jum radikalisierung de - federal council · 2021. 2. 5. · narrativezurprÄvention...

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NARRATIVE ZUR PRÄVENTION VON ONLINE-RADIKALISIERUNG Projektbeispiele, Empfehlungen und Anwendung in der Praxis Für Projekt- verantwortliche, Fachpersonen und Behörden

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  • NARRATIVE ZUR PRÄVENTIONVON ONLINE-RADIKALISIERUNGProjektbeispiele, Empfehlungen und Anwendung in der Praxis

    Für Projekt-

    verantwortliche,

    Fachpersonen und

    Behörden

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  • Impressum

    Herausgegeben vonJugend und MedienNationale Plattform zur Förderung von MedienkompetenzenBundesamt für Sozialversicherungen [email protected]

    Die Inhalte wurden erarbeitet vonBettina Bichselin Zusammenarbeit mit Liliane Galley und Maria Ritter (BSV)

    Fachliche Begleitung durchDirk Baier (ZHAW),Chantal Billaud (Schweizerische Kriminalprävention),Sébastien Gendre (FASe Genf),Vincent Joris (Experte für extremistische Ideologien und Bewegungen),Stéphane Koch (Experte für soziale Medien),Rifa’at Lenzin (Zürcher Institut für interreligiösen Dialog),Daniele Lenzo (Interventionsstelle gegen Radikalisierung undgewalttätigen Extremismus der Kantonspolizei Zürich) unddie Verantwortlichen der Pilotprojekte

    Bestellung (kostenlos)BBL, Verkauf Bundespublikationen, CH-3003 Bernwww.bundespublikationen.admin.ch > Aktuelles > Jugend und Medien(Bestellnummer 318.860.D)01.20 4000 860455496Download der Broschüren unter www.jugendundmedien.ch

    Erhältlich in Deutsch, Französisch und ItalienischLayout: Merkur Druck AG, LangenthalFotos: Pia Neuenschwander

    1. Auflage, Januar 2020

    © Jugend und Medien, Nationale Plattform zur Förderung von Medienkompetenzen,Bundesamt für Sozialversicherungen

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    LIEBE LESERIN,LIEBER LESER

    Ein Video auf YouTube, das dschihadistische Kämpfer als Helden feiert, untermalt mit eingängiger Musik. Ein auf Facebookgepostetes lokales Event, bei dem erst durch gezielte Recherche klar wird, dass es von einer rechtsextremen Gruppierungorganisiert wird. Der Austausch von Namen und Adressen in linksradikalen Online-Foren, kombiniert mit einem unmissver-ständlichen Gewaltaufruf. Extremistische Aktivist*innen aller Couleur nutzen das Internet, um ihre Ideologien zu verbreitenund neue Anhänger*innen zu rekrutieren. Jugendliche und junge Erwachsene werden dabei ganz gezielt ins Visier genom-men – mit professionellen Propagandastrategien sowie im Wissen darum, welche Bedeutung das Internet im Alltag jungerMenschen einnimmt und wie gerade diese Altersgruppe in der Phase der Identitätsfindung anfällig sein kann für radikaleBotschaften.

    Radikalisierung ist ein komplexes, vielschichtiges Thema. Es gibt nicht die eine Ursache, die dazu führt, dass sich jemandextremistischen Ideologien zuwendet. Gerade deshalb braucht es auch eine breite Palette von Präventionsmassnahmen.Einen Ansatz stellen sogenannte Gegennarrative und alternative Narrative dar: Dabei handelt es sich um Videos, Texteoder andere mediale Inhalte, welche die radikalen, politisch oder religiös motivierten Propagandabotschaften entlarven undstattdessen Werte wie Toleranz, Vielfalt und Meinungsfreiheit vermitteln. Nicht zuletzt geht es darum, Jugendlichen undjungen Erwachsenen zu zeigen, wie wichtig ein kritischer Umgang mit medialen Inhalten ist.

    In der Schweiz ist dieser Narrativ-Ansatz noch kaum erprobt. Aus diesem Grund hat das Bundesamt für Sozialversicherun-gen – als Beitrag zur Umsetzung des Nationalen Aktionsplans zur Verhinderung und Bekämpfung von Radikalisierung undgewalttätigem Extremismus – vier Pilotprojekte gefördert, in denen solche Narrative erarbeitet wurden. Die Ergebnisse derwissenschaftlichen Evaluation dieser Projekte zeigen auf, welche Herausforderungen dieser Ansatz mitbringt und welcheFaktoren zum Gelingen beitragen. Auf dieser Grundlage möchten wir Fachleute dazu motivieren, eigene Projekte zuinitiieren, und ihnen möglichst praxisnahe Hilfestellungen an die Hand geben. Schliesslich bietet die Broschüre Ideen,wie die Narrative der Pilotprojekte in der Schule, in der Jugendarbeit oder in anderen Präventionskontexten eingesetztwerden können.

    Ich wünsche Ihnen eine gute Lektüre.

    Ludwig GärtnerLeiter des Geschäftsfeldes Familie, Generationen undGesellschaft, Bundesamt für Sozialversicherungen

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    ______Überblick 5

    01____Extremismus und Radikalisierung im Netz 6Extremismus hat viele Gesichter 6Radikalisierung – der Weg zum Extremismus 7Wie zeigt sich Extremismus im Netz? 7Warum sind junge Menschen besonders anfällig für extremistische Botschaften? 9

    02____Gegennarrative und alternative Narrative als Präventionsansatz 10Was sind Gegennarrative und alternative Narrative und wozu dienen sie? 10Was ist über die Wirkung solcher Narrative bekannt? 10

    03____Neue Wege: die vier Pilotprojekte 12Hintergrund und Gesamtidee 12Fachliche Expertise und wissenschaftliche Begleitung 12Wissenstransfer und Erfahrungsaustausch 12Projekt Winfluence 14Projekt KnowIslam 15Projekt SwissMuslimStories 17Projekt PositivIslam 18

    04____Erfahrungen und Erkenntnisse aus den Pilotprojekten 20Anspruchsvoller, aber chancenreicher Ansatz 20Was sind die grössten Herausforderungen bei der Umsetzung? 21Welche Faktoren haben zum Erfolg der Projekte beigetragen? 25

    05____Qualitätskriterien und Empfehlungen 29Behörden und Geldgebende 30Projektverantwortliche 32Expertengremium 36Evaluationsteam 36Rollen und Aufgaben auf einen Blick 38

    06____Impulse zur Anwendung der Narrative in der Praxis 40Extremismus und Radikalisierung: Thema mit vielen Anknüpfungspunkten 41Anwendung der Narrative aus den Pilotprojekten 43

    07____Materialien und weiterführende Informationen 49

    ______Literatur 50

    ______Glossar 51

    INHALTSVERZEICHNIS

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  • Im digitalen Zeitalter spielt das Internet bei der Verbrei-tung extremistischer Inhalte eine bedeutende Rolle. Ob insozialen Medien, Foren oder Blogs, ob in Form von Fotos,Videos oder Texten – das Internet bietet politisch oder reli-giös motivierten Gruppierungen eine Plattform, um ihreIdeologien zu vermitteln, Propaganda zu betreiben und neueMitglieder anzuwerben. Dabei richten sie sich nichtselten explizit an Jugendliche und junge Erwachsene,deren Lebenswelten in hohem Masse online stattfindenund die aus unterschiedlichen Gründen besonders anfälligsein können für radikale Botschaften.

    Die Antwort auf die Frage, was Heranwachsende dazu bringt,sich zu radikalisieren, ist komplex. Verschiedene Faktoren –online wie offline – spielen dabei letztlich mit. Präventionbegegnet dieser Herausforderung mit diversen Massnahmen,angefangen bei der Sensibilisierung und Wissensvermittlungbis hin zu Ansätzen, die sich gezielt an gefährdete Jugendli-che und junge Erwachsene richten, um diese zu identifizierenund vomWeg der Radikalisierung abzubringen.

    Eine Präventionsmöglichkeit im digitalen Raum bietensogenannte Gegennarrative oder alternative Narrative.Ziel dieser Konzepte ist es, extremistische Ideologien undPropagandastrategien explizit zu dekonstruieren (Gegennar-rative) bzw. mittels positiver Botschaften Vorurteileabzubauen, ein differenziertes Denken und das gesellschaft-liche Miteinander zu fördern (alternative Narrative).Jugendliche und junge Erwachsene sollen dazu angeregtwerden, sich kritisch mit medialen Inhalten auseinanderzu-setzen.

    Im Rahmen des Schwerpunktthemas «Extremismus &Radikalisierung» unterstützte und begleitete die NationalePlattform Jugend und Medien des Bundesamtes fürSozialversicherungen (BSV) vier Pilotprojekte, die solche

    ÜBERBLICK

    Narrative entwickelt haben. Bei allen Projekten wirktenJugendliche und junge Erwachsene mit. Der gesamteProzess wurde zudem von einem Expertengremium begleitet.

    Die vorliegende Broschüre möchte auf dieser GrundlageAkteur*innen der Zivilgesellschaft, Fachpersonen undBehörden, aber auch weiteren Interessierten das Konzeptder Gegen- und alternativen Narrative näherbringen undsie bei der Initiierung eigener Projekte unterstützen.Basierend auf der Evaluation der Pilotprojekte und demdaraus resultierten Forschungsbericht der ZürcherHochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) undder Hochschule für Soziale Arbeit Fribourg (HETS-FR)werden neben grundsätzlichen Informationen die wichtigs-ten Herausforderungen beleuchtet und Hilfestellungen zurLancierung und Umsetzung präsentiert.

    5

    Eine Präventions

    -

    möglichkeit im

    digitalen Raum.

