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9 771422 897004 37 NR 37 FR. 4.90 EURO 4.80 Redaktion Flurstrasse 55, 8021 Zürich, Telefon 058 269 22 80 Abonnemente Telefon 058 269 25 05 Inserate Telefon 058 909 98 16 AZA 4800 Zofingen, 158. Jahrgang 12. SEPTEMBER 2019 DIE SCHWEIZER WOCHENZEITUNG FÜR WIRTSCHAFT SEIT 1861 www.handelszeitung.ch VERSICHERUNGSPRÄMIEN Wer zahlt mehr? Wie Pass, Geschlecht und Alter die Prämien bestimmen. SEITE 6 ADOBE STOCK, HZ-MONTAGE BUNDESBERN Immer mehr Beamte ROCHE UND NOVARTIS Milliarden für US-Kranke «Wir wollen einen Deal» Die britische Botschafterin in der Schweiz über Brexit und Boris Johnson. Seite 15 Giftiges Klima So schützen sich Mitarbeitende vor Intrigen im Büro. Seite 23 Google for Jobs Das sind die Folgen für die Stellen-Portale. Seite 24 UPC-Anleihen: Waren Insider am Werk? UNTERNEHMEN Seite 4 Warum ein Ex-Rohstoändler auf Hanf setzt. UNTERNEHMEN Seite 10 Startup aus Zug überzeugt Zalando- Gründer Samwer. UNTERNEHMEN Seite 11 So können Anleger vom Vegan-Boom profitieren. INVEST Seite 20 IN DIESER AUSGABE Special MBA Was bei der Auswahl der Hochschule wirklich zählt. Seite 27 Das Personalbudget überschreitet in Bun- desbern erstmals die Marke von 6 Milliar- den Franken. Für das Budget des Jahres 2020 sind 37 631 Vollzeitstellen vorge- sehen. Das sind so viele wie noch nie. Da- bei hatten Ständerat und Nationalrat im Jahr 2015 eine Motion zur Begrenzung der Stellen beim Bund vorgesehen. Damals hiess es, dass der Bundesrat dafür sorgen solle, dass der Personalbestand des Bun- des nicht über 35 000 Vollzeitstellen liegt. Es gibt mehrere Gründe, die für den Anstieg der Personalkosten sorgen: Zum einen sind dies Lohnerhöhungen und Sonderzahlungen, aber auch mehr Stellen. Der oberste Personalchef des Bundes, Finanzminister Ueli Maurer (SVP), hat da- mit die Personalausgaben innerhalb von vier Jahren um 10,5 Prozent auf 6,039 Mil- liarden Franken gesteigert. Bei der Zahl der Stellen ergibt sich ein Plus von 7,5 Pro- zent – auf insgesamt 37 631 Stellen. Im Durchschnitt kostet ein Beamter den Steuerzahler pro Jahr 160 500 Franken. Darin sind etwa Lohn und Sozialversiche- rung enthalten, hinzu kommen weitere Kosten wie zum Beispiel Miete und Möbel. Mit Blick auf die Löhne sind die Angestell- ten des Aussendepartements mit einem Durchschnittssalär von 112 700 Franken im Jahr die günstigsten Mitarbeitenden. Die Verkehrs-, Umwelt- und Energie- beamten erhalten 183 400 Franken. Um die 200 000 Franken jährlich sind es im Schnitt bei Mitarbeitenden der Stabsstellen der sieben Departemente. (hz) Seite 3 Roche und Novartis unterstützen ameri- kanische Patienten, die nicht oder nur ungenügend versichert sind, mit Mil- liardensummen. Gemäss öffentlich ver- fügbaren Steuerunterlagen gab eine Ro- che-Stiftung 2017 Medikamente im Wert von mehr als 1 Milliarde Dollar an nicht- oder unterversicherte Patienten ab. Eine Novartis-Stiftung setzte im vergangenen Jahr 1,9 Milliarden Dollar ein, um 68 000 Patienten kostenlos Medikamente zur Verfügung zu stellen. Zudem alimentieren beide Basler Pharmakonzerne weitere unabhängige Stiftungen, die ihrerseits Patienten unter- stützen, und sie kommen im Rahmen ih- res regulären Geschäfts für die Kostenbe- teiligungen von Patienten auf. So hat die amerikanische Stiftung von Novartis Pro- gramme, die dafür sorgen, dass Privatver- sicherte für die meisten Originalpräpara- te, inklusive der Krebstherapien, und für Biosimilars mit nicht mehr als 1 Dollar pro Tag belastet werden. Nebenher hilft dieses Vorgehen, die Umsätze von Big Pharma hoch zu halten. Die Aktivitäten der beiden Basler Pharmakonzerne sind Teil einer immer wichtiger werdenden Gemeinnützigkeit der Pharmaindustrie. Grund ist, dass trotz Obamacare noch immer fast 14 Prozent der Amerikaner nicht versichert sind. Zudem führen die zunehmend teurer wer- denden Therapien dazu, dass immer mehr Amerikaner mit der Kostenbeteiligung finanziell überfordert sind. (rai) Seite 12 Star-Investor Ken Fisher über Chancen in der Pharmawelt. MEINUNGEN Seite 19 ANZEIGE 7. November 2019 StageOne, Zürich-Oerlikon Absolventenmesse Schweiz Weitere Informationen und kostenlose Anmeldung: www.absolventenmesse-schweiz.ch

