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Dokumentation 29.11.2012 | GSH NRW Herzlich willkommen im Selbsthilfe-Café! Auf der Tageskarte: Medikamente im Alltag chronisch Kranker – Es hilft nur, was „klug“ genommen wird. Gastgeber: Erweiterter Sprecherkreis der Gesundheitsselbsthilfe NRW

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Dokumentation 29.11.2012 | GSH NRW

Herzlich willkommen im Selbsthilfe-Café!

Auf der Tageskarte: Medikamente im Alltag chronisch Kranker – Es hilft nur, was „klug“ genommen wird.

Gastgeber: Erweiterter Sprecherkreis der Gesundheitsselbsthilfe NRW

SELBSTHILFE-CAFE

INHALT

Herzlich willkommen im Selbsthilfe-Cafe!

Vorgestellt Selbsthilfe-Café Gastgeber/-Gäste/ -Regeln Café-Begleiter Ablauf des Café-Gespräches

Thema Arzneimittel-Compliance in der Selbsthilfe – Es hilft nur, was „klug“ genommen wird.

Moderation Gisela Schulz

Diskussionsinhalte – Locker vom Hocker – Das Wichtigste zuerst – Nicht immer wird Vertrauen aufgebaut – Die Eigenverantwortung bleibt immer – Falsch empfundene Medikation – Wenn die Medikation zum Muss wird – Eigenverantwortung – aber mit Verantwortung – Nicht immer liegt die Schuld beim Arzt

Vorsicht bei Informationen übers Internet Compliance: Aufgaben der SelbsthilfegruppenEin Schritt in die richtige RichtungAbschlussrunde Statement der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein (KOSA) zum Selbsthilfe-CaféImpressionen LinksFür Sie entdecktImpressum

ADHS Deutschland e. V. ALOS Freundeskreise Suchtselbsthilfever-

band e. V. Arbeitskreis der Pankreatektomierten e. V. Deutsche Rheuma-Liga NRW e. V. Deutsche Diabetes-Hilfe LV NRW e. V. DMSG LV NRW Frauenselbsthilfe nach Krebs NRW e. V. GBS-Initiative e. V. Huntington-Selbsthilfe NRW e. V. I.G. Niere NRW e. V. Kreuzbund e. V. LV Alzheimer NRW LV der Kehlkopfoperierten NRW LV Epilepsie NRW LV Epilepsievereinigung NRW

Non-Hodgkin-Lymphome-Hilfe NRW Plasmozytom/Multiples Myelom Selbsthilfe-

Gruppe NRW e. V. Schlaganfall - Landesverband NRW ShAlk NRW e. V. Der Paritätische – Fachgruppe Selbsthilfe Der Paritätische – GSH NRW Landesverband Schlafapnoe in NRW Landesverband der Aphasiker NRW e. V. Deutsche Heredo-Ataxie Gesellschaft LV NRW Der Paritätische – Unterstützungsstelle Bun-

desverbände Der Paritätische – Gesundheitsselbsthilfe und Migration KOSA Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein

TEILNEHMER/-INNENAm Café-Gespräch haben rund 30 Vertreter/-innen folgender Organisationen teilgenommen:

SELBSTHILFE-CAFE

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Das Selbsthilfe-Café

ist keine Fachtagung, sondern ein Ort für den Dialog.

Dialog

– ist Erfahrungsaustausch – und kein Kampf

um Meinungen, um „richtig“ oder „falsch“.

– heißt, die Kraft der Gruppe zu nutzen.

Den Dialog zu führen – das ist Selbsthilfe!

Herzlich willkommen im Selbsthilfe-Café!

Vorgestellt

Selbsthilfe-Cafés sind Orte für Austausch, Begegnung, und lebendigen Dialog. Die Beiträge zu den, Diskussionen sind so vielfältig wie die Teilnehmer/-innen. Hier werden mit engagierten Menschen Zukunftsfragen in der Selbsthilfe erörtert.

