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Institut für Raumplanung Universität Dortmund Arbeitspapier 182 Hermann Bömer Moderne kommunale Wirtschaftsförderungspolitik in Zeiten der Massenarbeitslosigkeit Das Beispiel Dortmund unter Mitarbeit von Timo Barwisch Dortmund, Juni 2004 Institut für Raumplanung Fakultät Raumplanung, Universität Dortmund D-44221 Dortmund Tel. 0231-7552291, Fax 0231-7554788 http://irpud.raumplanung.uni-dortmund.de/irpud/pub/ap.htm#ap182 IRPUD

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Institut für Raumplanung Universität Dortmund Arbeitspapier 182 Hermann Bömer Moderne kommunale Wirtschaftsförderungspolitik in Zeiten der Massenarbeitslosigkeit Das Beispiel Dortmund unter Mitarbeit von Timo Barwisch Dortmund, Juni 2004 Institut für Raumplanung Fakultät Raumplanung, Universität Dortmund D-44221 Dortmund Tel. 0231-7552291, Fax 0231-7554788 http://irpud.raumplanung.uni-dortmund.de/irpud/pub/ap.htm#ap182 IRPUD

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Inhaltsverzeichnis

Vorbemerkung .................................................................................................. 5

I. Zum Zusammenhang von kommunaler Wirtschaftsentwicklung und allgemeiner Wirtschaftspolitik......... 7

0. Der radikale Strukturwandel der Dortmunder Wirtschaft ............. 7 1. „Investieren statt Subventionieren“? .......................................... 8 2. Überragende Bedeutung der allgemeinen Wirtschaftspolitik ...... 9

II. Das institutionelle und instrumentelle System der Wirtschaftsförderung in Dortmund ............................................ 15

1. Wirtschafts- und Beschäftigungsförderung Dortmund .............. 15 2. Arbeitsbereiche der WBF-DO: Cluster- und Beschäftigungsorientierung ......................................................... 15 3. dortmund-project (www.dortmund-project.de) ........................... 16 4. Technologiezentrum (TZDO GmbH), Sondervermögen Verpachtung Technologiezentrum (SVTZ DO) ......................... 17 5. Finanzierung des Sondervermögens Technologiezentrum Dortmund..................................................................................... 17 6. Innovationsorientiertes Wirtschaftsförderungskonzept bisher erfolgreich......................................................................... 18 7. Konzeptintensivierung seit dem Jahr 2000 ................................. 19 8. Biomedizin-Technologie: Phönix aus der Asche in Dortmund!?.................................................................................. 19 9. Finanzierung des Gesamtansatzes und des Flagship-Projekts Phoenix........................................................... 20 10. microParts – ein Sonderansatz der Wirtschaftsförderung ......... 21 11. Risiken der Dortmunder Wirtschaftsförderung ....................... 22 12. Technologie- und Gründerzentren der „zweiten Liga“ als Förderinstrumente für den benachteiligten Norden..................... 22 13. Informationen zum Sektor Beschäftigungsförderung der WBF DO................................................................................ 23 14. EU-Strukturpolitk: Dortmund als Schwerpunkt im Ruhrgebiet 25 15. „Unsichtbare“ Strukturpolitik ................................................. 26 16. „Lokale Konjunkturprogramme“ besonderer Art: 3do und B1-Untertunnelung ....................................................... 27 17. Die Last der Krise der Kommunalfinanzen in Dortmund .......... 27 18. Politik und Planung in Dortmund im Zeichen des Strukturbruchs ....................................................................... 30

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III. Deutschland und Dortmund im internationalen und innerdeutschen Vergleich ........................................................ 32

1. Zunehmende Isolierung der deutschen Wirtschaftspolitik ...... 32 2. Vergleichsregionen in Westeuropa entwickeln sich besser ...... 32 3. Der Städtevergleich in Deutschland .......................................... 33 4. Politische Kurzschlussreaktionen und wachsender Rechtspopulismus und Marktradikalismus ................................. 35 5. Entbürokratisierung als Wachstumsmotor? .............................. 35 6. Neue Opposition ...................................................................... 36 7. Skizze einer alternativen Entwicklungslogik ........................... 36

Literatur ......................................................................................................... 38 Anhang ......................................................................................................... 42

Abbildungs- und Tabellenverzeichnis Abbildung 0: Strukturveränderung der Dortmunder Wirtschaft 1976-2000....... 7 Abbildung 1: Wachstum der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage- komponenten 1998 – 2002; Ein internationaler Vergleich ........... 9 Abbildung 2: Die Entwicklung der Beschäftigung in Dortmund im Vergleich zu ausgewählten Großstädten..................................... 11 Abbildung 3: Die Entwicklung der Beschäftigung in Dortmund im Vergleich zu ausgewählten Großstädten..................................... 11 Abbildung 4: Arbeitslosenquoten in Dortmund und Westdeutschland 1983 – 2004 .................................................... 12 Abbildung 5: Die sozialräumliche Spaltung der Stadt Dortmund .................. 14 Abbildung 6: Qualfikationsspezifische Arbeitslosenquote bis 2002 ................ 26 Abbildung 7: Unterschiedliche Schätzungen des kommunalen Steueraufkommens vom Mai 2000 bis Mai 2004 ....................... 30 Abbildung 8: Zukunftsinvestitionsprogramm ................................................... 37 Tabelle 1: Sozialökonomische Kennzahlen für Dortmund 1998-2003........ 13 Tabelle 2: Beschäftigungs- und Qualifizierungsaktivitäten der WBF-DO.. 23 Tabelle 3: Finanzierung arbeitsmarktpolitischer Projekte in Dortmund 2003 ....................................................................... 23 Tabelle 4: Alle bisher akzeptierten Projekte (2000-April 2004).................. 24 Tabelle 5a: Geschätzte Haushaltsbudgets (Verwaltungshaushalt) und Defizite der Stadt Dortmund (2002-2007) in Mio. € .................. 28 Tabelle 5b: Haushaltsicherung 2003 – 2007 – Verwaltungshaushalt – Ratsbeschluss vom 19.12.02 (in Mio. €)..................................... 28 Tabelle 5c: Haushaltssicherung 2003-2007 – Verwaltungshaushalt – Neukalkulation der Haushaltssicherungsmaßnahmen (Januar 2004) in Mio. €............................................................... 29 Tabelle 5d: Stadt Dortmund Haushaltskennzahlen 2003............................... 29 Tabelle 6: Entwicklungsindikatoren im Städtevergleich ............................. 33 Tabelle 7: Städte-Ranking der Zeitschrift „Wirtschaftswoche“................... 34

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Anhangsverzeichnis: Karte A1: Zukunftsstandorte Dortmund ....................................................42 Karte A2: Masterplan Phönix ....................................................................42 Karte A3: Prognose der Entwicklung der Erwerbstätigkeit 2001 – 2010 nach Raumordnungsregionen...............................43 Textanhang 1: (Frankfurter Rundschau, 5.6.2004) ...........................................44 Textanhang 2: (aus: Bömer, 2000, S. 218-220) ...............................................45 Übersicht 1: Gesamtübersicht über das Technologiezentrum Dortmund (Stand: 03/2004): ........................................................................... 49 Übersicht 2: Politische Entscheidungsstruktur im Institutionengeflecht der Dortmunder Wirtschaftsförderung (Stand: 03/2004):.................... 50 Übersicht 3: Personelle Struktur der Dortmunder Wirtschaftsförderungsinstitutionen (Stand: 02/2004):................... 51 Übersicht 4: TZDO GmbH und SVTZ Dortmund: Die Technologiezentren (Stand: 03/2004): .................................... 52 Übersicht 5: Sondervermögen „Verpachtung Technologiezentrum“ – Investitionen und Finanzierung (Stand: 02/2004): ..................... 53 Übersicht6: Neuorganisation Vermietung/Verpachtung Management Technologiezentrum / Sondervermögen (Stand: 06/2004) ............ 54 Tabelle A1: Indikatoren für die europäischen Vergleichregionen (NUTS 2) 55 Abkürzungsverzeichnis: Abb.: Abbildung AG: Arbeitsgemeinschaft Art.: Artikel AWBF: Ausschuss für Wirtschafts- und Beschäftigungsförderung BIP: Bruttoinlandsprodukt DGB: Deutscher Gewerkschaftsbund DO: Dortmund DSW: Dortmunder Stadtwerke AG EWU: Europäische Währungsunion EZB: Europäische Zentralbank EU: Europäische Union GB: Großbritannien GF: Geschäftsführer GG: Grundgesetz GmbH: Gesellschaft mit beschränkter Haftung ha.: Hektar HP: Hewlett Packard I&K: Information und Kommunikation IBA: Internationale Bauausstellung Emscherpark KAF: Kommunaler Arbeitsmarktfonds KVR: Kommunalverband Ruhrgebiet

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LDS: Landesamt für Datenverarbeitung und Statistik des Landes Nord-rhein-Westfalen

LEG: Landesentwicklungsgesellschaft LEP: Landesentwicklungsplan Mio. Millionen Mrd.: Milliarden MST: Mikro System Technologie NRW: Nordrhein-Westfalen OB: Oberbürgermeister RAG: Ruhrkohle AG SVTZ DO: Sondervermögen Verpachtung Technologiezentrum Dortmund TKS: Thyssen Krupp Stahl TZ DO: Technologiezentrum Dortmund WBF-DO: Wirtschafts- und Beschäftigungsförderung Dortmund WM: Weltmeisterschaft WR: Westfälische Rundschau

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Vorbemerkung: Die folgende Abhandlung versucht, den Zusammenhang zwischen der ´großen´ (Wirtschafts-) Politik auf der Bundes- und EU-Ebene und der regionalen und lokalen Wirtschaftsförderungspolitik am Beispiel der Stadt Dortmund zu vermit-teln. Es werden die strategischen Ansätze und die hinter ihnen liegenden explizi-ten oder impliziten volkswirtschaftstheoretischen Annahmen ebenso diskutiert wie die Frage, warum eine lokale Wirtschaftsförderungspolitik wie die der Stadt Dortmund, die als äußerst modern und ambitioniert gelten kann, auf dem Ar-beitsmarkt keine besseren Ergebnisse erzeugt (Abb. 4). Zugleich werden Alter-nativen der Wirtschafts- und Regionalpolitik angedeutet, die Krisenregionen eine bessere Zukunft ermöglichen können. Die detaillierte Beschreibung der Instrumente der kommunalen Wirtschaftsförderung in Dortmund (Kap. II) er-folgt aufgrund meiner Überzeugung, dass die Praxis manchmal der Theorie vor-auseilt, andererseits letztlich eine unabhängige theoretische Orientierung erfor-derlich ist, um die Wirkungen und die Reichweite der praktischen Politik beur-teilen zu können. Im April 2004 wurde durch die ersten durchgesickerten Überlegungen einer Arbeitsgruppe unter Klaus von Dohnanyi, die die Minister Stolpe und Clement zum Problem ostdeutsche Entwicklung berät, eine heftige Debatte über die Zu-kunft der Regionalförderung in den neuen Bundesländern eröffnet. Zwar besteht ein Verdienst dieser Studie darin, die Ausweglosigkeit der bisherigen Politik vor Augen zu führen (vgl. dazu auch Dohnanyi, 2004). Der Tenor bezüglich der vorgeschlagenen Auswege aber ist erschreckend. Statt den Hauptgrund für die Probleme in Ostdeutschland und auch in anderen Krisenregionen inzwischen nicht zuletzt in der schleppenden Konjunktur in Deutschland und der Eurozone insgesamt zu sehen (vgl. Ziffer I.2 und III.1), wird für Krisenregionen eine weitgehende Deregulierung und ein noch weiter gehende Absenkung der Löhne, Gehälter und Transferleistungen vorgeschlagen („Sonderwirtschaftszone“). Zugleich starten im Ruhrgebiet Politiker und Journalisten eine Kampagne zur Korrektur des Solidarpaktes II mit dem Ziel, die Transferzahlungen in die neuen Bundesländer zu reduzieren. Die Heftigkeit dieser Vorstöße erinnert nun wirk-lich an die Brüning´sche Notverordnungspolitik, die bekanntlich die Weltwirt-schaftskrise 1929ff und ihren Verlauf in Deutschland durch Ausgabenkürzungen und Lohnsenkung radikal verschärft hatte (Heine, 2003). Auch unter Intellektu-ellen breitet sich die Verwirrung über Ursachen und Strategien weiter aus. Jens Bisky z.B. titelte seinen Beitrag im Feuilleton der Süddeutschen vom 7.4.04 „Freiheit statt Wohlstand. Abbau Ost: Endlich beginnt die deutsch-deutsche Neiddebatte“, in dem er die Transferzahlungen und die schnellen Lohnsteige-rungen in der ersten Hälfte der 90er Jahre zur Ursache für die Stagnation hoch-stilisiert. Sicherlich richtig sind einige Überlegungen der Dohnanyi-Arbeitsgruppe bezüg-lich der Schwerpunktverlagerung der Förderung. Die allgemeine Infrastruktur-förderung sollte etwa zugunsten der Forschungs- und Entwicklungsförderung verringert werden. Die Mittel sollten stärker in den Wachstumspolen konzent-riert werden (Dresden, Leipzig usw.). Allerdings muss dann zugleich eine Ant-wort auf die Frage gefunden werden, wie auf dem „flachen Lande“ die sozialen Probleme bearbeitet werden sollen. Einen systematisch anderen Erklärungs- und Strategieansatz zur Bekämpfung regionaler Krisen legen seit Jahren WissenschaftlerInnen, die nicht dem neolibe-

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ralen Mainstream zuzurechnen sind, darunter die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik (2001; 2004), vor. Vgl. hierzu insbesondere das Memoran-dum 2001 mit den Kapiteln 4 (Finanzausgleich), 5 (Finanzausgleich Ost), 6 (Regionale Entwicklung) und 7 (EU-Osterweiterung) sowie zur aktuellen wirt-schaftspolitischen Debatte und zur Regionalpolitik für Ostdeutschland das Me-morandum 2004 AG Alternative Wirtschaftspolitik 2004).

Zwar lehnt die Bundesregierung bislang noch die Einrichtung von Sonderwirt-schaftszonen ab. Es ist allerdings zu befürchten, dass die Dämme bald brechen werden. Und natürlich sitzen auch schon in NRW Unternehmerverbände und Parteien in den Startlöchern, um für das Ruhrgebiet entsprechende Vorschläge zu machen.

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I. Zum Zusammenhang von kommunaler Wirtschaftsentwick-lung und allgemeiner Wirtschaftspolitik 0. Der radikale Strukturwandel der Dortmunder Wirtschaft Abbildung 0: Strukturveränderung der Dortmunder Wirtschaft 1976-2000 (Kiel, 2003)

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1976 1980 1984 1988 1992 1996 2000

Legende: von oben nach unten (im Jahr 2000 in %): Sonstige Dienstleistungen (30,3%); Staat und Non-profit-Organisationen (26,4%); Großhandel, Einzelhan-del und Logistik (23,7%); Verarbeitendes Gewerbe (13,4%); Baugewerbe (4,9%); Energie und Bergbau (2,6%) (Kiehl, 2003) Abb.0 illustriert den oftmals beschriebenen und analysierten radikalen Struktur-wandel der Dortmunder Wirtschaft innerhalb der letzten Jahrzehnte (vgl. etwa Bömer, 2000). Populär ausgedrückt sind ihre drei wichtigsten Säulen Kohle, Stahl und Bier fast verschwunden, und zwar von ca. 80.000 Arbeitsplätzen im Jahre 1970 auf derzeit ca. 4.000. Die Gesamtzahl der Erwerbstätigen ist im glei-chen Zeitraum um etwa 50.000 zurückgegangen. Die Expansion des Dienstleis-tungssektors hat die Verluste im industriellen Sektor nicht ausgleichen können. Es liegt auf der Hand, dass – theoretisch formuliert – die Deindustrialisierung dieser drei Exportbasis-Sektoren durch die Entwicklung neuer Exportbasis Sek-toren ausgeglichen werden muss. Die neuen endogenen Potentiale dieser Stadt (die Hochschulen und Forschungseinrichtungen, die durch die Bundes- und Landespolitik in den 60er und 70er Jahren ´implantiert´ wurden, sowie die Soft-wareindustrie, die sich auf dieser Grundlage in den 80er und 90er Jahren entwickeln konnte), bilden nunmehr die einzige Chance, die existierenden Ex-portbasis-Sektoren wie die Software Industrie und die Logistikwirtschaft zu ver-stärken und neue wie E-Commerce, Mikrostrukturtechnik und Biotechnologie zu entwickeln. Die genannten Sektoren werden vom dortmund-project, einem wichtigen Instrument des Systems Dortmunder Wirtschaftsförderungspolitik, fokussiert (vgl. Kap. II). Die sonstigen Kernsektoren werden deshalb nicht igno-riert und vernachlässigt (vgl. den neuen Branchenbericht de WBF DO: Stadt

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Dortmund, 2004 c). Politiker und Unternehmensberater haben im Jahr 2000 das Ziel deklariert, in diesem Jahrzehnt 70.000 zusätzliche Arbeitsplätze zu schaf-fen, davon 60.000 in den neuen Ankerindustrien. In diesem Papier wird disku-tiert, ob dies eine realistische Zielsetzung ist. Es wird argumentiert, dass die Implementierung des dortmund-project absolut notwendig ist, aber längst nicht hinreichend. Die Gesamtwirtschaftspolitik auf der Bundes und EU-Ebene muss sich ändern, damit die durch das dortmund-project geschaffenen Voraussetzun-gen für die Entwicklung der wissensbasierten Wirtschaft sich bei einer grundle-gend verbesserten gesamtwirtschaftlichen Beschäftigungsentwicklung in einem für Krisenregionen möglicherweise überproportionalen Zuwachs an Arbeitsplät-zen im östlichen Ruhrgebiet niederschlagen können. 1. „Investieren statt Subventionieren“?