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Page 1: IN DIESER AUSGABE Wer zahlt mehr? - kasko2go · auf erstaunliche Ergebnisse gestossen. Einige Prämienunterschiede sind offensichtlich – und logisch: Wer einen teureren Haushalt

9 771422 8970043 7

NR 37FR. 4.90EURO 4.80

Redaktion Flurstrasse 55, 8021 Zürich, Telefon 058 269 22 80Abonnemente Telefon 058 269 25 05 Inserate Telefon 058 909 98 16AZA 4800 Zofingen, 158. Jahrgang

12. SEPTEMBER 2019 DIE SCHWEIZER WOCHENZEITUNG FÜR WIRTSCHAFT SEIT 1861 www.handelszeitung.ch

VERSICHERUNGSPRÄMIEN

Wer zahlt mehr?

Wie Pass, Geschlecht und Alter die Prämien

bestimmen.SEITE 6

ADOB

E ST

OCK,

HZ-

MON

TAGE

BUNDESBERN

Immer mehr BeamteROCHE UND NOVARTIS

Milliarden für US-Kranke

«Wir wollen einen Deal»Die britische Botschafterin in der Schweiz über Brexit und Boris Johnson.Seite 15

Giftiges KlimaSo schützen sich Mitarbeitende vor Intrigen im Büro.Seite 23

Google for Jobs Das sind die Folgen für die Stellen-Portale. Seite 24

UPC-Anleihen: Waren Insider am Werk?UNTERNEHMEN Seite 4

Warum ein Ex-Rohstoffhändler auf Hanf setzt.UNTERNEHMEN Seite 10

Startup aus Zug überzeugt Zalando- Gründer Samwer.UNTERNEHMEN Seite 11

So können Anleger vom Vegan-Boom profitieren.INVEST Seite 20

IN DIESER AUSGABE

Special MBAWas bei der Auswahl der Hochschule wirklich zählt. Seite 27

Das Personalbudget überschreitet in Bun-desbern erstmals die Marke von 6 Milliar-den Franken. Für das Budget des Jahres 2020 sind 37 631 Vollzeitstellen vorge-sehen. Das sind so viele wie noch nie. Da-bei hatten Ständerat und Nationalrat im Jahr 2015 eine Motion zur Begrenzung der Stellen beim Bund vorgesehen. Damals hiess es, dass der Bundesrat dafür sorgen solle, dass der Personalbestand des Bun-des nicht über 35 000 Vollzeitstellen liegt.

Es gibt mehrere Gründe, die für den Anstieg der Personalkosten sorgen: Zum einen sind dies Lohnerhöhungen und Sonderzahlungen, aber auch mehr Stellen.

Der oberste Personalchef des Bundes, Finanzminister Ueli Maurer (SVP), hat da-mit die Personalausgaben innerhalb von

vier Jahren um 10,5 Prozent auf 6,039 Mil-liarden Franken gesteigert. Bei der Zahl der Stellen ergibt sich ein Plus von 7,5 Pro-zent – auf insgesamt 37 631 Stellen.

