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Das Schweizer Jazz & Blues Magazin Nov./Dez. Nr.6/2019 ‘N'MORE Schweiz CHF 11.00 / Deutschland / Österreich 6,90 ETHAN IVERSON GENIALES UNIKUM JAZZ BLUES'N' ROOTS STEFAN AEBY MICHAEL FORMANEK STANLEY NELSON 50 JAHRE ECM GABRIEL PROKOFIEV LEYLA MCCALLA HUBBY JENKINS DIETER ULRICH COPLAND/SCHLÄPPI BENNY TURNER PAUL MCCANDLESS WEGE WÜTHRICH VEIT STAUFFER NEWVELLE MURI RÖLLIN/MORGENTHALER/RUBEN KONSERVI SEON LUKAS MANTEL DEVI'S WORLD OF SOUND CHRISTOF MAHNIG SARAH CHAKSAD MIT MEHR ALS 100 CD-BESPRECHUNGEN

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  • D a s S c h w e i z e r J a z z & B l u e s M a g a z i n N o v . / D e z . N r. 6 /2 0 1 9

    ‘ N ' M O R E

    Schweiz CHF 11.00 / Deutschland / Österreich € 6,90

    EthaN Iv ERsONGEN Ia l E s UN I kUM

    J A Z ZB l U E s ' N' R

    O Ot s

    stE faN aEByM IchaEl fORMaNEkstaNlEy NE lsON50 JahRE EcMGaBR I E l PROkOf I Evl Eyla MccallahUBBy J ENk INsD I E t ER UlR I chcOPlaND/schläPP IB ENNy tURNERPaUl MccaNDlEssWEGE WüthR I chvE I t staUff ERNEWvEl l E MUR IRöll IN/MORGENthalER/RUBENkONsERv I s EONlUkas MaNtElDEv I ' s WORlD Of sOUNDchR I stOf MahN IGsaRah chaksaD

    MIt MEhR als 100 cD-BEsPREchUNGENJNM_06_19_01_Cover_Iverson.indd 1 28.10.19 09:13

  • J A Z Z

    18

    C o v e r s t r o r y

    Nach 17 Jahren und 14 Alben verliess Ethan Iverson Ende 2017

    das Kulttrio The Bad Plus. Der kreative Pianist – und blitzgescheite

    Autor – verbindet wie kaum einer Jazztradition und Avantgarde.

    JNM traf ihn an den Langnau Jazz Nights. Von Steff Rohrbach

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    Der Mann hat Humor: "Dewey über Musik sprechen zu hören, war aufschlussreich, weil ich eine Reihe von Meinungen über Jazz hat-te, die sich, konfrontiert mit einem echten Jazz-Meister, als völlig ungültig herausstell-ten", erinnert sich Ethan Iverson im US-Ma-gazin JazzTime an den Impuls zu seinem eigenen, inzwischen berühmten Blog "Do the Math", der seit 2004 weit über eine Million Wörter umfasse, wie Iverson auf seiner Homepage schreibt. "Es war alles näher am Knochen und unkonventioneller, als ich es mir vorgestellt hatte."

    Der autorDewey Redman ist auf einigen Tracks des ersten Iverson-Albums-"School Works" von 1993 dabei. "Das war sehr wichtig für mich.

    Ich wusste nicht viel über seine Musik, und ich musste 'klettern', um mit ihm spielen zu können. Er war einer der Grössten, und wie bei all diesen Jazzmeistern floss die Informa-tion ganz im und aus dem Moment heraus."Dutzende Interviews von Keith Jarrett und Joanne Brackeen bis Wayne Shorter, Essays für Studierende oder, kürzlich, seine Anleitung zur Einverleibung von Standards, auch Texte für "The New Yorker" hat Ethan veröffentlicht. Als Autor erweist er sich intellektuell so hoch-stehend und originell wie als Musiker, von dem nebst den Bad-Plus-Aufnahmen Alben mit Musikern wie Albert "Tootie" Heath, Lee Konitz, Chris Cheek, Bill McHenry oder Larry Grenadier erschienen sind. Häufig dabei: Jor-ge Rossy und Ben Street. Der Bassist gehört wie Ethan und Mark Turner zum Billy Hart Quartett, von dem es zwei Alben auf ECM

    gibt. Dort ist 2018 auch die höchst berühren-de Duo-CD "Temporary Kings" mit Mark Tur-ner erschienen – und jetzt "Common Practi-ce", sein Quartett mit Tom Harrell.Ethan Iverson liebt Krimis, kennt sich in Film- (-musik), Klassik, Zeitgenössischer Musik, Pop und allem dazwischen aus und ist 1973 in Menomonie, Wisconsin, geboren. "An Tradi-tion gab's nicht viel – ich war frei, Musik zu entdecken! Jazz war meine erste Liebe, noch vor klassischer Musik. Ich komme aus keiner musikalischen Familie, hörte die Musik in Fil-men wie James Bond (John Barry) oder Pink Panther (Henry Mancini). Später habe ich an der New York University bei Jim McNeely studiert. Er war sehr hilfreich, denn er spielte richtigen Jazz und erzählte viele Stories, etwa über Sonny Stitt oder Stan Getz. Ich realisier-te, dass ein grosser Teil dieser Musik aus Ge-schichten besteht und weniger aus Theorie-büchern. Anschliessend studierte ich bei Fred Hersch. Doch als ich Billy Hart live hörte, wusste ich, 'that's my man', er wurde mein Lehrer und Mentor."

