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Delivered by Publishing Technology Vienna University Library 131.130.172.13 Tue, 15 Mar 2016 16:22:04 Copyright Mohr Siebeck Homiletische Literatur zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Schwerpunkte, Problemanzeigen und Perspektiven (Teil I) Wilfried Engemann Ƞbersicht zu Teil I Literatur 1. Vorbemerkungen 2. Lehr- und Studienbɒcher 3. Zum Forschungsschwerpunkt der Jahre 2002–2009: Arbeiten zum Versta ¨ndnis homiletischer Rezeptionsprozesse sowie zur Ɛsthetik und Wirkung der Predigt 4. Arbeiten zur Theologie und zur Kultur der Predigt Ƞbersicht zu Teil II 1 Literatur 5. Einzelthemen 6. Medientheoretische Arbeiten 7. Zur Geschichte der Homiletik und der Predigt 8. Verçffentlichungen mit dem Schwerpunkt auf praktisch-homiletischer Anleitung 9. Predigten, Predigtmeditationen und Essays 10. Fazit Literatur zu Teil I Alexander Deeg, Predigt und Derascha. Homiletische Textlektɒre im Dialog mit dem Judentum. Vandenhoeck & Ruprecht, Gçttingen 2006, 608 S. – Wilfried En- gemann, Einfɒhrung in die Homiletik (UTB 2128). Francke Verlag, Tɒbingen/Basel 2002, XV + 502 S. – Wilfried Engemann (Hg.), Theologie der Predigt. Grundlagen – Modelle – Konsequenzen. FS fɒr Karl-Heinrich Bieritz (APrTh 21). Evangelische Verlagsanstalt, Leipzig 2001, 415 S. – Wilfried Engemann/Frank Lɒtze (Hg.), Grundfragen der Predigt. Ein Studienbuch. Evangelische Verlagsanstalt, Leipzig 2006, 432 S. – Christian Fechtner, Schwellenzeit. Erkundungen zur kulturellen und got- tesdienstlichen Praxis des Jahreswechsels. Chr. Kaiser/Gɒtersloher Verlagshaus, Gɒ- tersloh 2001, 278 S. – Erich Garhammer u.a. (Hg.), Kontrapunkte. Katholische und protestantische Predigtkultur (Ȕkumenische Studien zur Predigt Bd. 5). Don Bosco Verlag, Mɒnchen 2006, 366 S. – Albrecht Grçzinger, Homiletik (Lehrbuch Prakti- sche Theologie, hg. von Albrecht Grçzinger u.a., Bd. 2). Gɒtersloher Verlagshaus, Gɒ- tersloh 2008, 344 S. – Georg La ¨mmlin, Die Lust am Wort und der Widerstand der Schrift. Homiletische Re-Lektɒre des Psalters (Heidelberger Studien zur Praktischen Theologie, hg. von Heinz Schmidt u.a., Bd. 4). LIT-Verlag, Mɒnster/Hamburg/ 1 Teil II des Literaturberichts wird im na ¨chsten Heft erscheinen. Theologische Rundschau, Band 75 (2010), S. 163 – 200 # 2010 Mohr Siebeck · ISSN 0040-5698

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Homiletische Literatur zu Beginn des 21. Jahrhunderts.Schwerpunkte, Problemanzeigen und Perspektiven

(Teil I)

Wilfried Engemann

�bersicht zu Teil ILiteratur1. Vorbemerkungen2. Lehr- und Studienb�cher3. Zum Forschungsschwerpunkt der Jahre 2002 – 2009: Arbeiten zum Verstandnis

homiletischer Rezeptionsprozesse sowie zur �sthetik und Wirkung der Predigt4. Arbeiten zur Theologie und zur Kultur der Predigt

�bersicht zu Teil II1

Literatur5. Einzelthemen6. Medientheoretische Arbeiten7. Zur Geschichte der Homiletik und der Predigt8. Verçffentlichungen mit dem Schwerpunkt auf praktisch-homiletischer Anleitung9. Predigten, Predigtmeditationen und Essays10. Fazit

Literatur zu Teil IAlexander Deeg, Predigt und Derascha. Homiletische Textlekt�re im Dialog mitdem Judentum. Vandenhoeck & Ruprecht, Gçttingen 2006, 608 S. – Wilfried En-

gemann, Einf�hrung in die Homiletik (UTB 2128). Francke Verlag, T�bingen/Basel2002, XV + 502 S. – Wilfried Engemann (Hg.), Theologie der Predigt. Grundlagen– Modelle – Konsequenzen. FS f�r Karl-Heinrich Bieritz (APrTh 21). EvangelischeVerlagsanstalt, Leipzig 2001, 415 S. – Wilfried Engemann/Frank L�tze (Hg.),Grundfragen der Predigt. Ein Studienbuch. Evangelische Verlagsanstalt, Leipzig 2006,432 S. – Christian Fechtner, Schwellenzeit. Erkundungen zur kulturellen und got-tesdienstlichen Praxis des Jahreswechsels. Chr. Kaiser/G�tersloher Verlagshaus, G�-tersloh 2001, 278 S. – Erich Garhammer u.a. (Hg.), Kontrapunkte. Katholische undprotestantische Predigtkultur (�kumenische Studien zur Predigt Bd. 5). Don BoscoVerlag, M�nchen 2006, 366 S. – Albrecht Grçzinger, Homiletik (Lehrbuch Prakti-sche Theologie, hg. von Albrecht Grçzinger u.a. , Bd. 2). G�tersloher Verlagshaus, G�-tersloh 2008, 344 S. – Georg Lammlin, Die Lust am Wort und der Widerstand derSchrift. Homiletische Re-Lekt�re des Psalters (Heidelberger Studien zur PraktischenTheologie, hg. von Heinz Schmidt u.a. , Bd. 4). LIT-Verlag, M�nster/Hamburg/

1 Teil II des Literaturberichts wird im nachsten Heft erscheinen.

Theologische Rundschau, Band 75 (2010), S. 163 – 200� 2010 Mohr Siebeck · ISSN 0040-5698

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London 2002, 436 S. – Frank L�tze, Absicht und Wirkung der Predigt. Eine Unter-suchung zur homiletischen Pragmatik (Arbeiten zur Praktischen Theologie, hg. vonWilfried Engemann u.a. , Bd. 29). Evangelische Verlagsanstalt, Leipzig 2006, 322 S. –Martin Nicol, Einander ins Bild setzen. Dramaturgische Homiletik. Vandenhoeck& Ruprecht, Gçttingen 2002, 160 S. – Thomas Nisslm�ller, Homo audiens. DerHçr-Akt des Glaubens und die akustische Rezeption im Predigtgeschehen. Vanden-hoeck & Ruprecht unipress, Gçttingen 2008, 464 S. – Sybille Rolf, Zum Herzensprechen. Eine Studie zum imputativen Aspekt in Martin Luthers Rechtfertigungslehreund zu seinen Konsequenzen f�r die Predigt des Evangeliums. Evangelische Verlags-anstalt, Leipzig 2008, 432 S. – Helmut Schwier/Sieghard Gall, Predigt hçren.Befunde und Ergebnisse der Heidelberger Umfrage zur Predigtrezeption (Heidelber-ger Studien zur Predigtforschung, hg. von Helmut Schwier, Bd. 1). Lit-Verlag, Berlin/M�nster 2008, 267 S. – Michael Thiele, Portale der Predigt. Kommunikation, Rhe-torik, Kunst. Bayerischer Verlag f�r Sprechwissenschaft, Regensburg 2005, 408 S. –Stefanie Wçhrle, Predigtanalyse. Methodische Ansatze – homiletische Positionen –didaktische Konsequenzen (Homiletische Perspektiven 2). Lit-Verlag, M�nster/Berlin2006, 225 S.

1. Vorbemerkungen

Bevor die von 2002 bis 2009 erschienene homiletische Literatur selbst ineiner kommentierten �bersicht in den Blick genommen wird, soll auf einpaar grundsatzliche Entwicklungen, Schwerpunkte und Bedarfe der homile-tischen Forschung eingegangen werden. Sie betreffen (1.) die Konturen einerkonvergenten homiletischen Argumentation, (2.) die Erforschung von Re-zeptionsprozessen im Kontext der Predigtarbeit und -wirkung sowie (3.) dieFrage nach einer erneuerten Theologie der Predigt.

1.1 Konvergentes homiletisches Argumentieren

Auf dem homiletischen Feld ist in den vergangenen acht Jahren viel gesche-hen. Das zeigt sich nicht nur daran, dass in dieser Zeit gegen�ber dem letz-ten, zehn Jahre umfassenden Berichtszeitraum (1992 – 2001) eine weitausgrçßere Anzahl homiletischer Titel erschienen ist. Bemerkenswert sind auchdie sich insgesamt abzeichnenden Konturen einer konvergenten homileti-schen Argumentation. Nat�rlich wird nach wie vor um die Plausibilitat ho-miletischer Argumente gestritten und um die Prazisierung entsprechenderKriterien gerungen. Die Gefechte um die theologische Dignitat bestimmter»Ansatze« jedoch, das Ausspielen klassischer fundamentaltheologischer Cre-denda (»die Predigt des Wortes Gottes ist Gottes Wort«) gegen die kommu-nikationstheoretischen Facienda der Homiletik (wie z.B. Leitlinien f�r das

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Verstehen und die Verstandigung zwischen glaubenden Subjekten), die Fixie-rung auf einzelne Elemente und Aspekte des Predigtgeschehens als vorran-gigen Erschließungsorten der »Verk�ndigung« usw. – diese Diskursmustersind in der homiletischen Literatur zu Beginn des 21. Jh.s nur noch sche-menhaft wahrzunehmen.

Im R�ckblick auf die hier zu besprechenden B�cher wird deutlich: Es istnicht nur viel umgepfl�gt und Neuland gewonnen worden; es ist auch vielgesat, geerntet – und weiterverarbeitet worden. In den Sequenzen und Zwei-gen homiletischer Forschung zeichnet sich also ein starkeres Maß an Konti-nuitat als im letzten Viertel des ausgehenden 20. Jh.s ab. Die oben erwahnteKonvergenz im Diskurs um die Konturen homiletischer Argumentation be-trifft insbesondere die Differenziertheit im R�ckgriff auf kommunikations-theoretische und -praktische Argumentationsmuster. In gewisser Hinsichtkann man von einem Kanon gleichrangiger homiletischer Perspektiven undForschungsschwerpunkte sprechen. Dessen Themen werden in der Regelnicht mehr unmittelbar bzw. primar aus dogmatischen Topoi (vom Glauben,von der Heiligen Schrift, von der Gnade, von den Heilsmitteln usw.) abgelei-tet, sondern unter Ber�cksichtigung des Predigtgeschehens als eines komple-xen Verstehens- und Verstandigungsprozesses entwickelt, in dem Personen,Zeichensysteme wie z.B. die Sprache, Texte, (Interpretations-)Traditionen,Situationen u.a.m. ein je eigenes Gewicht haben.

1.2 Im Fokus : Rezeptionsprozesse im Kontext der Predigtarbeitund Predigtwirkung

In seiner fast 30 Seiten umfassenden, leider erst 2003 erschienenen Gesamt-darstellung der homiletischen Literatur2 weist Friedrich Wintzer an mehrerenStellen auf die wachsende Bedeutung rezeptionsasthetischer Fragen hin. Ge-gen�ber der Predigtlehre von Hans-Martin M�ller3 macht er geltend, dass »dierezeptionsasthetische Homiletik […] noch nicht gen�gend aufgenommen«4

sei, und fragt gar, ob womçglich »die Rezeptionsasthetik in der homileti-schen Theoriedebatte die Hermeneutik zur�ckdrangen«5 werde. Nun, so weitist es nicht gekommen. Das hangt aber keineswegs mit einem R�ckgang des

2 Es handelt sich um den Berichtszeitraum von 1992 bis Anfang 2001, wobei freilichviele Monographien fehlen. Vgl. Friedrich Wintzer, Zur Homiletik am Ende des 20.Jahrhunderts, ThR 68 (2003) 460–498.

3 H.-M. M�ller, Homiletik. Eine evangelische Predigtlehre, Berlin/New York 1996.4 Wintzer, aaO., 465.5 Wintzer, aaO., 468.

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Interesses an rezeptionstheoretischen Fragen zusammen, zumal sich die her-meneutischen und rezeptionsasthetischen Diskurse zu keinem Zeitpunkt imWiderstreit befanden, sondern sich in vielen Punkten �berlappen und – mitAkzentverschiebungen – mit analogen Argumentationsmustern zu ganz ahn-lichen Ergebnissen kommen.

Wintzers Einschatzungen �ber die rezeptionsasthetischen, hermeneutischen, semio-tischen und andere Entwicklungen der Homiletik sind noch stark vom Denken inkonkurrierenden Ansatzen bestimmt. Dabei lasst sich gerade an den eben genanntenReflexionsperspektiven sehr deutlich aufzeigen, in welchem Maße die neuere Homile-tik von der Ausarbeitung in sich koharenter und untereinander konvergenter Argu-mentationsmuster profitiert hat. Es ist aus heutiger Sicht grotesk, in jedem dieser (sichin engster Nachbarschaft befindenden) wissenschaftlichen Zugange auf das Terrainder Predigtlehre eine eigene »homiletische Schule« erkennen zu wollen.

Soweit dies �berhaupt erforderlich ist, kçnnen homiletische »Ansatze« zum einenanhand ihrer primaren Erschließungsorte – bezogen auf die Elemente, Phasen und Situatio-nen des Predigtgeschehens6 – als solche apostrophiert werden: Man kann den Predigt-prozess z.B. dadurch genauer verstehen, dass man die Bedeutung psychologischerKonditionen in der Person der Predigenden erçrtert, dass man sich mit den Mçglich-keiten und Schwierigkeiten im Gebrauch der Sprache befasst oder bestimmte Facettenzeitgençssischer Lebenswirklichkeit bzw. Alltagserfahrungen (»Situationen«) in denBlick nimmt. Dabei sind aber jedes Mal auch hermeneutische, semiotische, soziologi-sche u.a. Einsichten im Spiel. Zum anderen zeigt sich die »homiletische Schule«, dereine Predigt folgt, bis zu einem gewissen Grad an der sie leitenden Theologie und an derBevorzugung bestimmter rhetorischer Strategien. Und in jedem Fall wird man weiterhin zwi-schen zwei grundsatzlichen Ansatzen unterscheiden kçnnen: Zwischen einer profes-sionellen Homiletik, in der semiotische, asthetische, rhetorische u.a. Aspekte des Pre-digtprozesses in angemessener Weise ber�cksichtigt werden, und homiletischem Dilet-tantismus, der das Repertoire solcher methodischen Annaherungen ignoriert.

Gleichwohl hat Wintzer darin recht behalten, dass im Zusammenhangeiner rezeptionsasthetischen Betrachtungsweise »der Hçrer im Prozess derKommunikation des Evangeliums«7 auf neue Weise zum Thema wurde –und nicht nur der Hçrer : Die grundsatzliche Erçrterung von Wahrneh-mungs– und Rezeptionsprozessen im Kontext des Predigtgeschehens hat dieeinlinigen Erçrterungen des »Weges vom Text zur Predigt« um wichtige As-pekte erganzt.