Die Wirtschafts- und Beschäftigungsförderung Dortmund und das dortmund-project kultivieren das Motto „Investieren statt Subventionieren“. Die folgenden Ausführungen werden zeigen, dass ein Großteil ihrer Tätigkeit allerdings genau darin besteht, möglichst hohe Subventionen für Projekte nach Dortmund zu ho-len. Dies ist nicht ehrenrührig, sondern gut, weil es mit dem Ziel passiert, neue Wirtschaftszweige zu entwickeln und damit private Investitionen zu ermögli-chen, die letztlich eigenständig Arbeitsplätze und Einkommen generieren. Sub-ventionen in Krisenregionen stimme ich zu, wenn sie – sorgfältig geprüft und evaluiert - der Schaffung von Arbeits- und Ausbildungsplätzen sowie der Erhal-tung der Arbeitsfähigkeit dienen; insbesondere sind Subventionen auch positiv zu bewerten und gehen mit dem Grundgesetz (Art. 72 Abs.2 GG) konform, wenn sie die Reduzierung von regionalen Disparitäten zum Ziel haben und da-mit zu verhindern suchen, dass die Abstände beim Einkommen, der Arbeitslo-sigkeit und der Armut zu den Führungsregionen wie München, Frankfurt, Stutt-gart usw. noch größer werden. Sorgfältig geprüft und evaluiert - diese Floskel beinhaltet, dass das Land NRW und die EU, die die Strukturförderung regulieren, über ein gut ausgearbeitetes Konzept der regionalen Strukturpolitik verfügen müssen, das nicht nach dem Gießkannenprinzip verfährt, sondern sektorale und räumliche Schwerpunktset-zungen ermöglicht. Mit den zwölf Technologieclustern für das Ruhrgebiet liegt dieses Konzept im Prinzip vor: I&K-Technologien, Logistik, Mikrotechnik, Neue Werkstoffe, Medizintechnik und Gesundheitswirtschaft, Design, Wasser- und Abwassertechnik, Maschinenbau, Tourismus und Freizeit, Energie und neue Energietechniken, Bergbautechnik und Neue Chemie werden als alte bzw. neue Cluster besonders gefördert (vgl. Grote Westrick, D./Rehfeld, D.(2003). Die größeren Projekte werden von unabhängigen Gutachtern ex-ante evaluiert. Das gesundheitswirtschaftliche Projekt O-Vision in Oberhausen (neben dem Centro) wurde z.B. negativ evaluiert und wird in seiner ersten Variante nicht realisiert werden. Dieses strukturpolitische Programm des Landes NRW und der EU wird in den Jahren 2004 bis 2006 fortgesetzt und auch in der neuen Förderperiode 2007-2013, in der vermutlich leider die EU-Mittel für NRW drastisch reduziert wer-den (Ziel-2-phasing out), im Prinzip beibehalten werden. Es ist davon auszuge-hen, dass die dann noch verfügbaren Mittel noch stärker auf die Großstädte der Krisenregionen konzentriert werden. Diese insgesamt positive Einschätzung der

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NRW-Strukturpolitik für das Ruhrgebiet besagt nicht, dass ich alle einzelnen Elemente des Konzepts selbst beurteilen kann. Kritisch ist dagegen der Voluntarismus in der allgemeinen Wirtschaftspolitik der Landesregierung für die Krisenregion Ruhrgebiet zu beurteilen. Anstatt das Ge-wicht des Landes NRW in Berlin und Brüssel für eine Veränderung der Wirt-schaftspolitik im unten genannten Sinne (expansive Beschäftigungspolitik und Erhalt eines starken staatlichen Finanzwesens, vgl. Ziff. I.2 und III.1) einzuset-zen, kam und kommt es zur Unterstützung der (vermeintlichen) Sparpolitik durch den Ex-Ministerpräsidenten Clement sowie durch Herrn Steinbrück und zur Inflation von Beschwörungsformeln und Symbolpolitiken. Der Beschäfti-gungspakt Ruhr z.B. ist nichts anderes als eine öffentlich-private PR-Aktion und Ersatzhandlung für gute makroökonomische Politik (Info: www.ruhrpakt.de). Er ergänzt die Aktivitäten des Initiativkreises Ruhgebiet, der seinerseits zwar einige sinnvolle Projekte für die Region initiiert und fördert, den Rückzug der großen Konzerne aus der Regionalverantwortung aber nicht gestoppt hat (und es c.p. auch gar nicht kann (vgl. Bömer 2000, 241f)). 2. Überragende Bedeutung der allgemeinen Wirtschaftspolitik Abbildung 1:

Die Massenarbeitslosigkeit in den Krisenregionen Ruhrgebiet und Ostdeutsch-land (sowie der anderen Förderregionen in der EU) ist nur zum Teil ein regiona-les Problem. Die Schaffung von Ersatzarbeitsplätzen für die schrumpfenden

Wachstum der gesamtwirtschaftlichen Nachfragekomponenten 1998 - 2002Ein internationaler Vergleich

-5%

0%

5%

10%

15%

20%

25%

30%

35%

40%

Bruttoinlandsprodukt Privater Konsum Staatskonsum Bruttoinvestitionen Export

USA Frankreich Großbritannien Deutschland

Quelle: OECD 2003, eigene Berechnungen

Quelle: ver.di Bundesvorstand, Bereich Wirtschaftspolitik 2003, S. 3

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Industrien im nennenswerten Umfang setzt eine gute gesamtwirtschaftliche Ent-wicklung voraus. Die wirtschaftspolitische Selbstblockade der Maastricht-Politik, des EWU-Stabilitäts- und Wachstums-Pakts (SWP) sowie der versuch-ten Haushaltskonsolidierung in der Krise (vgl. analytisch European Economists, 2003 sowie AG Alternative Wirtschaftspolitik, 2004, Truger, 2003) lassen die Gesamtwirtschaft seit Mitte 2000 stagnieren und haben auch schon in den 90er Jahren und selbst während des Booms der New Economy in einigen der EU-Kernländer, insbesondere in Deutschland, zu relativ niedrigen Wachstumsraten geführt (Abb. 1). Das Ziel der Schuldenreduzierung wird damit zwangsläufig ins Gegenteil ver-kehrt: die ungeplante (ex-post-) Verschuldung steigt weiter sprunghaft an. Frankreich dagegen hatte zumindest von 1997 bis 2001 unter der Linksregierung Jospin mit einer expansiveren Wirtschaftspolitik einen höheren Wachstumspfad erzeugt und in der Folgezeit auch mehr Arbeitsplätze geschaffen (AG Alternati-ve Wirtschaftspolitik, 1998 und Abb. 1). Deutschland als Land, das immer ein-seitig auf Exportoffensiven als Mittel zur Ankurbelung der Konjunktur setzt (und dabei eine drastische Politik der Kostenreduzierung und des letztlich ver-geblichen Versuchs der Haushaltskonsolidierung als Instrument einsetzt), hat eindeutig die geringsten Erfolge bei der BIP- und damit auch bei der Beschäfti-gungsentwicklung zu verzeichnen (Abb. 1). Gerade die Krisenregionen leiden unter der gesamtwirtschaftlichen Stagnation besonders stark, nicht zuletzt auch deshalb, weil die Haushaltsbudgets der zu-ständigen öffentlichen Hände, hier also des Landes NRW und der Stadt Dort-mund, als Folge (und teilweise auch als Ursache) der gesamtwirtschaftlichen Krisenlage drastisch eingebrochen sind (vgl. z.B. die Kürzung diverser Mittel-ansätze des Landes im Doppelhaushalt 2004/2005). Gute regionale und kommu-nale Wirtschafts- und Beschäftigungsförderung schlägt sich daher nicht unbe-dingt in einer signifikanten Reduzierung der regionalen Arbeitslosenquoten nie-der (vgl. für Dortmund Abb. 4)1. Die folgenden Abbildungen (F.J.Bade) zeigen, dass in Jahren mit guten ge-samtwirtschaftlichen Wachstumsraten (1988 bis 1992 und 1998 bis 2001) auch Städte wie Dortmund, Bochum oder Essen einen absoluten Beschäftigungszu-wachs verzeichnen konnten, die relative Entwicklung sich aber teilweise weiter verschlechterte (insbesondere in Duisburg).

1 Kommunal- und Landespolitiker im Bereich der Wirtschaftsförderung denken und handeln wegen der hohen kommunalen und regionalen Ex- und Importquoten zwangsläufig angebots- und innovationsorientiert (Kostensenkungsstrategien, preiswertes Angebot von (auch qualifizier-ten) Arbeitskräften, Grundstücken und innovationsorientierten Infrastruktureinrichtungen bzw. Kompetenzfeldern). Wenn sie dieses Paradigma in Ländern mit großen Binnenmärkten jedoch schematisch auf die allgemeine Wirtschaftspolitik auf europäischer und nationalstaatlicher Ebe-ne übertragen, verkennen sie die Bedeutung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrageentwicklung, speziell die der Binnennachfrage. Spätestens seit Keynes weiß man, dass hoch entwickelte Marktwirtwirtschaften das Problem des Kapital- und Kapazitätsüberschusses und nicht des –mangels haben. Im Mehrebenensystem der Wirtschaftspolitik ist also eine komplexe Mischung aus Angebots-, Innovations- und Nachfragepolitik erforderlich. Die oberen Ebenen (und natür-lich die Tarifparteien) tragen für die Stabilisierung und Erhöhung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage die zentrale Verantwortung.

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Abbildung 2:

Abbildung 3:

Für Dortmund ist seit 1999 eine Stabilisierung und leichte Verbesserung der relativen Position erkennbar. Es wird abzuwarten sein, ob dieser Trend stabil ist.

Quelle: Bade, 2004

Quelle: Bade, 2004

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Arbeitslosenquoten in Dortmund und Westdeutschland 1983 - 2004

02468

101214161820

1983

1985

1987

1989

1991

1993

1995

1997

1999

2001

2003

Proz

ent

Westd

Do

Allerdings verharrt die Arbeitslosenquote in den Ruhrgebietsstädten und insbe-sondere auch in Dortmund auf einem ungebrochen hohen Niveau (2003 im Schnitt 40.000 Arbeitslose und 15,3% Arbeitslosenquote im Januar 2004). Abbildung 4:

Die Hartnäckigkeit der hohen Arbeitslosigkeit hängt sicherlich mit vielen Fakto-ren zusammen, insbesondere aber mit der großen Bedeutung der Defizite im Bildungswesen (vgl. Ziffer II.16), die wiederum in den Krisenregionen beson-ders stark ausgeprägt sind, mit den Nachwirkungen des Endes der Roheisen- und Stahlproduktion (1997 beschlossen und bis 2001 realisiert) in Dortmund sowie – höchst bedeutsam - mit der allgemeinen Konjunkturentwicklung. Letz-tere wurde bislang von den Repräsentanten der Stadt und in ihren Publikationen merkwürdigerweise nie zentral diskutiert. Z.B. werden in der neuen Publikation „Das neue Dortmund“ (dortmund-project, 2004) akribisch die Zahlen des dort-mund-project dokumentiert, in der Übersicht „Dortmunder Kennzahlen“ (S. 6) jedoch die Arbeitslosenzahlen nicht ausgewiesen. Auch die sozialräumliche Spaltung der Stadtgesellschaft ist in für die breitere Öffentlichkeit publizierten Selbstdarstellungen der Stadt kein Thema (vgl. Abb. 5). OB Dr. Langemeyer betont zudem eindeutig, dass er seinen OB-Wahlkampf im Jahre 2004 „nicht gegen Berlin“ machen will. Dies bedeutet im Klartext, dass er im Großen und Ganzen die allgemeine Wirtschafts- und Finanzpolitik und die mit der Agenda 2010 betriebene Zerschlagung der bisherigen Arbeitsmarktpolitik (mit Ausnah-me der negativen finanziellen Konsequenzen für die Kommunen) prinzipiell unterstützt – obwohl damit doch die Massenarbeitslosigkeit auch in Dortmund weiterhin zementiert sein wird und sich zudem die soziale Lage der betroffenen Arbeitslosen - z.B. durch die Absenkung des Unterstützungsniveaus der bisheri-gen Empfänger von Arbeitslosenhilfe - weiter drastisch verschlechtern wird.

Quelle: Bundesagentur für Arbeit; eigene Darstellung

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Tabelle 1: Sozialökonomische Kennzahlen für Dortmund 1998-2003

Die folgende Abb.5 (Strohmeier, 2002) deutet die massiven innerstädtischen Disparitäten Dortmunds an. Sie beziehen sich auf Einkommen, Arbeitslosigkeit, Armut und Demographie. Die Arbeitslosigkeit z.B. reicht von mehr als 25% in der Nordstadt bis unter 10% in den südlichen Bezirken.

Dortmunder Kennzahlen

2003 2002 2001 2000 1999 1998

Einwohner/innen (jeweils zum 31.12)

590.329 (30.6.03)

590.837 589.240 588.994 590.213 591.733

Erwerbstätige am Arbeitsort (31.12.)

1) 276.500 277.000 275.200 265.300 267.400

Sozialvers. Be-schäftigte am Arbeitsort

192.257 195.685 196.586 197.214 191.059 186.453

Registrierte Ar-beitslosenzahl (jeweils 30.6.)

39.350 37.655 36.998 38.123 39.695 .

Gewerbliche Betriebe (31.12,)

1) 40.211 38.269 36.554 35.500 34.866

Quelle: dortmund-project, 2004 (1), 6 (Auszug); dortmund-project, 2004 (2), S. 9; 1) liegt nicht vor

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Abbildung 5: Die sozialräumliche Spaltung der Stadt Dortmund

Cluster 1: Wachsende Stadtteile der Mittelklassen Cluster 2: Prosperierende Stadtteile der oberen Schichten Cluster 3: Familiendominierte Unterschicht-Distrikte Cluster 4: Familiendominierte Unterschicht-Distrikte mit hohem Immigran-

tenanteil Cluster 5: Innenstadtnahe Distrikte mit hohem Anteil an Single-Haushalten

und hoher Arbeitslosenquote (Eichlinghofen ist wegen der Uni-versität ein Sonderfall.)

Immerhin lässt sich insgesamt für Dortmund feststellen, dass etwa seit 1999, als der Boom der New Economy in der in dieser Stadt seit den 90er Jahren fest e-tablierten Softwareindustrie einen weiteren Aufschwung herbeiführte, der Ab-wärtstrend (gemessen in Relation zu den Vergleichsregionen, vergl. Abb.3) zum ersten Mal seit Jahrzehnten gebrochen zu sein scheint. „Ausgehend von den Entwicklungen in den Zielbranchen des dortmund-project seit 2000 sind bis Ende 2003 rd. 6000 neue Arbeitsplätze entstanden (Unternehmenswachstum, Bestandsentwicklung, Unternehmensgründungen, Sekundäreffekte“ (Stadt Dortmund (2004 a, S.2)). Diese in Krisenzeiten vergleichsweise insgesamt posi-tive Entwicklung (zu weiteren vergleichenden Studien siehe Kap. III) hängt vermutlich durchaus mit der sehr ambitionierten und entwickelten regionalen und kommunalen Wirtschaftsförderungspolitik zusammen. Diese soll daher im folgenden Kapitel II ausführlich beschrieben und diskutiert werden.

