hannah ahrend

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Jeffrey Andrew Barash Über die Unfähigkeit zu denken: Hannah Arendts Eichmann-Deutung Jeffrey Andrew Barash: Départment de Philosophie, Université de Picardie, Jules Verne Campus, Chemin du Thil, 80025 Amiens Cedex 1, France, [email protected] I Einleitung Fünfzig Jahre nach dem Eichmann-Prozess in Jerusalem in 1961 und achtundvier- zig Jahre nach der Veröffentlichung der ersten Auflage von Hannah Arendts Buch Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen, ruft dieses Werk immer noch heftige Kontroversen hervor. Die Debatten, die dieses Buch weiterhin veranlasst, begreifen verschiedene Themen ein: die Frage nach Arendts eigentli- chen Absichten in diesem Werk, diejenige nach dem Sinn ihrer Deutung von Eich- mann und seinem Verbrechen sowie diejenige nach der Rezeption des Werkes im internationalen Bereich seit seinem Erscheinen. Der berühmteste Meinungsstreit, der das Buch hervorbrachte, betrifft die Frage nach dem Wesen des Bösen selbst. In diesem Beitrag ist es nicht meine Absicht, alle diese verschiedenen Themen zu behandeln. Jetzt, fast ein halbes Jahrhundert nach dem Anfang der Kontroverse, beabsichtige ich auch nicht, die Richtigkeit ihrer Analysen näher zu prüfen. Nach den heftigen Diskussionen der vorangegangenen Jahrzehnte, möchte ich viel- mehr auf den Hauptbegriff des Buchs zurückkommen, den sein Untertitel ankün- digt: auf den viel diskutierten Begriff der sogenannten Banalität des Bösen. Ich möchte diesen Begriff erläutern, um ihn näher zu bestimmen und zu problemati- sieren. Zu diesem Zweck wird sich meine Analyse auf Bemerkungen von Hannah Arendts zeitgenössischen Kritikern beziehen. II Kritische Stimmen zum Begriff der Banalität des BösenWenn wir Arendts Deutung der Banalität des Bösenin Betracht ziehen, scheint dieser Begriff auf den ersten Blick relativ klar zu sein. Unter der Rubrik DOI 10.1515/naha-2012-0007 Naharaim 2012; 6(1): 108 120 Bereitgestellt von | Universitaetsbibliothek Leipzig Angemeldet Heruntergeladen am | 17.07.15 10:18

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Über die Unfähigkeit zu denken

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  • Jeffrey Andrew Barash

    ber die Unfhigkeit zu denken:Hannah Arendts Eichmann-Deutung

    Jeffrey Andrew Barash: Dpartment de Philosophie, Universit de Picardie, Jules VerneCampus, Chemin du Thil, 80025 Amiens Cedex 1, France, [email protected]

    I Einleitung

    Fnfzig Jahre nach dem Eichmann-Prozess in Jerusalem in 1961 und achtundvier-zig Jahre nach der Verffentlichung der ersten Auflage von Hannah Arendts BuchEichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalitt des Bsen, ruft dieses Werkimmer noch heftige Kontroversen hervor. Die Debatten, die dieses Buch weiterhinveranlasst, begreifen verschiedene Themen ein: die Frage nach Arendts eigentli-chen Absichten in diesemWerk, diejenige nach dem Sinn ihrer Deutung von Eich-mann und seinem Verbrechen sowie diejenige nach der Rezeption des Werkes iminternationalen Bereich seit seinem Erscheinen. Der berhmteste Meinungsstreit,der das Buch hervorbrachte, betrifft die Frage nach dem Wesen des Bsen selbst.In diesem Beitrag ist es nicht meine Absicht, alle diese verschiedenen Themen zubehandeln. Jetzt, fast ein halbes Jahrhundert nach dem Anfang der Kontroverse,beabsichtige ich auch nicht, die Richtigkeit ihrer Analysen nher zu prfen. Nachden heftigen Diskussionen der vorangegangenen Jahrzehnte, mchte ich viel-mehr auf den Hauptbegriff des Buchs zurckkommen, den sein Untertitel ankn-digt: auf den viel diskutierten Begriff der sogenannten Banalitt des Bsen. Ichmchte diesen Begriff erlutern, um ihn nher zu bestimmen und zu problemati-sieren. Zu diesem Zweck wird sich meine Analyse auf Bemerkungen von HannahArendts zeitgenssischen Kritikern beziehen.

    II Kritische Stimmen zum Begriffder Banalitt des Bsen

    Wenn wir Arendts Deutung der Banalitt des Bsen in Betracht ziehen,scheint dieser Begriff auf den ersten Blick relativ klar zu sein. Unter der Rubrik