Der Nachholbedarf war offensichtlich: In groß angelegten Studien undkleineren Einzelbeitragen befassen sich Autorinnen und Autoren mit alljenen Problemen, die den Einweg-Homiletiken des 20. Jh.s, die den »Ein-bahnverkehr« des Wortes Gottes zu regeln suchten, kaum zuganglich waren:

6 Vgl. W. Engemann, Einf�hrung in die Homiletik, 165.7 Wintzer, aaO., 497.

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So geht Georg Lammlin (2002) den literaturwissenschaftlichen Grundlageneiner homiletischen Rezeption biblischer Texte auf der Basis deren eigenerStrukturen nach. Martin Nicol verfasst eine Dramaturgische Homiletik (2002)»in deutlicher Nahe zu den K�nsten« und macht sich dabei »das asthetischeParadigma« zu eigen. Frank L�tze (2006) erçrtert auf sprachwissenschaftli-cher Grundlage im Detail den Zusammenhang von Predigtabsicht und Pre-digtwirkung, Stefanie Wçhrle (2006) legt eine neue Systematik der Predigtana-lyse vor, bei der Rezeptionsprozesse eine wichtige Rolle spielen, ThomasNisslm�ller (2008) entwirft in seiner Arbeit �ber den homo audiens eine astheti-sche Theorie des Predigt-Hçrens, und Helmut Schwier betritt zusammen mitSieghard Gall (2008) in einer komplexen, technisch hçchst aufwendigen »em-pirischen Untersuchung zur Predigtrezeption« homiletisches Neuland. Auf-satze und Lehrbuchkapitel sind bei dieser Aufstellung noch gar nicht ber�ck-sichtigt. Dieser Schwerpunktbildung entspricht es, dass nach einer Kurzdar-stellung der Lehr- und Studienb�cher zunachst auf die eben erwahnten Ar-beiten zum Verstandnis homiletisch relevanter Rezeptionsprozesse und zurWirkung der Predigt eingegangen wird.

1.3 Zum Bedarf an einer erneuerten Theologie der Predigt

Es liegt mehr denn je auf der Hand, dass die theologische Erçrterung der Predigtin einem inneren Zusammenhang mit den gerade skizzierten Themen stehenmuss, und dass auch die Frage nach der Kommunikation des Glaubens nicht iso-liert als besonderer Anwendungsfall kommunikationswissenschaftlicherTechniken missverstanden werden kann. Sofern es beim Glauben immer umden Glauben von Menschen geht, muss diejenige Art von Kommunikation,die diesen Glauben wecken, starken oder vertiefen soll, aus inhaltlichenGr�nden auch auf die Erfahrungen von Menschen in konkreten Situationenbezogen sein, auf Situationen, in denen sie sich als Glaubende erfahren, ver-stehen und – z.B. in einer Predigt – außern.

So selbstverstandlich das klingen mag, ist die Frage nach einer zeitgençssi-schen Theologie der Predigt mit großen Hypotheken behaftet, und esscheint kein Zufall zu sein, dass man gerade in dieser Hinsicht eine gewisseZur�ckhaltung beobachten kann. Der theologische Unterbau der Predigt istnach dem Wegbrechen einer spekulativen Homiletik, die sich vor allem mitden Credenda der Predigtlehre befasste, die Ohnmacht des Predigers be-schwor und das Hindurchbrechen des Gotteswortes ganz aus eigener Kraftproklamierte, porçs geworden. Aus Resignation �ber eine Theologie, die inkeinem Zusammenhang mit einem methodischen homiletischen Verhalten

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zu stehen schien, vielleicht auch durch die Entdeckerfreude beim Betretendes Neulands, das die konsequente Integration all jener wissenschaftlichenDisziplinen erçffnete, die sich mit dem Lesen, Reden, Hçren und Verstehenals interaktiven Prozessen befassen, wurde die theologische Begr�ndung undKontextualisierung der Predigt, die die Homiletik �ber Jahrzehnte dominier-te, nur in wenigen Publikationen explizit fortgef�hrt.

Heute gen�gt es freilich nicht mehr, etwa die Interpretation der LociTheologiae des 16. Jh.s einfach nur fortzusetzen und mit gediegenen odervirtuosen Reformulierungsversuchen z.B. den Nachweis zu erbringen, miteiner bestimmten Predigtdefinition dem Sola-Scriptura-Prinzip der Reforma-tion zu entsprechen, bei der Erçrterung der Predigtwirkung dem Erwah-lungsgedanken Calvins gerecht zu werden oder den Hçrer in der ihm eige-nen, sein Menschsein dominierenden Rebellion gegen Gott ernst zunehmen. In den historisch – aus einem spezifischen Argumentationsbedarfheraus – entstandenen Grund�berzeugungen der christlichen Dogmatik be-gegnen zum Teil Vorstellungswelten und Denkmuster, die der Praxis eineszeitgençssischen Christentums zumindest insofern nicht mehr entsprechen,als viele Pfarrer und Gemeindeglieder sie sich zunehmend nicht mehr zueigen machen kçnnen und wollen.

Daraus folgt gerade nicht, sich von einer Theologie der Predigt verabschieden zukçnnen oder die Kommunikation des Glaubens f�r ein zu vernachlassigendes, heuti-gen Hçrgewohnheiten nicht mehr entsprechendes Anliegen der Predigt zu halten. Diedifferenzierte Einsicht in die komplexen Bedingungen und Ablaufe menschlicherKommunikation sowie in die ihr zugrundeliegenden Motive und die sie bestimmendenStrategien fordert vielmehr dazu heraus, eine nicht minder komplexe Theologie der Predigt zuentwickeln. In dieser Theologie sollten agierende bzw. betroffene Personen, der Ge-brauch der Sprache, wirkliche Situationen usw. koharenter Bestandteil theologischenArgumentierens sein, ohne dass das Wissen um die Wirklichkeit des Menschen sowieum die Bedingungen seines Verstehens und Handelns ausgeblendet oder bagatellisiertwird.

Eine wichtige Rolle bei einer Erneuerung der Theologie der Predigt wirdvor allem der Anthropologie zukommen, jener Reflexionsperspektive, die inder Vergangenheit allzu oft zur theologischen Begr�ndung einer krudenKonfrontationsrhetorik herhalten musste, die den »Tod alles Menschlichen«zum Thema hatte, den »Angriff auf das Gegebene und Gegenwartige« alshomiletische Grundhaltung empfahl und das »radikale und �berlegene Wort«vor allem in seinem Gegensatz zur »Entgleisung ins Menschliche, Weltliche,Zeitliche« wertschatzte – um an den Sound jener »dialektisch« genanntenStilepoche der Theologie zu erinnern. Theologische Anthropologie musssich heute kritisch mit ihrer eigenen Mythenbildung auseinandersetzen, der-

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zufolge »der Mensch« von sich aus immer nur auf Unheil und seinen eigenenVorteil aus sei. Angesichts der Genauigkeit, mit der die nicht-theologischeAnthropologie die Motivation des Menschen, zu lieben, als dessen Grundim-puls versteht8 und im Gewahren- und Empfangen-Kçnnen von Zuwendungseine wichtigste Veranlagung und Ressource sieht, ist es nicht mehr eo ipso�berzeugend, den Kern des S�nderseins in der den Menschen angeblichkennzeichnenden Neigung zur Beziehungslosigkeit zu sehen, in seinen Pra-ferenzen f�r ein egoistisches Verhalten, in seinem Unvermçgen, von sich auszu einer Haltung der Hingabe aus Liebe fahig zu sein. In dieser Hinsichtbedarf es einiger Neuorientierungen nicht nur im Hinblick auf die Predigt,sondern ebenso in Richtung einer erneuerten Anthropologie des Gottes-dienstes.

2. Lehr- und Studienb�cher

Der mit dem Auftrag zu dieser Besprechung vorgegebene Berichtszeitraum(2002 – 2009)9 sowie die Rezension der erschienenen B�cher in chronologi-scher Folge bringen es mit sich, dass zwei eigene Publikationen zuerst be-sprochen werden.

2.1 Die kurz nach der letzten homiletischen Gesamtrezension im UTB-Format erschienene Einf�hrung in die Homiletik von Wilfried Engemann

ist inzwischen so stark rezipiert worden, dass ich – statt eine umfassendeDarstellung des 2002 erschienenen Lehrbuches zu bieten – nur auf einigesystematische Grundentscheidungen und Schwerpunkte dieses Buches hin-weisen mçchte. Das entscheidende Anliegen des Buches liegt darin, eine ho-miletische Theorie zu entwickeln, die nicht von einer Sammlung mehr oderweniger beliebiger Einzelfragen (nach der Kontinuitat zwischen dem »WortGottes« und der Predigt, dem Prediger als Zeugen, dem Hçrer als Adressa-ten des Evangeliums usw.) ausgeht, sondern auf einer koharenten Betrach-tung des Predigtgeschehens als eines Kommunikationszusammenhangs ba-siert. Das Buch ist ganz darauf angelegt, diesen Kommunikationszusammen-hang zu den ihm eigenen Bedingungen zu beschreiben, seine Elemente auch theo-

8 Vgl. Walter Bauer, Prinzip Menschlichkeit. Warum wir von Natur aus kooperieren,Hamburg 22006.

9 Durch �berschneidungen bei der �bernahme dieses Rezensionsauftrags vonFriedrich Wintzer kommen zwei Titel auch aus 2001 hinzu; aus 2009 konnten nur ersteschon vorliegende Publikationen ber�cksichtigt werden (Redaktionsschluss Marz 2009).

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logisch zu reflektieren und homiletische Kriterien seiner Gestaltung zu erar-beiten.

Deshalb steht im Mittelpunkt dieser Homiletik die systematische Erschlie-ßung des »Predigtgeschehens als eines Verstehens- und Verstandigungspro-zesses« mit seinen spezifischen Elementen, Phasen und Situationen(163 – 422). Die Plausibilitat einer solchen Theorie steht und fallt mit derKoharenz und Konvergenz der Argumente, auf die sich die homiletische Er-çrterung der einzelnen Teile dieses Prozesses (wie z.B. der Funktion des bib-lischen Textes bzw. der biblischen Tradition, der Bedeutung der Subjektivitatder predigenden Person, der Relevanz der sich in »Situationen« zeigendenLebenswirklichkeit potentieller Predigthçrer usw.) bezieht. Die Gliederungdes komplexen, homiletisch relevanten Geschehens in eine Phase der �ber-lieferung, der Vorbereitung, der Versprachlichung und der Realisierung bzw.Rezeption der Predigt ermçglicht Momentaufnahmen von Schl�sselsituatio-nen eines zusammenhangenden Prozesses, in dem sich bestimmte Ablaufemenschlichen Verstehens und Kommunizierens wiederholen. Was sonst oftunter verschiedenen »Ansatzen« der Homiletik verhandelt wird, erscheint indiesem Buch aus kommunikationswissenschaftlich und theologisch zwingen-den Gr�nden als zusammenhangender Prozess mit wanderndem Fokus undsich dementsprechend verandernden Problemanzeigen.

Weil das tiefere Verstandnis f�r die im Laufe eines Predigtprozesses prin-zipiell zu bewaltigenden Verstehens- und Kommunikationsprobleme die con-ditio sine qua non f�r eine professionelle Annaherung an die Predigtarbeit ist,bietet das Buch eine doppelte Problemorientierung: Zum einen wird dieseEinf�hrung mit einer systematischen Erschließung und Beschreibung homi-letischer Missverstandnisse und Probleme der Predigt erçffnet, zum anderenwird der Erçrterung eines jeden einzelnen Fokus des Predigtprozesses eineDarstellung seiner homiletischen Problemgeschichte (im Blick auf die Artdes Umgangs mit biblischen Texten, der Einschatzung der predigendenPerson, die Rolle der Hçrer usw.) vorangestellt. In einem eigenen Kapitel zueinschlagigen Fragen der Predigtanalyse (422 – 459) werden diese Fokussie-rungen wieder aufgenommen; an anderer Stelle – in einem »Modell zur Erar-beitung der Predigt« (450 – 468) – dienen dieselben Aspekte als Ger�st einerhomiletischen Methodologie.

Zu den Herausforderungen, vor die die theoretische Durchdringung desPredigtprozesses stellt, gehçrt nat�rlich auch – wie unter 1.3 angedeutet –eine theologische Kontextualisierung der eine Homiletik bestimmenden Re-flexionsperspektiven. Dem wurde dadurch Rechnung getragen, dass der ge-samte 2. Teil der Einf�hrung in die Homiletik einer »Theologie der Predigt«(77 – 162) gewidmet ist. Diese Theologie der Predigt ist ganz davon be-

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stimmt, die Predigt als Kommunikationsgeschehen theologisch zu erçrtern und ihrenbesonderen Mitteilungscharakter Schritt f�r Schritt so zu vertiefen, dass dieeinzelnen kommunikationswissenschaftlichen Rahmenbedingungen nichtausgehebelt oder außer Kraft gesetzt werden m�ssen. Auch hier gilt dasPrinzip der Konvergenz. Nat�rlich geht es in diesem Buch nicht nur um dieDefinition der eigentlichen Problempunkte der Homiletik bzw. um einensystematischen Zugriff auf die entsprechenden Problemzonen des Predigt-geschehens. Die Darstellung der einzelnen Fokus ist immer mit der Erçrte-rung homiletischer Kategorien und Haltungen verbunden, die einen be-stimmten Umgang und bestimmte Kriterien f�r die Bearbeitung der be-schriebenen Probleme nahelegen.

Einige dieser Vorschlage haben sich offenbar als brauchbar erwiesen.Dazu gehçren unter anderem die – in der Betrachtung des Predigtgesche-hens als eines vielgliedrigen Rezeptions- und Produktionsprozesses gr�nden-de – Argumentationsfigur des »hermeneutischen Sukzessivs«, bei dem je undje neu zwischen Tradition und Situation vermittelt wird, ferner die mit demModell des »Auredits«10 verbundene Erçrterung des Verstehens einer Pre-digt, der auf das Kommunikationsgeschehen Predigt bezogene Versuch dia-lektisch-theologischer Verhaltnisbestimmungen, die Beschreibung des Pha-nomens des »Texttods der Predigt«, der Zusammenhang von strukturalerOffenheit und inhaltlicher Verbindlichkeit der Predigt u.a.m. Viele der Pro-blemanzeigen (homiletischer Lassiv, Geschenk-Metaphorik usw.) sind in dieneuere Analyse von Predigten eingegangen. Dar�ber hinaus ist eine Reihevon Arbeiten entstanden, die einige der Argumentationsmuster der Einf�h-rung aufgenommen und produktiv weitergef�hrt haben.11

10 Hierbei handelt es sich – in Analogie zu »Manu-skript« (mit der Hand geschrieben)– um eine Wortbildung aus dem Ablativ von auris und dem Passiv-Partizip von audire;sie bedeutet also so viel wie »mit dem Ohr gehçrt«. Mit diesem Begriff wird eine struk-turelle Analogie postuliert : Sie betrifft sowohl den Vergleich mit den Rezeptions- undProduktionsvollz�gen beim Verfassen biblischer Texte als auch die Prozedur beim Er-stellen eines Predigtmanuskripts. Damit wird das Hçrverstehen als eigene Sequenz desPredigtprozesses und Part des Hçrers zu einem zentralen Thema homiletischer For-schung.

11 Vgl. dazu in Auswahl folgende Monographien (chronologisch geordnet): GeorgLammlin (2002); Thomas Klie, Zeichen und Spiel. Semiotisch und spieltheoretische Re-konstruktion der Pastoraltheologie, G�tersloh 2003; Michael Klessmann. Pastoralpsy-chologie. Ein Lehrbuch, Neukirchen-Vluyn 2004; Michael Thiele : Portale der Predigt(2005); Alexander Deeg (2006); Volker Lehnert (2006); David Pl�ss, Gottesdienst alsTextinszenierung. Perspektiven einer performativen �sthetik des Gottesdienstes, Z�rich2007; Helmut Schwier (2008) ; Sybille Rolf (2008).

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2.2 Das Studienbuch Grundfragen der Predigt (2006, 22009), hg. von Wilfried

Engemann und Frank L�tze, bietet Schl�sseltexte zur Theorie und Praxisder Predigt. Bei der Auswahl der Texte wurde das Kriterium »Eignung zurPrazisierung und Vertiefung einer homiletischen Fragestellung« hçher be-wertet als ihr Bekanntheitsgrad oder ihre Zugehçrigkeit zur »Klassik« in derGeschichte der Homiletik. Im Sinne eines problemorientierten Zugangs zurHomiletik war also entscheidend, inwieweit die auszuwahlenden Texte eineklare Fokussierung der einzelnen Elemente und Aspekte des Predigtprozes-ses implizieren. Das hat dazu gef�hrt, dass – gerade bei den �berlegungenzur Praxis – auch weniger bekannte Autoren vertreten sind.

