greenpeace switzerland magazin 3/2013 de
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Schwerpunkt Frankreich; IN DER ATOMFALLE - Die europäische Energiewende hängt ausgerechnet vom AKW-besessenen Frankreich ab. KLEINE FISCHEREI – GROSSE ZUKUNFT - Traditionelle statt industrielle Fangmethoden könnten das Überleben zahlreicher Arten sichern. VERDRUSS STATT GENUSS - Bakterien und Umwelteinflüsse machen den Austern den Garaus. VON DER BÜHNEN- ZUR BIOKULTUR - Eine Tänzerin steigt als Bäuerin ein.TRANSCRIPT
1Magazin Greenpeacenr. 3 — 2013
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— frankreich: atomlobby bekommt erste risse S. 26
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Editorial — Es ist uns nicht leichtgefallen, ein Land auf die Titelseite dieses Magazins zu hieven. Länder … Staaten … Nationen. Irgendwie widersprechen sie der Vorstellung von einer Erde, die rundum in Gleichgewicht und Frieden existiert. Während die Umweltprobleme an Landesgrenzen nicht haltmachen, benehmen sich die Staaten, als wäre es gerade so. Doch in ähnlicher Weise, wie es in der Natur Reviere gibt, sind politische Machtbereiche eine Realität. Vielleicht sind sie sogar eine Chance – dort, wo sich positiver Wandel in einem begrenzten Territorium einfacher bewerkstelligen lässt. Frankreich hätte jetzt eine solche Chance: Es könnte die europäische Energiewende ermöglichen. Dieses grosse Land hat bewiesen, dass es grosse Projekte stemmen kann: gesellschaftlich und auch technologisch. Es hat vor zweihundert Jahren die Welt politisch umgekrempelt. In den letzten Jahrzehnten hat Frankreich der Welt technologische Impulse gegeben – leider indem es seine Innovationskraft hauptsächlich an die Atomenergie verschwendet hat. Nun könnte es sein immenses Potenzial für eine grüne Zukunft nutzen. Unser Dossier ab Seite 22 berichtet davon. Grenzen werden aber ganz und gar ruchlos genutzt von Konzernen, deren Habgier keine Grenzen kennt, genauso wenig wie ihre Verschlagenheit, sich hinter Grenzen zu verstecken. Der Public Eye Award, wahrscheinlich der weltweit wichtigste Schmähpreis, prangert solche Unternehmen an. Ab Seite 14 zeigen wir, wie es mit dieser Initiative von Greenpeace Schweiz und der Erklärung von Bern weitergeht. Keine Grenze zwischen menschlichem Revier und Natur ist klarer als die Meeresküste. Aber auch da verschwimmt diese Linie. Der wunderschöne Fotoessay auf Seite 43 zeigt ein Phänomen mit Symbolkraft: das Austernsterben am Atlantik. Es zeugt vom bedenklichen Zustand des Ozeans, und dieser ist bekanntlich grenzenlos. Wenn immer wir an der Grösse der Umweltprobleme verzweifeln wollen, sollten wir uns ein Zitat des Seefahrers und Archäologen Thor Heyerdahl in Erinnerung rufen: «Grenzen? Ich habe nie welche gesehen. Aber ich habe gehört, sie existieren im Geist gewisser Leute.»
Die Redaktion
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Magazin GreenpeaceNr. 3 — 2013
Schwerpunkt Frankreich ab S. 22
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I N d e r aT o m fa l l eDie europäische Energiewende
hängt ausgerechnet vom AKW-besessenen Frankreich ab
S. 26
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kleine fischerei – grosse ZukunftTraditionelle statt industrielle fangmethoden könnten
das Überleben zahlreicher Arten sichern.S. 36
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verdruss statt genuss bakterien und umwelteinflüsse machen machen den
Austern den garaus…S. 43
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von der Bühnen- zur BiokulturEine Tänzerin steigt als bäuerin ein.
S. 52
Portrait ROBINSON AUF DER ÖKO-PLASTIKINSEL 12
Public Eye DER ANTIPR EIS FüR UMWELTSüNDER 14
Gentech-lobby NEUER DRUCK VOR ABLAUF DES MOR ATORIUMS 18
In aktion 2leserbriefe / Impressum 10Chefsache 11Intressante Fakten 50Kampagnen-news 62In Kürze 65Öko-Rätsel 72
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Südkorea, 28. april 2013 Deutliche Zeichen aufgebrachte Einwohner von Samcheok, knapp 200 Kilometer vor Seoul gelegen, demonstrieren zusammen mit Greenpeace in einem Meer von Slogans gegen ein geplantes atomkraftwerk in der nähe ihrer Stadt.
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nordpol, 15. april 2013 Kapselpost Ein Behältnis aus Glas und titan wird in der arktis im Eis versenkt. Es trägt die «Flagge der Zukunft» und birgt die Unterschriften von 2.7 Millionen Menschen, die sich gegen industriellen Fischfang und Ölförderung am nordpol wehren.
Deutschland, 12. april 2013 aufklärungsflug Ein Greenpeace-aktivist mit Gleitschirm fordert während der agrarministerkonferenz in Berchtesgaden, man solle die «Geheimakte Wald öffnen» und Fakten zur holzwirtschaft transparent machen.
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australien, 24. april 2013 Schwarzfahrer Greenpeace-aktivisten entern in der nähe des Great Barrier Reef den Kohlefrachter MV Meister und setzen ein Zeichen gegen den abbau wie auch den Export der fossilen Energie.
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ImpreSSUm – greeNpeaCe memBer 3/2013Herausgeberin/Redaktionsadresse Greenpeace Schweiz, Heinrichstrasse 147, Postfach, 8031 Zürich,Telefon 044 447 41 41, Fax 044 447 41 99, [email protected], www.greenpeace.chAdressänderungen unter: [email protected]
Redaktionsteam: Tanja Keller (Leitung), Matthias Wyssmann, Hina Struever, Roland FalkAutoren: Fabien Fivaz, Luigi D’Andrea, Bruno Heinzer, Thomas Niederberger, Samuel Schlaefli, Rita Torcasso, Matthias WyssmannFotografen: James Alcock, Christian Åslund, JeanPaul Barbier, Sebastien Bozon, Peter Caton,
Jean Chung, Fojtu, Pierre Gleizes, Heike Grasser, Edgar Hagen, Ibra Ibrahimoviç, JeanPhilippe Ksiazek, Lagazeta, Chris Maluszynski, Jacky Naegelen, Gavin Newman, Ruben Neugebauer, Micha Patault, Philip Reynolds, Thomas Rickmann, Samuel Schlaefli, Thomas Schuppisser, Thomas Stutz, Ross White Gestaltung: Hubertus DesignDruck: Stämpfli Publikationen AG, BernPapier Umschlag und Inhalt: 100% Recycling Druckauflage: d 110 0 00, f 21 500Erscheinungsweise: viermal jährlichIllustration: Sibylle Heusser und Marcus Moser, Atelier Oculus, Zürich
Das Magazin Greenpeace geht an alle Mitglieder (Jahresbeitrag ab Fr. 72.—). Es kann Meinungen ent halten, die nicht mit offiziellen Greenpeace Positionen übereinstimmen.
Der Lesbarkeit zuliebe sehen wir davon ab, konsequent die männliche und die weibliche Form zu verwenden. Die männliche Form bezieht daher die weibliche Form mit ein – und umgekehrt.
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leserbriefe
«Sind Sie für eine artgerechte Bienenhaltung?» Niemand würde wohl auf eine solche Frage mit Nein antworten. Aber sind wir uns bewusst, was artgerechte Bienenhaltung wirklich bedeutet? Theoretisch wollen wir nur das Wohl dieses wunderbaren und nützlichen Tieres. Aber warum klaffen Theorie und Praxis so weit auseinander? Sobald wir etwas ändern müssen, das an liebgewordenen Gewohnheiten rüttelt und weh tut, sind wir nicht mehr bereit, die logischen Konsequenzen zu ziehen. Ein paar Beispiele:• Ein natürliches Bienenvolk vermehrt sich nur durch Schwärmen. Es lässt sich keine gezüchtete Königin zusetzen.• Jedes Volk ist bereit, anderen Lebewesen etwas von seinem Honig abzugeben – aber nicht die Menge, die wir ihm abverlangen. Es kann zum Beispiel aus Gesundheitsgründen nicht auf Frühlingshonig verzichten.• Die Königin empfindet einen brustgrossen Rückenschild lebenslang als störenden Ballast und weiss nicht, warum der Imker ihr einen Teil der Flügel abschneidet.• Bienen sind sehr gestresst, wenn mit Rauch gearbeitet wird. Wenn der Imker ruhig arbeitet, erfüllt eine Sprühflasche mit Wasser den gleichen Zweck.• Das Bienenvolk will in Ruhe gelassen werden. Jeder Eingriff
bringt das Klima im Stock für Tage durcheinander.• Ein Volk kann sich schlecht mit Pesti und Insektiziden arrangieren (http://nuoviso.tv/uebersichtallevideos/item/summmirdasliedvomtod2).• Bienenvölkern würde es gut bekommen, wenn sie jedes Jahr in ihrer Umgebung Trachtpflanzen in ausreichender Menge wiederfinden würden.
Aus all diesen Gründen erfordert eine art gerechte Bienenhaltung ein tiefgreifendes Umdenken.
J. studerus, imker, gonten Ai
Ich gratuliere zum gelungenen Heft Nr. 2/2013. Zum Artikel über Leuchtdioden (LED) möchte ich noch den sogenannten ReboundEffekt erwähnen: Effizienzsteigerungen werden oft durch gesteigerten Konsum zunichte gemacht. Schön zu sehen ist dies auf der Seite 32 beim Bild des SiemensGebäudes. Gerade weil LED effizient sind, werden neuerdings Fassaden beleuchtet, die sonst nicht beleuchtet würden.
Auch bei der neuerdings möglichen Strassenbeleuchtung durch LED ist zu befürchten, dass die Gemeinden nun einfach mehr Stras senlampen aufstellen als früher. Im Fall der gelblichen Natriumdampflampen ist dies doppelt ungünstig, da die heutigen LED im Vergleich nicht effizienter sind. Auch im Labor, wo ich arbeite, wurden wenige Leuchtstoffröhren
durch viel LEDs ersetzt. Wir brauchen jetzt mehr Strom als vorher, einerseits weil die billigen Netzteile auch Strom beziehen, wenn die Lampen ausgeschaltet sind, und andererseits weil die Mitarbeiter die Lampen viel länger eingeschaltet lassen als früher – ein Effekt, der auch bei Computerbildschirmen auftritt.
Die Beispiele zeigen, dass die Effizienzsteigerung bei LED überschätzt wird und der Effizienzgewinn oft durch einen Mehrverbrauch überkompensiert wird.
T. schmidt, steffisburg bE
Was für ein starkes, magisches Bild! Die 27jährige australische Künstlerin Allana Beltran thront als Schutzengel in den mächtigen Baum kronen und mahnt zum Stopp der Abholzung tasmanischer Wälder. Künstler mit inhaltlich so bedeutsamen Bildern verdienen unseren Beifall. Ich freue mich schon auf die nächste Ausgabe des Greenpeace Magazins.
Anton c. Meier, Emma Kunz,würenlos Ag
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11Magazin GreenpeaceNr. 3 — 2013
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ZUkUNfTAm Nordpol gibt es eine Fahne: ein Dreieck mit ineinander verwobenen Kreisen in anthroposophischen Farben. Vier junge GreenpeaceAktivistInnen haben sie am 15. April gehisst und unter ihr eine Kapsel im Eis versenkt, die mit den Unterschriften von 2,7 Millionen ArktisSchützerInnen gefüllt ist. Ein Warnzeichen an Staaten und Konzerne, die aus dem dramatischen Schmelzen des Polareises Kapital schlagen wollen. Und ein Symbol für die geeinte Kraft der Menschen, die sich weltweit dafür einsetzen, dies zu verhindern. Einen Monat später verabschiedeten die indigenen Völker der Polarregion gemeinsam mit Greenpeace eine Erklärung zum Schutz der Arktis. Ein erster kleiner Erfolg!
Es vergeht kaum eine Woche, ohne dass ein GreenpeaceBüro irgendwo auf der Welt über eine Erfolgsgeschichte berichtet.
Mitte Juni 2013 konnte Greenpeace Afrika die senegalesische Regierung dazu bewegen, ihren Bewilligungsstopp für ausländische Fischereiflotten zu verlängern.
Anfang Juni 2013 besuchte Susilo Bambang Yudhoyono, der Präsident Indonesiens, die Rainbow Warrior und versprach dem GreenpeaceChef Kumi Naidoo seine Unterstützung beim Schutz des Regenwaldes.
Im Frühjahr 2013 erreichte die von einer Schweizer Freiwilligengruppe initiierte Kampagne zum Schutz der Bienen, dass die EU – und kurz danach die Schweizer Regierung – die Bewilligung für drei besonders schädliche Pestizide einschränkte.
2011 rang Greenpeace China der chinesischen Regierung ein Verbot von gen technisch verändertem Reis ab.
In Indien arbeitet Greenpeace eng mit der Regierung von Bihar zusammen, um den armen Staat zu einer Energieregion mit dezentraler, erneuerbarer Energiepro duktion zu entwickeln.
Viele lokale Erfolge führen zu Ver besserungen für Umwelt, Tier und Mensch. Doch weder das Ausmass noch die Geschwindigkeit der Umweltzerstörung konnten bisher entscheidend gebremst werden. Genau das will Greenpeace aber erreichen! Mit mehr gemeinsamen Kam pagnen, an denen sich engagierte Menschen weltweit beteiligen. Mit den vereinten Kräften und Ressourcen von 28 GreenpeaceBüros in 5 Kontinenten. Mit der Intelligenz und Kreativität von Meeresbiologinnen, Kletterern, Webprofis, Klimaaktivistinnen, Schreibenden, Schiffskapitäninnen, Spendern, Finanzspezialistinnen und vielen mehr. Und hoffentlich weiterhin mit Ihrer Unterstützung!
Damit Konzerne und Regierungen zum Umdenken gezwungen werden. Und damit die bunte Fahne am Nordpol auch noch für die nächsten Generationen als starkes Symbol über dem ewigen Eis weht.
Verena Mühlberger und Markus Allemann, CoGeschäftsleitung
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12Magazin GreenpeaceNr. 3 — 2013
Richart Sowa, 59, Isla Mujeres, Mexiko
Der Inselbauer
seine Vision einer schwimmenden insel wurde für den briten richart sowa zum lebenswerk. seine dritte eigenhändig aufgebaute insel heisst Joysxee island.
sie schwimmt auf 150 000 leeren Plastikflaschen.
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Paradies auf Plastikbasis: althippie und Visionär Richart Sowa mit seiner Spiral Island vor Mexiko.
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Von Rita torcasso — Richart Sowa hat sich den Traum der eigenen Insel erfüllt: Sein Paradies liegt eine Schwimmbeckenlänge vor der mexikanischen Karibikküste. In der Mitte wird die schwimmende Insel von einem Hauptanker gehalten, drei Seilanker halten sie in Balance. Mit Katzen und Hund lebt der Aussteiger in einem dreigeschossigen Wohnhaus, das er aus Sperrmüll errichtet hat. Joysxee Island ist heute eine Touristenattraktion und wird von Tripadvisor unter den 16 wichtigsten Sehenswürdigkeiten der Isla Mujeres aufgelistet.
1977 zeichnete Richart Sowa erstmals eine schwimmende Insel. Damals arbeitete der Vater von drei Kindern als Schreiner in einer Fabrik für Einbauküchen. Mit 30 wollte er «neue Wege gehen und mehr auf mich hören, statt wo anders und bei andern Antworten suchen». Er zog als Musiker und Strassenmaler durch Europa und die USA bis nach Mexiko. In dieser Zeit habe er das Potenzial entdeckt, das im Müll steckt.
In Mexiko erinnern ihn die schwimmenden Gärten der Maysa an seine Inselvision. Am Hippiestrand Zipolite beginnt er, Leergut in ausgedienten Gemüsenetzen unter eine Kon struktion aus Pappmaché zu montieren. Die Polizei stoppt den Inselbau. «Spiral Island» nennt er auch seine zweite Konstruktion vor Puerto Aventuras. «Die Spirale ist das Symbol der Entwicklung, denn nur aus Abweichung entsteht Neues», erklärt Sowa den Namen. Mit der Erlaubnis der Behörden kann er in einem künstlich angelegten Kanal ankern. Während dreier Jahre sammelt er Flaschen und Sperrgut für die Insel, die spiralförmig wächst.
Mit Spiral Island erregt Richart Sowa weit über Mexiko hinaus Aufsehen. Für ihn ist die Insel eine Botschaft, dass man mit positivem Denken Energie erzeugen kann, welche die Welt verändert. «Schwimmende Inseln als Lösung für Länder, die von überflutungen bedroht sind, oder als Mittel gegen Nahrungsknappheit», umschreibt er seine Zukunftsvision. Während er sein Ökoparadies aufbaut, wächst an der Küste ein Luxusresort für Touristen heran. 2005 zerstört der Hurrikan Emily die schwimmende Insel.
Richart Sowa arbeitet wieder als Zimmermann und Musiker – und plant. Von Sponsoren erhält er ein Startkapital von 40 000 Dollar und kann ein privates Stück Strand auf der Isla Mujeres für 1000 Pesos Monatsmiete nutzen.
Er nennt seine dritte Insel «Joysxee Island» – Schlüssel zur Freude. Mit einer Fläche von wenigen Quadratmetern beginnt er – heute ist die als «ökologi sches Boot» registrierte Insel zirka 400 Quadrat meter gross. Mangroven halten mit ihren Wurzeln die Leergutsäcke zusammen. Sowas Ziel ist, Besuchern zu zeigen, dass autarkes Leben möglich ist – mit Wasserauffangbecken, Sonnenofen, Abfallkompostierung, wellen betriebenem Kühlschrank. Noch ist der Tüftler auf eine Wasserleitung zum Festland angewiesen und Strom liefert eine Photovoltaikanlage, die mit 800 Kilogramm zu schwer ist für die Insel. Ein «Flaschenfloss» an Seilen verbindet den Inselbauer mit dem Festland, wo er als Musiker Geld verdient – und weiter Flaschen sammelt, um sein Paradies auszubauen.
Was der Althippie als seine Vision aufgebaut hat, plant jetzt ein holländisches Architektenteam im grossen Stil: Mit dem Plastikabfall aus dem gigantischen Müllstrudel zwischen Hawaii und der US-Küste will es eine schwimmende Insel bauen, die 500 000 Personen Wohnraum bietet.
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niemand will ihn bekommen. trotzdem hat es der Public Eye award ins zehnte Jahr geschafft und sich zum unbeliebtesten Schmäh-preis der Geschäftswelt gemausert. Wo steht das «Public Eye»? Und was kann der Preis bewirken?