    DOI 10.1515/naha-2012-0007 Naharaim 2012; 6(1): 108120

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  • Banalitt des Bsen versuchte Arendt, der enormen Diskrepanz zwischenEichmanns administrativer Ttigkeit beim systematischen Massenmord und sei-nem angeblich gemeinen Charakter Rechnung zu tragen. Wie Arendt oft betont,gab es bei Eichmann kein Zeichen dafr, da er ein Ungeheuer, mit dem dasBse traditionell identifiziert wird, war. Umso problematischer war deshalb dieDifferenz zwischen dem namenlosen Entsetzen vor seinen Taten und der unbe-streitbaren Lcherlichkeit des Mannes, der sie begangen hatte1. Wie oft wieder-holt wird, folgte Eichmann bei seinen Handlungen den damals gltigen Geset-zen des deutschen Reiches und gehorchte seinen Vorgesetzten. Wenn er an derAusfhrung von beispiellos blen Taten beteiligt war, waren diese doch vomFhrer und vom Staat befohlen. Wie Arendt es mehrmals zum Ausdruck bringt,konnte Eichmann behaupten, dass er nichts anderes als eine rein brokratischeTtigkeit ausgebt habe, bei der er selbst keinen Massenmord begangen undwhrend des Krieges sogar keinen einzelnen Menschen persnlich umgebrachthabe. berraschend war doch die Gleichgltigkeit, mit der er seine Ttigkeitauszuben schien, ohne deutliches Bewusstsein ihres blen Charakters zu zei-gen. Was Arendt bei Eichmanns Beschreibung dieser Ttigkeit berraschte, warseine absolute Unwissenheit ber alles [], was nicht unmittelbar technischoder administrativ mit seiner Arbeit verknpft war.2

    Diese Haltung charakterisiert Arendt als Eichmanns Unfhigkeit zu den-ken: seine Unfhigkeit, unabhngig von der Amtssprache derer, die diese Artadministrativer Funktion erfllten, zu denken und zu kommunizieren. Hier,nach Arendt, entdeckt man das Zeichen selbst von Eichmanns Banalitt: seineUnfhigkeit, ber sich selbst und ber andere Menschen zu reflektieren, ohneauf oberflchliche Klischees zurckzugreifen, die die genaue Natur seiner Teil-nahme an diesem System verheimlichte und ihn von aller persnlichen Verant-wortlichkeit zu entlasten schien.

    Eine der heftigsten kritischen Stimmen gegen Hannah Arendts Begriff derBanalitt des Bsen erhob der Schriftsteller Saul Bellow im Rahmen seinesRomans Mr. Sammlers Planet. Zur Zeit der Verffentlichung dieses Romans in1969 war Saul Bellow Hannah Arendts Kollege an der University of Chicago. DerRoman erzhlt die Geschichte eines in New York wohnenden polnisch-jdischenEmigranten, der whrend der deutschen Besatzung in Polen im 2. Weltkrieg sei-ne ganze Familie verlor. Als die Nazi Einsatzgruppen ihn umzubringen versuch-ten, entging er dem Tod durch reinen Zufall und berlebte den Krieg. Am An-fang des Romans gibt es ein fiktives Gesprch zwischen Sammler und Margot,

    1 Hannah Arendt, Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalitt des Bsen, Mnchen:Piper 2011, S. 132.2 Ebd., S. 131.

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  • der deutsch-jdischen Witwe seines verstorbenen Vetters. In Bezug auf Margotmacht der Geschichtserzhler die folgende unerfreuliche Bemerkung: Als wrees nicht genug Plage, jdisch zu sein, war diese arme Frau auch nochdeutsch.3 Das Gesprch fngt mit einer Frage an, die Margot hinsichtlich Han-nah Arendts Begriff der Banalitt des Bsen stellt. Auf diese Frage antwortetSammler:

    Die Idee, das grosse Verbrechen des Jahrhunderts langweilig erscheinen zu lassen, istnicht banal. Politisch, psychologisch hatten die Deutschen eine geniale Idee. Die Banali-tt war blosse Tarnung. Wie kann man den Mord besser von seinem Fluch befreien alsdadurch, dass man ihn alltglich, langweilig oder platt erscheinen lsst? Mit grsslicherpolitischer Einsicht fanden sie eine Methode, die Sache zu bemnteln. Intellektuelle be-greifen nicht. Sie holen sich ihre Vorstellungen von derartigen Dingen aus der Literatur.Sie erwarten einen bsen Helden wie Richard III. Aber glaubst du, die Nazis htten nichtgewusst, was Mord ist? Jeder Mensch (ein paar Blaustrmpfe ausgenommen) weiss, wasMord ist. Das ist sehr altes menschliches Wissen. Die besten und reinsten Menschen ha-ben von Anbeginn der Zeit verstanden, dass das Leben heilig ist. Diesem alten Verstnd-nis zu trotzen, ist nicht banal. Es war eine Verschwrung gegen die Heiligkeit des Le-bens. Banalitt ist die aufgelegte Tarnung eines sehr krftigen Willens, das Gewissenabzuschaffen. Ist ein solches Projekt trivial? Nur wenn das menschliche Leben trivial ist.Der Feind jener Professorin ist die moderne Zivilisation selber. Sie bedient sich bloss derDeutschen, um das zwanzigste Jahrhundert anzugreifen es mit Begriffen zu denunzie-ren, die von den Deutschen erfunden wurden. Bedient sich einer tragischen Geschichte,um die hirnverbrannten Ideen Weimarer Intellektueller zu frdern.4

    Diese Bemerkungen stellen eine sehr unfreundliche Karikatur von Arendts Aus-legung der Banalitt des Bsen dar, da sie die Banalitt wie sie diesen Termi-nus in Eichmann in Jerusalem verwendete der Trivialitt oder Abgedroschen-

    3 Saul Bellow, Mr. Sammlers Planet, Hamburg: Rowohlt 1973, S. 23; Harmondsworth, UK: Pen-guin 1969, S. 16.4 Ibid., S. 2425. "The idea of making the centurys great crime look dull is not banal. Political-ly, psychologically, the Germans had an idea of genius. The banality was only camouflage. Whatbetter way to get the curse out of murder than to make it look ordinary, boring, or trite? Withhorrible political insight they found a way to disguise the thing. Intellectuals do not understand.They get their notions about matters like this from literature. They expect a wicked hero likeRichard III. But do you think the Nazis didnt know what murder was? Everybody (except certainblue-stockings) knows what murder is. That is very old human knowledge. The best and puresthuman beings, from the beginning of time have understood that life is sacred. To defy that oldunderstanding is not banality. There was a conspiracy against the sacredness of life. Banality isthe adopted disguise of a very powerful will to abolish conscience. Is such a project trivial? Onlyif human life is trivial. This woman professors enemy is modern civilization itself. She is onlyusing the Germans to attack the twentieth century to denounce it in terms invented by Ger-mans. Making use of a tragic history to promote the foolish ideas of Weimar intellectuals. SaulBellow, Mr. Sammlers Planet, Harmondsworth: Penguin 1969, S. 1819.