Quelle: Strohmeier, 2002; Eigene Namensgebung für die Cluster

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II. Das institutionelle und instrumentelle System der Wirt-schaftsförderung in Dortmund 1. Wirtschafts- und Beschäftigungsförderung Dortmund (WBF DO) Die WBF DO ist ein Eigenbetrieb der Stadt. Als Werkausschuss fungiert der Ausschuss für Wirtschafts- und Beschäftigungsförderung (AWBF) des Rates der Stadt Dortmund. In der WBF DO sind ca. 80 MitarbeiterInnen (ca. 60 Vollzeit-stelleneinheiten) beschäftigt. Das Jahresbudget umfasste im Jahre 2003 einen Zuschuss der Stadt Dortmund von 8,34 Mio. € sowie des Landes von 1,98 Mio. €. Der Personalaufwand belief sich 2003 auf 4,26 Mio. € (vgl. Stadt Dortmund Wirtschafts- und Beschäftigungsförderung Dortmund (2004 b)). Die Besonder-heit des Dortmunder Ansatzes der Wirtschafts- und Beschäftigungsförderung ist die Integration von Wirtschafts- und Beschäftigungsförderung in einem Amt bzw. Eigenbetrieb. Beschäftigungsförderung wird allerdings auch vom Sozial-amt (über die Dortmunder Dienste GmbH) betrieben (vgl. Ziff. II. 13). 2. Arbeitsbereiche der WBF-DO: Cluster- und Beschäftigungsorientierung - Unternehmensansiedlung international/überregional - Europa-Büro der WBF-DD - Firmenbetreuung - Existenzgründungen und öffentliche Finanzierungshilfen - Branchen- und Technologieentwicklung - Mobilisierung und Vermarktung von Gewerbestandorten - Beschäftigungsförderung, darunter hauptsächlich „Kommunaler Arbeits-

marktfonds KAF)“ (2003 ca. 1,38 Mio. €) - Regionalsekretariat - Regionalstelle Frau und Wirtschaft - Urban II (Budget 2003: 1,08 Mio. € (ohne Projekt Hoesch-Schreinerei)) - KPFM (Kontinuierliche betriebliche Personalentwicklung, regionale Fach-

kräfteentwicklung, arbeitsorientierte Modernisierung) - Kommunikation Die WBF-DO verfolgt somit insgesamt eine Clusterorientierung (Grote Westrick / Rehfeld 2003) entlang ausgewählter Branchen, für die es in Dort-mund gute bzw. sehr gute endogene Voraussetzungen gibt. Zugleich deckt sie den großen Bereich Beschäftigungspolitik ab, zu dem weiter unten (II.14) Stel-lung genommen wird.

Eine weitere Besonderheit der Wirtschaftsförderungspolitik in Dortmund ist seit Jahren die systematische Einbeziehung der Gewerkschaften bzw. ihrer Schlüs-selpersonen in die Konzeptentwicklung, Kontrolle und das Co-Management eines großen Teils der beschlossenen Maßnahmen. Die Arbeitnehmerfraktion in der Verbandsversammlung des KVR sowie der DGB NRW hatte 1997 das Ruhr-memorandum veröffentlicht, in dem der Clusteransatz als Strategie der regiona-len und kommunalen Wirtschaftsförderung ausformuliert wurde (Arbeitnehmer-fraktion.., 1997). 1998 hatte der DGB Kreis Dortmund/Unna/Hamm die Studie

(Quelle: Stadt Dortmund, Wirtschafts- und Beschäftigungsförderung 2004: Halbjahresbericht der Wirtschafts- und Beschäftigungsförderung Dortmund – Halbjahr 2003; www.wbf-do.de)

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Branchenreport (DGB Dortmund/Unna/Hamm, 1998) beim gewerkschaftsnahen Unternehmensberater ISA-Consult in Auftrag gegeben. Seit ca. 10 Jahren tagt der Arbeitskreis Strukturpolitik der Kooperationsstelle Wissenschaft und Ar-beitswelt, der früher beim DGB Dortmund angesiedelt war und heute Teil der Sozialforschungsstelle ist, und beschäftigt sich mit den Problemen einer sozial-verträglichen Gestaltung der Innovationsförderung und des Strukturwandels (Kock, 2003). Die Gewerkschaften kümmern sich diesbezüglich natürlich vor allem um die Aus- und Weiterbildung der Beschäftigten in den alten und den neuen Wirtschaftszweigen, die Initiierung von Beschäftigungs- und Qualifizie-rungsgesellschaften für die in dem raschen Strukturwandel von Arbeitslosigkeit bedrohten Belegschaften sowie darum, auch in den neuen Wirtschaftszweigen Ansätze einer kreativen Vertretung der Interessen der Beschäftigten zu entwi-ckeln (Weiterbildungsfragen, Arbeitszeitregeln usw.). Nicht zuletzt haben sie natürlich auch dafür gekämpft, dass die Großunternehmen, die sich aus der Re-gion zurückzogen, insbesondere Thyssen, Krupp und Hoesch, Ressourcen für die Entwicklung von Ersatzarbeitsplätzen sowohl im traditionellen als auch im innovativen Bereich zur Verfügung stellten. Ohne diese Engagement der Ge-werkschaften (und der Stadt Dortmund) hätte Thyssen-Krupp sich sicherlich nicht gezwungen gesehen, das dortmund-project mit zu initiieren und zu finan-zieren, wobei natürlich auch das Eigeninteresse an einer optimalen Verwertung der brach gefallenen Grundstücke des Konzerns nicht zu vergessen ist. Zur theo-retischen Aufarbeitung dieses gewerkschaftlichen Ansatzes einer arbeitnehmer-orientierten kommunalen und regionalen Strukturpolitik vgl. neben Kock (2003) auch Besse / Dörre / Röttger (2004) sowie Bömer / Mazier / Mouhoud (2004).

3. dortmund-project (www.dortmund-project.de) Die Projektgruppe 05 dortmund-project könnte man als zusätzliche Task-Force der kommunalen Wirtschaftsförderung bezeichnen. Sie ist direkt dem OB unter-stellt (vgl. Übersicht 2 im Anhang) und hat 18 MitarbeiterInnen. Das dortmund-project kauft darüber hinaus Planungs- und Kommunikationsdienstleitungen ein. In den ersten drei Jahren hatte Thyssen-Krupp drei Personalstellen eingebracht. Das dortmund-project hat drei Arbeitsbereiche:

- Führungsbranchen/Unternehmensentwicklung (IT, Mikrostrukturtech-nik, Logistik),

- Führungsstandorte und - Human Ressources.

Das Budget beträgt 6,5 Mio. € jährlich für 10 Jahre, davon ca. 1,5 Mio. für Per-sonalkosten und der Rest für Gründungswettbewerbe, Wachstumsinitiativen, Standortentwicklung (Gutachten etc, nicht Investitionen), Qualifikation (z.B. für das ITC, eine Ausbildungsstätte für IT-Experten) und Kommunikation. Eine grundlegende Evaluation soll im Jahre 2005 erfolgen. Es spricht viel dafür, dass das dortmund-project in die WBF DO integriert wird. Die CDU versucht immer wieder, die WBF DO in eine GmbH mit direkter Beteiligung von Privatunter-nehmen umzuwandeln, wofür es aus meiner Sicht keine vernünftigen Argumen-te gibt. Mit Sicherheit würde dann der Bereich Beschäftigungspolitik stark ge-schwächt. Außerdem würde sich die Koordination mit den anderen Dezernaten, insbesondere für Planung und Umwelt, schwieriger gestalten. Eine erfolgreiche-

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re Wirtschaftsförderung z.B. in Duisburg und Essen, wo die Wirtschaftsförde-rungsgesellschaft als GmbH organisiert ist und private Großkonzerne Miteigen-tümer sind, ist nicht zu erkennen. In jedem Falle würden sich die demokrati-schen Kontrollmöglichkeiten durch den Rat und seinen Ausschuss drastisch ver-ringern.

4. Technologiezentrum (TZDO GmbH), Sondervermögen Verpachtung

Technologiezentrum (SVTZ DO) Nur Insidern ist das komplexe institutionelle und finanzielle System der kom-munalen Wirtschaftsförderung und seine Verflechtung mit den kommunalen Unternehmen und der Privatwirtschaft (vgl. die Übersichten 1-6 im Anhang) bekannt. Es wird im Folgenden einschließlich seiner jüngsten Änderungen2 nä-her erläutert, weil es unter Studierenden und Wissenschaftlern kaum registriert wird.

Während das Technologiezentrum zumeist geläufig ist (vgl. Übersicht 1 im An-hang), ist die Existenz und große Bedeutung des Sondervermögen Technologie-zentrum Dortmund zwar in den Führungszirkeln der politischen Praxis und der Verwaltung präsent, weniger aber in der Öffentlichkeit und auch unter den Wis-senschaftlern und Studierenden, die sich mit Wirtschafts- und Beschäftigungs-förderungspolitik beschäftigen. Das SVTZ DO befindet sich im 100%igen Ei-gentum der Stadt. Geschäftsführer sind der Kämmerer und der GF der WBF DO. Das Management ihrer Einrichtungen, der verschiednen Technologiezent-ren, wird allerdings zumeist in Public-Private-Partnership-Konstruktionen be-trieben. Die zentrale Rolle spielen dabei die TZDO-GmbH sowie die Dortmund-Stiftung und ihre Beteilungsgesellschaft DOPRO und die speziellen Betreiber-gesellschaften für die einzelnen Technologiezentren. Als GF der erstgenannten drei Einrichtungen ist der Hauptgeschäftsführer der TZDO GmbH (Herr Bara-nowski) tätig (Übersichten 1 bis 3 im Anhang).

5. Finanzierung des Sondervermögens Technologiezentrum Dortmund Die Finanzierung dieser technologieorientierten Infrastruktur im Eigentum des SVTZ DO (vgl. Übersichten 4 und 5 im Anhang) erfolgt über EU-Ziel-2 Mittel, Landesmittel sowie Eigenanteile der Stadt Dortmund (vgl. Stadt Dortmund 2 Änderungen im europäischen Vergaberecht erzwingen eine Neuorganisation der institutionel-len Struktur der Dortmunder Wirtschaftsförderung. Bislang hatte die TZDO GmbH das gesamte Immobilienmanagement für das Sondervermögen SVTZ DO per Geschäftsbesorgungsvertrag geleistet. Die Mieter in den Zentren schlossen ihre Mietverträge mit dem TZDO GmbH ab. Dies ist nach neuem EU-Vergaberecht nicht mehr erlaubt, da derartige Geschäftsbesorgungsverträge europaweit ausgeschrieben werden müssen. Die Stadt hat daher eine so genannte Inhouse-Lösung beschlossen. Sie gründet die Technologie-zentrum Dortmund Management GmbH (25.000€ Stammkapital und 100.000€ Kapitalrücklage). Das Sondervermögen übernimmt 95% der Anteile, die TZDO GmbH 5%. Herr Baranowski, GF der TZDO GmbH, wird auch zum GF der neuen Gesellschaft bestellt. Zugleich erwirbt diese neue Gesellschaft 95% der Geschäftsanteile der MST.factory Dortmund GmbH, der Betreiber-gesellschaft der MST.factory auf Phoenix-West. Die Änderung dieser Struktur wird in der Übersicht 6 im Anhang graphisch dargestellt.

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(2004): Drucksache Nr. 05651-04). Letztere bestehen in städtischen Grund-stückseinlagen sowie aus Kreditaufnahmen des Sondervermögens, das somit faktisch einen Nebenhaushalt der Stadt darstellt, der nicht unter die kommunale Haushaltsaufsicht der Regierungspräsidenten fällt, sondern sich an die Landes-Richtlinien für die Führung von Sondervermögen halten muss. Die technologie-politische Offensive der Stadt konnte und kann somit finanziert werden, obwohl der Kommunalhaushalt mit Ausnahme der Jahre 1999 und 2000 seit langem stark defizitär ist, die Stadt einem (nicht genehmigten) Haushaltssicherungskon-zept unterliegt und Wirtschaftsförderung bekanntlich keine kommunale Pflicht-aufgabe ist. 6. Innovationsorientiertes Wirtschaftsförderungskonzept bisher erfolgreich Dieses Konzept der kommunalen Innovationspolitik ist eng mit der regionalen Struktur- und Innovationspolitik des Landes NRW und der EU verbunden. Es geht natürlich nur auf, wenn die Technologiezentren erstens gut ausgelastet sind und die Miet- bzw. Pachteinnahmen die kommunalen Investitionsanteile auf Dauer refinanzieren (die EU- und Landeszuschüsse sind „verlorene Zuschüsse“ aus dem EU- Ziel-2-Programm). Zweitens müssen durch Neugründungen aus den Technologienzentren heraus so viele neue Unternehmen und Arbeitsplätze entstehen, dass der Kommune zusätzliche Steuereinnahmen zufließen und die kommunalen Lasten der Arbeitslosigkeit (Sozialhilfe) reduziert bzw. zumindest in Grenzen gehalten werden. Außerdem müssen die kommunalen Finanzie-rungsanteile für die allgemeine wirtschaftsbezogene Infrastruktur (z.B. der Um-bau der Erschließungsstraßen für Phoenix West) refinanziert werden. Seit Mitte der 80er Jahre, also der Eröffnung des Technologiezentrums Dort-mund, war dieser strategische Ansatz (mit unterschiedlicher Intensität) sehr er-folgreich, besonders natürlich in den Jahren starken gesamtwirtschaftlichen Wachstums, also von 1989 bis 1992 (Einigungsboom) und 1998 bis 2000 (New Economy Boom). Dies lässt sich indirekt auch aus Abb. 2 ableiten. Einzelne Projekte sind aber auch schon in dieser Periode gescheitert, insbesondere das Digitale Medientechnische Technologiezentrum (TCC) (Sonderabschreibung für das Sondervermögen im Geschäftsjahr 2001 ca. 3,65 Mio. €) und damit die Entwicklung des medienwirtschaftlichen Clusters in Dortmund. Die „zweite Stufe der Globalisierung“, in der insbesondere im IT-Bereich Aus-lagerungen nicht nur von Backoffice-Arbeitsplätzen, z.B. Callcenter, sondern auch von qualifizierter Software-Entwicklung nach Indien oder zunehmend auch nach Mittel- und Osteuropa erfolgen, setzt natürlich auch die bereits vorhandene Software-Industrie in Dortmund unter Druck. Es ist daher durchaus nicht selbst-verständlich, dass dieser Komplex, der nach neuen Zählungen der WBF DO 2002 ca. 12.000 Arbeitsplätze umfasste, diese Größenordnung problemlos erhal-ten oder gar weiter steigern kann. In der zweiten Runde der Globalisierung werden auch die Unternehmens- und Standortstrukturen der Global Player der IT-Wirtschaft erneut zur Disposition gestellt, wobei die kommunale Wirtschaftsförderung hier nur eine geringe Ein-flussmöglichkeit hat. Thyssen Krupp hat z.B. sein eigenes IT-Dienstleistungsunternehmen Triaton, das aus dem Rechzentrum der Hoesch AG entstanden war, im Februar 2004 an Hewlett Packard (HP) verkauft. Dieses Weltunternehmen kündigt seinerseits keine drei Monate später an, dass ca. 330

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der 1900 Triaton-Arbeitsplätze abgebaut werden sollen. In Dormund sind der-zeit 500 Menschen bei diesem Unternehmen beschäftigt (WR, 28.5.04, RWI1). Die Niederlassungen in Essen (bisherige Hauptverwaltung) und Frankfurt sollen besonders gefährdet sein. Das Unternehmen wird zukünftig von Böblingen, dem HP-Sitz in Deutschland, geführt werden. Es sind also auch erneute Anstrengungen der Unternehmen, aber auch der Wirt-schaftsförderung, erforderlich, um diesen Sektor in Dortmund auch unter den neuen Bedingungen zu entwickeln. Das dortmund-project sah im Jahr 2000 für diesen Sektor eine Steigerung um 34.000 Arbeitsplätze bis zum Jahre 2010 vor, eine auch aus damaliger kritischer Sicht sicherlich völlig unrealistische Annah-me. Als Erfolg bleibt aber festzuhalten, dass die IT- und Software-Industrie in den Krisenjahren der New Economy ihr Potential absolut in etwa halten konnte und im Vergleich zum Bundesdurchschnitt etwas besser abschnitt (Stadt Dort-mund, 2004 a).