Im Durchschnitt kostet ein Beamter den Steuerzahler pro Jahr 160 500 Franken. Darin sind etwa Lohn und Sozialversiche-rung enthalten, hinzu kommen weitere Kosten wie zum Beispiel Miete und Möbel. Mit Blick auf die Löhne sind die Angestell-ten des Aussendepartements mit einem Durchschnittssalär von 112 700 Franken im Jahr die günstigsten Mitarbeitenden. Die Verkehrs-, Umwelt- und Energie-beamten erhalten 183 400 Franken. Um die 200 000 Franken jährlich sind es im Schnitt bei Mitarbeitenden der Stabsstellen der sieben Departemente. (hz) Seite 3

Roche und Novartis unterstützen ameri-kanische Patienten, die nicht oder nur ungenügend versichert sind, mit Mil-liardensummen. Gemäss öffentlich ver-fügbaren Steuerunterlagen gab eine Ro-che-Stiftung 2017 Medikamente im Wert von mehr als 1 Milliarde Dollar an nicht- oder unterver sicherte Patienten ab. Eine Novartis-Stiftung setzte im vergangenen Jahr 1,9 Milliarden Dollar ein, um 68 000 Patienten kostenlos Medikamente zur Verfügung zu stellen.

Zudem alimentieren beide Basler Pharmakonzerne weitere unabhängige Stiftungen, die ihrerseits Patienten unter-stützen, und sie kommen im Rahmen ih-res regu lären Geschäfts für die Kostenbe-teiligungen von Patienten auf. So hat die

amerikanische Stiftung von Novartis Pro-gramme, die dafür sorgen, dass Privatver-sicherte für die meisten Originalpräpara-te, inklusive der Krebs therapien, und für Biosimilars mit nicht mehr als 1 Dollar pro Tag belastet werden. Nebenher hilft dieses Vorgehen, die Umsätze von Big Pharma hoch zu halten.

Die Aktivitäten der beiden Basler Pharmakonzerne sind Teil einer immer wichtiger werdenden Gemeinnützigkeit der Pharmaindustrie. Grund ist, dass trotz Obamacare noch immer fast 14 Prozent der Amerikaner nicht versichert sind. Zudem führen die zunehmend teurer wer-denden Therapien dazu, dass immer mehr Amerikaner mit der Kostenbeteiligung finanziell überfordert sind. (rai) Seite 12

Star-Investor Ken Fisher über Chancen in der Pharmawelt.MEINUNGEN Seite 19

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7. November 2019StageOne, Zürich-Oerlikon

Absolventenmesse Schweiz�Weitere Informationen und kostenlose Anmeldung: www.absolventenmesse-schweiz.ch

Page 2: IN DIESER AUSGABE Wer zahlt mehr? - kasko2go · auf erstaunliche Ergebnisse gestossen. Einige Prämienunterschiede sind offensichtlich – und logisch: Wer einen teureren Haushalt

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Versicherung Wenn der Nachbar weniger für die gleiche Police bezahlt, scheint das ungerecht. Versicherungen leben von Vorurteilen. Doch die Digitalisierung könnte das ändern.

MICHAEL HEIM

Felix Zürcher will seinen Škoda ver-sichern lassen. Von der Axa erhält er eine Offerte mit einer Jahres-prämie von 686.25 Franken. Nicht schlecht, denkt sich Felix. Auch Xerdan Berisha hat einen Škoda. Er ist weniger glücklich mit seiner

Offerte, denn die Axa will von ihm für die Versiche-rung 59 Prozent mehr als von Felix Zürcher. Fürs gleiche Auto, im gleichen Kanton. Felix und Xerdan sind fiktiv. Die Preisunterschiede aber sind echt.

Man kann es Diskriminierung nennen, Preisdif-ferenzierung oder bloss risikogerechte Prämien. Tatsache ist aber: Schweizer Versicherer machen grosse Unterschiede, die unter anderem vom Pass, vom Geschlecht, vom Wohnort oder vom Alter ab-hängig sind. Und jeder Anbieter rechnet anders. Denn die Berechnung der Prämien ist das eigent-liche Betriebsgeheimnis der Versicherungen. Wer die besten Daten hat und am genausten kalkuliert, fährt am Ende den grössten Gewinn ein. Was früher mal eine einfache Tabelle mit Rabatten war, ist mitt-lerweile ein komplexes Räderwerk geworden. Und mit der Digitalisierung wird alles noch komplexer.