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  • heit nie gleichstellte. Im Gegenteil, wie sie in ihrem erst 1976 erschienenen In-terview mit Thilo Koch, Der Fall Eichmann und die Deutschen, erklrte,

    I can regard a thought or a feeling as banal even if no one has ever uttered such a thingbefore and its consequences lead to disaster.5

    Aus diesem Grund ist die Banalitt nach Arendt auch nicht der Alltglichkeitgleichzustellen. In einem der Journalistin Herta Zerna im Juli 1965 geschriebe-nen Brief, der noch unverffentlicht ist, ermahnte Arendt, dass die Banalittnicht immer ein alltgliches Phnomen ist: Sie mssen doch auch schon erlebthaben, schrieb sie, da jemand Ihnen im Gesprch etwas ganz und gar nichtAlltgliches, sondern sogar berraschendes sagt, und Sie trotzdem denken wie minderwertig, wie banal.6

    Wenn aber die Banalitt nicht unbedingt der Abgedroschenheit, der Ge-meinheit oder der Alltglichkeit gleichzusetzen wre, was erlaubt Arendt, dieBanalitt nicht nur als Charakterzug Eichmanns darzustellen, sondern sie auchwohl mit seiner bereitwilligen Teilnahme an beispielslos blen Handlungen zu-sammenzubringen? Ihr Urteil grndete sich auf Abschriften und Zeugnissen, dievon Zeugen wie von Eichmann selbst im Kontext eines Prozesses abgelegt wur-den. War es doch auf dieser Basis legitim zu behaupten, wie dies Arendt mitgroer Selbstsicherheit tat, dass sie genau verstand, wer Eichmann vor zwanzigJahren war, als er in den ganz verschiedenen Umstnden seines frheren Le-bens diese furchtbare Funktion erfllte? Solche Fragen veranlassten bei JeanAmry einige sehr kritische Bemerkungen, weil Arendt, wie er schreibt, die Kon-zentrationslager nie persnlich erlebte, und daher kaum fhig war, das Bse,das sie nur aus der Ferne sah, zu beurteilen. Es gibt nmlich, wie wir in Am-rys Buch, Jenseits von Schuld und Shne. Bewltigungsversuche eines berwltig-ten, keine ,Banalitt des Bsen, und Hannah Arendt, die in ihrem Eichmann-Buch davon schrieb, kannte den Menschenfeind nur vom Hrensagen und sahihn nur durch den glsernen Kfig.7

    5 Hannah Arendt, The Eichmann Case and the Germans. A Conversation with Thilo Koch, in:H. Arendt, Jewish Writings, ed. Jerome Kohn and Ron H. Feldman, New York: Schocken 2007, S.487.6 Hannah Arendt, Brief an Herta Zerna, 8.7.1965, unverffentlicht, Hannah Arendt Manusc-ripts, Library of Congress, Washington, DC.7 Jean Amry, Jenseits von Schuld und Shne. Bewltigungsversuche eines berwltigten,Mnchen: Szczesny 1966, S. 89; in Paul Celans Exemplar von Amerys Buch wurde diese Be-hauptung mit dreifacher Randanstreichung hervorgehoben. Siehe: Paul Celan, La Biblioth-que philosophique, Paris: Editions de lENS rue dUlm 2004, S. 452.

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  • In Eichmann in Jerusalem stellte sich Hannah Arendt die Frage nach der Be-grenztheit ihrer eigenen Perspektive nicht auch wenn sie Leben und Tod in denKonzentrationslagern nie erfahren hatte und whrend dieser Ereignisse in Euro-pa auch nicht gelebt hatte. Sie erlaubte sich doch, die Urteilskraft anderer Beob-achter in Frage zu stellen, weil diese hinter der Banalitt von Eichmanns Haltungund Ausdrucksweise eine tiefere Quelle des Bsen bei ihm suchten. Whrenddes Prozesses, z. B. beschuldigten ihn die Richter, leeres Gerede von sich zu ge-ben, wenn er zur Beantwortung der Fragen, die an ihn gestellt wurden, immerwieder Klischees widerholte. Aber Arendts These von der Banalitt des Bsenfhrt sie zu einem dieser Meinung der Richter entgegengesetzten Schluss:

    Je lnger man ihm zuhrte, desto klarer wurde einem, da diese Unfhigkeit, sich aus-zudrcken, aufs engste mit einer Unfhigkeit zu denken verknpft war. Das heit hier,er war nicht imstande, vom Gesichtspunkt eines anderen Menschen aus sich irgendetwasvorzustellen. Verstndigung mit Eichmann war unmglich, nicht weil er log, sondernweil ihn der denkbar zuverlssigste Schutzwall gegen die Worte und gegen die Gegen-wart anderer, und daher gegen die Wirklichkeit selbst umgab.8