Das Prinzip: Jeder Landesverband, jede Selbsthilfegruppe kann Gastgeber mit ihrem/seinem Thema werden. Die Gastgeber ernennen sich selbst und laden alle interessierten Selbsthilfeverbände und Selbsthilfegruppen ein, um miteinander an diesem Thema zu arbeiten. Es werden mit der Diskussion neue Wege gesucht und neue Sichtweisen eröff net.

Was haben die Café-Gäste davon? Suchen sie nach Ideen für neue Wege der Verbandsarbeit? Wüssten Sie gerne, wer zu einem für sie wichtigen Thema bereits Erfahrungen gesammelt hat? Glauben sie, dass Selbsthilfe nicht selbstverständlich ist, sondern immer wieder neu belebt werden muss? Dass sich Probleme, zumindest (meistens,) nicht von selbst lösen? Sind Sie davon überzeugt, dass Selbsthilfe als gleichberechtigter Dialog von Betroff enen ein guter Weg ist, um aus Krisen zu lernen, von Erfahrungen zu profi tieren und Veränderungen zu bewältigen? Dann sind Sie im Selbst-hilfe-Café richtig!

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SELBSTHILFE-CAFE

Eingeladen zum Selbsthilfe-Café hatte der Erwei-terte Sprecherkreis der Gesundheitsselbsthilfe NRW/Wittener Kreis (GSH.NRW/WK). Für echte Café-Atmosphäre sorgten im Konzertsaal von Haus Witten nicht nur Ka� ee und Tee, sondern

auch eine geänderte Sitzordnung. Die Teilneh-mer bildeten einen Kreis, der sofort für eine lockere Stimmung sorgte und eine zwanglose Diskussionsrunde besser ermöglichte als eine starre Sitzordnung an Tischen.

Der Gastgeber

(v. li.) Wolfram Schlums, Dr. Volker Runge Sprecher der GSH NRW

(v. li.) Gisela Schulz, Ulf Jacob, Rita Januschewski Erweiterter Sprecherkreis der GSH NRW

Die Café-Gäste

Stephanie Theiß und Marita Meye | Koopera-tionsberatung für Selbsthilfegruppen und Ärzte der Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein (KOSA)

Die besonderen Regeln des Selbsthilfe-Café-Begleiters wurden vorab erklärt. Das ist beson-ders wichtig, damit alle am Café-Gespräch Betei-ligten wissen, wie das Gespräch funktioniert und welche Regeln des miteinander Umgehens einzuhalten sind.

1. Es gibt immer einen Gastgeber mit einem eige-nen Themenanliegen (Gruppe/Organisation).

2. Das Thema wird bei o� ener Beteiligungs-struktur für andere Gruppierungen zugäng-lich gemacht und es kommen nur am Thema Interessierte.

3. Die Vielfalt der Teilnehmer wird zur Stärke gebracht (es gibt nicht nur eine Lösung. Es gibt kein „Richtig“ oder „Falsch“).

4. Wertschätzender Erfahrungsaustausch statt Meinungsabklatsch.

5. Café-Atmosphäre herstellen durch Tischge-staltung, Ka� ee /Tee etc.

6. Ergebnisse festhalten (eventuell jemanden für eine Dokumentation einkaufen – der Preis lohnt sich immer, wenn die Vielfalt der Dis-kussionsbeiträge nicht verloren gehen sollen).

7. Moderierende Café-Begleitung: Die Modera-tion/Café-Begleitung ist fachlich möglichst nicht im Thema (Wahrung einer Themen-Distanz), mischt sich inhaltlich nicht ein, achtet auf die Einhaltung der Café-Prinzipien, mode-riert die Gespräche.

Der Café-Begleiter und

der Ablauf des Café-Gespräches

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SELBSTHILFE-CAFE

aufmerksames Zuhören Zurückhaltung beim Bewerten oder Urteilen von sich sprechen o� en sein für andere Sichtweisen sich auf das Wesentliche konzentrieren andere Meinungen respektieren Erfahrungsaustausch statt Meinungsabtausch jeder bringt etwas Wichtiges mit Respekt vor der Vielfalt an Meinungen, Per-

spektiven und Werten jeder ist für sich verantwortlich

Die Café-Regeln

Das Thema Arzneimittel-Compliance in der Selbsthilfe – Es hilft nur, was klug genommen wird!

