner anzubringen. Als der Frachter mitten in der Nacht an uns vorbeifuhr, sprangen wir in die Schlauchboote, ran an die Bordwand, und schon erklommen die ersten Aktivisten die Schiffskräne und begannen das Banner zu befestigen. Trotz bitter kaltem Eis­regen war es nach einigen Minuten angebracht. Zwischen zwei Schiffsmasten war in grossen Lettern zu lesen: ‹Kein Urwald für Papier›. Wir forderten den Schutz des Dvinsky­ und des Onega­Urwalds. Letzterer wurde nun – über zehn Jahre später – von Russlands Regierungschef Medwedew als Onega­Nationalpark unter Schutz gestellt.

Vor dem Protest war ich in Archangelsk gewesen, hatte mir einige Urwälder angesehen und mit meinen russischen Kollegen überlegt, wie wir auf ihre Zerstörung hinweisen könnten. Ein Protest im Hamburger Hafen war eine der Möglichkeiten. Eine erfolgreiche, denn nach dem Protest konnte Greenpeace Russland einen Einschlagstopp mit der ansässigen Holzfirma vereinbaren. Diese versprach, die Grenzen des von uns vorgeschlagenen Urwald­Nationalparks zu achten und das Holz woanders zu fällen. Und sie hielt sich daran – bis jetzt!

Der Onega­Urwald liegt auf einer 70 mal 70 Kilometer grossen Halbinsel nahe der Stadt Archangelsk, knapp 1000 Kilometer nördlich von Moskau. Mit der Unterschrift des russischen Regierungschefs ist der Onega­Nationalpark (Onezhskoje Pomorje) 201 000 Hektar gross und umfasst 180 000 Hektar borealen nordischen und völlig intakten Urwald sowie Teile des Weissen Meeres. Der Nationalpark ist damit eines der grösseren Waldschutzgebiete im euro­päischen Teil Russlands.

Ich bin sehr froh, mir mit anderen Aktivisten vor über zehn Jahren die Nacht um die Ohren geschlagen zu haben, denn der Schutz dieses Wal­des ist ein toller Erfolg. Er gibt Kraft, auch die nächsten Wochen und Monate für den Waldschutz zu kämpfen. Auch wenn es mal kalt und reg­nerisch ist wie während der letzten Wochen in Hessen und Bayern, wo ich mich mit meinen Kollegen für den Schutz der Buchenwälder ein­gesetzt habe.» blogbericht von greenpeace-waldexperte, Oliver salgeblog.greenpeace.de

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70Magazin GreenpeaceNr. 3 — 2013

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Buchtipp

Kritische Prognose für die kommenden

40 Weltjahre1972 erschütterte ein Buch den Fortschrittsglauben der Welt: Der Bericht «Die Grenzen des Wachs­tums» des Club of Rome. «Die absoluten Wachstumsgrenzen der Erde werden im Laufe der nächsten hundert Jahre erreicht, wenn es der Menschheit nicht gelingt, ihren ökologischen Fussabdruck zu reduzieren», lautete seine zentrale These. Sie glich einer Revolution und machte das Buch zu einem Weltbestseller mit über 30 Millio­nen verkauften Exemplaren. Vierzig Jahre später holt der Club of Rome zu einem neuen grossen Wurf aus.

«2052» lautet der Name des aktuellen Reports. Er skizziert eine Zukunft, die anders sein wird, als wir uns dies vorstellen können. Welche Nationen werden ihren Wohlstand halten oder mehren, welche unter der Entwicklung leiden? Wie wird sich der übergang zur wirtschaftlichen Vorherr­schaft Chinas gestalten? Ist die Demokratie nach westlichem Vor­bild geeignet, die grossen Mensch­heitsprobleme zu lösen?

Jorgen Randers, einer der Co­Autoren des Meadows­Reports von 1972, hat ein Szenario für die nächsten 40 Jahre erstellt. Er stützt sich auf globale Prognosen führender Wissenschaftler, Ökonomen und Zukunftsforscher.Trotz der meist düsteren Pro­gnosen glaubt Randers nicht an den globalen Kollaps, denn «der An­passungsprozess der Menschheit an die Grenzen dieses Planeten hat begonnen». Aber der Report gibt auch keine Entwarnung, denn die Zukunft bringt gewaltige Her­ausforderungen und wird geprägt

Elektronik

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Du bist mit deinem Smartphone im Supermarkt. Die GPS-Ortung deiner Umweltorganisation erkennt, dass du – sagen wir – bei Aldi einkaufst. Du stehst vor dem Fischangebot. Das GPS-Feinsystem deiner Or­ganisation hat das bereits festgestellt, darum er­scheint auf dem Schirm deines iPhones der aktuelle Fisch­Ratgeber. Er sagt dir, welchen Fisch du unter welchen Umständen korrekterweise verzehren darfst. Biofisch gibt es in deinem Aldi nicht. Du be­gutachtest das Angebot und entscheidest, welche drei Fische du auf mögliche Korrektheit prüfen willst. Du scannst den Barcode auf der Packung des ersten, eines Dorschs. Auf deinem Screen erscheint in Se­kundenschnelle die… fortsetzung der Kolumne unter: www.greenpeace.ch/kuno Kuno Roth bringt seine Gedanken zur Gesellschaft in kurzen, pointierten Kolumnen oder Glossen zum ausdruck. Die Ko-lumne des dienstältesten Greenpeace-Schweiz-Mitarbeiters erscheint alle paar Wochen und nimmt losen Bezug zu den themen, die unsere organisation beschäftigen.