Von thomas niederberger
Seit dem Jahr 2000 setzt das «Public Eye» einen kritischen Gegenpunkt zum Jahrestreffen des World Economic Forum (WEF) in Davos. Seit 2005 werden die Public Eye Awards vergeben, Schmähpreise für das «übelste Unternehmen des Jahres». Der Anlass hat sich im Kontext ständig weiterentwickelt. Geboren wurde er auf dem Höhepunkt der globalisierungskritischen Bewegung, als die Proteste in Davos in einem Zug
mit Seattle, Prag und Genua genannt wurden. Das «Public Eye» war in den ersten Jahren eine Gegenkonferenz, wo Aktivisten aus der ganzen Welt zusammenkamen, um von ihren Kämpfen gegen die globalisierte Herrschaft der am WEF versammelten Konzerne zu berichten. Die Ansicht, dass es «so nicht weitergehen kann», war omnipräsent. Der Film «The Corporation» brachte es auf den Punkt. Betrachtet man die Konzerne als Personen, erfüllen sie alle Kriterien eines Psychopathen. Unverantwortlich, manipulativ, grössenwahnsinnig und ohne schlechtes Gewissen gehen sie über Leichen für ihren einzigen Zweck: den maximalen Profit für die Aktionäre.
Seit dem ersten «Public Eye» hat sich viel verändert. Die Konzerne haben dazugelernt. Um ein Bekenntnis zu Umweltschutz und sozialem Engagement kommt niemand mehr herum. Das WEF selbst zeigte sich reuig und bemüht um den Dialog mit den KritikerInnen. «Das WEF war für uns ein Symbol für die Hinterzimmerpolitik der Konzerne», meint Andreas Cassee, der bei den Protesten dabei war und jetzt in der Jury des Public Eye Award sitzt. «Die reale Bedeu
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tung der Veranstaltung wurde aber überschätzt. Die wichtigen Entscheide werden anderswo gefällt – es ist ein eher langweiliger Anlass, um Visitenkarten auszutauschen.»
Die Proteste sind abgeklungen, geblieben sind gelangweilte Journalisten aus der ganzen Welt, die nach kontroversen Inhalten suchen und gerne über die PublicEyePreisverleihung berichten. Der Preis ist damit zu einem international beachteten Instrument geworden, das es Organisationen ermöglicht, üble Machenschaften von Konzernen anzuprangern. «Wir setzen auf fundierte Nominierungen und eine solide und unabhängige Jury», erklärt der GreenpeaceVerantwortliche Michael Baumgartner. Neben VertreterInnen der beiden Trägerorganisationen Greenpeace und Erklärung von Bern sitzen deshalb seit diesem Jahr auch vier renommierte Ethiker verschiedener Universitäten in der Jury. Zu jeder Nominierung erstellt das Institut für Wirtschaftsethik der Universität St. Gallen ein Gutachten. Geplant ist, die Jury mit VertreterInnen des «globalen Südens» weiter zu stärken.
Mit moralischem Druck gegen Psychopathen«Naming and Shaming» heisst das Prinzip
hinter dem Public Eye Award. Die Probleme zu benennen und bekannt zu machen, sei ein erster Schritt, um moralischen Druck auf die Konzerne zu erzeugen, erklärt Wirtschaftsethiker und Jurymitglied Ulrich Thielemann. Dabei richte man sich vor allem an die kritische Öffentlichkeit: an KonsumentInnen, Medienschaffende und nicht zuletzt an die Mitarbeitenden: «Das ist nicht zu unterschätzen: Die allermeisten Leute wollen zu ihrem Arbeitgeber stehen können und das Gefühl haben, etwas Sinnvolles zu tun.» Letztlich müsse die «Moralisierung der Märkte» aber regulatorisch durchgesetzt werden. «Das ist eine Aufgabe der Politik. In diesem Sinn spricht der Preis die StaatsbürgerInnen an – sie müssen Druck machen, damit die Wirtschaft eine gute Rahmenordnung bekommt. Verantwortungsvoll geführte Unternehmen sollen im Wettbewerb nicht das Nachsehen haben.»
Die Nichtregierungsorganisationen funktionieren dabei als Wachhunde der Zivilgesellschaft. Sie filtern aus der Fülle der Probleme besonders gravierende Fälle heraus und klagen exemplarisch an. Besteht so nicht die Gefahr,
dass man das Gesamtbild aus den Augen verliert? Thielemann verneint: «Alles andere wäre eine überforderung. Klar ist das nur die Spitze des Eisbergs, aber es ist ja auch erken nbar, dass es noch viel mehr Kandidaten gäbe.» Andreas Missbach, der für die EvB in der Jury sitzt, unterstreicht: «Unser grösstes Problem ist, dass es immer zu viele gibt, die den Preis verdient hätten.»
Die tägliche Flut von Meldungen über Umweltsünden, Menschenrechts verletzungen und katastrophale Arbeitsbedingungen lässt nicht nach. Trotz aller Imagepflege: Wenn es ums Geschäft geht, sind die Konzerne so rücksichtslos wie eh und je. Mit den neuen Kommunikationstechnologien wird es einfacher, ihre dunklen Ecken auszuleuchten. Das heisst: noch mehr Meldungen, noch mehr Kandidaten. Ein Kampf gegen Windmühlen?
Was bringts? Eine kleine BilanzIgnorieren, abstreiten, beschönigen. Die
Reaktionen der nominierten und ausgezeichneten Konzerne gleichen sich auf den ersten Blick. Doch die Dynamik, die sich darum herum entwickelt, ist jedesmal wieder anders. Seit
«Die nGo funktionieren als Wachhunde der Gesellschaft und klagen exemplarisch an.»
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2005 wurden rund 300 Eingaben gemacht, von denen es mehrere Dutzend zu einer offiziellen Nominierung gebracht haben, aus denen wiederum 20 Preisträger erkoren wurden. Ein Auswahlkriterium ist, dass die Eingabe in eine Kampagne eingebunden werden kann, die weiterläuft. Der Public Eye Award ist also immer nur ein Mosaikstein in einem grösseren Bild, «ein winziges Preislein, eine Stimme, die das Bewusstsein wach hält», wie Thielemann sagt. Kann er auch als Anstoss für reale Verbes se rungen dienen? Kaum eine Firma würde das öffentlich eingestehen und es gibt keine syste matische Auswertung, wie sich die «verantwortungslosesten Unternehmen» der letzten Jahre entwickelt haben. Immerhin: Eine kleine Umfrage bei den Organisationen, die mit ihren Eingaben «gewonnen» hatten, ergab, dass sich der Aufwand für sie gelohnt hat. Hier der Versuch einer kleinen Bilanz über den Nutzen des Schmähpreises.
• Bekannt machen: Die Nominationen werden mit kurzen Videos, SocialMedia und klassischer Medienarbeit breit gestreut. Möglichst viele Leute sollen beim Publikumspreis für ihren «Favoriten» stimmen. So werden auch Firmen sichtbar, die kaum jemand kennt, weil sie keine Konsumgüter herstellen. Das wird auffallend oft genutzt. Als Glencore 2008 ausgezeichnet wurde, war es noch «die grösste Firma, von der du noch nie etwas gehört hast». Der Schweizer Rapper Greis schaffte es nach mehreren Versuchen, den Preis zu übergeben, und CEO Ivan Glasenberg liess sich Versprechungen zur Besserung entlocken. Andere Unbekannte, die dank Nominationen eine gewisse Öffentlichkeit erhielten, sind zum Beispiel die Sicherheitsfirma G4S oder der finnische Agrotreibstoffproduzent Neste Oil. Mit Coal India wurde auch ein besonders bedenklicher indischer Staatsbetrieb nominiert, über den international sonst kaum berichtet wird.
• tabus brechen: Der Elektronikkonzern Samsung galt in Südkorea als unantastbar – öffentliche Kritik war kaum möglich. Die internationale Aufmerksamkeit rund um die Nominierung im Jahr 2012 half der lokalen Nicht regierungsorganisation Sharp jedoch, das Schweigen zu brechen und die gesundheitsgefährdenden Arbeitsbedingungen in den
SamsungFabriken auch in Südkorea aufs Tapet zu bringen.
• an den tisch zwingen: In Ghana schaffte es die Organisation Wacam, die abgebrochenen Verhandlungen über ein neues Minenprojekt wieder in Gang zu bringen, nachdem AngloGold Ashanti 2011 den Jurypreis erhalten hatte. Die Firma versuchte zwar, Wacam in Ghana schlechtzumachen, doch der Druck der lokalen und der internationalen Medien war stärker. Das Renommee des Preises half, Wacam als nicht zu ignorierende Vertreterin der lokalen Gemeinschaften zu stärken.
• Projekte beerdigen und Spekulanten ausbremsen: Der Berner Stromproduzent BKW zog sich 2010, ein Jahr nach der Auszeichnung, von der Beteiligung am Kohlekraftwerkprojekt im niedersächsischen Dörpen zurück. Nominiert hatte ihn die lokale Bürgerinitiative. Von der Bündner Repower, dieses Jahr nominiert für ein ähnliches Projekt in Süditalien, wird der gleiche Schritt erwartet. Die britische Barclays Bank, Preisträgerin 2012, gab diesen Februar bekannt, sie werde aus der Spekulation mit Nahrungsmitteln aussteigen – nachdem ihr das World Development Forum immer wieder mit dem Preis auf die Pelle gerückt war.
• Widerstand stärken: Der brasilianische Rohstoffkonzern Vale gewann 2012 den Publikumspreis für seine Beteiligung am Megastaudamm Belo Monte im AmazonasRegenwald. Dagegen wehren sich unter anderem die indigenen Xingu, die ihr Land verlieren würden. Gegen das Megaprojekt laufen diverse Gerichtsverfahren, die Xingu blockieren die Baustellen. Immer wieder entscheiden Richter in ihrem Sinn und verzögern die Arbeiten. Vale erhielt viele Stimmen dank einer starken SocialMediaKampagne in Brasilien, wodurch auch der Widerstand der Xingu Gewicht erhielt.
Wirklich harte Fakten kann man mit «Schimpf und Schande» nicht schaffen. Dafür bräuchte es starke Gesetze, mutige RichterInnen und Strafen, die richtig schmerzen, nämlich finanziell. Das «Public Eye» zielt in diese Richtung – und hat auch schon getroffen: Shell, erster Preisträger 2005 für die Ölverschmutzungen im Nigerdelta, wurde diesen Januar von einem holländischen
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17Magazin GreenpeaceNr. 3 — 2013
Gericht erstmals verurteilt, einem Bauern eine Entschädigung zu zahlen – einem von Tausenden, die nun dasselbe versuchen können. Was ebenfalls ins Geld gehen kann, sind abspringende Grossinvestoren. Pensionskassen beispielsweise führen immer öfter Ausschlusslisten, die sie aufgrund der Bewertung von Monitoringfirmen erstellen. Diese durchsuchen weltweit kritische Meldungen und errechnen daraus einen Index für Reputationsrisiken. Karen Reiner von der Firma RepRisk kann zwar nicht beur teilen, welche direkten Auswirkungen eine PublicEyeNomination hat, «aber eine Nennung wirft sicher ein Licht auf die kontroversen Aktivitäten einer Firma und trägt damit zur Bewusstseinsbildung unserer Klienten bei.» Mit Klienten sind hier nicht Biolädeli gemeint, sondern einige der weltweit grössten Investoren, wie zum Beispiel Goldman Sachs, der diesjährige Jurypreisträger.
Der Preis für Goldman Sachs habe eine besondere Qualität, findet Andreas Cassee, «weil damit klar gezeigt wird, dass die Skandale nicht weit weg von uns in ‹armen Ländern› passieren.» Die Grossbank wurde nominiert,
weil sie massiv Einfluss nimmt auf die Regierungen westlicher Nationen. Damit hat sie etwa die Schuldenkrise in Griechenland mitverursacht und Hunderte Millionen an öffentlichen Geldern eingesackt. Während der Preis verliehen wurde, war eine ganze Equipe der Bank am WEF und soll, wie es heisst, gleich eine Krisensitzung durchgeführt haben. Besonders ist auch, dass die Nominierung von einer Filmcrew kam, die damit für die Finanzierung eines Dokumentar films über die Hintergründe der Schuldenkrise und ihre Profiteure.
Die Moral von der Geschichte? In Hollywood wird der Psychopath am Ende gestellt und für immer eingelocht. In Davos reichte es immerhin zu einer starken Laudatio der griechischen Journalistin Eurydice Bersi, die beschrieb, wie ihr Land mit dem Salamimesser Scheibe für Scheibe dem Schuldendienst geopfert wird. Ihr Aufruf zum Schluss: «Findet heraus, was wirklich passiert! Schaut, wer von der Krise profitiert! Nicht nur, weil Solidarität ein wunderbares Gefühl ist, sondern auch, weil ihr die nächsten sein könntet.»
Unwürdige Kopfarbeit: Der indische arbeiter rackert sich ab für die Jharia-Mine von Coal India. Wo sie Kohle abbaut, standen früher dichte Wälder. heute ist die Gegend besiedelt von meist mausarmen Migranten.
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18Magazin GreenpeaceNr. 3 — 2013
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Das Moratorium für den kommerziellen Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen endet 2017. Vieles spricht für ein generelles Verbot, aber wirtschaft
und wissenschaft stemmen sich vehement dagegen.
Essay von luigi D’Andrea, geschäftsführer, und fabien fivaz, Präsident von stopOgM
Die Auseinandersetzung um die Weiterführung oder Aufhebung des Schweizer Moratoriums für den kommerziellen Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen (GVP) wird wieder aktuell. 2005 hatten die Schweizer Stimmberechtigten in allen Kantonen mit grosser Mehrheit ein fünfjähriges Moratorium für den kommerziellen Anbau von Gentechpflanzen angenommen, gegen den Willen von Parlament und Bundesrat. Das Moratorium wurde 2010 erstmals bis Ende 2013 verlängert und nun erneut bis Ende 2017. Die erste Verlängerung sollte den Abschluss und die Analyse der Ergebnisse des Nationalen Forschungsprogramms NFP 59 über Nutzen und Risiken der Freisetzung von GVP ermöglichen. Mit der zweiten Verlängerung verlangt das Parlament bis Ende 2016 eine KostenNutzenAnalyse über gentechnisch veränderte Organismen (GVO) und gibt sich die Zeit, allenfalls ein Gesetz über die Koexistenz zu erlassen, um den gleichzeitigen Anbau konventioneller und gentechnisch veränderter Pflanzen zu regeln.
Die politische Stimmung ist für Gentechpflanzen denkbar un günstig. Die Bevölkerung und die Bäuerinnen und Bauern sind mehrheitlich dagegen. Auch setzen alle landwirtschaftlichen Strategien des
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Bundes auf Qualität, womit GVO faktisch ausgeschlossen sind (bei vielen Schweizer Labels ist das bereits der Fall). Nun hat der Bundesrat Anfang Jahr ein Paket von gesetzgeberischen Änderungen in die Vernehmlassung geschickt, das den Anbau von GVO nach Ablauf des Moratoriums im Jahr 2018 ermöglichen soll. Es geht um eine Revision des Gentechnikgesetzes, die einen gesetzlichen Rahmen für gentech nikfreie Zonen schafft. Weiter soll eine KoexistenzVerordnung erlassen werden betreffend die Bedingungen des Anbaus (Isolationsabstand zwischen konventionellen und gentechnisch veränderten Kulturen usw.).
Mit Ausnahme der Wirtschaft weisen sämtliche Stellungnahmen im Rahmen der Vernehmlassung die Aufhebung des GentechVerbots zurück. Die meisten Kantone, sowie die Landwirtschafts, Umweltschutz und Konsumentenverbände wollen gar nicht erst auf die Vorlage eintreten. Aus ihrer Sicht sollte der Bundesrat auf sein Vorhaben verzichten: Die kleinräumige und heterogene Struktur der Schweizer Landwirtschaft, die Ausrichtung der landwirtschaftlichen Produktion auf Qualität statt auf Quantität, die Kostensteigerung durch eine allfällige Einführung von GVO und die ablehnende Haltung der Konsumentinnen und Konsumenten sprechen gegen die Zulassung von Gentechpflanzen. Rein technisch werden die vorgeschlagenen Isolationsabstände als ungenügend beurteilt. Zudem verlangen die meisten Kantone die Möglichkeit, GVO auf ihrem Kantonsgebiet ganz zu verbieten, was im derzeitigen Entwurf nicht vorgesehen ist. Aus der Sicht von StopOGM geht es nicht an, dass grundsätzlich eine Koexistenz von GVO und kon ventionellen Pflanzen eingeführt wird, wobei die Möglichkeit besteht, einfach gentechnikfreie Zonen auszuscheiden. Vielmehr muss die ganze Schweiz gentechnikfreies Gebiet bleiben. StopOGM schliesst sich der Meinung der Eidgenössischen Ethikkommission für die Biotechnologie im Ausserhumanbereich (EKAH) an: Die Wahlfreiheit ist demnach kein Anspruchsrecht, sondern ein Abwehrrecht. Abwehrrecht bedeutet, dass der Staat nicht verpflichtet ist, für die Möglichkeit des Anbaus von GVP zu sorgen. Im Gegenteil: Landwirtschaftsbetriebe, die GVP anbauen wollen, sollen die Schaffung von GentechZonen begründen müssen.
Somit steht ein definitives Verbot von GVO in der Schweiz erneut auf der Tagesordnung. Falls der Bundesrat auf seiner Absicht beharrt und eine Mehrheit im Parlament findet, stellt sich die Frage nach der Lancierung einer entsprechenden Initiative als Gegenmassnahme.
Wissenschaftliche Offensive für Gentech«GVO stellen weder für die Gesundheit noch für die Umwelt ein
Risiko dar», verkündete der Schlussbericht des NFP 59 lauthals. Aber wie stichhaltig ist diese Aussage? Beim NFP 59 wurden die Versuche im Bereich der Biosicherheit mehrheitlich mit Weizensorten und frühen, nicht kommerzialisierten Genmaissorten durchgeführt, und zwar unter experimentellen Bedingungen, die nichts mit der Realität zu tun haben.
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Die Erkenntnisse aus kleinräumigen, kurzfristigen Versuchen sind nicht auf den grossflächigen, langfristigen Anbau auf kommerzieller Basis übertragbar. Es ist wissenschaftlich nicht haltbar, aus diesen Versuchen zu schliessen, GVO stellten generell für die Umwelt kein Risiko dar. Der Schlussbericht des NFP 59 ist im übrigen das Produkt eines fachfremden Kommunikationsteams des Schweizerischen Nationalfonds. Unter den beteiligten Forschenden ist der Text inhaltlich umstritten.
Gesundheitliche Aspekte, worüber sich der Schlussbericht auch äussert, wurden im NFP 59 gar nicht untersucht. Hier wurde lediglich die vorhandene Literatur analysiert. Das Fazit diesbezüglich fällt indessen nicht so eindeutig aus wie der Schlussbericht. Beispielsweise ist zu lesen: «Die Toxizitätsanalysen beruhen auf Tests zur Identifikation akuter toxischer Effekte. Mittel und langfristige Auswirkungen sind schwierig nachzuweisen, es fehlen geeignete und aussagekräftige Testverfahren.»
