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Die 1960er Jahre – Wie der Beat an die Volme kam von Rolf Esser Anmerkung: Der Verfasser dieses Beitrags war in den 1960er Jahren als Schlagzeuger aktives Mit- glied der Hagener Musikszene. Er hat viele Heizungskeller von Jugendheimen und Begegnungsstät- ten als Übungsraum kennen gelernt. Zudem war er ein eifriger und ständiger Besucher der Konzerte anderer Bands, mit denen er oft Bekanntschaft knüpfen und regen Austausch pflegen konnte. Nicht zuletzt hat er die Beatles 1966 leibhaftig erlebt, was ihn allein deswegen schon zu einem echten Beat- Musiker macht. Wer heutigen Jugendlichen beschreiben will, wie sich ein junger Mensch in den 1960er Jah- ren die Freizeit vertrieb, der muss sich auf großes Unverständnis gefasst machen. Aus dem heutigen Blickwinkel gesehen, war es die Steinzeit der Kommunikation. Kein Internet, kein Handy, kein Facebook, kein Twitter, rein gar nichts! „Ja, wie konntet ihr euch da überhaupt irgendwo treffen, so ganz ohne SMS?“ wundert sich die Tochter. Tatsächlich wundert man sich selbst und doch war es eine Zeit, in der die damaligen Jugendlichen äußerst kommunika- tiv und gesellig miteinander umgingen. Verabredungen wurden rechtzeitig vorher getroffen oder mit dem guten alten Dampftelefon eingefädelt – sofern es ein Telefon in dem betreffenden Haushalt gab, was nicht selbstver- ständlich war. Ein regelmäßig besuchter Ort war daher die Telefonzelle an der Straßenecke, wo sich durchaus auch mal Menschenschlangen bilden konnten. Es gab unzählige Witze über Zwangsbegegnungen an der Telefonzelle. Man konnte sich also sehr wohl treffen. So gab es in Hagen eine Anzahl von selbstverständli- chen Treffpunkten. Wenn man diese ansteuerte, konnte man gewiss sein, auf Freunde oder Bekannte zu stoßen. Ein solcher mittäglicher Treffpunkt für die Hagener Gymnasiasten war etwa Eis Lazzarin in der Kampstraße. Dort mischten sich die Populationen der Jungen- und Mädchengymnasien munter und es kam zu vielen anregenden Begegnungen. Nachmittags saß man gerne in der Öse im Volkspark. So manche sechste Unterrichtstunde wurde im Krokodil (heute Crocodile) in der Mittelstraße verbracht, denn dort befand sich der einzige innerstädtische Kicker. Auf dem Weg dorthin – etwa vom Städtischen Gymnasium (heute Fichte-Gymnasium) aus – kam man an der über- wiegend mit Schülern besetzten Engen Weste kaum vorbei. Für die älteren Semester besonders des Städtischen Gymnasiums und des Theodor-Heuss- Gymnasium war jedoch die Wappenschänke der bedeutendere Ort. Wenn es irgendwo auf dieser Welt einen Ort gab, wo existentielle Fragen vom Grundsatz her angegangen und mit dialektischer Konsequenz ins rechte Licht gerückt wurden, dann war das die Wappenschänke. Die Wappenschänke – angesiedelt zwischen dem Eissalon und der Bank in der heutigen Kampstraße – war nicht wirklich ein Ort intellektueller Feinsinnigkeit oder philosophischer Abgeklärtheit. Das wurde einem schon beim Versuch des Eintretens deutlich, wenn man sich durch einen dicken, düsteren Eingangsvorhang – einer Mischung aus in kaltem Zigaretten- rauch gebeiztem Kamelhaarmantel und Wolldecke – hindurch zwängen musste. Hatte man dieses Hindernis überwunden, betrat man einen langen, engen Schlauch von Raum, der lin- kerhand von einer wuchtigen Holztheke dominiert wurde. Ein notorisch schlecht gelaunt dreinblickender Wirt nebst ebensolcher Gattin hielt dort Wacht. Kenner der Szene wussten jedoch: Wirt und Gattin waren herzensgute Menschen, die auch die nötige Portion Humor für diese Art Tätigkeit hatten. Aber das musste ja nicht jeder sehen. Am Ende des Schlauchs stieß man auf das Zentrum der Gastlichkeit: den großen runden Stammtisch. In der Wappenschänke traf man sich mittags nach dem Unterricht zum Absacken und disku- tierte über Gott und die Welt, über Marcuse oder Mao oder über die beste Marke bei Gürtel-

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Die 1960er Jahre – Wie der Beat an die Volme kam von Rolf Esser

Anmerkung: Der Verfasser dieses Beitrags war in den 1960er Jahren als Schlagzeuger aktives Mit-glied der Hagener Musikszene. Er hat viele Heizungskeller von Jugendheimen und Begegnungsstät-ten als Übungsraum kennen gelernt. Zudem war er ein eifriger und ständiger Besucher der Konzerte anderer Bands, mit denen er oft Bekanntschaft knüpfen und regen Austausch pflegen konnte. Nicht zuletzt hat er die Beatles 1966 leibhaftig erlebt, was ihn allein deswegen schon zu einem echten Beat-Musiker macht.

Wer heutigen Jugendlichen beschreiben will, wie sich ein junger Mensch in den 1960er Jah-ren die Freizeit vertrieb, der muss sich auf großes Unverständnis gefasst machen. Aus dem heutigen Blickwinkel gesehen, war es die Steinzeit der Kommunikation. Kein Internet, kein Handy, kein Facebook, kein Twitter, rein gar nichts! „Ja, wie konntet ihr euch da überhaupt irgendwo treffen, so ganz ohne SMS?“ wundert sich die Tochter. Tatsächlich wundert man sich selbst und doch war es eine Zeit, in der die damaligen Jugendlichen äußerst kommunika-tiv und gesellig miteinander umgingen.

Verabredungen wurden rechtzeitig vorher getroffen oder mit dem guten alten Dampftelefon eingefädelt – sofern es ein Telefon in dem betreffenden Haushalt gab, was nicht selbstver-ständlich war. Ein regelmäßig besuchter Ort war daher die Telefonzelle an der Straßenecke, wo sich durchaus auch mal Menschenschlangen bilden konnten. Es gab unzählige Witze über Zwangsbegegnungen an der Telefonzelle.