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    01_EXTREMISMUS UNDRADIKALISIERUNG IM NETZ

    Extremismus hat viele Gesichter

    Extremismus richtet sich gegen die fundamentalen Werteeiner rechtsstaatlichen, demokratischen Gesellschaft:Grundrechte, Gleichheit, Toleranz und Schutz von Minder-heiten. Extremistische Einstellungen zeigen sich inMeinungsäusserungen und der Verbreitung von Ideologien,die als allein gültig angesehen werden und kompromiss-los, auch mittels Gewalt durchgesetzt werden sollen. DasWeltbild ist von einer simplifizierten Freund-Feind-Logikgeprägt, Zusammenhänge werden oftmals auf Verschwö-rungstheorien reduziert.

    Die Propaganda extremistischer Gruppierungen zielt daraufab, systematisch die Gedanken- und Gefühlswelt vonMenschen zu beeinflussen; bis hin zur Bereitschaft, sich fürdie gewünschten gesellschaftlichen und institutionellenVeränderungen mit Gewalt (von Hassrede bis Terrorismus)einzusetzen.

    Zu politisch oder religiös motivierten Extremismusformen,die zu Gewalt führen können, gehören unter anderem:

    RechtsextremismusRechtsextremismus umfasst (neo-)faschistische, nationalis-tische, rassistische, muslimfeindliche und antisemitischeIdeologien. Die zentralen Feindbilder sind um Herkunft,Hautfarbe, Religion oder sexuelle Orientierung konstruiert.Die ethnische Zugehörigkeit gilt als zentrale Legitimation fürdie Ausgrenzung und Abwertung der anderen; entsprechendwird die soziale und rechtliche Gleichheit in Abrede gestellt.Rechtsextremist*innen wünschen sich einen autoritärenStaat, verherrlichen Faschismus und Nationalsozialismusund verharmlosen oder verleugnen den Holocaust.

    LinksextremismusLinksextremismus bezeichnet unterschiedliche kommunis-tische, marxistisch-leninistische und anarchistischeStrömungen. Gemeinsame Grundlage ist der Kampf gegendas globalisierte, kapitalistische System sowie eine

    Ideologie der absoluten sozialen Gleichheit. Aufgerufen wirdzum Widerstand gegen angeblich ausbeutende oderrepressive staatliche Strukturen und Institutionen wiePolizei oder parlamentarische Demokratie. GewaltbereiteLinksextremist*innen greifen oft Banken oder andereSymbole des Kapitalismus, aber auch Vertreter*innen derPolitik und Verwaltung an.

    Islamistischer Extremismus /DschihadismusIslamistischer Extremismus steht für fundamentalistischeAusprägungen des Islams, deren Anhänger*innen dieSchaffung bzw. Ausbreitung einer islamistischen Ordnunganstreben. Der Islam dient als Gegenmodell zum (alsverkommen wahrgenommenen) westlich-demokratischenWeltbild sowie den damit verbundenen staatlichen undgesellschaftlichen Grundlagen. Der Aufruf zum Dschihad imKoran wird als Gewaltlegitimation gegen alle Ungläubigengedeutet. Zudem ist der islamistische Extremismus geprägtvon einer homophoben Haltung. Dschihadistische Organisa-tionen wie al-Qaida oder der Islamische Staat (IS) versuchenimmer wieder gezielt, junge Menschen aus westlichenLändern anzuwerben.

    Allen drei Formen gemein sind neben Demokratiefeindlich-keit, Freund-Feind-Ideologie und alleinigem Wahrheitsan-spruch eine ablehnende Haltung gegen Massenmedien, einausgeprägtes Schwarz-Weiss-Denken und ein kamerad-schaftliches Zusammengehörigkeitsgefühl. Wer sich gegendie Gruppierung stellt oder sich von ihr abwendet, wirddiffamiert, bedroht und attackiert.

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    Radikalisierung – der Weg zum Extremismus

    Wissenschaftler*innen und Fachpersonen sind sich einig,dass es keine allgemeingültigen Radikalisierungsfaktorenoder -ursachen gibt. Allgemein wird Radikalisierung alsProzess angesehen, dessen Verlauf sich jedoch individuellgestaltet. Wer sich radikalisiert, wendet sich extremenDenk- und Handlungsweisen zu, die Gewalt gegenVertreter*innen des Feindbildes legitimieren. Es wird davonausgegangen, dass sich die dabei wirkenden Mechanismenje nach ideologischer Ausrichtung nicht wesentlichunterscheiden. Dennoch lässt sich kein typisches Profil vonMenschen ableiten, die besonders anfällig für eine Radikali-sierung sind. Die Werdegänge und Konstellationen sind jenach Person und Kontext sehr unterschiedlich; es treffenFaktoren aufeinander, die in der jeweiligen Biografie einespezifische Rolle spielen. Darüber, wie diese Faktorenzusammenhängen, welche Bedeutung den einzelnenAspekten zukommt und welche Dynamiken sich darausgenau ergeben, besteht wissenschaftlich kein Konsens. DreiElemente, die im Prozess der Radikalisierung hin zu(gewalttätigem) Extremismus relevant sind, werden jedochin den meisten Theorien genannt:

    1. Persönliche Erfahrungen von Unzufriedenheit, Ausgren-zung, Benachteiligung, (Identitäts-)Konflikten oderpolitischen Spannungen

    2. Die Verinnerlichung einer extremistischen Ideologie,indem die Person sich mit dieser identifiziert

    3. Die Einbindung in einen Kontext, der geprägt wird vonGruppenloyalität und Gruppendruck

    Je nach Grad der Radikalität sind unterschiedliche Massnahmenin der Prävention erforderlich. Dabei wird zwischen universellerund selektiver Prävention unterschieden: Erstere richtet sich anbreite Teile der Bevölkerung, während zweitere gezielt jeneGruppen anvisiert, die aufgrund ihrer Biografie Risikofaktorenaufweisen. Ist eine Radikalisierung in Gang oder bereits erfolgt,braucht es andere Massnahmen mit dem Ziel, die Betroffenenvom extremistischen Weg abzubringen.

    Wie zeigt sich Extremismus im Netz?

    Die Erscheinungsformen von politischem oder religiösemExtremismus im Internet sind vielfältig. Soziale Netzwerkeoder Videoportale, aber auch Blogs, Foren und Kommentar-spalten bieten fast unbegrenzte Möglichkeiten, Meinungen,Ideologien und Propaganda-Botschaften zu verbreiten.Das Problem dabei ist, dass radikale und extremistische Inhalteoft gut getarnt sind, verpackt als politische Aufklärung,Bürgerinitiative oder Unterhaltung. Nicht immer ist auf denersten Blick erkennbar, worum es tatsächlich gehtund wer sich hinter einem Post, Foto oder Video verbirgt.

    Extremistische Gruppierungen kopieren gern den jugendli-chen Lifestyle, bedienen sich einer modernen Bildsprache,produzieren aufwändige Musikvideos oder Propaganda-Filme. Und extreme Ansichten finden im Netz schnellerVerbreitung, erreichen potenziell mehr Menschen als in derphysischen Welt – allein deshalb, weil das Web geografischnicht gebunden ist. Hinzu kommt, dass die Hemmschwellefür radikale Äusserungen oder für das Liken und Sharen vonextremistischen Inhalten aufgrund der vermeintlichenAnonymität im Internet sinkt. Man muss sich nicht direktzeigen oder kann sich hinter einer gefälschten Identitätverstecken.

    Und nicht zuletzt haben die Personalisierungsalgorithmender digitalen Medien einen Einfluss darauf, was uns alsNutzer*innen angezeigt wird. Ausgewählt und vorgeschla-gen werden Themen, die zuvor aufgerufenen Seiteninhaltenähneln. Diese Filterung kann (durch die Entstehung soge-nannter «Filterblasen») zu einer Polarisierung von Meinun-gen und Einstellungen beitragen.

    Allgemein wird

    Radikalisierung

    als Prozess ange

    sehen.

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    Warum sind junge Menschen besondersanfällig für extremistische Botschaften?

    Die Entwicklungsphase von Jugendlichen und jungenErwachsenen ist geprägt von der Suche nach der eigenenIdentität. Gerade das Internet bietet in diesem Prozess einSpiel- und Experimentierfeld, in dem verschiedene Ideenausgetestet werden können. Neuem und Unbekanntemgegenüber ist diese Altersgruppe tendenziell offener undaufgeschlossener – insbesondere, wenn die Inhalte injugendlicher, ansprechender Form aufbereitet sind. Zudementwickelt sich im Jugendalter das Interesse an politischenund sozialen Fragen. Es geht darum, ein eigenes Wertesys-tem zu finden. Auch damit ist eine Öffnung für verschiedeneHaltungen und Ansichten verbunden.

    Ganz allgemein machen sich extremistische Gruppierungendas Medienverhalten junger User*innen zunutze, für die derZugang zum Internet rund um die Uhr selbstverständlichgeworden ist. Soziale Netzwerke und Videodienste wieYouTube werden zu Unterhaltungszwecken, aber auch alsInformationsquelle genutzt. Im Rahmen einer Befragung von12- bis 19-Jährigen zum Thema «Fake News» (JAMESfocus2019) wurden zwei Gruppen als potenziell anfällig fürFalschmeldungen ermittelt: Einerseits jene Jugendlichen,die ohnehin wenig oder kein Interesse am aktuellenWeltgeschehen zeigen und entsprechend geringe Kompe-tenzen im Umgang mit Nachrichten (news literacy) mitbrin-gen. Und andererseits diejenigen, die sich vor allem inpersönlichen Gesprächen mit Freund*innen und der Familieoder online z. B. auf Videoportalen und in sozialen Medieninformieren und somit Meinungen möglicherweise unreflek-tiert übernehmen.