Den einzelnen Texten sind von den beiden Herausgebern jeweils ausf�hr-liche Einleitungen vorangestellt worden, in denen die homiletischen Themenund Fragestellungen zunachst grundsatzlich angesprochen, theologie- undproblemgeschichtlich verortet und – soweit mçglich – auf das Gesamtwerkder einzelnen Autoren bezogen werden. Die Anordnung des Stoffes folgtder Systematik der Einf�hrung in die Homiletik : Die Theologie der Predigt, diePerson des Predigers, die Rolle der Hçrer, der Textbezug der Predigt,sprachliche Aspekte, die Predigt als liturgischer Akt sowie Fragen der Pre-digtanalyse und der praktischen Erarbeitung einer Predigt kommen gleicher-maßen in den Blick.

Die einzelnen Brennpunkte des Predigtprozesses werden jeweils anhandeines theorie- und eines praxisorientierten Quellentextes der Homiletik vor-gestellt, so dass sich bei jedem Element bzw. Fokus der Erçrterung der Pre-digt die Rubriken »Theoretische Grundlegung« und »�berlegungen zurPraxis« wiederholen. Dabei kommen im Einzelnen folgende Themen zurGeltung: 1. Predigt als theologische Herausforderung (M. Mezger / G.Voigt), 2. Zur Bedeutung der Person f�r die Predigt (O. Haendler und F.Riemann / M. Josuttis), 3. Zum Verhaltnis von Text und Predigt (W. Enge-mann / A. Horn), 4. Zum Hçrerbezug der Predigt (E. Lange / E. Lange), 5.Struktur und Gestalt der Predigt (K.-H. Bieritz und J.B. Metz / M. Nicol undH. Weinrich), 6. Predigt als Sprachereignis (G. Otto / F.M. L�tze), 7. Predigtals Teil des Gottesdienstes (K.-H. Bieritz / K.-P. Hertzsch), 8. Aspekte derPredigtanalyse (Ch. Piper / J. Hermelink und E. M�ske), 9. Zur Erarbeitungder Predigt (H. Luther / W. Engemann).

Einige der Texte werden hier zum ersten Mal wieder abgedruckt unddamit auch in ihrer Bedeutung f�r die Theoriebildung in der Homiletik ge-w�rdigt. Dazu gehçren u.a. der Beitrag von Gottfried Voigt, der vielen nurals Autor von Predigtmeditationen bekannt ist, der Text von Otto Haendler,der die Frage nach dem Subjekt der Predigt wie kein anderer in das Ganze

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der Homiletik eingezeichnet hat, sowie die Thesen von Fritz Riemann �ber»die Persçnlichkeit des Predigers aus tiefenpsychologischer Sicht«.

Insgesamt ist dieses Buch auch als der Versuch zu verstehen, einmal zudefinieren, welche homiletischen Themen sich (mehr als andere Themen) alsGrundfragen der Predigtarbeit erwiesen haben, also in irgendeiner Weise me-thodisch und praktisch relevant sind.2.3 Unter den Publikationen Albrecht Grçzingers d�rfte seiner Homile-tik (2008) insofern eine besondere Stellung zukommen, als in diesem Buchwichtige Beobachtungen und �berzeugungen, die die Arbeit des Verfassers�ber Jahrzehnte bestimmt haben, zusammengef�hrt werden. Das betrifft vorallem die in diesem Werk aufgezeigten kulturwissenschaftlichen Aspekte,eine spezifische Haltung gegen�ber dem allenthalben festzustellenden reli-giçsen und weltanschaulichen Pluralismus sowie das besondere Interesse ander Sprache bzw. der Rhetorik. G. gelingt es, entsprechende Gesichtspunkteund Phanomene mit homiletischen Fragen in Beziehung zu setzen. Dazuzahlen – nach einem Abriss der Geschichte der homiletischen Positionen(vgl. dazu weiter unten) – die Situationen der »Hçrerinnen und Hçrer«(99 – 121), von »Predigerinnen und Predigern« (122 – 135), des »Textes derPredigt« (136 – 156) und die »eine Welt der Predigt« im Sinne eines durch dieerwahnten Elemente gegebenen Entstehungs- und Wirkungszusammen-hangs der Predigt (157 – 176).

Wichtig f�r die von G. ausgewahlten Informationen und die mit ihnenverbundene bzw. nahegelegte Argumentation sind die im ersten Kapitel desBuches vorgestellten Pramissen, die der Vf. als »homiletische Perspektiven«verstanden wissen mçchte. Er setzt sich hier u.a. mit »Individualisierungs-und Globalisierungsprozessen« auseinander, er erçrtert das Phanomen der»Wiederkehr der Religion« und verweist auf das vielzitierte »Ende der großenErzahlungen« (J.-F. Lyotard), was ihn schließlich zu der f�r die Konzeptiondieser Homiletik wichtigen Folgerung veranlasst, dass jegliches philosophi-sche und theologische Denken heute »skeptisch gegen�ber allen ontologi-schen und systemischen Annahmen und Anspr�chen« sein m�sse (29f.) unddie Aufgabe habe, »Ausgangspunkte eines Fragens zu markieren« statt Pha-nomene in theoretische Konstrukte einzuordnen (30).

Diese Herangehensweise hat f�r die homiletische Argumentation weitrei-chende Konsequenzen, bestimmt sie doch u.a. den Umgang mit der Traditi-on. Sie sollte Einfluss haben auf die Haltung des Predigers seiner eigenenRede gegen�ber, und – last but not least – sie ist maßgebend f�r die von derPredigt entworfene Welt : G. legt großen Wert darauf, dass diese Welt dem»zerbrechlichen ›St�ck‹ Predigt« Rechnung tragt, in dem es allein um Gott

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gehe.12 Das bedeutet f�r ihn, die Predigt »in dem fragilen Raum zwischenSelbstverstandlichkeit und Notwendigkeit« anzusiedeln (160) und zu behaup-ten, dass sich das Christentum »heute nur noch tradieren [lasse] , wenn wir esvon der Form der großen Erzahlung lçsen« (30). Dazu wiederum gehçre es,nicht mehr mit »Ontologien« und »theoretischen Konstrukten« zu operieren,sondern sich in der »Gottesrede« ganz aufs Metaphorische zu verlegen (225).

So klar und zutreffend die Beobachtungen G.s sind, so fragw�rdig erscheinen zu-mindest einige seiner Folgerungen, etwa bez�glich des Abschieds von jedweden onto-logischen Hypothesen und des Verzichts, sich an der Fortsetzung der großen Erzah-lung Christentum zu beteiligen. Die postulierte Spannung zwischen hypothetischemArbeiten mit »ontologischen Strukturen« bzw. dem Gebrauch »theoretischer Kon-strukte« einerseits und dem Freilegen von Fragen andererseits ist womçglich selbst einkonstruierter Widerspruch.13 Ist es wirklich zwingend, das Christentum nur deshalb alsgroße Erzahlung von der Tagesordnung zu nehmen, weil es (unter anderem auch!)»die Form einer ausgekl�gelten Dogmatik und einer einheitlichen Sicht der Welt« (30)angenommen hatte, die heute nicht mehr plausibel ist? Das heißt doch nur, dass diegroße Erzahlung Christentum – ausgehartet im Zement der Dogmatik – immer wiederklein gemacht wurde bzw. als nicht mehr groß genug erscheint.

An der kritischen Beurteilung der Entwicklung, die die sogenannten »großen Er-zahlungen« im Laufe der Geschichte genommen haben – »Zielprojektionen vonschamloser Linearitat« eigneten ihnen durchaus nicht von Anfang an – »ist alles rich-tig, bis auf die Schlussfolgerung, die nahezu immer in die falsche, die resignative Rich-tung gezogen wird. Es ist wahr, dass der Ideenhistoriker, wenn er […] auf die klassi-schen Exegesen der geschichtlich bewegten Welt zur�ckschaut, den Eindruck gewin-nen muss, es mit einem B�ndel von rhapsodischen �bertreibungen zu tun zu haben.Was bisher Geschichtsphilosophie hieß, waren ohne Ausnahme Wahnsysteme derVoreiligkeit. […] Die Vanitas aller bisherigen geschichtsphilosophischen Konstruktespringt heute selbst dem Laien ins Auge; jeder Studienanfanger, jeder Galerist hat heu-tigentags von diesen Fabrikationen genug begriffen, um bei Ausdr�cken wie Weltgeist,Geschichtsziel, allgemeiner Fortschritt ein gewisses Lacheln zu zeigen. […] Die gelau-fige Rede vom Ende der großen Erzahlungen schießt [jedoch] �ber ihre Pointe hinaus,sobald sie sich nicht damit begn�gt, deren unertragliche Simplifizierungen zur�ckzu-weisen. […] Wenn die bisher bekannt gewordenen großen Erzahlungen – die christli-che, die liberal-progressive, die Hegelsche, die marxistische, die faschistische – durch-

12 Damit will Grçzinger ausdr�cklich Ernst Langes Prinzip, in der Predigt den Hçrervor Gott zum Thema zu machen, korrigieren (159).

13 Eine ontologische Betrachtung kann sich ja auf ganz unterschiedliche Phanomenebeziehen, vor allem auch auf Beziehungen zwischen Menschen oder zwischen Menschund Gott. Zu sagen, dass Beziehungen eine ontologische Struktur eignet, heißt wieder-um nicht einfach, objektive Strukturen widerspiegeln zu wollen. Selbst die semiotischeTheorie, deren Rezeption in der Theologie immer wieder dem unzutreffenden Vorwurfausgesetzt war, die Wahrheit durch Beliebigkeit zu gefahrden, arbeitet mit ontologischenArgumentationsmustern (vgl. Thomas Micklich, Kommunikation des Glaubens. DieGottesbeziehung als Kategorie praktisch-theologischer Theoriebildung, Gçttingen2009).

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schaut sind als ungeeignete Versuche, sich der Weltkomplexitat zu bemachtigen, sodelegitimiert diese kritische Erkenntnis weder das Erzahlen von gewesenen Dingennoch dispensiert es das Denken von der Bem�hung um eine lichtstarke Optik f�r die fassba-ren Einzelheiten des ausweichenden Ganzen. […] Das Elend der großen Erzahlungen her-kçmmlicher Machart liegt keineswegs darin, dass sie zu groß waren, sondern darin,dass sie nicht groß genug waren.«14

Auf die Voreinstellungen der Homiletik Albrecht Grçzingers wurde hierdeshalb so ausf�hrlich hingewiesen, da man seine Sicht auf die Postmoderne,sein Insistieren auf der Pluralitat der Erzahlungen und sein Pladoyer f�reinen »theologisch reflektierten Synkretismus« im Blick haben muss, umseine �berlegungen etwa zum Umgang mit Texten oder zur Haltung beimPredigen sowie die spezifische Begriffswelt des Vf. (»schwaches Denken«,»Predigt als tentative Rede« usw.) einordnen zu kçnnen und die in diesemLehrbuch ausgesprochenen Empfehlungen zu verstehen. Auch wenn manderen Begr�ndungen im Einzelnen nicht immer nachvollziehen mag, enthal-ten sie wichtige Elemente homiletischer Argumentation: Das betrifft u.a. dieaus der Verhaltnisbestimmung des »Eigenen und Fremden« resultierende»Haltung einer demutsvollen Erwartung« (162 – 169) in der Predigtarbeitsowie das Erinnern an »das Unverf�gbare der Predigt« (173 – 176). Dem ent-spricht es, dass G. den Predigtprozess als eine »Bewegung des Bruches undder Einmaligkeit« (175) versteht : »In dem Paradox der gleichzeitigen metho-dischen Machbarkeit und Nichtmachbarkeit gewinnt die Predigt ihre fragileStarke. Sie mçchte nicht mehr sein als die Einladung dazu, in eine Bewegungeinzuschwingen« (176).

Ein besonderer Gewinn dieses Buches ist die essayistisch geschriebeneund daher sehr schçn zu lesende Kurzgeschichte der »homiletischen Situa-tionen und Positionen« (45 – 78). Ohne permanente Fußnotenkommentarewird der Leser hier zuverlassig �ber einige Phasen des Predigtverstandnissesinformiert : angefangen bei der Praxis der fr�hen Christenheit, �ber Augus-tin, Clairvaux, �ber das reformatorische Predigtverstandnis, die Homiletikder liberalen und der dialektischen Theologie – bis hin zur Hçrer-orientier-ten Predigtlehre Ernst Langes. Angesichts der Tatsache, dass seit der homile-tischen Akzentsetzung Langes 40 Jahre ins Land gezogen sind, ist zu fragen,weshalb das Rekapitulieren der Ideengeschichte der Homiletik bei diesemAutor abbricht. Zudem vermisst man jenen großen homiletischen Entwurf,der – wenn man die von G. selbst so benannten drei Predigtwelten (Hçrer,Prediger, Text ; vgl. 99 – 157) zugrunde legt – ganz auf die homiletische Erçr-

14 Peter Sloterdijk, Im Weltinnenraum des Kapitals. F�r eine philosophische Theorieder Globalisierung, Frankfurt/M. 2005, 12–14 (Hervorhebung W.E.).

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terung der Person des Predigers bezogen war : die Homiletik Otto Haend-lers15.

Der weitaus umfangreichste, vierte Teil des Buches ist Fragen zur »Gestaltder Predigt« gewidmet (177 – 282). Damit tragt G. dem Bedarf an konzeptio-nellen Leitlinien homiletischer Arbeit Rechnung. Wer jedoch auf diesenSeiten vor allem nach Anleitungen zur Predigtarbeit sucht, wird enttauscht.G. erçrtert in f�nf großen Kapiteln: die prinzipielle Bedeutung rhetorischerArgumentation f�r die sprachliche Gestalt der Predigt (1.), die grundsatzli-che Relevanz narratologischer Elemente und Strukturen (2.), Aspekte derPoetik der Predigt (3.), er pladiert f�r eine starkere »Differenzsensibilitat«(4.) – womit, wiederum ausgehend von der »Situation einer unhintergehba-ren Pluralitat«, die Fahigkeit gemeint ist, mit Hilfe der Sprache eine »diffe-renzmarkierende und differenzgenerierende Wirkung« zu erzielen (242).Schließlich wird die Wahrnehmung der Predigt im Kontext der Medienge-sellschaft besprochen (5.). In diesen Kapiteln weist G. auf Fragen hin, die diePredigt als vor allem sprachliche Herausforderung in den Blick nehmen.

Im letzten, f�nften Teil des Buches unternimmt G. den Versuch, den Begriff der»Performanz« weiter in der Homiletik zu etablieren (283 – 328). Dabei werden insbe-sondere Fragen der Inszenierung bzw. dramaturgischen Gestaltung der Predigt, ihrZusammenhang mit dem Ganzen des Gottesdienstes, Einsichten zum Sprachhand-lungscharakter der Predigt sowie der Predigtanalyse behandelt. Den letzten Abschnittbildet eine Erçrterung der »Predigt als szenisches Geschehen«, das durch bestimmtePersonen, Orte und Zeiten gepragt ist. G. spricht dabei vor allem Probleme der Kasu-alpredigt an, die am Beispiel der Bestattungspredigt (309 – 315) und der Predigt zurJahreswende (316 – 320) vertieft werden. Zur Predigt als »szenischem Geschehen«zahlt G. schließlich auch die politische Predigt (320 – 326).

Das vorgelegte Buch regt durch seine Problemanzeigen und den eindr�ck-lichen Versuch, auch widerspr�chliche homiletische Argumentationsmusterin einen Zusammenhang zu bringen, zum Weiterdenken an. Es ist kenn-zeichnend f�r Grçzingers Darstellung, dass viele der dialektisch-theologi-schen Urteile Karl Barths, Eduard Thurneysens oder Rudolf Bohrens zumVerstandnis der Predigt ebenso leidenschaftlich bejahend aufgenommen

15 Vgl. Otto Haendler, Die Predigt. Tiefenpsychologische Grundlagen und Grund-fragen, Berlin 1941, 31960. Dass A. Grçzinger selbst im Kapitel �ber den Prediger(122–136) an keiner Stelle auf die sehr grundsatzlichen Fragen der homiletischen Aus-einandersetzung mit der eigenen Person zu sprechen kommt, wie Haendler sie program-matisch und methodisch differenziert wie kein anderer auf die Tagesordnung der Pre-digtlehre setzte, ist unverstandlich. Die nur an der Darstellung des von Josuttis charakte-risierten Ichs auf der Kanzel (123–126) orientierten Hinweise machen den Mangel einerargumentativen Einbindung der Person in der Predigtprozess nicht wett.