Man konnte sich also sehr wohl treffen. So gab es in Hagen eine Anzahl von selbstverständli-chen Treffpunkten. Wenn man diese ansteuerte, konnte man gewiss sein, auf Freunde oder Bekannte zu stoßen. Ein solcher mittäglicher Treffpunkt für die Hagener Gymnasiasten war etwa Eis Lazzarin in der Kampstraße. Dort mischten sich die Populationen der Jungen- und Mädchengymnasien munter und es kam zu vielen anregenden Begegnungen. Nachmittags saß man gerne in der Öse im Volkspark.

So manche sechste Unterrichtstunde wurde im Krokodil (heute Crocodile) in der Mittelstraße verbracht, denn dort befand sich der einzige innerstädtische Kicker. Auf dem Weg dorthin – etwa vom Städtischen Gymnasium (heute Fichte-Gymnasium) aus – kam man an der über-wiegend mit Schülern besetzten Engen Weste kaum vorbei.

Für die älteren Semester besonders des Städtischen Gymnasiums und des Theodor-Heuss-Gymnasium war jedoch die Wappenschänke der bedeutendere Ort. Wenn es irgendwo auf dieser Welt einen Ort gab, wo existentielle Fragen vom Grundsatz her angegangen und mit dialektischer Konsequenz ins rechte Licht gerückt wurden, dann war das die Wappenschänke.

Die Wappenschänke – angesiedelt zwischen dem Eissalon und der Bank in der heutigen Kampstraße – war nicht wirklich ein Ort intellektueller Feinsinnigkeit oder philosophischer Abgeklärtheit. Das wurde einem schon beim Versuch des Eintretens deutlich, wenn man sich durch einen dicken, düsteren Eingangsvorhang – einer Mischung aus in kaltem Zigaretten-rauch gebeiztem Kamelhaarmantel und Wolldecke – hindurch zwängen musste. Hatte man dieses Hindernis überwunden, betrat man einen langen, engen Schlauch von Raum, der lin-kerhand von einer wuchtigen Holztheke dominiert wurde. Ein notorisch schlecht gelaunt dreinblickender Wirt nebst ebensolcher Gattin hielt dort Wacht. Kenner der Szene wussten jedoch: Wirt und Gattin waren herzensgute Menschen, die auch die nötige Portion Humor für diese Art Tätigkeit hatten. Aber das musste ja nicht jeder sehen. Am Ende des Schlauchs stieß man auf das Zentrum der Gastlichkeit: den großen runden Stammtisch.

In der Wappenschänke traf man sich mittags nach dem Unterricht zum Absacken und disku-tierte über Gott und die Welt, über Marcuse oder Mao oder über die beste Marke bei Gürtel-

reifen. Oder man spielte einfach nur eine Runde Skat. Nicht, dass die Gymnasiasten elitär unter sich geblieben wären! Jeder war willkommen. So saß immer ein junger Mann aus dem Kaufhof in der Runde, der nur unter dem Spitznamen „Page Herbert“ bekannt war. Den hatte er sich aufgrund seiner Frisur erworben, die aber schon deutliche Merkmale eines beatligen Pilzkopfes aufwies. Man saß auf jeden Fall gesellig zusammen. Und rief man in den Raum „Heidi, einen Klopps!“, dann bekam man in kürzester Zeit eine echte Frikadelle mit dem schärfsten Senf seit Menschengedenken. Heidi war immer da, ein wahres Service-Genie, aus-gestattet mit einem maximalen Sinn für Spaß. Auch für Unternehmungen am Wochenende war es ratsam, vorher in der Wappenschänke vorbei zu schauen. Irgend jemand hatte immer einen Plan und dann strebte man gemeinsam in die gewünschte Vergnügungsrichtung.

Wie sahen diese Vergnügungen in Hagen nun aus? Es gab keine Diskos. „Keine Diskos?“ fragt die Tochter erschüttert. Nein – aber es gab Unterhaltungsmöglichkeiten in einer Viel-zahl, von der heutige Jugendliche vermutlich nur träumen können. Das Hagener Kneipenfes-tival, so wie wir es heute kennen, fand in den 1960er Jahren an jedem Wochenende statt. Samstags und sonntags hatte man die Qual der Wahl, oft auch schon freitags abends. Denn überall in Hagen spielten an den verschiedensten Orten Bands. Spätestens seit den ersten Hits der Beatles war nämlich das Beat-Fieber bis nach Hagen durchgedrungen. Auch die Songs der Kinks, der Rolling Stones oder der Animals beflügelten die Phantasie. Unzählige Bands grün-deten sich, um den Liverpooler Vorbildern nachzueifern. Ebenso schnell lösten sie sich wie-der auf. Einige dieser Bands konnten sich aber mindestens lokal etablieren und blieben in den Erinnerungen an damals bestehen.

Man konnte also an einem Abend mehrere Orte aufsuchen und dort Bands hören und sehen, was auch immer mit ausgiebigem Tanz verbunden war. Und der Unterschied zwischen dem Genuss von Live-Musik und Musik aus der Konserve dürfte wohl jedem klar sein. Es war eine unglaublich lebendige Szene und die Jugend genoss es mit großer Sympathie und Aus-dauer.

Die Orte

Zahlreiche Gastwirte in Hagen hatten die Zeichen der Zeit erkannt und funktionierten Ihre meist von Vereinen genutzten Säle in Beatschuppen um. War eine Bühne vorhanden – umso besser. Wurde noch eine Spiegelkugel an der Decke angebracht, dann war der Auftrittsort perfekt. So wurden jungen Bands Auftrittsmöglichkeiten geboten, um ihre Fähigkeiten zu testen, und die Wirte konnten sicher sein, dass der Laden meistens gut gefüllt war, weil die Bands ihre Anhänger mitbrachten. Zwar war der Getränkeumsatz pro Person vermutlich mä-ßig, aber die Masse machte es. Überwiegend wurde ohnehin nur Cola getrunken, allenfalls mal ein Alt-Schuss.