Unter Compliance versteht man in der Medi-zin das kooperative Verhalten des Patienten im Rahmen seiner Therapie und die konse-quente Befolgung der ärztlichen Ratschlä-ge, kurz gesagt, seine Therapietreue – so heißt es auf der Homepage der forschen-den Pharma-Unternehmen. Sucht man nach weiteren Übersetzungen des Wortes, stößt man unter anderem auf „Übereinstimmung“, „Regelbefolgung“, „Zustimmung“, „Folge-bereitschaft“, „Einwilligung“ und „im me-dizinischen Sinne Einnahmetreue“.

Doch wie treu oder untreu sind Patienten wirklich? Und wie sinnvoll ist es, der Medika-tion der Ärzte grundsätzlich Folge zu leisten? Wie viel Eigenverantwortung sollte man ein-bringen? Diese Fragen galt es zu erörtern.

Ulf Jacob, Geschäftsführer der Rheuma-Liga NRW und Mitglied im Erweiterten Sprecher-kreis, erklärte zunächst, warum das Thema Arzneimittel-Compliance in der Gesund-heitsselbsthilfe diskutiert werden müsse: „Man mag glauben, dies sei ein alter Hut. Aber es gibt Studien, die besagen, dass beispiels-weise ein Großteil der Krebs patienten die

verordneten Medikamente nicht regelmäßig nimmt. Was steckt hinter dieser scheinba-ren Verweigerung? Warum folgen Patienten den Anweisungen der Ärzte so o� en sichtlich nicht? Es geht doch um ihre Gesundheit. Wollen die Patienten nicht gesund werden? Nein – das kann nicht sein. Hier sollten die Betro� enen mit ihren Ärzten genauer hin-schauen. Was läuft hier verkehrt?“

Auch die Ärzteschaft sei bei diesem Thema durchaus sensibilisiert. Das zeigte sich in einem Gespräch mit Herrn Dr. Pottho� , Vor-sitzender der KVNo. Einige Ärzte bemerken inzwischen, dass Patienten aus dem Arzt-zimmer gehen ohne die Erklärungen des Arztes angenommen zu haben. Erst, wenn die Sprechstundenhilfe die Erklärung noch-mals gibt, kommt diese bei der Patientin/dem Patienten an. „Wer ist also das richtige Bindeglied in der Kommunikation, um mehr Compliance zu erreichen?“, fragte Ulf Jacob.

Ein Erklärungsmotiv für die Verunsicherung von Patienten liege sicherlich auch in der häufig „vertuschten“ und dafür umso mehr von den Medien hochgeputschten Meldung

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SELBSTHILFE-CAFE

über fehlerhafte Behandlungen, so Ulf Jacob. Er betonte: „Wenn man in der Zeitung liest, dass es Krankenhausaufenthalte aufgrund falscher Medikationen, Wechsel- und Ne-benwirkungen gibt, löst das natürlich Angst beim Patienten aus. Genauso wird der Pati-ent in seinem Verhalten bestärkt, bestimmte Medikamente nicht zu nehmen oder, sobald es ihm subjektiv besser geht, abzusetzen. Zum Beispiel, wenn neuere Studien die Un-nötigkeit belegen, Antibiotika immer zuen-de zu nehmen, obwohl dieses von Ärzten jahrelang entsprechend erklärt wurde“. Das Thema habe demnach sehr vielfältige Fa-cetten und es stelle sich die Frage, was die Gesundheitsselbsthilfe tut und tun kann, um eine vernünftige Compliance und Haltung zu Arzneimitteln zu erreichen.