Ende Februar 2013 erhielt das Parlament von den Akademien der Wissenschaften Schweiz (AWS) einen offenen Brief mit Titel «Kein schleichendes Gentechnikverbot in der Schweizer Landwirtschaft». Das Schreiben wirft den Parlamentsmitgliedern vor, die Ergebnisse des NFP 59 nicht zu berücksichtigen. Das Forschungsprogramm habe gezeigt, dass GVO keine höheren Risiken für Umwelt und Gesundheit darstellten als herkömmliche Pflanzen. Die AWS halten die Koexistenz für möglich und sind der Ansicht, die Schweizer Landwirtschaft dürfe sich künftigen Entwicklungen der Gentechnik nicht verschliessen. Obwohl das GentechMoratorium auf einer Volksabstimmung beruht, behaupten die Akademien der Wissenschaften, die Ablehnung von GVO durch die Bevölkerung und die Bauern sei eine reine Annahme. Was sie aber nicht daran hindert, im gleichen Schreiben einen demokratischen Entscheid über die Zukunft der Gentechnik in der Schweizer Landwirtschaft zu fordern. Der Brief betont weiter, ein Schweizer GVO-Verbot würde die Forschung insgesamt behindern.
Kurz darauf stellten die AWS an einer Pressekonferenz im Parlament ihren neuen Bericht vor: «Gentechnisch veränderte Nutzpflanzen und ihre Bedeutung für eine nachhaltige Landwirtschaft in der Schweiz». Die Strategie besteht ganz offensichtlich darin, die Gentechnik mit dem grünen Wörtchen «nachhaltig» zu verbinden. Letztlich soll GVO absurderweise der biologischen Landwirtschaft schmackhaft gemacht werden.
Im Brief der Akademien der Wissenschaften offenbart sich zudem eine gehörige Portion Ignoranz gegenüber politischen Entscheidungsprozessen. Würde sich Politik darauf beschränken, wissenschaftliche Schlussfolgerungen durchzuwinken, so könnte man die politischen Instanzen gut und gerne durch einen wissenschaftlichen Beirat ersetzen. Dass Expertenmeinungen politische Entscheide überflüssig machen sollen, wäre jedoch eine gefährliche Entwicklung.
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Zudem räumen Expertinnen und Experten selbst ein, dass viele Ungewissheiten bestehen bleiben. Wissenschaftliche Befunde können daher nicht als die reine Wahrheit angesehen werden. Deutliche Worte an die Adresse der AWS seitens von Parlamentsmitgliedern blieben denn auch nicht aus. Sie forderten vertiefte Forschungen zum Thema und hielten fest: «Ob in der Schweiz gentechnisch veränderte Pflanzen angebaut werden sollen, ist kein rein technischer Entscheid und es geht auch nicht ausschliesslich um Biosicherheit. Es handelt sich um die Frage, in welcher Gesellschaft wir leben möchten, welche Landwirtschaft und welche Lebensmittel wir wollen.»
Biologische Landwirtschaft schliesst GVO und jegliche ins Genom eingreifenden Technologien grundsätzlich aus. Diese international geltenden Richtlinien werden die Akademien der Wissenschaften nicht aushebeln können, auch wenn sie ihr Konzept einer «nach haltigen Gentechnologie» weiter propagieren.
Es wird Freisetzungsversuche gebenDas Moratorium erlaubt Freisetzungsversuche zu Forschungs
zwecken. Ende Januar hat die Universität Zürich ein Gesuch für solche Versuche im Zeitraum 2014–2015 eingereicht. Es geht um Tests mit mehltauresistenten Genweizenlinien, die denjenigen sehr ähnlich sind, welche bereits 2008–2009 im Rahmen des NFP 59 untersucht wurden. Eine Million Franken Steuergelder wird der Bau des dafür nötigen geschützten Versuchsstandorts in Reckenholz ZH kosten.
Die Freisetzungsversuche sollen zeigen, ob die Expression von Resistenzgenen unabhängig von der Umgebung erfolgt und ob das Einbringen von Resistenzgenen an unterschiedlichen Stellen im Genom die Funktion anderer Gene beeinflusst. Das sind jedoch Fragen, die bereits in den ersten Versuchen beantwortet wurden.
Die Notwendigkeit von Freisetzungsversuchen und agronomischen Ertragsexperimenten ist für StopOGM nachvollziehbar für Linien, die in der Umwelt, d.h. in der Landwirtschaft, eingesetzt werden sollen. Im vorliegenden Fall betonen die Forschenden jedoch, dass die Versuche der Grundlagenforschung dienten und keine Vermarktung beabsichtigt sei. Das tun sie mit gutem Grund, denn der Mehltau ist für die Schweizer Landwirtschaft gar kein Problem. Tests im Gewächshaus sind viel besser geeignet, um die genetische Stabilität einer gentechnisch veränderten Linie zu analysieren. Unter diesen Bedingungen ist die Umgebung genau kontrolliert und es können direkte Kausalzusammenhänge zwischen der Variation eines Faktors und den Auswirkungen auf die Pflanze erkannt werden.
Die öffentliche Forschung sollte ihre Mittel unseres Erachtens besser für die klassische Agronomie verwenden und Lösungen suchen, die der Schweizer Landwirtschaft wirklich nützlich sind.Mehr informationen und newsletter abonnieren: www.stopogm.ch
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Auf den ersten Blick scheint das Land der 58 Atomreaktoren wenig geeignet zu sein als Schwerpunkt eines ökologischen Magazins (dessen Redaktion beim Gedanken an Länderschwerpunkte ohnehin ihre Mühe hat). Aus dem eigentlich verheis sungsvollen Westen erreichen uns wenige Impulse für den Umweltschutz. Und doch ist Frankreich eminent wichtig in der Schweiz und für Europa.
Die Grande Nation wird eine wichtige Rolle spielen, wenn in den nächsten J ahren die europäische Energiepolitik gemacht wird. Zwischen den anderen EU-Grossmächten Deutschland und Grossbritannien kann es den Ausschlag geben, ob der Kontinent auf erneuerbare statt fossile und nukleare Energien setzt. Die Regierung unter Präsident François Hollande könnte also Grosses vollbringen. Es wird ein histo rischer Moment sein, hoffentlich, wenn Frankreich und Europa diese Chance packen. Doch das ist nicht der einzige Grund, warum wir uns in Frankreich umgesehen haben.
Auch nicht nur, weil sich Frankreich wie kein anderes Land der Welt der Atomenergie verschrieben hat. Die damit verbundene Abhängig
keit stellt eine enorme Gefahr dar und führt bei der Regierung in Paris zu einiger Ratlosigkeit, jetzt, da die meisten französischen AKW ihre geplante Lebenserwartung erreicht haben und abgestellt werden müssten. Die Schweiz blickt nicht ohne Bangen auf Fessenheim bei Basel und Le Bugey bei Genf. Allerdings hat sie mit ihrem eigenen, noch greiseren Atompark genug vor der eigenen Tür zu kehren. Umso mehr lohnt sich ein Blick in die französische Nuklearpolitik (ab Seite 26), um nicht ohne Grusel zu sehen, wie sich ein Land dieser gefährlichen Energiequelle so sehr verschrieben hat, dass sie darin feststeckt wie im Treibsand.
Vor allem aber widmen wir dieses Heft unserem westlichen Nachbarn, weil sich hier die Widersprüche, die die ökologische Wende so schwierig machen, besonders gut zeigen: zwischen Stadt und Land, zwischen Fortschritt und Tradition, zwischen Industrie und Landwirtschaft, zwischen Zentrum und Peripherie, zwischen Freiheit und Gleichheit.
Frankreich hat den Zentralstaat gehegt und gepflegt wie kaum eine andere Demokratie. Da ist das hochkomplizierte Machtzentrum Paris, und dort sind die riesigen Provinzen im zweit
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Wenn es um die Umwelt geht, blicken wir Schweizer gerne nach Deutschland,
in die nordischen Länder, vermehr t auch nach China. Aber nach Frankreich?
alloNS!
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grössten Land Europas. Da herrschen zuweilen undurchschaubare Eliten, dort ist viel Platz für Individualität und Freiheit: ein Land für Aufsteiger und Aussteiger zugleich (zu Letzterem siehe ab Seite 52). Für abgehobene in tellektuelle Debatten. Für populistische Proteste und gegen Paris wetternde Fäuste. Beidem wohnt eine gewisse Ohnmacht inne.
Dabei verdanken wir Frankreich den wahrscheinlich wichtigsten Wandel der Moderne: die grosse Revolution von 1789, die bestimmend war für Aufklärung, Demokratie und Kapitalismus. Im 20. Jahrhundert war das Land nicht weniger prägend für die Identität nicht nur unseres Kontinents. Frankreich hat die Kraft, Gros ses zu denken. Ist es deshalb nicht nur logisch, in den nahen und nicht immer in den ameri kanischen Westen zu blicken, wenn man den Wandel herbeisehnt?
Leider suchten die französischen Eliten in den letzten 70 Jahren diese Grösse vor allem in technologischen Errungenschaften. In der bereits erwähnten Atomkraft als militärisches und friedliches Machtmittel. Aber auch in den «grands projets», den Grossprojekten, die vermeintlich für den Nationalstolz so wichtig sind: Concorde, Minitel, TGV, La Défense und so weiter.
Projekte, Revolution, gesellschaftlicher Wandel: Wann war all dies je notwendiger als jetzt?
Trotz Wirtschaftskrise und ständiger sozialer Unruhen scheint Frankreich erstaunlich satt,
fast träge. Die immense Kompaktheit dieser riesigen, fruchtbaren Scholle mag ein Grund dafür sein. Und dann ist da – für Greenpeace besonders bedeutsam – das Meer. Es eröffnet Frankreich die Welt und hat unzählige Abenteurer und Entdecker hervorgebracht: Unerschrockene Einhandsegler, Tiefseetaucher, Siedler und Söldner. Dem Wort «évasion» (die Flucht in all ihren Facetten) haftet eine tiefe Sehnsucht an. Die für die Franzosen stilbildende ökologische TV-Sendung trägt die entlegenste Stadt der Welt als Namen: ushuaïa. Auch hier findet sich der Traum vom Aussteigen.
Wie wir in unseren beiden Ozeangeschichten zeigen (Seiten 36 und 43) holt die ökologische Wirklichkeit auf dem Meer die Menschen vom Land ein. Hier zeichnet sich ein Wandel ab.
Mit Präsident Hollande, der versprochen hat, den Anteil der Atomkraft an der Stromversorgung von 75 auf 50 Prozent zu reduzieren, verbindet sich aus ökologischer Sicht viel Hoffnung. Er muss die Industrie zügeln und sie erneuern. Er muss sein riesiges Land von «Aussteigern» und «Flüchtlingen» reformieren. Er muss seine verkrusteten Eliten aufbrechen, obwohl er selbst Teil davon ist. Für Frankreich und für Europa. Am Schluss ist es freilich dieses wunderbare französische Volk, von dem der Wandel abhängt.
Allons enfants!
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alloNS!
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Schauplätze unserer Reportagen
Kernergie
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Meeresschutz
Landwirtschaft
Atomreaktoren
Stillgelegte Atomreaktoren
Anlagen zur Produktion und Wiederaufbereitung von Nuklearbrennstoff
Baustelle oder Projekt neuer AKWs
Arctic SunriseTour für nachhaltige Fischerei in Europa
Industrielle Fischerei: Tiefkühlschiffe plündern die Meere
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Er ist Anfang fünfzig, von gewichtiger Statur, trägt einen Seehundschnauz, hat liebevolle Augen und strahlt eine gemütliche Jovialität aus. Man würde dem legendären AntiAtomAktivisten Rousselet aus Cherbourg eher den Kapitän eines Fischkutters auf dem Ärmelkanal geben; oder vielleicht Verleihnix aus dem Dorf von Asterix: ganz und gar gutmütig – solange man ihn nicht wütend macht. Denn wenn es um die Atomkraft geht, ist es beim Normannen mit der Gemütlichkeit schnell vorbei. Da lässt er nichts anbrennen. Als er 2009 Wind bekommt von einem Transport radioaktiver Abfälle nach Russland, kettet er sich kurzerhand und im Alleingang an die Geleise.
Als er anlässlich einer Aktion in der Schweiz einen freien Tag hat, besichtigt er flugs alle vier AKW – von Leibstadt bis Mühleberg. Es gibt wenig in Sachen Kernkraft, das der streitbare Greenpeacer nicht eingehend
studiert hätte – als bewegte er sich ständig in den am besten gehüteten Anlagen der Atomindustrie.
Als wir von einem Ausflug zur Wiederaufbereitungsanlage La Hague zurück nach Cherbourg kommen, sieht er von weitem mit Sperberaugen etwas im Hafen, das ihn be unruhigt: «Der Kran der Areva ist in Betrieb.» Die Areva ist einer der französischen Nuklearkonzerne. «Es muss ein Schiff im Hafen sein. Warum weiss ich nichts davon!» Für Atomtransporte gibt es ein eigenes Pier, wo das Material aus und eingeschifft wird. Rousselet vermutet, dass heute bloss leere Container für radioaktive Transporte geliefert werden: «Die ‹Pacific Grebe› muss aus Japan eingetroffen sein.» Er kennt jedes Schiff, jede Route im Atomgeschäft. Er kramt seinen Feldstecher aus dem Hand schuhfach. «Da stehen sie», sagt er befriedigt. «Nur die Japaner verstehen es noch, solche Behälter zu schmieden.»
Frankreich scheint fest im Griff einer atombeses senen Elite. Aber Greenpeace hält dagegen
und der Machtblock bekommt erste Risse – wie eine in die Jahre gekommene Reaktorhülle.
Die Geschichte eines historischen Moments aus der V. Republik in fünf Kapiteln.
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Um es vorwegzunehmen: Die Halbinsel La Hague ist traumhaft schön. Die berüchtigte Wiederaufbereitungsanlage und das benachbarte Lager für radioaktive Abfälle besetzen, wie versehentlich hingestellt, ein säuberliches Rechteck von vielleicht 5 mal 0,5 Kilometern: gut sichtbar aus dem Weltall als graue Narbe auf dem grünen Land. Im Umfeld aber stehen romantische, vielleicht etwas ausgestorbene Weiler. Gelber Ginster wächst auf den malerischen Klippen. Man möchte hier sofort Urlaub machen.
Solange die Fabrik ausser Sicht ist. Symmetrisch ihre Silhouette, irgendwie schweigsam, nicht bedrohlich, sondern grotesk provisorisch. Das radioaktive Material, , das die Anlage im Tag durchschnittlich verwertet, hat Platz auf zwei, drei Lastern: lächerlich wenig für eine Fabrik, die so gross ist wie eine Kleinstadt.
Am imposantesten ist ein blaugrauer Block, in dem die radioaktiven Abwässer behandelt werden (bevor sie einige hundert Meter vor der Küste «legal» ins Meer geleitet werden).
Links und rechts davon UP 1 und UP 2: «Usine à plutonium» hiess das einst, Plutoniumfabriken. Heute steht die Abkürzung harmlos für «Unité de production», denn das ursprünliche Wort weckte Ängste in der hiesigen Bevölkerung.
Dabei dürfte es kaum eine Gegend geben, wo der Bau einer der gefährlichsten nuklearen Anlagen aller Zeiten auf weniger Widerstand gestossen wäre. Als im deutschen Wackersdorf eine ähnliche Höllenmaschine geplant wurde, hagelte es 880 000 Einsprachen. Es wurde nie gebaut. In den Dörfern von La Hague und im malerischen Hafenstädtchen Cherbourg hingegen stiess das Geschäft mit der Kernspaltung auf wohlwollende Einheimische.
Das mag mit der militärhistorischen Lage zu tun haben. Cherbourg liegt auf dem so genan nten Cotentin, der wie ein Finger weit in den Ärmelkanal hinauszeigt: ein Vorposten. Im Hafen zeigt ein bronzener Napoleon hoch zu Ross ins Meer hinaus gegen England, den Erzfeind. Militärische Forts dominieren die grösste künstliche Hafenbucht der Welt. Im Zweiten Weltkrieg erlebte man den D-Day an den benach
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barten Stränden Utah und Omaha. In Cherbourg hat jeder jemanden in der Familie, der in der Atomindustrie oder in einem Armeebetrieb arbeitet. In den Werften werden AtomU-Boote gebaut – und abgewrackt, wenn sie ausgebrannt sind. Auch Yannick Rousselet arbeitete dort – wie schon sein Vater und sein Grossvater –, bevor er 2001 zu Greenpeace wechselte.
Davor war er ein Aktivist der ersten Stunde gewesen und hatte sich ab den 70er Jahren gegen die Aufrüstung der Halbinsel zu einer Art atomarem Disneyland engagiert. In der Werft nahm man sein politisches Engagement gelassen hin. Wer gegen Atomkraft war, gehörte zu einer verschwindend kleinen Minderheit.
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Mehr als irgendwo sonst wird uns in diesem abgelegenen Winkel der BasseNormandie bewusst, dass die Wurzeln der Kernenergie militärisch sind.
Wer Atomwaffen will – eine «Force de frappe» –, braucht Plutonium. Und dafür gibt es La Hague, das aus verbrauchten Brennstäben das Supergift extrahiert.
Für Yannick Rousselet geht es bei der Kernkraft denn auch nicht bloss um Strom: «Vor allem ist sie eine Frage der Macht», sagt er. «Die Atomenergie kann in einer Demokratie eigentlich gar nicht funktionieren. Sie braucht einen Typ von Gesellschaft, der auf Sicherheit und Kontrolle setzt: einen autoritären Zentralstaat.»
Der Stolz der grossen Projekte, die rechte gaullistische Vision Frankreichs als Grande Nation einerseits und anderseits das linke jakobinische Erbe der GuillotinenRevolution, aber auch die französischen Kommunisten und Stalinisten hatten in der Atomkraft die Erfüllung eines mächtigen, produktiven, zentralistischen Staats gefunden: Der dichteste AKW-Park der Welt wurde zu einer Frage nationaler Identität und gesellschaftlicher Organisation.
Dadurch hat sich in Frankreich ein Machtsystem gebildet, das rund um die AKW das halbe Land kontrolliert. Die weitgehend staatlichen Energiekonzerne EDF (Electricité de
France) und Areva sind fest in den Händen einer Elite, von denen viele dem «Corps des mines» an gehören: Abkömmlinge einer Eliteschule, die man – nein, das ist keine TV-Serie – auch «X-Mines» nennt. Für sie hat Yannick Rousselet einen Namen: die «Nukleokraten».
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Das GreenpeaceBüro in Paris liegt diskret an einer Nebenstrasse im zehnten Bezirk, irgendwo zwischen Place de la République und Montmartre. Ein kleines Namensschild, keine weiteren Insignien. Der Einlass erfolgt durch eine Art Schleusensystem aus automatischen Türen.
Greenpeace Frankreich ist in seiner Geschichte ausspioniert, gehackt, zum Feind erklärt worden. Der französische Geheimdienst hat 1985 die erste «Rainbow Warrior» in der Südsee versenkt, wo sie gegen die französischen Atombombentests im MururoaAtoll im Einsatz war.
2006 hat sich EDF ins Computersystem von Greenpeace gehackt und unzählige Dokumente gestohlen. Vorsicht ist also angebracht. «Zuerst ignorieren sie dich, dann lachen sie über dich, dann spionieren sie dich aus, und dann siegst du», soll Gandhi gesagt haben. Passend dazu steht im Treppenhaus breit an der Wand: «Die gros sen Veränderungen scheinen unmöglich zu Beginn – und am Ende unvermeidlich.» Das liesse sich prophetisch auch über eine sauberere Energieversorgung in Frankreich sagen. Die Ahnung, dass der Atomausstieg unvermeidlich ist, beschleicht heute selbst Leute, die sich das Gegenteil wünschen. Das Wort «Energiewende» hat es tatsächlich in die offizielle Regierungssprache geschafft.