7. Konzeptintensivierung seit dem Jahr 2000 Mit dem dortmund-project (ab 1999 konzipiert, im Jahr 2000 vom Rat der Stadt beschlossen) ist der „Brutkastenansatz“ des TZDO erweitert worden: die neuen Einrichtungen sind in Übersicht 4 aufgeführt und in Übersicht 5 in ihrer finan-ziellen Dimension (Gesamtinvestitionsvolumen und Hauptfinanzierungsquellen) dargestellt: ohne den Bauabschnitt 1-5, die im wesentlichen vor dem Beginn des dortmund-project realisiert wurden, werden 137,9 Mio. € in neue Technologie-zentren investiert. EU und Land schießen 72,2 Mio. € als Strukturhilfen zu, während das SVTZ DO Kredite in Höhe von 61,9 Mio. € aufgenommen hat. Zum Vergleich: Die Investitionskosten für den Dortmunder Flughafenausbau beliefen sich auf ca. 125 Mio. €, für das Konzerthaus auf ca. 50 Mio. €. Die politischen Entscheidungen für die neuen Bauabschnitte des TZDO waren Resultat des durch den Boom der New Economy gespeisten Optimismus der Jahre 1998 bis 2000, der durch die irreale Prognose der McKinsey-Berater ge-steigert wurde (ursprünglich + 100.000 Arbeitsplätze bis 2010, von der WBF-DO-Führung schon auf 70.000 reduziert (Küpper, Januar 2004, Uni Dortmund)). Aus meiner Sicht wäre es dagegen bereits ein Erfolg, wenn sich das Tempo der Generierung neuer Arbeitsplätze in den neuen Leitsektoren im Rahmen der let-zen 15 Jahre bewegen würde (+ ca.15.000 Arbeitsplätze in den technologiein-tensiven Leitsektoren seit 1985). Alle darüber hinausgehenden Zuwachsraten hängen - wie in Ziff. I.2 und III.1 ausgeführt – weitgehend von der allgemeinen Wirtschaftspolitik ab.

8. Biomedizin-Technologie: Phönix aus der Asche in Dortmund!? Überraschend ist die schnelle Durchsetzung des neuen Schwerpunkts Biomedi-zin-Technologie und Proteom-Kompetenzzentrum in Dortmund. In die drei Ausbaustufen dieses neuen Komplexes, dessen Fertigstellung für 2005 erwartet wird und der direkt neben dem Max-Planck-Institut für molekulare Physiologie auf dem Campus gebaut wird, werden insgesamt ca. 54,5 Mio. € investiert. In diesem Sektor herrscht ein intensiver Wettlauf um Fördermittel vor allem mit der Stadt Bochum. Die Universität Dortmund und die Fachhochschule haben mit den neuen Studiengängen „Bioingenieurwesen“ (Chemische Biologie und Mik-

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rostrukturtechnik) auf diesen Schwerpunkt reagiert bzw. ihn mit befördert. Al-lein in den Räumlichkeiten dieses Technologiezentrums können ca. 650 Be-schäftigte Platz finden. Dieses Projekt wird allerdings in einer Zeit umgesetzt, in der der erste Boom der biotechnologischen Industrie abgeflaut ist und die Kon-kurrenz mit den anderen biomedizinischen und biotechnologischen Wachstums-polen in Deutschland und Europa härter geworden ist. Dortmund verfügt mit den verschiednen Max-Planck-Instituten und dem weiteren Technologieschwer-punkt Mikrostrukturtechnik dennoch über gute Voraussetzungen, diesen Weg erfolgreich fortzusetzen. 9. Finanzierung des Gesamtansatzes und des Flagship-Projekts Phoenix Die Stadt Dortmund ist äußerst erfolgreich bei der Einwerbung von EU- und Landesmitteln für die Finanzierung der genannten Technologie-Infrastrukturprojekt sowie der Zukunftsstandorte: Von 2000 bis Januar 2004 wurden ca. 160 Mio. € (einschließlich des Großprojekts Phoenix-West) bewilligt (Küpper, 2004, S. 20: Europa kommunal, Heft 1/2004; vgl. auch Ziffer 14). Im Vergleich zu den anderen Städten im Ruhrgebiet ist dies eine sehr erfolgreiche Bilanz (vgl. Tab. 4), die mit der Tatsache zusammenhängt, dass Dortmund sich im Konzept der Clusterförderung des Landes NRW bereits seit Mitte der 80er Jahre und speziell in den 90er Jahren den Ruf eines soliden und dynamischen Technologiestandorts erarbeitet hat und über die entsprechenden administrativen Kapazitäten und Netzwerke verfügt.

Die Stadt hat zudem für insgesamt 16,8 Mio. € das Gelände Phoenix Ost (ca. 100 ha) gekauft, davon 11,3 Mio. € für die „Kernfläche“, 3,7 Mio. € für die Flä-che nördlich Hörder Burg/Fass Str. und 1,8 Mio. €. für ein Flächenteilstück an der Hermannstr. Zunächst wurde in der Öffentlichkeit seitens der Stadtverwal-tung der Eindruck erweckt, als werde die Gesamtfläche weitgehend im Zustand „oben ohne“ von Thyssen Krupp Stahl gekauft. TKS sollte danach auf eigene Kosten alle oberirdischen Gebäude abräumen, nicht aber den Boden sanieren. Laut Recherche des WR-Redakteurs Gregor Beushausen lässt sich TKS aber „...den Abriss der Anlagen vom künftigen Vorhabenträger Dortmunder Stadt-werke bezahlen“, und zwar für ca. 12 Mio. € (WR, 24.04.04). Das Engagement der TK AG im dortmund-project kann somit als extrem eigennützig charakteri-siert werden: Es war ein sehr kostengünstiges Instrument, um die großen TKS-Brachflächen möglichst profitabel und schnell zu verwerten. Die aus dem (politisch umstrittenen) Cross-Border-Leasing-Stadtbahnprojekt erlösten 70 Mio. €, die bei den Stadtwerken geparkt sind, stehen weitgehend für die Finanzierung des Grundstückskaufs und die Anlage des Phoenix-Sees und der umliegenden Baugebiete zur Verfügung, wobei natürlich versucht wird, jedmögliche Landes- und EU-Töpfe anzuzapfen. Die Gesamtkosten für Phoenix-Ost werden nach dem bisherigen Stand mit 182 Mio. € kalkuliert. Allein die Bodensanierung und Vorbereitung für die Flutung des Sees im Jahre 2007 wird mit ca. 40 Mio. € veranschlagt. Die Stadt hat aus dem Landestopf Stadterneuerung 17,1 Mio. € Landeszuschuss beantragt und rechnet insgesamt mit Landesmitteln in Höhe von 31 Mio. € (WR, 8.4.04, RDO02; WR, 21.4.04 RDO01). Die Differenz muss aus den Verkaufserlösen der Grundstücke am See und den Cross-Border-Leasing Fonds finanziert werden. Bei schwacher Konjunktur, die

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sich natürlich ganz besonders auch in den (fehlenden) Bauaufträgen nieder-schlägt, kommt damit zumindest ein sehr hohes Vorfinanzierungsvolumen auf die Entwicklungsgesellschaft Phoenix-Ost, eine Tochter der DSW Dortmunder Stadtwerke AG, zu.

Das Gelände Phoenix-West (ca. 110 ha) war mit Ausnahme des an BMW ver-kauften Grundstücks für ca. 20 Mio. € von der LEG erworben worden, die es auch entwickelt.

Seit dem Jahre 2000 werden also verstärkt öffentliche Vorleistungen im großen Umfang und mit nicht gerade geringem Risiko getätigt. Dies ist – wie bereits oben angemerkt – aus meiner Sicht gerechtfertigt. Man sollte sich aber natürlich der Risiken voll bewusst sein. Diese sind umso größer, je schlechter die ge-samtwirtschaftliche Entwicklung verläuft, weil diese die Chancen zur Generie-rung von Ersatzarbeitsplätzen sowohl im High-Tech als auch im „normalen“ und Low-Tech-Bereich und vor allem auch im Wohnungsbau ganz wesentlich determiniert. 10. microParts – ein Sonderansatz der Wirtschaftsförderung Ein Sonderansatz wird mit dem Mikrostrukturzentrum (im alten Technologie-park) gefahren: microParts, eine Tochtergesellschaft der STEAG und damit derzeit noch der RAG, in Zukunft möglicherweise von REW, ist der Haupt-Pächter dieser Anlage. Hier stellt das SVTZ einem Privatunternehmen faktisch eine weitgehend komplette Fabrik zur Produktion von Zerstäubern durch Ver-pachtung zur Verfügung. Dies ist, solange das Unternehmen erfolgreich ist und die Pachterlöse die kommunalen Investitionsanteile decken, für das SVTZ DO sogar rentierlich. Im Herbst 2003 betrug die Beschäftigtenzahl rd. 270. Das In-vestitionsvolumen für die geplante Erweiterung umfasst ca. 25 Mio. € in das Gebäude sowie ca. 55 Mio. € in den Maschinenpark (Stadt Dortmund, 2003c). Letztere sind in jedem Fall vom Unternehmen selbst zu finanzieren, aber mit 15-20% aus Mitteln der EU-Strukturförderung bezuschussbar, solange das Land noch Erweiterungsinvestitionen in der Privatwirtschaft aus Ziel-2-Mitteln för-dert. Die Gebäudeinvestitionen würden analog zum oben beschriebenen Modell vom SVTZ DO finanziert. Die geplante Erweiterung dieser Fabrik wird nach Unternehmensangaben zusätzlich bis zu 400 neue Arbeitsplätze schaffen. Sie wird nach diesem Modell nach Maßgabe des Ausschusses für Wirtschafts- und Beschäftigungsförderung aber nur zustande kommen, wenn die Pachtzahlungen für die Erweiterung der Reinstraumgebäude über einen langen Zeitraum durch die jeweilige Mutter des Unternehmens und/oder die Auftragsgeber (Boehringer Ingelheim) via harter Patronatserklärungen garantiert werden. Über die pla-nungsrechtlichen Probleme dieser Fabrikerweiterung soll hier nicht berichtet werden (vgl. Stadt Dortmund (2003d). Sollte diese Fabrikerweiterung realisiert werden, wäre dies sicherlich ein großer Erfolg der kommunalen Wirtschaftsförderungspolitik im Leitsektor Mikrostruk-turtechnik, selbst wenn die Erweiterung weniger als 400 zusätzliche Arbeitsplät-ze bringen würde. Ein Schönheitsfehler besteht allerdings darin, dass diese An-kerinvestition nicht auf Phoenix-West, dem zukünftigen Technologiepark mit den Schwerpunkten MST und IT, stattfindet (Ziff. 11).

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11. Risiken der Dortmunder Wirtschaftsförderung Die Risiken dieses Gesamtansatzes der Wirtschaftsförderung würde ich wie folgt beschreiben: Neben den jährlich auflaufenden Verlusten des SVTZ DO (2002: 1,2 Mio. €, 2003: 1,9 Mio. € - sie werden verursacht durch zu geringe Pachteinnahmen und Leerstände in den Technologiezentren und durch Auflö-sung von Rücklagen bzw. durch Grundstückseinlagen der Stadt gedeckt - im schlimmsten Fall direkt durch den Kommunalhaushalt abzusichern sein) besteht ein weiteres Hauptrisiko des Szenarios „70.000“ darin, dass bei einem deutlich geringeren Arbeitsplatzzuwachs, also bei etwa 15.000-20.000 bis zum Jahre 2010, derzeit zu viele Standorte für die High-Tech-Industrie und den High-Tech-Bürosektor gleichzeitig entwickelt werden (Erweiterung Technologiepark im „Weißem Feld“; Stadtkrone Ost, Phoenix West, B1-Achse (vgl. Karte 1 im Anhang (Dortmund-Projekt- Zukunftsstandorte)). Diese Standorte und Zentren, die auch noch von unterschiedlichen Entwicklungsgesellschaften (TZDO-GmbH und WBF DO, Entwicklungsgesellschaft Stadtkrone Ost und Phoenix Ost (Töchter der Stadtwerke AG); Landesentwicklungsgesellschaft (LEG) auf Phoe-nix West, TK-Immobilien (LEP-6-Fläche/ Westfalenhütte) sowie sonstigen pri-vaten Immobilieneignern und –entwicklern, insbesondere and der B1-Achse sowie am Flughafen) bearbeitet und vermarktet werden, könnten sich gegensei-tig das Wasser abgraben und damit zumindest partiell zum Scheitern verurteilt sein. Zwar bemüht sich die WBF DO um eine Koordination der Vermarktungs-aktivitäten. Sie hat z.B. mit der LEG für Phoenix-West auch ein entsprechendes Abkommen unterzeichnet und steht selbstverständlich mit den Stadtwerken und ihren Tochtergesellschaften Stadtkrone Ost und Phoenix Ost in engem Kontakt. Dennoch könnten hier bei einem Andauern der konjunkturellen Durststrecke verstärkt Probleme auftauchen, weil der Druck wächst, die Flächen unter allen Umständen zu vermarkten.

Insbesondere die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Rat der Stadt Dortmund hatte sich daher gegen die Erweiterung des Technologieparks im Weißen Feld sowie südlich der S-Bahn (gegenüber dem neuen Biomed-Technologiezentrum ausgesprochen), einerseits aus Gründen des Schutzes von Grünzügen und Aus-gleichsräumen, andererseits mit der Intention, alle zusätzlichen Ansiedlungen im High-Tech-Bereich insbesondere auf die Fläche Phoenix-West zu lenken. Denn es dürfte schwer genug werden, diese Fläche und ihre wunderbaren alten Indust-riedenkmäler (2 Hochöfen sowie die Gebläsehalle, die nach den derzeitigen Plä-nen zu einer Software-Factory umgebaut werden soll, die Phoenix-Halle (ehem. Reserveteillager) und einige andere Gebäude), in deren unmittelbarer Nähe der-zeit der erste Bauabschnitt der MST-Factory errichtet wird, erfolgreich zu ver-markten. 12. Technologie- und Gründerzentren der „zweiten Liga“ als Förderin-

strumente für den benachteiligten Norden Neben den Großprojekten haben sich in Dortmund auch weniger spektakuläre, aber dennoch außerordentlich wichtige Projekte etabliert bzw. sind in Planung. Das Depot-Immermannstraße ist ein IBA-Projekt (ca. 4 Mio. € Bauzuschuss des Landes NRW) mit dem Schwerpunkt kunstgewerbliche Betriebe. Seit zwei Jahrzehnten wird mit relativ großem Erfolg der Gewerbehof Huckarder Straße

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betrieben. Die WBF DO beabsichtigt inzwischen, neben dem e-port in der Dortmunder Nordstadt ein weiteres Innovationszentrum zu entwickeln. Im Ur-ban II –Projekt für die Nordstadt versuchen zahlreiche einzelne Initiativen und Projekte, die lokale Ökonomie dieses Stadtteils mit ca. 55.000 EinwohnerInnen und einem hohen Immigrantenanteil zu stärken. Die Nordstadt verfügt wegen ihrer hohen Dichte und Funktionsmischung durchaus auch über Potentiale für die Beherbergung kreativer und innovativer Industrien und Dienstleistungen (Läpple 2003). Die lokale Ökonomieförderung ist ein absolut notwendiger, wenn auch bei weitem nicht hinreichender Politikansatz (Overschmidt, 2003; Bömer, 2000, 174 ff), um in diesem Stadtteil eine durchgreifende Verringerung der Arbeitslosigkeit und der Armutsprobleme zu erreichen.

Neben den öffentlich bzw. öffentlich privaten Projekten haben sich in verschie-denen Stadtteilen auch rein private Entwicklungsschwerpunkte etabliert (Hörder Burg und ehemalige Stiftsbrauerei; Gewerbehof Defdahl usw.), die sich teilwei-se sehr erfolgreich entwickeln. 13. Informationen zum Sektor Beschäftigungsförderung der WBF DO In Ziffer II.1 wurde bereits auf ein Alleinstellungsmerkmal der Dortmunder Wirtschaftsförderung, die Einheit von Wirtschafts- und Beschäftigungsförde-rung in einer Gesellschaft (Eigenbetrieb WBF-DO) hingewiesen. Die folgenden Übersichten informieren über das breite Spektrum der Aktivitäten im Bereich Beschäftigung und Qualifizierung sowie über Finanzierung. Bemerkenswert ist die Hebelwirkung, die das Personal der WBF-DO mit der Einwerbung diverser Projekte erzielt. Es darf andererseits nicht verschwiegen werden, dass –gemessen an der Gesamtzahl der Arbeitslosen in Dortmund – bislang lediglich ca. 10% der Arbeitslosen eines Jahres Nutznießer einer Qualifizierung- bzw. Beschäftigungsmaßnahme waren. Mit den Hartz- „Reformen“ hat sich bereits und wird sich diese Zahl drastisch reduzieren.