    Die Schwierigkeit besteht für alle Nutzer*innen darin,extremistische Inhalte einzuordnen und die dahinterliegen-de (Propaganda-)Absicht zu erkennen. Das hat nicht alleinmit Lebenserfahrung und Wissensstand zu tun, sondernauch mit der meist professionellen technischen Umsetzungund Aufmachung solcher Inhalte. Zudem verstecken sich

    radikale Botschaften und Ideologien oft hinter vermeintlichharmlosen Unterhaltungselementen wie Songs, Klingeltö-nen oder Bildern.

    Nicht zuletzt entspringt der virtuelle Austausch demBedürfnis, sich mit anderen verbunden zu fühlen. Onlinekann dieses Zugehörigkeitsgefühl zu einer Gruppe sogarnoch schneller entstehen als durch persönliche Kontakte inder physischen Welt. Besonders Jugendliche und jungeErwachsene mit wenig gefestigten sozialen Beziehungenkönnen empfänglich sein für gewisse Botschaften, diegenau diesen Gemeinschaftssinn hervorheben.

    RadikaleBotschaf

    ten

    verstecken sich

    oft hinter Unter

    haltungs-

    elementen.

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    Was sind Gegennarrative und alternativeNarrative und wozu dienen sie?

    Angesichts der Komplexität, die mit Radikalisierungsprozes-sen einhergeht, braucht es auch in der Prävention Anstren-gungen, die auf verschiedenen Ebenen ansetzen. Das giltoffline wie online, wo beispielsweise repressive Massnah-men, die Aktivitäten im Netz mittels sogenannter Disruption-Software überwachen und auffällige Inhalte löschen, nurbegrenzt wirksam sind. Zu einfach ist die Möglichkeit, überneue Accounts und Webpräsenzen weiter Propaganda zuverbreiten.

    Gefragt sind ergänzende Massnahmen, die sich nicht zuletztan genau jene Zielgruppen richten, die auch im Visier derextremistischen Gruppierungen stehen. Gegen- undalternative Narrative setzen hier an, indem sie extremisti-schen Inhalten auf die gleiche mediale Weise entgegenwir-ken, die vermittelten Botschaften dekonstruieren und diepropagandistischen Ziele durchbrechen wollen. BeidenAnsätzen gemein ist das Bestreben, Aufklärungsarbeit zuleisten und zu einer kritischen Meinungsbildung beizutragen.Die Herangehensweise unterscheidet sich dabei wie folgt:

    GegennarrativeGegennarrative wollen extremistische Inhalte als Propagandaentlarven und diskreditieren, Fehlinformationen widerlegenund verherrlichende Darstellungen entmystifizieren. Beispiels-weise kann ein kriegsverherrlichendes islamistisches Narrativmit einem Gegennarrativ kontrastiert werden, welches dienegativen Folgen eines Krieges aufzeigt. Die eingesetzten Mit-tel bei Gegennarrativen reichen von sachlich-logischerArgumentation bis hin zu Humor und Satire.

    Alternative NarrativeAlternative Narrative legen den Fokus auf die Vermittlungpositiver Botschaften. Während extremistische Narrativestets eine «Freund-Feind»-Perspektive einnehmen, geht esbei alternativen Narrativen um die Förderung differenzierterWahrnehmungen. Mögliche Wege zum friedlichen Zusam-

    menleben in einem liberalen Rechtsstaat, Themen wiesoziale Integration und Toleranz werden beleuchtet.

    Was ist über die Wirkung solcher Narrativebekannt?

    Die (empirische) Forschungslage zu Gegen- und alternativenNarrativen und deren Wirkung ist bisher dünn. Es gibt nurwenige ausländische Untersuchungen, die jedoch keineinheitliches Bild zeichnen.

    Eine grosse Herausforderung besteht im Surfverhalten vonIndividuen. So wird davon ausgegangen, dass Menschen inder Regel Inhalte konsumieren, die ihren Einstellungenentsprechen. Von einem Standpunkt überzeugte Personenlassen sich demnach kaum von gegenteiligen Ansichtenüberzeugen. Vielmehr wirken Medieninhalte noch verstär-kend, das heisst Menschen, die bereits extrem oder radikaleingestellt sind, fühlen sich in ihren Meinungen bestätigtund gefestigt. Tendenziell sind es also eher Menschen, diein ihrer Haltung noch nicht festgelegt oder unsicher sind, diedurch Gegen- und alternative Narrative erreicht werdenkönnen.

    Mit Blick auf die Entwicklung wirksamer Gegen- undalternativer Narrative lassen sich aufgrund bisherigerwissenschaftlicher Erkenntnisse folgende Eckwertebenennen:

    1. Grundvoraussetzung sind profunde Kenntnisseder ZielgruppeWie sieht das psychosoziale Profil der Menschen aus, dieerreicht werden sollen? Wo bewegen sie sich (onlinewie offline)? Über welche Kanäle sind sie ansprechbar?Von welchen Botschaften fühlen sie sich angezogen?

    2. Der narrative Inhalt der Gegenbotschaft sollbesser sein als die extremistische PropagandaUm diesen Anspruch zu erfüllen, müssen die Themen

    02_GEGENNARRATIVE UNDALTERNATIVE NARRATIVE ALSPRÄVENTIONSANSATZ

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    bekannt sein, mit denen sich extremistische Gruppie-rungen in ihren Narrativen befassen. Nur so könnengezielt Argumente aufgegriffen und dekonstruiert bzw.alternative Perspektiven aufgezeigt werden. Zudembesteht die Ansicht, dass ein Gegenargument vor allemdann wirken kann, wenn es aus dem gleichen kulturel-len Kontext wie das extremistische Narrativ kommt.

    3. Gegen- und alternative Narrative sollen in ihrerMachart modern, zeitgemäss und immer wiederneu seinExtremistische Narrative sind meist professionellproduziert und schnelllebig, d. h. es entstehen immerwieder neue Inhalte. Dasselbe wird bei Gegen- undalternativen Narrativen vorausgesetzt.

    4. In Bezug auf die Gestaltung der Narrative gibt eserst wenige empirisch unterlegte AnhaltspunkteFür ein vertieftes Wissen darüber, wie extremistischenBotschaften begegnet werden kann bzw. wie dieseentkräftet werden können, braucht es weitere wissen-schaftliche Untersuchungen, welche die kommunikativeWirkung von Gegenstrategien messbar machen.Bisherige Befunde nennen vier wesentliche Faktoren fürden Aufbau von Narrativen:– Bei alternativen Narrativen wird zu einem erzähle-

    rischen Aufbau und einem Fokus auf persönlicheGeschichten geraten. Die Erzählung soll für dasZielpublikum ansprechend und unterhaltsam sein.

    – Bei Gegennarrativen empfiehlt sich eine direkteVerknüpfung mit der extremistischen Botschaft, umdie Gegenargumente konkret und gezielt einzubin-den.

    – Generell sollten Narrative mit einem präventivenAnsatz zur Reflexion anregen.

    – Ein weiterer grundlegender Ansatz sollte dieFörderung der Medienkompetenz bzw. ein kritischerUmgang mit medialen Inhalten sein.

    5. Die Urheberschaft muss bei der ZielgruppeVertrauen und Glaubwürdigkeit geniessen.Die wahrgenommene Legitimität der Personen oderOrganisationen, die hinter den verbreiteten Botschaftenstecken, spielt eine wesentliche Rolle, wenn esdarum geht, wie die Inhalte aufgenommen werden undwelche Wirksamkeit sie erzielen.

    6. Good-Practice-Modelle aus anderen Bereichenkönnen wertvolle Impulse liefernParallelen bestehen beispielsweise zur Gewaltpräventi-on und zur Förderung der Zivilcourage. Auch hiergelten vergleichbare Anforderungen etwa bezüglichQualität, Dramaturgie und Stilsicherheit in derUmsetzung.

    Generellsollten

    Narrative zur Re

    flexion

    anregen.

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    Hintergrund und Gesamtidee

    Mit dem 2017 lancierten Vorhaben wurde in der SchweizNeuland betreten. Erfahrungen mit Projekten, welche dieErarbeitung und Verbreitung von Gegen- oder alternativenNarrativen zum Ziel haben, gab es bis dahin in der Schweiznicht. Die Initiierung durch das BSV erfolgte im Rahmen desSchwerpunktthemas «Extremismus und Radikalisierung»der Plattform Jugend und Medien. Damit wurde gleichzeitigeine Massnahme des Nationalen Aktionsplans zurVerhinderung und Bekämpfung von Radikalisierung undgewalttätigem Extremismus umgesetzt.

    Unterstützt und begleitet wurden von Herbst 2017 bis Ende2018 vier Pilotprojekte aus der ganzen Schweiz. Bei derAusschreibung und Auswahl der Projekte standen folgendeAnforderungen im Vordergrund:

    Partizipation: Jugendliche oder junge Erwachsene im Altervon 12 bis 25 Jahren bilden nicht nur die Zielgruppe,sondern werden auch bei der Konzeptentwicklung undProjektumsetzung einbezogen.

    Nachhaltigkeit: Das Projekt ist in Bezug auf Wirkung undWissenstransfer langfristig ausgelegt.

    Know-how: Projektkonzeption und -struktur gewährleistenausgewiesene Kenntnisse und Erfahrungen in den Berei-chen Extremismus und Radikalisierung sowie Online-Kom-munikation.

    Fachübergreifende Zusammenarbeit: Das Projekt istbreit abgestützt und setzt bei der Umsetzung und Verbrei-tung auf die Zusammenarbeit der wichtigsten Partner(Jugendarbeit, Integration, Prävention, Religion).

    Einbettung: Das Projekt lässt sich mit anderen Sensibili-sierungsmassnahmen zur Radikalisierungspräventionverbinden.

    Aufgrund der eingegangenen Projektideen wurde derSchwerpunkt auf alternative Narrativen im Bereich desislamistischen Extremismus gelegt. Die Methodik istaber explizit auf andere Extremismusformen, insbesondereRechts- und Linksextremismus anwendbar.