    Und hier kommen wir zum Kernpunkt: aufgrund von Eichmanns leeren ber-legungen wagte es Arendt, durch den Begriff der Banalitt des Bsen nicht nurEichmanns Charakter oder die Art und Weise, wie er seine Ttigkeit ausbte, zubeurteilen, sondern das Wesen des Bsen als solche zu charakterisieren. In die-sem Zusammenhang uerte sie die bekannte Idee, dass das Bse, statt, wieKant und eine moralphilosophische Tradition glaubten, radikal zu sein, viel-mehr banal sei, da oberflchlich und unfhig, das Denken im wesentlichen Sinnhervorzurufen. Das Bse, wie sie es in ihrem berhmten Brief an Gershom Scho-lem schrieb, entzieht sich [...] dem Denken, weil das Denken die Tiefe sucht,an die Wurzel zu gehen neigt, und sobald es sich mit dem Bsen beschftigt, istes frustriert, weil es nichts findet. Das ist die Banalitt.9

    Wenn Saul Bellow oder Jean Amry dem Begriff der Banalitt des Bsengeringen Wert beimaen, druckte Arendts ehemaliger Lehrer Karl Jaspers dafrein vershnliches Urteil ber ihr Buch aus, obwohl er hinsichtlich dieses Begrif-fes doch eine gewisse Skepsis zeigte. Bereits whrend der frheren Etappen desProzesses, wie es sein Briefwechsel mit Arendt zeigt, verfolgte Jaspers das Ver-fahren mit groem Interesse und dachte schon zu dieser Zeit, eher inhumaneCharakterzge bei Eichmann zu spren. Wie er Hannah Arendt im Juni 1961schrieb, zeigte Eichmann inzwischen noch andere Aspekte [], auch persn-

    8 Arendt, Eichmann in Jerusalem, S. 125126.9 Hannah Arendt, The Eichmann Controversy. A Letter to Gershom Scholem, Arendt, JewishWritings, S. 465.

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  • lich brutale.10 Zwei Jahre spter, nach der Verffentlichung des Eichmann-Buchs und nach den ersten Kontroversen, die sie veranlasst hatte, las JaspersArendts bereits erschienene Antwort an Scholem. Im Dezember 1963 schickteJaspers einen Brief an Arendt, um seine von ihr abweichende Meinung im Hin-blick auf den Begriff der Banalitt des Bsen zu uern. Auch wenn gewisseAusdrcke des Bsen von einer frappierenden Banalitt erscheinen knnen, istes nach Jaspers nicht legitim, daraus zu schlieen, dass das Bse als solchebanal wre. Seine Meinung lautet: Was das Bse sei, steht doch hinter derEichmann kennzeichnenden Redewendung.11

    Das, was hier zur Debatte steht, war also nicht blo die Banalitt von Eich-manns Charakter und seiner Sprache, die alle Beobachter bemerkten. Manknnte auch leicht einrumen, dass es wohl auch eine gewisse Beziehung zwi-schen Eichmanns Banalitt seiner Unfhigkeit unabhngig zu denken undseiner Bereitwilligkeit Massenmord zu organisieren gbe. Knnte man aber oh-ne weiteres daraus den Schluss ziehen, wie Arendt es tat, dass die Banalitt dasWesen des Bsen sei? Und wenn wir die Banalitt der Unfhigkeit zu denkengleichsetzen, impliziert dies nicht umgekehrt, dass diejenigen, die denken, anblen Handlungen nicht teilnehmen wrden?

    So etwas wollte Arendt nicht behaupten. Ihrer Idee nach, auf die ich obenaufmerksam machte, bildet die Unfhigkeit zu denken eine Unfhigkeit, vomGesichtspunkt eines anderen Menschen aus, sich irgendetwas vorzustellen.Diese Unfhigkeit hat nichts mit einem Mangel an irgendeinem abstrakten intel-lektuellen Vermgen zu tun, denn sie betrifft zunchst Eichmanns Unfhigkeit,sich in die Situation eines Anderen hineinzuversetzen, aus dem Standpunkt ei-ner Pluralitt verschiedener Perspektiven zu denken. Diese Fhigkeit war nachArendt mit derjenigen, die Wirklichkeit als solche zu verstehen, verknpft, undsie beschrieb demnach Eichmanns Unfhigkeit zu denken als eine Art Entfer-nung von der Wirklichkeit. Nur durch eine solche Fhigkeit zu denken ist es,nach ihr, mglich, dem Bsen Widerstand zu leisten. Hier besteht nach Arendt

    10 Karl Jaspers an Hannah Arendt, 8. Juni 1961, in: Hannah Arendt, Karl Jaspers, Briefwechsel:19261969, Mnchen: Piper 1985, S. 476.11 Karl Jaspers an Hannah Arendt, 13. Dezember 1963, Hannah Arendt, Karl Jaspers, Briefwech-sel, ebd., S. 578. Neuerdings hat Bettina Stangneth in ihrem wichtigen Buch Eichmann vorJerusalem Eichmanns zum meisten Teil unverffentlichten Schriften und Interviews, die in Ar-gentinien whrend der 50er Jahre verfasst wurden, analysiert und eine hnliche Meinung wieJaspers berzeugend verteidigt. Aufgrund ihrer Untersuchungen hat Bettina Stangneth die Dar-stellung von der Gleichgltigkeit der Haltung Eichmanns sowie der Schwche seiner intellek-tuellen und sprachlichen Fhigkeiten grundstzlich in Frage gestellt. Cf. Bettina Stangneth,Eichmann vor Jerusalem. Das unbehelligte Leben eines Massenmrders (Zrich/Hamburg:Arche, 2011).

