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Blended CounselingMETHODEN UND EINSATZMÖGLICHKEITEN DIGITALER BERATUNGSFORMATE
Jahrestagung des dvb: „Digitalisierung in der Beratung“
11.-13. Oktober 2019 in Halberstadt
Dr. Ingo Blaich |TU Dresden
Was erwartet Sie 2
BEGRIFFLICHE KLÄRUNGEN
Was ist Online-Beratung
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Was ist Online-Beratung? - Annäherungen
Theoretische Unterbestimmung der Online-Beratung
kein eigenständiger Beratungsansatz
keine exklusive Beratungsmethodik
Telefon/Video gängige Formen der Distanzberatung
Adaption aus der klassischen Präsenzberatung
Spezifikum: Dominanz textbasierter Kommunikation zwischen Ratsuchendem
und Beraterin über Mail/Chat
(vgl. Weinhardt 2013)
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Drei Formate für textbasierte Beratung
Online-Information
Bereitstellung von Informationen zum Auftragsgebiet der Beratungsorganisation
Befähigung der Zielgruppe zur umfassenden und eigenständigen Informationssuche
Online-Beratung
Helfende Beziehung mit internetspezifischen Kommunikationsformen
Ratsuchende bestimmen Zeitpunkt, Intensität und Frequenz des Kontakts
(Kühne 2016, S. 808)
Online-Therapie
Durchführung psychotherapeutischer Therapieverfahren über internetbasierte Kommunikationsmodi (Selbsthilfeprogramme, Therapeut-Patienten-Interaktion, Mischformen)(Knaevelsrud et Al. 2016, S. 11f.)
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INFORMIEREN | KOMMUNIZIEREN | MODERIEREN
Formate und Aufbau der Online-Beratung als Blended Counseling
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Online-Beratung in der Studien- und Berufsberatung 8
Dr. Blaich Workshop Online-Beratung dvb-Jahrestagung12.10.2019
• Homepages von Universitäten, PlanetBeruf.de, hochschulkompass.de u.a.m.
Verfügbarmachung relevanter Informationen
• Online gestützte Interessen(selbst-)tests
• Selbstreflexionsmethoden (SWOT-Analyse) u. a. m.
Identifikation von Stärken, Schwächen und Interessen
• Familiäre Unterstützung/Belastung der Studien-/Berufswahl
• Allgemeine biografische Pläne & Ziele
• Reflexion der bisherigen Bildungsbiografie (z.B. bei Neuorientierung nach Studienabbruch)
Reflexion des biografischen Kontext
Chat/Mail/
Video
1. Online-Beratung alsInformationsvermittlung
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Informationsportale zur selbständigenInformationssuche und Anliegen-Klärung
Orientierung an den Informationsbedürfnissen der Klienten(und nicht dem Angebot der Organisation)
Vollständigkeit, Aktualität und leichteZugänglichkeit der Informationen(intuitive Nutzerführung/Usability)
Darstellung der Inhalte (Text, Video etc.) in Abstimmung auf Zielgruppe
Programmierung eines ‘Guidings’ durch das Informationsangebot
Kontaktangebot fürBeratungsgespräche empfehlenswert
(vgl. Blaich 2018, Enoch 2017)
Dr. Blaich Workshop Online-Beratung dvb-Jahrestagung 12.10.2019
2. reine Online-Beratung 10
Dr. Blaich Workshop Online-Beratung dvb-Jahrestagung
Kein umfangreiches
Informationsangebot
Kontakt zu Klient*innen ausschließlich
über E-Mail, Chat, (Video/Telefon
optional).