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werden wie beispielsweise die Gegenreden seines einstigen Lehrers GertOtto. Indem jedoch die Kritik an den genannten Vertretern der dialektischenTheologie und einer entsprechenden Homiletik in der Regel (nur) als Miss-verstandnis (69 u. çfters) apostrophiert wird, lauft die Darstellung Gefahr,die bleibenden Widerspr�che und theologischen Pointen der tatsachlich beste-henden Streitpunkte und spezifischen homiletischen Vorstellungen zu verwi-schen. Den Studierenden, denen dieses Buch in erster Linie zu empfehlenist, wird mçglicherweise in nicht ausreichendem Maße deutlich, dass hier z.T.ganz verschiedene Auffassungen �ber das Wesen und die Aufgabe der Pre-digt im Hintergrund stehen, und dass sich Predigerinnen und Prediger �berdie f�r sie ›zwingenden‹ (d.h. hier : sie letztlich �berzeugenden) theologischenGr�nde ihres Predigtverstandnisses Rechenschaft ablegen kçnnen sollten.

Dadurch wird auch die Koharenz der Argumentation stark strapaziert : Im Vorbrin-gen etwa der Kritik an Lange – m�ndend in die Forderung, statt vom Menschen alleinvon Gott zu reden! (150) –, in der entschlossenen Verteidigung der Predigtlehre Thur-neysens, im Pladieren f�r das »schwache Denken« und einen bescheidenen Predigtstil,in der losen Ankn�pfung an den Lebenskunst-Diskurs in der Praktischen Theologie(Ars praedicandi als Lebenskunst, 327) – um nur einige Aspekte zu benennen –, drohtder innere Zusammenhang der theologischen und methodischen Argumente f�r eine»gute Predigt« verloren zu gehen. Ich halte es f�r unwahrscheinlich, dass eine sich vorallem auf die Geste der Frage verlegende Predigtpraxis, die lediglich eine »Einladungdazu« sein will, »in eine Bewegung einzuschwingen« (176), umgekehrt der Zustim-mung Karl Barths oder Eduard Thurneysens sicher sein d�rfte – und zwar aus theolo-gischen Gr�nden: Gottesbild, Menschenbild, Heilsverstandnis u.a.m. bestimmen dieVorbereitung und Gestaltung des homiletischen Kommunikationsprozesses (das Ver-haltnis des Predigers zum Text, zu sich selbst, die Ber�cksichtigung der Lebenswirk-lichkeit u.a.m.) in viel hçherem Maße, als es im Ensemble der homiletischen Informa-tionen dieser Homiletik den Eindruck erweckt.

Von daher fordert die Lekt�re dieses Buches dazu heraus, in diejenigenDiskurse neu einzusteigen, die f�r eine zeitgençssische homiletisch-theologi-sche Erçrterung der Aufgabe der Predigt unabdingbar sind.

3. Zum Forschungsschwerpunkt der Jahre 2002 – 2008:Arbeiten zum Verstandnis homiletischer Rezeptionsprozesse

sowie zur �sthetik und Wirkung der Predigt

Entsprechend dem oben unter 1.2 herausgestellten Schwerpunkt homileti-scher Theoriebildung werden nun jene Arbeiten vorgestellt, die sich im Be-richtszeitraum 2002 – 2008 mit der Wirkung der Predigt und mit bestimmten

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Sequenzen von Rezeptionsprozessen im Rahmen des Predigtgeschehens be-fassen.3.1 Der Titel der Arbeit Georg Lammlins, Die Lust am Wort und der Wider-stand der Schrift (2002) spielt auf die rezeptionsasthetische, am Modell des »of-fenen Kunstwerks« erçrterte These an, wonach Texte und andere Artefakteihre Interpretation durch ihre spezifische, unveranderliche Struktur sowohlerschweren wie ermçglichen. Durch den »Idiolekt«, den sie sprechen, durchdie spezifische, eigenwillige Machart, durch die sie sich auszeichnen, provo-zieren sie die Auseinandersetzung mit sich selbst zu ihren eigenen Bedingun-gen – und f�hren so zu zwar vielfaltigen, aber keineswegs beliebigen Deu-tungen.

In der Homiletik der letzten 25 Jahre ist das Modell des offenen Kunst-werks sehr detailliert im Gesprach. Es wurde insbesondere im Blick auf denUmgang des Predigers mit biblischen Texten als auch auf die Rezeption vonPredigten erçrtert. L. b�ndelt nun die dabei gewonnenen Einsichten, um sienoch einmal auf die Pramissen und Erwartungen der Arbeit mit dem Textzur�ckzulenken und diese Sequenz zum eigentlichen Konzeptualisierung–Prozess des Predigtgeschehens zu erklaren. Demnach komme es in der Ho-miletik v.a. darauf an, »die in biblischen Texten angelegte rezeptionssteuern-de Dynamik aufzudecken und in homiletischer Weiterf�hrung die im Textangelegte rezeptionssteuernde Dynamik auf die Predigtarbeit im Ganzen zubeziehen« (p. III – IV). Der Textbezug gibt nach Ansicht L. s sogar »dieKommunikationsform und -dynamik der Predigt« selbst vor (p. IV). Vondiesem Anliegen bestimmt, laufen die Erçrterungen L.s ganz auf den Ver-such hinaus, den Text als »das Medium f�r die homiletische Reflexion Pre-digtarbeit« und als entscheidenden »Referenzrahmen f�r die Bearbeitung derkommunikativen Aspekte« darzustellen (7). Schließlich kçnne sich erst in derInteraktion mit dem Text z.B. »das ›Ich‹ des Predigers in der kommunikati-ven Beziehung zu dem durch den Text vermittelten gçttlichen Gegen�ber«aufbauen (ebd.).

In all dem ist L. darauf bedacht, den Situationsbezug der Predigt nicht alseine additiv zum Textbezug hinzutretende Komponente der Predigtarbeit er-scheinen zu lassen, sondern als eine im Textbezug selbst implizierte Dimen-sion des Predigtprozesses. Dabei beruft er sich auf das Lekt�remodell desLiteraturwissenschaftlers Wolfgang Iser, der in seinen Arbeiten auf texteige-ne Rezeptionsvorgaben und -vorkehrungen verweist, in denen ein Konstruk-tions- bzw. Antizipationsraum f�r die Leser in ihrer je eigenen Situationschon enthalten sei. Durch diese Art des Text-Leser-Verhaltnisses kçnnenInteraktionen in Gang gesetzt werden, die den Predigtprozess insgesamt zu

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einem gleichermaßen textbezogenen wie situationsgerechten Geschehenwerden lassen.

Vertieft und demonstriert werden diese �berlegungen anhand einer fein-sinnigen Relekt�re ausgewahlter Psalmen (156 – 290). L. versucht mit Bezugauf die Psalmen – diesen gleichermaßen mit Situationen und mit Elementeneiner als Bekenntnis formulierten Glaubenslehre aufgeladenen Texten – ein»Lekt�remodell« vorzustellen, »in dem die reflexiven Aspekte in einem re-zeptionstheoretischen Verstandnis des Textes als Kommunikationsstrukturfundiert werden« (154), wobei sehr spezifische Kategorien wie »die Welt derS�nde«, »die Unterscheidung des wahren Wortes von der Sprache der L�ge«,»der Einzelne und sein verlorenes Gegen�ber« als Reflexionsperspektivender Homiletik vorgeschlagen werden.

L. kontextualisiert seine – um eine bestimmte Art der Wiedergewinnung des Textesf�r die Homiletik bem�hten – Darlegungen durch Hinweise auf den Zusammenhangdes Textbezugs der Predigt mit anderen thematischen Schwerpunkten der Homiletik(Gemeinde, Sprache, Situation). Dabei ist freilich nicht immer so ganz klar, ob er nochreferiert oder eigene Stellungnahmen abgibt. Das ist insofern bedauerlich, als diesesBuch eine Gratwanderung zwischen traditioneller Texthomiletik im Sinne Hans-Joa-chim Iwands und einem aufgeklarten Umgang mit dem Text unter Einbeziehungneuerer literaturwissenschaftlicher Argumentationsmuster versucht. Angesichts diesesHintergrundes w�rde man gern genauer erfahren, aus welchen Gr�nden L. die »derPredigt zugesprochene Heilswirkung« ausgerechnet dadurch naher bestimmt, dass siedurch »die Schwache des menschlichen Wortes nicht relativiert werden« kçnne, oderweshalb behauptet werden muss, dass erst »die prinzipielle Textbindung der Predigt[…] die menschliche Rede in ihrer Menschlichkeit« heilige. Nur durch die Textbin-dung, so L. , sei die Predigt »�berhaupt in der Lage, […] die prinzipielle Schwachheitder menschlichen Rede, von Gott nicht auf wahre Weise sprechen zu kçnnen, zu �ber-winden« (29). Partizipieren denn die biblischen Texte, an die wir uns binden – somçchte man zur�ckfragen –, nicht auch an der »Schwachheit menschlicher Rede« (wasimmer damit bezeichnet sein mag)? Etwas unpassend im Gesamtkonzept der eigenenArgumentation L.s erscheint auch die auf das Kerygma abhebende Pramisse, wonach esim Bezug der Predigt auf den Text »um die Aktualisierung seines Kerygmas in einerneuen Situation gehe« (30). Gerade die von L. aufgenommene Terminologie der Text-welten legt doch nahe, dass es unangemessen ist, bei der Arbeit in und mit ihnen vorallem auf ein in ihnen schon beschlossenes Kerygma aus zu sein.

Wie die homiletische Adaption moderner sprach- und literaturwissen-schaftlicher Erkenntnisse �ber das Entstehen und die Interpretation vonTexten mit der Prolongierung einer theologisch eher an die Arbeiten Hans-Joachim Iwands erinnernden (Bibel-)Texthomiletik zusammenpassen sollen,wird von L. nicht weiter kommentiert. So ergeben sich zwangslaufig Fragen:Aufgrund welcher �berzeugung sollte man daran festhalten m�ssen, dasserst der Bezug auf einen Text des biblischen Kanons die »Schwachheit

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menschlicher Rede« wett mache und auf »wahre« Weise von Gott zu spre-chen erlaube? Kann eine Predigt mit Bezug auf einen Text von DietrichBonhoeffer oder Martin Luther oder auf einen Hymnus des christlichen Mit-telalters nur l�gen bzw. unmçglich sein? Hier w�nschte man sich etwas mehrVermittlung – oder um es anders auszudr�cken: Der begr�ßenswerte undermutigende Versuch Georg Lammlins, Impulse aufzugreifen, die auf eineErneuerung des Textbezugs der Predigt zielen, kann ohne eine diesen Ver-such begleitende und plausibilisierende theologische Erneuerung der Diskur-se um »Gottes Wort«, »Heilswirksamkeit der Predigt« usw. nicht so recht ge-lingen. Solange der Topos von der Selbstwirksamkeit des Wortes Gottes (ef-ficacia verbi divini) vor allem in die Wendung von der »Eigendynamik derbiblischen Texte« (so L. haufiger) transformiert wird, ist womçglich nochnicht viel gewonnen.

Ungeachtet dieser kritischen R�ckfragen setzt L.s Arbeit �ber den Textbe-zug der Predigt einen hohen theoretischen Standard f�r eine zentrale Se-quenz des homiletischen Prozesses. L. gibt dem bibelhermeneutisch oft ge-scholtenen Begriff der »Texthomiletik« eine vçllig neue, enzyklopadische Di-mension.3.2 Mit seiner »Dramaturgischen Homiletik« Einander ins Bild setzen (2002)mçchte Martin Nicol erklartermaßen »kein Lehrbuch«, sondern eine »aufsModellhafte« ausgerichtete »Programmschrift« bieten, die die Konturendessen in den Blick zu bekommen sucht, »was k�nftig Predigt sein kçnnte«(15). Er versteht Predigen »als eine Kunst eigener Art«, die gleichwohl vieleAnalogien zur Kunst von »Pianisten, Literatinnen, Filme- und Liederma-chern« aufweise (16). Was N. an diesen Analogien interessiert, ist die Art undWeise der jeweils gestalteten Spannung, also das dramaturgische Prinzip, daseinen produktiven Umgang mit Spannungen ermçglicht : Mit Spannungen imProzess der Interpretation von Texten, mit den Spannungen in den Hçrernselbst, mit den Spannungen in der eigenen Person, den Spannungen zwi-schen verschiedenen Erfahrungen usw.

Ausgehend von dieser Idee stellt N. verschiedene Bez�ge zum liturgischebenso vorgegebenen wie zu inszenierenden Kontext der Predigt her(38 – 46) ; er fragt theologisch nach dem Ereignischarakter der Predigt(47 – 55), der nicht der Ausnahmefall sein sollte, sondern f�r N. zum Wesender Predigt gehçrt. Dem entspreche es, die Predigt nicht als »Reden �ber«Gott, einen Text oder die Welt zu verstehen, sondern – wie es in der ameri-kanischen Homiletik heißt – als »Preaching from Within« (55). Dies setzewiederum voraus, Texte in dem Sinne zu interpretieren, dass sie zu »lebendi-ger Auff�hrung« gelangen und so ihrerseits zum Ereignis werden (56 – 64).Im Predigtprozess »einander ins Bild zu setzen« heißt f�r N. , dass »Predige-

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rin und Gemeinde einander in die Worte, Bilder und Geschichten der Bibel«setzen (65).

Diese Arbeit hat insofern auch den Charakter eines Werkbuchs, als sein grçßter Teilder »Praxis dramaturgischer Homiletik« gewidmet ist (73 – 136). Hier gibt N. stich-wortartige Hinweise zur Erschließung des »dramatischen Potenzials der biblischenSprachhandlungen« und erlautert die Notwendigkeit, sich bei der Predigtarbeit in ein»Szenario« hineinzudenken: »Die Predigtmacherin orientiert sich am Filmemacher«(102).16 N. stellt an die Predigt den Anspruch, selbst »Performance« zu sein: »Sie istgetragen von der Erwartung, Gott selbst mçge in solcher Kommunikation des Evan-geliums zur Sprache kommen« (114). N. skizziert, welche Rolle Spiritualitat, Sprache,Stimme, Raum und der liturgische Kontext bei der Vorbereitung dieser Performancehaben. Schließlich weist N. in diesem Teil des Buches auch auf die Notwendigkeiteines Feedbacks hin, in dem die Predigt als Ereignis besprochen werden sollte. Zweididaktische Modelle zur Vermittlung dramaturgischer Homiletik (»Modell Chicago«und »Modell Deutschland«), in denen N. die Notwendigkeit einer »Vernetzung vonPredigern in der Gemeinde, Experimentieren in Kursen, wissenschaftlicher Reflexionund Supervision« (137) verdeutlicht, stehen am Schluss der Ausf�hrungen (137 – 148).

Dass dieses Buch von der ersten Seite an in medias res homiletischer Praxisf�hrt, ist mit einem besonderen Lekt�regewinn verbunden. Ohne lange his-torische und den theoretischen Diskurs der Homiletik vertiefende An-marschwege wirft N. erhellende Schlaglichter auf den Ereignischarakter derPredigt und die damit verbundenen Fragen ihrer Inszenierung. Dadurchwird das Spektrum homiletischer Reflexionsperspektiven, die eine metho-disch durchdachte Annaherung an die Predigtarbeit ermçglichen, um die derdramaturgischen Betrachtung bereichert.3.3 Frank L�tze kn�pft mit seiner Studie Absicht und Wirkung der Predigt(2006) dort an, wo andere sprechakttheoretisch orientierte homiletische Ar-beiten abgebrochen haben: Er geht von der schlichten Frage aus, ob es nichtbestimmte sprachliche Strukturen gibt, die dem Anspruch der protestanti-schen Predigtlehre, nicht nur �ber Rechtfertigung zu reden, sondern Predigtals je konkrete Aktualisierung der Rechtfertigung zu verstehen, besser korre-spondieren als andere. Ausgangspunkt f�r diese Frage ist der – in der Arbeitbegr�ndete – Zweifel an der Leistung homiletischer Argumentationsmuster,die zwar fortwahrend auf Begriffe wie Rechtfertigung, Gnade, Freiheit usw.rekurrieren, sprachpragmatisch jedoch z.B. im Gestus der Anklage verhar-

16 Diese Pramisse wird von N. freilich nur sehr eingeschrankt umgesetzt. Eine dezi-diert von den Genres des Films und ihrem dramaturgischen Repertoire her entwickelteHomiletik w�rde auf ganz unterschiedliche Drehbuch- bzw. Regiefragen einzugehenhaben und nicht primar Stilmerkmale von Sprache und Spreche in den Blick nehmen,wie das vor allem im Journalismus bekannt ist.