Die «Handelszeitung» hat die Prämien der grossen Sachversicherer analysiert. Hat Beispiele durchgerechnet und herauszufinden versucht, wer wie rechnet (siehe auch Grafiken). Dabei sind wir auf erstaunliche Ergebnisse gestossen.

Einige Prämienunterschiede sind offensichtlich – und logisch: Wer einen teureren Haushalt ver-sichert, bezahlt mehr Prämie. Die Kaskoversiche-rung für einen Jaguar ist teurer als die für den Smart. Aber warum bezahlt ein Deutscher für seine Autoprämie bei der Axa 3 Prozent mehr als ein Schweizer, bei der Baloise gleich viel und bei der Allianz 1 Prozent weniger? Liegt es daran, dass die Allianz eine deutsche Versicherung ist? Oder das Geschlecht: Gehört der Škoda aus unserem Bei-spiel einer Frau, so steigt bei der Axa die Prämie um 3 Prozent, bei der Baloise bleibt sie gleich und bei der Mobiliar gibt es einen Rabatt von 5 Prozent.

So willkürlich die Prämien erscheinen, jeder Aufschlag und Rabatt müsse begründet werden können, versichert Yannick Hasler, Leiter Pricing bei der Baloise. Zwar müssten Prämien bei Auto oder Hausrat – anders als in der Personenversiche-rung – nicht formell bewilligt werden. «Aber es kann sein, dass die Finma eine Prüfung anordnet, wenn ihr Unregelmässigkeiten auffallen», sagt er. «Und dann müssen wir belegen, dass ein Rabatt oder Zuschlag relevant ist.»

Gerade die Unterscheidung nach Nationalitäten ist umstritten und sorgt immer wieder für Diskus-sionen. Darf man Albanern generell die Prämie

verdoppeln, wie das im Beispiel bei der Helvetia der Fall ist? Warum stellt einer ein Risiko dar, nur weil er einen anderen Pass hat? Die Versicherung sei immer eine Solidargemeinschaft, sagt Helvetia- CEO Philipp Gmür. «Aber es gibt Grenzen der Soli-darität. Daher bilden wir Kundengruppen.»

Die statistischen Daten zeigten, dass gewisse Nationalitäten mehr Schäden verursachten als andere, sagt Hasler. Oder junge Fahrer höhere als erfahrene. Und weil kein Versicherer die Schäden der Neulenker einfach aufs eigene Konto nehmen will, sind dort die Aufschläge massiv. Bei der Axa zahlt ein Zwanzigjähriger für die Standardprämie mehr als dreimal so viel als der Vierzigjährige. Bei der Zurich mehr als doppelt so viel.

Immer mehr Datenquellen werden angezapft

«Es ist die Natur einer Versicherung, zu diskrimi-nieren», sagt Martin Eling, Versicherungsexperte an der Universität St. Gallen. Ziel jeder Versicherung sei, einen risikogerechten Preis zu verrechnen. Wer aufgrund seines Verhaltens ein höheres Schaden-risiko habe, solle dafür auch bezahlen. «Das ist eine faire Form der Diskriminierung.»

Die Kunst ist, die Kriterien so zu gestalten, dass sich mit ihnen homogene Kundengruppen bilden lassen. Und zu diesem Zweck haben die Versicherer ihre Forschung massiv ausgebaut. «Unsere Tarife werden immer feiner, denn wir haben immer besse-re Daten», sagt Dominique Kasper, Leiter Sachver-sicherung bei der Axa. Wurden früher vor allem die eigenen Schadenstatistiken ausgewertet, fliessen zunehmend auch Online-Daten von Drittquellen ein. «Publiziert das Bundesamt für Umwelt zum Bei-spiel neue Gefahrenkarten zu Hochwasser oder Erd-rutschen, wenden wir diese Informationen bei der Prämienberechnung, im Underwriting oder bei Prä-ventionen an», sagt Kasper.