Gruppenberatung, Themenchat,
Seminare oder Workshop per Video
12.10.2019
Beispiel
ÖffentlicheBildungsberatung in Österreich
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https://www.bildungsberatung-wien.at/
3. Blended Counseling = „gemischte“ Beratung 12
Dr. Blaich Workshop Online-Beratung dvb-Jahrestagung
Kombination von
Präsenzberatung (F2F) mit
Onlineberatung (E-Mail, Chat,
Video)
Psychosoziale Beratungsstellen
Zentrale Studienberatungen an
Universitäten/Hochschulen
Private Berufs-
/Studienberater/Coaches
12.10.2019
Vorteile der Online-Beratung
Zeitliche und räumliche Unabhängigkeit – Steigerung der Erreichbarkeit
bisher unterversorgter Zielgruppen
Höhere Zeitsouveränität bei den Klient*innen
Anpassung an (neue) Kommunikationsstile der Zielgruppe – E-Mail/Chat
Ermöglichung größerer Anonymität
Größere Niedrigschwelligkeit für jene mit Kontaktschwierigkeiten im
persönlichen Gespräch
(vgl. Hintenberger/Kühne 2011)
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Organisationsmodelle von Blended Counseling
1. als ergänzendes Angebot innerhalb
einer etablierten Angebotsstruktur
➢ Gestaltung von Informationsseiten
➢ Erreichbarkeit von Berater*innen per E-
➢ Zeitfenster für Chat-Beratungen
innerhalb der klass. Arbeitszeiten
(Vormittag/Nachmittag)
2. als eigenständiges & erweiterndesBeratungsformat in der Angebotsstruktur
➢ Erreichbarkeit in Abendstunden &
Wochenende → Arbeitszeiten
➢ Mail, Chat & Telefon? – Medienwahl
➢ Home-Office oder
Beratungseinrichtung?
➢ Abrechnung der Beratungstätigkeit
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➢ Wer?
➢ In welchem zeitlichen Umfang?
Beispiel: eBeratung (eVejledning) am Internetportal Uddannelsesguiden (Dänemark)
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➢ Zielgruppe Jugendliche/junge Erwachsene
➢ Chats an Abenden und am Wochenende - häufigste Kommunikationsform
➢ Verbindliche Beantwortung von Mailanfragen innerhalb 36 Stunden
➢ E-Mail-Anfragen/Telefon eher von Erwachsenen
➢ 40% der Anfragen primär Wunsch nach Informationen
➢ 60% der Anfragen suchen Beratung (Abklärung, Reflexionshilfe u.a.m.)
➢ Ca. 110.000 Anfragen innerhalb von drei Jahren
➢ Verknüpfung von Online-Information & Online-Beratung
Dr. Blaich Workshop Online-Beratung dvb-Jahrestagung12.10.2019
https://www.ug.dk/evejledning vgl. Jochumsen 2016
Checklist für ein Blended Counseling-Beratungsangebot 18
o Welche Ziele sollen erreicht werden?o Ressourceneinsparungo Erschließung neuer Zielgruppeno Reichweitensteigerung des Angebotso Anpassung an Kommunikationsstil der Zielgruppeo Verbesserung der Beratungsqualität
o Sind die organisationalen Voraussetzungen gegeben?o Gleichwertigkeit mit Präsenzberatungo ausreichend materielle und zeitliche Ressourceno ausreichende technische Ausstattungo Qualifizierung der Mitarbeiter:inneno Klärung aller datenschutzrechtlichen Aspekte
o Was soll Bestandteil der Online-Beratung sein?o der gesamte Beratungsprozesso die Vermittlung von Sachinformationeno die Kontaktaufnahme & Klärung des Anliegenso Rückmeldung nach Präsenzberatungo Begleitung im Übergangsprozesso Angebote zur Selbstreflexion (OSA u.a.)
o Wie ist das Verhältnis von Online- & Präsenz-/Telefonberatung?o Nur Online-Beratungo Zeiten für Chat festlegeno Blended Counselingo Präsenz-/Telefon optional/bei Bedarfo Vereinbarkeit mit Arbeitszeiten
WAS IST MÖGLICH & WAS IST ERLAUBT?
Technische Umsetzung & Datenschutz
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Technische Umsetzung
Komplettlösung Beratungssoftware (z. B. Beranet)
In Organisationen: Nutzung der technischen Möglichkeiten des Content
Management Systems (CMS) – Mail, Chat u.a.m.
Video-Telefonie-Software (Skype-Business, Adobe Connect u.a.)
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Technische Umsetzung
Komplettlösung Beratungssoftware (z. B. Beranet)
In Organisationen: Nutzung der technischen Möglichkeiten des Content
Management Systems (CMS) – Mail, Chat u.a.m.
Video-Telefonie-Software (Skype-Business, Adobe Connect u.a.)
Viele gängige Messenger-Dienste und Social-Media Plattformen sind wg.