    Fachliche Expertise und wissenschaftlicheBegleitung

    Angesichts der Vielschichtigkeit des Themas begleitete einExpertengremium aus unterschiedlichen Bereichen(Prävention, Extremismus, interreligiöser Dialog, soziokultu-reller Austausch, digitale Medien) den gesamten Prozessvon der Auswahl der Projekte bis zu deren Evaluation. Nebender Gewährleistung inhaltlicher und formaler Qualitäts-standards konnte so sichergestellt werden, dass die veröffent-lichten Narrative die gewünschten Botschaften ziel-gruppengerecht vermittelten, keine Missverständnisse bzw.unerwünschte oder kontraproduktive Interpretations-möglichkeiten entstanden und beispielsweise keine verzerrteOpferperspektive eingenommen wurde. Zudem solltendie verwendeten Begrifflichkeiten nicht mit den typischenAusdrucksformen extremistischer Gruppierungenverwechselt werden können.Der Qualitätssicherung und Wissensgenerierung diente eineformative und summative Evaluation durch die ZHAW unddie HETS-FR. Ausführliche Informationen zu Konzept, Vorgehenund Fragestellung der Evaluation finden sich im Forschungs-bericht (Baier et al. 2019). Die Erfahrungen aus der Pilotphasesollen Anhaltspunkte für die Weiterentwicklung undOptimierung der Projekte selbst, besonders aber auch fürweitere Initiativen geben.

    Wissenstransfer und Erfahrungsaustausch

    Um die vier Projekte untereinander zu vernetzen, denErfahrungsaustausch zu fördern und Wissensgrundlagen alsUmsetzungshilfe zu vermitteln, organisierte das BSV dreiTreffen für die Projektverantwortlichen. Neben Vertreter*innen

    03_NEUE WEGE: DIE VIERPILOTPROJEKTE

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  • des Bundes nahmen auch das Expertengremium und dasEvaluationsteam daran teil. Themen waren zunächstallgemein die Radikalisierung von Jugendlichen und jungenErwachsenen bzw. Massnahmen zur Prävention. Weiterstanden digitale Kommunikationsstrategien zur Verbreitungder Narrative, der Umgang mit (Hass-)Kommentarensowie sogenannte Redirect-Methoden, mit denen z.B. Googlegegen Online-Radikalisierung vorgeht, im Fokus. Zudemwaren Referent*innen von ausländischen Narrativprojekteneingeladen, um über ihre Erfahrungen und Erkenntnissezu berichten.

    Mit Blick auf die Umsetzung wurden auch die Projektkonzepteund der Prozessverlauf diskutiert. Nicht zuletzt ging esmit dem Ziel einer möglichst grossen Nachhaltigkeit darumzu klären, wie die Projekte nach Abschluss der Pilotphaseweitergeführt bzw. die erarbeiteten Narrative auch künftigmultipliziert und in der Praxis zur Prävention eingesetztwerden können (vgl. dazu Kap. 6).

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  • 14

    Projekt Winfluence

    Idee und ZielsetzungWinfluence war ein Projekt der Jugendinfo Winterthur inZusammenarbeit mit der städtischen Kinder- undJugendbeauftragten, der Fachstelle Extremismus undGewaltprävention Winterthur sowie dem Verein JASS (Justa simple Scarf). Der Fokus lag auf Narrativen, die sichallgemein gegen extremistische Propaganda, Hass und Hetzeim Internet richten.

    Ziel war es, durch die Produktion und Verbreitung vonVideoclips Toleranz zu fördern, Vorurteile abzubauen unddas Verständnis für Andersdenkende zu wecken. Dieinvolvierten Jugendlichen sollten durch die ProjektmitarbeitExpertenwissen aufbauen und zu Botschafter*innen fürRespekt und Toleranz werden. Für die thematischeErarbeitung und die technische Umsetzung wurden eineTheaterpädagogin und eine Zeichnerin beigezogen.

    Einbezug der Jugendlichen oder jungenErwachsenenWinfluence verfolgte einen ausgeprägt partizipativenAnsatz. Über Anzeigen in Zeitungen und im Internet wurdenJugendliche für die Projektbeteiligung gesucht. In einemCasting wurden 14 sogenannte Winfluencer*innen ausge-wählt, welche die Themen und Inhalte der einzelnenVideoclips bestimmten und entwickelten. Eine zweiteGruppe junger Erwachsener sorgte für die Online-Verbreitungvia soziale Medien (Facebook, Instagram) und YouTube.

    Anvisierte Zielgruppen– Die beiden sogenannten Winfluencer-Gruppen,

    bestehend aus Jugendlichen unter 18 Jahren, die dieNarrativinhalte erarbeiteten, sowie jungen Erwachse-nen, welche die erstellten Videoclips in den sozialenMedien verbreiten sollten.

    – Teile der Bevölkerung mit einer skeptischen oder garablehnenden Einstellung gegen Flüchtlinge, den NahenOsten und den Islam (im Alter von 13 bis 25 Jahren bzw.31 bis 50 Jahren).

    – Muslim*innen, Flüchtlinge und Menschen aus demNahen Osten, die selbst Ablehnung erleb(t)en (im Altervon 14 bis 30 bzw. 31 bis 40 Jahren).

    ProduktEs wurden fünf Videoclips realisiert. Um die involviertenJugendlichen zu schützen, wurde die Form von MotionComics gewählt. Die Protagonist*innen sind darin als Tieredargestellt. Die Videoclips decken folgende Themen ab:– #1 Gender: Gewalt in Paarbeziehungen– #2 Hass im Alltag: Rassismus innerhalb der Familie– #3 Grillideologie: radikale Vegetarier*innen– #4 Gewalt und Aggression: Gewalt im öffentlichen Raum– #5 Die Amis sind an ALLEM schuld: Verschwörungs-

    theorien

    Die gewählten Tierfiguren (Nashorn, Hund, Vogel, Papagei,Lama) wurden in den Clips mit einheitlicher Persönlichkeitdargestellt, nahmen aber je nach Thema unterschiedlicheRollen ein. Das sollte verdeutlichen, dass dieselbe Person jenach Situation (radikalisierte*r) Täter*in, Opfer oderZuschauer*in sein kann.

    ProjektteamJugendinfo der Stadt Winterthur, Verein JASS, Kinder- und Jugendbeauftragte der Stadt Winterthur, FachstelleExtremismus und Gewaltprävention Winterthur

    Projektwebsitehttps://jugendinfo.win/winfluence/

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    Projekt KnowIslam

    Idee und ZielsetzungDas Projekt stand unter der Federführung des Instituts fürInterkulturelle Zusammenarbeit und Dialog in Zürich.Muslimische Jugendliche und junge Erwachsene solltenangesprochen werden, um konstruktiv-kritisch über dieeigene Religion nachzudenken und sich eine eigene Meinungzu bilden.

    Dafür wurden zu verschiedenen übergeordneten Themenbe-reichen (z. B. Mensch, Religion, Glaube, Gewalt) ausgewähl-te Textstellen aus dem Koran zu alternativ-narrativenBildtexten und Erklärvideos verarbeitet. So sollten eineandere Lesart verdeutlicht und ein friedlicher, humanisti-scher Islam in den Vordergrund gestellt werden.

    Einbezug der Jugendlichen oder jungenErwachsenenDie Partizipation von Jugendlichen und jungen Erwachsenenfand über ein Sounding Board statt. Es wurden zweiWorkshops durchgeführt, um deren Ansichten, Überlegun-gen und Präferenzen in Bezug auf die Themenauswahleinzuholen. Die Teilnehmer*innen wurden dazu direkt vonden Projektverantwortlichen angesprochen.

    Anvisierte ZielgruppeMuslimische Jugendliche (zwischen 14 und 18 Jahren) undjunge Erwachsene (bis 25 Jahre), die sich im Internet überreligiöse Themen informieren wollen.

    ProduktInsgesamt wurden 53 Bildtexte und zehn Videos zuverschiedenen Koranstellen erarbeitet. Sowohl Bildtextewie Erklärvideos sind nach einem einheitlichen Layout undKonzept erstellt. Während die Bildtexte mit den dazugehöri-gen Ausführungen und Suren kurz gehalten sind, beleuchtendie Videos ein Thema aus mehreren Perspektiven. Siewidmen sich unterschiedlichen Inhalten:

    – Videoclip 1: Der Mensch im Islam– Videoclip 2: Was sagt der Islam zu Gewalt?– Videoclip 3: Glaube – Iman– Videoclip 4: Gott im Islam – Glaube an Allah– Videoclip 5: Was ist der Islam?– Videoclip 6: Der Koran – Die Lesung– Videoclip 7: Hadith – Was bedeutet das?– Videoclip 8: Jenseits im Islam (Ahira) – Das Leben nach

    dem Tod– Videoclip 9: Propheten und Gesandte– Videoclip 10: Grundrechte im Islam

    ProjektteamInstitut für Interkulturelle Zusammenarbeit und Dialog, Fachpersonen aus den Bereichen Mediamatik / IT, Islam undRadikalisierung

    Projektwebsite und Instagramhttps://knowislam.ch/https://www.instagram.com/knowislam_ch/

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    Projekt SwissMuslimStories

    Idee und ZielsetzungTräger des Projekts war der Verein Ummah (MuslimischeJugend Schweiz). Es wurde zudem unterstützt durch verschie-dene nationale und regionale Organisationen, Fachstellenund Stiftungen. In kurzen Videoporträts wurden SchweizerMuslim*innen vorgestellt. Ihre individuellen Geschichten solltendie Vielfalt muslimischen Lebens in der Schweiz veranschauli-chen und zeigen, wie unterschiedlich Religion im Alltaggelebt werden kann und wie verschiedene Identifikationenvereinbar sind. Dadurch sollten die Porträtierten zupositiven Rollenvorbildern für junge Muslim*innen werden.