Die Bands spielten freitags, samstags und sonntags. Manche an einem Stück in einer Gaststät-te. So musste man die Anlage nur einmal schleppen und aufbauen. Andere betrieben an den drei Tagen Kneipen-Hopping und waren so ebenfalls gut beschäftigt. Bei der Vielzahl der Auftritte spielten die Gruppen ohne Gage. Es war ihnen eigentlich egal, Hauptsache man konnte seine musikalischen Energien auf die Menge loslassen. Und die Wirte hatten übli-cherweise sowieso keine Mark über, obwohl sie im Grunde gut verdienten. Die Bands muss-ten um jede Mark feilschen, aber es blieb ihnen oft nichts anderes übrig, als das zu nehmen, was geboten wurde, wenn überhaupt. Die nächste Band stand schon vor der Tür.

Normale Gaststätten waren aber als Auftrittsorte für Bands nur für Anfänger interessant und ansonsten zweite Wahl. Wer als Musiker etwas auf sich hielt, der trat in angesagten Hagener Musikhallen auf oder in jenen besonderen Kneipen, die sich als Stätten permanenter Live-Musik etabliert hatten.

Jugendheim Buschey (heute Kultopia)

Westfalenhof am Emilienplatz

Jugendheim Haspe*

Der Westfalenhof

Eine dieser angesagten Stätten war für Musiker und Publikum der Westfalenhof. Der Westfa-lenhof war ein unansehnlicher Bunker am Emilienplatz. Heute ist daraus die „Arche“ gewor-den, eine kirchliche Hilfseinrichtung für bedürftige Menschen. Damals gab es in dem Bunker unten eine Kneipe und im ersten Stock einen großen Saal, der wohl bis zu 600 Besucher auf-nehmen konnte. An der Kasse saß die Pächterin, Frau Bienek, die man als recht korpulente Person in Erinnerung hat.

Akustisch gesehen war der Westfalenhof eigentlich eine Katastrophe. Nichts als nackte, glatte Wände. Der daraus resultierend Sound war hohl und ohne Tiefe. Trotzdem war ein Auftritt hier für eine Band, die auf sich hielt, unumgänglich.

Das Jugendheim Buschey

Das Jugendheim Buschey (heute Kultopia) war ein weiterer begehrenswerter Auftrittsort für Musiker. In regelmäßiger Folge wurden hier Jugendtanzabende veranstaltet. Berühmt waren die Beatfestivals, an denen immer viele Bands teilnahmen, weil es Preise zu gewinnen gab. Mehr noch aber zählte der Ruhm, den man er-werben konnte, wenn man zu den Siegern gehör-te.

Das Jugendheim Haspe

Das Jugendheim Haspe wurde 1964 er-öffnet. Zunächst spielten dort reine Tanzkapellen wie etwa die Sharks. Aber der Beat machte auch hier vor den Toren nicht Halt und alsbald gaben auch hier Beatbands den Ton an. Begehrt war der Auftritt im Jugendheim Haspe, weil die Heimleitung immer so genannte Hausbands engagierte. Das bedeutete, dass man mindestens einen Monat am Stück dort spielen konnte.

Reithalle Tattersall

Tattersall, Clubeingang*

Die Schützengilde

Die Schützengilde in Wehringhausen war eine der typischen zu Beatlokalen umfunktionierten Kneipen in Hagen. Zahlreiche Bands traten dort auf.

Der Tattersall

Der Tattersall war eine Reitsporthal-le, ungefähr da gelegen, wo heute das Kegel- und Bowlingzentrum am Märkischen Ring ist. Der Name „Tattersall“ hat mit Saal nichts zu tun und müsste eigentlich englisch aus-gesprochen werden (Lautschrift: tætəsɔːl). Er geht zurück auf den eng-lischen Stallmeister, Pferdetrainer und Eigentümer der Londoner Ta-geszeitung Morning Post, Richard Tattersall, der im Jahr 1766 Stallun-gen mit Reithalle und Reitbahnen an der Südostecke des Londoner Hyde Parks eröffnete. Die feine Londoner Gesellschaft traf sich dort und

schloss Wetten ab. Auch in Deutschland gab es mehrere Tattersalls.

Das hört sich auf alle Fälle sehr edel an. Der Tattersall in Hagen, der zunächst als „Hagen Town Jazz Club“ firmier-te, war jedoch alles andere als edel. Es handelte sich um zwei nicht besonders große Räume unterhalb der eigentli-chen Reithalle, in denen es, wenn man eintrat, zunächst stockdunkel war – zappenduster, wie man in Hagen sagt. Erst wenn sich die Augen an die Gegebenheiten gewöhnt hatten, erkannte man, dass es im hinteren zweiten Raum wohl so etwas wie eine Beleuchtung über so etwas wie einer Theke gab. Man ahnte auch, dass an den Wänden so etwas wie Sofas standen. Hatte man das Glück, sich in ein solches Möbel hineinsetzen zu dürfen, so wollte man so-fort den Sperrmüll bestellen.

Das war alles kein Grund, nicht in den Tattersall zu gehen, denn er war wohl seit 1964 der verruchteste (und damit interessanteste) Beat Club in Hagen. Allerdings war es

empfehlenswert, den Eltern einen Besuch des Clubs vorzuenthalten. Auch die permanente Dunkelheit wirkte sich insofern positiv aus, als bei zwischenmenschlichen Anbahnungs-versuchen die jugendliche Akne ebenfalls im Dunkel unterging. Im Tattersall gaben zahl-reiche Hagener Bands ihr Bestes. Am 10. Juni 1965 spielten dort sogar die Rattles, die immer als deutsche Beatles bezeichnet wur-den. Der Verfasser dieser Zeilen wohnte die-sem Ereignis bei. Die Musik war grandios,

die Umstände waren grauenhaft. Die Räumlichkeiten waren total überfüllt. Man hatte wohl

Eppenhauser Brunnen

Karten verkauft ohne Rücksicht auf die Raumkapazitäten, wenn man sich die Nummerierung der Karten anschaut. Ich stand während des ganzen Konzerts an die Wand gelehnt auf der schwankenden Rücklehne eines Sofas direkt gegenüber der Ecke, in der die Rattles auf engs-tem Raum spielten und genoss so den totalen Überblick. Nach dem Konzert hatte ich jedoch den kompletten Kalk der Wand auf meinem Rücken, weil die Feuchtigkeit im Raum wasser-fallartige Zustände erreicht hatte. Das war eben Tattersall! Als aber später die WESTFALEN-POST titelte: „Ordnungsamt macht Tattersall dicht – Minderjähriges Mädchen aufgegriffen – Clubraum völlig verwahrlost“, war das Ende des Veranstaltungsortes besiegelt. Schon vorher war der Club durch eine wüste Schlägerei aufgefallen. Nun brachte eine Polizei-Razzia das ganze Elend ans Tageslicht. Nach dem Bau einer neuen Reithalle am Höing wurde das Ge-bäude insgesamt abgerissen.