Datenschutz für die Beratung nicht geeignet
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Datenschutz nach DSGVO und Neufassung BDSG 22
Personenbezogene Daten:
alle Daten wie Name, Geschlecht, Anschrift, Mail-Adresse, Kontodaten, Browserdaten, Beschreibungen der Persönlichkeit oder Lebensumstände, die Fremden einen Rückschluss auf die Person ermöglichen
➢ dürfen im Beratungsprozess nur zweckgebunden ermittelt und gespeichert werden
✓ Schutz des Computers vor Diebstahl
✓ Schutz vor Zugriff aus dem Internet
✓ Schutz vor Zugriff unberechtigter Mitarbeiter/Dritter (Passwort)
✓ Gleiches gilt für alle Formen der Datensicherung
✓ Schulung von Mitarbeitern im Umgang mit sensiblen Daten
Datenschutz nach DSGVO und Neufassung BDSG 23
In Organisationen → Datenschutzbeauftragte(r) & Datenschutzkonzept
Freiberuflich:
• Eigener Datenschutzbeauftragter nicht notwendig (bei weniger als 10
Mitarbeitern)
• Verzeichnis der Datenverarbeitungsverfahren (Kontaktdaten, Dokumentation der
Beratung, Kostenabrechnung)
• Belehrung aller Mitarbeiter, die Zugriff auf persönliche Daten haben
• Transparenz & Informationspflicht
• Beachtung der gesetzlichen Aufbewahrungs- /Löschungsfristen – nach Entfall des
Speicherungs-/Verwendungszweckes
• Besondere Sicherung für personenbezogene & sensible Daten
Datenschutzkonforme Messenger-Dienste
Signal Hoccer
➢ Server in Deutschland
➢ Kostenlos & werbefrei
➢ Vollständig anonym – keine Telefonnummer notwendig
➢ Ende zu Ende-Verschlüsselung
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➢ Kostenlos & werbefrei
➢ Telefonnummer notwendig
➢ Ende-zu-Ende-Verschlüsselung
➢ Anbieter hat keinen Zugriff auf Server
Server nicht in EU
Nachteil: geringer Verbreitungsgrad – geringe Wahrscheinlichkeit für Beratungskontakt separate App zu installieren
HANDWERKSZEUG FÜR MAIL- & FOREN- &
CHATBERATUNG
Besonderheiten textbasierter Beratungsprozesse
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Besonderheiten der Schriftkommunikation
F2F-Kommunikation
- Gesprochenes Wort
- Gestik
- Mimik
- Körperhaltung
- Stimmlage
- Äußeres Erscheinungsbild
Textbasierte Kommunikation
- geschriebener Text
→ Kanalreduktion ≠ Verarmung der
Kommunikation
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Besonderheiten der Schriftkommunikation
F2F-Kommunikation
- Gesprochenes Wort
- Gestik
- Mimik
- Körperhaltung
- Stimmlage
- Äußeres Erscheinungsbild
Textbasierte Kommunikation
- geschriebener Text
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Beraterin [17:24]: „Hm, es klingt so,
als hätten sie schon einiges
ausprobiert?“
Klient [17:25]: „naja ich würd sagen ja, aber
das könnse natürlich auch anders sehn. Mein
cheffe checkts ja eben nich. Ach, mich nervt
das langsam echt an.“
Aus: Engelhardt (2018): 52
Oraliteralität
➢ „geschriebene Mündlichkeit“ (Dürscheid, zitiert in Hintenberger 2011, S. 70)
➢ Kombination von Sprachelementen mündlicher und schriftlicher
Kommunikation
➢ Anpassung des schriftlichen Ausdrucks an mündliche Ausdrucksweise – v.a.
im Chat (Zeitdruck)
➢ Auch in E-Mails und Forenbeiträgen muss mit deutlichen Abweichungen vom
Standard schriftlicher Kommunikation zwischen Unbekannten gerechnet
werden (Anrede, Strukturiertheit der Aussagen, Kommunikationsabbrüche)
Verstehen von Texten und schriftliche Ausdrucksfähigkeit sind Basiskompetenzen in der Online-Beratung
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Vor- und Nachteile textbasierter Kommunikation
Vorteile
Niedrigschwelligkeit der
Kontaktaufnahme (Anonymität)
Zeit für Nachdenken und
Selbstreflexion seitens des Beraters
(Asynchronität der Mail)
Dokumentation des Beratungsverlaufs
Höhere Kontaktfrequenz
Nachteile
Mail/Chat - für bestimmte Zielgruppen
sehr herausfordernd
Weniger Kontrolle über
Beratungsprozess
Schnelles Reagieren & limitierte
Ausdrucksmöglichkeiten im Chat
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➢ Moderation des Medienwechsels – wann ist Wechsel zu
Mail/Telefon/Präsenz oder Chat zielführend?