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  • der innere Bezug zwischen dem Denken und dem Guten, denn, wie sie Scholemerklrte, nur das Gute hat Tiefe und kann radikal sein.12

    Dieser Punkt ist wesentlich. Er zeigt, dass in gewissen Hinsichten, nachArendt, auch Personen, die eine intellektuelle Ttigkeit ausben, nicht immer zudenken fhig sind. Es ist bekannt, dass in Nazideutschland viele IntellektuelleHitlers Fhrerschaft untersttzten und die gewaltttigen politischen Mythologiendes Dritten Reiches verbreiteten. Aber hier stt die Idee der Banalitt als we-sentlicher Zug des Bsen auf eine scheinbar unberwindliche Aporie. Wenn In-tellektuelle in wichtigen Umstnden sich als unfhig zu denken erweisen, wennsie an Orientierungen teilnehmen, die als bse angesehen werden, knnen wirsie ohne weiteres als banal kennzeichnen? Auch wenn eine blinde Gedanken-losigkeit einen brillanten Intellektuellen begleitet, inwiefern knnte man durchden Begriff der Banalitt des Bsen, wie er Eichmanns Klischees, oder seine inAmtssprache ausgedruckte Selbstdarstellung kennzeichnet, die Handlung vonoffensichtlich nicht banalen Persnlichkeiten verstndlich machen?

    III Die Rechtskategorie Verbrechen gegen dieMenschheit und Carl Schmittsnullum crimen, nulla poena

    Anlsslich der Verffentlichung im Times Literary Supplement einer von ErnstGellner verfassten Rezension, die die von Elisabeth Young-Bruehl geschriebeneund 1982 erschienene intellektuelle Biographie von Hannah Arendt, HannahArendt. For Love of the World, kritisch beurteilte, verffentlichte einige Wochenspter dieselbe Zeitschrift einen Leserbrief von Sir Karl Popper, in dem er sich zuHannah Arendts Begriff der Banalitt des Bsen uerte. In diesem Brief fragtePopper nach der Absicht, die hinter Hannah Arendts Formulierung dieses Begrif-fes steckte. Seiner Meinung nach stellte die Gleichsetzung des Bsen mit der Ba-nalitt einen impliziten Versuch dar, Intellektuelle, und insbesondere Arendtsintimen Freund Martin Heidegger, fr ihre Untersttzung der Hitlerregierung zuentschuldigen. Wenn das Bse im Wesen Banal ist, wie Popper schreibt, folgtes, dass Heidegger das Bse nicht sein kann, weil er sicher nicht banal ist.13

    12 Arendt, The Eichmann Controversy, S. 471.13 "If evil is, in essence, banal [...], then [...] Heidegger [...] cannot be evil; for surely [he is]not banal", Karl Popper, Letter to the Editor, Times Literary Supplement. 10. September1982. Gellners Rezension erschien im Times Literary Supplement, am 6. August 1982.

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  • Es wrde den Rahmen dieses kurzen Artikels berschreiten, die Frage vonArendts komplizierter Beziehung zu Heidegger nher zu behandeln. Darber ha-be ich in anderen Kontexten geschrieben.14 Poppers Bemerkung weist doch sehrdeutlich auf das zentrale Problem hin, das der Begriff der Banalitt des Bsenstellt. In Eichmann in Jerusalem hat Arendt Heideggers Namen nie erwhnt, undes gibt auf jeden Fall keinen deutlichen Massstab, der uns erlauben wrde,Heideggers Untersttzung der Hitler-Regierung whrend seiner Ttigkeit 1933-34 als Rektor der Freiburger Universitt mit Eichmanns Rolle als Verwalter desMassenmords zu vergleichen. Abgesehen von einigen Beispielen, wie AlfredBumler, der als Assistent von Alfred Rosenberg, Gauleiter des besetzten Ost-gebiets, diente, oder dem Rassen-Ideologen Hans Gnther, der fr die Rassen-mythologie der Nationalsozialisten eine pseudowissenschaftliche Rechtfertigunglieferte, waren nur wenige Intellektuelle whrend der 40er Jahre in Deutschlandfr Massenmord unmittelbar verantwortlich. Nur wenige Intellektuelle haben ei-ne ideologische Rechtfertigung des Massenmordes geboten. Trotzdem war dieKenntnisnahme von Arendts Argumenten in Eichmann in Jerusalem eine beun-ruhigende Erfahrung, nicht nur fr viele Juden und andere Kritiker, sondernauch, aus ganz verschiedenen Grnden, fr manche Intellektuelle, die das Drit-te Reich ideologisch untersttzt hatten. Als prominentes Beispiel nehmen wirCarl Schmitts Reaktion auf Arendts Buch in den Blick. Im Jahre 1934 entwickelteder Rechtswissenschaftler Carl Schmitt wohl eine Rechtfertigung des Fhrer-prinzips und der Nazi-Diktatur. Ein Jahr spter nannte er ffentlich die Nrnber-ger Gesetze, die der staatlichen Diskriminierung gegen Juden eine rechtlicheGrundlage gaben, eine Verfassung der Freiheit.15 Mit der Untersttzung vonGoebbels veranstaltete Carl Schmitt 1936 eine Tagung der deutschen Rechtswis-senschaftler zum Thema: Die deutsche Rechtswissenschaft im Kampf gegenden Jdischen Geist.16 Achtzehn Jahre nach dem Ende des zweiten Weltkriegeslas Carl Schmitt Hannah Arendts Eichmann in Jerusalem kurz nachdem das Bucherschienen war. Im November 1963 schrieb Carl Schmitt in diesem Zusammen-hang einen Brief an seinen ehemaligen Schler Ernst Forsthoff, in dem er seineReaktion auf dieses Buch deutlich beschreibt. In seinen Worten:

    14 Vgl. Barash, The Political Dimension of the Public World: On Hannah Arendts Interpreta-tion of Martin Heidegger, in: On Hannah Arendt: Twenty Years Later, ed. Larry May and JeromeKohn, Cambridge, MA: MIT Press 1996, S. 251268; Martin Heidegger and the Politics of Re-membrance, in: Naharaim. Zeitschrift fr deutsch-jdische Literatur und Kulturgeschichte, I. 2(2007): 216239.15 Carl Schmitt, Die Verfassung der Freiheit, in: Deutsche-Juristen Zeitung, 40. Jahrgang,Heft 19 (Oktober 1935): 11331135.16 Carl Schmitt, Die deutsche Rechtswissenschaft im Kampf gegen den Jdischen Geist, in:Deutsche-Juristen Zeitung, 41. Jahrgang, Heft 20 (Oktober 1936): 11931199.

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  • Als ich Hannah Arendts Eichmann in Jerusalem las, htte ich beinahe etwas dazu ge-schrieben. Das Buch ist derartig aufregend, dass ich einige Wochen davon krank war;nicht etwa, weil ein Giftspritzer gegen mich darin vorkommt [...], sondern weil ich wiederauf mein Gutachten vom August 1945 zurckkam, besonders auf dessen Schluss-Bemer-kung. Aber ich will lieber schweigen.17

    Wenn man Carl Schmitts Untersttzung der Naziregierung bedenkt, insbesonde-re seine Verteidigung der angeblichen berlegenheit der nationalsozialistischenIdee des Menschenrechts im Vergleich zur Rechtsidee, die in parlamentarischenOrdnungen entwickelt wurde, sind seine Bemerkungen besonders kommentar-wrdig. In der Schlussbemerkung seiner im 1945 verfassten und bereits erwhn-ten Flugschrift, versuchte er sich gegen Vorwrfe hinsichtlich seiner ideologi-schen Rolle in Nazideutschland zu verteidigen. Hier stellte er die Gltigkeitsolcher Anklagen in Frage, insofern sie auf Grund einer neuen Kategorie desinternationalen Rechts Verbrechen gegen die Menschheit ex post facto ver-wendet worden sind. In dieser Flugschrift zweifelte Schmitt an der Legitimittsolcher neuen Kategorien des internationalen Rechts, weil sie von den Siegernangekndigt wurden, um angebliche Verbrechen, die vor der Existenz des Ge-setzes begangen wurden, zu strafen. Hier findet man laut Schmitt die Erschaf-fung eines nicht nur neuen, sondern auch vllig neuartigen internationalenVerbrechens, und er behauptete, dass der Staatsbrger, der nicht an den Gru-eltaten direkt teilnahm, Immunitt verlangen konnte. Diese Mglichkeit warlaut Schmitt auf Grund eines fundamentalen Prinzips des traditionellen Natur-rechts und der Moral berechtigt: In Abwesenheit vom Gesetz kann es weder Ver-brechen noch Strafe geben: nullum crimen, nulla poena sine lege. Fnf Jahrenach der Verffentlichung dieser Flugschrift hat Schmitt dieses Prinzip in seinem1950 verffentlichten Buch Nomos der Erde noch ausfhrlicher verteidigt. Hierbehandelte er das, was er als Kriminalisierung des Krieges bezeichnete, dienach ihm durch die Vereinigten Staaten und die anderen alliierten Sieger durch-gesetzt worden ist. Laut Carl Schmitt vollzieht sich infolge der Globalisierungdes Krieges im Laufe des 20. Jahrhunderts und der Ausweitung der globalenMacht der Vereinigten Staaten, eine Umgestaltung des Krieges in seinem Wesen.Nur in diesem Kontext versteht man den genauen Sinn dieser neuen Form desinternationalen Rechts, die es den Vereinigten Staaten im Namen des gerechtenKriegs umso wirksamer erlaubt, ihre globale Hegemonie auszudehnen.18

    17 Carl Schmitt an Ernst Forsthoff, 18. November 1963, in: Ernst Forsthoff, Carl Schmitt, Brief-wechsel, 19261974, Berlin: Akademie Verlag 2007, S. 197198.18 Carl Schmitt, Der Nomos der Erde im Vlkerrecht des Jus Publicum Europaeum (Berlin: Dun-cker und Humboldt, 1997), pp. 233285.