    ethan Iverson

    genIales unIkum

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  • C o v e r s t o r y

    Wurzeln, FreunDe,klassIk

    Für jeden Pianisten und auch für Iverson zent-ral sind Ahmad Jamal und der Stride-Pianist James P. Johnson. "Es gab Zeiten bei The Bad Plus, da spürte ich, dass ich Jamal zu imitieren begann. Er spielte die Songs sehr klar, das mag ich auch. Auch an Johnson kommt keiner vorbei, der wirklich Jazz machen will, sein Spiel war so offensichtlich, und er gab dem Jazz so viel! Dass ich ihm manchmal ähnlich klingen mag, liegt an Jaki Byard, der von ihm beeinflusst war und etwas von 1928 spielen konnte, das so frisch wie heutig klang – eine Inspiration!" Über eine Dekade enorm wichtig für Iverson war ebenfalls Sophia Rosoff, klas-sische Pianistin und bedeutende Lehrerin – auch von Jazzpianisten wie Fred Hersch, Bar-ry Harris, Benoît Delbecq, Angelica Sanchez oder Aaron Parks, sie starb 2017.Die Klassik spielte für Ethan Iverson immer eine grosse Rolle: "Sie ist die Quelle der Har-monien, die mit afrikanischen Rhythmen der Sklaven im sozialen Pot der USA den Jazz hervorbrachten, der immer eine 'unreine' Mu-sik war und bleiben wird. Ich denke, alle Pia-nisten spielten auch klassische Stücke – ob Teddy Wilson, Herbie Hancock oder wer auch immer. Und wenn Ron Carter Bass solo spielt, gibt's auch da einiges an klassischen Elemen-ten, sie sind Teil der Jazzsprache."Anfang der 1990er-Jahre kam Ethan in die New Yorker Szene mit Rosenwinkels Band, Mehldaus Trio und den heutigen Dozenten am Jazzcampus (MAB/FHNW) in Basel Mark Turner, Larry Grenadier, Jeff Ballard, Jorge Rossy und Guillermon Klein. "Jorge war sehr wichtig, Bill McHenry, Chris Cheek, Seamus Blake, bald auch Jason Morans Trio mit Tarus Mateen und Nasheet Waits."

    the BaD Plus unD konversatIon mIt grossen "alten"

    Zwischen 2010 und 2015 entstanden drei Al-ben mit Albert Tootie Heath, und es entstand "Costumes Are Mandatory" mit Lee Konitz, Grenadier und Rossy. "Jeder, der das Jazzkla-vier liebt und erstmals Lennie Tristano hört, ist geschockt, Tristano ist total aufregend. Und Lee steht ja gewissermassen in seiner Linie. Er und auch Billy Hart sind ausgesprochen zugänglich und Förderer von Jungen, und so standen wir im Kontakt." Auch Mark Turner folgt der Tristano/Marsh-Spur. "Es gibt viele in dieser Tradition, die aber nicht wirklich 'ferti-ge' Jazzsaxophonisten sind. Mark hat was von dort, es ist Teil von ihm, und er macht auf ab-solut hohem Level etwas sehr Persönliches damit. Sein Interesse an Marsh ist speziell in der Szene."

    "The Bad Plus" mit Reid Anderson und Dave King entstand im Jahr 2000, teilweise spielte das Trio jährlich 150 Konzerte und mehr: Be-arbeitungen von Strawinskys "Sacre du Prin-temps" bis Nirvana-Songs, von Ornette Cole-man bis David Bowie und Indie-Rock. "Das stilistische Spektrum hat sich ganz natürlich ergeben durch unsere Interessen. Wir hatten nicht genügend eigene Musik – und es gehört zur Jazztradition, aktuelle Popmusik zu spie-len." Daneben fallen Iversons bemerkenswerte Kon-versationen mit "den grossen Alten" auf, auch mit Ron Carter: "Ich glaube, ich hatte erst über ihn geschrieben, und als ich ihn dann für ei-nen Duo-Gig anrief, sagte er gleich zu, ein Traum wurde Wirklichkeit – ein anderer mit Charlie Haden. Wenn du mit ihnen oder einem Al Foster spielen kannst, ist das einzigartig, denn sie haben etwas, das es so bei nieman-dem sonst gibt."