Kompetenzprofil der Online-Beraterin
Technikaffinität
Lesekompetenz
Schreibkompetenz
Fähigkeit Beratungstechniken in das Online-Setting zu transferieren
Alle weiteren Kompetenzen und Fähigkeiten eines Beraters
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Wie lese ich eine E-Mail? – Das Vier-Folien-Modell 34
Dr. Blaich Workshop Online-Beratung dvb-Jahrestagung12.10.2019
• Der eigene Resonanzboden1. Folie
• Thema & psychosozialer Hintergrund2. Folie
• Diagnose3. Folie
• Intervention4. Folie
Quellen & Literatur
Blaich, I. 2018: Blended Counselling in der Studienberatung? Bedarf und Chancen digitaler Beratungsangebote. Zeitschrift für Beratung und Studium, 13. Jg., Heft 2, 56–62.
Blaich, I. 2017: Jenseits von Google & Co. Potentiale von Online-Informationsangeboten in der Berufsorientierung. DVB-Forum, Heft 1.
Eichenberg, Christiane und Stefan Kühne. 2014. Einführung Onlineberatung und -therapie. Grundlagen, Interventionen und Effekte der Internetnutzung ; mit 25 Tabellen. UTB Psychologie, soziale Arbeit, Bd. 4131. München, Stuttgart: Reinhardt UTB.
Engelhardt, Emily M. 2018. Lehrbuch Onlineberatung, 1. Aufl. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
Engelhardt, Emily und Richard Reindl. 2016. Blended Counseling - Beratungsform der Zukunft? Resonanzen. E-Journal für Biopsychosoziale Dialoge in Psychotherapie, Supervision und Beratung 4 (2): 130–145.
Enoch, Clinton. 2017. Ein neuer Blick auf die Fachberatung in der Bildungsberatung: Die Verknüpfung von Fach- und Prozessberatung. In Zukunftsfeld Bildungs- und Berufsberatung Bd. IV: Schwierige Zeiten - Positionierungen und Perspektiven, hrsg. Marika Hammerer, Erika Kanelutti-Chilas und Gerhard Krötzl, 155–162. Bielefeld: W.Bertelsmann.
Hintenberger, Gerhard. 2011. Der Chat als neues Beratungsmedium. In Handbuch Online-Beratung: Psychosoziale Beratung im Internet, hrsg. Stefan Kühne und Gerhard Hintenberger, 69–78, 2. Aufl. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
Hintenberger, Gerhard und Stefan Kühne. 2011. Veränderte mediale Lebenswelten und Implikationen für die Beratung. In Handbuch Online-Beratung: Psychosoziale Beratung im Internet, hrsg. Stefan Kühne und Gerhard Hintenberger, 13–24, 2. Aufl. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
Hörmann, Martina, Dania Aeberhardt, Patricia Flammer, Alexandra Tanner, Dominik Tschopp und Joachim Wenzel. 2019. Face-to-Face und mehr – neue Modelle für Mediennutzung in der Beratung. Schlussbericht zum Projekt. Olten. http://www.blended-counseling.ch/forschung_entwicklung/2019_FacetoFace_und_mehr_Schlussbericht.pdf.
Jochumsen, Anette. 2016. Online-Bildungsberatung in Dänemark. eBeratung (eVejledning) am Internetportal Uddannelsesguiden. Magazin Erwachsenenbildung.at (29): 9 S.
Knatz, Birgit. 2011. Methodische Ansätze in der Onlineberatung: Das Vier-Folien-Konzept. In Handbuch Online-Beratung: Psychosoziale Beratung im Internet, hrsg. Stefan Kühne und Gerhard Hintenberger, 105–115, 2. Aufl. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
Knaevelsrud, Christine, Birgit Wagner und Maria Böttche. 2016. Online-Therapie und -Beratung. Ein Praxisleitfaden zur onlinebasierten Behandlung psychischer Störungen, 1. Aufl. Göttingen: Hogrefe.
Weinhardt, Marc. 2013. Zur Zukunft der Online-Beratung. e-beratungsjournal.net 9 (1): Artikel 3, S. 1-12.
Zum Datenschutz: https://www.lda.bayern.de/media/muster/muster_5_arztpraxis.pdf
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