    Einbezug der Jugendlichen oder jungenErwachsenenDie Protagonist*innen für die Videoporträts wurden überdas Netzwerk des Projektteams und der involviertenmuslimischen Organisationen rekrutiert. In einem erstenWorkshop hatten rund 30 Jugendliche und junge Erwachse-ne die Möglichkeit, potenzielle Protagonist*innen sowie dievermittelten Botschaften und Formate gemeinsam mit demProjektteam zu erarbeiten. In einem zweiten Workshopwurden die Ergebnisse mit den Jugendlichen und jungenErwachsenen analysiert und bewertet.

    Anvisierte Zielgruppen– Muslim*innen in der Schweiz (vor allem Jugendliche und

    junge Erwachsene).– Die breitere Schweizer Öffentlichkeit zur Förderung der

    Toleranz.

    ProduktEs wurden zehn Videos in einer Kurzversion (ca. eineMinute) und einer Langversion (ca. drei Minuten) produziertund veröffentlicht. Gezeigt werden Muslim*innen, die inder Schweiz geboren oder eingewandert sind. Am rechtenRand jedes Videos lässt sich ein Icon anklicken, das denjeweiligen Lebensweg grafisch darstellt und kurz erklärt.Krisen bzw. schwierige Phasen werden so ebenso sichtbarwie persönliche Erfolge. Die Videos im Überblick:– Episode 1 «Friedensstifter»: Samir (29 Jahre), selbst-

    ständiger Maler, Illustrator und Graffitikünstler, in derSchweiz geboren.

    – Episode 2 «Schweizermacherin»: Dania (23 Jahre),interkulturelle Dolmetscherin, mit 18 Jahren aus Syriengeflüchtet.

    – Episode 3 «Landesverteidiger»: Saâd (26 Jahre), ange-hender Ökonom, Militäroffizier, in der Schweiz geboren.

    – Episode 4 «Teamplayerin»: Selma (28 Jahre), Sozialpäda-gogin, in der Schweiz geboren.

    – Episode 5 «Weltbürgerin»: Hannan (33 Jahre), Islamwis-senschaftlerin, in der Flüchtlingshilfe tätig, in Münchengeboren und mit 31 Jahren in die Schweiz migriert.

    – Episode 6 «Gemeinschaftsmensch»: Bujar (29 Jahre),Politiker, als Kind aus Mazedonien in die Schweiz migriert.

    – Episode 7 «Wegweiserin»: Nuran (38 Jahre), Fahrlehrerin,als Kind aus Mazedonien in die Schweiz eingewandert.

    – Episode 8 «Lebensretterin»: Serpil (25 Jahre), (angehen-de) Ärztin, in der Schweiz geboren.

    – Episode 9 «Trendsetter»: Sohail (24 Jahre), Informatiker,Gründer eines eigenen Kleider-Labels, in der Schweizgeboren.

    – Episode 10 «Volksmusiker»: Atilla (29 Jahre), Informatiker,professioneller Musiker, in der Schweiz geboren.

    ProjektteamDas Projektteam umfasste sechs Einzelpersonen unterschiedlicher Fachrichtungen (Ethnologie, Erziehungswissenschaften,Soziale Arbeit, Islamwissenschaften, Lebensmitteltechnik).

    Projektwebsitehttps://www.swissmuslimstories.ch

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  • Projekt PositivIslam

    Idee und ZielsetzungDas Projekt wurde vom Schweizerischen Zentrum für Islamund Gesellschaft der Universität Fribourg initiiert und inZusammenarbeit mit dem muslimischen Verein Frislamdurchgeführt. Ziel war es, eine Plattform für jungeBlogger*innen mit Beiträgen gegen Radikalisierung undExtremismus zu schaffen.

    Die entstandenen Texte und Illustrationen sollten einealternative Lesart zu radikalen Propagandanarrativenbieten, zum Denken anregen und Diskurse anstossen. DieBlogger*innen (im Alter zwischen 18 und 25 Jahren undmehrheitlich muslimisch) berichteten darin von alltäglichenErfahrungen, warfen einen differenzierten Blick auf denIslam und damit verbundene Themen.

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    ProjektteamDas Projektteam bestand aus zwei Mitgliedern des Schweizerischen Zentrums für Islam und Gesellschaft, einemMitglied des Partnervereins Frislam sowie einer Influencerin.

    Projektwebsitehttps://www.positivislam.ch/

    Einbezug der Jugendlichen oder jungenErwachsenenDer gewählte Ansatz war stark partizipativ. Die jungenBlogger*innen, die über das Projektnetzwerk gesuchtwurden und bei denen es sich vorab um Student*innenhandelte, wurden in Trainings und Workshops auf ihreTätigkeit vorbereitet. Insbesondere ging es darum, kritischüber extremistische Botschaften zu reflektieren und eigenePositionen zu entwickeln.

    Anvisierte Zielgruppen– In erster Linie junge Erwachsene, einerseits die

    Blogger*innen selbst, andererseits die Rezipient*innender Beiträge, die zur Reflexion und zum Austauschaufgefordert werden sollten.

    – In zweiter Linie richteten sich die Blogbeiträge auch andie breite Bevölkerung.

    ProduktEs wurden 18 Beiträge von zehn Blogger*innen publiziert.Dabei handelte es sich mehrheitlich um Texte. DieBlogger*innen traten unter einem Pseudonym auf.Die Beiträge im Überblick:– Partons tous au Jihâd: Erklärung der wahren Bedeutung

    des Dschihad– Commençons par le commencement : Unterscheidung

    Islam/Terrorismus– Allah Akbar – une expérience immédiate: Bedeutung des

    Ausdrucks «Allahu akbar»– Quels jeunes voulons-nous être?: Einleitender Text zum

    Thema, welche Rolle die junge Generation für sichdefinieren möchte

    – La «Poetessa»: l’esempio di Hissa Hilal: Beitrag überdie saudi-arabische Dichterin, die gegen religiösenFanatismus ankämpft

    – Je ne suis pas raciste, mais…: Unterscheidungzwischen offenem und subtilem Rassismus

    – Des musulmans et un islam?: Islam als gemeinsamereligiöse Grundlage für verschiedene Muslim*innen

    – Comment s’est déroulée ma conversion à l’islam?:Erfahrungsbericht einer Konversion

    – 22 mars 2016, 9h 11, un grand boom: Unterscheidungzwischen Islam und islamistischem Terrorismus

    – Il radicalismo islamico come indice di una problematicagenerazionale?: Beleuchtung der These, dass islamisti-scher Extremismus nur eine Form der Gewalt ist,die durch den Nihilismus der Jugend ausgelöst wird

    – Les doutes et le sens: Der kritische Blick einer muslimi-schen Frau auf die Praktiken des Islam

    – Batailles et moralité humaine: Regeln im Kriegsfall– De l’éthique de guerre à l’éthique de paix: Auseinan-

    dersetzung mit den Themen Krieg und Frieden im Islam– Quando l’islam è al centro del discorso I: Islam und

    rechtsextreme Rhetorik (Teil 1)– La violenza di un pezzo di carta: Das negative Bild von

    Muslim*innen in den Medien– E se fossimo tutti musulmani?: Definition des Begriffs

    «muslimisch»– Quando l’islam è al centro del discorso II: Islam und

    rechtsextreme Rhetorik (Teil 2)– Le voile oppressé: Betrachtung des Schleiers

    (Illustration)

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    Anspruchsvoller, aber chancenreicherAnsatz

    Kann mit dem Modell der Gegen- und alternativen Narrativedie gewünschte präventive Wirkung erzielt werden?Fühlt sich die Zielgruppe von den Inhalten angesprochen undwerden die vermittelten Botschaften verstanden?Welche Faktoren tragen zum Gelingen bei und wo liegendie grössten Herausforderungen? Zur Beurteilung desErarbeitungsprozesses und der Produkte begleitete dasEvaluationsteam die Projektumsetzung und interviewtesowohl die Projektverantwortlichen als auch die involviertenJugendlichen und jungen Erwachsenen. Die Frageder Wirkung der Narrative wurde auf mehreren Ebenen zubeantworten versucht: Über Gruppendiskussionen inSchulklassen und Jugendtreffs, mittels einer standardi-sierten Online-Befragung bei Heranwachsenden füreine vertiefte individuelle Einschätzung sowie anhandvon Interviews mit verschiedenen Expert*innen.

    Aus dieser Evaluation resultieren erste Antworten auf dieoben genannten Fragestellungen. AbschliessendeAussagen, gerade über die Wirkung der Narrative, wären zufrüh, doch liefern die Erkenntnisse wichtige Anhalts-punkte, wie Narrativprojekte anzugehen sind und wasbei der Umsetzung zu beachten ist.

    Die wesentlichen Bedingungsfaktoren und Herausforderun-gen werden auf den folgenden Seiten im Detail dargestellt.Allgemein lässt sich sagen, dass die erarbeiteten Narrativein Form von Videoclips oder Textbeiträgen von denRezipient*innen grundsätzlich positiv bewertet und in derRegel verstanden wurden. Die Hauptzielgruppen,das heisst Jugendliche und junge Erwachsene im Allge-meinen sowie junge Muslim*innen im Besonderen,wurden erreicht, wenn auch zum Evaluationszeitpunkt eineeher marginale Verbreitung festgestellt werden konnte.Eine vorsichtige Einschätzung lässt zudem die Schlussfolge-rung zu, dass Gegen- und alternative Narrative durchauseine präventive Wirkung entfalten können. Im gesamten

    04_ERFAHRUNGEN UND ERKENNT-NISSE AUS DEN PILOTPROJEKTEN

    Prozess der Radikalisierung sind sie jedoch immer als eine,niemals als alleinige Präventivmassnahme zu verstehen.