Im Anschluss erörterte Ralf Lobert, Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft NRW (DMSG NRW) die Wichtigkeit des Themas aus der Sicht Multiple-Sklerose-Betro� ener:

„Die Krankheit ist oft mit der Einnahme von Medikamenten verbunden, damit kein neu-er Schub auftritt oder der Schub sich nicht so dramatisch zeigt. Doch Medikamente er-zeugen immer auch Nebenwirkungen, wie zum Beispiel Kopfschmerzen. Generell stellt sich häu� g die Frage: Geht es mir gut, weil ich das Medikament nehme und muss ich dafür ‚nur‘ die Kopfschmerzen in Kauf neh-men oder würde mein Wohlbe� nden ohne dieses Medikament höher sein?“

Die ModerationMit diesen Informationen ging es in die Diskussions-runde, die von Gisela Schulz, Mitglied des erweiterten Sprecherkreises und Vertre-terin des Kreuzbund NRW, moderiert wurde.

Locker vom Hocker

Wer nun im Anschluss eine trockene Diskus-sionsrunde erwartet hätte, der wurde eines Besseren belehrt. Es entwickelte sich ein leb-hafter, humorvoller Erfahrungsaustausch, an dem sich viele Teilnehmer/-innen des Selbst-hilfe-Cafés mit ihren authentischen Erlebnis-sen einbrachten.

Diskussionsinhalte

v. li.: Klaus-Dieter Thielker, Schlaganfall LV NRW e. V. | Stephanie Theiß, Marita Meye, KOSA KV Nordrhein | Ulf Jacob,Rheuma Liga NRW | Ralf Lobert, DMSG NRW

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SELBSTHILFE-CAFE

Das Wichtigste zuerst: Das gegenseitige Vertrauen ist die Basis für alles, was im weiteren Kontakt folgt

Eine Arzneimittel-Compliance ist dann am erfolgreichsten, wenn das Verhältnis zwi-schen Ärzten und Patienten stimmt, die Ärz-te sich also Zeit nehmen und den Betro� e-nen mit ihren Hinweisen ernst nehmen. Den Patienten bleibt ihre Eigenverantwortung erhalten. Sie geben ehrliche Hinweise auf „besser“ oder „schlechter“ im Behandlungs-kontext.

„Ich hatte das Glück, einen Arzt zu haben, der mir meine Krankheit erklärt hat“, erzählte ein Teilnehmer. „Und er hat mir auch die genaue Medikation erklärt, was wann und warum genommen werden muss. Ich habe mich daran gehalten, und alles ist exakt so eingetreten, wie der Arzt es gesagt hat.“

Eine andere Stimme: „Man will verstehen, was mit einem passiert, und man darf nicht das Gefühl bekommen, abgefertigt zu werden, weil schon der nächste Patient vor der Tür steht.“

Klaus-Werner Mahlfeld, Plasmozytom/Multiples Myelom Selbsthilfe-Gruppe NRW e. V.

Nicht immer wird Vertrauen aufgebaut

Nicht alle Ärzte nehmen sich genug Zeit für ihre Patienten oder gehen gemeinsam mit ih-nen auf die Medikation ein. Diese Erfahrung machten einige Teilnehmende des Selbsthil-fe-Cafés: „Ich hatte mich gewundert, dass ich nach einer Medikation im Krankenhaus stän-dig einen trockenen Mund hatte“, berichtete ein Teilnehmer. „Nach Rücksprache mit dem Arzt habe ich erst dann erfahren, dass es die Nebenwirkungen von Anti-Depressiva wa-ren. Es ist ein Schock, wenn man nicht weiß, was man verschrieben bekommt.“

Diese Meinung wurde im weiteren Verlauf der Diskussionsrunde mehrfach bestätigt. Vielfach komme es vor, dass Ärzte ihre Patienten darüber im Unklaren lassen, warum ein bestimmtes Medikament ver-ordnet wird, oder, wie im beschriebenen Fall, den Patienten nicht einmal mitgeteilt wird, dass ein Medikament eingesetzt wird und um welches Medikament es sich handelt, geschweige denn über mögliche Nebenwirkungen es verfügt.