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71Magazin GreenpeaceNr. 3 — 2013

Landschaften oder Erdpyramiden. Die Kraft der Natur hat sie in grosser Vielfalt geformt. Manche von ihnen sind «Naturdenkmäler der Schweiz». 39 davon sind im Buch mit diesem Titel vereint. Die Viamala­Schlucht, der Aletsch­gletscher oder die Trümmelbach­fälle etwa sind weltberühmt, das Ofenloch im Toggenburg, die Tüfels­Chilen bei Winterthur oder die Erdpyramiden im Unteren­gadiner Val Sinestra kennen nur Insider. Der Naturfotograf Roland Gerth rückt die Naturdenkmäler in oft spektakuläres Licht. Die Autoren Ronald Decker, Martin Arnold und Urs Fitze beschreiben sie in Reportagen, die auch über das nicht konfliktfreie Verhältnis des Menschen zur Natur berich­ten. Wandertipps mit einer Karte sowie Hinweise zu Anreise, Gast­ronomie und Hotellerie runden die Beiträge ab.Martin arnold, Ronald Decker, Urs Fitze, Roland Gerth (Bilder), «naturdenkmäler der Schweiz», bestellen unter www.seegrund.ch, ChF 45.— (inkl. Versand) ISBn: 978-3-03800-669-5

sein von sozialen Unruhen und Umbrüchen. Sie zu meistern ist die Jahrhundertaufgabe. «2052» liefert Grundlagen. Jorgen Randers, «2052», oekom Verlag München, ChF 37.90ISBn: 978-3-86581-398-5

Buchtipp

Nach uns die Sintflut

Wir können uns unseren Lebens­stil nur auf Kosten anderer leisten. Das ist bekannt. Unbekannt ist hingegen, inwieweit sich schon die Produktion von Alltagsgegen­ständen wie Handys oder Kugel­schreibern unmittelbar auf Kinderarbeit, umkippende Gewäs­ser und Versteppung ganzer Land striche auswirkt. Die Autoren zeigen die fatalen ökologischen, politischen, sozialen und wirtschaft­lichen Folgen unseres Lebensstils.

Ob Zucker, Wasser oder Kupfer – wir nutzen und benutzen diese Stoffe täglich, aber über ihre physi­sche Realität, ihre Herkunft, ihre Geschichte, ihre Zukunft wissen wir fast nichts. Mit ihnen untrenn­

bar verbunden sind Fragen nach Gerechtigkeit und Verantwortung, Energieverbrauch und Wirtschaft­lichkeit. Armin Reller und Heike Holdinghausen zeigen anhand von Stoffgeschichten und ­kreisläufen, woher Ressourcen wie etwa Col­tan oder Baumwolle kommen und wofür wir sie verwenden bezie­hungsweise verschwenden. Und sie sagen: Wenn wir nicht bald anfangen, verantwortungsvoll mit den Ressourcen umzugehen, kon­sumieren wir unsere Welt zu Tode.

armin Reller ist Professor für Ressourcenstrategie an der Univer-sität augsburg. Zuvor forschte er im Bereich der anorganischen und physikalischen Chemie in Zürich, Cambridge, Bangalore und hanno-ver. Er ist herausgeber der Reihe Stoffgeschichten.

heike holdinghausen ist Redakteurin der taz. Im Ressort Wirtschaft und Umwelt schreibt sie vor allem über Chemikalien-, abfall- und Rohstoffpolitik. Zuvor betreute sie in der Meinungsredak-tion die Kommentarseiten der taz

armin Reller, heike holding-hausen, «Wir konsumieren uns zu tode», Westend Verlag, [email protected], ChF 18.90ISBn: 978-3-938060-38-4

Buchtipp

Faszinierende Schweizer

Landschaften Die landschaftliche Vielfalt der Schweiz ist einzigartig auf der Welt. Selbst das Meer findet hier einen würdigen Ersatz durch die vielen Seen, deren Farbenspiel es auch mit der Karibik aufnimmt. Als überbleibsel der letzten Eiszeit haben sie die Landschaft ebenso geprägt wie Schluchten, Wasser­fälle, Höhlen, Gletscher, glaziale

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Zu gewinnen: 6 Greenpeace Taschenmesser EvoWoodDas echte Wenger­Messer steht für Nachhaltigkeit und wurde mit ergonomischem Griff aus Nussbaumholz produziert, das als Abfallprodukt bei der Möbelproduktion anfällt. Senden Sie das Lösungswort bis am 30. September 2013 per E-Mail an [email protected] oder per Post an Greenpeace Schweiz, Redaktion Magazin, Stichwort Ökorätsel, Postfach, 8031 Zürich. Das Datum des Poststempels respektive des E-Mails ist massgebend. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. über die Verlosung wird keine Korrespondenz geführt.

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AZB8031 Zürich

Petition zur aKW-laufzeitbeschränkung

WIChtIG!

Sammelfrist bis 30. September

Unterschreiben Sie die Petition auf Seite 64 heut noch!

Infos und online unterschreiben unter

www.greenpeace.ch/40