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  • Es ist merkwrdig, dass Arendt in ihren verffentlichten Werken dieses The-ma bei Carl Schmitt nicht behandelt. Trotzdem findet man in einem kurzen Ein-trag vom Juli 1952, das sich im erst nach ihrem Tode verffentlichten Denk-tagebuch befindet, die Bemerkung, dass Schmitts Argument im Buch Nomos derErde nur eine in der Nachkriegszeit fortgesetzte Verteidigung der frheren Ideo-logie des Nationalsozialismus darstellt.19

    Schmitts Kritik an den neuen Formen des internationalen Rechts, und ins-besondere an der rechtlichen Kategorie des Verbrechens gegen die Menschheit,bildet ein gewisses Problem im Hinblick auf Arendts Analyse des Falls Eich-mann. Liesse man Schmitts Kritik, die die rckwirkende Verurteilung vonKriegsverbrechen auf Grund der neuen Kategorie des Verbrechens gegen dieMenschheit in Frage stellt, zu, wrde diese Ablehnung nicht auch die Schuldvon Adolf Eichmann aufheben, da er nur Befehle ausfhrte und persnlich kei-ne Grueltaten beging? Umgekehrt, falls man diese Anklagen gegen Eich-mann annhme, obwohl er eine rein administrative Ttigkeit ausbte, wreman nicht auch berechtigt, die Schuld noch anderer Figuren zu behaupten,wenn auch in einem minderen Grad, wegen ihrer Untersttzung der Nazi Ras-senpolitik in der Zeit vor dem Krieg und vor den Grueltaten des Massenmor-des? Man versteht sehr gut warum Schmitt beim Lesen von Eichmann in Jerusa-lem beunruhigt war.

    Weil Hannah Arendt sich fast ausschlielich auf Eichmann als Exemplarder Banalitt des Bsen konzentriert, stellt sie sich solche heikle Fragen nicht.Den Namen von Carl Schmitt erwhnt sie nur einmal in Eichmann in Jerusalem,dann nmlich, wenn sie behauptet, dass Dieter Wechtenbruch, der Assistent vomVerteidiger Robert Servatius, ein Jnger Carl Schmitts sei eine Behauptungdie Carl Schmitt in dem oben erwhnten Brief an Forsthoff heftig bestreitet.20

    Arendt hat doch die Gltigkeit der Rechtskategorie vom Verbrechen gegen dieMenschheit deutlich befrwortet. Ein Militrgericht, nach ihr, wie in Nrnberg,auch wenn es ein Gericht der Siegermchte war, spielt eine Rolle, die offensicht-lich nicht nur die bloe Voreingenommenheit ihrer Macht zum Ausdruck bringt.Auch da, wo das Gericht die Angeklagten auf Grund traditioneller Verbrechens-kategorien wie Kriegsverbrechen verurteilte, hat der Rechtsspruch das beispiels-los Neue des Verfahrens implizit anerkannt, indem Verbrechen gegen dieMenschheit, auch wo dies nicht erwhnt ist, besonders hart bestraft wurden. Inihrer Verteidigung der Legitimitt der Kategorie von Verbrechen gegen die

    19 Hannah Arendt, Denktagebuch, hrsg. von Ursula Ludz und Ingeborg Nordmann, Zrich: Pi-per 2002, S. 217218.20 Arendt, Eichmann in Jerusalem, S. 129; Carl Schmitt an Ernst Forsthoff, 18. November 1963,Forsthoff, Schmitt, Briefwechsel, S. 197-198.

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  • Menschheit, berief sich Hannah Arendt auf die Arbeit eines der wichtigsten Geg-ner Carl Schmitts: seines ehemaligen Schulers Otto Kirchheimer. In seinenSchriften der Vorkriegszeit unterzog Kirchheimer Schmitts Rechtfertigung desnationalsozialistischen Rechtssystems einer harten Kritik. Nach dem Krieg dien-te Kirchheimers Buch Political Justice (1961) als wichtige Quelle fr die Theorieder Rechtskategorie Verbrechen gegen die Menschheit. Wie nach Kirchhei-mers Auslegung, die Arendt mehrmals in Eichmann in Jerusalem zitiert, giltnach ihr diese Rechtskategorie, auch wenn sie ex post facto und, wie im Eich-mannprozess, in Abwesenheit eines internationalen Gerichts angenommen wur-de.

    Nach der Verffentlichung der ersten, im New Yorker als Aufstze erschiene-nen Version von Eichmann in Jerusalem, schickte sie Arendt an Otto Kirchhei-mer, der damals in Washington wohnte. In einem noch unverffentlichten Briefvom 15. Mrz 1963 antwortete Kirchheimer an Arendt und schrieb ihr, dass ihrEichmann-Bericht ihm sehr gefallen habe: mit ungefhr zwei-drittel ihrer Be-hauptungen, erwiderte er, bin ich einverstanden. Seine von ihr abweichendeMeinung sei von nicht allzugroem Belang und betreffe eher juristische alspolitische oder moralische Themen.21 Er ging in diesem Briefwechsel leidernicht auf den Grund dieser abweichenden Meinung ein. Auerdem erwhntenin diesem Briefwechsel weder Arendt noch Kirchheimer den Namen von CarlSchmitt. Kirschheimer aber zeigte ein gewisses Interesse fr Arendts Analyseeines anderen Rechtswissenschaftlers, Hans Globke, der wie Carl Schmitt, wh-rend der Nazi-Zeit ttig war. In Eichmann in Jerusalem bte Arendt heftige Kritikan Globke. Ich werde mit dieser Kritik, die das Problem der Unfhigkeit zu den-ken in seinem Zusammenhang mit der Banalitt des Bsen unmittelbar be-trifft, meine Behandlung dieses Themas abschlieen.

    IV Die Banalitt der guten Gesellschaftund die synchronisierten Gesinnungsgenossen

    Wie Arendt im Buch Eichmann in Jerusalem schreibt, arbeitete Hans Globkewhrend der dreiiger Jahre als Ministerialrat im Preuischen Innenministeri-

    21 Otto Kirschheimer, Brief an Hannah Arendt vom 15. Mrz 1963; Hannah Arendt, Otto Kirsch-heimer Briefwechsel, unverffentlicht; Otto Kirchheimer Papers, M. E. Grenander Department ofSpecial Collections & Archives, State University of New York at Albany Library. Fr die Erlaub-nis, Briefe aus diesem unverffentlichten Briefwechsel zu zitieren, mchte ich der State Univer-sity of New York Library meine Dankbarkeit ausdrucken.