Gleichzeitig jedoch bleibt die Gewissheit, dass der Ausstieg aus der Atomenergie eine Revolution für Frankreich sein wird. Wird Präsident François Hollande den Mut und die Kraft zur Veränderung aufbringen? Will er sie überhaupt?
«Die Amtszeit von Präsident Hollande ist ausschlaggebend», sagt Sophia Majnoni mit Entschiedenheit. Die neue Kam pagnen direktorin von Greenpeace Frankreich spricht schnell und messerscharf und scheint den in den Elite
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schulen gestählten Machtbestien in Verwaltung und Wirtschaft durchaus gewachsen. Ihre nicht minder elegante und kluge Politbe raterin Karine Gavand bestätigt den Eindruck, dass Greenpeace Frankreich als David gegen Goliath die Steinschleuder immer treffsicherer einzusetzen weiss. Auf die Frage, ob Greenpeace denn überhaupt Zugang zu wichtigen Politikern hat, entgegnet Gavand lapidar: «Heute Nachmittag sind wir beim Premierminister.»
Bis Frankreich die Energiewende wirklich in Angriff nimmt, wird das grüne Lager noch viel, sehr viel Arbeit leisten müssen. Daran ändert auch nichts, dass die Grüne Partei in der Regierung sitzt: «Es ist seither nur schlimmer geworden», sagt Majnoni: «Wir haben eine Stimme verloren.» – «Immerhin», sagt ihre Kollegin, «hat sich mit Hollande zum ersten Mal überhaupt ein französischer Präsident zu einer Reduktion der Kernenergie verpflichtet. Aber wir machen uns wenig Illusionen.»
Wie wendig François Hollande seine energie politischen Pirouetten dreht, zeigt auch die Art, wie er am Vorabend der Wahlen 2012 mit den Grünen umgesprungen ist. Die Sozialisten hatten im Herbst 2011 in zähen Verhandlungen der Ökopartei erhebliche Zugeständnisse gemacht, um sich ihre Unterstützung zu sichern. Vereinbart wurde – im Fall eines Wahlsiegs – die Reduktion des Anteils der Kernenergie von 75 auf 50 Prozent bis 2025, was unter anderem die Schliessung von 24 der 58 Reaktoren bedeuten würde.
Gerade einmal drei Wochen nach der Unterzeichnung des Pakts mit den Grünen kündigte Hollande an, dass er ihn nicht respektieren werde.
Die einst hoffnungsvolle Frage, ob Hollande sich gegen den nuklearen Machtblock würde behaupten können, stellt sich gar nicht mehr. Der Präsident, Abkömmling gleich dreier Elite schulen, ist selbst ein Nukleokrat. Heute tut er sich sogar schwer damit, die Zeitbombe Fessenheim zu schliessen.
Hollande spielt eine gefährliche Partie.
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Der Herrscher im Élyséepalast setzt nicht nur sein Land und dessen Nachbarn den nicht kalkulierbaren Risiken der Atomenergie aus. Im Fall einer Wiederwahl 2017 würde er die nukleare Frage erst recht lösen müssen – und zwar um so dringender, nachdem er für die Energiewende so viel kostbare Zeit vertan hat. Der französischen Energiewirtschaft steht das Wasser nämlich bis zum Hals.
«Achtzig Prozent des Nuklearparks», sagt Sophia Majnoni, «wurden innerhalb der zehn Jahre um 1980 gebaut. Sie erreichen demnächst alle das Ende ihrer geplanten Laufzeit. Und die Reaktoren sind alle vom selben Bautyp. Würde man bei einem einzigen einen strukturellen Fehler entdecken, müssten wir alle abstellen. Dann droht tatsächlich ein Blackout.» Fukushima hat gezeigt, wie schnell so etwas gehen, wie gross ein solches Klumpen risiko sein kann.
Seit Fukushima hat sich das kritische Lager jedoch verstärkt. Nicht nur Greenpeace gewinnt an Einfluss. Es gibt nun auch kompetente Journa listen auf dem Gebiet. Die Informationsmauern der Nukleokraten bröckeln. Die Nuklearsicherheitsbehörde ASN (bei uns: Ensi) frisst EDF und Areva nicht mehr völlig aus der Hand. Die Kosten der Atomenergie steigen und nagen an der Geldmacht der Energiekonzerne – und an ihrer Grosszügigkeit: Die lange mitverdienenden Gewerkschaften murren, weil der Rubel nicht mehr rollt. Grüne Technologien und die Konkurrenz durch immer günstigeren Ökostrom aus dem Ausland bedrohen die hiesige Industrie. Auf lokaler Ebene haben die Bürgermeister nach Fukushima begriffen, dass sie bei einem Unfall völlig hilflos wären.
Zwei Drittel der Franzosen leben in einem Umkreis von 75 oder weniger Kilometern von einem AKW entfernt.
Bloss hat sich die Debatte in Frankreich leider immer nur um die Risiken gedreht. Lösungen im Sinn der Energiewende sind im Hochtechnologie und Pionierland kaum ent wickelt worden. Und nun soll bis 2014 ein neues Energiegesetz erarbeitet werden. 2015 beherbergt Frankreich die Klimakonferenz COP und wird
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im ökologischen Rampenlicht stehen. Und bis 2016 stellt die EU energiepolitisch ihre Weichen.
Gerade bei Letzterem kann Frankreich eine entscheidende Rolle spielen zwischen dem atom und kohlefreudigen britischpolnischen auf der einen und dem deutschdänischprogressiven Lager auf der anderen Seite. Das ist etwas viel für die Nukleokraten. In der Tat dürften Hollandes fünf Jahre bis 2017 entscheidend sein. Der Moment ist für Frankreich geradezu historisch. Hoffen wir, dass er zum positiven Momentum wird.
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Zurück in die Normandie zu Yannick Rousselet. Auf der Halbinsel fahren wir durch reiche, herausgeputzte Dörfer mit überdimensionierten Sporthallen und protzigen Gemeindehäusern.
«Die Atomfirmen», erzählt Rousselet, «haben eine Strategie, die lokale Bevölkerung für sich einzunehmen.» Mitarbeiter, die sich lokalpolitisch engagieren, werden mit Mitteln ausgestattet. Standortsteuern
vergolden die Gemeindekassen. Die Jobs sind gut bezahlt.
Wenn aber der von fast unbeschränkten Mitteln geölten Politmaschinerie das Geld ausgeht, schwindet der Einfluss auf die Politik und auf die Gewerkschaften. La Hague arbeitet an der Grenze der Rentabilität, weil der Pluto niumfabrik die Kunden davonlaufen. Das Plutonium aus La Hague ist ökonomischer Stumpfsinn. «Die Wiederaufbereitung war eine politische Lösung, um die Leute glauben zu lassen, man hätte die radioaktiven Abfälle im Griff», sagt Rousselet. Doch je ökonomischer die Energiewirtschaft zu denken anfängt, desto absurder wird das antiquierte System, das sich Frankreich aufgebaut hat. «Die Privatisierung wird die Nuklearindustrie killen», sagt Rousselet voraus.
Wir fahren von La Hague der Küste ent lang nach Süden. Auch die Normandie spürt den Klimawandel. Der Winter war schneereich. Viel kalter Wind bläst auch im Frühjahr herbstlich aus dem Osten. Ja, es wird Herbst im Land der Nukleokraten. Wir erreichen Flamanville, wo zwei Atomreaktoren schon länger laufen und
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s ta a ts g e wa l t g e g e n g re e n p e a c e , 1 . Au g u s t 1 9 8 5 : um d i e Ak t i v i s te n a n P r o te s te n g e g e n At o m te s ts i m Mu r u r o a - At o l l z u h i n d e r n , z o g d e r f ra n z ö s i s c h e g e h e i m d i e n s t i m ha f e n v o n Au c k l a n d ( ne u s e e l a n d)
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ein dritter gebaut wird: ein EPR (European Pressurized Reactor), ein trauriger ehemaliger Hoff nungs träger der französischen Nuklearindustrie. Sie hatte den EPR als neuen Exportschlager gedacht. Tatsächlich ist er ein ökonomisches Desaster.
Dabei liess sich der Handel gut an. Finnland bestellte ein solches AKW für Olkiluoto zum Fixpreis von drei Milliarden Euro. Jetzt hat es Areva schon deren acht gekostet und ist noch nicht fertig. Areva will in England bauen, aber die dortige Regierung weigert sich, Strompreis garantieren für den 9MilliardenBau zu leisten. Und auch Flamanville hat bereits solche Unsummen verschlungen, dass der italienische Partner Enel ausgestiegen ist.
Die Pleite hat viele Gründe. Vor allem wurde der EPR mit 1650 Megawatt Leistung viel zu gross konzipiert. Die Nukleokraten waren sich nicht bewusst, dass die Zeiten sich geändert haben. «Ein kleinerer Reaktortyp hätte sich wahrscheinlich besser verkauft», schätzt Rousselet. «Dann wären wir heute schlechter dran.» Die Arroganz von Areva, EDF und Co. ist auch eine Chance.
Man kann über Frankreich und seine atombesessene Machtelite den Kopf schütteln. Doch in den Ansätzen verhält sich die schweizerische Stromoligarchie ganz ähnlich: Da wird einer dezentralen, demokratischen Energieversorgung jeder mögliche Stein in den Weg gelegt. Im Grunde sind gewisse eidgenössische Betonköpfe um Doris Leuthard noch verantwortungsloser. Die hiesigen AKW sind nicht nur älter, im Gegensatz zum westlichen Nachbarn droht bei einem Atomausstieg auch nicht die Spur einer Stromlücke.
In Cherbourg schiff ten sich einst Hunderttausende Emigranten in die Neue Welt ein. Von hier ist die «Titanic» ihrem Untergang entgegen in See gestochen. Vielleicht wird es dereinst heissen: Hier blühte der nukleare Wahnsinn. Wir blicken auf den Ärmelkanal, La Manche, hinaus mit seinen Winden und seinen gewaltigen Meeresströmungen.
«Als die (mittlerweile entlassene; A.d.R.) Umwelt und Energieministerin Delphine Batho im Februar hier war», erzählt Rousselet und schmunzelt unter seinem normannischen Schnauzbart, «erklärte sie, dass wir hier Strömungskraftwerke bauen könnten mit dem Potenzial von mehreren EPR.»
Frankreich hat lange genug mit dem Feuer gespielt. Vielleicht liegt seine Stromzukunft in diesen Wassern.
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Magazin Greenpeacenr. 3 — 2013
K om m e n ta r G r e e n pe ac e
So vollmundig zwitscherte Präsidentschafts kandidat Hollande im August 2011 seinen Wählern zu. Auch vom geplanten SuperReaktor in Penly nahm er in jenem heissen Wahljahr Abstand – und gefi el den Grünen, deren Unterstützung er brauchte. Der eingeläutete Traum vom Atomausstieg unter sozialistischer Führung war aber von kurzer Dauer…
Nach der Wahl war nicht mehr die Rede davon, die notwendigen 20 Reaktoren stillzulegen. Selbst mit der Schliessung des Atomwracks Fessenheim tut sich der Präsident schwer. Am Ausbau von Flamanville hält er fest. Und in der lancierten Energiedebatte werden alle Risiken der Atomenergie systematisch ausgeblendet. Ein Atomausstieg ist freilich kein Thema. Die Förderung der Erneuerbaren dümpelt knapp über der Nullgrenze
Jüngste Episode: Das Budget des Ministeriums für Umwelt, nachhaltige Entwicklung und Energie wird massiv gekürzt. Die sozialistische Ministerin Delphine Batho kritisiert diesen Entscheid und musste gehen. Der Druck der Industrie und Energielobby bleibt wohl zu wuchtig für Hollande.
K E r n E n E r g i E
«Wir müssen weg von der Kernenergie. Ich schlage vor, den Anteil an Atomstrom bis 2025
von 75 auf 50% zu senken.»
Magazin GreenpeaceNr. 3 — 2013
Ü b E r f i s c h u n g
frankreichs kleinfischer in der Bredouille
Das Jahresende 2013 könnte für die Fischerei und die Meere eine Wende bringen – zumindest, was Europa betrifft. Bis dahin wird die Fischereipolitik der EU für die kommenden zehn Jahre neu ausgerichtet. Frankreich spielt dabei eine besondere Rolle: Das Land ist eine der grössten Fischereinationen und konsumiert am meisten Meerestiere. Zudem ist es nach den USA das Land mit der grössten Meeresfläche. Abgefischt wird sie von Grossunternehmen – die französischen Kleinfischer, meist traditionelle Familienunternehmen, gehen zunehmend leer aus.
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G u y Vau d o, Kleinfischer und Taucher in Sète an der Mittelmeerküste, ist ein Mann der klaren Worte: «In weniger als einem halben Jahr hundert hat es die indus tri elle Fischerei geschafft, Fischbestände zu übernutzen, die über Jahrtausende präsent waren.
Ich bin Fischer geworden aus überzeugung und aus Leidenschaft. Ich wünsche mir, dass die EU-Fischereipolitik endlich auch die Menschen berücksichtigt, die auf nach haltige Weise arbeiten. Wir kleinen Fischer hatten schon immer ein Bewusstsein für die Umwelt – sie ist die Grundbedingung unserer Existenz. Unsere Fischerei erlaubt es uns, die Grösse der Fische auszuwählen, die wir behalten wollen. Wir können uns den Jahreszeiten anpassen und respektieren den natürlichen Jahreszyklus der Arten, die wir befischen.»
Wird das Steuer in der Fischereipolitik nicht herumgerissen, gibt es in 35 Jahren nichts mehr zu fischen. Heute werden 80 Prozent der Fangquoten an die industrielle Fischerei vergeben, die mit ihren unselektiven und zerstörerischen Fangmethoden für die überfischung der Meere verantwortlich ist. Sie entnimmt den Meeren zwei bis dreimal so viel Fisch, wie nachwachsen kann. Dazu kommen Millionen von Meereslebewesen, die tot oder verstümmelt als Beifang wieder über Bord geworfen werden. Das Absurdeste ist, dass diese mit neuster Technologie aufgerüstete Flotte von riesigen Fabrikschiffen nicht einmal kostendeckend arbeitet! Nur dank Hunderten von Millionen Euro Steuergeldern kann sie über Wasser gehalten werden.
H au p t - for de ru n g e n
von K le i n f i s c h e r n u n d G r e e n pe ac e
Um die überfischung der Meere in Europa zu stoppen, stellen Kleinfischer und Greenpeace folgende drei Hauptforderungen an die neue EU-Fischereipolitik 2014–2023:
i Der Fischereidruck muss sinken: Die gefischten Mengen müssen in übereinstimmung stehen mit den Fischressourcen und ihrer Reproduktionskraft. Fischen wir weniger, aber besser! Respektieren wir die wissenschaftlich untermauerten Fangquoten und respektieren wir die Schutzzonen, damit sich die Bestände erholen können.
ii Schluss mit dem Beifang: Die Verschwendung muss aufhören, die Fangmethoden müssen selektiv sein.
iii Zusammenhang zwischen Fangquoten und Nachhaltigkeit: Die höchsten Fangquoten sollen diejenigen Fischer erhalten, welche die nachhaltigsten Praktiken anwenden – sowohl aus so zialer Perspektive wie auch im Hinblick auf die Umwelt.
Auf der anderen Seite bekommen die lokalen Küstenfischer – die in Frankreich mehr als die Hälfte, europaweit sogar 80 Prozent der Beschäftigten im Fischereisektor ausmachen – keine Subventionen und nur 20 Prozent der Fangquoten. Noch finden sie in Brüssel kein Gehör.
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A n n e -M a r i e Ve rg e z , 53, Führerin eines Fischerboots in SaintJeandeLuz (Baskenland): «In der industriellen Fischerei sind die Schiffsbesitzer nicht die Fischer selbst, sondern Geschäftsleute. Anders bei der Küstenfischerei: Hier fahren die Bootsbesitzer mit ihrem eigenen Boot hinaus.»
AnneMarie Vergez, Fischerin und Besitzerin der «Nahikari» (auf Baskisch: Wunsch), ist die einzige Frau, welche die Arbeit als PatronPêcheur in SaintJeandeLuz im Baskenland ausübt. Sie fischt mit der ausgelegten Grundleine (Palangre). Das ist eine Hauptleine, an der in regelmässigen Abständen Seitenarme oder Vorfächer angebracht sind, wo die beköderten Haken sitzen. Diese Leinensysteme werden für einige Stunden ausgelegt und dann eingeholt. Die traditionelle Technik ist wohl eine der ältesten überhaupt. Bevor man die Palangre vom Boot aus verwendete, wurde sie auf den Stränden ausgelegt, vor auflaufender Flut.
AnneMarie kämpft für ein einziges Ziel: «Die Politik auf französischem und euro
päischem Niveau muss endlich die kleinen Fischer berücksichtigen; die Einzigen, die in der Lage sind zu überdauern, weil sie einen nachhaltigen Umgang mit den Ressourcen pflegen.»
Die Kleinfischerei, die in einem begrenzten Gebiet in Küstennähe fischt und deren Bootsbesitzer in der Regel die Fischenden selbst sind, hat eine grundsätzlich andere Denk und Vorgehensweise als multinationale Fabrikschiffsge
Ü b E r f i s c h u n gT i pp s f ü r
K on s u m e n t e n
Auch die Konsumenten können etwas beitragen, zum Beispiel beim Einkauf während der Ferien am Meer.
Direkt am Hafen oder in der Fischhalle einkaufen, nicht beim Grossverteiler. Intermarché betreibt z.B. in Frankreich eine eigene Fischereiflotte.
Keine zu kleinen Fische kaufen. Die Schonmasse betragen für den Wolfsbarsch (Bar/Branzino) 36 cm, für Makrelen (Maquereau/Sgombro) 20 cm, für den Seehecht (Merlu/Merluzzo) 27 cm oder für die Meerbrasse (Sar/Sarago) 25 cm.
Keinen Fisch während der Reproduktionszeit kaufen, also zum Beispiel Bar/Wolfsbarsch nicht zwischen Mitte Februar und Ende März.
Qualität statt Quantität: Auf lokale Labels wie «Bar à la ligne» oder «Merlu de ligne» achten statt billigen Tiefkühl oder Zuchtfisch kaufen.
Fragen stellen an der Fisch theke oder im Restaurant, woher der Fisch kommt, ob aus kleiner, nachhaltiger Fischerei oder von einem grossen Fischtrawler.
Die Petition von Fish Fight France: www.fishfight.fr unterschreiben.