Der Eppenhauser Brunnen

Für viele Beatjünger in Hagen war der Eppenhau-ser Brunnen wohl einer der bevorzugten Plätze, in angenehmer Atmosphäre Musik zu konsumieren. Besonders, nachdem der Westfalenhof geschlossen worden war, traf man sich hier bevorzugt. Es gastier-ten vornehmlich Haus-bands über mehrere Wo-chen, die sich bereits einen Namen gemacht hatten. Anfänger hatten da kaum eine Chance. Die Substitu-tes waren lange die Haus-

band des Eppenhauser Brunnens. Man wusste also, was man bekam. Im Eppenhauser Brun-nen soll sogar in den 1970er Jahren Jethro Tull aufgetreten sein.

Der Pferdestall

Der Pferdestall (später Piccadilly) war eher eine Szene-Kneipe in der Hindenburgstraße. Aber es fanden auch gelegentlich Konzerte statt. Der Raum war länglich und schmal und öffnete sich nach hinten zu einem Rechteck, wo links, durch eine Holzbalustrade getrennt, der Platz für die Bands angelegt war. Insgesamt eine recht enge Geschichte. Wenn man hinten rechts um die Ecke ging, kam man durch eine Tür in einen zweiten, ebenfalls sehr schmalen Gast-raum. Dieser zeichnete sich – wie der Tattersall-Club – durch erhebliche Dunkelheit aus. Hier war der Ort, um in aller Ruhe sein Alt zu trinken und einen Joint durchzuziehen. Eigentlich reichte schon der schlichte Aufenthalt, ein Gefühl des High-Seins zu bekommen.

Im Pferdestall waren Auftritte Hagener Beatbands nicht so zahlreich. Allerdings blieben zwei herausragende Konzerte in Erinnerung, die aber im inzwischen umbenannten Piccadilly statt-fanden. Einmal war es Klaus Doldinger mit seiner Band Passport, der zu beeindrucken wuss-te. Besonders bemerkenswert ist, dass am Schlagzeug Udo Lindenberg saß. Man vergisst leicht, dass Udo mal als Drummer angefangen hat. Das zweite Konzert wurde bestritten von der amerikanischen Hammond-Orgel-Legende Jimmy Smith. Smith gilt als der bedeutendste Erneuerer des Orgelspiels im Modern Jazz. Den Einsatz der B-3-Hammondorgel revolutio-nierte er in einer Weise, die eine Einteilung der Geschichte der Jazz-Orgel in eine Periode vor Jimmy Smith und eine Periode mit und nach ihm rechtfertigt. Er machte den Hammond-

Parkhaus am Stadtgarten

Sound weltweit populär und ist Vorbild vieler späterer Organisten und Keyboarder. Im Pic-cadilly konnte man Smith, sein Spiel und seine Hammond-B-3 aus nächster Nähe erleben. Beeindruckend!

Das Parkhaus Hagen

Das große Haus am Stadtgarten war die Spielstätte so mancher Band. Oft fanden die Auftritte im Rahmen einer übergeordneten Veranstaltung statt. So etwa, wenn die Tanzschule Sieben-hüner ihre jährliche Tanz-Gala abzog oder wenn die Stadt Hagen Gäste hatte. Allerdings gab es auch große Tanzveranstaltungen, etwa mit Bands wie den Sharks. Für Bands war es natür-lich schön, dort aufzutreten, denn im Vergleich zu manchem öden Beatschuppen war das doch eine ganz andere Umgebung, siehe Foto. Der reinste Luxus, wenn man so will.

Die Gärtnerstuben

Die Gärtnerstuben, in den Kleingartenanlagen am Höing gelegen, boten sich allein wegen des großen Saales mit Bühne für Auftritte an. Regelmäßig fanden dort Vereinsfeiern mit konven-tionellen Tanzbands statt. Aber auch Beatbands durften dort spielen, besonders, wenn sie viel Publikum zogen. So kam eine Hagener Schülerband auf die Idee, endlich einmal ein großes Konzert zu stemmen. Man meldete bei den Gärtnerstuben ein Klassenfest an und machte dies in ganz Hagen an allen einschlägigen Orten bekannt. Fazit: Mit rund 300 Besuchern war der Saal gerammelt voll, die Band spielte vor ausverkauftem Haus und konnte ihr Glück kaum fassen.

Das Haus der Begegnung

Das Haus der Begegnung war bei der Jugend als Veranstaltungsort sehr beliebt, weil es zent-ral in der Goldbergstraße lag und man daher schnell woanders hingehen konnte, wenn das Programm nicht gefiel. Hier spielten regelmäßig Bands, die auch oft genug dort üben durften.

Gaststätte Dienstuhl, Dahl

Das Haus der Jugend

Das Haus der Jugend am unteren Remberg war ähnlich beliebt wie das Haus der Begegnung. Auch hier gab es oft Beatveranstaltungen, auf denen Bands spielten, die womöglich im Hei-zungskeller übten. Das Haus der Jugend war als Veranstaltungsort sehr beliebt, weil es zent-ral…s.o.