Gerade geografische Daten werden zunehmend genutzt. Wohnt jemand in einer Gegend, in der häufig eingebrochen wird? Gibt es dort Über-schwemmungen? Oder häufen sich die Parkschä-den? «Die Geo-Tarifierung hat deutlich zugenom-men», bestätigt Baloise-Manager Hasler. «Und da sind wir noch lange nicht am Ende.» Denn oft gibt der Wohnort auch Rückschlüsse auf die gesell-schaftliche Schicht eines Kunden, seinen Bildungs-stand, seinen Lebenswandel. Das ist Diskriminie-rung nach Herkunft im Kleinen.

Bei der Baloise erkennt man das gut. Stärker als bei anderen wirkt sich der Wohnort etwa auf die Motorfahrzeugprämie aus. Nicht nur gibt es Unter-schiede im zweistelligen Bereich je nach Wohn-gemeinde. Auch Quartiere können sich deutlich

auswirken. Wer in einem Basler Arbeiterquartier im Kleinbasel lebt, bezahlt 11 Prozent mehr für sei-nen Škoda Octavia als jemand, der in der Gross-basler Altstadt lebt. Und an der Zürcher Lang-strasse ist die Prämie höher als am Zürichberg.

Auch beim Hausrat spielt die Gemeinde eine Rolle, wie eine Auswertung von Baloise-Offerten zeigt. Eine von der «Handelszeitung» erstellte Karte der Nordwestschweiz zeigt zwei Effekte: In den Städten kostet die Versicherung mehr als auf dem Land. Und wer an der Grenze zu Frankreich lebt, bezahlt deutlich mehr als die Aargauer im Fricktal, wo die Grenze zu Deutschland durch den Rhein abgesichert ist. Dahinter dürften Einbruch-statistiken stehen. Doch die Zahlen sind nur das eine. Man müsse aufpassen, dass man statistische Korrelationen nicht mit Kausalitäten verwechsle, warnt Heinrich Schradin, Versicherungsexperte an der Uni Köln. «Der Pass ist ja nicht der Grund dafür, dass jemand schlecht Auto fährt. Denn sonst müsste sich sein Fahrverhalten verändern, wenn er sich einbürgern lässt.» Auch der Schweizer, der mit seinem Auto auf den Balkan fahre, habe ein höheres Schadenrisiko, sagt Schradin. Für ihn sind solche rein statistisch belegten Diskriminierungen daher nicht zulässig.

Albanerzuschläge gibt es in Deutschland schon lange nicht mehr. Sie sind durch ein allgemeines Diskriminierungsverbot untersagt. Und seit 2012 dürfen Versicherer in der EU auch nicht mehr nach Geschlechtern unterscheiden. Die sogenannte Unisex-Richtlinie hatte im Vorfeld zu grossen Diskussionen geführt. Und zu zahlreichen Protest-noten aus der Assekuranz.

Freiwilliger Unisex bei der Baloise

Auch der in St. Gallen lehrende Eling sagt, er empfinde «grössere Störgefühle», wenn es um die Diskriminierung nach Ländern geht. Doch anders als sein Kollege in Köln verteidigt er die Preisunter-schiede. Natürlich könne man das wie in der EU verbieten. Doch was ist die Folge? «Gelten für alle die gleichen Prämien, zahlen die einen zu viel und andere zu wenig.» Die Folge sei, dass sich vor allem jene mit einer hohen Schadenwahrscheinlichkeit versichern lassen und dass somit die Preise für alle ansteigen. «Oder riskante Kunden werden einfach nicht mehr versichert.»

Auch die Baloise praktiziert unisex. Zumindest in der Automobilversicherung. «Wir haben das Geschlecht rausgenommen», erklärt Hasler, denn die Unterschiede seien statistisch zu gering ge-wesen. Bei den Junglenkern verursachen Männer mehr Kosten, in späteren Jahren steigen die Schä-

den bei den Frauen an. Dabei könne eine Rolle spielen, dass Fahrschüler oft mit dem Auto der Mutter trai nieren – und dort die Schäden verur-sachen. Und nicht am Auto des Vaters. «Was statis-tisch relevant ist, sollte man berücksichtigen», fordert aber auch Hasler. «Sonst wird das über andere Merkmale aufgefangen, und das ist dann deutlich weniger transparent.»