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sellschaften wie zum Beispiel die PFA (s. Magazin 2/2013). Die lokalen Fischer streben keine Profi tmaximierung an und müssen keinen Aktionärshunger nach Dividenden stillen, sondern lediglich ihrer Familie eine Lebensgrundlage ermöglichen. Meist fi schen sie schon seit Generationen und entsprechend denken sie auch voraus: Es soll auch noch Fisch für ihre Kinder und Kindeskinder geben. Zudem angeln sie mit spezifi schen Methoden nach genau einem Zielfi sch, nach dem Wolfsbarsch zum Beispiel mit Leinen (im Winter) oder Angelruten (im Sommer), nach dem Seehecht mit Grundleinen (Palangre) oder nach Krustentieren mit Fallen. Hängt mal ein anderer Fisch am Haken, wird auch der verkauft oder selber verspeist. Beifang gibt es nicht. Die Kleinfi scher schädigen die Biotope nicht und sind fl exibel genug, sich im Jahresverlauf den Zyklen der Fischarten anzupassen. Sie halten sich im Unterschied zu den Mannschaften der grossen Schlepp oder Ringnetztrawler an Schonmasse und Schonzeiten, haben sie doch ein Interesse, im kommenden Jahr am gleichen Ort wieder ausgewachsene Fische fangen zu können.
Um dieser zukunftsfähigen Fischerei endlich ihren gebührenden Platz in der EU-Politik zu verschaff en, haben sich die Kleinfi scher in Frankreich erstmals organisiert. In der Plateforme de la Petite Pêche Artisanale haben sich bereits über 500 Fischer mit Booten von maximal 12 Metern Länge zusammengetan – die meisten aus dem LanguedocRoussillon, der Bretagne und dem Baskenland sowie einzelne aus den überseegebieten. Sie wollen darauf hinwirken, dass die neue gemeinsame Fischereipolitik der EU endlich auch ihre Interessen und ihre Leistung berücksichtigt und die überkapazitäten der unrentablen Fabrikschiff e wirkungsvoll re duziert. Die Fangquoten sollen in Zukunft aufgrund ökologischer, sozialer und territorialer Gesichtspunkte vergeben werden. Die Küstenfi scher, die lokal verwurzelt sind, haben seit je so gefi scht, dass auch die nachfolgenden Generationen noch etwas zu fangen haben. Diese Fischerei ist zukunftsfähig und muss gefördert werden.
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L e e rg e f i s c h t ?Fischerei in der EU
Welche Länder fischen am meisten?Fänge in Millionen Tonnen
2010 4,9 17% 15% 12% 9% Dänemark Spanien GB Frankreich
2005 5,6
1995 8,1
Die drei meistgefangenen Fischarten
Europäische Sprotte
Makrele
Atlantischer Hering
Am meisten gefährdete Art
Roter Thun (BlauflossenTunfisch)
Wo werden die meisten Fische gefangen?2009 in Kilotonnen Lebendgewicht
Atlantik Nordosten 3549, 8Atlantik Osten/Mitte 489,7Mittelmeer 448, 4
Sind die Fischbestände unerschöpflich?
ÜberfischteBestände 68% 80% 47% EU Mittelmeer Atlantik, Nordosten
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Seit Jahren drängt Greenpeace auf die Schaffung von Meeresschutzgebieten, die 40 Prozent der Weltmeere umfassen und in denen, zumindest bis sich die Bestände erholt haben, keine industrielle Fischerei mehr stattfinden darf. Nur so kann der völlige Kollaps der Ozeane verhindert werden. Inzwischen sind auch die zuständigen UNO-Gremien zum gleichen Schluss gekommen und schlagen die Unterschutzstellung von 20 Prozent der Meeresfläche vor.
Um diese Ziele der Biodiversitätskonvention umzusetzen, hat Frankreich von 2009 bis 2012 einen «Grenelle de la mer» einberufen, eine dreijährige Initiative mit dem Meer im Mittelpunkt. Der
«Grenelle» ist ein breites Vernehm lassungs verfahren unter Einbezug aller betroffenen Gruppierungen (auch Greenpeace France beteiligt sich daran) und mit Hunderten von Arbeitsgruppen, die ihre Resultate am Ende zentral zusammenführen. Er hat der Regierung das Ziel gesetzt, bis 2020 insgesamt 20 Prozent der französischen Meere unter Schutz zu stellen (10 Prozent davon als fischereifreie Zonen): ein guter Entschluss, aber nicht verbindlich genug.
Leider sind staatliche und internationale «Beschlüsse» meist nur Lippenbekenntnisse, die unter dem Druck der mächtigen Lobby der industriellen Fischerei schnell
wieder vergessen gehen. Weltweit stehen erst 1,2 Prozent der Meere unter Schutz und auch in den französischen Gewässern ist noch kaum etwas von den GrenelleZielen umgesetzt. Den Meeren bleibt aber nicht mehr genügend Zeit, sie können nicht auf die Umsetzung der grossen Ziele warten. Umso dringlicher ist es, bei der Fischerei direkt anzusetzen, die schlimmsten Exzesse auszumerzen und die nachhaltigsten Methoden zu fördern.
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Gw e na ë l P e n na ru n, traditio neller Küstenfischer aus SainteMarine (Bretagne): «Ich kann nicht sagen, ob ich diesen Beruf gewählt habe oder der Beruf mich. Schon von Kindsbeinen an habe ich meinen Vater aufs Meer begleitet, und es sind jetzt dreissig Jahre, dass ich in der südlichen Finistère den Wolfsbarsch mit der Leine fange. Fischer zu sein, ist für mich ein Synonym für Freiheit – oder vielmehr, so war es früher. Denn jetzt muss ich raus, wenn der Fisch auftaucht, und bevor er wieder weg ist. Wir merken, dass die Zahl der Fische in den letzten dreissig Jahren stark abgenommen hat.».
Greenpeace hat von März bis Juni dieses Jahres eine «revolutionäre» Schiffstour durchgeführt. Zum ersten Mal waren die Fischer keine Gegenspieler, sondern gemeinsam mit der GreenpeaceCrew an Bord der Arctic Sunrise, die durch die europäischen Meere gezogen ist mit dem Ziel, die nachhaltig arbeitenden lokalen Fischer zu unterstützen und eine Änderung der EU-Fischereipolitik zu fordern. Als Symbol für den gemeinsamen Kampf für gesunde europäische Meere reichte die Arctic Sunrise eine Schiffslaterne von Land zu Land weiter – mit Beginn in Rumänien und dem Schlusspunkt in England. Dabei legte sie in neun Ländern an und sammelte Unterstützungsbotschaften für die lokale Küstenfischerei, um Druck auf die EU-Verhandlungen zur Fischereireform auf zu bauen.
Die gemeinsamen Anstrengungen von Kleinfischern, Greenpeace und anderen Meeresschützern tragen bereits erste Früchte. Ende Mai haben Unterhändler des EU-Ministerrats und des EU-Parlaments einen Entwurf zur neuen Fischereipolitik vorgelegt, der erstmals die Fangmengen an wissenschaftlich abgestützte Nachhaltigkeitsgrenzen binden und den Beifang deutlich reduzieren soll. Der erzielte Kompromiss muss allerdings noch von den Mit gliedstaaten und vom EU-Parlament abgesegnet werden, damit das Gesetzespaket Anfang 2014 in Kraft treten kann.
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Die Mehrheit der Speisefischbestände in den europäischen Meeren ist überfischt oder kurz davor. Eine grundlegende Umgestaltung der EU-Fischereipolitik ist längst überfällig.
Am 30 Mai 2013 haben sich die verschiedenen EU-Staaten dieser Herausforderung gestellt und einigten sich nach zähen Verhandlungen auf das Herzstück zur Reform der Gemeinsamen Fischereipolitik in Europa.
Ku r z i n fo z u r E U - F i s c h e r e i p oli t i k
Wer in Europa nicht nur mit der Angel, sondern mit einem Kutter im großen Maßstab fischen will, kommt um die sogenannte Gemeinsame EU-Fischereipolitik nicht herum. Unter dem Dach Europas regelt sie, wer wann wo wie viel fangen darf.
Die bisherige Fischereipolitik gilt als gescheitert – sie hatte sich bisher vor allem an den Interessen der Industrie orientiert und die Belange des Meeresschutzes vernachlässigt. Die Folge: schwindende Fischbestände durch überfischung, hohen Beifang und Fangquoten, umstrittene Fördergelder für
die Grossindustrie – all dies zu Lasten der Meeresumwelt und der kleinen, nachhaltigen Fischer.
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Thilo Maack, Meeresexperte von Greenpeace Deutschland, äussert sich wie folgt über die neue Vernehmlassung der EU-Fischereireform: «Immerhin hat man sich in Brüssel endlich geeinigt, wie sich die europäischen Fischbestände wieder erholen sollen. Angsichts der massiven überfischung hätten wir uns dennoch strengere Fischereiregeln für Europa gewünscht. Von den ehrgeizigen Parlamentsplänen ist bei diesem Kompromiss leider nicht viel übrig geblieben: Beifang darf weiter auf See entsorgt werden und auch mit dem Aufbau der Fischbestände will man sich länger Zeit lassen, als es nötig wäre. Immer noch ist die Mehrzahl der Speisefischbestände in europäischen Gewässern überfischt oder steht kurz davor. Jetzt kommt es darauf an, wie die EU-Mitgliedsländer die neuen Fischereiregeln umsetzen und Verstöße konsequent verfolgen.»
Ü b E r f i s c h u n g
«Das offene Meer verbirgt enorme Quellen an unerforschten Reichtümern.
Zudem hat es keine eigentlichen Besitzer. Dies ist ein besonderer Zustand und bedeutet eine
multilaterale Herausforderung.» D e l p h i n e b a th o , e h e m a l i g e um w e l t m i n i s te r i n d e r f ra n z ö s i s c h e n r e g i e r u n g ,
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Das Bienensterben ist längst in aller Munde. Dass auch jun-ge Austern auf dramatische Weise dahingeraff t werden, ist weniger bekannt. B etroffen ist vor allem Frankreichs Aus -ternproduktion – die vier t-grösste der Welt nach China, Japan und Südkorea. Seit 2008 herrscht Alarmstimmung.
Im April begann ein Massensterben unter den Jungtieren – zuerst in den Lagunen am Mittelmeer, dann an der Atlantikküste. Etwa 40 bis 80 Prozent aller unter einem Jahr alten Tiere raffte die Todeswelle dahin, in manchen Gebieten sogar alle. Jeden Sommer sterben seither junge Austern, welche die Zuchtbasis für die nächsten Jahre bilden sollten, fast vollständig weg. Die Folgen sind ökologisch wie ökonomisch gravierend. Von den 4800 Betrieben mit ihren 15 000 Mitarbeitern, meist Familienunternehmen, ist bereits jeder vierte in seiner Existenz bedroht. fo r ts e t z u n g s . 4 8
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Noch können die Grosshändler die Lücken mit Importen aus Asien schliessen. Das mag die Gourmets trösten, nicht aber die Züchter. Und falls auch die wilden Austern sterben, droht eine Umweltkatastrophe, denn die Mollusken sind nicht nur ein wichtiges Glied in der Nahrungskette, sondern reinigen durch ständiges Filtrieren auch das Meerwasser.
Da s S om m e r s t e r b e nDas Phänomen des Sommersterbens ist nicht neu: Austern verfügen über keine Antikörper, man kann sie nicht impfen oder heilen, sondern nur warten, bis die Infektionen abklingen – oder eben nicht. Dieser Worst Case ist in der französischen Austernwirtschaft schon zweimal eingetreten, das erste Mal Anfang des 20. Jahrhunderts. Ostrea edulis heisst die europäische Ursprungsauster, die schon im alten Rom verspeist wurde. Ihre Bestände wurden vor gut hundert Jahren durch den BonamiaostreaeParasiten dezimiert. Heute findet man sie noch in typischen Austerndörfern, in Frankreich als huître plate, in England als flat oyster. Nach dem Niedergang der Ostrea edulis wurde verstärkt die portugiesische Sorte Crassostrea angulata gezüchtet. Doch ein Virus in Frankreich rottete diese zwischen 1970 und 1972 aus. Also wurde sie durch die pazifische Sorte Crassostrea gigas ersetzt, die heute über 98 Prozent des Markts ausmacht – und nun ebenfalls gefährdet ist.
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Die Hauptursachen des neusten Massensterbens sind die miteinander verwandten Bakterien Vibrio splendidus und Vibrio aesturianus, in erster Linie aber eine aggressive Art eines Herpes
virus. «Das grosse Problem, dem wir uns stellen müssen, ist ein neuer Erreger. Es ist ein Abkömmling des alten Bekannten OsHV1, wir haben ihn OsHV1 Microvariant getauft», berichtet die Biologin Nathalie Cochennec von Ifremer, dem französischen Forschungsinstitut für Meeresnutzung. In jeder zweiten Probe von Austerngewebe aus dem Jahr 2008 konnten die Wissenschaftler den Erreger nachweisen. Im Jahr 2009 fand er sich bereits in 96 Prozent der Proben, meist gemeinsam mit den beiden VibrioBakterienarten.
Warum die jungen Austern von Viren getötet werden, mit denen sie sonst problemlos zusammenleben, ist unklar. Der französische Meeresbiologe JeanFranÇois Samain sieht den Grund im Klimawandel: «Die steigende Wassertemperatur stimuliert die Auster zur Reproduktion. Sie konzentriert ihre Energie darauf, Keimzellen zu produzieren, und wird dadurch geschwächt.» Zudem schliessen Experten nicht aus, dass weitere Faktoren wie Umweltgifte aus der Landwirtschaft oder Toxine aus Algen eine Rolle spielen. Die US-Forscher vermuten, dass auch übersäuerte Meere zum Sterben beitragen.
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Hoffnungsvoll stimmt, dass einige Austern resistent sind gegen den neuen Erreger. Gelänge es, diese widerstandsfähigen Tiere zu identifizieren und zu züchten, könnten sie die Basis bilden für neue Bestände. Auf dieses Ziel arbeiten nicht nur das Ifremer, sondern auch die vier grössten Austernlarven züchter des Landes hin. Einer von ihnen, Frédéric Chenier, sammelt wilde Austern von den rausten Küsten der Bretagne. «Das sind die Kräftigsten. Daraus züchte ich einen Stamm, setze ihn den Erregern aus und mit den überlebenden setze ich die Zucht fort. Wenn alles klappt, sind sie 2015 auf dem Markt.»
D i e t i e f e r e Ur sac h e m u s s b e k ä m pf t w e r de n
Ob diese Strategie auf lange Sicht aufgeht, ist aber fraglich. Denn die tiefer liegenden Probleme – übersäuerung, Erwärmung und Verschmutzung der Ozeane – sind damit nicht gelöst.
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Magazin GreenpeaceNr. 3 — 2013 52
Vermutlich kennen alle Städter den Gedanken: Die Habe packen, der urbanen Betonwüste und den überfüllten Trams den Rücken kehren und in der ländlichen Weite ein Stück verlorene Freiheit wiederfinden. Meist bleibt es bei der Utopie. Nicht für Nicole Klein: Nach 19 Jahren in Paris begann die Tänzerin vor vier Jahren ein neues Leben als Biobäuerin in den französischen Voralpen.
Solo auf ungewohnter Bühne
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Magazin GreenpeaceNr. 3 — 2013 53
Kurz vor 22 Uhr. Eine Bilderbuchnacht ist über dem Vercors angebrochen, einem zerklüfteten Bergmassiv südlich von Grenoble. Hier in StRoman, am westlichen Ende des Vercors, steht Nicole Kleins Jurte. Wir sitzen in der Mitte auf Stoffballen und Matratzen um einen improvisierten Klubtisch: Nicoles Nachbarin Sandra, ihr Freund Florent, der soeben im Imkerumhang hereingeplatzt ist und ich. Derweil tischt Nicole Köstlichkeiten der fruchtbaren Umgebung auf: Feldsalat mit jungen Lindenblättern vom benachbarten Moor, dekoriert mit leuchtend violetten Borretschblüten. Dazu gibt es Bulgur, selbstgemachten Bärlauchpesto, Champignons, geraspelte Weissrüben, Brot und frischen Kuhmilchkäse aus dem Dorf. Wir essen, während Nicole, die kleine, gedrungene Frau mit frischem Teint, das Gesicht gesprenkelt mit blassen Laubflecken, von Zeit zu Zeit ein Holzscheit in den alten Emailofen schiebt. Es ist Anfang Mai und noch immer kühl. Als die Glühbirne über uns wegen eines Batterieproblems der Solaranlage kurz erlischt, leuchten die Sterne hell durch die transparente Folie im Dachspitz. Draussen das Quaken der Frösche vom Moor, das Rauschen der Drôme und vereinzelt der schrille Schrei einer Nachtigall. «Ein unglaubliches Zuhause, bei dem der Unterschied zwischen draussen und drinnen fast aufgehoben ist», hat Nicole ihr neues Heim vor unserem Treffen beschrieben.
K olle r nac h 3 2 Ja h r e n
G ro s s s ta dt
Das war in Paris anders: Dort hatte sie sich zuletzt eine 50QuadratmeterWohnung mit ihrem damaligen Partner und einem Freund geteilt. Das Einzige, was bis nach Mitternacht rauschte, war der Verkehr auf der viel befahrenen Strasse vor der Haustür. Und wenn einmal nächtlicher Gesang zu hören war, kam er von ein paar johlenden Betrunkenen auf dem Heimweg. Mit 13 war Nicole ihrer Mutter von Chicago, ihrem Geburtsort, nach Paris gefolgt. 19 Jahre war das französische Zentrum für Kommerz, Kunst
und Politik ihr Zuhause. Ein Ort, an dem man einen Grossteil seines Tages im fahlen Kunstlicht von Metroschächten verbringt und wie ein dribbelnder Fussballer stets darauf bedacht ist, den Mitmenschen möglichst elegant auszuweichen. Ein Ort auch, an dem den Menschen unsichtbare Scheuklappen wachsen, damit sie nicht vom unaufhörlichen Strom der Eindrücke überwältigt werden. Der Alltagswahn des Grossstadtlebens, der für die Hälfte der Menschheit zur Normalität geworden ist, hat Nicole fertig gemacht: «Ich habe die Gewalt der Stadt irgendwann nicht mehr ausgehalten. Damit meine ich nicht die Verbrecherstatistiken, sondern die zwischenmenschliche Kälte und die gegenseitige Ignoranz. In der Stadt rennt jeder irgendetwas hinterher. Aber was will man genau, was ist das Ziel?»
Nicoles Interesse an biologisch produzierten Nahrungsmitteln erwachte in einem Bioladen in Montreuil in der Pariser Agglomeration. Dort arbeitete sie während ihres Tanzstudiums an der Ecole Nationale Supérieure des Beaux Arts de CergyPontoise. Später machte sie sich als TeilzeitBüroangestellte bei Greenpeace mit Themen wie Nahrungsmittelsouveränität und gentechnisch veränderten Organismen (GVO) vertraut. 2006 folgte sie ihrem damaligen Freund für ein Kunststipendium nach Benin und nahm jede Menge DVDs zu Umweltthemen mit. In missionarischem Eifer versuchte sie die Kleinbauern über die Gefahren von GVO, Kunstdüngern, Pestiziden und der Abhängigkeit von global agierenden Agrochemiekonzernen aufzuklären. «Ich predigte eine biologische Landwirtschaft, von der ich keine Ahnung hatte», gesteht sie heute. Doch Benin war ein Wendepunkt: «Ich realisierte plötzlich, wie stark ich mich im Alltag von meiner natürlichen Umwelt entfernt hatte und dass die Subsistenzlandwirtschaft – ein Leben mit und von der Natur – für die meisten Menschen dieser Erde Normalität ist. Mein urbaner Lebensstil war die Ausnahme, nicht ihrer.» Nicole wollte sich diesen Menschen fortan verbunden fühlen. Nicht in Afrika, wo sie komplett andere Voraussetzungen gehabt hätte als alle anderen Kleinbauern, sondern bei sich zuhause in Frankreich.