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ren, die einfachsten Regeln gelingender Kommunikation verletzen oder sichals ordinare Moralpredigt erweisen.

Diese Fehlleistungen, so zeigt L. , kçnnen nicht nur einer unausgegorenenTheologie oder einem inadaquaten Selbstbild des Predigers angelastetwerden; sie haben auch mit Nonchalance gegen�ber (letztlich einfachen)sprachlichen Grundgesetzen zu tun. Auf jeden Fall – und das ist noch wich-tiger – kann die Auseinandersetzung mit sprachlichen Mustern der Predigt,die sich �ber Jahrhunderte hin entwickelt haben und die Predigtarbeit latentmitbestimmen, dazu beitragen, die Pragmatik der Predigt genauer in denBlick zu bekommen.

L. untersucht dementsprechend den Zusammenhang zwischen Absicht,Gestaltung und der voraussichtlichen Wirkung von Predigten. Dieser Zu-sammenhang, so die Grundannahme L.s in Ankn�pfung an die Sprechakt-theorie, lasst sich bereits anhand des Manuskriptes rekonstruieren – und ent-sprechend vice versa eine intendierte Wirkung durch eine durchdachtesprachliche Gestaltung der Predigt wahrscheinlich machen. In vier Kapitelnwird diese These theologisch begr�ndet und prazisiert, sprachwissenschaft-lich fundiert und schließlich anhand der Analyse gangiger Muster der gegen-wartigen Predigtpraxis zum Topos »Rechtfertigung« exemplarisch fruchtbargemacht. Das Ziel der Studie sieht L. darin, die Forderung nach einer perfor-mativen, konkret : einer »im Vollzug rechtfertigenden« Predigt (21) mit demkonkreten Handwerk der Predigt in reflektierter Weise zu vermitteln.

Im Zuge dieser Ausf�hrungen wird das homiletischen Feld in dreierleiHinsicht neu vermessen: Im Blick auf sprachpragmatische Predigtanalyse (a),im Blick auf die Bedeutung von Handlungsmustern (b) sowie im Blick aufdie pragmatische Reflexion theologischer Topoi (c).

Zu a) Die Pragmatik religiçser Rede wurde bislang, sofern sie �berhauptin den Blick kam, auf Basis der Sprechakttheorie diskutiert. Dass die Ergeb-nisse solcher Analysen theoretisch und praktisch in der Regel wenig �berzeu-gen, f�hrt L. auf weithin �bersehene analytische Insuffizienzen der Sprech-akttheorie zur�ck, die sich auf Einzelsatze beschrankt, hingegen textuelle Zu-sammenhange systematisch ausblendet. In kritischer Auseinandersetzung mitdieser Tradition erschließt die Studie textlinguistische Ansatze zum Handelndurch Texte und in Texten f�r die Predigtanalyse. Damit wird der seit fast 30Jahren unterbrochene Austausch mit der Sprachpragmatik wieder aufgenom-men und auf dem aktuellen Stand der Wissenschaft fortgesetzt.

Zu b) Mit der Kategorie des »Handlungsmusters« greift die Studie diePredigthçrern gelaufige Beobachtung auf, dass Predigten zum selben Toposunabhangig vom Prediger haufig ahnlich klingen und dieselben rhetorischenStrukturen aufweisen.

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Die Verbreitung solcher Strukturen f�hrt L. auf die pragende Kraft der Predigttra-dition zur�ck, die vor (und bisweilen entgegen) aller homiletischen Ausbildung Predi-ger mit »Musterlçsungen« ausstattet : Wer predigen muss, weiß in der Regel langst, wieeine z�nftige Predigt klingt. Die im zweiten Hauptteil der Studie (131 – 290) vorgeleg-ten exemplarischen Analysen machen freilich deutlich, dass sich unter den gangigenMustern der Rechtfertigungspredigt gelungene Interventionen von geradezu therapeu-tischem Wert ebenso finden wie fatale rhetorische Scheinlçsungen, die etwa Gnadebehaupten, aber pragmatisch eine rigorose Werkgerechtigkeit fordern. Anstelle einespauschalen Verzichts auf Predigtmuster (und in Abgrenzung vom Ideal einer Predigtals freiem k�nstlerischen Akt) pladiert darum die Studie f�r einen bewussten, kritisch-reflektierten Umgang mit der Predigttradition. Dabei kçnnten Musteranalysen im Stilder vorgelegten Analysen einen signifikanten Beitrag zur homiletischen Ausbildungleisten.

Zu c) Schließlich erinnert die Studie daran, dass eine ausschließlich se-mantische Klarung theologischer Fragen, wie sie die Systematische Theolo-gie weithin leistet, in homiletischer Hinsicht unbefriedigend bleibt. Eine Pre-digt, die nicht �ber Tatbestande informieren, sondern Wirklichkeiten schaf-fen will, ist vielmehr darauf angewiesen, dass das pragmatische Profil theolo-gischer Topoi (wieder) erschlossen wird. Der Autor der vorliegenden Studiehat exemplarisch f�r einige rechtfertigungstheologische Kategorien wie»Gesetz« und »Evangelium« Reformulierungen versucht, die das Handlungs-profil der Begriffe starker betonen.

Wer die Rezeption der Sprachwissenschaft in der Homiletik f�r ein modi-sches Accessoire der Praktischen Theologie gehalten hat, wird in dieserArbeit eines Besseren belehrt. In der sorgfaltig argumentierenden Reformu-lierung und Weiterf�hrung linguistischer Einsichten auf dem Gebiet der ho-miletischen Pragmatik f�hrt die Arbeit neue Mçglichkeiten der Predigtarbeitund -analyse vor und erçffnet sie damit zugleich.17

3.4 Mit der systematischen Untersuchung des gesamten Spektrums der Pre-digtanalyse (2006) hat sich Stefanie Wçhrle einen Gegenstand vorgenom-men, der zwar in der homiletischen Didaktik an den Hochschulen und in derpastoralen Aus-, Fort- und Weiterbildung eine wichtige Rolle spielt, derjedoch in seiner theoretischen Bedeutung f�r den Horizont der PraktischeTheologie im Allgemeinen und die Homiletik im Besonderen weitgehendvernachlassigt worden ist. An der Predigtanalyse zeigen sich exemplarischdie Notwendigkeit und der Gewinn des Dialogs zwischen Theologie und

17 Von daher hat das Urteil Michael Meyer-Blancks einiges f�r sich: »Es ist deutlich,dass hier die Sprechakttheorie so mit der prinzipiellen Homiletik verbunden wird, dasssich die materialen und formalen Konsequenzen leicht ziehen lassen. Es d�rfte sich umdie wichtigste homiletische Arbeit der letzten Jahre handeln« (Evangelische Gottes-dienstlehre heute, ThLZ 133 [2008] 3–20, hier : 16).

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Humanwissenschaften bzw. zwischen Theologie und anderen Geisteswissen-schaften. Daher wird die Predigtanalyse nicht nur von Theologen, sondernz.B. auch von Sprachwissenschaftlern und Psychologen wahrgenommen undthematisiert, die in dieser eigent�mlichen Redegattung willkommenes Mate-rial f�r die eigene Forschungsarbeit finden.

Durch die nun von W. vorgelegte Arbeit d�rfte es insbesondere k�nftigen Genera-tionen von Pfarrern und Theologiestudenten leichter fallen, sich ein Bild von denMçglichkeiten und Problemen im analytischen Umgang mit Predigten zu machen. DieDissertation f�hrt in die z.T. nur schwer zugangliche Literatur nicht nur eine �berzeu-gende Ordnung ein, sondern entwickelt eine Reihe von Fragestellungen, die eine Ver-gleichbarkeit der verschiedenen Ansatze ermçglichen und f�r den praktischen Ge-brauch unmittelbar relevant sind. Sie vermittelt �berdies ein Verstandnis daf�r, wie dieeinzelnen Modelle zusammengehçren, inwiefern sie z.T. verschiedene Seiten ein undderselben Problemlage verdeutlichen und was die diversen Reflexionsperspektiven derPredigtanalyse schließlich leisten und was nicht. Dar�ber hinaus unternimmt W. denVersuch, die homiletisch–theologischen Pramissen der untersuchten Predigtansatzeoffenzulegen und kritisch zu befragen. Schließlich entwickelt sie im Laufe ihrer Arbeitpragmatische �berlegungen zur Praxis der Predigtanalyse, die dazu beitragen, diesewichtige Facette pastoraler Arbeit noch starker im Bewusstsein von Predigerinnen undPredigern zu verankern.

Bei der Systematisierung der Ansatze geht die Autorin (mit Karl B�hler)vom Zeichencharakter sprachlicher Zeichen aus, nimmt also bei der Unter-suchung der Analysemodelle auf die aller menschlichen Kommunikation eig-nenden Grundfunktionen menschlicher Sprache Bezug: Wer etwas sagt, be-zieht sich (1.) auf einen Sachverhalt (Symbol- oder Darstellungsfunktion), erwill (2.) mit dem Gesagten bei den Angesprochenen etwas bewirken (Appell-bzw. Signalfunktion) und sagt damit (3.) nolens volens auch etwas �ber sichselbst (Symptom-, Ausdrucks- bzw. Selbstkundgabefunktion der Sprache).Es erstaunt denn auch nicht, dass die unterschiedlichen analytischen Heran-gehensweisen zur Analyse der Redegattung Predigt den drei in der menschli-chen Kommunikation vereinten Grundfunktionen der Sprache entsprechen.Indem W. die gangigen Analyseverfahren so strukturiert, dass sie in dreigroßen Kapiteln die Person des Predigers, die Rezeption seitens der Hçrerund den Inhalt der Predigt in den Blick nimmt, setzt sie sich zugleich mitden drei wichtigsten Themen der Homiletik auseinander. Nat�rlich lassensich die insgesamt elf untersuchten Analysemodelle nicht lupenrein auf eineder o.g. Kategorien festlegen. Darin spiegelt sich wiederum die Eigenartsprachlicher Zeichen wider, niemals nur eine einzelne Funktion der Sprachezu prasentieren, sondern allenfalls eine ihrer Funktionen dominant zuzeigen, ohne dabei der �brigen zu entbehren.

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Die homiletischen Erçrterungen der Studie haben dementsprechend folgendeSchwerpunkte : I. Analysen zur Selbstkundgabe des Predigers : I.1 Analyse nach der Persçn-lichkeitstypologie Fritz Riemanns, I.2 Predigtanalyse in KSA-Kursen, I.3 Transaktio-nale Predigtanalyse. II. Analysemodelle mit Bezug auf die Signal- bzw. Appellfunktion von Pre-digten : II.1 Inhaltsanalyse von Predigen; Exkurs : Empirische Hçrerbefragung; II.2Sprechakttheoretische Predigtanalyse. III. Analysen zur Darstellungsfunktion von Predigten :III.1 Rhetorische Predigtanalyse, III.2 Semantische Predigtanalyse; Exkurs : Wertstruk-tur-Analyse nach Ottmar Fuchs; III.3 Ideologiekritische Predigtanalyse nach IsoldeMeinhard; Exkurs : Predigtanalyse nach dem Heidelberger Modell.

Um eine Vergleichbarkeit der einzelnen Analyseverfahren zu gewahrleis-ten, entwickelt W. ein Schema, in dem das jeweilige theoretische und prakti-sche Repertoire der Analyse zunachst (1.) in seiner Genese skizziert wird,wobei sich die Autorin des Ganzen der Homiletik und wichtiger Entwicklun-gen auch in anderen Disziplinen (v.a. in der Seelsorge) bewusst ist. In zweiweiteren Schritten werden die Ziele der Analyse und Vorstellungen bez�glichder Durchf�hrung der Analyse erçrtert (2. und 3.). Von besonderem Ge-wicht sind die jeweils unter 4. und 5. vorgenommenen Erçrterungen der ho-miletischen Pramissen und der daraus resultierenden Leistungen undSchwierigkeiten.

�berlegungen W.s zur Geschichte und zur Zukunft der Predigtanalysesowie ein von ihr entworfenes »Modell zur Analyse eigener Predigten«, indem sie die »Predigtanalyse als Weg zur Predigt« (210 – 214) prasentiert,runden die Arbeit ab. Die Arbeit hat einen hohen Erschließungswert f�r dasun�bersichtlich gewordene Feld der Predigtanalyse und zeigt dabei bemer-kenswerte Argumentationsmuster auf, die �ber einen Literaturbericht weithinausgehen, aber f�r die k�nftige Predigtanalyse von Interesse sein d�rften,wie die rasche Aufnahme des Buches zeigt.18

3.5 Mit seinem Buch Homo audiens (2008) hat Thomas Nisslm�ller, Privat-dozent an der Universitat Dortmund (Fakultat Humanwissenschaften undTheologie), nicht weniger als ein interdisziplinares, homiletisch motiviertesKompendium zum Phanomen des Hçrens vorgelegt. Das Werk verdeutlicht,dass es eines ist, eine hçrerorientierte Predigt zu fordern und einschlagigeTipps zur Ber�cksichtigung entsprechender alltagsweltlicher Situationen zugeben, und ein anderes, den Akt des Hçrens selbst zum Erschließungsgebieteiner am Auditiven orientierten homiletischen Forschung zu machen. N. ent-scheidet sich f�r das Letztere : Er entwickelt Kriterien einer auditiven �sthe-tik des Predigthçrens und formuliert entsprechende Konsequenzen f�r die

18 In seiner Homiletik geht Grçzinger im Kapitel �ber die Predigtanalyse ausdr�ck-lich auf die von Wçhrle vorgeschlagenen Schwerpunktsetzungen ein (vgl. Grçzinger,aaO., 297–300).

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Inszenierung der Predigt. Das Buch versteht sich als eine umfassende Expli-kation des homiletischen Modells des »Auredits«, mit dem die je eigene Her-meneutik und Interpretationsleistung des Hçrens im Sinne einer unaus-weichlichen Aktualisierung, Erganzung und Aneignung der Predigt durchden Hçrer in den Blick genommen wird.