Vielleicht ist das schon bald Vergangenheit. Zumindest in gewissen Bereichen. Denn an die Stelle der Diskriminierung tritt zunehmend die Überwachung. Bei Versicherern wie Axa, Mobiliar oder Allianz können sich Neulenker eigentlich nur noch versichern lassen, wenn sie ihr Fahrverhal-ten elektronisch aufzeichnen lassen. Die einen bauen Crash-Recorder in die Autos ein, die – wie bei Flugzeugen – Unfälle dokumentieren. Andere überwachen sämtliche Fahrten und erstellen dar-

Die faire Diskriminierung

So wurde gerechnetVergleich Für alle Prämien wurden identische Personen-profile unterstellt. Dabei gin-gen wir von einem 40-jähri-gen Schweizer mit Wohnsitz in Basel aus. Der Vergleich berücksichtigt keine absolu-ten Preisunterschiede zwi-schen den Versicherern, da die Leistungen nicht immer vergleichbar sind. Er zeigt aber, welchen Einfluss die gewählten Kriterien jeweils auf die Prämien eines Anbie-ters haben. Die Offerten wur-den zur gleichen Zeit Ende August online erstellt.

JAHRESPRÄMIEN: VERGLEICH AUTOVERSICHERUNGKeiner will Albaner Wie stark unterscheiden die Autoversicherer nach Nationalität der Versicherten? (Schweizer = 100%)

200180160140120100

806040200

Mobiliar Minima

HelvetiaBudget

AllianzBudget

Axa Basic Baloise S ZurichBasic

QUELLE: ONLINE-PRÄMIENRECHNER DER JEWEILIGEN VERSICHERER

Schweiz Deutschland ItalienChina Albanien

RECHENBEISPIEL: ŠKODA OCTAVIA, WOHNORT BASEL, ALTER 40

Keiner will Neulenker Wie stark unterscheiden die Autoversicherer nach Alter der Versicherten? (Alter 40 = 100%)

350

300

250

200

150

100

50

0Mobiliar Minima

HelvetiaBudget

AllianzBudget

Axa Basic Baloise S ZurichBasic

QUELLE: ONLINE-PRÄMIENRECHNER DER JEWEILIGEN VERSICHERER

20 (Alter) 40 60 80RECHENBEISPIEL: ŠKODA OCTAVIA, WOHNORT BASEL, NATIONALITÄT SCHWEIZ

Nicht alle unterscheiden nach Geschlecht Zahlen Frauen bei Autoversicherungen eine andere Prämie als Männer? (Mann = 100%, für beide Automodelle)

106

104

102

100

98

96

94

92

90Mobiliar Minima

HelvetiaBudget

AllianzBudget

Axa Basic Baloise S ZurichBasic

QUELLE: ONLINE-PRÄMIENRECHNER DER JEWEILIGEN VERSICHERER

Mann Frau, Škoda Octavia Frau, Smart ForfourRECHENBEISPIEL: ALTER 40, WOHNORT BASEL, NATIONALITÄT SCHWEIZ

Page 3: IN DIESER AUSGABE Wer zahlt mehr? - kasko2go · auf erstaunliche Ergebnisse gestossen. Einige Prämienunterschiede sind offensichtlich – und logisch: Wer einen teureren Haushalt

HANDELSZEITUNG | Nr. 37 | 12. September 2019 | 7

Assekuranz setzt auf Überwachung

MICHAEL HEIM

A ls im Frühling der Versicherungs-anbieter Kasko2go an den Start ging, schrieb der «Blick»: «Für die-se Versicherung sind Albaner kein Ri siko.» Denn Kasko2go setzt im

Vergleich zu traditionellen Autoversicherungen weniger auf klassische Diskriminierung als viel-mehr auf Überwachung. Wer von Rabatten profi-tieren will, muss sein Fahrverhalten über eine Handy-App aufzeichnen. So will Kasko2go das fi-nanzielle Risiko ermitteln, das effektiv von einem Kunden ausgeht.

Das Angebot stosse auf grosses Interesse, sagt Gründer und CEO Genadi Man. «An manchen Tagen registrieren wir über 300 neue Interessen-ten, die unsere App installieren.» Noch seien das keine aktiven Versicherungsverträge, da meist Kündigungsfristen laufen. «Doch die Reaktio-nen sind gut. Wir haben kaum unzufriedene Nutzer und sind daher zuversichtlich.»