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K le i n bäu e r lic h- w e lt bü rg e r lic h e r
Hy b r i d
Die Nacht in Nicoles Jurte war erholsam. Geschlafen haben wir auf den Matratzen, auf denen wir zuvor gegessen hatten. Geweckt hat uns das Krähen eines Hahns. Nicole holt aus dem rudimentär gebauten Hühnergehege neben der Jurte ein paar Eier, die wir am Mittag essen werden. Sonst gibt der «Hof» noch nicht viel her. Hier in StRoman bewirtschaftet Nicole lediglich eine kleine Baumschule mit Pfir sichen, Zwetschgen, Mispeln, Vogelbeeren und Quitten. Das reicht nicht weit. Obschon die Bodenluken ihrer Jurte mit Eingemachtem vom letzten Sommer gefüllt sind, braucht sie für den Speiseplan Waren etablierter Biobauern auf dem Markt. Sie hätte sich an der grösseren Landparzelle ihrer Nachbarin Sandra beteiligen können. Doch Nicole hat sich in ein anderes Stück Land verguckt, in Trièves, wo ihr Freund zuhause ist und wohin sie ihre Jurte bald zügeln wird. Sie will mir den neuen Standort
und den dortigen Gemeinschaftsgarten später zeigen. Vorher wolle sie noch rasch ihre E-Mails checken. Surfen in der Jurte? Ja, ein Leben ohne Internet könne sie sich nur schwer vorstellen. Nicole bestellt über Webshops, nimmt Anmeldungen für Tanzkurse entgegen und kommuniziert mit den Schwestern in den USA. Dafür hat sie von Sandras Haus ein Kabel in die Jurte gezogen. Die Verbindung ist nicht schlecht. «Weisst du, ich bin weder technikfeindlich noch will ich mich von der Welt abkoppeln.» Ihr Vater in Chicago frage manchmal, ob das hier «so ein NeoHippieDing» sei. «Nein, ist es nicht!» In Nicoles Lebensentwurf sind Selbstversorgung, die Anpassung an die natürlichen Zyklen und die Entbehrung von häuslichem Komfort kein Widerspruch zu Webshops und «Around the world»Flugtickets. Auf Flugreisen nach Kanada, Japan, USA und Indien will sie nämlich auch künftig nicht verzichten. «So weit geht meine Moral nicht.» Prinzipien ja, aber nur solange die eigene Entfaltung nicht eingeschränkt wird. Sind die «Néos», wie die Neuankömmlinge von den
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Magazin GreenpeaceNr. 3 — 2013 56
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«Autochtones», den Einheimischen, hier genannt werden, vielleicht eine Art Hybrid aus kleinbäuerlicher Genügsamkeit und weltbürgerlicher Lebensfreude? Die Radikalität und die Dogmen früherer Aussteigerbewegungen gehen ihnen jedenfalls ab. «Eigentlich bin ich Vegetarierin», erklärt Nicole. «Doch wenn sich jemand Mühe gibt und mir ein Stück Fleisch kocht, dann gewichte ich das höher.» Zuerst das Miteinander, dann die Prinzipien.
Nicole holt ihren alten Peugeot 306 und beklagt gleich die nächste ökologische Inkonsequenz: «In Paris war ich die meiste Zeit mit dem Fahrrad unterwegs. Hier sitze ich dauernd im Auto.» Zum Col de Grimone auf 1318 Metern Höhe windet sich eine Passstrasse durch steile, dicht bewaldete Schluchten. Aus historischen Felsengalerien öffnen sich erhabene Blicke in die Sturzbäche am Fuss des VercorsMassivs. Im Zweiten Weltkrieg waren die Felsen ein beliebtes Versteck der Résistance beim Kampf gegen die deutsche Besatzung. Heute stehen zehn Prozent des Naturparks Vercors unter Schutz: Die 170 Quadratkilometer sind das grösste Naturschutzgebiet Frankreichs. Knapp vor der Passhöhe hält Nicole abrupt. Auf einer Magerwiese hat sie Schlüsselblumen entdeckt. Aus ihnen wird sie zuhause eine «infusion» zubereiten, einen Kräutertee gegen Erkältung. Auf der anderen Strassenseite stehen Hagebuttensträucher. «Meine Lieblingsbeere», meint Nicole. Immer im Herbst kommt sie mit ihrem Freund zum Pflücken. Die Butten verarbeiten sie später zu Glace. Das Wissen über die Flora und ihre kulinarische Verarbeitung hat sie sich während der letzten sieben Jahre kontinuierlich erarbeitet. Nach ihrem Schlüsselerlebnis in Benin begann sie zu «wwoofen»: mit Einsätzen auf biologischen Landhöfen gegen Kost und Logis zu arbeiten. Später engagierte sie sich bei einem «Urban Farming»Projekt in Montreuil. Doch sosehr Nicole die immer zahlreicher werdenden «Urban Farming» und «Transition Town»Initiativen bis heute schätzt: Das Stadtgärtnern geht ihr zu wenig weit. «Ich fühlte mich nach wie vor als Teil einer Minderheit in einem Meer von Andersartigen.» Schliesslich begann sie im Städtchen Die, nicht weit von StRoman und ihrer Jurte entfernt, eine einjährige Ausbildung in biologischem Gemüseanbau. Die ist ein kleines
BioMekka – nirgends sonst in Frankreich gibt es mehr Biobauern als in der Region RhôneAlpes, zu der die beiden Departements Drôme und Isère gehören, welche das VercorsMassiv umfassen. Heute produzieren in Drôme über zehn und in Isère fünf Prozent der Bauern biologisch. Der französische Durchschnitt liegt bei 2,5 Prozent.
Nach dem überqueren der Passhöhe öffnet sich eine weite und fruchtbare Hochebene. Gelb leuchtende Rapsfelder grenzen an wilde Graslandschaften, dazwischen verlieren sich schmale Waldbänder entlang des Flusses Ebron und entlang den Rebbergen wird der Clairette herangezogen, ein prickelnder Süsswein, für den die Umgebung bekannt ist. «Die Umwelt hier gibt mir Kraft, sie lädt mich auf. Paris hingegen hat mich komplett ausgelaugt.» Oft habe sie sich erschöpft und nutzlos gefühlt – selbst wenn sie an Wochenenden durch ganz Frankreich raste, um an Diskussionen zu Er näh rungssouveränität und an Antiglobalisierungsprotesten teilzunehmen. Zwar findet sie die zivilgesellschaftlichen Bewegungen nach wie vor inspirierend. «Aber hier kann ich viel mehr bewegen.» Mir kommt Mahatma Gandhi in den Sinn und sein Credo: «Sei du selbst die Veränderung, die du dir wünschst für diese Welt.»
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Au to c h ton e s g e h e n
Wir fahren in Tréminis ein, wo Nicoles Freund Sylvain lebt: ein kleines, verschlafenes Dorf mit mehr Bienenkästen als Einwohnern. Die Luft ist getränkt von süssem Nektar. Eine Epicerie markiert so etwas wie ein Zentrum, einen anderen Treffpunkt gibt es nicht. Viele Dörfer im Gebiet des Vercors sind nahezu leer. Die Jungen ziehen mangels Job und Ausbildungsvielfalt in die Stadt – ein nationales Problem: Jedes Jahr gehen Frankreich 30 000 Bauern verloren. Heute existieren offiziell noch 770 000, sie machen rund drei Prozent der Bevölkerung aus. Die Bauern werden auch immer älter: Nur noch ein Drittel ist unter vierzig. Dafür kommen jetzt die Néos, junge Menschen wie Nicole und Sylvain, die ihrer guten Ausbildung und den Entfaltungs und Beschäftigungsmöglichkeiten
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der Grossstadt zum Trotz aufs Land ziehen. Zwei Drittel der 30 Teilnehmer in Nicoles Ausbildungskurs in Die kamen aus der Stadt und hatten keinen bäuerlichen Hintergrund. Wie viele Néos sich in den letzten Jahren in der Gegend um den Vercors niedergelassen haben, kann niemand genau sagen. Die Neulinge tauchen erst in den Statistiken auf, wenn sie über 12 Hektaren verfügen, also über 120 000 Quadratmeter Land, und damit als profes sionelle Bauern anerkannt werden.
G e s uc h t : G e s c h ä f t s mode ll f ü r
M i n i m a le i n k om m e n
Sylvain hat erst 120 Quadratmeter Land – hinter dem renovationsbedürftigen Postgebäude von Tréminis, wo er seit sieben Jahren lebt. Dort zieht er Salate, Radieschen, Brombeeren, Rhabarber, Zwiebeln, Kartoffeln und Äpfel. Zusammen mit dem Hühnergehege reiche das, um sich mit Gemüse, Früchten und Eiern zu versorgen, versichert er. Den restlichen Lebensunterhalt verdient Sylvain mit Bioglace. Mit einer staatlichen Anschubfinanzierung hat er sich dafür in einer früheren «Maison pour tous» eine kleine Produ ktionsstätte eingerichtet. Sein Geschäftsmodell steht, das von Nicole hingegen ist noch immer schwammig. Sie hatte vor unserem Treffen von einem Waldgarten mit Beeren und Früchten geschrieben, die sie zu Säften und Glace verarbeiten möchte. Doch das passende Land fehlt. «Ein regelmässiges Einkommen wäre langsam wieder eine gute Sache», sagt sie. Nach ihrer Flucht aus Paris hatte sie ein Jahr lang Anrecht auf Arbeitslosengeld. Ihr früherer Arbeitgeber unterstützte sie während der Umschulung für ein weiteres Jahr. Derzeit lebt sie vom Ersparten und dem bisschen, was ihr Tanz und AtemtechnikKurse von Zeit zu Zeit einbringen. «Mit 300 bis 400 Euro pro Monat geht das schon irgendwie.» Ihre aktuelle Geschäftsidee: eine Pilzzucht, deren Erträge sie auf den lokalen Märkten verkaufen will. Heute Morgen ist das Myzel dafür bei Sylvain eingetroffen: die fadenförmigen Pilz zellen, die sie über einen Webshop in den USA bestellt hat.
Der Staat investiert derzeit zwar viel Geld, um unter 40Jährige für den Beruf des Bauers und der Bäuerin zu begeistern. Doch für Subven tionen bräuchte Nicole zuerst einen ausformulierten Geschäftsplan und vor allem genügend Land. Letzteres macht ihr am meisten Sorgen, sei doch das Land hier genauso beschränkt und be gehrt wie anderswo in Europa. «Das ist eine Art geschlossenes, aristokratisches System.» Die Parzellen bleiben meist über Generationen in den Händen der ursprünglichen Besitzerfamilien. Diese sind bei der Landvergabe äusserst vorsichtig, weil das französische Gesetz einen guten Pächterschutz bietet. Ist ein Pachtvertrag erst einmal unterschrieben, kann er von den Verpächtern während der regulären Laufzeit von neun Jahren nur noch in Ausnahmefällen gekündigt werden. Auch Nicole und Sylvain mit ihren drei Freundinnen und Freunden vom Gemeinschaftsgarten in Prébois verhandeln zurzeit mit Bauern und Landeigentümern aus der Umgebung. Ihr Ziel: vier Hektaren. Das wären drei mehr, als sie aktuell besitzen, und würde vorerst zur Selbstversorgung und für ein ausreichendes Einkommen auf dem Markt reichen, glauben sie. In zwei Tagen werden sie sich zu weiteren Gesprächen mit Landbesitzern treffen. Ob ich sie begleiten dürfe, frage ich Nicole. «Nein, dafür steht zu viel auf dem Spiel.»
Die Autochtones stehen den Plänen der Néos skeptisch gegenüber. Sie wollen nicht «so ein HippieDing» und sich zuerst vergewissern, dass es die Néos ernst meinen mit dem Bauern. «Die Jungen heute ändern ihre Pläne ja andauernd», musste sich Nicole von ihren Nachbarinnen mehr als einmal anhören. Sowieso entsprechen die Bauern nicht ganz dem Bild, das sich Nicole in Paris von ihnen gemacht hatte: Freiheitsliebend und revolutionär sollten sie sein. «In Wahrheit sind die meisten sehr konservativ und arrangieren sich mit den Vorgaben aus Paris», sagt sie heute. So zum Beispiel bei der «loi COV», die Ende 2011 verabschiedet wurde: Sie beschränkt die Weizenaussaat auf 22 Sorten und wer eigene Samen aufbewahrt, wird zu Zahlungen an Saatguthersteller verpflichtet. «Der Aufschrei der Bauern in Drôme und Isère blieb aus. Das finde ich beängstigend.»
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Magazin Greenpeacenr. 3 — 2013 59
«Né oru r au x» vs. «M e t ro, b ou l ot, d od o»
Im 1979 erschienenen Werk «Le retour à la nature: au fond de la forêt» beschreiben die Soziologen Bertrand Hervieu und Danièle HervieuLeger stadtmüde Junge auf der Suche nach neuen Formen der Arbeit, des Konsums, der Gemeinschaft und der Landwirtschaft. Solche «Néoruraux» (abgekürzt Néos) fanden sie vor allem in einst ertragreichen Landwirtschaftsregionen, nun entleert, wo kleine Steinruinen mit wenig Hektaren Land für unter 10 000 Francs zu kaufen waren. Charakteristiken der Néos waren laut den Wissenschaftlern der Wille zur Isolierung und zur Abkehr von allen «Pervertierungen»
der Grossstadt, die Sehnsucht nach einer intakten Natur und nach einem Leben in Einklang mit dieser und die Rückkehr ins Dorf, wo man sich kennt und Solidarität gelebt wird.
Seither wird der Begriff «Néoruraux» in Literatur und Alltag vielfältig verwendet. Einer Studie des Instituts Ipsos von 2003 zufolge sind 4,2 Prozent der französischen Bevölkerung über 15 Jahren Néos, also rund zwei Millionen Bürger. Dazu zählen jedoch sämtliche aufs Land Gezogenen aus Städten und Agglomerationen, unabhängig von Beruf und Arbeitsort. Nur 14 Prozent dieser Gruppe interessieren sich
noch für die Erneuerung und Entwicklung der ländlichen Umgebung. Solche Néos des 21. Jahrhunderts sind nicht mehr mit den poli tisierten und utopischen von HervieuLeger vergleichbar.
Tra u m h a f te r b l i c k i n s Ta l d e r r e g i o n Tr i è v e s u n d a u f d i e f ra n z ö s i s c h e n Al p e n : h i e r b a u t ni c o l e i h re n e u e E x i s te n z a u f. s i e l e b t v o n d e r fr u c h t b a r k e i t d e s b o d e n s u n d i m E i n k l a n g m i t d e n n a t ü r l i c h e n zy k l e n .
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Magazin Greenpeacenr. 3 — 2013 60
Zw i s c h e n Ja r di n du M a rg a rou
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Von Tréminis aus fahren wir weiter zum Gemeinschaftsgarten im nahen Prébois. Ein handgemaltes Schild bezeichnet die Abzweigung auf einen Landweg zum Jardin du Margarou, einem Grundstück von 8000 Quadratmetern mit zwei grossen Treibhäusern und zwei Äckern. In den Treibhäusern wachsen Basilikum, über 20 Sorten Tomaten, Spinat, Paprika, Salat und Melisse. Nicoles Kolleginnen Faith und Calou sind gerade dabei, die Setzlinge in einen Transporter zu verladen. Morgen werden sie auf einem Biomarkt im benachbarten Mens verkauft. Die Äcker sind noch karg. Nicole hat im April einige Pfi rsich und Pfl aumenbäume gesetzt. Nun inspiziert sie Blätter und Knospen und spricht zärtlich mit den jungen Gewächsen, wie zuvor mit den Setzlingen auf Sylvains Fenstersims. Viele der Bäume sind krank, stellt sie fest: von einem Pilz befallen. Vielleicht eine schlechte Sorte, vielleicht liegt es auch einfach am lehmigen Boden. Der macht den Gärtnern Sorgen: Den Grundsätzen der Agrarökologie folgend, wollten sie ihn erst nicht pfl ügen, um die Bodenmikrobiologie zu erhalten. Doch das funktioniert hier nicht, hat die Natur sie gelehrt. Die MargarouGärtner mussten sich bei einem konventionellen Bauern einen Pfl ug borgen.
Nicole gesellt sich zu ihren Freundinnen zum Schwatz vor dem alten Wohnwagen, der als Saatgutlager und als Küche zum Kaff eekochen dient. Die Atmosphäre ist freundschaftlich, entspannt und hemdsärmlig. Faith ist Engländerin, lebt aber schon seit vielen Jahren in den französischen Voralpen. Ihre Arme sind kräftig und von der Sonne gegerbt. Sie steckt sich eine selbstgedrehte Zigarette in den Mund. Zwischen den Zügen beisst sie in ein Stück Baguette, Schinken oder Schokolade. Zum ersten Mal habe ich das Gefühl, in Nicole die Pariserin zu erkennen. Ihr Faserpelz ist zwar verfl eckt und die Schuhe sind zerschlissen, genauso wie bei den anderen. Aber ihre Hände sind noch nicht so dunkel und schrundig wie die von Faith und Calou. Auch wirkt ihr Lachen weniger ausgelassen und unbekümmert – als wäre sie nach wie vor ein wenig gefangen zwischen ihrer alten Identität als Pariser Künstlerin und der neuen
als Biolandwirtin. «Ich weiss, ich bin anders», hat sie selbst gesagt. Die Vergangen heit lässt sich nicht einfach abschütteln. Ihr Denken ist geprägt von Jahren der genauen Betrachtung und der Auseinandersetzung mit Ästhetik. Dabei hat sie ein feines Gespür für das Transzendentale entwickelt, fürs das, was hinter den Dingen steckt. Doch ihr Vorschlag, die kommende Ernte in ein Freilufttheater zu verpacken, wurde von den anderen abgeschmettert. Und manchmal vermisst Nicole das kulturelle Durcheinander von Paris. In den wenigen Bistros in Isère triff t man selten auf einen Marokkaner, eine Filipina oder einen Musiker aus der Côte d’Ivoire. Denkt sie manchmal an Rückkehr? «Nein, im Moment kann ich mir nichts anderes vorstellen. Aber nichts ist endgültig.»