Mit der vorgelegten Arbeit ist eine neue, kaum zu �berschatzende Stufeder theoretischen Annaherung an den Hçr-Akt in der Predigt erreichtworden, denn – darin ist N. voll und ganz zuzustimmen – »�ber Behauptun-gen und Reflexionen �ber die Notwendigkeit, Relevanz und Aktualitat desHçrens [im Predigtprozess] hinaus sind bislang kaum nennenswerte �berle-gungen vorgelegt worden« (232). Im Klappentext heißt es : »Hçren avanciertzum anthropologischen Eckdatum der Sinnbestimmung unserer Existenz,und auf der inneren Hçr-B�hne gestaltet sich das Netz menschlicher Hand-lungs- und Lebenspraferenzen. Die verschiedenen Facetten des Hçrens austheologisch-philosophischer, psychologischer und asthetischer Perspektivezu gewahren und von daher ein Forum von Hçrqualitaten vor Augen zuhaben, ist ein besonderer Aspekt der vorliegenden Arbeit, die nicht zuletztauch die [Predigt als] Kategorie des Hçrspiels coram Deo in den Blick r�ckt.«

Die enzyklopadische Anlage des Buches ergibt sich bereits aus der ausdifferenzier-ten, mehr als 150 Untergliederungspunkte umfassenden Disposition, deren sechsgroße Teile hier kurz aufgef�hrt werden sollen: Eine ausf�hrliche Einleitung (21 – 46)befasst sich mit dem anthropologischen Horizont des Hçrens, z.B. mit dem »Hçrenals heuristischem Akt« und dem »auditivem Freiheitsgang«, mit dem Menschen als»homo audiens« und Hçrerfahrungen als »Eckdaten seines Lebens« sowie mit der»Szenenwelt Ohr« bzw. dem »Sinn des Hçrsinns«. Im 1. Hauptteil (47 – 140) wird die»Kunst des Hçrens« erçrtert – beispielsweise unter Bezugnahme auf die »fiktionaleArchitektur des Hçrens« sowie mit Ausf�hrungen zur »Bedeutung des Hçrakts imPredigtgeschehen«, wobei zum einen »in die Schrift hineingehçrt«, zum anderen »Gottzu Gehçr gebracht« werde. Der 2. Hauptteil (141 – 214) nimmt Hçrspielkonzepte aufund reflektiert sie im Zusammenhang mit »neutestamentlichen Hçrerfahrungen« und»biblischen Hçrspielen« sowie der aus ihnen abzuleitenden »auditiven Kultur«, sie be-zieht sie aber auch grundsatzlich auf die homiletisch-theologische Orientierungsleis-tung Hçren: auf das Hçren »als Simulation«, Fiktion, als »bildhauerische Tatigkeit«,»Leiblichwerden des Wortes« u.a.m.

Der 3. Hauptteil (215 – 376) bietet eine insgesamt 95 Modi umfassende Klassifikati-on der Qualitaten bzw. Fahigkeiten des Hçrens im Sinne bestimmter Sinn-Konstrukti-onsformen. Darunter finden sich Lemmata wie »rekreatives Hçren«, »anteilnehmendesHçren«, »reflexives Hçren«, »kalkulierendes Hçren« u.a.m. – bis hin zum »eucharisti-schen Hçren«. Diese Kartographie des Hçrens vermag einen im bisherigen homileti-schen Diskurs allzu dunkel gebliebenen Fleck im Predigtprozess geb�hrend zu erhel-len. Im 4. Hauptteil (381 – 406) seiner Untersuchung, der ganz der theoretischen Fun-dierung einer »ars audiendi« im Sinne homiletischer Argumentationsmuster gewidmetist, schließt N. an das bisher im Blick auf die Bedeutung der Hçrerperspektive Erarbei-tete an und vertieft es u.a. unter den Stichworten: »Predigt-Hçren als B�hnenerfah-

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rung«, »Der Hçrer als �bersetzer«, »Hçrtheorie des Glaubens«. Im Schlussteil – »ImHçr-Spiel Gott entdecken« (407 – 426) – geht N. auf den »Hçrgarten der Seele«, aufdie Frage nach einer »auditiven Anthropologie« u.a.m. ein.

Die Rezeption und Weiterentwicklung des Hçrspielkonzepts in der Pre-digtlehre sowie die skizzierte Kartographie des Hçrens stellen eine deutlicheVertiefung und Erweiterung des homiletischen Diskurses dar. KritischeR�ckfragen ergeben sie wiederum im Blick auf die theologische Koharenzder Argumentation bzw. hinsichtlich der impliziten Theologie der Predigt :Wer, wie Nisslm�ller, den erfinderischen Konstruktionsprozess des Hçrens– sowie von »Rezeption« �berhaupt – so detailliert zu beschreiben vermag,sollte �ber ein differenzierteres Repertoire zur Erçrterung des theologischenUnter- und �berbaus der Predigt verf�gen. Die These, dass Homiletik nichtsanderes sei als »die Kunde davon, was sich ereignet, wenn das wirkmachtigeGotteswort19 in Hçrerinnen und Hçrern Wirkung zeigt« (28) – was sich wie-derum darin außere, dass im Predigthçren »die Wahrheit Gottes im Raumdes Menschen Gewicht« erlange (ebd.) –, wirkt demgegen�ber etwas krudeund fallt hinter die in der Auseinandersetzung mit der Dialektischen Theolo-gie ins homiletische Bewusstsein getretene Komplexitat der die »Verk�ndi-gung« konditionierenden Elemente des Predigtprozesses zur�ck. Da diesespeziellen Kommentare N.s jedoch eher am Rande stehen und mit den ei-gentlichen Ergebnissen wenig zu tun haben, schmalern sie nicht den Lekt�-re-Gewinn dieses Buches.3.6 Eine weitere Studie, in der die Erkundung des Predigt-Hçrens im Mittel-punkt steht, ist der von Helmut Schwier und Sieghard Gall unter demTitel Predigt hçren (2008) vorgelegte 1. Band der »Heidelberger Studien zurPredigtforschung«. In diesem Buch werden die Ergebnisse einer empirischenUntersuchung zur Predigtrezeption prasentiert, die 2006 in acht Gemeindender Evangelischen Landeskirche in Baden von den Mitarbeitern der Abtei-lung Predigtforschung des Praktisch-Theologischen Seminars der UniversitatHeidelberg in Zusammenarbeit mit dem Institut REACTOS�-Medienfor-schung (M�nchen) durchgef�hrt wurde. Im Fokus der Untersuchung stehtder Versuch, empirisch dem Wie der Predigtrezeption im Sinne des Reakti-ons- und Sinnproduktions-Verhaltens der Hçrer in actu auf die Spur zu

19 Aus den Erçrterungen N.s geht leider nicht hervor, was unter dem »wirkmachti-gen Gotteswort« zu verstehen ist. Unterstellt man die von N. in Anspruch genommeneAnalogie zum Textverstandnis Isers, d�rfte am ehesten an die biblischen Textkçrper alsSubjekte dieser »Wirkmacht« zu denken sein.

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kommen. Dabei geht es um die Erforschung der »gehçrten Predigt«20 –jedoch nicht auf der Basis einer nachtraglich angestellten Befragung, wie siefr�heren Erhebungen21 zugrunde liegt, sondern auf Grundlage der Analyse»unmittelbarer bzw. ablaufsimultaner Reaktionen der Hçrer« (6).

Diese ablaufsimultanen R�ckmeldungen der Rezipienten sollen »�ber eine Darbie-tung hinweg […] intuitiv, unabhangig voneinander und differenziert abgegebenwerden. Die Abbildung der individuell bestimmten R�ckmeldungen darf die Aufmerk-samkeit und die Wahrnehmung der Rezipienten nicht einschranken; die Fragestellungmuss klar, die Handhabung entsprechender Gerate unkompliziert sein« (6). Dabei gehtes vor allem um den Einsatz eines kontinuierlich einstellbaren Schiebers, eines kleinenHandgerats, mit dem der Hçrer auf einer Skala unmittelbar anzeigen kann, ob er sichzum Beispiel »von der Predigt sehr angesprochen« (oberes Ende der Skala) oder »garnicht angesprochen« f�hlt (unteres Ende der Skala) – mit allen mçglichen Positionendazwischen.22

Die Autoren haben einen komplexen und dennoch leicht zu erfassendenFragekatalog erarbeitet, anhand dessen die Hçrer sehr differenziert, unab-hangig voneinander – und nat�rlich anonym – auf die jeweils vorgetragenenPredigten reagieren kçnnen. Bei den Predigten handelt es sich gewisserma-ßen um rhetorisch bipolare, in ihrer homiletischen Strategie vergleichbare»Predigtpaare«, die man bestimmten Kategorien zuordnen kann – was f�rdie homiletische Bewertung der Untersuchung besonders interessant ist.

Sch. und G. haben sich f�r folgende »Predigtpaare« entschieden: F�r den Vergleich1. einer »Narrativen Predigt« mit einer »Textpredigt«, 2. f�r das Paar »theologisch an-spruchsvolle lehrhafte Osterpredigt« und eine »populare, eher volksnahe Osterpre-digt«, f�r eine »auf Glaubensstarkung orientierte Gemeindepredigt« und eine »glau-benweckende (evangelistische) Predigt« sowie eine »Themapredigt« und eine »politi-sche Predigt«. Solche »Genres« sind – zumal in dieser Gruppierung – nicht unproble-

20 Der von Hans Werner Dannowski (Kompendium der Predigtlehre, G�tersloh1985, 15f.) angeregten Unterscheidung zwischen der »geglaubten Predigt«, erçrtert unddefiniert im dogmatischen Diskurs, und der »gepredigten Predigt«, vergegenwartigt inder praktisch-theologischen Reflexion �ber deren Vollzug, wird von den Autoren dieKategorie der »gehçrten Predigt« hinzugef�gt. Sie betrifft den Part der Hçrer als eigeneSequenz des Predigtgeschehens und stellt sich damit als praktische Vertiefung des oben(2.1) angesprochenen Modells des »Auredits« dar.

21 Vgl. insbesondere die von Karl-Fritz Daiber u.a. vorgenommenen – von H.Schwier im �brigen ausf�hrlich gew�rdigten – Studien: Predigen und Hçren I. Ergeb-nisse einer Gottesdienstbefragung, M�nchen 1980, und Predigen und Hçren II. Kom-munikation zwischen Predigern und Hçrern. Sozialwissenschaftliche Untersuchungen,M�nchen 1983.

22 Die Gerate kommen auch im Predigtnachgesprach zum Einsatz, wobei noch wei-tere Fragen eine Rolle spielen, die den Gesamteindruck, Details der Rezeption, Einstel-lungen und Erfahrungen u.a.m. betreffen; sie kçnnen hier nicht weiter vertieft werden.

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matisch. Es ist homiletisch wenig plausibel, inwiefern eine »theologisch anspruchsvol-le« Predigt ein eigenes Genre neben der »narrativen« oder einer »Themapredigt« dar-stellen sollte – von der gesondert genannten, »auf Glaubensstarkung orientierten Ge-meindepredigt« ganz zu schweigen; sie kçnnte auch das Grundanliegen einer çsterli-chen Lehrpredigt sein. Freilich geht es den Verfassern hier weniger um einen homileti-schen Diskurs �ber angemessene Predigtypologien, sondern eher um die Ankn�pfungan bestimmte empirische Muster mit Klischeecharakter. Gleichwohl hatte man rheto-risch bzw. homiletisch stimmigere »Paarungen« bilden und dabei auf einschlagige, ›ver-gleichbarere‹ Kriterien und Kategorien Bezug nehmen kçnnen: z.B. auf primar be-hauptende und mehr argumentierende Predigten, auf eher dogmatischen Sprachmus-tern folgende und mehr erzahlende Predigten usw. Die Kategorie des »theologischenAnspruchs« sollte demgegen�ber nicht (langer) f�r solche Predigten reserviert werden,die im Stil theologischer Vorlesungen daherkommen.

Die Ergebnisse der Untersuchung sind nahezu f�r alle Bereiche der Ho-miletik relevant. Die von Schwier und Gall durchgef�hrte Studie vermittelteinen tiefen Einblick in die Zusammenhange von Disposition und Reaktionim Hçren einer Predigt ; sie ermçglicht, die Wirkungen der Erwartungen undder Gestimmtheit von Hçrern auf die Wahrnehmung und Beurteilung derPredigt im Detail nachzuvollziehen. Man kann nun besser einschatzen, wiebestimmte rhetorische und theologische Facetten der Predigt wahrgenom-men werden, unter welchen Umstanden es bereits zu Beginn der Predigt ge-lingt, die Aufmerksamkeit der Hçrenden zu erreichen, an welchen Punktender Predigt Hçrer abschweifen oder ›aussteigen‹. »Finden sie neue Einstiegs-mçglichkeiten wahrend des Verlaufs? Welchen Einfluss haben Sprache,Struktur, Gattung und theologische Aussagen? Und schließlich: Wie ist derabschließende Eindruck von der Predigt? Was bleibt von der Predigt im Ge-dachtnis? Wie einheitlich und wie differenziert ist das Bild der Gesamtheitder Hçrer? Entsprechende Antworten auf all diese komplexen Fragenkçnnen nur die Hçrer selbst geben« (9). Indem Sch. und G. diesen Antwor-ten nachgehen, leisten sie einen substantiellen Beitrag f�r die sich anschlie-ßenden, von den homiletischen Fachleuten zu reformulierenden Fragen be-z�glich der Gestaltung der Predigt, des Umgangs mit den Texten, der perso-nalen Prasenz u.a.m.

Die detaillierten Auswertungen sind aufgrund ihrer deskriptiven Genauig-keit spannend zu lesen und bestatigen den homiletischen common sense inwichtigen Punkten. Einige seien genannt : 1. Ein klarer Traditionsbezug unddie konkrete Verortung der Predigt in der Lebenswirklichkeit der Hçrer –sowie eine plausible Vermittlung bzw. Verschrankung beider Perspektiven –sind f�r eine als hilfreich empfundene und aufmerksam gehçrte Predigt glei-chermaßen von Bedeutung. 2. Es ist entscheidend, ob die Predigt auch alsKommunikationsakt gelingt, wof�r die »Lebendigkeit« und Verstandlichkeit des

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Predigers als Person eine entscheidende Rolle spielen. 3. Problematisch ist es,wenn in jeder Predigt immer wieder »das Ganze« gesagt wird (hohe Redun-danz) und Prediger sich scheuen, (theologisch) pragnante Akzente zu setzenund dabei etwas zu riskieren – mit den Worten von Schwier und Gall : »Diepersçnliche �ußerung eines Teilnehmers, dass man nach einer guten Predigt›frçhlicher und mutiger‹ aus der Kirche geht, hat paradigmatischen Wert«und markiert die Erwartung an eine Predigt, die »lebenspraktische, geistige,theologische und spirituelle Aspekte« (247) hat und entsprechende Wirkun-gen freisetzt. Die gelegentlich zu hçrende Warnung, Predigthçrer nicht zu�berfordern, hçrt sich nach der Lekt�re des Buches etwas einseitig an; dieGefahr, die Gemeinde in einer Predigt zu unterfordern, ist genau so hoch.

4. Arbeiten zur Theologie und zur Kultur der Predigt

4.1 Im Sinne der oben (1.3) vorgenommenen Problemanzeige geht die Karl-Heinrich Bieritz zum 65. Geburtstag gewidmete, von Wilfried Enge-

mann herausgegebene Festschrift Theologie der Predigt (2002) davon aus, dassein »großer Teil homiletischer Fehlleistungen, wie Gesetzlichkeit in der Pre-digt, Ausblendung der Lebenswirklichkeit des Menschen, undialogische Re-destrukturen usw.« mit theologischen Missverstandnissen im Blick auf dieAufgabe und Funktion der Predigt zusammenhangen. Zwar kçnnen Predige-rinnen und Prediger in aller Regel Rede und Antwort stehen in Fragen derSchçpfungslehre, der Christologie, der Eschatologie usw. ; gleichwohl f�hrtein entsprechendes Wissen auf diesen Gebieten nicht unmittelbar zu gelin-genden Predigten, die sowohl biblisch fundiert als auch persçnlich �berzeu-gend sind, die rhetorisch durchdacht wirken und einen echten Dialog erken-nen lassen, zu Predigten, die seelsorglich hilfreich, gesellschaftlich relevantund liturgisch verortet sind. Hierf�r bedarf es offenbar einer eigenen, zeitge-nçssischen Auseinandersetzung �ber die Aufgabe der Predigt, �ber die vonihr zu erwartenden Wirkungen, �ber ihre Funktion im Kontext der Kircheund der Gesellschaft. Vor diesem Hintergrund umreißen die 22 Beitrage inf�nf großen Kapiteln eine an sowohl systematischen wie praktischen Grund-fragen orientierte Theologie der Predigt.