Kasko2go zeichnet nicht nur auf, wie die Kun-den Auto fahren, sondern auch, wann und wo. So sei nicht neben dem Fahrstil auch die Zeit für Unfälle relevant, sagt Man. «In der Nacht oder bei Regenwetter passieren mehr Unfälle. Wer diese Zeiten meidet, zahlt weniger.»

Unfalldaten in Russland ausgewertetDie Idee dazu ist nicht neu. In Ländern wie

England gibt es schon lange Versicherer, die auf Überwachung setzen. Hierzulande versuchte es zunächst die Axa mit einem Fahrtenschreiber, stellte das Angebot aber später wieder ein. Heute montiert Axa Crash-Recorder in die Wagen jun-ger Autofahrer. Hingegen setzen Mobiliar und Allianz auf Fahrtenschreiber, die – anders als bei Kasko2go – fest in die Autos eingebaut werden.

Genadi Man ist ein Quereinsteiger. Er kommt nicht aus der Versicherungswirtschaft. Zunächst habe er in Russland Unfalldaten ausgewertet, sagt er. Über GPS-Apps habe man dann mehr über das Fahrverhalten von Autofahrern gelernt. «Und als wir genügen Erfahrungen gesammelt hatten, kamen wir nach Europa, um Kasko2go zu lancieren.» Das erste Land dafür ist die Schweiz.

Der Kasko2go-Chef blickt auf ein bewegtes Leben zurück. In Russland geboren, wandert er nach dem Militärdienst aus. In Israel studiert er Industriedesign. Als in den neunziger Jahren die Telekom-Branche erwacht, gründet Man in Deutschland die Firma Telesens, die Nutzungs-daten für Netzbetreiber abrechnet. Er profitiert vom Dot-Com-Boom und geht 2000 am «Neuen Markt» an die Börse. Doch bald darauf schlittert die Firma in den Konkurs. Sie hat sich übernom-men. Man ist da bereits nicht mehr dabei.

Später setzt er mit seiner Man Oil Group – ihr Hauptsitz ist in Zug – auf die Beseitigung von Erdölschäden in der Natur. Mittlerweile ist er aber auch dort wieder ausgeschieden. Seit 2017 firmiert die Gruppe als Arva Greentech und hat sich auf andere Umweltschäden ausgerichtet.

Eigene Versicherungslizenz bis 2020Mit Kasko2go will Man europaweit durch-

starten. Noch ist die Zuger Firma keine Versiche-rungsgesellschaft. Die eigentlichen Risikoleis-tungen übernimmt die Dextra-Versicherung mit Sitz in Zürich. Das solle sich jedoch bald ändern, kündigt Man an. «Wir planen, bis nächstes Jahr eine eigene Versicherungslizenz zu besitzen», sagt er. Diese soll über Liechtenstein laufen, so-dass Kasko2go sowohl den Schweizer Markt als auch die EU-Länder bedienen könnte. «Ich bin sicher, dass wir das schaffen», sagt Man.

Kasko2go Die Autoversicherung analysiert das Fahrverhalten. Noch hat sie keine eigene Lizenz, doch das soll sich bald ändern.

aus Profile. Auch die neu gestartete Kasko2go setzt auf dieses Modell (siehe Text rechts). Wer sich so beim Fahren über die Schulter blicken lässt, erhält Rabatte von bis zu 30 Prozent. Doch machen nicht alle mit. Die Baloise prüft noch, ob sie Telematik einführen will. Helvetia bietet bereits Apps an, die das eigene Fahrverhalten analysieren, koppelt diese aber noch nicht an die Prämien. Noch nicht.

Versicherer in anderen Ländern sind da bereits weiter – und erfahrener. Schon 2010 ging in Gross-britannien etwa mit Insure the Box ein Pay-as-you-drive-Anbieter an den Start. Mittlerweile gebe es rund zehn Millionen solcher Telematikpolicen in Europa, hält eine Studie von Berg Insight fest. Aller-dings mit einem Drittel pro Jahr stark wachsend. Beliebt sind Telematikversicherungen auch in Spanien oder Italien. Versicherer wie die Helvetia haben diese im Ausland selbst im Angebot.