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61Magazin Greenpeacenr. 3 — 2013
l A n D w i r T s c h A f T
K om m e n ta r G r e e n pe ac e
«Einkaufen ist ein politischer Akt. Bei jedem Griff ins Lebensmittelgestell entscheiden wir, welche Landwirtschaft wir in Zukunft haben wollen. Es sind aber auch die politischen Rahmenbedingungen, die zulassen, ob Gemüse, Obst oder Getreide mit Umweltgiften angebaut werden dürfen oder ob die Lebensmittelproduktion die natürliche Vielfalt auf den Ackerfl ächen respektiert und schont. Die Politik reagiert erst, wenn die Gesellschaft als ganze – also ich im Coop, du in der Migros und andere im Quartierladen – Lebensmittel aus biologischer Produktion nachfragen. Erst der Druck der Konsumenten sowie das Engagement von Umweltorganisationen und anderen Akteuren bringt die Entscheidungsträger zum Handeln.»Marianne Künzle, Landwirtschaftscam-paignerin, Greenpeace Schweiz
Au s r ic h t u n g de r G r e e n pe ac e
L a n dw i rt s c h a f t s k a m pag e
Greenpeace setzt sich weltweit für eine moderne, ökologische Landwirtschaft ein, die sich an den natürlichen Kreisläufen und Ressourcen ausrichtet und Lebensmittel ohne Gentechnik und Schadstoff e erzeugt.
Mehr Erträge und die Rationalisierung der Produktionsabläufe waren bislang die zentralen Herausforderungen der Landwirtschaft weltweit. Doch heute wissen wir: Mit der industrialisierten Landwirtschaft sind durch den Einsatz von Kunstdünger, Pestiziden, ineffi zientem Wasserverbrauch und GentechPfl anzen viele Probleme für Mensch, Tier und Umwelt entstanden.
Um den Herausforderungen der Zukunft gewachsen zu sein, bedarf es eines radikalen und systematischen Wandels in der landwirtschaftlichen Forschung, Bildung und Praxis. Die Verfügbarkeit von Lebensmitteln und deren Produktion vor Ort sind die besten Garanten für eine lokale Ernährungssicherheit, die auf kleinbäuerlichen Strukturen aufb aut. Die Multifunktionalität der Landwirtschaft mit ihren ökologischen und sozialen Leistungen muss weltweit anerkannt und gezielt gefördert werden.
«Ich habe vor, eine umweltfreundlichere Landwirtschaft zu fördern, die den Erwartungen
der Gesellschaft besser entspricht.»s té p h a n e l e fo l l , fra n z ö s i s c h e r l a n d w i r ts c h a f ts m i n i s te r
62Magazin GreenpeaceNr. 3 — 2013
holzlabel FSC schliesst Danzer Group aus
Greenpeace begrüsst den Entscheid des holzla-bels FSC, sich von der in Baar ZG ansässigen Dan-zer Group zu trennen. Er erfolgt rund 18 Monate nachdem Greenpeace bei FSC International eine Klage gegen die Danzer Group wegen Beteili-gung der damaligen tochtergesellschaft Siforco an Gewalttaten von Militär und Sicherheitskräften gegen Dorfbewohner der Waldgemeinde yalisika im norden der Demokratischen Republik Kongo eingereicht hatte. In Deutschland reichten die Menschenrechtsorganisationen ECChR und Glo-bal Witness wegen dieses Vorfalls, der sich im Mai 2011 ereignet hatte, vor rund einem Monat eine Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft tübingen gegen einen leitenden Mitarbeiter und deutschen Staatsangehörigen der Danzer Group ein.Mit seinem Entscheid beweist das holzlabel FSC, dass seine «Policy for association» (ethische Richtlinien für FSC-zertifizierte Firmen) nicht bloss auf dem Papier besteht und dass FSC nicht mit Un-ternehmen in Verbindung gebracht werden will, die in schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen verwickelt sind. Der Fall zeigt auch, dass FSC drin-gend Sicherheitsvorkehrungen für die holzzerti-fizierung in hochrisikogebieten einführen muss. hochrisikogebiete zeichnen sich durch ein hohes Mass an Korruption, fehlende Rechtssicherheit und -umsetzung sowie durch eine schwache und unterdrückte Zivilgesellschaft aus.Schweizer Unternehmen geraten bei ihren akti-vitäten im ausland immer wieder mit Menschen-rechten und Umweltstandards in Konflikt. Green-peace Schweiz unterstützt deshalb die Kampagne «Recht ohne Grenzen», die von Bundesrat und Parlament zwingende ökologische und soziale Be-stimmungen sowie Unternehmens verantwortung für global operierende Firmen mit Sitz in der Schweiz einfordert.
Monsanto zieht sich aus Europa zurück
Monsanto wird in Europa die Produktion von gen-technisch verändertem Mais einstellen — ausser in Spanien, Portugal und tschechien. Der agrokonzern bestätigte gegenüber dänischen Medien, dass er keine weiteren Investitionen in Versuche, Entwick-lung und Vermarktung von gentechnisch verän-derten Pflanzen tätigen werde. «Wir werden keine weiteren Gelder dafür einsetzen, landwirte zu über-zeugen, unsere gentechnisch veränderten Pflanzen anzubauen», sagte der für Europa verantwortliche PR-leiter von Monsanto. nur gerade auf einem Prozent der Mais-anbaufläche in Europa wird heu-te gentechnisch veränderter Mais angepflanzt. Der Rückzug erfolgt stillschweigend. Zuvor hatten be-reits BaSF, Bayer und Syngenta ihre Gentechspar-ten aus Europa abgezogen. Die ankündigung von Monsanto ist zwar sehr erfreulich und darf als Erfolg der gentechnikkritischen Bewegung verbucht wer-den. Was genau dies aber für die Zukunft bedeutet, bleibt unklar. Voraussichtlich wird die EU demnächst über die Zulassung des Gentechmais SmartStax befinden. Diese Maissorte, entwickelt von Monsanto und Dow agroSciences, produziert sechs verschie-dene Insektengifte und ist gegen zwei Unkrautver-nichtungsmittel resistent. obwohl die Dossiers der Industrie Mängel aufwiesen, wurde der Mais in einer ersten Begutachtung von der EFSa positiv bewertet. Das Institut testbiotech fordert nun in einer E-Mail-aktion an die zuständigen Behörden die neube-wertung von SmartStax und wirksame Masnahmen gegen den Import. Denn es wird vermutet, dass die-ser Mais bereits heute in Europa unkontrolliert ein-geführt wird, da verlässliche testverfahren fehlen. Quelle: SaG
Sauberer Strom ohne Kohle
Kohlekraftwerke sind die dreckigste und ineffi-zienteste Methode, Strom zu produzieren. In der Schweiz wären Kohlekraftwerke undenkbar. Das Bündner Stromunternehmen Repower plant je-doch in Saline Joniche in Kalabrien ein riesiges Kohlekraftwerk. Dieses Kraftwerk würde jedes Jahr sechsmal so viel Co2 ausstossen wie alle haushalte im Kanton Graubünden zusammen. neue Kohlekraftwerke verhindern die Ener-giewende und zementieren die fossil geprägte
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Stromversorgung in Italien auf Jahrzehnte hinaus — auch zu unserem Klimaschaden. In Kalabrien wehren sich Bevölkerung und Politik gegen das Kohlekraftwerk. auch in Graubünden stösst die Investition der Repower, die mehrheit-lich dem Kanton Graubünden gehört, auf Wider-stand. am 22. September können die Bündner und Bündnerinnen die Weichen Richtung Ener-giewende stellen. Mit einem Ja zur kantonalen Ini-tiative «Sauberer Strom ohne Kohlekraft» ist es für Unternehmen mit Beteiligung des Kantons nicht mehr erlaubt, in Kohlekraftwerke zu investieren.Die Chancen für den Werkplatz Graubünden lie-gen nicht in Investitionen in eine technisch total veralteten technologie, wie sie Kohlekraftwer-ke darstellen. Zu den wachsenden Märkten der nächsten Jahrzehnte gehören Effizienz und er-neuerbare Energien. Diese gilt es mit sinnvollen Investitionen zu nutzen. Dazu braucht es auch das wichtigste Bündner Stromunternehmen, die Repower. Genau das verlangt die Initiative «Ja zu sauberem Strom ohne Kohlekraft».
Gesundheitliche Folgen der Kohleverstromung
Eine von Greenpeace veröffentlichte Studie hat die gesundheitlichen Folgen der Kohleverstromung in Europa untersucht. Sie kommt zum Ergebnis, dass die luftverschmutzung durch die 300 gröss-ten europäischen Kohlekraftwerke das leben der Europäer allein im Jahr 2010 um insgesamt 240 000 Jahre verkürzt hat. Das entspricht umge-rechnet 22 000 vorzeitigen todesfällen.Die Studie errechnete zudem die möglichen Fol-gen der 50 neu geplanten Kohlekraftwerke in Eu-ropa: Sollten alle ans netz gehen, würden sie uns weitere 31 000 lebensjahre oder 2700 vorzeitige todesfälle kosten. Die Schweiz ist mitgefangen: Sie bleibt von den gesundheitlichen Folgen nicht verschont und investiert trotzdem in neue Koh-lekraftwerke, beispielsweise in lünen und Wil-helmshaven.«Kohlekraftwerke sind stille Killer. Ihre giftigen Emissionen verursachen bei Menschen in Europa atemwegserkrankungen, herzinfarkte, lungen-krebs, asthmaanfälle und andere Gesundheits-schäden», sagt lauri Myllyvirta, Energieexperte bei Greenpeace International. Greenpeace for-dert den ausstieg aus der Kohlekraft und verbind-liche europaweite Vorgaben für den ausbau der erneuerbaren Energien bis zum Jahr 2030.www.stromohnekohle.ch
Schüler in Ebnat-Kappel hell begeistert
von Solarenergie
Das bisher grösste Jugendsolarprojekt von Green-peace Schweiz hat Mitte Mai in Ebnat-Kappel SG stattgefunden. Rund 140 Schüler und 20 lehrer der oberstufe Wier befassten sich eine Woche lang mit dem thema «Erneuerbare Energien» und betätigten sich als Solarmacher.höhepunkt der Projektwoche im toggenburg war der Bau einer Solaranlage auf dem Dach der Firma alder & Eisenhut. «hoffentlich werde ich sie noch meinen Kindern zeigen können», sag-te ein 14-jähriger Schüler. laut dem Greenpeace Schweiz Solarexperten Georg Klingler zeigt Eb-nat-Kappel eindrücklich, «dass wir nicht auf den Bund warten müssen, um die Energiewende zu vollziehen». Während der Projektwoche haben die Schüler zum Beispiel das grosse Solarpotenzial der Gemeinde erfasst und mit einer Solarküche gekocht. «Ein solches Jugendkraftwerk stimmt mich zuversichtlich, dass die Zukunft erneuerbar ist», fügte Klingler hinzu.Die Projektwoche wurde von Jugendsolar by Greenpeace zusammen mit dem Förderverein Energietal toggenburg organisiert. Projektleite-rin Christiane Pietsch war begeistert: «Wir hatten alle hände voll zu tun, aber es ist unglaublich, wie sehr sich Schule, Gewerbe und alle Partner enga-gierten.»
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64Magazin Greenpeacenr. 3 — 2013
aKW: Dringender handlungsbedarf
Bundesrat und Parlament haben sich 2011 für den schrittweisen atomausstieg ausgesprochen. Weder Bundesrat noch Parlament haben jedoch bislang ver bindliche laufzeiten für die laufenden atomkraftwerke beschlossen und berufen sich auf den Grundsatz: «Ein atomkraftwerk wird weiterbetrieben, solange es sicher ist.» Dem will die Petition «40 Jahre sind genug» einen Riegel schieben, und zwar aus folgenden hauptgründen:
• In keinem anderen land weltweit bleiben Reaktoren so lange am netz wie in der Schweiz.
• nachbesserungen lohnen sich nicht und werden durch die alterung der anlagen zunichte gemacht.
• Erneuerbare Energien und Stromeffizienz können den atomstrom problemlos ersetzen
Wichtig! Sammelfrist bis 30. September! Unterschreiben Sie den Petitionsbogen heute noch und lassen Sie auch Ihre FreundInnen/Familie mit unterzeichnen. Sie könnten auch online unterschreiben auf www.greenpeace.ch/40
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65Magazin Greenpeacenr. 3 — 2013
Bilanz
Jahresbericht 2012 ist online
Der multimediale Jahresbericht 2012 von Greenpeace ist online und zeigt auch dieses Jahr bewegende Bilder und Videos von Kampagnen und weltweiten Aktionen. Shell unterbrach die Bohrpläne in der Arktis, Textilfirmen verabschiedeten sich von umweltschädlichen Giften und in der Schweiz lancierten GreenpeaceFreiwillige eine Kampagne zum Schutz der Bienen, die mittlerweile europäische Wellen schlägt. Die Zahlen sind ebenfalls positiv: Das Spendenvolumen konnte auf CHF 25,4 Mio. erhöht werden und die Zahl der UnterstützerInnen ist ebenfalls leicht gestiegen.onlineversion: www.greenpeace.ch/jahresbericht
Greenpeace
Greenpeace Senegal goes solar!
Anfang Juni installierten GreenpeaceMitarbeiter und freiwillige Helfer ein Solarpanel auf dem Dach des GreenpeaceBüros in Dakar. Es soll ein Zeichen sein, dass umweltfreundliche Energie auch in Afrika günstig produziert und für jeden Zweck verwendet werden kann.
Solarenergie
Kataster für Gemeinden
Das Solarkataster für Gemeinden ist ein Sensibilisierungsprogramm für Jugendliche und die lokale Bevölkerung zum Thema Solar energie. Das Projekt wird vom Büro «Weichen stellen» und von Jugendsolar by Greenpeace gemeinsam angeboten.
Das Projekt basiert auf dem persönlichen Kontakt der Jugendlichen mit den Hausbesitzern der Gemeinde. Ausgerüstet mit Messband und einer eigens entwickelte webbasierten Applikation gehen die Jugendlichen von Haus zu Haus und vermessen die Dachflächen. Das erfasste Potenzial wird auf einer Karte eingetragen, die zu jedem Dach Informationen liefert über Fläche, Neigung, Dachtyp und den potenziellen Energieertrag.
Parallel zur Erfassung des Potenzials montieren die Jugendlichen unter der Leitung von Jugend solar by Greenpeace eine Solaranlage irgendwo in der Region. Am Ende einer Projektwoche organisiert die Projektleitung mit der Gemeinde und lokalen Solarfirmen eine Informationsveranstaltung. Dort erhält die Bevölkerung Einblick in die Arbeit der Projektwoche und lernt das Nutzungspotenzial des eigenen Dachs kennen. Hausbesitzer, Investoren und Solarfachleute kommen miteinander ins Gespräch.Kontakt und weitere Informationen:Büro Weichen stellen leiter Solarprojekt Emmental lukas Friedli [email protected] by Greenpeace leiter Jugendsolar Retze Koen [email protected]
Bienen-Film
«More than Honey» für 20 000 Kinder
über ein Drittel unserer Lebensmittel entstehen mit Hilfe der Bienen, doch diese sterben massenweise. «More than Honey», der erfolgreichste Schweizer Dokumentarfilm aller Zeiten, widmet sich den gefährdeten Tieren und gelangt nun in 900 Schweizer Schulen. Auf anschauliche Weise hilft der Film, das Wissen der Lernenden zu erweitern.
Im Rahmen einer Schulaktion hat «Filme für die Erde» mit schulbesuch.ch by Greenpeace Schweiz und der Fachhochschule Nordwestschweiz 900 GratisDVDs von «More than Honey» für Schweizer Schulen bereitgestellt. Ein Grosserfolg: Im Sekundentakt gingen Bestellungen aus der ganzen Schweiz ein und fast täglich organisiert schulbesuch.ch neue Termine für BienenSchulbesuche.
Kai Pulfer, Leiter «Filme für die Erde»: «Das Thema des Bienensterbens zeigt, dass der Mensch an seinem eigenen Ast sägt. «Filme für die Erde» ist begeistert, dass Schweizer Lehrkräfte der kommenden Generation das Wissen für ihre Zukunft mitgeben und auf ihre Fragen reagieren.»Interessierte mit pädagogischem hintergrund melden sich bitte bei Schulbesuch.ch oder unter 044 447 41 29.
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66Magazin GreenpeaceNr. 3 — 2013
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Energieweg SonneDie Energieregion Emmental und Jugendsolar by Greenpeace haben den «Energieweg Sonne» ins Leben gerufen. Mit diesem neuen Angebot will man der Bevölkerung das breite Spektrum der Solarstromnutzung vorstellen und die Diskussion ankurbeln. Neun verschiedene Anlagen gibt es auf der 40 Kilometer langen Strecke von Burgdorf über Sumiswald nach Langnau zu entdecken – am bequemsten per Elektrobike.Routenplan und Beschreibung der Solaranlagen finden sich unter www.energieweg-sonne.ch. Das Informationsfaltblatt ist unter www.energieregion-emmental.ch erhältlich. hier lassen sich auch Führungen bei der Energieregion Emmental organisieren
Eigeninitiative
Alternativstrom für Favelas in Rio de
JaneiroIn Brasilien haben Jugendliche aus der Favela Vila Isabel mit einem Team von GreenpeaceFreiwilligen ein Community Center und die angeschlossene Fussballhalle mit Solarpanels ausgestattet. So können die Jugendlichen auch abends spielen und trainieren. Es ist der Traum vieler Kinder in den Favelas, eines Tages den grossen Sprung zum Profifussballer zu schaffen, wofür es prominente Beispiele gibt. Ziel des Projekts ist es, Jugendliche aus der Favela bei der Installation zu beteiligen und ihnen bessere Berufsperspektiven zu eröffnen. Zudem soll die Öffentlichkeit für alternative Energiethemen sensibilisiert werden.
Filmtipp
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350 000 Tonnen hochradioaktive Atomabfälle müssen für Tausende von Jahren an einem sicheren, für Mensch und Umwelt gefahrlosen Ort endgelagert werden.
Der Regisseur begleitet den Physiker Charles McCombie auf der Suche nach dem «gelobten» Ort. Die Reise führt nach China in die menschenleere Wüste Gobi, nach Gorleben in Deutschland, nach Grossbritannien, in die USA, nach Schweden und Australien, aber auch immer wieder in die Schweiz. Hier ringen Behörden unter anderem im Zürcher Weinland mit den Betroffenen darum, ein Endlager unter deren Wohnhäusern zu realisieren.
Edgar Hagens Film bringt fixe Weltbilder ins Wanken. Seine Reise führt uns an die Grenzen von Wissen und gesellschaftlicher Verantwortbarkeit. Nicht verpassen!ab Ende oktober läuft der Film «Die Reise zum sichersten ort der Erde» in den Schweizer Kinos
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67Magazin GreenpeaceNr. 3 — 2013
Bienensterben
Bestand der Schweizer
Bienen völker sinkt
Seit letztem Winter betragen die Verluste von Bienenvölkern in der Schweiz laut Mitteilung von Agroscope und dem Imkerverband VDRB 28,1 Prozent (4,7 Prozent Verluste bis zum Einwintern, 14,7 Prozent zwischen Ein und Auswintern und 8,7 Prozent schwache Völker im Frühling). Das ist dramatisch.
Der Bestand von Bienen und anderen Bestäubern ist global stark gefährdet. Die Verluste in Europa zeigen: In den letzten Jahren lag die Sterberate bei Honigbienenvölkern durchschnittlich bei 20 Prozent, wobei die Zahlen in den einzelnen Ländern zwischen 1,8 und 53 Prozent stark variieren. Diese Fakten machen den Schutz der Bienen zu einer vordringlichen Aufgabe. Das Bienensterben ist durch mehrere Fakten bedingt. Ein wirksamer erster Schritt ist ein Verbot der für Bienen besonders giftigen Substanzen in der Landwirtschaft. Greenpeace fordert von den Behörden, dass sie alle bienenschädlichen Pestizide für immer aus dem Verkehr ziehen und einen Aktionsplan zur Reduktion von chemischen Pestiziden vorschlagen. Nötig ist ein Richtungswechsel hin zu einer ökologischen, chemiefreien Landwirtschaft.