Der I. Teil – mit Beitragen von Klaus-Peter Jçrns, Manfred Josuttis, Gerhard M.Martin, Roman Roessler – enthalt theoretische und praktische Annaherungen an dieThematik dieses Buches, wobei der Bogen von grundsatzlichen �berlegungen zurAufgabe der Homiletik bis hin zur Praxis der Predigt geschlagen wird. Im II. Teilwerden unter dem Titel »Die Predigt als Lebensaußerung Gottes und der Gemeinde«Ursache und Aufgabe der Predigt erçrtert. Peter Cornehl, Eberhard Winkler, Henning

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Schrçer, Ottmar Fuchs und Wilfried Engemann bringen in diesem Zusammenhangtheologische Aspekte der neuesten Predigtgeschichte zur Sprache. Die Frage nach der�ffentlichkeit der Predigt sowie ihrer gesellschaftlichen Funktion werden im III. Teilvon Albrecht Beutel, Jçrg Neijenhuis, Albrecht Grçzinger und J�rgen Ziemer themati-siert. Unter der �berschrift »Rede und Feier. Die Predigt im Prozess des Gottesdiens-tes« entfalten Wolfgang Ratzmann, Hans-Christoph Schmidt-Lauber und MichaelMeyer-Blanck im IV. Teil den theologischen Zusammenhang von Predigt und Liturgie.Eine theologische Auseinandersetzung mit didaktischen Fragen der Homiletik rundetdas Buch in einem V. Teil ab. Hier wird historisch (Heinrich Holze), methodisch(Wiebke Kçhler), hermeneutisch (Wilhelm Grab), pastoraltheologisch (ChristianGrethlein), rhetorisch (Gert Otto) und hochschulpadagogisch (Klaus-Peter Hertzsch)nach der Legitimitat geltender Leitlinien gefragt, wobei konkrete Anregungen zu not-wendigen Revisionen gegeben werden.

In einigen dieser Beitrage kommt die oben angesprochene Zeitgenossen-schaft hinsichtlich bestimmter, neu gedachter Details theologischen Argu-mentierens in besonderer Weise zur Geltung. So z.B. in Roman RoesslersDarlegungen zur »Theologie im Spiegel heutiger Predigtpraxis« (61 – 69)oder in Wilhelm Grabs Verhaltnisbestimmung von Bibel und Predigt : »Ho-miletische Hermeneutik zwischen Textauslegung und religiçser Selbstausle-gung« (232 – 236). Heute w�rde bei der Erarbeitung der Konzeption f�r einsolches Buch in noch starkerem Maße die Frage nach einer zeitgençssischenDogmatik der Predigt eine Rolle spielen, die Frage also, mit welcher Eschato-logie, mit welcher Soteriologie man an die Predigtarbeit gehen sollte. Auch dieFrage nach einer angemessenen, die Predigtarbeit begleitenden Anthropolo-gie sollte heute in einer Theologie der Predigt nicht mehr fehlen.4.2 Die Arbeit Predigt und Derascha (2006) von Alexander Deeg ist ein ins-gesamt gelungener Versuch, die theologischen Pramissen der Arbeit mit dembiblischen Text und entsprechende Umgangsformen mit dem Text im Zugeder Predigtvorbereitung genauer in den Blick zu bekommen. Indem D. sichdabei um einen »christlichen-j�dischen Dialog in homiletischer Perspektive«(21) bem�ht, macht er sich auf einen weiten und – schon aufgrund des zuuntersuchenden Materials – nicht leicht zu bewaltigenden Weg. Durch seinesystematische dialogische Auseinandersetzung mit j�discher »Predigt« und»Homiletik« kommt D. �ber predigtgeschichtliche Einsichten, Erlauterungenzum Gebrauch des Alten Testaments oder Hinweise zur Vermeidung antij�-discher Tendenzen weit hinaus: In seiner Rekonstruktion der Geschichte derDerascha (der j�dischen »Predigt«) fokussiert er jeweils die Rolle des Textesund arbeitet dabei hermeneutische Prinzipien heraus, die auch f�r christlicheUmgangsformen mit biblischen Texten von Belang sind. Insbesondere dermit einer Textauslegung notwendigerweise einhergehende Situationsbezugsowie die Art der Aufnahme der Tradition als ganzer (mit all den anderen

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Texten im Hintergrund) lassen bei genauer Analyse wichtige Parallelen zwi-schen j�dischen und christlichen Argumentations- und Arbeitsweisen erken-nen, wobei jedoch die bleibenden Unterschiede bisweilen aus dem Blick zugeraten drohen. Nach eigenen Worten mçchte D. mit seinem Buch »provo-zieren«, indem er – so der Anspruch – »einen neuen Blick auf Problemstel-lungen im eigenen christlichen-homiletischen Diskurs« erçffnet und »Neu-br�che im Denken und Fragen« auslçst. Das klingt etwas unbescheiden undnach Kampfansagen. D. tut jedoch gut daran, in den entsprechenden Kapi-teln seines Buches durchaus an bereits bestehenden Br�chen und Risseneiner nicht mehr zeitgençssischen Predigtlehre anzukn�pfen: An der Kritikan einem instrumentellen Missbrauch des Textes, an einer verfehlten Ker-ygma-Hermeneutik, an einer mangelnden Ber�cksichtigung von Kontexten(sowohl des Textes als auch von Situationen) usw.

Mit dem Begriff der »Textbefreiung« (bes. 260 – 275) reklamiert D. eine geeigneteMetapher f�r all das gefunden zu haben, was in der Homiletik der letzten 20 Jahreteilweise sehr differenziert zur Frage eines angemessenen Umgangs mit Texten erçr-tert wurde. In der einschlagigen Homiletik – angefangen bei E. Hirsch �ber W. Trillh-aas, G. Otto bis hin zu W. Engemann – werde dem Hçrer »die Mçglichkeit genom-men«, »Erfahrungen mit diesem [biblischen] Wort zu machen«, statt die Predigt »alsLesehilfe f�r den biblischen Text« zu verstehen, »die Hçrerinnen und Hçrer hinein-nahme in die Lust am ›befreiten Text‹« (259). Abgesehen davon, dass D. , um seinenBegriff der Textbefreiung zu plausibilisieren, bei seinen homiletischen Weggefahrten –z. T. gegen die Intention der entsprechenden Verçffentlichungen – allzu viel Textfes-selung, -vernichtung und -vernachlassigung im Gange sieht, ware theologisch grund-satzlicher zu fragen, f�r welches Verstandnis von der Aufgabe der Predigt die von D.favorisierten Maximen gelten. Gerade das unterschiedliche Textverstandnis in der j�-dischen und christlichen Tradition begr�ndet doch eine zu akzeptierende und zu tole-rierende Spannung zwischen j�discher und evangelischer Predigtpraxis. Die Thorawird nach j�dischem Verstandnis viel unmittelbarer mit dem Reden Gottes in Verbin-dung gebracht als »das Neue Testament als Buch der Kirche«. Nach christlichem,zumal reformatorischem Verstandnis versteht ist es sich jedenfalls keineswegs vonselbst, die Aufgabe der Predigt darin zu sehen, dem Hçrer die Begegnung mit einembefreiten Text selbst zu ermçglichen. Die Qualitat einer Predigt steht und fallt nichtmit der Frequenz und Genauigkeit der Prasenz des biblischen Textkçrpers in der Kan-zelrede, sondern – unter anderem – mit der Evangelizitat der Predigt. F�r Begegnun-gen mit den biblischen Texten gibt es mannigfache erganzende Angebote, angefangenbei den Lesungen, �ber Bibelwochen bis hin zum Religionsunterricht – wobei dieLeser und Hçrer jedes Mal einem schon freien Text begegnen. Die Metapher voneinem in der Predigt allererst zu befreienden Text lasst sich nicht ohne Kollisionen mitdem reformatorischen Schriftverstandnis durchhalten.

Mit seiner Arbeit liefert Deeg einen sorgfaltig recherchierten Beitrag zurj�dischen Vor- und Kulturgeschichte der Predigt und setzt den theologi-schen Diskurs �ber die Aufgabe der Predigt im Kontext ihrer Textbindung

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auf hohem Niveau fort. Sie gibt Anregungen f�r eine differenzierte Verhalt-nisbestimmung von Gesetz und Evangelium in gewisser Analogie zum Ver-haltnis von Halacha und Haggada und bietet Impulse f�r die praktische Ge-staltung einer kontextualisierenden Predigt, »die das biblische Wort nicht dereinen Logik unterwirft, sondern« – sofern man Letzteres als Alternative un-terstellt – »defokussierend Raum lasst f�r unterschiedliche Wahrnehmungen«(528). In diesem Zusammenhang greift D. einerseits den in der neueren Ho-miletik bereits erçrterten Vorschlag auf, die »Endstellung des Predigttextes[im Predigtvortrag] und somit eine Predigtrede zu erproben, die den bibli-schen Text noch vor sich hat«. Zum anderen regt er an, »in Analogie zurPeticha« die Mçglichkeit zu nutzen, »eine liturgisch im Verk�ndigungs- undBekenntnisteil vernetzte Predigtrede zwischen den Lesungen des Gottes-dienstes zu gestalten«, die er als »intertextuell-logagogische Predigtrede«(ebd.) klassifiziert.4.3 Die gleichermaßen kulturhermeneutisch wie religionswissenschaftlich,soziologisch wie ritualtheoretisch argumentierende Studie Schwellenzeit. Er-kundungen zur kulturellen und gottesdienstlichen Praxis des Jahreswechsels (2001) vonKristian Fechtner ist eine groß angelegte, auf empirisch erhobenenDaten basierende Untersuchung zur Phanomenologie, Theologie und le-bensweltlich-religiçsen Tiefendimension des Gottesdienstes zum Jahres-wechsel. F. behandelt diesen »Fall« kirchlichen Handelns jedoch auf eine ho-miletisch und liturgisch so komplexe Weise, dass die Bestandsaufnahme undInterpretation der Situation und Gestaltung des Gottesdienstes zur Jahres-wende zu einem Paradigma kasualtheoretischer und -praktischer Argumenta-tion heute wird. Dabei weisen die homiletischen und liturgiewissenschaftli-chen Impulse F.s �ber kasualtheologische Fragen weit hinaus. Das Buchbietet eine wichtige Spurensicherung hinsichtlich der religionsaffinenGr�ndz�ge kulturell-lebensweltlicher Praxis �berhaupt.

Im Einzelnen geht F. am Beispiel des Gottesdienstes zum Jahreswechsel auf diegrundsatzlichen Zusammenhange, Wechselwirkungen und Ber�hrungspunkte von Jah-reszyklus, Kasualgottesdienst und Lebensgeschichte ein (23 – 37). In den sehr spezifi-schen, an symbolischen Formen und bestehenden Texturen profaner ritueller Praxisankn�pfenden »kulturhermeneutischen Betrachtungen« (38 – 111) kommen bestimmteMuster einer »Kultur der �bergange« in den Blick. Anschließend werden die neu ge-wonnenen Einsichten auf liturgie- und predigtgeschichtliche Traditionen bezogen(112 – 159). Auf der Basis einer Befragung von mehr als 600 Pfarrerinnen und Pfarrernder Evangelischen Kirche von Hessen und Nassau zu deren Predigten und Gottes-diensten im Kontext des Jahreswechsels23 (160 – 228) vermittelt F. bemerkenswerte

23 F�r Auswertung und Analyse standen dem Autor 145 Predigten, aus 89 Gottes-diensten liturgische Materialien sowie 152 ausgef�llte Fragebçgen zur Verf�gung, in

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Einblicke in die Gestaltungsprinzipien sowie in die Wahrnehmung und die faktischeFunktion dieser Kasualie aus der Sicht der Geistlichen. Dar�ber hinaus kommt F. zu�berzeugenden, weitreichenden kasualtheoretischen Bewertungen. Sie betreffen u.a.die Argumente, mit denen F. homiletisches und liturgisches Handelns lebensgeschicht-lich fokussiert : »Es sind vornehmlich die biographischen Erfahrungen des einzelnenals Sinnzusammenhang gelebten Lebens, die den Plausibilitatshorizont f�r das in Pre-digt und Liturgie zum Ausdruck gebrachte christliche Wirklichkeitsverstandnis bilden«(225). F. gelingt es, den Gottesdienst zum Jahreswechsel zu einem Entdeckungsfeldf�r aussagekraftige Momentaufnahmen liturgischer und homiletischer Praxis der Ge-genwart zu machen. In einem abschließenden Kapitel werden diese dann zu »kasual-theoretischen und kulturhermeneutischen Perspektiven der Praktischen Theologie«(229 – 234) profiliert.

Die vorgelegte Arbeit ist ein klares Pladoyer f�r eine noch starker vonlebensweltlich verankerten Kontexten und Situationen her zu erschließende,»gleichsam von Fall zu Fall« (230) reflektierte kirchliche Praxis. Sie verdeut-licht, dass die gelegentlich problematisierte »Kasualisierung« gottesdienstli-cher Angebote nicht einfach als Bedrohung des Verk�ndigungsauftrags derKirche zu bewerten, sondern als eine – von der Gemeinde mitgestaltete –Form der Bewaltigung dieses Auftrags ist. »Eine kasuelle Liturgik und Homi-letik ist auch eine ›okkasionelle‹, in der es um den richtigen Zeitpunkt undden rechten Sitz im Leben sowie um eine dem situativen Anlass gemaße got-tesdienstliche Praxis geht.« Dabei ist immer zu bedenken: »GottesdienstlicheGelegenheiten sind nach kasuellem Verstandnis nicht frei verf�gbar, wederaus missionarischen oder gemeindlichen Anliegen noch durch dogmatischeVorgaben. Sie gr�nden in sowohl die Einzelnen wie die Gemeinschaft ›ange-henden Situationen‹« (230f.).4.4 Dem katholischen Pastoraltheologen Erich Garhammer, seinem Fach-kollegen Heinz-G�nther Schçttler und der evangelischen PraktischenTheologin Ursula Roth (Mitglieder der 1970 gegr�ndeten çkumenischen»Arbeitsgemeinschaft f�r Homiletik«), ist es mit dem Buch Kontrapunkte. Ka-tholische und protestantische Predigtkultur (2006) gelungen, die katholische undprotestantische Predigtkultur genauer in den Blick zu bekommen, ihre Merk-male zu beschreiben, zu definieren und zu vergleichen. Das Werk ist eine ArtBestandsaufnahme dessen, was auf katholischer und evangelischer Seite imKern unter Predigt verstanden, homiletisch gelehrt und praktiziert wird.Damit wird eine konfessionell vergleichende, kriteriologische Innenansichtgegenwartiger Predigtlehre vorgenommen. Mit diesem Konzept schließt

denen u.a. nach dem Predigtverstandnis, nach der Ansicht �ber die Funktion eines Got-tesdienstes zum Jahreswechsel, nach besonderen liturgischen Akzenten, symbolischenHandlungen, nach Besucherzahl, Teilnahmeprofil (z.B. Generationen) u.a.m. gefragtwurde.

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dieses Buch eine seit langem klaffende L�cke in der homiletischen Diskussi-on. Es handelt sich um die erste Publikation, die sich auf der Basis einesçkumenischen Dialogs mit den Prolegomena und Gestaltungsprinzipien derPredigtlehre auseinandersetzt.

Das Werk ist in f�nf Teile gegliedert : Es setzt ein (I.) mit zwei Grundsatzartikeln(»Predigt, protestantisch« und »Predigt, rçmisch-katholisch«) sowie mit zwei »biogra-phischen Zugangen« (16 – 36), woran sich (II.) eine Erçrterung der Wurzeln evangeli-scher und katholischer Predigtkulturen anschließt (38 – 125). Nach einem Kapitel zurGeschichte und Funktion des Predigtortes sowie zur Gestaltung und Platzierung vonKanzeln befasst sich der umfangreichste Teil des Buches (III.) mit den »Gestalten«und Strukturmerkmalen beider Predigtkulturen, wobei das Verhaltnis der Predigt zurLiturgie eine besondere Rolle spielt (150 – 272). Grundsatze und Erfahrungen der ka-tholischen und evangelischen Ausbildungspraxis (IV.) und zwei als »Epilog« bezeich-nete Verortungen (V.) der Predigt im theologischen Profil der beiden Konfessionenbeschließen das Buch (274 – 319; 322 – 363).

Im I. Teil sticht der Beitrag von Fulbert Steffensky (»Die katholische unddie evangelische Predigt«) nicht nur durch seine Lange heraus. Steffensky hatErfahrungen mit beiden Gottesdienst- und Predigtkulturen gemacht undvermag sie in ihren Starken und Schwachen treffend zu portraitieren.

