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Individuelle Voraussetzungen und Entwicklungsbesonderheiten des Lernens im Vorschul- und frühen Schulalter Marcus Hasselhorn Georg-Elias-Müller-Institut für Psychologie und Zentrum für empirische Unterrichts- und Schulforschung (ZeUS) der Universität Göttingen

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Individuelle Voraussetzungen und Entwicklungsbesonderheiten des Lernens im Vorschul- und frühen

Schulalter

Marcus HasselhornGeorg-Elias-Müller-Institut für Psychologie

und Zentrum für empirische Unterrichts- und Schulforschung (ZeUS) der Universität

Göttingen

Vorbemerkungen

• Bisweilen heute noch anzutreffendes Relikt des Behaviorismus: Lernen funktioniert in allen Phasen des Lebenslaufes nach den gleichen Prinzipien

• Lernen findet zwar über die gesamte Lebensspanne statt, aber was, wie und warum gelernt wird, ist hochgradig altersabhängig

Gliederung:

1. Allgemeine individuelle Lernvoraussetzungen

2. Entwicklungsbesonderheiten zwischen 4 und 8 Jahren

3. Implikationen für das Lernen im Vorschul- und frühen Schulalter

4. Resümee

1. Allgemeine individuelle Lernvoraussetzungen

1.1 Kognitive Voraussetzungen erfolgreichen Lernens

1.2 Motivationale Voraussetzungen erfolgreichen Lernens

Kapazität des Arbeitsgedächtnisses

Aktuelle Sichtweise„Arbeitsgedächtnis“ als internes kognitives System, das es ermöglicht, mehrere Informationen vorübergehend zu speichern und miteinander in Beziehung zu setzen.

Visuell-räumlicher Notizblock

Phonologische Schleife

Zentrale Exekutive

Modell des Arbeitsgedächtnisses nach Baddeley (1986)

• AG „arbeitet“ (d.h. nicht bloß passiver Speicher)

• gut funktionierendes AG optimiert Lernen und erleichtert späteren Wissensabruf

• besondere Relevanz der phonologischen Scheife für schulisches Lernen sowie Leistungen im Lesen, Rechtschreiben undRechnen

=> Welche Mechanismen determinieren die Leistungsfähigkeit der phonologischen Schleife?

Größe

Verarbeitungs-präzision

Automatisierungsgradder Aktivierung

Geschwindigkeit

„Rehearsal“

Phonetischer Speicher

Bereichsspezifisches Wissen

Ausmaß und Qualität inhaltsspezifischen Vorwissens erklärt schulische Lernleistungen besser als allgemeine Fähigkeiten wie z.B. die Testintelligenz

Repräsentation des Vorwissens stellt man sich im Rahmen semantischer Netzwerke (mit Knoten und Relationen) vor

Strategien

Strategien sind zielgerichtete, potentiell bewusste und kontrollierbare Prozesse, die zwar einerseits Arbeitsgedächtniskapazität benötigen, andererseits aber auch zu besseren Lernleistungen führen.

Allgemeines Phasenmodell der Strategieentwicklung

• Mediationsdefizit (Reese, 1962):Voraussetzungen für Strategieproduktion fehlen noch

• Produktionsdefizit (Flavell, 1970):keine spontane Strategieproduktion

• Nutzungsdefizit (Miller, 1990):ineffiziente spontane Strategieproduktion

• Kompetente Strategienutzung:kontextunabhängige effiziente Strategieproduktion

1.2 Motivationale Voraussetzungen

erfolgreichen Lernens

a. Kompetenzüberzeugungen

b. Erfolgserwartungen

Kompetenzüberzeugungen

• Selbstbewertungen der eigenen Kompetenz beeinflussen Initiierung, Anstrengungsintensität und Persistenz des Verhaltens

• haben eine Art Überwachungsfunktion beim selbstregulierten Lernen (Pintrich & Zusho, 2002)

Erfolgserwartungen

• Die Erwartung, mit dem eigenen Handeln Erfolg zu haben, beeinflusst ebenfalls Initiierung, Anstrengungsinten-sität und Persistenz des Verhaltens

• erhöhen die Handlungsbereitschaft und damit die Wahrscheinlichkeit, Neues zu lernen (learning by doing)

2. Entwicklungsbesonderheiten zwischen 4 und 8 Jahren

2.1 Allgemeines Vorherrschen des kindlichen Überoptimismus bis etwa 8 Jahre

2.2 Motivationale Veränderungen zwischen 4 und 8 Jahren

2.3 Effizienzsteigerung des Arbeitsgedächtnisses im 6. Lebensjahr

2.1 Allgemeines Vorherrschen des kindlichen Überoptimismus

bis etwa 8 Jahre• Mit etwa 8 Jahren macht das

überoptimistische unrealistische Wunschdenken („ich schaffe alles, wenn ich mich nur anstrenge“) der realistischen Selbsteinschätzung Platz

• Bei Mädchen findet dieser Entwicklungseinschnitt etwa ein halbes Jahr eher statt als bei Jungen

2.2 Motivationale Veränderungen zwischen 4 und 8 Jahren

• In der Vorschulzeit (4 - 6 Jahre) ist kein Fähigkeitskonzept feststellbar, Handlungs-ergebnisse haben kaum Einfluss auf Fähigkeits-einschätzungen, sozialer Vergleich ist kaum von Interesse

• Mit 6 - 8 Jahren sind erste bereichsspezifische Fähigkeitskonzepte feststellbar, die von Handlungsergebnissen beeinflusst werden, soziale Vergleiche gewinnen zunehmend an Bedeutung (Dweck, 2002)

2.3 Effizienzsteigerungen des Arbeitsgedächtnisses im 6.

Lebensjahr• Automatisierung des subvokalen

Rehearsalprozesses der phonologischen Schleife führt zu einem qualitativen Sprung in der funktionalen Kapazität des Arbeits-gedächtnisses für sprachliche und klangliche Informationen (Gathercole & Hitch, 1993)

• Bei Intelligenzminderung kommt es nicht zu dieser Automatisierung (Hasselhorn & Mähler, 2004)

Größe

Verarbeitungs-präzision

Automatisierungsgradder Aktivierung

Geschwindigkeit

„Rehearsal“

Phonetischer Speicher

3. Implikationen für das Lernen im Vorschul- und frühen Schulalter

3.1 Chancen3.2 Gefahren

3.1 Chancen

• Die motivationalen Voraussetzungen, um Zeit und Anstrengung in Lernprozesse zu investieren, sind zwischen 4 und 8 Jahren allgemein hervorragend

• Schon zwischen 4 und 6 Jahren ist von einem großen Potential für reichhaltige implizite und inzidentelle Lernprozesse auszugehen.

3.2 Gefahren

• Der Entwicklungseinschnitt in der funktionalen Effizienz des phonologischen Arbeitsgedächtnisses setzt vor dem 7. Lebensjahr deutliche Grenzen für das Lernen

• Konzepte des expliziten und intentionalenLernens sind daher zwischen 4 und 6 Jahren nur sehr eingeschränkt umsetzbar

4. Resümee• Wir wissen noch wenig über das Lernen 4- bis

5jähriger Kinder.

• In den Lernvoraussetzungen kommt es zwischen 4 und 8 Jahren zu tiefgreifenden Entwicklungsveränderungen

• Jede Konzeption der formalen Beschulung von Kindern unter 6 Jahren muss das eingeschränkte Potential zum intentionalen Lernen berücksichtigen

Danke für Ihre Aufmerksamkeit!