Filme für die Erde Festival 2013
1 Tag, 6 Filme, 11 StädteAm Freitag, 20. September 2013, lädt Filme für die Erde Gross und Klein zum Nachhaltigkeitskino in 11 Schweizer Städten ein! Das Festival richtet sich an Schulklassen, Unternehmen, Privatpersonen und Nachhaltigkeitspioniere.
Die Abendvorführung gilt als Höhepunkt des Festivaltages: Der brandneue Film «Revolution» feiert seine Schweizer Premiere! Unter anderem werden sechs ausgewählte Umweltdokumentarfilme gezeigt.Eintritt frei, Kollekte (ausnahme ist das lunchkino um 12 Uhr: Kosten pro Sitzplatz ChF 23.— inkl. Bio-lunch und Getränk)Weitere Infos Weitere Infos und Reservation (empfohlen) auf www.filmefürdieerde.org
Programm
Öffentliche Vorführungen12.00–13.30 Lunchkino «Taste the Waste»16.00–17.45 NachmittagsKino «Solartaxi» / Ausnahme Luzern: «Waste Land»18.00–19.30 AfterWorkKino «I Am» (CH-Erstaufführung)20.00–22.00 Abendveranstaltung mit «Revolution» (CH-Premiere), BioApéro und Spezialgast
Schulvorführungen09.00–11.30 Schulkino für Mittelstufenschulen «Weil ich länger lebe als du»14.00–15.45 Schulkino für Oberstufenschulen «Plastic Planet» 16.00–17.45 Schulkino für Oberstufenschulen «Solartaxi» / Ausnahme Luzern: «Waste Land»
Eintritt für Schulvorführungen frei. Reservation nötig auf http://filmefuerdieerde.ch/schulkino
Die 11 austragungsorte: Basel, Bern, Chur, horgen Zh, luzern, neuenhof b. Baden aG, Schwyz, Sursee lU, Winterthur, Zug, Zürich
68Magazin GreenpeaceNr. 3 — 2013
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Friedliche Protestaktion
Solidaritätsaktionen für türkische
Demonstranten
Weltweit haben Solidaritätsaktionen zur Unterstützung der türkischen Demonstranten stattgefunden. Auch in Zürich, Bern und Genf setzten GreenpeaceFreiwillige ein friedliches Zeichen für mehr Mitbestimmung und Umweltschutz in der Türkei.
Das Büro von Greenpeace in Istanbul befindet sich in der Nähe des GeziParks und musste zur Notfallklinik umfunktioniert werden, um Demonstranten zu betreuen.
Kumi Naidoo, Vorsitzender von Greenpeace International, forderte die türkische Regierung auf, die Gewalt sofort zu beenden: «Der Protest richtet sich nicht nur gegen die Zerstörung eines Parks und die Errichtung eines Einkaufszentrums. Es handelt sich nunmehr um eine Bürgerbewegung, die sich für Bürgerrechte und politische Freiheiten einsetzt und das Recht einfordert, friedlich zu demonstrieren, damit das Gemeinwohl den wirtschaftlichen Interessen nicht geopfert wird.»
Auf dem Spiel stehen insbeson dere die Meinungs und die Gewaltfreiheit sowie der Umweltschutz. Gezi ist nur der letzte Vorfall, bei dem die türkische Regierung Anliegen der Bevölkerung komplett ignorierte. Kürzlich wurden beispielsweise verschiedene Kohlekraftwerke geplant und der lokale Widerstand unterdrückt, ohne dass die Medien darüber berichteten. Auch der Bau eines neuen Atomkraftwerks wurde von der Regierung in die Wege geleitet, ohne dies transparent zu machen und die Bevölkerung zu involvieren. Deshalb fordert Greenpeace ein stärkeres Mitbestimmungsrecht der türkischen Bevölkerung – und nicht dessen Einschränkung, wie es zurzeit eine Gesetzesrevision im Umweltbereich vorsieht.
We like!
Der Konsumentenschutz braucht Ihre
UnterstützungViele kennen das: Kaum ist die Garantie eines Geräts abgelaufen, gibt es den Geist auf. Hinzu kommt, dass der Hersteller sich weigert, es zu reparieren, oder man findet keine passenden oder bezahlbaren Ersatzteile. Der Geräteabfall schadet durch die Entsorgung der Umwelt und man ist gezwungen, das kaputte Produkt durch ein neues zu ersetzen.
Mit der Meldung eines Produktdefekts helfen Sie mit, die Umwelt und auch Ihr Portemonnaie vor den profitsteigernden Massnahmen der Produzenten zu schützen. Um die Aktion der Stiftung für Konsumentenschutz SKS zu unterstützen, melden Sie Ihre defekten Produkte unter www.konsumentenschutz.ch. Die Umfrage dauert zehn Minuten.
Buchtipp
Kämpferische «Gärtner Gottes»
Auf den Dächern der Stadt liegt das Paradies. Seine Bewohner nähren sich von Gemüse, Früchten und Honig und kultivieren ihren Garten Eden, den sie dem «Waste Land» einer Stadt jenseits der drohenden Klimakatastrophe abgetrotzt haben. Die junge, kämpferische Toby findet Zuflucht in der Gemeinschaft der «Gärtner Gottes», nachdem sie durch die Maschen der Gesellschaft gefallen ist, die von einer militärisch organisierten Wirtschaftsorganisation regiert wird. Hier trifft sie auf Ren, die spätere Trapeztänzerin, auf die anarchische Amanda und Jimmy, der zu ihnen allen in einer speziellen Beziehung steht. Gros senteils aus Tobys Perspektive erzählt Margaret Atwood von einer Welt, in der die globalisierte Wirtschaft die Exekutive übernommen hat und die Forschung lediglich ökonomischer Kontrolle unterworfen ist.Margaret atwood, «Das Jahr der Flut», Berlin Verlag, ChF 35.90ISBn 9783827008848
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69Magazin GreenpeaceNr. 3 — 2013
«Vor über zwölf Jahren stand ich an Bord des GreenpeaceAktionsschiffes Beluga und sah den Papierfrachter Zamosvorechye die Elbe hochkommen. Das Schiff brachte Papier aus Archangelsk, einer grossen Hafenstadt am Weis sen Meer in Russland. Ich war an Bord, um mit zwei Dutzend GreenpeaceAktivisten gegen die Urwaldzerstörung in Russland zu protestieren. Immerhin trugen wir in Deutschland einen grossen Teil der Verantwortung, denn wir kauften schliesslich das Papier, das in Hamburg gelöscht werden sollte.
Ich erinnere mich noch gut an jene Nacht, denn es war kalt. Eisiger Wind zog über die Elbe und ich fragte mich, wie wir bei dem Eisregen jemals an Bord des Schiffes kommen wollten, um unser Protestbanner anzubringen. Als der Frachter mitten in der Nacht an uns vorbeifuhr, sprangen wir in die Schlauchboote, ran an die Bordwand, und schon erklommen die ersten Aktivisten die Schiffskräne und begannen das Banner zu befestigen. Trotz bitter kaltem Eisregen war es nach einigen Minuten angebracht. Zwischen zwei Schiffsmasten war in grossen Lettern zu lesen: ‹Kein Urwald für Papier›. Wir forderten den Schutz des Dvinsky und des OnegaUrwalds. Letzterer wurde nun – über zehn Jahre später – von Russlands Regierungschef Medwedew als OnegaNationalpark unter Schutz gestellt.
Vor dem Protest war ich in Archangelsk gewesen, hatte mir einige Urwälder angesehen und mit meinen russischen Kollegen überlegt, wie wir auf ihre Zerstörung hinweisen könnten. Ein Protest im Hamburger Hafen war eine der Möglichkeiten. Eine erfolgreiche, denn nach dem Protest konnte Greenpeace Russland einen Einschlagstopp mit der ansässigen Holzfirma vereinbaren. Diese versprach, die Grenzen des von uns vorgeschlagenen UrwaldNationalparks zu achten und das Holz woanders zu fällen. Und sie hielt sich daran – bis jetzt!
Der OnegaUrwald liegt auf einer 70 mal 70 Kilometer grossen Halbinsel nahe der Stadt Archangelsk, knapp 1000 Kilometer nördlich von Moskau. Mit der Unterschrift des russischen Regierungschefs ist der OnegaNationalpark (Onezhskoje Pomorje) 201 000 Hektar gross und umfasst 180 000 Hektar borealen nordischen und völlig intakten Urwald sowie Teile des Weissen Meeres. Der Nationalpark ist damit eines der grösseren Waldschutzgebiete im europäischen Teil Russlands.
Ich bin sehr froh, mir mit anderen Aktivisten vor über zehn Jahren die Nacht um die Ohren geschlagen zu haben, denn der Schutz dieses Waldes ist ein toller Erfolg. Er gibt Kraft, auch die nächsten Wochen und Monate für den Waldschutz zu kämpfen. Auch wenn es mal kalt und regnerisch ist wie während der letzten Wochen in Hessen und Bayern, wo ich mich mit meinen Kollegen für den Schutz der Buchenwälder eingesetzt habe.» blogbericht von greenpeace-waldexperte, Oliver salgeblog.greenpeace.de
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greeNpeaCe erkämpfT SChUTZ voN rUSSISChem Urwald
70Magazin GreenpeaceNr. 3 — 2013
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Buchtipp
Kritische Prognose für die kommenden
40 Weltjahre1972 erschütterte ein Buch den Fortschrittsglauben der Welt: Der Bericht «Die Grenzen des Wachstums» des Club of Rome. «Die absoluten Wachstumsgrenzen der Erde werden im Laufe der nächsten hundert Jahre erreicht, wenn es der Menschheit nicht gelingt, ihren ökologischen Fussabdruck zu reduzieren», lautete seine zentrale These. Sie glich einer Revolution und machte das Buch zu einem Weltbestseller mit über 30 Millionen verkauften Exemplaren. Vierzig Jahre später holt der Club of Rome zu einem neuen grossen Wurf aus.
«2052» lautet der Name des aktuellen Reports. Er skizziert eine Zukunft, die anders sein wird, als wir uns dies vorstellen können. Welche Nationen werden ihren Wohlstand halten oder mehren, welche unter der Entwicklung leiden? Wie wird sich der übergang zur wirtschaftlichen Vorherrschaft Chinas gestalten? Ist die Demokratie nach westlichem Vorbild geeignet, die grossen Menschheitsprobleme zu lösen?
Jorgen Randers, einer der CoAutoren des MeadowsReports von 1972, hat ein Szenario für die nächsten 40 Jahre erstellt. Er stützt sich auf globale Prognosen führender Wissenschaftler, Ökonomen und Zukunftsforscher.Trotz der meist düsteren Prognosen glaubt Randers nicht an den globalen Kollaps, denn «der Anpassungsprozess der Menschheit an die Grenzen dieses Planeten hat begonnen». Aber der Report gibt auch keine Entwarnung, denn die Zukunft bringt gewaltige Herausforderungen und wird geprägt
Elektronik
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Du bist mit deinem Smartphone im Supermarkt. Die GPS-Ortung deiner Umweltorganisation erkennt, dass du – sagen wir – bei Aldi einkaufst. Du stehst vor dem Fischangebot. Das GPS-Feinsystem deiner Organisation hat das bereits festgestellt, darum erscheint auf dem Schirm deines iPhones der aktuelle FischRatgeber. Er sagt dir, welchen Fisch du unter welchen Umständen korrekterweise verzehren darfst. Biofisch gibt es in deinem Aldi nicht. Du begutachtest das Angebot und entscheidest, welche drei Fische du auf mögliche Korrektheit prüfen willst. Du scannst den Barcode auf der Packung des ersten, eines Dorschs. Auf deinem Screen erscheint in Sekundenschnelle die… fortsetzung der Kolumne unter: www.greenpeace.ch/kuno Kuno Roth bringt seine Gedanken zur Gesellschaft in kurzen, pointierten Kolumnen oder Glossen zum ausdruck. Die Ko-lumne des dienstältesten Greenpeace-Schweiz-Mitarbeiters erscheint alle paar Wochen und nimmt losen Bezug zu den themen, die unsere organisation beschäftigen.
71Magazin GreenpeaceNr. 3 — 2013
Landschaften oder Erdpyramiden. Die Kraft der Natur hat sie in grosser Vielfalt geformt. Manche von ihnen sind «Naturdenkmäler der Schweiz». 39 davon sind im Buch mit diesem Titel vereint. Die ViamalaSchlucht, der Aletschgletscher oder die Trümmelbachfälle etwa sind weltberühmt, das Ofenloch im Toggenburg, die TüfelsChilen bei Winterthur oder die Erdpyramiden im Unterengadiner Val Sinestra kennen nur Insider. Der Naturfotograf Roland Gerth rückt die Naturdenkmäler in oft spektakuläres Licht. Die Autoren Ronald Decker, Martin Arnold und Urs Fitze beschreiben sie in Reportagen, die auch über das nicht konfliktfreie Verhältnis des Menschen zur Natur berichten. Wandertipps mit einer Karte sowie Hinweise zu Anreise, Gastronomie und Hotellerie runden die Beiträge ab.Martin arnold, Ronald Decker, Urs Fitze, Roland Gerth (Bilder), «naturdenkmäler der Schweiz», bestellen unter www.seegrund.ch, ChF 45.— (inkl. Versand) ISBn: 978-3-03800-669-5
sein von sozialen Unruhen und Umbrüchen. Sie zu meistern ist die Jahrhundertaufgabe. «2052» liefert Grundlagen. Jorgen Randers, «2052», oekom Verlag München, ChF 37.90ISBn: 978-3-86581-398-5
Buchtipp
Nach uns die Sintflut
Wir können uns unseren Lebensstil nur auf Kosten anderer leisten. Das ist bekannt. Unbekannt ist hingegen, inwieweit sich schon die Produktion von Alltagsgegenständen wie Handys oder Kugelschreibern unmittelbar auf Kinderarbeit, umkippende Gewässer und Versteppung ganzer Land striche auswirkt. Die Autoren zeigen die fatalen ökologischen, politischen, sozialen und wirtschaftlichen Folgen unseres Lebensstils.
Ob Zucker, Wasser oder Kupfer – wir nutzen und benutzen diese Stoffe täglich, aber über ihre physische Realität, ihre Herkunft, ihre Geschichte, ihre Zukunft wissen wir fast nichts. Mit ihnen untrenn
bar verbunden sind Fragen nach Gerechtigkeit und Verantwortung, Energieverbrauch und Wirtschaftlichkeit. Armin Reller und Heike Holdinghausen zeigen anhand von Stoffgeschichten und kreisläufen, woher Ressourcen wie etwa Coltan oder Baumwolle kommen und wofür wir sie verwenden beziehungsweise verschwenden. Und sie sagen: Wenn wir nicht bald anfangen, verantwortungsvoll mit den Ressourcen umzugehen, konsumieren wir unsere Welt zu Tode.
armin Reller ist Professor für Ressourcenstrategie an der Univer-sität augsburg. Zuvor forschte er im Bereich der anorganischen und physikalischen Chemie in Zürich, Cambridge, Bangalore und hanno-ver. Er ist herausgeber der Reihe Stoffgeschichten.
heike holdinghausen ist Redakteurin der taz. Im Ressort Wirtschaft und Umwelt schreibt sie vor allem über Chemikalien-, abfall- und Rohstoffpolitik. Zuvor betreute sie in der Meinungsredak-tion die Kommentarseiten der taz
armin Reller, heike holding-hausen, «Wir konsumieren uns zu tode», Westend Verlag, [email protected], ChF 18.90ISBn: 978-3-938060-38-4
Buchtipp
Faszinierende Schweizer
Landschaften Die landschaftliche Vielfalt der Schweiz ist einzigartig auf der Welt. Selbst das Meer findet hier einen würdigen Ersatz durch die vielen Seen, deren Farbenspiel es auch mit der Karibik aufnimmt. Als überbleibsel der letzten Eiszeit haben sie die Landschaft ebenso geprägt wie Schluchten, Wasserfälle, Höhlen, Gletscher, glaziale
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72Magazin GreenpeaceNr. 3 — 2013
Zu gewinnen: 6 Greenpeace Taschenmesser EvoWoodDas echte WengerMesser steht für Nachhaltigkeit und wurde mit ergonomischem Griff aus Nussbaumholz produziert, das als Abfallprodukt bei der Möbelproduktion anfällt. Senden Sie das Lösungswort bis am 30. September 2013 per E-Mail an [email protected] oder per Post an Greenpeace Schweiz, Redaktion Magazin, Stichwort Ökorätsel, Postfach, 8031 Zürich. Das Datum des Poststempels respektive des E-Mails ist massgebend. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. über die Verlosung wird keine Korrespondenz geführt.
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Blau-felchen
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Tier-krankheit
Platz-deckchen
FragewortDienst-
p�ichtiger (Abk.)
Ort in derWaadt
BündnerStrom-unter-
nehmen,welches inein italien.
Kohle-kraftwerk-
projektinvestiert
SchweizerUhren-
zentrum
voll-brachte
Handlung
Donau-zu�uss
Rehabilita-tion (Kzw.)
drei(ital.)
Mitglieder-ver-
sammlung
scheueseinheim.Waldtier
Ab-schieds-
gruss
Halb-ton
unter G
Gegen welchen franzö-sischen Nuklear-
konzern hat GreenpeaceAnzeige erstattet?
Lawine2. Sohn
Noahs imA.T.
Ohr (engl.)bibli-scher
Prophet
Kilowatt-stunde(Abk.)
Onlinekom-munikation
Araber-mantel
Vege-tations-
typus
Stadt inPolenan der
Weichsel
Wildge�ü-gelragout
Ein-siedelei
Kurz-wort für:Internet
Prü�nstitu-tion (Abk.)SchweizerKünstler
kelt.-brit.Sagen-könig
riesen-hafter
Mensch
Wüste inInner-asien
giftigerNadel-baum
französische Halbinsel,auf der die Wieder-
au�ereitungsanlagevon Atommüll steht
kroatischeAdria-insel
automat.Zeichen-
erkennung(Abk.)
ital. Tenor†Bett
(fran-zösisch)
Handels-brauch,
Gewohn-heit
Fettartchem. Zei-
chen fürRadium
Mutter derNibelun-
genkönige
KnabeAuto-
zeichen fürLibanon
WelchesGreenpeace-Schi� tourte
bis Juni 13zur Unter-stützung
der lokalenFischerei
durcheuropäische
Häfen?
Medi-ziner
Nutztierin Süd-europa
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73Magazin GreenpeaceNr. 3 — 2013 ©
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AZB8031 Zürich
Petition zur aKW-laufzeitbeschränkung
WIChtIG!
Sammelfrist bis 30. September
Unterschreiben Sie die Petition auf Seite 64 heut noch!
Infos und online unterschreiben unter
www.greenpeace.ch/40