Die Gaststätte Dienstuhl

Dienstuhl in Dahl ist das auswärtige Lokal, das in Erinnerung blieb. Dahl gehörte damals noch nicht zu Hagen. Schöne Konzerte fanden hier statt, die auch immer ihre Besucher hatten. Al-lerdings war es nicht unbedingt einfach, dorthin zu gelangen bzw. zu später Stunde wieder zurück nach Hagen, denn die Busverbindungen waren ge-wiss nicht besser als heute. Wohl dem, der als Mitfahrer in ein Auto steigen konnte.

Vereinshaus St. Bonifatius

In diesem Vereinshaus, an der Berliner Straße gelegen, fanden auch öfter mal Beatkonzerte statt. In Erinnerung blieb besonders ein toller Bandwettbewerb mit den absolut besten Hagener Bands. Es siegten die Substitutes mit dem Song „Taxman“ von den Beatles, den sie mit Original-Gitarrensolo spielten. Dazu muss man wissen, dass die Beatles bei diesem Solo das Tonband rückwärts laufen ließen. Im Jahre 2012 kam die für viele Hasper Vereine betrübliche Meldung, dass das traditionelle Vereins-haus – kurz auch „Boni“ genannt – abgerissen werden und einer Wohnbebauung weichen soll.

Sonstige

Es gab, wie eingangs erwähnt, zahlreiche weiter Spielorte für Bands: die Gaststädte Nordpol am Remberg, Bei Johnny (Gaststätte Rolandseck, Rolandstraße), Haus Fischer (Eilpe), Gast-stätte Wendel (Altenhagener Straße), St. Michael (Langestraße). An den genannten Stätten fanden mehr oder weniger regelmäßig Konzerte statt, anderswo gab es gelegentliche Auftritte von Beatbands. Auch in der näheren Umgebung Hagens fanden sich Lokalitäten, die zu besu-chen sich lohnte, wenn man entsprechend mobil war. Herdecke, Ennepetal oder Wetter waren noch gut zu erreichen. Bei Schwerte, Iserlohn, Lüdenscheid und Dortmund wurde es schon kritisch. Aber Hagener Bands machten sich an den Wochenenden in alle Richtungen auf bis hin nach Duisburg und ihre Fans folgten ihnen.

Die Musiker

Die Musiker der Beatbands waren fast durch die Bank Autodidakten. Gelegentlich hatte viel-leicht mal einer Klavierunterricht gehabt – und spielte dann Gitarre. Musikunterricht gab es nur in der klassischen Form: Klavier oder Geige war die Frage. Populäre Musik wie sie in heutigen Musikschulen über die ganze Bandbreite angeboten wird, war für Musiklehrer da-mals fast ein Tabu.

So bestanden die Beatbands nicht unbedingt aus begnadeten musikalischen Genies mit her-ausragenden spieltechnischen Fähigkeiten. Viel mehr zählte der Eifer, mit dem die Jungs bei der Sache waren. Sie mussten sich alles selbst beibringen. Es war fast so wie in der späteren

Telefunken Echomixer

Punk-Musik. Wenn man drei Akkorde auf der Gitarre konnte, war man fähig, in einer Band mitzuwirken. Die zu spielenden Songs wurden abgehört und in Gitarrengriffe übersetzt. Aktu-elle Songbooks gab es nicht. Auch die englischen Texte musste man mühsam heraus hören, sofern sie nicht auf dem Plattencover oder in der Jugendpostille BRAVO nachzulesen waren. Da mag es manche Stilblüte gegeben haben. Apropos Jungs: Die Belegschaften der Bands rekrutierten sich ausschließlich aus der männlichen Bevölkerung. Es gab nur eine Frau, die in der Hagener Musikszene eine Rolle spielte. Das war die inzwischen verstorbene Hannelore Lünenschloss (Jetty), die u. a. bei den Substitutes sang.

Die typische Bandformation war angelehnt an das englische Vorbild: Sologitarrist, Rhyth-musgitarrist, Bassist, Schlagzeuger. Hinzu kam mitunter noch ein Sänger. Eine Orgel oder ein E-Piano sah man eher selten. Die Qualität einer Band wurde am Satzgesang gemessen. Oft genug hatte auch der Drummer ein Mikrofon. Typisch für die Hagener Band-Szene war auch, dass man gerne mal die Band wechselte. So ist es nicht verwunderlich, dass in den ver-schiedensten Bands immer wieder dieselben Namen auftauchen. Es war durchaus üblich, an-derweitig mal auszuhelfen oder einfach mitzuspielen. Und wenn eine komplette Band beim Konzert einer anderen auftauchte, wurde gerne die Frage gestellt: „Dürfen wir eine Einlage geben?“ Natürlich durfte man.

Die Anfänge einer Beat-Band gestalteten sich mitunter recht archaisch. So begann meine ei-gene aktive Musikerzeit als Beat-Drummer – wie bei vielen anderen Jugendlichen auch – in der obligatorischen Schülerband. Einige Klassenkameraden konnten schon Gitarre spielen, also machte ich mich mit dem Schlagzeug vertraut. Geübt wurde in der Fahrschule, die dem Vater eines Mitschülers gehörte. Praktisch, denn da machten wir alle später unseren Führer-schein.

Meine Drums bestanden in der Urversion zunächst aus einem Kuchenblech. Eine Gitarre mit Tonabnehmer wurde an ein Radio angeschlossen. Als Mikrofon diente eine Telefonkapsel, die natürlich auch an das Radio angeschlossen wurde. Der Radioapparat hielt das nur aus, weil die Dinger früher doch recht gewichtig waren und einen einigermaßen großen Lautsprecher

hatten. Als Mikrofonstativ musste ein aus-gemusterter Lampenständer herhalten.

Dann wurde ein Kofferverstärker ange-schafft, richtige E-Gitarren und ein echtes Schlagzeug. An diesen einen Kofferverstär-ker wurden natürlich alle Instrumente und Mikrofone angeschlossen. Was sonst noch so fehlte, wurde in der Regel von anderen Bands zusammengeliehen. Es war üblich,

sich gegenseitig auszuhelfen. So hatte ein befreundeter Musiker einen „Echomixer“, der sich dadurch auszeichnete, dass er einerseits einen extrem blechernen Hall erzeugte und grausam schepperte, wenn man ihn nur berührte, andererseits man an ihn aber mehrere Gitarren bzw. Mikros gleichzeitig anschließen konnte.