»Beide brauchen eine Art Deflation. Von der rçmischen Sakramententheologiew�nsche ich, dass sie ihre sakramentale Massivitat und ihre Konzentration auf Wand-lung, Hostie und Priestervollmacht mindert (wahrend ich hoffe, dass die evangelischePraxis lernt, die Elemente zu ehren). Von der evangelischen Gottesdienstauffassungw�nsche ich, dass sie die Sakramentalisierung der Predigt aufgibt. Predigt ist Rede, dasreicht. Es ist die Rede eines Menschen, der sich bem�ht, die Gegenwart ins Gesprachzu bringen mit jener alten Tradition des Trostes und der Schçnheit. Die Predigt ist dasWort eines Menschen, es ist nicht das Wort Gottes. Dies zu wissen, w�rde die Predigerentlasten und andere gottesdienstliche Elemente hatten mehr Platz und Zeit« (Steffen-sky, 36). Die weiteren Beitrage dieses Kapitels stammen von Erwin Albrecht undUrsula Roth, die bemerkenswerterweise jeweils das Predigtprofil der ›anderen‹, derSchwesterkonfession, portraitieren, sowie von Petra Zimmermann, die mit autobio-graphischen Notizen wichtige Aspekte der katholischen Messfeier zur Sprache bringt.

Der II. Teil des Buches ist den Wurzeln und Entwicklungen der Predigt-kultur gewidmet. Zwei ausgewiesene Homiletiker – Klaus M�ller (katho-lisch) und Jan Hermelink (evangelisch) – bem�hen sich um eine Art Spuren-sicherung homiletischer Argumentation, wobei aus katholischer Sicht u.a.der Vernunft und dem Amt eine besondere Bedeutung zukommen, aus evan-gelischer Sicht der Auseinandersetzung mit dem KommunikationsgeschehenPredigt selbst. Eine sehr �berzeugende, reprasentative Synopse dogmatischerEckpunkte der Predigt bietet der an Luther, Schleiermacher und Barth ori-

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entierte Beitrag von Dietrich Korsch (Systematiker an der Universitat Mar-burg).

Das Kapitel �ber die gestaltenden Elemente und signifikanten Strukturenbeider Predigtkulturen (Teil III) enthalt zunachst eine glanzend informieren-de, kritische, historische, hermeneutische und im Grunde liturgiedidaktischeErçrterung des Verhaltnisses von Predigt und Lesungen im evangelischenGottesdienst (Michael Meyer-Blanck). Jçrg Seip erçrtert entsprechend dieRichtlinien der neuen Leseordnung der katholischen Kirche. Stark an einemkonsequenter gestalteten Zusammenhang von Predigt und Abendmahl imevangelischen Gottesdienst interessiert ist der Artikel von Wolfgang Ratz-mann: »Die Predigt als Element des protestantischen Gottesdienstes«. Wei-tere Beitrage stammen von J�rgen Barsch (zum Zusammenhang zwischenPredigt und katholischem Gottesdienst), von Thomas Bornhauser (zur »Pre-digtkultur in der reformierten Tradition«), von Franz Richardt (zur Predigt-kultur der Franziskaner) sowie von Wiebke Kçhler und Christiane Bund-schuh-Schramm, die aus evangelischer und katholischer Sicht die Gender-Perspektive der betreffenden Predigtkultur reflektieren.

Im IV. Kapitel geht es um die heutige Predigtausbildung an Katholisch-bzw. Evangelisch-Theologischen Fakultaten (Bernhard Spielberg bzw. Chris-tian Stablein/Jan Hermelink) und Predigerseminaren (Helga Kramm). Erçff-net wird dieser Teil des Buches mit einem konzeptionellen Beitrag vonMartin Nicol, in dem er das Programm seiner dramaturgischen Homiletik24

erlautert.Die im V. Kapitel skizzierten kulturellen Profile der Predigt lassen die

evangelische Predigt u.a. als »kultursynthetische Leistung« hervortreten(Martin Weeber), wahrend f�r die katholische Predigt festgehalten wird, dasssie »›objektiv-g�ltige‹ Schriftauslegung in Verbundenheit und Bindung an dieLehre der Kirche« sei (Dominik Burkhard, 362). Allein die beiden zuletztskizzierten Positionen lassen erahnen, dass sowohl der çkumenische als auchkonfessionsinterne homiletische Diskussionsbedarf weiter fortbesteht.

Vielleicht ist es der Suche nach einem gemeinsamen Faden und gemeinsamen Posi-tionen geschuldet, dass bestimmte Pramissen katholischer und protestantischer Got-tesdienst- und Predigtlehre nicht weiter problematisiert werden: Steht zum Beispieldie Art und Weise der katholischen Reintegration der Predigt ins liturgische Gesche-hen nicht in der Gefahr, ihr ihre prophetische, in gewissem Grade ›unkultische‹ Notezu nehmen und sie zu einem primar priesterlichen Akt zu machen? Es ist jedenfallsnicht nur »W�rde«, sondern auch B�rde der Predigt, »selbst ein Element liturgischerFeier zu sein« (194) – die nat�rlich anderen Regeln als denen der freien Rede unter-

24 Vgl. 3.2 in dieser Besprechung.

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liegt. Es d�rfte denn auch kein Zufall sein, dass Dominik Burkhard auf den Prediger»als Vermittler zwischen Leben und Tod« Bezug nimmt (361). – Und in Richtung derevangelischen Predigtlehre gefragt : Schließen sich »Reflexionspredigt« und eine Pre-digt mit Verk�ndigungsideal wirklich aus? War die »Verk�ndigung« Jesu nicht im Kerneine auch argumentierende (Lebens-)Lehre und als Verk�ndigung dadurch plausibelund wirksam, dass sie den Menschen etwas zu verstehen gab? Ist eine nicht konfessio-nell gedachte »evangelische« Predigt nicht auch dadurch »Verk�ndigung«, dass sie inreflektierbarer Form zur Sprache bringt, was Leben ist, wie man aus Glauben leben –und wie Leben sich andern kann? Das ist mit Rechtfertigungsnachrichten allein kaumzu schaffen.

Gleichwohl ist ein ausgesprochen lesenswertes und anregendes Werk ent-standen, das dem Anspruch, »ein Kompendium zur katholischen und evan-gelischen Predigtkultur« (9) zu sein, gerecht wird.4.5 Sybille Rolfs Arbeit Zum Herzen sprechen (2008) nimmt die gegen�berfr�heren Jahrzehnten rar gewordene Praxis Systematischer Theologen auf,sich explizit und ausf�hrlich zur Theorie der Predigt zu außern. Dass diesesPhanomen selten geworden ist, hangt zweifellos mit Entwicklungen inner-halb der homiletischen Fachdisziplin selbst zusammen, die sich seit der soge-nannten »empirischen Wende« – die in der Sache vor allem eine theoretischeWende war ! – verstarkt mit einem eigenen Argumentationsrepertoire in denDiskurs der Theologie eingeschaltet hat. Seither ist es nicht mehr mçglich,die Homiletik als eine Form pragmatischer Theologie, als bloße Anwen-dungswissenschaft zu verstehen, die die Bearbeitung zentraler theologischerFragen – etwa hinsichtlich des Verstandnisses des »Wortes Gottes« oder der»Rechtfertigung« im Kommunikationsgeschehen Predigt – der Dogmatik�berließe. Mit anderen Worten, wer sich heute als Theologe (welches theolo-gischen Faches auch immer) am homiletischen Diskurs beteiligen will, kanndies nicht tun, ohne sich in den homiletischen Koordinaten der Rhetorik,der Semiotik, der Sprachwissenschaft usw. auszukennen und so an das aktu-elle Argumentationsrepertoire der Predigtlehre anzuschließen.

R. ist das in vorz�glicher Weise gelungen. In einer systematisch, historischund hermeneutisch gleichermaßen spannenden Untersuchung erçrtert sie imKontext der gegenwartig gef�hrten homiletischen Diskurse das Profil unddie Funktion der Rechtfertigungslehre Luthers. Damit steht eine theologischzentrale Frage der Predigtlehre im Mittelpunkt der Studie : Inwiefern partizi-piert die Kommunikation des Evangeliums in Form der Predigt am Recht-fertigungsgeschehen? Um diese Frage zu erçrtern, greift R. sprechakttheore-tische Apekte auf (J. Austin), geht auf semiotische Analysen ein (Ch.S.Peirce) und setzt sich mit rhetorischen Reflexionsperspektiven auseinander.

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Gleichwohl kommen in diesem Buch nat�rlich auch jene Leser zu ihrem Recht, diezunachst daran interessiert sind, anhand zentraler Texte Martin Luthers einem genaue-ren Verstandnis der imputatio fidei (Zurechnung des Glaubens), der imputatio iustitiaeChristi (Zurechnung der Gerechtigkeit Christi) und der non-imputatio peccati (Nicht-Zu-rechnung der S�nde) auf die Spur zu kommen. In einer umsichtigen semantischen undtheologischen Analyse der verschiedenen Aspekte der imputatio arbeitet die Autorinu.a. Grundlinien einer »relationalen Ontologie« und Wirklichkeitsbeschreibung desMenschen heraus ; gleichzeitig macht sie deutlich, dass der sich im Verk�ndigungsge-schehen mitteilende und ausdr�ckende Gottesbezug des Menschen ein kommunikativesVerstandnis der iustitia Christiana einschließt. In diesem Zusammenhang wird auch dieFrage nach dem Glauben als Beziehungsgeschehen vertieft, wobei R. eine F�lle syste-matisch-theologischer Formulierungen findet, die unmittelbar die Theologie der Pre-digt(komunikation) betreffen. So charakterisiert sie die imputatio u.a. als »dasjenige vonGott ausgehende Kommunikationsgeschehen, in dem ein Mensch mittels einer zei-chenhaften Pradikation als eine Person angesprochen wird, die er ohne diese Anspra-che (noch) gar nicht ware, die er im Akt des Angesprochenseins aber insofern wird, alsdas Angesprochenwerden in ihm das Vertrauen darauf weckt, dass die Pradikationwahr ist« (228). Mit diesen und anderen Erlauterungen tragt R. in hohem Maße zurPlausibilisierung, das heißt nicht zuletzt : zur Denkbarkeit bestimmter theologischerGrundsatze der modernen Homiletik bei und zeigt, dass eine stark modifizierte, not-wendigerweise auf kommunikative Aspekte der Predigt zielende Rede von »Verk�ndi-gung« durchaus geeignet ist, die theologische Frage nach Wesen, Aufgabe und Funktionder Predigt zu prazisieren.

Eine besondere Leistung des vorliegenden Buches liegt darin, homileti-sche und systematisch-theologische Argumentationsmuster an zentralenSchnittpunkten sorgfaltig miteinander verkn�pft zu haben. Das gilt insbe-sondere f�r die Art und Weise der Inanspruchnahme des semiotischen Pre-digtmodells (Predigt als offenes Kunstwerk) f�r die theologische Interpreta-tion »der persçnlich deutenden Durchdringung und Aneignung« des WortesGottes im Kontext »konkreter Situationen der Hçrenden« (272). Auch derVersuch R.s, die seitens der homiletischen Rezeptionsasthetik formulierte,f�r den Predigtprozess charakteristische »Spannung von rezeptiver und pro-duktiver Erkenntnis« f�r das Wesen der imputatio fruchtbar zu machen, �ber-zeugt : Deren Wirklichkeit »erschließt sich der hçrenden (erkennenden)Person als widerstandige Wirklichkeit und wird zugleich als zu erkennende underkannte Wirklichkeit in ihrer Bedeutung f�r diese konstituiert« (273). WeitereVerkn�pfungen betreffen: die Zusammenf�hrung eines relationalen Zei-chenmodells mit einem relationalen Verstandnis des Glaubens, die Verbin-dung der Unausweichlichkeit des Zeichenbezugs der Predigt mit der (u.a.sprachlich) medialen Ereignisstruktur der Kommunikation des Evangeliums,die Verbindung der Ambiguitat der Predigt mit dem Modus der Erfahrungder Rechtfertigung pro me bzw. ab experientia mea (277). Mit diesen u.a. indieser Studie herausgearbeiteten Argumentationsmustern leistet R. einen

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wichtigen Beitrag zur homiletischen Erschließung der theologischen Ideevon der Rechtfertigung.4.6 Michael Thiele, Portale der Predigt. Kommunikation, Rhetorik, Kunst(2005) – so global wie der Titel des Buches anmutet, so weit gespannt sindauch die homiletischen Stationen dieses Buches auf den im Untertitel ge-nannten Gebieten. T. f�hrt den Leser in einem bunten Kaleidoskop homile-tischer Reflexionsperspektiven so ziemlich zu allen Aussichtspunkten aufdem Terrain der Homiletik, die im Laufe der Geschichte dieser Disziplineingerichtet wurden. Kommunikation, Rhetorik und Kunst sind f�r T. inso-fern »Portale« der Predigt, als sie zu besonderer Zugangen zur »Gottwissen-schaft« werden kçnnen: Da »Gott nur auf menschliche Weise aussagbar ist«,seien sie als Humanwissenschaften »der Kçnigsweg zur Homilie« (7).

Das 1. Kapitel versucht, einen Gesamt�berblick �ber das Verhaltnis von Rhetorikund Homiletik zu geben, wobei der Autor u.a. darum bem�ht ist, problematische Ent-wicklungen der Predigtlehre an den Punkten aufzuzeigen, wo diese sich anschickte, aufrhetorische Fragestellungen aus theologischen Gr�nden zu verzichten (9 – 35). Im 2.Teil wird auf wichtige linguistische Aspekte der Predigt hingewiesen, wobei der Sprech-akttheorie besondere Bedeutung beigemessen wird (36 – 85). Des Weiteren (3.) werdentransaktionsanalytische Argumentationsmuster der Predigt aufgenommen und imBlick auf eine differenziertere Wahrnehmung der Hçrer vertieft (87 – 122) und (4.)Fragen der Rezeption des biblischen Textes seit Schleiermacher erçrtert (123 – 144).Kapitel 6 nimmt dieses Thema in Auseinandersetzung mit der Frage nach der Schrift-bindung der Predigt wieder auf (173 – 192). In einer auf rhetorische Fragen konzen-trierten Darstellung der Theorie der kognitiven und emotionalen Konsonanz(145 – 172) geht Thiele zuvor in Kapitel 5 auf homiletische Strategien ein, mçglicheDissonanzen zwischen der »Botschaft« und ihrer Rezeption zu mildern, ohne sie er-zwingen zu wollen. Rhetorische Strategien werden vor allem im 7. Kapitel in Verbin-dung mit bestimmten Predigtformen (z.B. Dialogpredigt, Bibliodrama) erçrtert(193 – 220). T. versucht, daraus ein paar praktische Grundregeln (zur Lange, zum An-spruch usw.) abzuleiten (Kap. 8, 221 – 237).

Mit eigenen Beobachtungen und Argumenten tritt Thiele am starksten inden Kapiteln 9 – 11 seines Buches hervor : Hier legt er eine ausf�hrlicheTheologie des Humors in der Predigt vor (243 – 292) und f�hrt aus, was esheißt, Widerspr�chliches mit Witz zur Sprache zu bringen, im besten Wort-sinn zu »unterhalten« und die paradoxologische, weil an Paradoxien partizi-pierende Dimension der christlichen Religion nicht zu vergessen, in der dasKomische – als Widerspruch, der aus der Welt herausfallt – mit Lachenwieder in sie hinein geholt werden kann (285). �hnlich predigtpraktisch sinddie Ausf�hrungen �ber den »pastoralen Tonfall« (293 – 312) sowie die �ber-legungen zur Homilie als einer Kunst des »Unscheinbaren« (313 – 345), diean unscheinbaren Stellen des Alltags Einblicke »in das Reich der Schçnheit«

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(345) im Sinne aussichtsreicher Lebensperspektiven zu erçffnen vermag.Ausf�hrliche Register ermçglichen dem Leser – auch nach dem Parforcerittdes Autors durch die ausgewahlten Problemzonen der Homiletik und dieweiten Felder ihrer Nachbardisziplinen – gute Orientierung auf nicht sehr�bersichtlichem Terrain.

(Teil II folgt im nachsten Heft)

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