    Die im Gesamtprojekt vorgegebene Rahmenbedingung, dassdie erarbeiteten Narrative vor der Veröffentlichung von demeingesetzten Expertengremium beurteilt werden, bedeutetefür die Projektverantwortlichen zwar unter Umständen einenMehraufwand, zahlte sich aber letztlich aus. Das Risiko, dassdie Narrative ungewollt eine kontraproduktive Wirkungentfalten oder sogar einer Radikalisierung plötzlich Vorschubleisten könnten, sollte unbedingt vermindert werden.

    Ein allgemein adaptierbares Good-Practice-Modell lässt sichaufgrund der Evaluation nicht herausfiltern. Abhängig vomjeweiligen Konzeptions- und Nutzungskontext sind bei allenProjekten spezifische Eigenheiten feststellbar. Und letztlichführen verschiedene Wege zum Ziel, wie folgende Erkenntnis-se beispielhaft verdeutlichen:

    – Reale Menschen, deren Geschichten erzählt werden,machen die Narrative fassbar und glaubwürdig.Aber auch andere illustrative Formen wie Comic-Dar-stellungen können wirksam sein.

    – Der visuelle Eindruck wirkt am stärksten. Musik und Tonscheinen weniger wichtig, können aber als Störfaktorempfunden werden oder einen Widerspruch auslösen,wenn sie das Gezeigte nicht unterstreichen, sonderninkongruent wirken.

    – Klar zu zeigen, wer hinter einem Gegen- oder alternativenNarrativ steht, indem beispielsweise die Urheberschaftin einem Videoclip eingeblendet wird, kann im Sinne derGlaubwürdigkeit hilfreich sein.

    – Hashtags, Slogans oder Fragen, die mit den Narrativenverbunden sind oder direkt darin gezeigt werden, könnendie gewünschte Wirkung unterstützen.

    Mit Blick auf künftige Projekte bedeutet dies auch: Es darfund muss weiter ausprobiert werden. Das Internet undsoziale Medien werden im jugendlichen Sozialisierungsprozessauch in Zukunft eine zentrale Rolle spielen. Genauso wie

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    davon auszugehen ist, dass extremistische Gruppierungensich diesen Umstand weiterhin zunutze machen werden,braucht es auch Gegen- und alternative Narrative, die alsOnline-Massnahme zur Radikalisierungsprävention einge-setzt werden.

    Was sind die grössten Herausforderungenbei der Umsetzung?

    Gerade weil das Gebiet der Gegen- und alternativen Narrati-ve noch wenig erprobt ist und besonders in der Schweizbei der Projektausschreibung durch das BSV keine Erfahrungs-werte vorlagen, konnten sich die Projektverantwortlichennur bedingt an Bestehendem orientieren. In dieserAusgangslage lag die erste Herausforderung, die von denProjektverantwortlichen auf unterschiedliche Art gelöstwurde. Mit dem Ergebnis, dass die vier Pilotprojekte invielerlei Hinsicht sehr verschieden waren, insbesondere inBezug auf Projektstrukturen und -prozesse, die resul-tierenden Narrativprodukte und die Zusammenarbeit mitJugendlichen und jungen Erwachsenen. Zudem warennicht alle Entwicklungen vorhersehbar, gewisse Dinge zeigtensich erst im Laufe der Umsetzung. Und schliesslich konntenicht garantiert werden, dass die verbreiteten Narrative denAdressatenkreis wie gewünscht erreichen und in beab-sichtigter Weise verstanden, als glaubwürdig eingestuft undals relevant angesehen würden.

    Komplexität des Modells der Gegen- undalternativen NarrativeBei der Erarbeitung von Gegen- und alternativen Narrativenzeigt sich die Komplexität vor allem darin, dass breitesfachliches Know-how nötig ist: inhaltlich, zielgruppenspezi-fisch, organisatorisch-konzeptuell und technisch. Hinzukommt, dass die Narrative in der dynamischen, sich rasantentwickelnden Welt der digitalen Medien und sozialenNetzwerke angesiedelt sind. Damit werden auch an Projektein diesem Bereich laufend neue Anforderungen gestellt.Sie sind als kontinuierlicher Prozess zu verstehen, in demes à jour zu bleiben und extremistischen Inhaltenmit immer wieder neuen Gegenbotschaften zu begegnen gilt.Die Komplexität des Ansatzes hat mitunter dazu geführt,dass bei allen Projekten Anpassungen an der ursprünglichvon den Verantwortlichen präsentierten Konzeptionvorgenommen werden mussten. Bei Winfluence bedeutetedies eine thematische Öffnung; bei KnowIslam wurdeaufgrund fehlender personeller Ressourcen auf die mehr-sprachige Umsetzung verzichtet; bei SwissMuslimStorieswurden eine Kampagnen-Agentur engagiert und dieAufgaben der Jugendlichen angepasst; und bei PositivIslamerfolgte eine Konzentration auf einen Social-Media-Kanalsowie die professionelle Erstellung der Website durch einenGrafikdesigner. Zudem konnten nirgends alle Zielsetzungenerreicht werden, was allerdings hauptsächlich daraufzurückzuführen war, dass meist zu anspruchsvolle Zieleformuliert wurden.

    Partizipation von Jugendlichen undjungen ErwachsenenDie Erfahrungen aus den Projekten machen deutlich,dass die Einbindung von Jugendlichen und jungen Erwach-senen für das Gelingen von grosser Bedeutung ist(vgl. nachfolgendes Kapitel zu den Erfolgsfaktoren). Gleich-zeitig stellt dieser Punkt aus mehreren Gründen eineHerausforderung dar. Erstens geht es darum, die Heran-wachsenden überhaupt zu finden. Dazu wurden ver-schiedene Strategien gewählt, sei es über mediale Anzeigenoder Direktansprachen in bestehenden Netzwerken.

    Die grössten Herausforderungen

    – Komplexität des Modells der Gegen- undalternativen Narrative

    – Partizipation von Jugendlichen und jungenErwachsenen

    – Qualitätssicherung der Inhalte– Verbreitung der Inhalte und Erreichung der

    Zielgruppen– Einschätzung und Messung der Wirkung der

    entwickelten Narrative auf die Zielgruppen

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    Zweitens stellt sich die Frage, welche Rolle die Jugendlichenund jungen Erwachsenen einnehmen. Sollen sie eher imSinne eines Sounding Boards ihre Meinung zu bereitserstellten Inhalten abgeben oder aktiv bei der Ausarbeitungund Umsetzung mitwirken? Letzteres setzt ein hohesCommitment und eine anhaltende Motivation voraus, wasnicht ohne Weiteres erwartet werden kann. Drittensgeht es nicht zuletzt darum zu klären, inwiefern sich dieJugendlichen und jungen Erwachsenen durch dieProjektmitarbeit exponieren. In den Projekten lehnten einigepotenziell Interessierte ein Mitwirken letztlich ab, weilsie in der Öffentlichkeit nicht sichtbar werden wollten. DieBetroffenen befürchteten negative Auswirkungen, beispiels-weise auf ihre berufliche Karriere. Zudem zeigte sich, dassReligion und Glaube oft als Privatsache angesehen werdenund darum ein offener Austausch nicht immer gewünscht waroder zumindest mit Zurückhaltung angegangen wurde.

    Beim Projekt Winfluence hatte z. B. die starke Partizipationder Jugendlichen bereits von Beginn (d. h. von der Ideen-findung) an zur Folge, dass das Themenspektrum breitergefasst wurde. Es wurden Aspekte aufgenommen(z. B. #3 Grillideologie: radikale Vegetarier*innen), die fürdie Lebenswelt der Jugendlichen offenbar relevanterwaren als die extremistische Radikalisierung.

    Qualitätssicherung der InhalteDamit Narrative überhaupt als Präventivinstrument gegeneine extremistische Radikalisierung eingesetzt werdenkönnen, muss sichergestellt sein, dass ihre Botschaftenkeine negativen bzw. unbeabsichtigten Effekte bewirken.Angesichts der staatlichen Förderung wurde in denPilotprojekten ein besonderes Augenmerk darauf gelegt,dass keine potenziell kontraproduktiven oder in irgend-einer Form unangemessenen Inhalte verbreitet wurden.Zu den Kriterien der Validierung (durch das BSV unddas eingesetzte Expertengremium) gehörten:

    – keine anstössigen oder sexistischen Begriffe /Gestenoder Anstachelung zu Hass oder Gewalt

    – keine enge oder einseitige Sicht auf Probleme und/oderLösungen

    – Vermittlung eines offenen und integrativen Weltbildes– Ausrichtung auf Zielgruppe und Schweizer Kontext

    Kritikpunkte bei der Prüfung der Narrative waren etwaBegrifflichkeiten, die eine Analogie zur Sprache extremisti-scher Gruppierungen aufwiesen, dargestellte Konflikte ohneklare Auflösung oder Inhalte, die dazu beitragen könnten,Vorurteile eher zu festigen als wie gewünscht zu vermin-dern. Zudem zeigte sich, dass die Grenze zu Viktimisierungs-narrativen, also der Darstellung aus einer einseitigen,undifferenzierten Opferperspektive, manchmal schmal ist.

    Verbreitung der Inhalte und Erreichungder ZielgruppenDas Internet und besonders die sozialen Medien sindschnelllebig. Unabhängig von Thema und Format konkurrie-ren Inhalte immer um die begrenzte Aufmerksamkeitder Nutzer*innen. In den vier Pilotprojekten wurden auchhier unterschiedliche Herangehensweisen gewählt:Es gab bildbezogene und textbasierte Narrative und zurVerbreitung wurden vielfältige Plattformen und Kanälegenutzt – von der projekteigenen Website über Facebook,Twitter und Instagram bis zu YouTube. Auch wenn dieNutzung verschiedener Plattformen von Vorteil ist, muss derzeitliche Aufwand berücksichtigt werden. Accounts insozialen Netzwerken bedürfen einer ständigen angemesse-nen Bewirtschaftung.