Mein Schlagzeug der weniger noblen Marke Tromsa kaufte ich im Musikhaus Köhler in der Neumarktstraße auf Pump. Es kostete die sagenhafte Summe von 500 D-Mark, viel Geld für einen Schüler. Der alte Köhler machte immer einen etwas grummeligen Eindruck, eigentlich interessierte ihn nur der Geigenbau. Aber er kam uns jungen Musikern oft entgegen und so konnte ich mit Ferienarbeit die Kaufsumme am Ende abstottern.

Ausgerüstet mit einem derart tollen Schlagzeug („Das vollendete Luxusschlagzeug“; aus der Tromsa-Werbung) trommelte ich dann über die Jahre in den Formationen The Madcaps, The Dukes, Ra Horus und XYZ. 1966 wechselte ich zu The Fellows und spielte fortan neben Beat und Rock auch Tanzmusik.

Fender Stratocaster

Peter Pomerin vor seinem Geschäft*

Überhaupt die Ausrüstung der Bands! Heute kann ein junger Gitarrist für vergleichsweise geringes Geld eine hervorragend ausgestattete Gitarre kaufen, die oft zwar aus einer Fernost-Produktion stammt, aber dennoch eine Marke ist. In den 1960ern war das Angebot beschei-den. Es gab Framus-, Hopf- oder Höfner-Gitarren aus deutscher Produktion. Auch die waren nicht billig. Wer eine Fender-Gitarre wollte, musste sehr tief in die Tasche greifen. Gibson war hierzulande kaum bekannt und an die begehrten Epiphone-Gitarren, die die Beatles spiel-ten, war kaum zu denken. Heute ist Epiphone die Billigmarke von Gibson.

Ähnlich verhielt es sich mit den Verstärkern und Gesangsanlagen. Wer eine Fender-Gitarre besaß, der kaufte sich auch noch einen Fender-Amp. Wenn schon,

denn schon! Vielleicht gelang es auch, einen der sel-tenen VOX-Verstärker zu ergattern, die man von den

Beatles kannte. Ab und zu sah man die engli-schen Selmer-Verstär-

ker, Konkurrenten von VOX, die sich aber nie so richtig

durchsetzen konnten. Aus deutschen Landen

gab es Dynacord und Echolette, aus denen sich zumeist die Gesangsanlagen rekrutierten. Sogar der Gesang der Beatles kam auf ihrer Deutschlandtournee 1966 aus Echolette-Boxen. All diesen Anlagen war jedoch gemeinsam, dass sie nur wenig Leistungsreserven hatten. Die Beschallung von großen Räumen oder gar Hallen war daher nicht einfach, was bei den Beatles sehr deutlich wurde.

Die Schlagzeuger hatten ähnliche Probleme. Der Traum der Beat-Drummer war natürlich das Ludwig-Set von Ringo Starr. Aber erstens sah man dieses in kaum einem Musikladen, zwei-tens sprengte es jede Musikerkasse. Trotzdem tauchte es in vielen Bands auf. Ebenso gut und sogar noch einen Kick teurer und seltener war das amerikanische Rogers-Schlagzeug. Andere Marken, die oft und gerne gespielt wurden, waren Sonor, Trixon und Premier.

Ausgerüstet wurden die Hagener Musiker von drei Musikläden: das bereits erwähnte Musik-haus Köhler, Otto Schade in der Kampstraße und Musik Pomerin am Hauptbahnhof. Das Mu-sikhaus Köhler war spezialisiert auf das klassische Instrumentarium, nur selten sah man etwas Moder-nes im Schaufenster, etwa ein Schlagzeug. Otto Schade bot so etwas wie den deutschen Mainstream der Bandausrüstung und handelte überwiegend mit Marken wie Dynacord oder Echo-lette. Aber er hatte tatsächlich auch einmal ein Ludwig-Set in der Ausstellung. Ab und zu wurde es auch kraus. So schwärmte er mal davon, dass Dudelsäcke groß im Kommen seien. Er hatte wohl gerade einen solchen verkauft. Bei Pomerin gab es dann erstmals überwiegend professionelles Equipment, auch Gibson-Gitarren waren später im Angebot. Pomerin selbst stellte sogar preiswerte Musiker-Boxen her, die durch eine bunte Frontbe-spannung auffielen. Der Laden am Bahnhof wurde nach und nach bis in die 1970er Jahre hinein zum markanten Treffpunkt für Hagener Musiker. Allen drei Musikhäusern war gemeinsam, dass man mit ihnen kungeln konnte und über einen privat abge-

Manfred „Schimmi“ Schimmich*

schlossenen Kreditvertrag an seine Instrumente kam.

Ein wichtiger Aspekt muss noch erwähnt werden: der Transport der Geräte und Anlagen. Heute wird darüber niemand mehr nachdenken, denn selbst Dorfkapellen sind inzwischen so umfangreich ausgerüstet, dass es ohne Auto nicht geht. Die jungen Musiker der 1960er Jahre aber hatten nicht unbedingt immer ein Fahrzeug zur Verfügung. Zwar war ihr Instrumenten-park überschaubar, allein ein Schlagzeug nahm aber schon reichlich Raum ein. So blieben oftmals nur die öffentlichen Verkehrsmittel, um mit all dem Kram etwa vom Übungsraum zum Jugendheim Haspe zu gelangen. In Hagen bot sich die Straßenbahn geradezu an, denn auf der hinteren Plattform des Anhängers war reichlich Platz vorhanden. Und so geschah es oft genug – ab in die Bahn zum Auftritt.

Die Bands

Musikalisch war das Programm der Bands klar umrissen. Es wurde fast ausschließlich nach-gespielt. Es kam dabei darauf an, den Originalsong möglichst genau wiederzugeben. Während man heute bei Coverversionen auf die Individualität der Interpreten achtet, war diese in jenen Tagen überhaupt nicht gefragt. Wer einen Kinks-Song spielte, musst auch klingen wie die Kinks. Ein Joe Cocker mit seiner Version von „With A Little Help From My Friends“ wäre gar nicht gut angekommen beim Publikum.