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Tab. 2: Beschäftigungs- und Qualifizierungsaktivitäten der WBF-DO Arbeitsbereiche Instrumente Netzwerke - EFS-Regionalsekretariat

Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesell-schaften

Dortmunder Forum Frau und Wirtschaft

- Kommunale sowie europäische Arbeits-marktprojekte

Beschäftigungstransfer von Arbeit in Arbeit Betriebliche Modernisie-rung und Qualifizierung

Deutsch-Öster. URBAN Netzwerk EFS- Arbeitsmarktkonferenz Facharbeitskreis Qualifizie-rung ISB e.V. KPFM-Netzwerk Lernende Region: LernDO Lokales Kompetenznetzwerk Beschäftigungstransfer (LOKON)

- Lokale Ökonomie/ Urban II

Einzelfallbetreuung Dortmunder Weiterbildungs-forum

- Regionalstelle Frau und Wirtschaft

Existenzgrünung Förderung von konzeptio-nellen Studien Jugend in Arbeit Kommunaler Arbeits-marktfonds Projekte zur Förderung der lokalen Ökonomie

Weiterbildungsinitiative NRW

- Existenzgründung Tabelle 3: Finanzierung arbeitsmarktpolitischer Projekte in Dortmund 2003 Stadt Dortmund Sozialamt * ca.

12,4 Mio. €

URBAN II-Lokale Ökonomie 1,8 KAF – Kommunaler Arbeitsmarktfonds 1,3 Gesamt (gerundet) 15,5 Eingliederungstitel Ar-

beitsamt Dortmund in Mio. €

Landes ESF-Ziel 2 und 3 Mittel in Mio. €

1999 Nicht verfügbar 26,3 2000 2001

109,0 Mio. € 123,0

5,0 11,6

2002 119,0 13,9 2003 111,6 6,9 Diese insgesamt recht beeindruckenden Zahlen brechen allerdings aufgrund der Hartz-Gesetze und der dramatisch restriktiveren Arbeitsmarktpolitik seit 2003 und insbesondere im Jahre 2004ff enorm ein: „Die Bundesagentur für Arbeit hat

Quelle: Küpper, U. I. (2 004): Vortragspapier Arbeitsmarktforum Dortmund, o.O., o.J., S. 2 (Dortmund, Feb. 2004) Folie 2

*(Mittel der eingesparten Sozialhilfe, Kommunales Beschäftigungsprogramm, Landespro-gramm ASS (Arbeit statt Sozialhilfe) und ESF, Dortmunder Dienste);Quelle: Küpper, 2004 Folie 9, S. 6

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für 2004 ein Budget vorgelegt, das starke Reduzierungen bei ABM, Förderung der beruflichen Weiterbildung und weiteren Arbeitsmarktinstrumenten vorsieht, insgesamt für Dortmund -26 Mio. €. Das entspricht einer Verminderung um ¼ des Gesamtbudgets gegenüber dem Vorjahr“ (Küpper, 2004, ebenda, S. 9). Ein „Nebeneffekt“ dieser radikalen Kürzungen der BA und auch von Landespro-grammen besteht darin, dass viele eingespielte und hoch qualifizierte Träger der Arbeitsmarktpolitik Entlassungen aussprechen bzw. ganz verschwinden. Damit wird ein Erfahrungspotential vernichtet, das selbst im Falle einer (derzeit nicht absehbaren) Reform der „Reformen“ nicht einfach wieder aktivierbar sein wird. 14. EU-Strukturpolitik: Dortmund als Schwerpunkt im Ruhrgebiet Dortmund hat im Vergleich mit anderen Ruhrgebietsstädten im Rahmen des NRW-Ziel 2-Programms 2000-2006 sehr erfolgreich Projektmittel eingeworben. Tabelle 4: Alle bisher akzeptierten Projekte (2000-April 2004) Von EU (1000€) Gesamt Invest (1000€) Dortmund 69.000 242,400 Bochum 34.700 93.200 Essen 25.200 75.100 Duisburg 51.000 146.400 Oberhausen 16.900 87.500 Kreis Unna 4.800 43.800 Darunter (Gesamtsummen in Mio. €) Dortmund Duisburg Essen Bochum 1.1. Zuschüsse zu ge-

werblichen Investi-tionen

63,9 36,1 8,3 13,9

2.1 Technologie+ Innovationen

35,4 17,2 6,8 10,4

2.5 Medien + Kommu-nikation

10,2 - - 1,0

3.1 Standortentwicklung (Gewerbe, Dienstl.)

15,2 38,2 26,7 9,6

3.3 Technologietransfer, Qualifizierung

110,9 37,0 28,1 1,0

Wenn das politische Ruder in Berlin und in den anderen Hauptstädten der EU-Nettobeitragszahler nicht noch herumgerissen wird, wird die Ziel-2 Förderung für das Ruhrgebiet und andere westeuropäische Krisenregionen in der neuen Rechnungsperiode 2007-2013 drastisch reduziert werden, obwohl die Struktur-probleme noch lange nicht gelöst sein werden. Ursache ist die finanzpolitische Position der EU-Nettozahler (insbes. Deutschland, Frankreich und UK), den

Quelle: Wirtschafts- und Beschäftigungsförderung Dortmund (2004) Tischvorlage zum AWBF am 17.03.04 zu Top 3.4 Ergänzende Unterlagen von GF Dr. Küpper zum TOP: Europäische Strukturförderung Nach Angaben des dortmund-project sind von 200-2003 für 110 Projekte mit einem Gesamtvo-lumen von 243 Mio. € rd. 108 Mio. € Strukturförderhilfen nach Dortmund geflossen (Stadt Dortmund, 2004 a, S. 2).

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EU-Haushalt bei 1 Prozent des EU-BIP zu deckeln und nicht einmal dem Kom-missionsvorschlag zu folgen, der 1.14% vorsieht ( (Kommission der europäi-schen Gemeinschaften, 2004a). Dass diese Haltung makroökonomisch kontra-produktiv ist, wird in Kap. I.2 und III.1/2 gezeigt. Vgl. auch : Etxezarreta, M./Grahl, J./Huffschmid, J./Mazier, J. u. a.(2004). In diesem Falle würden die Regionalmittel größten Teils in die neuen Mitgliedsländer fließen und in den westeuropäischen Ziel-2-Regionen lediglich Auslaufprogramme zu erwarten sein. 15. „Unsichtbare“ Strukturpolitik Die Qualität der Schul- und Berufsausbildung spielt eine zentrale Rolle für die Beschäftigungsfähigkeit insbesondere der nachwachsenden Generationen. Zwar macht die folgende Grafik deutlich, dass auch die Arbeitslosigkeitsquoten der Hochqualifizierten deutlich von der Konjunkturentwicklung abhängen und somit eine gute Bildungspolitik nicht Ersatz für eine gute Konjunkturpolitik sein kann. Völlig klar ist jedoch, dass gute Bildungsvoraussetzungen c.p. die Be-schäftigungschancen eindeutig erhöhen (vgl. hierzu auch diverse IAT-Studien und die folgende IAB-Grafik zum Zusammenhang von Bildungsabschluss und Arbeitslosigkeit (Abb. 6)). Abbildung 6:

Quelle: IAB-Kurzbericht (IAB, Nürnberg)

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Die Stadt Dortmund hat mit ihrem Schulsanierungsprogramm ab 1999 auf die bauliche Komponente der Bildungsmisere reagiert und seit 1999 ca. 100 Mio. € in den Schulneubau und die Asbest- und PCB-Sanierung gesteckt (WR, 12.5.04). Allerdings sind allein für die Roh-Sanierung der Berufskollegs ca. weitere 40 Mio. € erforderlich, die haushaltsmäßig noch nicht dargestellt sind. Im Vergleich zu den unter 17. diskutierten Projekten wäre es allemal sinnvoller, die Investitionen in das Bildungswesen voranzutreiben. Die Stadt Dortmund hat zudem für die Ausweitung des ganztägigen Schulangebots vergleichsweise die meisten Anträge in NRW gestellt und weitet somit ihr Angebot zügig aus. 16. „Lokale Konjunkturprogramme“ besonderer Art: 3do und B1-

Untertunnelung NRW-Ministerpräsident Steinbrück bezeichnet in einer Beilage der Westfäli-schen Rundschau vom 30.3.04 die geplante Bahnhofsüberbauung in Dortmund (3do), deren Baubeginn sich aber immer wieder verzögert, als „lokales Kon-junkturprogramm“. Derzeit wird das Investitionsvolumen dieses Projekts mit ca. 550 Mio. € gehandelt, also bei einem Beschäftigtenjahr/Auftragsvolumen von 50.000€ entsprechend 11,000 Beschäftigtenjahre, einschließlich der Multiplika-toreffekte ca. 22.000 Beschäftigtenjahre – alles bezogen auf die auf 3-4 Jahre zu schätzende Bauphase. Die öffentlichen Zuschüsse sollen sich auf ca. 130 Mio. € belaufen. Angeblich werden in dem Gesamtkomplex dann ca. 4000 Arbeitskräf-te beschäftigt sein (!?). Natürlich wird in der Bauphase das regionale Bau- und Ausbaugewerbe entsprechend belebt, sofern seine Unternehmen als Auftrag-nehmer zum Zuge kommen und die Arbeitskräfte nicht hauptsächlich von dubi-osen Sub- und Nachunternehmen gestellt werden. Unter sonst gleich bleibenden gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen, insbesondere der anhaltenden Schwäche der Konsumnachfrage, wird sich allerdings der Einzelhandels- und freizeitwirtschaftliche Umsatz in Dortmund nicht wesentlich erhöhen, sondern es wird lediglich der Verdrängungswettbewerb intensiviert. Es wäre dann also mit zahlreichen zusätzlichen Geschäftsaufgaben im Rest der City und in den Stadtbezirken zu rechnen. Für neue Großprojekte wie die Bebauung des Union-Geländes auch mit Einzelhandelsflächen könnte die Bahnhofsüberbauung somit eine schwere Hypothek werden (und vice versa). Aus dem Landestopf für die Förderung des Schienenverkehrs werden zudem enorme Mittel für dieses Pro-jekt gebunden, auf Kosten der Sanierung zahlreicher kleiner Bahnhöfe (Beispiel Hörde). Programme mit ähnlicher Beschäftigungswirkung in der Bauphase sind die In-vestitionsprojekte zur Vorbereitung der Fußball-WM 2006, der sechsspurige Ausbau der A-40/B1 vom Autobahnkreuz Dortmund-West bis zur Wittekind-straße, darin enthalten der Neubau der Schnettgerbrücke und schließlich die Un-tertunnelung der B1, Projekte, die insgesamt mit etwa 400 Mio. Euro anzusetzen sind.

17. Die Last der Krise der Kommunalfinanzen in Dortmund In den Jahren 1999 und 2000 war der kommunale Verwaltungshaushalt in Dortmund nach einer langen Periode hoher Defizite ausgeglichen. Mit der der Gründung des Sondervermögens Wohnbauflächen im Jahre 1999, das wie das

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Sondervermögen Technologiezentrum Dortmund einen Nebenhaushalt darstellt, hatte sich die Politik zwar „Gestaltungsspielraum“ geschaffen, der mithalf, zu-fällig (?) rechtzeitig zu den Kommunalwahlen einen ausgeglichenen Haushalt präsentieren zu können. Verglichen mit dem ab 2001 explodierenden Defiziten war dies aber in der Tat noch eine sehr entspannte Lage. Im Jahr 2002, in dem der Doppelhaushalt für die Jahre 2003 und 2004 vorbereitet und beschlossen wurde, waren die folgenden Defizite für die Jahre 2002 bis 2007 prognostiziert worden: Tab. 5a: Geschätzte Haushaltbudgets (Verwaltungshaushalt) und Defizite der Stadt Dortmund (2002-2007) in Mio. € Jahr 2002 2003 2004 2005 2006 2007 Ausgaben 1.471 1.535 1.630 1.652 1.659 1.663 Defizit 116,8 189,2 253,6 261,9 269,7 258,8 Defizit in % des Budgets

7.9 11.8 15.6 15.9 16.3 15.6

Die Hauptursachen für diese schlechte Entwicklung liegen erstens im Wegbre-chen der Steuereinnahmen, insbesondere der Unternehmenssteuern (Körper-schaftssteuer und Gewerbesteuer vgl. Abb. 7 und Tab. 5d, 4.), als Resultat der Unternehmenssteuerreform aus dem Jahre 2000, zweitens in der Stagnation der Wirtschaft seit der 2. Jahreshälfte 2000, die die Steuereinnahmen generell unter die erwarteten Einnahmen sinken ließ (vgl. ebenfalls Abb. 7 und Tab. 5d, 4. ), und schließlich drittens im Ansteigen der Ausgaben insbesondere für die Sozi-alhilfe als Folge der gestiegenen Arbeitslosigkeit (vgl. Tab. 5d, 7.). Das Haushaltssicherungskonzept der Stadt Dortmund vom Januar 2002 sah ne-ben Minderausgaben von 10 Mio. € in 2003, 20 Mio. € in 2004 und 30 Mio. € in 2005, 40 Mio. € in 2006 und 50 Mio. € in 2007 Mehreinnahmen bzw. Entlas-tungen in Höhe von 102 Mio. € vor (60 Mio. € p.a. aus der kommunalen Fi-nanzreform + konjunkturelle Verbesserung ab 2005 und 42 Mio. € p.a. ab 2004 als Einspareffekt aus der Zusammenlegung der Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zum Arbeitslosengeld II). Der „originäre Fehlbedarf“ sollte daher bis 2007 auf Null reduziert werden (Tab. 5b, Spalte 8).

Tab. 5b Haushaltssicherung 2003 bis 2007 – Verwaltungshaushalt- Ratsbe-schluss vom 19.12.02 (in Mio. €)

Jahr Fehl-

bedarf Darin Fehl- bedarfe aus Vorjahren

Gemeinde- finanz- refom incl. Konjunktur verb.

Infra-struktur- revision

Steuer- vergünsti- gungs- abbaugesetz

Alo.-Geld II

Originä-rer Fehl-bedarf

1 2 3 4 5 6 7 8 2002 116,8 0,0 0,0 0,0 116,8 2003 213,6 56,3 0,0 0,0 4,0 157,3 2004 224,1 116,8 0,0 0,0 10,0 42,0 107,3 2005 239,9 213,6 60,0 30,0 19,0 42,0 26,3 2006 241,2 224,1 60,0 40,0 20,1 42,0 17,1 2007 239,9 239,9 60,0 50,0 21,2 42,0 0,0 Summe 180,0 120,0 74,3 168,0 424,8 Quelle: Stadt Dortmund, Kämmerei (20.1.2004): Ergebnisse und Auswirkungen Vermittlungs-ausschuss Hartz IV, S. 4

Quelle: Stadt Dortmund (2002), Drucksache 02683-02, 3.5.02

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Ein Jahr später ist die große Ernüchterung bezüglich der Kommunalverträglich-keit der „Reformen“ eingetreten. Wie die Tabelle 5c ausweist, wird sich der neue „originäre Fehlbedarf für 2007 immer noch auf 75,6 Mio. € belaufen. Der akkumulierte „originäre Fehlbedarf“ für die Periode 2002 bis 2007 wurde 2002 auf 424,8 Mio. € geschätzt, im Januar 2004 dagegen bereits auf 645,7 Mio. €. Die Verschuldungslage der Stadt wird sich also drastisch verschlechtern. Tab. 5c: Haushaltssicherung 2003-2007 – Verwaltungshaushalt – Neukalkulati-on der Haushaltssicherungsmaßnahmen (Januar 2004) in Mio. € Jahr Fehl-

bedarf H-Plan 2003/ 2004

Darin Fehl- bedar-fe aus Vor- jahren

Bish. Origi-närer Fehl-bedarf

Bereits Enthalt- ene Ver-besser-ungen

Bishe-riger Fehl-bedarf (Sp.4+5)

Grund-steuer-änder-ung

Infra-struk-tur-revisi-on

Verb. Tarif Und Besol-dung

Neuer Originä-rer Fehlbe-darf

1 2 3 4 5 6 7 8 11 13 2002 50,6 0,0 50,6 0,0 50,6 0,0 0,0 0,0 50,6 2003 213,6 56,3 157,3 4,0 161,3 0,0 0,0 2,2 155,1 2004 157,9 116,8 107,3 52,0 159,3 -2,3 0,0 10,6 148,1 2005 239,9 213,6 26,3 151,0 177,3 7,4 30,0 11,1 116,9 2006 157,9 224,1 17,1 162,1 179,2 16,5 40,0 11,1 99,4 2007 239,9 239,9 0,0 173,2 173,2 23,1 50,0 11,1 75,6 ∑ 44,7 120,0 46,1 645,7 Quelle: Stadt Dortmund, Kämmerei (20.1.2004): Ergebnisse und Auswirkungen Vermittlungs-ausschuss Hartz IV, S. 5 Tab. 5d: Stadt Dortmund Haushaltskennzahlen 2003 Einnahmen € Ausgaben € Fehlbedarf € 1.Verwaltungshaushalt 1.340.913.300 1.554.507.000 213.593.700 2. Vermögenshaushalt 249,912.500 249.912.500 0 3. Insgesamt 1.590.825.800 1.804.419.500 213.593.700 Verpflichtungserm. 95.287.000 --------------------------- -------------------- -------------------- ------------------ Schuldenstand 2003 973.035 T€ Pro Kopf:

1.651,34 €

Schulden der Sonder-vermögen (ohne Kli-niken)

177.337 T€

2003 (Mio. €) 2002 (Mio. €) +- in % zu 2002

4. Steuereinnahmen 399,4 448,6 - 10,97 5. Schlüsselzuw. 297,7 342,8 - 13,16 6. Personalausgaben 316,0 306,7 + 3,03 7. Sozialleistungen 243,3 219,3 +10,94 8. Investitionen 161,8 176,5 - 8,33 9. davon Bauinv. 113,7 129,5 - 12,2 Quelle: Stadt Dortmund, Stadtkämmerei (2004): Rechenschaftsbericht zur Jahresrechnung für das Haushaltsjahr 2003, S. 3 und S. 5, eigene Zusammenstellung

Da sich die beiden finanzpolitischen Hoffnungskomponenten Finanzreform und Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe zum Arbeitslosengeld II im Verlauf der Verhandlungen des Vermittlungsausschusses im Dezember 2003 als

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völlig unrealistisch herausgestellt haben, ist das Haushaltssicherungskonzept der Stadt vom Regierungspräsidenten nicht genehmigt worden. (Die Verhandlungen über die 2,5 Mrd. € Bundesmittel, die die auf die Städte und Gemeinden fallen-den zusätzlichen Wohnkostenzuschüsse ausgleichen sollen, waren bis Ende Mai 2004 noch nicht abgeschlossen. Sie dienen lediglich dem Zweck, die Städte und Gemeinden als Resultat der Zusammenlegung nicht zusätzlich zu belasten, ge-schweige denn zu entlasten).