    Narrative einfach nur online zu stellen, trägt allein nicht zuderen Verbreitung bei. In den vier Pilotprojekten wurdenhöhere Zugriffszahlen dann erreicht, wenn finanzielle Mittelfür die Online-Bewerbung eingesetzt wurden. Aber auchZugriffszahlen sagen letztlich noch nichts darüber aus,

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    inwiefern eine Auseinandersetzung mit dem Themastattfindet. Die Narrative lösten kaum Kommentierungenoder Diskussionen aus; wenn überhaupt, dann bei kontro-versen Themen (z.B. Militär in Episode 3 «Landesverteidiger»bei SwissMuslimStories). Aufgrund der Rückmeldungender Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Rahmen derEvaluation wurde allerdings auch deutlich, dass hier keineüberzogenen Erwartungen angebracht sind. Für dieHeranwachsenden ist von grosser Bedeutung, wie sie imNetz von anderen wahrgenommen werden. Je nach Themasind sie eher zurückhaltend im Bewerten, Kommentierenoder Weiterleiten von Inhalten. Zudem ändern sich dieNutzungsgewohnheiten, sei es aufgrund von allgemeinenTrends oder je nach Altersgruppe. Facebook beispielsweisewird von unter 18-Jährigen kaum mehr genutzt, ist beijungen Erwachsenen aber immer noch beliebt.

    In Bezug auf die Zielgruppen lassen die insgesamt geringenVerbreitungszahlen vermuten, dass die Narrative nurbedingt von einer breiteren Öffentlichkeit wahrgenommenwurden. Als Möglichkeiten für eine Weiterverbreitung (nachAbschluss der Pilotphase) werden von den Projektverant-wortlichen explizit auch Offline-Massnahmen gesehen, z. B.die Vorführung der Videos im Kino oder auf einer Veranstal-tung mit anschliessender Podiumsdiskussion, die Durchfüh-rung von Workshops in Jugendtreffs oder die Verwendungder Narrative im Schulunterricht (vgl. dazu auch Kapitel 6).

    Einschätzung und Messung der Wirkung derentwickelten Narrative auf die ZielgruppeAusschlaggebend dafür, ob die transportierten Botschaftentatsächlich verstanden werden und dadurch eineWirkung erzielt werden kann, sind Faktoren wie Form,Inhalt oder Länge der Narrative.

    Während persönliche Stories mit echten Gesichtern undsichtbaren Emotionen (SwissMuslimStories) besser

    aufgenommen wurden, waren die Rückmeldungen bei denLehrvideos (KnowIslam) und Motion-Comics (Winfluence)kritischer. Die Comics hatten mit dem Widerspruch zukämpfen, dass sie sich in ihrer Machart eher an Kinderrichteten, für das inhaltliche Verständnis aber eine gewissekognitive Reife Voraussetzung war.

    Längere Videos wurden oft nicht zu Ende geschaut. Undgerade für die Weiterverbreitung spielt auch der empfunde-ne Unterhaltungsfaktor eine Rolle. Allerdings ist beihumorvollen Inhalten wiederum Vorsicht geboten, da Humorindividuell sehr unterschiedlich aufgenommen wird. Esbesteht die Gefahr von Missverständnissen oder einerablehnenden Reaktion, was der beabsichtigten Wirkungzuwiderlaufen kann.

    Beim Projekt KnowIslam zeigte sich zudem, wie anspruchs-voll die jugendgerechte Vermittlung von religiösen Inhaltenist. Die Vereinfachungen, die mit Blick auf das Verständnisgewählt wurden, sind aus rein theologischer Sicht nichtimmer haltbar. Andererseits wurden die in diesem Projektentwickelten Narrative von muslimischen Jugendlichenbesser bewertet und insbesondere dafür geschätzt, dassder Islam darin positiv beleuchtet wird.

    Insgesamt stellt sich die Frage, ob die erarbeitetenGegen- und alternativen Narrative ohne Einbettung richtigverstanden werden bzw. eine Wirkung entfalten können(vgl. dazu die Impulse zur Anwendung in der Praxis inKap. 6). Eine abschliessende Aussage über die präventiveWirksamkeit der Narrative gegen extremistische Orientie-rungen und für eine tolerante Haltung wäre verfrüht. DieErgebnisse der Evaluation deuten aber darauf hin, dass sieals Präventionsmassnahme geeignet sein könnten.

    Ausschlaggebend

    sind Faktoren wi

    e Form,

    Inhalt oder Läng

    e der

    Narrative.

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    Welche Faktoren haben zum Erfolg derProjekte beigetragen?

    Wie sind die vier Pilotprojekte den Herausforderungenbegegnet? Was hat sich als wirksam erwiesen?

    So unterschiedlich die Projekte in ihrer Herangehensweisewaren, lassen sich doch fünf Aspekte benennen, die dazubeigetragen haben, dass projektübergreifend letztlich einpositives Fazit gezogen werden konnte.

    Auf den folgenden Seiten werden diese Faktoren erläutert.Darüber hinaus konnten alle Vorhaben letztlich nur dankdem hohen Engagement der Projektmitarbeitendengelingen, die meist deutlich mehr Arbeit investierten alsursprünglich geplant. Zudem brauchte es von denBeteiligten die Offenheit und Bereitschaft, Neues auszu-probieren, aber auch Flexibilität, um auf Gegebenheitenzu reagieren, die sich meist erst im Laufe der Umsetzungergaben.

    Klare KonzeptionObwohl das Modell der Gegen- und alternativen Narrativein der Schweiz weitgehend unbekannt war, hatten dieProjektverantwortlichen recht genaue Vorstellungen davon,was sie umsetzen möchten. Dabei orientierten sie sich auchan Narrativprojekten aus anderen Ländern.

    Eine Konzeption, die Klarheit über Organisation, Zielsetzung,Vorgehen und Finanzierung des Projekts schafft sowie denHerausforderungen Rechnung trägt, hat sich als wesentlich

    erwiesen. Es empfiehlt sich, für eine klare Rollenverteilungunter allen internen und externen Beteiligten zu sorgen.Dazu gehört auch, ein gemeinsames Projektverständnis zuentwickeln, Erwartungen zu klären und Aufgaben verbind-lich zu regeln. Bei der Zielsetzung sollte man realistischbleiben und sich auf wenige, konkrete Ziele konzentrieren.Das Festlegen einer Hauptansprechperson und eineKommunikationsplanung erleichtern den Informationsaus-tausch und die gegenseitige Abstimmung. Hinzu kommtdas Thema Öffentlichkeitsarbeit: Auch hier sind klareZielsetzungen, Regelungen und Absprachen erforderlich.

    Tragfähiges NetzwerkDie Umsetzung der Pilotprojekte ist besonders gut gelungen,wenn bereits zu Beginn ein breites Netzwerk an unterstüt-zenden Organisationen und engagierten Einzelpersonenvorhanden war. Die Bedeutung solcher Netzwerke kommt inmehreren Projektphasen zum Tragen. Die Evaluation hatgezeigt, dass dies besonders für die Rekrutierung vonJugendlichen und jungen Erwachsenen, aber auch für dieVerbreitung der Narrative galt. Beim Projekt SwissMuslim-Stories etwa wurden die persönlichen Netzwerke derMitglieder des Projektteams sowie die Anbindung anmuslimische Vereine und Dachorganisationen dafür genutzt,geeignete Protagonist*innen zu finden. Institutionen wurdenauch als Multiplikatoren eingesetzt, indem sie angefragtwurden, ob sie die Videos teilen. So bildete sich in diesemProjekt eine Community auf Facebook. Bei Winfluence wurdedie Kooperation mit dem Verein JASS als Offline-Netzwerkgenutzt, um die Online-Aktivitäten zu unterstützen. DieErfahrungen in den Projekten KnowIslam und PositivIslamzeigten zudem, wie wichtig ein starkes und anhaltendesCommitment der Partner- und Netzwerkorganisationen ist.Eine entsprechende Zusammenarbeit und damit verbundeneErwartungen sind möglichst frühzeitig zu klären.

    ProjektmanagementfähigkeitDie komplexe Ausgangslage machte deutlich, dass aufSeiten der Projektleitung umfassende Projektmanagement-qualitäten gefragt sind – angefangen bei der Initiierung und

    Die Erfolgsfaktoren

    – Klare Konzeption– Tragfähiges Netzwerk– Projektmanagementfähigkeit– Partizipation von Jugendlichen und jungen

    Erwachsenen– Externe Kompetenz

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    Planung über die Umsetzung, Steuerung und Kontrolle bishin zur Auswertung im Sinne von «Lessons Learned».

    Bei der Definition der Ziele und zu erarbeitenden Produktegilt dabei oft: Weniger ist mehr. Sich darauf zu konzentrie-ren, eher wenige, qualitativ hochstehende Narrative zuentwickeln und bei der Verbreitung einzelne, ausgewählteKanäle zu nutzen, scheint Erfolg versprechend. Im Falle einerAusschreibung durch auftraggebende Behörden oderOrganisationen kann die Formulierung realistischerAnforderungen dazu beitragen, dass die Projekte nicht«überladen» werden. Organisation, Struktur und Projektkul-tur müssen sich nach den spezifischen Erfordernissenrichten. Ein periodisches internes Controlling gewährleistet,dass das Projekt auf Kurs bleibt beziehungsweise frühzeitigAnpassungen erfolgen können, wenn dies nötig erscheint.Zudem ist sicherzustellen, dass die für die Realisierungnotwendige Infrastruktur und ausreichend Ressourcen zurVerfügung stehen.