Die Bezeichnung „Beat-Band“ für alle Hagener Gruppen ist sicher nicht ganz zutreffend. Zwar gab es unzählige Formationen, die den lupenreinen Beat spielten. Andere Bands aber hatten sich auf Rock´n´Roll spezialisiert oder auf Soul, der damals auch gerade in Mode war. Mitunter konnte man allein schon am Band-Namen die Musikrichtung ablesen.

Wie schon erwähnt, spielten an den Wochenenden in Hagen zahlreiche Bands gleichzeitig. Es war dann manchmal nicht einfach, eine Auswahl zu treffen. Manche Gruppe war einfach zu gut, als dass man sie verpassen wollte. Und man wollte den Auftritt auch komplett genießen. Spielte also die eine tolle Band im Westfalenhof, die andere im Eppenhauser Brunnen, dann musste man sich entscheiden. Man hatte aber immer den Trost, dass noch viele weitere Wo-chenenden mit guten Bands bevorstanden. Im Folgenden stelle ich nur jene Bands vor, die mir gut in Erinnerung geblieben sind oder zu denen ich persönlichen Kontakt hatte. Die Substitu-tes, die zu jener Zeit eine wichtige Band in Hagen waren, lasse ich hier aus, weil sie bereits im HagenBuch 2010 umfassend gewürdigt wurden.

Manfred Schimmich

Es war immer ein Erlebnis, wenn man auf eine Band traf, bei der Manfred Schimmich als Sänger auftrat. Manfred wurde von allen nur Schimmi genannt. So sang Schimmi in den frühen 1960ern bei der Band The Diamonds. Später erlebte man ihn bei The Riddles, Any Five und Soul Movement.

Wenn Schimmi im Westfalenhof sang, war es dort wirklich voll und der Abend war gerettet. Er konnte mit seiner Stimme wirklich alle Richtungen abdecken. Man kann mit Fug und Recht sagen, dass es in Hagen keinen besseren Sänger gab. Und auch auswärts konnte er bei Talentwettbewerben immer punkten. Der Höhepunkt seines abendlichen Auftritts war erreicht, wenn er „The House Of The Rising Sun“ von den Animals zum Bes-ten gab. Da spürt man noch heute den Schauer auf dem

The Other Five: Jasinski, Wirth, Weber, Schulte, Du Nin

The Sharks: Lange, Busch, Brühl, Ulianowsky, Steegmanns,

Fricke*

Rücken. In den 1970er Jahren versuchte Schimmi als Marco Paul und Jim Thomsen eine So-lo-Karriere und machte auch Probeaufnahmen in einem Studio in Berlin. Er war damit nicht sehr erfolgreich. Leider ist Manfred Schimmich viel zu früh verstorben.

The Other Five

Die Jungs von The Other Five waren in Altenhagen beheimatet. In der Gaststätte Wendel übten sie und traten auch dort auf. Aber sie spielten auch an allen anderen bekannten Orten in Hagen. Nach eigener Aussage wollten sie ihre musikalischen Vorbilder gut imitieren, aber auch ihren eigenen Stil in die Interpretation einbrin-gen, was in Zeiten des Beat nicht unbe-dingt selbstverständlich war. Wie kamen sie auf den seltsamen Namen? Antwort: „Wir sind fünf Mann, also musste die Zahl Fünf in dem Namen auftauchen. Der Beat kommt aus England, also musste der Na-me aus dem Englischen kommen. Zu guter Letzt gibt es eine Band in Dortmund mit dem Namen „The Any Five“. Also: The Other Five.“

Die Band bestand 1967 aus den Mitgliedern Detlev Wirth (Gitarre), Rainer Du Nin (Gitarre, Gesang), Wolfgang Jasinski (Gitarre), Manfred Schulte (Bass) und Herbert Weber (Schlag-zeug, Gesang). Man hatte sogar einen Manager: Clemens Peters, ein ehemaliger Bassgitarrist, besorgte ihre Geschäfte und Auftritte.

The Sharks

Die Sharks waren wohl eine der langlebigsten Bands in Hagen. Ge-gründet 1962, traten sie noch in den späten 1980er Jahren auf. In diesem Zeitraum gab es zahlreiche Umbe-setzungen. Bemerkenswert war 1968 der Wechsel der Sängerin, als die sehr gut aussehende und sin-gende Nanja Brühl zur Gruppe stieß.

Die Sharks waren von Anfang an eine Tanzcombo, obwohl sie natür-lich auch den Beat beherrschten. Sie hatten immer ein breites Reper-

toire und fielen besonders durch die multiinstrumentalen Fähigkeiten der Musiker auf. Die Sharks wurden später eine typische Show-Band, die auf großen Tanzveranstaltungen und Ga-las ihren Platz fand.

Soul Movement

Aus dem Namen dieser Band konnte man nicht unbedingt auf das Programm schließen. Zwar spielten sie auch Soultypisches wie „Mustang Sally“ oder „Hold On I´m Coming“, wobei ihnen der Mangel eines Bläsersatzes kein Problem war. Ansonsten aber mischten sie ihre Darbietung munter durch und man bekam Songs von den Hollies bis zu den Beatles zu hören.

The Fellows: Oertel, S. Judtka, Bücker, H. J. Judtka, Esser

The Viscounts: Jung, Weber, Kinstner, Drimitriowitsch*

Soul Movement hatten gut zu tun und waren auch im Ruhrgebiet und im Sauerland unter-wegs. 1969 gab es eine Umbesetzung am Bass und der Sänger Manfred Schimmich (Schimmi) kam hinzu, was der Sache neuen Auftrieb gab.

In der Urbesetzung bestand die Band aus Helmut Wockelmann (Solo-Gitarre), Udo Bardohl (Rhythmus-Gitarre), Arnd Stein (Keyboards), Frank Bergmann (Bass) und Paul Dörrenbach (Schlagzeug).