    Zur stilistischen Breite, die Ethan Iverson aus-zeichnet, gehört seine fünfjährige Zusammen-arbeit als musikalischer Leiter mit dem gros-sen Tänzer und Choreografen Mark Morris und seiner Dance Group. Nachdem er The Bad Plus verlassen hatte, kam die Anfrage zu "Pepperland", einem Grosserfolg der Compa-ny im Auftrag der City of Liverpool, 50 Jahre Stg. Pepper. "Ein Glücksfall, ein schönes Pro-jekt mit tollen Musikern und für Tausende, die es erlebt haben."Gab es mit dem Free Jazz der 1960er-Jahre – wie in anderen Bereichen – eine radikale Be-wegung als Reaktion auf politische und ge-sellschaftliche Entwicklungen und das Es-tablishment, bemängeln heute gewisse Krei-se, der Jazz sei soft, harmlos und unpolitisch geworden. "Der heutige Jazz ist sehr unter-schiedlich, hat viele kleine Szenen und stilis-tisch keine ganz grossen Trendsetter mehr wie damals mit einem Albert Ayler, von dem etwa John Coltrane beeinflusst war. Wer ihn hörte, änderte seine Spielweise – so jeman-den gibt es nicht. Ich denke jedoch, viele ha-ben auch heute in ihrer Musik durchaus eine politische Protesthaltung."

    Joss Whedon, Comic-Autor und Ethans Lieb-lingsregisseur (Buffy the Vampire Slayer), meinte, es gebe keine wirklich neuen Ideen mehr, Neues entstehe nur noch, indem alles Alte zusammenkomme. Iverson zweifelte, ge-langte dann aber zur Einsicht, die Aussage treffe tatsächlich zu: "Thelonious Monk setzte Elemente Duke Ellingtons, James P. Johnsons und Claude Debussys neu zusammen, Ornet-te Coleman, einst die Verkörperung der Avant-garde schlechthin, war ein Texas-Bluesman, der auf seinem Altsaxophon Texas-Blues spiel-te – inspiriert von Charlie Parker." Ethans Hin-weis illustriert das Rezept von Bad Plus und

    wohl auch seines eigenen Schaffens. Musik und auch Stories dieses genialen Unikums gehören zum Spannendsten im aktuellen Jazz und werden, daran ist nicht zu zweifeln, Teil seiner Geschichte. ■

    J A Z Z

    19

    Ethan IvErson QuartEt wIth tom harrEll

    Common PracticeEthan Iverson (p), Tom Harrell (tp), Ben Street (b),

    Eric McPherson (dr)(ECM/MV)

    Nach dem berührenden Duo-Album "Tem-porary Kings" mit Mark Turner gelingt es Ethan Iverson erneut, sich Standards so zu ei-gen zu machen, dass sie uns bewegen. Tom Harrells Trompete mit ihrem geradezu ma-krobiotisch genährten, unverfälschten Sound, ob er nun, wie in George und Ira Gershwins ewigem "The Man I Love" eine Ballade auf die Gefühlsspitze treibt oder im mittleren Tem- po des Iverson-Stücks "Philadelphia Creamer" sein Instrument mirakulös flirren lässt: Dieser magischen Trompete muss das hörende Ohr in jeder noch so feinen Regung folgen. Mc-Phersons Schlagzeug, da und dort mit kaum wahrnehmbaren ungeraden Metren swingend, Ben Streets in Timing und melodiösen Linien unwiderstehlicher Bass und Iversons teils la-konisches Klavierspiel, das mit unscheinbars-ten Schrägen und in bluesiger Rührseligkeit auch mal mit einer minimen Dissonanz ge-würzt ist, machen dieses Album zum grossen Vergnügen.

    Diskographie

    ➤ Temporar y k ings, Mark Turner/e than i verson (eCM, 2018)➤ The pur i t y o f The Tur f , e than i verson (ron Car ter/Nasheed Wai t s , Cr iss Cross, 2016)➤ phi lade lphia Beat , a lber t Too t ie heath/ i verson/s t ree t (sunnys ide, 2015)➤ one is The o ther, B i l l y har t Quar te t (eCM, 2014) ➤ Cos tumes are Mandator y, e than i verson/ Lee koni t z /Lar r y grenadier/Jorge rossy (highNote records, 2013)

    europa-Tour im Duo mi t Mark Turner20.11.19 Ber l in , a-Trane21.11.19 par is , Duc des Lombards 22.11.19 V i t ro l les/F, Moul in à Jaz z23.11.19 Basel , Jaz zcampus C lub24.11.19 gi rona/e , sunse t C lub26.11.19 köln, a l tes p f andhaus (unbes tä t ig t ) 27.11.19 k rakau/pL , Jaz z Fes t i va l

    w w w.e thani verson.com

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