Die Eigenverantwortung bleibt immer

Ein gesundes Selbstvertrauen gegenüber den oftmals so empfundenen „Halbgöt-tern in Weiß“ ist von Vorteil, wenn es am Vertrauen zum Arzt oder zu den verschrie-benen Medikamenten hapert. In der von Tim Peters (1) vorgestellten Studie „Unter-suchung in Hausarzt-Praxen“ wurde dar-

gelegt, dass Patienten, die sich – notfalls quengelnd – zur Sprache bringen inten-siver versorgt werden.

„Man sollte auf seine eigene Wahrnehmung hören, wenn einem ein Medikament ko-misch erscheint und das beim Arzt auch

(1) Lehrbeauftragter des Germanistischen Instituts und wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts für Medizinische Ethik und Geschichte der Medizin an der Ruhr-Universität Bochum

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kritisch anmerken und hinterfragen. Man muss auch in der Lage sein, dem Arzt ein-mal zu sagen ‚So geht das nicht’ und da-rauf bestehen, gemeinsam nach anderen Lösungen zu suchen. Wichtig ist, dass man als Patient die eigene Steuerung behält“, war während der Diskussion aus dem Kreis der Mitglieder zu hören. „Ich habe meine Zweifel, wenn ein Arzt nicht aufmerksam ist. Man sollte in jedem Fall nachfragen, welche Nebenwirkungen ein Medikament hat“, so eine ergänzende Meinung. „Ver-bündete als Zweitmeinung könnten auch Apotheker sein.“ Als weiteren Aspekt für die Eigenverantwortung, wurde der Punkt

„gesunde Lebenshaltung“ angesprochen, zum Beispiel, Ernährung, Bewegung und Freude im Leben. Das hatte zwar nicht un-mittelbar mit dem Thema zu tun, könnte aber für das Wohlbefinden der Patienten entscheidende Bedeutung haben. Unterm Strich ist es wichtig, sich selbst mit sei-ner Krankheit auseinanderzusetzen. Da-durch entwickelt sich nicht nur Eigenver-antwortung, sondern auch eine gewisse Kompetenz. Je mehr man über das Krank-heitsbild wisse, umso informativer könne man mit seinem Gesundheitsempfinden dem Arzt gegenüber treten und ein Ge-spräch auf Augenhöhe führen.

Falsch empfundene Medikation

Dieser Punkt wurde am Beispiel von Epilepsie- Betro� enen aufgezeigt. So seien zu viele der Epilepsie-Patienten aufgrund falscher Medi-kationen nicht anfallsfrei. Es sei zu vermuten, dass längst nicht jeder Neurologe das wirk-lich erforderliche fachliche Wissen über die Behandlungsmöglichkeiten von Epilepsie hat. Mit der richtigen Medikation müsse in-dividuell umgegangen werden, was – nicht nur bei Epileptikern – nicht immer der Fall sei. Kritik gab es auch in Richtung der Ortho-päden. „Ich kenne Betro� ene, die drei Jahre lang von einem Orthopäden zum nächsten

laufen“, schilderte ein Teilnehmer. „Teilweise herrscht hier eine völlige Un� exibilität. Wenn eine Medikation nicht den gewünschten Er-folg hat, sollte man als Arzt doch in der Lage sein, vielleicht auch mal nach einem anderen Krankheitsbild zu schauen“. Vielfach wurde in diesem Zusammenhang bemängelt, dass Ärzte häufig nach dem „08-15-Schema“ arbeiten und nicht individuell auf ihre Pa-tienten eingehen. „Das, was mir hilft, muss nicht zwangsläufig auch anderen helfen, denn jeder ist anders“, war ein Fazit, dass von allen Teilnehmenden bestätigt wurde.