Wenn sich an der Berliner Wirtschafts- und Finanzpolitik nichts Grundlegendes ändert, werden wohl nach den Kommunalwahlen im September 2004 Grundsatzbeschlüsse zur Haushaltspolitik getroffen werden, die alle vorherge-henden Sparbeschlüsse weit in den Schatten stellen werden. Dies würde dann aber die Konjunktur noch weiter belasten und nichts daran ändern, dass die Ver-schuldung weiter schnell steigen wird. Aus eigener Kraft kann die Stadt Dort-mund (und mit ihr alle anderen Städte) nicht aus der Schuldenfalle herausfinden.

Abb. 7 : Unterschiedliche Schätzungen des kommunalen Steueraufkommens vom Mai 2000 bis Mai 2004

Kommunale Steuereinnahmen (Mrd €)

45

50

55

60

65

70

75

2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008

Mai 00

Mai 01

Mai 02

Mai 03

Mai 04

Quelle: Busch, M. (2002): Gemeindefinanzen – Hoffnung durch Reformen? In: Alternative Kommunalpolitik, Heft 4/2002, im Mai 2004 aktualisierte Version (Mitteilung des Autors) 18. Politik und Planung in Dortmund im Zeichen des Strukturbruchs In den Zeiten des radikalen Strukturwandels hat sich mit zeitlicher Verzögerung auch die politische Struktur und Kultur verändert (vgl. für das Ruhrgebiet insge-samt Bömer, 2000, Kap.3.4). Kennzeichnend ist z.B., dass seit Mitte der 90er Jahre die IHK von einem Software-Unternehmer geführt wird, der einerseits den Modernisierungskurs der Dortmunder Wirtschaftspolitik voll mit trägt und mit-gestaltet, andererseits in seinen allgemeinen wirtschafts- und sozialpolitischen Einlassungen ein typischer Vertreter der New Economy ist (gewerkschaftsfeind-lich, sozialstaatsfeindlich usw.). Die Parteienlandschaft hat sich – ebenfalls mit zeitlicher Verzögerung - der neuen Wirtschafts- und Sozialstruktur angepasst. Die SPD hat bereits 1999 die Jahrzehnte alte absolute Mehrheit im Kommunalparlament verloren und die sel-be Anzahl von Ratssitzen wie die CDU errungen, während Bündnis90/Die Grü-nen auf 8 Sitze kam. Bei der ersten direkten OB-Wahl setzte sich 1999 im zwei-

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ten Wahlgang mit Unterstützung der Grünen Dr. Langemeyer (SPD) gegen den rechtspopulistischen Unternehmer und Quereinsteiger Dr. Geers durch. Der OB steht für das Konzept der Modernisierung und des „Neuen Dortmund“ und wurde bzw. wird hierin – von einigen nicht unwichtigen Konfliktthemen (Bahn-hofsüberbauung, Straßenbau, Expansion des Messezentrum, Konzerthaus) abge-sehen - von allen Ratsfraktionen gestützt. Bei den Europawahlen 2004 fiel die SPD von 47,3% auf ca. 33,2% zurück, die CDU verlor leicht (von 34,7 auf 33,4) und liegt etwa gleich auf mit der SPD, während Bündnis 90/Die Grünen ihren Anteil von 8,9 auf 15% ausbauen konnten. Ganz offensichtlich ist weitgehend die Bundespolitik (Agenda 2010) für den Absturz der SPD verantwortlich, wäh-rend die CDU und B90/DieGrünen für diese von ihnen ebenfalls mit zu verant-wortende Politik nicht (bzw. höchstens mit einer insgesamt niedrigen Wahlbe-teiligung) abgestraft wurden. Seit 1999 haben im Kommunalparlament im Wesentlichen die großen Parteien zusammengearbeitet, unterbrochen von einer kurzen Phase der Absprachen zwi-schen CDU und Grünen nach den 1999er Wahlen sowie einer im Frühjahr 2004 wieder von der SPD-Fraktion aufgekündigten Zusammenarbeit zwischen der Fraktionen der SPD und der Grünen. Im September 2004 sind Kommunalwah-len, im Mai 2005 Landtagswahlen. Derzeit ist zu erwarten, dass die SPD bei beiden Wahlen erneut schwere Niederlagen erleiden wird. Planungspolitik: Der strukturelle Umbruch wird seitens der politischen Führung, des Kommu-nalparlaments und der Stadtverwaltung mit einer riesigen Kraftanstrengung im Bereich der Wirtschaftsförderung- und Planungspolitik beantwortet. Im Bereich der Planung hat der Thyssen-Krupp-Rückzug ca. 800 ha Brachfläche hinterlas-sen (Phoenix West und Ost, Westfalenhütte, Halde Ellinghausen und eine Viel-zahl von kleinen Flächen), die von der Stadt und Thyssen-Krupp mit Hilfe des Landes und der EU in nie erlebter kurzer Zeit in wieder zu nutzende Flächen (Sonderflächen für Hochtechnologie und Logistik, Grünzüge, Phoenix-See und Wohnflächen) umgewandelt werden. Zugleich wird ein neuer Flächennutzungs-plan (FNP) aufgestellt, und für die die verschieden Fachplanungen (Wirtschafts-flächen, Wohnen, Einzelhandel, Umwelt und Verkehr) sind Masterpläne, ein informelles Planungsinstrument, entwickelt und auch öffentlich intensiv kom-muniziert worden. Theoretisch gesprochen handelt es sich insgesamt aus meiner Sicht um eine Renaissance der Entwicklungsplanung als strategischer Entwick-lungsplanung mit starken Kooperationsbeziehungen zwischen der Stadt, den städtischen Töchtern (Stadtwerke AG) und privaten Unternehmen, insbesondere mit Thyssen-Krupp.

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III. Deutschland und Dortmund im internationalen und inner-deutschen Vergleich Wie bereits in Abschnitt I. diskutiert wurde, ist es der Stadt im Zusammenwir-ken mit dem Land und der EU ungeachtet der Tatsache, dass auch sehr proble-matische Projekte verfolgt werden (Kap. II Ziff. 16), zwar gelungen, neue wirt-schaftliche Leitsektoren zu entwickeln. Das Grundproblem, die Persistenz der Massenarbeitslosigkeit, ist aber ungelöst. Meiner Meinung nach kann dies mit kommunal- und regionalpolitischen Mitteln allein auch gar nicht bewältigt wer-den. Im folgenden Kap. III werden daher noch einmal die makroökonomischen Rahmenbedingungen, der Vergleich der Lage Dortmunds mit der anderer Städte, und einige politische Konsequenzen diskutiert.

1. Zunehmende Isolierung der deutschen Wirtschaftspolitik In Ziffer I. 2 wurde die makroökonomische Selbstblockade der EU durch den Maastricht-Vertrag und den Stabilitäts- und Wachstumspakt erwähnt. Internati-onal sind dieser EWU-´Stabilitätsfetischismus´ und insbesondere die deutsche Position zur makroökonomischen Politik allerdings bereits ziemlich isoliert. Der Mainstream z.B. der Ökonomen in den USA und in GB wird durch den Post-Keynesianismus oder zumindest durch den Neu-Keynesianismus (Truger, 2003) bestimmt und nicht durch die in Deutschland und den EWU-Ländern hegemoni-ale neoklassische und monetaristische Politik des Primats der Preisstabilität und Haushaltskonsolidierung (EZB- und Bundesbank-Position). Der Neu-Keynesianismus besagt knapp zusammengefasst, dass in der kurzen Frist (die mehrere Jahre umfasst) die Konjunkturpolitik (und nicht die „Strukturrefor-men“) einen wesentlichen Teil der Massenarbeitslosigkeit bekämpfen kann, wenn sie (wie derzeit in den USA und – modifiziert - in GB) in der Krise anti-zyklisch expansiv wirkt (Fiskal- und Geldpolitik) und bei einem gerade begin-nenden Aufschwung nicht schon wieder kräftig auf die Konsolidierungsbremse tritt. Die Lösung der (aus meiner Sicht vermeintlichen) Strukturprobleme des Arbeitsmarktes (das vermeintliche „Anspruchsdenken“, zu geringe Flexibilität, zu hohe Lohnersatzleistungen) kann aber in keinem Falle diese kurzfristig not-wendige Expansionspolitik ersetzen. Faktisch erhöht sich die tatsächliche (nicht unbedingt die registrierte) Arbeitslosigkeit, weil es eine Menge an statistischer Kosmetik gibt, wenn - wie in der Agenda 2010 - an der Stellschraube „Struk-turprobleme“ und „Senkung der Lohnnebenkosten“ gedreht wird. Die gesamt-wirtschaftliche Stagnation, die nachträgliche Erhöhung der Haushaltsdefizite und der Lohnnebenkosten ist somit Folge dieses strategischen Ansatzes und wird seit 2001 zum Dauerzustand (vgl. z.B. das Memorandum 2004 der Ar-beitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik, 2004 (www.memo.uni-bremen.de) sowie die Textanhänge 1 und 2).

2. Vergleichsregionen in Westeuropa entwickeln sich besser Wie die Tabelle A1 im Anhang zeigt, entwickeln sich in den Ländern, die eine neu-keynesianische Wirtschaftspolitik verfolgen und die folglich eine dynami-schere Entwicklung der Gesamtwirtschaft zu verzeichnen haben, auch die Kri-

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senregionen wesentlich besser als in Deutschland. Insbesondere die Region Merseyside im Nord-Westen Englands, die über Jahrzehnte als die altindustrielle Krisenregion schlechthin galt (in den 80er Jahren mit Arbeitslosenquoten über 25%!) und die daher ab 1993 Ziel-1-Region der EU wurde, hat seit Mitte der 90er Jahre ihren Abstieg stoppen können. Gute gesamtwirtschaftliche Daten plus eine hohe Regionalförderung plus eine Modernisierung der Strukturpolitik in der Region haben ihre positive Wirkung also nicht verfehlt. (Allerdings ist die Datenlage für diese Tabelle nicht sehr günstig. Für Dortmund werden in der EU-Statistik die Daten des Regierungsbezirks Arnsberg zu Grunde gelegt, also die tatsächliche Entwicklung noch überzeichnet.)

3. Der Städtevergleich in Deutschland Er zeigt, dass sich die Stadt Dortmund seit Ende der 90er Jahre teilweise ver-gleichsweise gut entwickeln konnte. Tabelle 6: Entwicklungsindikatoren im Städtevergleich Jahr Dort-

mund Duis-burg

Bochum Köln München Essen Düssel-dorf

BIP pro Er-werbstätigen 1996 2001

51.153 53.939

52.375 55.792

55.049 59.279

63.005 62.477

64.519 69.835

59.344 60.736

71.449 78.976

Arbeitslosen-quote 2000 2003

14% 14,2%

13,3% 13,9%

11,3% 12,2%

10,8% 11,7%

4,8% 6,7%

11% 11,9%

9,6% 9,4%

Einwohner 1998 2003

591.733 590.329

523.311 507.702

393.236 388.007

962.580 966.812

1.188.897 1.264.309

603.194 584.898

568.440 571.933

Sozialvers. Beschäftigte 1998 2003

186.453 195.685

156.741 155.894

131.813 132.496

430.399 466.453

632.982 694.559

214.614 218.916

336.841 352.327

Quelle: dortmund-project, 2004(2), S. 56f Abb. 3 und Tab.5 lassen somit erkennen, dass die Vergrößerung des relativen Rückstandes in Dortmund seit dem Jahre 1999 zum Stillstand gekommen zu sein scheint. In neueren Veröffentlichungen des zunehmend beliebten Städte-Ranking wird dies teilweise ebenfalls bestätigt (Tab. 6). Diese Übersicht zeigt, dass Dortmund in der Beurteilung der Dynamik besser abschneidet als in der Niveaubeurteilung. Allerdings müsste die Plausibilität vieler Einzelindikatoren geprüft werden. Warum ist z.B. die Dynamik der Kommunalfinanzen in Gelsen-kirchen besser als in Dortmund usw.? Man sollte nicht vergessen, dass die Auftraggeber dieser Studie (die Zeitschrift „Wirtschaftswoche“ und die marktradikale Initiative „Neue soziale Marktwirt-schaft“) mit derartigen Studien ein klares Ziel verbinden: die Intensivierung der Konkurrenz zwischen den Städten und die immer weiter gehende Auflösung solidarischer Strukturen auf der Bundes- und Länderebene (z.B. die Schwä-chung des Länderfinanzausgleichs sowie des kommunalen Finanzausgleichs auf der Länderebene) und der Ebene der Sozialpartner: sprich sie fördern einen Kos-tensenkungswettlauf, der sich bruchlos in eine tendenziell deflationär wirkende Gesamtpolitik einfügt.