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  • um. Im ersten Kapitel ihres Buchs bemerkt Arendt dass Globke 1932, bereits vorHitlers Machtbernahme, die ersten Richtlinien verfasste, die den Nachweis derarischen Abstammung durch entsprechende Urkunden erforderlich machten.22

    Nach Hitlers Machtergreifung und ein Jahr nach Carl Schmitts Befrwortung derNrnberger Gesetze als Verfassung der Freiheit, schrieb Globke zusammenmit Wilhelm Stuckart eine juristische Deutung der Nrnberger Gesetze von1935.23 Im Rahmen seiner Funktion, wie Arendt behauptet, schlug Globke esvor, deutsche Juden dazu zu zwingen, Israel oder Sarah als zweiten Namenanzunehmen. In der Zeit nach seiner Ttigkeit als Ministerialrat whrend desDritten Reichs durfte Globke nach dem zweiten Weltkrieg als Staatssekretr un-ter Adenauer weiterdienen. Wie Arendt schreibt, war er zu dieser Zeit sogar ei-ner der engsten Berater Adenauers. Im Lauf ihres Eichmannbuches erwhntArendt mehrmals den Namen Globkes, und sie beschreibt seine Ttigkeit undseinen Erfolg mit einer Bitterkeit, die verstndlich ist. Er war ein eminentes Mit-glied der guten, vornehmen Gesellschaft. Im Fall Globkes, wie der berwie-genden Mehrzahl von deutschen Intellektuellen, die Hitler unterstutzten, mages sein, dass er fr die Ausfhrung vom Massenmord nicht direkt verantwortlichwar. Hier aber bietet Arendt meiner Meinung nach eines der strksten Argumen-te ihres Buchs: gerade die ffentliche Bejahung der Nazi Politik, die solche Mit-glieder der vornehmen Gesellschaft lieferten, konnte Eichmann, der aus einemniedrigen sozialen und intellektuellen Milieu stammte, als unmittelbare Recht-fertigung seiner Haltung gegenber Juden und anderen Minoritten dienen. Ge-rade die Haltung der guten Gesellschaft schien Eichmanns Weltanschauungzu besttigen und gab ihr den Schein der Normalitt. In Bezug auf die Haltungdieser Gesellschaft muss man Eichmanns Bereitwilligkeit, eine radikale Lsungder Judenfrage anzunehmen, nher in Betracht ziehen. Im Eichmann-Buchschreibt Arendt in dieser Hinsicht:

    [Eichmanns] Gewissen konnte sich umso leichter beruhigen, als er ja sah, mit welcherBeflissenheit und welchem Eifer die gute Gesellschaft allenthalben genauso reagiertewie er. Er brauchte nicht, wie es im Urteil hie, sein Ohr der Stimme des Gewissens zuverschlieen; nicht, weil er keins gehabt htte, sondern weil die Stimme des Gewissensin ihm genauso sprach wie die Stimme der Gesellschaft, die ihn umgab24

    22 Arendt, Eichmann in Jerusalem, S. 222.23 Wilhelm Stuckart und Hans Globke, Kommentare zur deutschen Rassengesetzgebung, Mn-chen: Beck 1936. ber die Rassenpolitik von Globke und Stuckart sowie auch von Carl Schmittvgl. Dirk Blasius, Carl Schmitt. Preussischer Staatsrat in Hitlers Reich, Gttingen: Vandenhoeckund Ruprecht 2001, S. 168169.24 Ebd., S. 220.

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  • In der Perspektive, die Arendt hier erffnet, begegnen wir wieder dem Haupt-problem, das der Begriff der Banalitt des Bsen fr uns frher gebildet hat.Diese Mitglieder der vornehmen Gesellschaft, wenn sie nicht alle banal imSinn Eichmanns waren, nahmen doch, wenn auch in einem minderen Grad, amPhnomen des Bsen teil. Ich glaube, dass gerade diese Behauptung uns dazufhren muss, den Begriff der Banalitt als Wesen des Bsen, wie Hannah Arendtihn versteht, zu revidieren

    Zum Schluss zitiere ich noch einen weiteren Brief Carl Schmitts, diesmaleinen, den er seinem ehemaligen Schler Armin Mohler schrieb. Hier reagierteer in einem anderen Zusammenhang auf den Eichmann-Prozess, der bereits be-gonnen hatte. In diesem Brief vom 18.5.1961 erwhnt er, dass sein Name in ei-nem Aufsatz in der Neuen Zrcher Zeitung in Zusammenhang mit der Nazi-Ver-gangenheit und der Erffnung des Eichmannprozesses bereits erschienen sei.Einige seiner Kollegen, schreibt er, [...] sahen mich schon im kugelsicherenGlaskasten. Und er fgt hinzu: Nach einer Reuter-Meldung vom 28/4 ghntEichmann in seinem Glaskasten. Am gleichen Tag stotterte Globke vor demFernsehschirm. Das mu man synchronisieren.25

    25 Brief an Armin Mohler, 18.5.1961, in: Carl Schmitt, Briefwechsel mit einem seiner Schler,hrsg. von Armin Mohler. Berlin: Akademie, 1995, S. 306.

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