Wenn die Medikation zum absoluten Muss wird

Am Beispiel von Patienten, die eine Organ transplantation hinter sich haben, wurde aufgezeigt, dass es Fälle unter chronisch Kranken gibt, in denen man nicht die Wahl hat, Medikamente abzu-setzen, weil deren Einnahme zum Überle-

ben existenziell ist. „Zwar ist die Medika-tion zwingend notwendig, aber aufgrund der starken Nebenwirkungen heißt das auch, den Teufel mit dem Beelze bub aus-zutreiben“, so das drastische Fazit eines Teilnehmers.

Übereinstimmend wurde festgestellt: Generell ist es ein Unterschied, ob ein Medikament einen Patienten am Leben erhält oder unterstützend eingenom-men wird. Aber auch in letzterem Fall

sollte die Kompetenz der Ärzte niemals völlig in Frage gestellt und Medikamen-te eigenmächtig abgesetzt werden. Dies sollte immer in Rücksprache mit dem behandelnden Arzt geschehen. Bei Ver-

Eigenverantwortung – aber mit Verantwortung

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SELBSTHILFE-CAFE

Nicht immer liegt die Schuld beim Arzt

Doch nicht in allen Fällen wird der Arzt tat-sächlich darüber informiert, wenn Medi-kamente abgesetzt werden. Einige anwe-sende Gruppenleiter/-innen verschiedener Selbsthilfegruppen bestätigten, dass Pati-enten zwar innerhalb der Gruppe kundge-tan hätten, dass sie ein verordnetes Medika-ment abgesetzt hätten. Dem behandelnden Arzt hätten sie dies aber nicht mitgeteilt. Das tri� t auch in Fällen zu, in denen die Me-

dikamenteneinnahme eigenständig verrin-gert oder erhöht wurde. Und was der Dok-tor nicht weiß, macht ihn zwar auch nicht heiß – aber er ist dann selbstverständlich auch nicht für die Folgen verantwortlich. Außerdem leitet der Patient selbst mögli-cherweise eine nicht erkannte Fehlerkette von Behandlungsfolgen ein. Der Arzt kann immer nur von seinem Wissensstand ausge-hen und daraus folgend handeln.

Vorsicht bei Informationen übers Internet

In einer Zeit, in der das Internet eine schier unüberschaubare Fülle an Informationen liefert, war auch dieser Punkt Diskussions-gegenstand mit durchaus kontroversen Ansichten der Teilnehmer/-innen. Während ein Teil der Café-Besucher/-innen der Mei-nung war, die Nutzung des Internets bei der Suche nach Informationen über Krank-heitsbilder, Medikationen und möglichen Nebenwirkungen sei nur mit Vorsicht zu

genießen, zeigten sich andere diesem Me-dium gegenüber wesentlich aufgeschlosse-ner. Schließlich fand sich ein gemeinsamer Nenner: Es sei schwierig, in einem Meer aus Internetinformationen wirklich verlässliche Informationen zu erhalten. Gerade in Foren werde viel Halbwissen verbreitet, das einer vernünftigen Grundlage entbehrt. Daher gelte es, an den richtigen Stellen zu suchen.

Compliance: Aufgaben der Selbsthilfegruppen

Unterm Strich bleibt die Tatsache, dass eine erfolgreiche Arzneimittel-Therapie un-mittelbar vom gesunden Arzt-Patienten-Verhältnis abhängig ist. Ist dieser vertrau-ensvolle Kontakt auf Augenhöhe nicht gewährleistet, besteht ein Teil der Arbeit in

den Selbsthilfegruppen darin, das oftmals von Missverständnissen geprägte Verhält-nis zwischen Ärzten und Patienten zu kor-rigieren. Hier könne sich die Selbsthilfe als Brückeninstanz verstehen.

trauensverlust besteht die Möglichkeit, sich eine ärztliche Zweitmeinung einzu-holen. Das würde zwar von vielen Ärzten nach wie vor nicht gern gesehen, weil es

fälsch licherweise oft als Kontrolle und Misstrauen verstanden wird, verschafft aber einen helfenden, erweiterten Blick für Patient und Arzt.