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Tabelle 7: Städte-Ranking der Zeitschrift „Wirtschaftswoche“ München Düssel-

dorf Essen Dort-

mund Gelsenkir-chen

Berlin Leipzig

Rang Gesamt 1 5 25 27 41 48 49 Niveauranking Wohlstand 1 5 18 32 39 43 50 Arbeitsmarkt 1 7 25 41 44 49 47 Standortqualität 3 1 16 42 50 48 44 Wirtschaftsstruktur 3 2 13 25 42 29 37 Sozialstruktur 1 36 33 34 39 49 48 Kommunalfinanzen 24 1 30 29 26 40 48 Gesamtniveau Rang

1 4 30 28 42 47 49

Dynamikranking Wohlstand 3 21 20 17 34 45 48 Arbeitsmarkt 26 9 25 22 41 46 47 Standortqualität 31 3 26 12 13 34 23 Wirtschaftsstruktur 10 8 38 4 6 45 23 Sozialstruktur 15 34 43 28 48 14 29 Kommunalfinanzen 26 6 40 28 20 36 29 Gesamtrang Dy-namik

13 11 29 16 36 49 48

Quelle: Wirtschaftswoche Nr. 17/15.4.04,S.25; eigene Zusammenstellung Auch die jüngste Bevölkerungsprognose des LDS NRW bestätigt, dass die Stadt Dortmund sich teilweise von dem noch Ende der 90er Jahre vermuteten beson-ders negativen Trend abkoppeln zu können scheint (LDS, 2004). Während in der LDS-Prognose von 1999 für den Zeitraum 1995 bis 2015 noch ein Verlust von 11,8% (für den KVR insgesamt 7,3%) unterstellt wurde (Bömer, 2000, S. 42), geht die neue Prognose für Dortmund nur von minus 1,2% von 2002 bis 2020 (von 589.200 auf 582.000) und für den Kreis Unna von einem starken Wachs-tum (+ 49.000 (1999er Prognose: + 11.300 gegenüber 1995)) aus (Westdeutsche Allgemeine Zeitung, 15.4.04 WRG1). Diese Wendung des Landesamtes für Sta-tistik und Datenverarbeitung, die mir allerdings insgesamt zu optimistisch zu sein scheint, hängt sicherlich mit drei Faktoren zusammen: erstens hat Dort-mund durch seine offensive Wohnflächenausweisung auch für freistehende Ein-familienhäuser die Umlandwanderung gestoppt. Dies wurde möglich, weil Dortmund aufgrund seiner flächenmäßigen Größe im Gegensatz etwa zu den Städten Essen und Bochum in der Lage ist, die Suburbanisierung innerhalb der eigenen Stadtgrenzen zu gestalten. Zweitens hat die offensive Wirtschaftsförde-rungs- und Stadtpolitik eine Art „Aufbruchstimmung“ erzeugt, die den relativen Abwärtstrend der Beschäftigungsentwicklung gestoppt hat (s.o. Abb. 3). Drit-tens ist die Stadt Dortmund sowohl für Studierende als auch für Immigranten attraktiv. Die Struktur der Zuzüge zeigt allerdings, dass es bislang nicht zu dem vom dortmund-project angenommenen Zuzug von hochqualifizierten Beschäf-tigten der Leitbranchen IT, MST und Logistik gekommen ist. Alle drei Trends sind vom LDS erstmals voll berücksichtigt worden und erklären somit die deut-liche Korrektur der Prognosewerte. Die Beschäftigungsprognose von F.J. Bade für die Raumordnungsregionen aus dem Jahre 2003 bestätigt für den Raum Dortmund ebenfalls eine insgesamt günstigere Entwicklung, als in aufgrund der Krise der 90er Jahre angenommen wurde (Bade 2003, siehe Karte A3 im Anhang). Allerdings lassen all diese Prognosen nicht den Schluss zu, dass die überaus optimistischen Annahmen, die

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dem dortmund-project zu Grunde liegen (+ 70.000 Arbeitsplätze im Zeitraum 2000-2010), eintreffen werden. 4. Politische Kurzschlussreaktionen und wachsender Rechtspopulismus

und Marktradikalismus Die Persistenz der Massenarbeitslosigkeit und Armut in Deutschland und spe-ziell in seinen Krisenregionen führt trotz der großen Erfolge der technologieori-entierten Strukturpolitik auch in Dortmund bei einigen Unternehmern und Poli-tikern, z. B. Mitgliedern des „Bürgerforums Phönix“, zur Radikalisierung nach Rechts im Sinne von: Schluss mit den öffentlichen Projekten; Privatisierung des kommunalen Tafelsilbers, Zerschlagung des „VEB“ Dortmund-Konzern, Ent-machtung der Gewerkschaften, radikale Lohnsenkung, Verlängerung der Ar-beitszeit ohne Lohnausgleich, Senkung der Lohnersatzleistungen, Verschärfung der Zumutbarkeit für Arbeitslose und damit faktisch die Einführung von Zwangsarbeit. Diese Position vertreten - wenn auch in unterschiedlicher Radika-lität - auch die Mehrheit der exponierten Ökonomen in der Bundesrepublik (SVR Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Ent-wicklung, Bundesbank, EZB, die Mehrheit der führenden Wirtschaftsfor-schungsinstitute und sonstige „Experten“ (Rürup, Altbundespräsident Herzog; Steuerexperte Kirchhoff usw.)) sowie die Opposition und mehrheitlich auch die Regierungsparteien in Berlin. In Dortmund fordert neben dem bereits erwähnten „Bürgerforum“ die FDP so-wie inzwischen auch der OB-Kandidat und CDU-Fraktionsvorsitzende Hengstenberg, der in der Phase der faktischen großen Koalition zwischen SPD und CDU alle wesentlichen lokalen wirtschaftspolitischen Beschlüsse (ein-schließlich des Doppelhaushalts 2003/2004), die in Kap. II beschrieben werden, mit getragen hat, einen radikalen Kurswechsel nach rechts. Die wesentlichen Bestandteile lauten: Privatisierung kommunalen Vermögens, Ausstieg aus der selbst mit entwickelten innovations- und technologieorientierten Wirtschaftsför-derungspolitik (Kap. II) und Abschied von Großprojekten. Mehr oder weniger geschickt versucht sich Hengstenberg dabei zu Nutze zu machen, dass die mit dem dortmund-project avisierten zusätzlichen Arbeitsplätze (+ 70.000 bis 2010) in der Tat völlig unrealistisch sind und z.B. das gigantomanische Projekt der Bahnhofsüberbauung (3do, vorher das „Ufo“ vgl. II.17) seit nunmehr fast 10 Jahren eine vernünftige Modernisierung des Hauptbahnhofs verhindert. Selbst die von mir geschätzten +15.000 bis 20.000 Arbeitsplätze in den neuen Leitsek-toren bis zum Jahre 2010 setzen allerdings voraus, dass der in den Jahren 1999 bis 2003 begonnene Weg der Verstärkung der technologieorientierten Wirt-schaftsförderung konsequent fortgesetzt wird – Nachjustierungen und Zwi-schenevaluierungen natürlich nicht ausgeschlossen. Insofern ist die Kritik des CDU-Fraktionsvorsitzenden inkonsistent und unlogisch oder aber demagogisch. 5. Entbürokratisierung als Wachstumsmotor? Entbürokratisierung wird von allen Parteien und der Verwaltung als ein wesent-liches Instrument zur Verbesserung der kommunalen Wirtschaftsförderung und damit der Wirtschaftslage betrachtet. Dies ist aber ein durchaus zweischneidiges

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Schwert: einerseits ist es sinnvoll, wenn Ansiedlungs- und Erweiterungsanträge der Unternehmen zügig und aus einer Hand bearbeitet werden („Das schnelle Dortmund“ – vgl. hierzu die Einrichtung des vom Unternehmensberater Roland Berger mit konzipierten Dienstleistungszentrums Wirtschaft als one-stop-Kopfstelle für alle Unternehmensanfragen in der Berswordthalle im Rathaus). Andererseits ist dieses Argument und seine Instrumentierung immer auch dazu missbrauchbar, sinnvolle ökologische und sozial- und arbeitspolitische Regulie-rungen anzugreifen. Mit der Deregulierung der Ladenöffnungszeiten z.B. wurde ein Aufschwung des Einzelhandels und der Konsumnachfrage beschworen – das Gegenteil trat ein – nicht wegen der Öffnungszeiten, sondern wegen der be-schäftigungsfeindlichen allgemeinen Wirtschaftspolitik. Als Instrument zur Be-schleunigung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung taugt Entbürokratisierung allerdings überhaupt nicht. 6. Neue Opposition Gegen eine Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik, die das oben skizzierte Versa-gen der Wirtschaft und der Politik als Versagen ihrer Opfer, nämlich als man-gelnde „Eigeninitiative“ mythologisiert, die man durch die Senkung der Lohner-satzleistungen und die Verschärfung der Zumutbarkeitsregelungen anregen müs-se, ist eine neue Oppositionsbewegung unabdingbar, die sich auf den solide aus-gearbeiteten Post- bzw. zumindest den Neu-Keynesianismus in den angelsächsi-schen Ländern sowie u.a. auf die Vorschläge der Memorandumgruppe (www.memo.uni-bremen.de), auf das Konzept eines sozialökologischen New Deals (Bömer, 2000, Kap. 5), auf Ökonomen wie Peter Bofinger, Heiner Flass-beck usw. stützen kann. Dieser Ansatz soll hier abschließend knapp skizziert werden. 7. Skizze einer alternativen Entwicklungslogik Eine Reihe von großen Bauprojekten in Dortmund betrachte ich sehr kritisch (Kap. II.16). Neben der umweltpolitischen Kritik z.B. der geplanten B1 Unter-tunnelung ist angesichts der enormen Defizite im Schul-, Hochschul- und Be-rufsausbildungsbereich die Frage zu stellen, ob eine Umleitung dieser Mittel in den Bildungs- und Qualifikationsbereich langfristig nicht eine weitaus effektive-re strukturpolitische Wirkung haben wird. Natürlich setzt diese Mittelumleitung komplexe Veränderungen in der Steuerpolitik des Bundes und der Länder, näm-lich das stärkere Abschöpfen privat vagabundierenden Geldkapitals für gesell-schaftlich nützliche Zwecke sowie Veränderungen in der Ausgabenstruktur der öffentlichen Haushalte auf allen Ebenen voraus. Diese Veränderungen sollten dann dem Leitbild eines Sozialökologischen New Deals erfolgen (Vgl. hierzu Bömer, 2000, Kap. 5 und 6 und Arbeitsgruppe Al-ternative Wirtschaftspolitik (2001) insbes. Kap. 8 und 9). Kernbestandteile die-ses Konzepts sind eine Investitions- und Beschäftigungsoffensive in den Berei-chen Bildung, Qualifikation, FuE, Umwelt, Gesundheit und öffentlicher Verkehr sowie die Fortsetzung der Politik der Verkürzung der Arbeitszeit und der Durch-setzung eines neuen Normalarbeitsverhältnisses. Zur Finanzierung dieses Poli-tikansatzes vgl. Bömer, 2000, Kap. 5.2. Exkurs: Zur Rolle der Staatsverschul-dung – Kritik naiver Vorstellungen (siehe Textanhang 2) sowie die steuer- und

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finanzpolitischen Argumente in den Memoranden der AG alternative Wirt-schaftspolitik (2004). Auch der nachfolgende Vorschlag des Bereichs Wirt-schaftspolitik der Vereinigten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di zielt in diese Richtung (Abb.6). Er geht ebenfalls davon aus, dass die (vergeblichen) Konsoli-dierungsbemühungen von Bund, Ländern und Gemeinden in den letzten Jahren die öffentliche Investitionsquote dramatisch hat sinken lassen. Vorgeschlagen wird daher eine deutliche Erhöhung der öffentlichen Investitionen. Diese wür-den sowohl die Beschäftigungslage als auch das Angebot an öffentlichen Dienstleistungen verbessern. Abb. 8: Zukunftsinvestitionsprogramm

Quelle: ver.di Bundesvorstand, Bereich Wirtschaftspolitik, 2003, S. 7

Zukunftsinvestitionsprogrammöffentliche Bruttoinvestitionen in Mrd. Euro und in Prozent des Bruttoinlandsprodukts

36 38 37 36 34 33 33 34 35

2030

3540

3639414647 46

2,3 2,1

1,9 1,9 1,9 1,8 1,71,6

2,5

2,93,0

3,2

2,7 2,8 2,9

0

10

20

30

40

50

60

70

80

1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006–

0,5

1,0

1,5

2,0

2,5

3,0

3,5

Quelle: Statistisches Bundesamt, Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen, ab 2003: eigene Schätzung und Forderungen von ver.di

Mrd. €Prozent des BIP

Zukunftsinvestitions-programm in Mrd. Euro

Öffentliche Bruttoinvesti-tionen in Prozent des BIP

Öffentliche Bruttoinvestitionen in Mrd.

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Literatur: AG Alternative Wirtschaftspolitik (2004): Memorandum 2004. Beschäftigung, Solidarität und Gerechtigkeit – Reform statt Gegenreform. Köln. Kurzfassung siehe www.memo.uni-bremen.de Arbeitnehmerfraktion in der Verbandsversammlung des Kommunalverbandes Ruhrgebiet/Deutscher Gewerkschaftsbund, Landesbezirk NRW (1997): Ruhr-Memorandum 1997. Zur Lage und Perspektiven der Ruhrwirtschaft. Bearbei-tung: ISA-Consult. Bochum / Essen Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik (2001): Memorandum 2001. Mo-dernisierung durch Investitions- und Beschäftigungsoffensive. Köln AG Alternative Wirtschaftspolitik, 1998: Memorandum `98. Bewegung in Eu-ropa, Blockade in Deutschland – Kurswechsel für Beschäftigung. Köln. Siehe www.memo.uni-bremen.de Bade, F.J. (2004): Regionale Entwicklung der Erwerbstätigkeit bis 2010. In: IzR 3/4.2004 Besse, B./ Dörre, K./ Röttger, B. (2004): Der Blick vom Turm: Lässt sich radi-kaler Strukturwandel Steuern? In: Besse, B./ Dörre, K./ Röttger, B. (Hrsg.)(2004): Im Schatten der Globalisierung. Strukturpolitik, Netzwerke und Gewerkschaften in altindustriellen Regionen. Abschlussbericht des Forschungs-projekts „Globalisierung, Industriepolitik und mikrosoziale Regulation. Die Ak-teure der industriellen Beziehungen als Kooperationspartner in regionalen Ent-wicklungskoalitionen“. Beushausen, G. (2004): Ein historischer Tag hat seinen Preis. In: Westfälische Rundschau, 24.4.04, RDO04 Bömer, H./Mazier, J./Mouhoud, El M. (2004): Regionalpolitik und unternehme-rische Standortstrategien in der Europäischen Union. In: Etxezarreta, M./Grahl, J./Huffschmid, J./Mazier, J. u. a. (2004): euroMemo 2003. Vollbeschäftigung, Wohlfahrt und ein starker öffentlicher Sektor. Demokratische Herausforderun-gen in einer erweiterten Union. Hrsg. Europäische Memorandumgruppe. Ham-burg. VSA. Englische Version unter www.memo-europe.uni-bremen.de Bömer, H. (2000): Ruhrgebietspolitik in der Krise. Dortmunder Beiträge zur Raumplanung Bd. 101. Dortmund Busch, M. (2002): Gemeindefinanzen – Hoffnung durch Reformen? In: Alterna-tive Kommunalpolitik, Heft 4/2002 DGB Dortmund / Unna / Hamm (1998): Branchenreport. Die Regionalwirt-schaft im östlichen Ruhrgebiet. Profile, Kompetenzen, Potentiale; bearbeitet von ISA Consult Bochum. Dortmund von Dohnanyi, K. (2004): Jetzt kann man die Dinge noch wenden. Interview in der Süddeutschen Zeitung vom 21.5.04, S. 8

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Stadt Dortmund, Wirtschafts- und Beschäftigungsförderung Dortmund (2004 b): Halbjahresbericht der Wirtschafts- und Beschäftigungsförderung Dortmund 2. Halbjahr 2003 Stadt Dortmund (2004): Drucksache Nr. 05651-04: Sondervermögen Verpach-tung Technologiezentrum Dortmund. Bericht über die Geschäftsentwicklung des 2. Halbjahres 2003 des Sondervermögens „Verpachtung Technologiezentrum Dortmund“ vom 12.02.2004 Stadt Dortmund (2004 a): Drucksache Nr.: 06229-04 (19.04.04): dortmund-project – Jahresbericht 2003 Stadt Dortmund (2004 c): Drucksache 05924-04: Dortmunder Branchenbericht 2004. Dortmund Stadt Dortmund (2004 d): Drucksache 06617-04 Sondervermögen „Verpachtung Technologiezentrum Dortmund“, hier: Ausgestaltung einer Inhouse-Lösung hinsichtlich der Geschäftsbesorgungsverträge. Dortmund Stadt Dortmund (2003): Beteiligungsbericht 2002/2003. Dortmund Stadt Dortmund (2003): Geschäftsbericht 2002/2003. Dortmund Stadt Dortmund (2003c): Drucksache Nr.: 04966-03 vom 25.09.03: Erweite-rungsvorhaben der Firma STEAG microParts GmbH im Technologiepark. Stadt Dortmund (2003d): Drucksache Nr.: 04782-03 Bebauungsplan Lü 159 n Auf-stellungsbeschluss Stadt Dortmund (2003): Jahresabschluss zum 31.Dezmber 2003 und Lagebericht 2002 des Sondervermögens „Verpachtung Technologiezentrum Dortmund“, Dortmund Stadt Dortmund (2003): Dortmunder Statistik Wirtschaft Jahresbericht 2003 Strohmeier, P. (2002): Demografischer Wandel im Ruhrgebiet. Bevölkerungs-entwicklung und Sozialraumstruktur im Ruhrgebiet. Im Auftrag und herausge-geben von der Projekt Ruhr. Essen Stürmer, D. (2001): Das dortmund-project als Strategie zur Bewältigung des Strukturwandels im Ruhrgebiet. Diplomarbeit, Fakultät Raumplanung, Universi-tät Dortmund Truger, A .(2003): Der missachtete Mainstream. Die deutsche Wirtschaftspoliti-sche Debatte leidet weniger unter dem Neu-Keynesianismus als unter seiner fast völligen Missachtung. In: Hein, E./Heise, A./Truger, A (Hg.) (2003): Neu-Keynesianismus Der neue wirtschaftspolitische Mainstream? Marburg. Metro-polis