The Viscounts

Die Musiker der Viscounts stammten aus Hagen und Dortmund. Oft spiel-ten sie im Westfalenhof. Man konnte sicher sein, dass man von ihnen im-mer die aktuellen Hits hörte. Auch auf Beatfestivals waren die Viscounts oft erfolgreich. In der letzten Besetzung spielten Ulrich Kinstner (Solo-Gitarre), Dieter Drimitriowitsch (Rhythmus-Gitarre), Herbert Jung (Schlagzeug) und Werner Weber (Bass).

The Fellows

Die Fellows waren sozusagen die Wollmilchsau der Hagener Bands. 1963 von Siggi Judtka und Arthur „Atze“ Oertel gegründet, hatten sie alles im Programm, was irgendwie veranstal-tungsmäßig verwertbar war. Das reichte vom karnevalistischen Schunkellied bis zum Rock-Knaller von The Who. Dem entsprechend traten die Fellows auch überall da auf, wo Mangel an universeller Live-Musik war. Sie waren in der Hagener Vereinsszene gut eingeführt und wurden gerne gebucht, wenn es um Vereinsfeiern aller Art ging. So waren sie regelmäßig Gast bei den Heidefreunden Boelerheide oder bestritten Jugendveranstaltungen der Katholi-schen Gemeinde Eilpe.

Anlässlich eines Empfangs der Stadt Hagen für eine israelische Delegation musizierten die Fel-lows im Parkhaus. Bei der Groß-veranstaltung „25 Jahre Karne-valssamstag“ in der Akkuhalle sorgten sie für Stimmung. Selbst-verständlich machten sie auch bei einem Beatfestival im Jugendheim Buschey mit.

Von 1966 bis 1970 bestanden die Fellows aus den Musikern Sieg-fried Judtka (Rhythmus-Gitarre, Gesang) Erhard Bücker (Solo-Gitarre, Gesang), Arthur Oertel (Keyboard, Gesang) Hans Jürgen

Judtka (Bass, Gesang) und Rolf Esser (Schlagzeug, Gesang). Durch die Tatsache, dass alle in den Gesang eingebunden waren, konnten sie auch kompliziertere Songs wie „Silence Is Gol-den“ gut meistern. Im Laufe der nächsten Jahre gab es am Schlagzeug einige Umbesetzungen. 1988 lösten sich die Fellows auf.

Lordhose

Das Publikum

Das junge Publikum jener Tage war unkompliziert. Man wollte einfach nur gute Live-Musik hören, tanzen und Spaß haben. Es gab so gut wie keine Krawalle bei den Veranstaltungen, außer gelegentlich bei Johnny in Haspe, wo oftmals Rocker einkehrten. Auch Betrunkene waren selten zu sehen. Man trank ohnehin überwiegend das Standardgetränk Cola, dass oft sogar im Eintrittspreis enthalten war, zum Beispiel im Westfalenhof. Bei den meisten Veran-staltern wurde gegen 22 Uhr per Lautsprecherdurchsage darauf hingewiesen, dass Personen unter 18 Jahren nunmehr den Ort zu verlassen hatten, was in der Regel ohne Murren über die Bühne ging.

Man ging sehr gesittet aus dem Haus zu einem Beatkonzert. Anzug und Krawatte waren selbstverständlich. Herren zogen gerne einen Blazer an, womöglich in der Ausgabe „Kamel-haarblazer“, und dazu die schwarze oder graue Schlaghose. Bei den Damen bestimmten Rock oder Kleid das Bild, von Jeans keine Spur. Sehr schön lässt sich dieses Kleidungsgebahren heute noch in dem Bremer Fernsehklassiker „Beat Club“ beobachten. Jeans hießen damals

übrigens „Nietenhosen“ und Cordhosen nannte man „Manchesterhosen“. Als männliche Fußbekleidung waren Beatles-Stiefel naturgemäß groß in Mode. Wenn man sich bei Woolworth an der Goldbergstraßenecke noch einen Satz Ab-

sätze kaufte und diese unter die Beatles-Stiefel na-gelte, konnte man – innerlich und äußerlich ge-

wachsen – hoch erhobenen Hauptes die nächste Tanzveranstaltung besuchen.

Erst als sich die Hippie-Bewegung weltweit immer weiter ausbreitete, wurden die Bekleidungsmodalitäten lo-ckerer. Und während es vorher beim Haarschnitt nur die Varianten Rundschnitt und Façonschnitt gab, begann nun auch für den Kopf-schmuck der Männer eine neue Zeit. Die Haare wurden immer län-ger. Bei den Hosen kreierte die deutsche Band The Lords eine ganz andere Möglichkeit, die Lord-Hose. Das war eine Hose, die zum Absatz hin eine Stufe hatte. Damit konnte man ältere Menschen völlig aus der Fassung bringen. Nichts lieber als das!

Nach einem erfolgreichen Tanzabend oder – aus Musikersicht – Konzert stand der Sinn oft nach einem späten Imbiss. Die erste Adresse in Hagen war dann immer der Stand von Lore Manfeld an der Ecke Hugo-Preuß-Straße/Graf-von-Galen-Ring. Hinter der Imbiss-Bude war ein großer Platz, ein planiertes ehemaliges Trümmergrundstück. Bei Lore Manfeld gab es die „Kalte Platte“: Currywurst mit Pommes rot-weiß und obenauf – ein wirkliches Alleinstellungsmerkmal – noch leckere Gurkenscheiben. Allerdings wussten Eingeweihte, dass es die schärfere Currywurst in Bochum gab. Stand ein Auto zur Verfügung, dann ging es auch schnell mal in diese Richtung. Bei Preisen von 48 Pfennig (~ 24 Cent) pro Liter Normalbenzin machte man sich über Entfernungen, Umwelt und Kilometerfressen über-haupt keine Gedanken.

Wer noch tiefer in die Geschichten der Hagener Beat-Musiker eintauchen möchte, dem sei das Buch „beat in hagen“ von Dietmar Brendel empfohlen, in dem der Schlagzeuger von Die Grafen sehr aus-führlich auf 200 Seiten mit zahlreichen Fotos und Dokumenten die komplette Szene von 1962-1969 darstellt. Alle mit * gekennzeichneten Fotos dieses Beitrags stammen aus diesem Buch. Bestellen kann man es unter [email protected] zum Preis von 24,50 Euro.