Ein Schritt in die richtige RichtungPositiv entwickelt hat sich die Zusammen-arbeit zwischen Ärzten und Selbsthilfe-gruppen auf der institutionellen Ebene, so das abschließende Fazit: „Die Akzeptanz der Selbsthilfegruppen bei Ärzten ist in den letzten Jahren stetig gewachsen. Das

ist genau der Schritt in die richtige Rich-tung bezüglich der Kooperation zwischen Gruppe, Ärzten und Patienten.“

Hier brauchen wir weitere Ansätze zur Stärkung des Begonnenen.

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SELBSTHILFE-CAFE

Abschlussrunde

– „Ich habe eine versiertere Meinungsbildung erhalten“.

– „Die Verschiedenheit der Beiträge war sehr interessant“.

– „Mir hat vor allem die Offenheit der Beiträge gefallen.“.

– „Das Spektrum des ‚Für‘ und ‚Wider‘ der Arzneimittel-Compliance war höchst interessant.“.

– „Es war schön zu erfahren, wie andere mit ihren Krankheiten umgehen“.

– „Es hat mir so gut gefallen, dass wir demnächst selbst einmal ein Selbsthilfe-Café durch-

führen werden“.

– „Vor allem die Lockerheit ohne den Verlust der Ernsthaftigkeit, mit der hier mit dem Thema

umgegangen wurde, hat mich begeistert“.

– „Ich nehme neue Impulse mit in meine Gruppe“.

– „Solche Gesprächsrunden brauchen wir öfter“.

Statement der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein (KOSA) zum Selbsthilfe-Café

Als Gäste hatten wir das Gefühl, herz-lich aufgenommen worden zu sein. Das Anliegen unseres Vorstandes, Herr Dr. Peter Potthoff, sich mit der Frage der Compliance zu beschäftigen, wurde mit diesem Café aufgegriffen. Warum zum Teil hochwirk same und kostenintensive Medika-

mente nicht eingenommen werden, wurde sehr offen diskutiert. Diese Offenheit war möglich, da die Café-Regeln vorangestellt wurden. Auch die Beiträge von Ulf Jacob und Ralf Lobert waren hilfreich, da sie einen sofortigen Einstieg in das Thema ermög-lichten. Der Multiple-Sklerose Betroffene, der seine Medikamente „heimlich“ absetzt, weil er immer so müde ist und doch seit langer Zeit schon keinen Schub mehr hatte, diesen Fall erlebt die Multiple-Sklerose- Gesellschaft nicht selten. Es war sehr hilf-reich zu hören, welche Maßnahmen und Haltungen das Vertrauen fördern und was dafür sorgen kann, dass Medikamente nicht oder anders als verordnet genommen werden. Wir freuen uns auf den weiteren Dialog mit der Gesundheitsselbsthilfe und die Umsetzung von guten Ideen in Rich-tung Patienten und Ärzteschaft.v. li.: Stephanie Theiß, Marita Meye Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein

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Links

Techniker Krankenkasse NRW: Jeder Vierte ab 65 Jahren bekam 2011 potenziell ungeeignete Medikamente verordnet.http://www.tk.de/tk/pressemitteilungen/archiv-vorjahr/gesundheit-und-service/447278

PatientInnen-Netzwerk NRW begrüßt Entschließung der Landesgesundheitskonferenz NRW 2012 | Arzneimitteltherapie: Behandlungs- und Todesfälle vermeidbar http://www.patientennetz.net/patientennetz_0509/wordpress/?page_id=706

Impressionen

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Impressum

HerausgeberDeutscher Paritätischer WohlfahrtsverbandNordrhein-Westfalen e. V.Gesundheitsselbsthilfe NRWAnnenstraße 137 | 58453 WittenTelefon: (0 23 02) 9 56 07-15 | Telefax: [email protected]

RedaktionWalter Demtröder, Journalist Rita Januschewski

LayoutDeutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband Nordrhein-Westfalen e. V.Presse- und Öff entlichkeitsarbeit

Foto TitelbildAllison Choppick, Ontario, Kanada

März 2013

www.selbsthilfenetz.de