«Am Ende wäre das gar keine Versicherung mehr»

Nimmt diese Form der Überwachung weiter zu? Lebensversicherer könnten das Freizeitver-halten ihrer Kunden analysieren, Krankenversi-cherer die Ernährung oder den Drogenkonsum. Man könnte es fair nennen. Denn letztlich ist der Lebenswandel verantwortlich für die Schaden-wahrscheinlichkeit. Und nicht der Pass oder das Geschlecht.

Auch ihre Statistiken werden die Versicherer weiter verfeinern. Aber wie weit? «Natürlich könn-te man die Individualisierung theoretisch beliebig ausbauen,» sagt Hasler. «Doch da befinden wir uns in einem gesellschaftlichen Spannungsfeld. Es gibt Bereiche, in denen man nahe ans individuelle Risi-ko gehen kann. In anderen ist das gesellschaftlich

nicht erwünscht.» Sowohl die Baloise als auch die Axa betonen, bezüglich der Nationalitäten nicht die vollen Zuschläge zu verrechnen. «Der korrekte Preis ist nicht immer auch der gesellschaftlich ak-zeptierte Preis», sagt auch Axa-Manager Kasper. Die Branche hat aus den Reaktionen der Vergan-genheit gelernt. Diskriminierung ist schlecht fürs Image.

Helvetia-CEO Philipp Gmür spricht von einer «philosophischen Frage»: Eine Versicherung lebe immer auch vom Risikotransfer unter den Ver-sicherten. Von der Solidarität. «Wenn am Ende je-der exakt sein eigenes Risiko trägt, habe ich keinen Risikotransfer mehr. So zu Ende gedacht, wäre das dann gar keine Versicherung mehr.»

ADOB

E ST

OCK,

HZ-

MON

TAGE

«In der Nacht oder bei Regen passieren mehr Unfälle. Wer diese Zeiten meidet, bekommt Rabatt.»

Genadi Man CEO Kasko2go

JAHRESPRÄMIEN: VERGLEICH HAUSRATVERSICHERUNGTeure und billige Quartiere beim Hausrat Welchen Einfluss hat die Postleitzahl auf die Hausratsversicherung? (8032 Zürich = 100%)

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105

100

95

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85

80

75

70Mobiliar Minima

HelvetiaBudget

AllianzBudget

Axa Basic Baloise S ZurichBasic

QUELLE: ONLINE-PRÄMIENRECHNER DER JEWEILIGEN VERSICHERER

Zürich Aussenquartier (8032) Zürich Zentrum/Langstrasse (8004)Basel Altstadt (4051) Märwil TG (9562)

RECHENBEISPIEL: HAUSRAT UND HAFTPFLICHT, DECKUNG 80100 FR., MIETWOHNUNG

GRUNDLAGEN: ONLINE-OFFERTE DER BASLER VERSICHERUNG FÜR HAUSRAT UND HAFTPFLICHT, MODELL «S», HAUSRATDECKUNG 80100 FR., 500 FR. SELBSTBEHALT, HAFTPFLICHTDECKUNG 5 MIO. FR., BEGINN 2.9.2019 QUELLE: ONLINE-PRÄMIENRECHNER, BALOISE

Jahresprämien

Beispiele4467 Rothenfluh BL: 243.604310 Rheinfelden AG: 261.904410 Liestal BL: 263.104600 Olten SO: 267.104056 Basel BS: 287.404101 Binningen BL: 306.50

243.60–252.37 Fr.

257.70–260.67 Fr.

252.37–255.13 Fr.

260.67–265.00 Fr.

255.13–257.70 Fr.

265.00–306.50 Fr.

Beispiel Nordwestschweiz: In der Stadt und nahe bei Frankreich ist es teurer Hausratprämien nach Postleitzahlen (PLZ 4000 bis 4729), Basler Versicherung

Basel

Liestal

Rheinfelden

Olten

690 Fr.Prämie*

1363 Fr.Prämie*

*Jahresprämie der Helvetia für den Škoda

Octavia eines vierzig jährigen

Lenkers (Nationalität Albanien/Schweiz).

Mehr zum ThemaKommentar Seite 18