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ver.di Bundesvorstand – Bereich Wirtschaftspolitik (2003): Wirtschaftspoliti-sche Informationen 5/2003: Rezession? Steuerausfälle Alternativen (www.verdi.de/wirtschaftspolitik) Wirtschafts- und Beschäftigungsförderung Dortmund (o.J.(2003): High-Tech in der Mitte Europas. Technologiepark Dortmund (o.O. Dortmund) Wirtschafts- und Beschäftigungsförderung Dortmund (2004): Tischvorlage zum AWBF am 17.03.04 zu Top 3.4 Ergänzende Unterlagen von GF Dr. Küpper zum TOP: Europäische Strukturförderung

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Anhang: Karte A1:

Quelle: dortmund-project (2004), S. 25 Karte A2: Masterplan Phoenix

Quelle: dormund.project 2004, S. 24

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Karte A3:

Quelle: Bade (2004)

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Textanhang 1: (Frankfurter Rundschau, 5.6.2004)

Prof. (em.) Dr. Siegfried Katterle Dünenweg 13 33649 Bielefeld Tel. 0521/487232 e-mail: [email protected] 6. Mai 2004 Frankfurter Rundschau Redaktion 60266 Frankfurt/Main Leserbrief Markus Sievers: „Regierung rangelt um Subventionsabbau“, FR vom 5.5.04 Mario Müller: „Im Sinne Keynes“, FR vom 4.5.04 Interview mit Gustav Horn: „Defizit ist kein Maßstab mehr“, FR vom 4.5.04 Wie Markus Sievers berichtet, droht aufgrund der Konjunkturflaute ein Anstieg der Neuverschuldung des Bundeshaushalts, mit dem „Rot-Grün den Negativ-Rekord des früheren Finanzministers Waigel (CSU) brechen würde.“ Finanz-minister Eichel, die Regierungskoalition, die Wirtschaftsjournalisten und die un-verständige Mehrheit des Sachverständigenrats könnten aus diesen Erfahrungen lernen, dass eine Strategie der Haushaltskonsolidierung in Phasen konjunkturel-ler Flaute scheitern muss, weil sie die Binnennachfrage zusätzlich schwächt, die Unternehmererwartungen weiter destabilisiert und das eigene Konsolidierungs-ziel immer weiter verfehlt. Die Opposition hat aus diesen Erfahrungen ihrer Re-gierungszeit in den neunziger Jahren nichts gelernt, wie die Tiraden des Herrn Merz belegen. Die jetzige Bundesregierung scheint nach Mario Müller „entdeckt zu haben, dass es so etwas wie Konjunkturpolitik gibt“; sie ist aber immer noch unschlüs-sig, ob der Staat „eine entscheidende Rolle auf der gesamtwirtschaftlichen Büh-ne“ spielen kann und soll. Die nun schon langjährige Erfahrung sollte freilich lehren, „dass mit der bisherigen Vorgehensweise“, wie sie von Waigel bis Ei-chel praktiziert wurde und wird, „die ökonomischen Probleme hier zu Lande nicht zu lösen sind“ und dass es keinen Sinn macht, ständig an den Angebotsbe-dingungen - von den Ladenöffnungszeiten bis zu den Zumutbarkeitskriterien für Arbeitslose – herumzubasteln. Vielmehr wäre es ökonomisch sinnvoll, mit geplanten Schul-den der öffentlichen Haushalte ex ante Nachfrage, Produktion, Unternehmer-erwartungen und Beschäftigung zu stabilisieren, statt ex post mit ungeplanter Verschuldung Arbeitslosigkeit zu bezahlen und Einnahmeausfälle auszuglei-chen. Weil sie nicht zu einer aktiven Finanzpolitik zur Bekämpfung der Kon-junkturflaute bereit waren und sind, schlitterte einst Waigel und schlittert heute Eichel mit einer falschen finanzpolitischen Strategie in ungeplante Verschul-dung.

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Der von Gustav Horn angemahnte Strategiewechsel der Finanzpolitik ist also längst überfällig und kann sich auf erfolgreiche Beispiele eines geglückten Zu-sammenspiels von Finanz- und Geldpolitik sowohl der „Clintonomics“ in den USA wie bei der Bekämpfung der Rezession in Großbritannien in den neunziger Jahren stützen. Der Maastrichter Stabilitätspakt mit den ökonomisch unsinnigen Kriterien für die öffentliche Verschuldung hat seine Glaubwürdigkeit ebenso verloren wie die immer gleichen altväterischen Ordnungsrufe der Bundesbank unter ihren Präsidenten Tietmeyer und Welteke. Mit Recht hat der Wirtschafts-Nobelpreisträger Robert Solow den Maastrichter Pakt einen „Dinosaurier“ ge-nannt und geraten, „Deutschland sollte all seine Energie aufwenden, um diesen Vertrag loszuwerden.“ („Unnötig schmerzvoll“, DIE ZEIT vom 15.4.04). Was Europa braucht, ist ein Pakt für konjunkturelle Stabilisierung, qualitatives Wachstum und ökologische Erneuerung. (Prof. Dr. Siegfried Katterle)

Textanhang 2: (aus: Bömer, 2000, S. 218-220)

5.2.5 Exkurs: Zur Rolle der Staatsverschuldung - Kritik naiver Vorstellungen

Die Diskussion über die Rolle der Staatsverschuldung und die Zinsfalle spielt eine Schlüsselfunktion bei der Frage, welche makroökonomische Strategie zur Lösung der wirtschaftspolitischen Probleme der 90er Jahre in Europa hätte ein-geschlagen werden müssen und auch für die Zukunft relevant ist. Für den alter-nativökonomischen Ansatz des sozialökologischen New Deals (Kap. 5.2.4) ist ein fundamental anderes Verständnis der Rolle und der Möglichkeiten einer an Vollbeschäftigung orientierten Politik der Staatsverschuldung konstitutiv. Und auch den neokeynesianischen Ansatz zeichnet ein nüchtern-instrumentelles und nicht ideologisch aufgeladenes Verhältnis zum wirtschaftspolitischen Instrument der Staatsverschuldung aus (vgl. z.B. DIW, 1998a; Flassbeck, 1999a). Die theo-retische und politische Hegemonie der neoliberalen Sichtweise, die die Staats-verschuldung und die zu hohe Staatsquote neben der „Verkrustung der Arbeits-märkte” zur Hauptursache der Massenarbeitslosigkeit erklärt, hat in der zweiten Hälfe der 90er Jahre auch New Labour, die „Neue Sozialdemokratie” sowie Bündnis 90/Die Grünen in ihren Bann gezogen. Haushaltskonsolidierung wurde und wird auch in Krisenzeiten zum obersten wirtschaftspolitischen Ziel erkoren. In diesem Kapitel soll dieses Dogma einer kurzen Kritik unterzogen werden, wobei ich mich wesentlich auf die Position der Memoranden ´99 und 2000 der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik (1999; 2000) beziehe, die hier kurz

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referiert werden soll (vgl. auch Hickel, 1999b). Im Maßstab einer Volkswirtschaft „vererbt” man (bei ausgeglichener Bilanz mit dem Ausland) nicht nur Schulden, sondern auch Guthaben, also eine bestimmte personelle und institutionelle Verteilung von Schuldner- und Gläubigerpositio-nen. Soll die Staatsverschuldung und damit die Zinszahlung an die Gläubiger - in der Regel die Besserverdienenden und Vermögenden sowie der Banken- und Versicherungssektor - niedriger ausfallen, ohne die Staatsausgaben zu senken - es müssen schließlich Bildungs- und Kultursystem, die Infrastruktur, die innere Sicherheit usw. finanziert werden - so sind die Steuern für die Letztgenannten zu erhöhen. Da die Senkung der Staatsquote in erster Linie die Transferzahlungs-bezieher und die „Normalarbeitnehmer“ trifft (weniger Lehrer/innen, Sozialar-beiter/innen usw.), kann man schlechterdings zugleich für mehr soziale Gerech-tigkeit, Senkung der Staatsverschuldung und der Staatsquote argumentieren. Wenn man dennoch das Bild von der Schulden-Erbschaft bemühen will, sollte auch bedacht werden, dass z.B. ein durch zusätzliche Staatsverschuldung finan-ziertes ökologisches Infrastrukturprogramm den zukünftigen Generationen eben diese zukunftsfähigere Infrastruktur hinterlässt, die legitimerweise auch teilwei-se durch Kredite finanziert werden soll. Außerdem hat es, wenn es richtig und dimensioniert und ausreichend lang gefahren wird, den Effekt, wachsende Be-schäftigung und dann auch mittelfristig höhere Steuereinnahmen zu induzieren.

Die zunehmend ungerechte Einkommens- und Vermögensverteilung wurde und wird jedoch nicht durch die Staatsverschuldung verursacht, sondern im Wesent-lichen durch drei Faktoren: Die Ungleichheit der Primäreinkommen (Löhne und Gehälter sowie Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen) hat sich in den 80er und 90er Jahren im Zuge der neoliberalen Entfesselung der Markt-wirtschaft wesentlich verstärkt. Die parallel einhergehende ständige steuerliche Entlastung dieser Vermögens- und Gewinneinkommen hat damit erstens zu wachsender Ungleichheit auch der verfügbaren Einkommen der Haushalte so-wie zu Einnahmeverlusten des Staates geführt. Zweitens mussten insbesondere die Sonderausgaben, die aus der deutschen Vereinigung resultierten (353,7 Mrd. DM allein aus dem Erblastenfonds) finanziert werden. Und drittens verursacht die Massenarbeitslosigkeit Mindereinnahmen und Mehrausgaben, die von der Bundesanstalt für Arbeit allein für 1998 auf ca. 166 Mrd. DM geschätzt wurden. Eine Halbierung der Arbeitslosigkeit als Folge einer aktiven antizyklischen öf-fentlichen Beschäftigungspolitik, die zugleich auf den sozialökologischen Um-bau ausgerichtet sein muss (vgl. Kap. 5.2.4), würde folglich die aggregierten öffentlichen Haushalte jährlich um ca. 80 Mrd. DM entlasten. Alle drei Faktoren haben zur Erhöhung der Kreditaufnahme geführt. Die Schuldenlast hat sich aus den drei genannten Gründen auf Bundesebene von 541 Mrd. DM im Jahre 1989 auf ca. 1,5 Billionen DM im Jahre 2000 erhöht und damit fast verdreifacht. Die Gesamtverschuldung der öffentlichen Haushalte ist dennoch nicht besorgniser-regend hoch. Sie lag 1998 bei 60,7% des BIP und wird für das Jahr 2000 (ohne die Lizenzeinnahmen für die dritte Generation der Mobilfunksysteme) auf 61% geschätzt11 . Schulden lassen sich umso schwerer oder überhaupt nicht abbauen,

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je niedriger der Wachstumsrate einer Volkswirtschaft ist, weil in Stagnations- und Krisenzeiten die sogenannten automatischen Stabilisatoren wirken: Die Steuereinnahmen sinken und die Transferzahlungen etwa an Arbeitslose steigen. Die Behauptung von Finanzminister Eichel, dass die schnelle Haushaltskonsoli-dierung die wichtigste Voraussetzung für den Abbau der Arbeitslosigkeit ist, ist zudem empirisch vielfach widerlegt. In jüngster Zeit stützt etwa der Vergleich der Wachstumsraten von Frankreich und Deutschland ab 1997 dieses Argument auch der Vergleich zwischen der neo-keynesianisch ausgerichteten makroöko-nomischen Politik der USA in den 90er Jahren mit der durch die deutsche Bun-desbankpolitik dominierten absoluten Stabilitätspolitik in der EU bestätigt die-sen Zusammenhang. Wird innerhalb einer Phase niedriger Wachstumsraten verstärkt gespart, so ist es darüber hinaus sehr wahrscheinlich, dass dies gerade die unteren Einkommens- und Transfereinkommensbezieher treffen wird. Haushaltskonsolidierung in Pha-sen niedrigen Wachstums verstärkt damit die soziale Ungleichheit weiter. Damit wird der eventuell gut gemeinte Versuch, durch Senkung der Staatsverschul-dung die Umverteilung zugunsten der in der Regel betuchten Gläubiger des Staates als Resultat der Zinszahlungen zu verhindern, wieder konterkariert. Schließlich wird das häufig bemühte Argument, in Zeiten höherer Wachstums-raten gelinge der Schuldenrückbau nicht, durch Länder wie die USA und Groß-britannien, aber auch die Niederlande und Schweden eindeutig widerlegt, wobei auf die unterschiedlichen Möglichkeiten großer und kleiner Volkswirtschaften, ihre Wachstumsraten zu erhöhen und damit die Staatsschulden zu reduzieren, hinzuweisen ist. An dieser Stelle soll darauf jedoch nicht eingegangen werden. Natürlich kann ein einzelnes Bundesland wie NRW nicht allein antizyklische Haushaltspolitik betreiben. Und auch die Bundesregierung hätte keinen unbe-grenzten Spielraum, wenn sie dies als einziges Land in der EU versuchen würde. Der Handlungsspielraum Deutschlands kann aber auch nicht als vernachlässi-genswert bezeichnet werden, wie das Beispiel Frankreich zeigt, das innerhalb der Maastricht-Kriterien durch Umverteilung von oben nach unten sowie durch eine weniger rigorose Konsolidierungspolitik einen höheren Wachstumspfad einschlagen konnte (vgl. ausführlich Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspoli-tik, 1998). Insofern geht es um eine generelle Änderung der Wirtschafts- und Finanzpolitik aller staatlichen Ebenen. Es ist dabei ein wesentlicher Unterschied, ob bei gegebener neoliberaler Bundespolitik in den Ländern und Kommunen die Sparpolitik zähneknirschend mit vollzogen wird oder ob sie von den Landes- und Kommunalpolitikern auch für die Bundesebene als „Politik der Vernunft” und Seriositätsbeweis gefordert und gefeiert wird. Das Land NRW hat diesbe-züglich sicherlich eine gewichtige Stimme. Die Zielsetzung des Bundes, die Nettoneuverschuldung bis zum Jahre 2006 auf Null und die Staatsquote von 49% im Jahre 1999 auf 45,5% im Jahre 2003 zu reduzieren, führt außerdem zu dem für die rot-grüne Bundesregierung peinlichen Dilemma, dass dann nicht wesentlich mehr Geld für die Bildung sowie die ökologische Infrastruktur, ins-besondere die Deutsche Bahn AG, zur Verfügung gestellt werden kann.

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Als letztes Argument für die positive Rolle der Staatsverschuldung als zweitbes-te Lösung - falls man eine höhere Besteuerung der Vermögensbesitzer und Bes-serverdienenden nicht durchsetzen will (oder kann) - ist auf die makroökonomi-sche Saldenmechanik zu verweisen. Die Ersparnisse der privaten Haushalte müssen entweder vom Staat, den Unternehmen und/oder dem Ausland als Kre-dite absorbiert werden. Finanzieren die Unternehmen aufgrund hoher Gewinne ihre Investitionen zunehmend selbst und fällt auch der Staat als „Absorptions-maschine” aus oder erwirtschaftet sogar wie in den USA Einnahmeüberschüsse, müssen sich entweder das Ausland oder die privaten Haushalte verschulden. Da aufgrund des sehr hohen Leistungsbilanzdefizits der USA das Ausland eine wachsende Gläubigerposition aufgebaut hat, ist in den USA am Ende des Jahr-hunderts die Sparquote der privaten Haushalte mit minus 3-4% stark negativ. Eine etwa durch weitere Zinserhöhungen ausgelöste Börsenkrise könnte das Konsumverhalten der US-Konsumenten aber sehr schnell stark verändern und dann eine scharfe Rezession auslösen. Die hohe Verschuldung der privaten Haushalte birgt daher ein großes Gefahrenpotential in sich. Da Europa und ins-besondere Deutschland traditionell Leistungsbilanzüberschüsse anstreben und über eine hohe Sparquote der privaten Haushalte verfügen, da sich zusätzlich die Unternehmen wegen hoher Gewinne stärker selbst finanzieren können, muss eine verstärkt versuchte Haushaltskonsolidierungspolitik die Wachstumsrate des BIP negativ beeinflussen. Es ist daher kein Zufall, dass das Wachstum in Deutschland 1995 und 1996 sehr gering war und auch 1999 nur 1,4% betrug (1,5% in Westdeutschland und 1,1% in Ostdeutschland, vgl. Tab. A3).

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