    Partizipation von Jugendlichen undjungen ErwachsenenDie Herausforderungen, die mit der Einbindung vonJugendlichen und jungen Erwachsenen verbunden sind,wurden thematisiert. Gleichzeitig ist diese Partizipationeiner der wichtigsten Erfolgsfaktoren überhaupt. Gelang es,die Heranwachsenden zu involvieren und motivieren, löstedies durchwegs positive Reaktionen aus:

    – Die Jugendlichen und jungen Erwachsenen selbstschätzten es, in die Prozesse einbezogen zu werden undInhalte mitgestalten zu können, sei es als Blogger*in,Schauspieler*in oder Workshopteilnehmer*in.

    – Bei den Beteiligten fand ein Wissenszuwachs und eineSensibilisierung für die bearbeiteten Themen statt,besonders dann, wenn sie eine aktive Rolle übernah-men.

    – Die Authentizität der Narrative wurde durch dieMitarbeit der Jugendlichen und jungen Erwachsenengesteigert.

    Die Aufgaben, welche die Jugendlichen und jungenErwachsenen übernahmen, waren je nach Projekt unter-schiedlich. Aufgrund dieser Erfahrungen sind mit Blick aufdie Partizipation bei der Initiierung eines Projektes verschie-dene Überlegungen zu treffen:

    – Gerade wenn Jugendliche und junge Erwachsene alsHauptakteur*innen mitwirken sollen, bedarf eseiner guten Organisation und klaren Strukturierung.Der Einbezug in jeden Projektschritt ist nichtzwingend. Auch eine beratende Funktion der Heran-wachsenden (bei Teilschritten oder insgesamt)kann je nach Projekt sinnvoll sein.

    – Je mehr von ihnen erwartet wird, desto wichtiger ist es,den Beteiligten das nötige Wissen zur Verfügung zu stel-len. Im Projekt PositivIslam beispielsweise waren dieTrainings und Workshops zur Vorbereitung derBlogger*innen wichtig und hilfreich. Die Beteiligtenschätzten diese Ausbildung, weil sie dadurch einerseitsein besseres Verständnis entwickelten, was bei einerRadikalisierung geschieht, wie dschihadistischePropaganda funktioniert und wie sie darauf besserreagieren können. Andererseits profitierten sie durchden Austausch insofern, als sie ihre eigene Arbeitswei-se und die Qualität der Artikel nochmals verbessernkonnten. Bei Winfluence wurden die jungen Erwachse-nen mit fachlichen Inputs darauf vorbereitet, die Narrati-ve im Internet zu verbreiten. Auch sie eigneten sich soExpertenwissen an.

    – Die Partizipation kann zu einem Dilemma führen, wenndie Jugendlichen – bedingt durch die Projektkonzeption– exponiert werden. In den Pilotprojekten wurde diesesSpannungsverhältnis auf unterschiedliche Weise gelöst.Bei SwissMuslimStories wurden junge Erwachsenegewählt, die explizit bereit waren, sich mit ihremGesicht, ihrem Vornamen und ihrer Geschichte zuzeigen. Die Blogger*innen bei PositivIslam veröffentlich-ten ihre Beiträge unter einem Pseudonym. Und beiWinfluence führte die Entscheidung, in den Motion-Comics aus Gründen der Anonymität Tierfiguren

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    einzusetzen, bei einigen Jugendlichen auch zu Enttäu-schung, weil sie davon ausgegangen waren, dass dieSzenen zwar verfremdet, sie aber noch erkennbar seinwürden.

    – Dass Jugendliche und junge Erwachsene einen Teil ihrerFreizeit investieren, um bei einem Narrativprojektmitzuwirken, kann nicht ohne Weiteres erwartetwerden. Die Beweggründe für eine Beteiligung waren inden Pilotprojekten sehr vielfältig. Eigene negativeErfahrungen (Ausgrenzung, Hass) können ausschlagge-bend sein. Aber auch die Überzeugung, dass es sich umgesellschaftlich relevante Themen handelt und Zivilcou-rage wichtig ist. Um Motivation und Commitment zustärken, können Anreize sinnvoll sein, sei es immateriell,indem die Beteiligten z. B. von Beginn weg dabei sindund eine entsprechend grosse Rolle einnehmen, oderauch materiell, beispielsweise in Form einer finanziellenEntschädigung.

    Externe KompetenzBei allen Pilotprojekten hat sich gezeigt, dass der Einbezugexterner Kompetenz entscheidend war für die Umsetzungzentraler Projektschritte. Führt man sich die Diversität derBereiche vor Augen, die bei der Entwicklung von Narrativ-projekten eine Rolle spielen, ist dies kaum erstaunlich. Esbraucht Fachwissen in Bezug auf Extremismus und Radikali-sierung, Jugendarbeit, digitale Medien, Kommunikation,Marketing – und je nach Konzeption auch weiteresKnow-how. In den durchgeführten Projekten wurdenbeispielsweise auch ein Filmemacher (SwissMuslimStories),eine Zeichnerin oder eine Theaterpädagogin (Winfluence)einbezogen. Ebenso bedeutend war die Prüfung derNarrative durch unabhängige Expert*innen vor der Veröf-fentlichung.

    Die Inanspruchnahme externer Kompetenz bedingt aller-dings auch, dass bereits bei der Projektplanung ausreichendRessourcen berücksichtigt werden.

    Die Partizipatio

    n der

    Jugendlichen ist

    einer der wichti

    gsten

    Erfolgsfaktoren.

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    05_QUALITÄTSKRITERIEN UNDEMPFEHLUNGEN

    Die Evaluation der Pilotprojekte hat Herausforderungenoffengelegt und Faktoren benennen können, die einenwichtigen Beitrag zum Gelingen leisten. Auch wenn darauskein Best-Practice-Modell im Sinne einer Patentlösunghervorgeht, lassen sich doch für künftige NarrativprojekteQualitätskriterien und Empfehlungen ableiten. Sie sollenOrganisationen der Zivilgesellschaft, Fachpersonen undBehörden als Unterstützung und Leitlinie dienen,eigene Projekte ins Leben zu rufen.

    Die Tabellen 1 bis 4 bieten eine Übersicht über dieseQualitätskriterien, ergänzt mit daraus resultierendenHandlungs-empfehlungen und Fragestellungen, die indiesem Zusammenhang eine Orientierung bieten. Sie sindunterteilt in die Phasen Vorbereitung (Initiierung /Konzepti-on), Umsetzung sowie Ergebnisse und richten sich an:

    – Tabelle 1: Behörden und Geldgebende– Tabelle 2: Projektverantwortliche– Tabelle 3: Expertengremium– Tabelle 4: Evaluationsteam

    Die Grafik auf den Seiten 38/39 fasst die Verantwortlich-keiten bzw. Aufgaben der Beteiligten in den einzelnenProjektphasen nochmals auf einen Blick zusammen. Genauwie die Pilotprojekte in ihrem Charakter und ihrer Organisa-tion sehr unterschiedlich waren, werden auch künftigeProjekte ihre spezifischen Eigenschaften aufweisen undunter Umständen individuelle Herangehensweisen erfor-dern.

    Dabei ist ausdrücklich festzuhalten, dass sich die Empfeh-lungen auf alle Formen der Radikalisierung beziehen.Dass die Pilotprojekte im Bereich des islamistischen Extremis-mus angesiedelt waren, bedeutet nicht, dass der Ansatzder Gegen- und alternativen Narrative nicht auch bei anderenExtremismusformen anwendbar sind. Projekte, die sichgegen die rechts- oder linksextremistische Radikalisierungwenden, sind ebenso wünschenswert. Nicht zuletzt,um für die Schweiz weitere Erkenntnisse in Bezug auf diepräventive Wirksamkeit solcher Narrative zu sammeln.

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    Vorbereitung

    (Initiierung

    )Umsetzun

    gErge

    bnisse

    Tabelle 1: Behörden und Geldgebende

    Qualitätskriterium Handlungsempfehlungen

    Staatlich fördern,unabhängig umsetzenlassen

    Staatliche Akteure (Bund, Kantone, Gemeinden) können und sollen Förderimpulse für Projekteleisten, die sich für Demokratie, Vielfalt und Toleranz einsetzen. Die Projektumsetzung sollteaber bei unabhängigen Organisationen liegen. Zu klären ist in diesem Zusammenhang nicht nur,inwiefern die Auftraggebenden in das Projekt involviert sind, sondern auch, wie und wiestark sie sichtbar werden, da dies Wahrnehmung und Wirkung der Narrative beeinflussen kann.

    Klare Vorgabendefinieren

    Die in einer Ausschreibung formulierten Anforderungen setzen Leitlinien für die Zielsetzungund Konzeption der Projekte. Für eine realistische Umsetzung sind darum klare,auf das Wesentliche fokussierte Vorgaben zentral.Aus den Vorgaben sollte zudem für die Projektverantwortlichen ersichtlich sein, welchekonkreten Aufgaben und Verantwortlichkeiten auf sie zukommen und welche Ressourcen(zeitlich, personell, inhaltlich, finanziell) nötig sind.

    Validierungsprozessund -kriterienfestlegen

    Gerade bei öffentlichen Fördergeldern, aber letztlich in jedem Fall erscheint ein Validierungs-prozess durch unabhängige Expert*innen zur Qualitätssicherung und zur Vermeidung unerwünsch-ter Effekte unumgänglich. Ein solcher Prozess muss eingeplant werden, d. h. es ist zu bestimmen,wie, durch wen und aufgrund welcher Kriterien die Bewertung erfolgen soll. Allenfalls besteht dieMöglichkeit, die ersten Narrative eingehend zu prüfen und zu diskutieren, um auf dieser GrundlageStandards für die nachfolgenden Narrative festzulegen. Dies kann auch mit Blick auf die Erstellungvon neuem Content in relativ kurzen zeitlichen Abständen hilfreich sein.

    Evaluation planenoder von denProjektverantwort-lichen einfordern

    Um weitere Antworten zur Frage der Wirksamkeit von Narrativen in der Radikalisierungspräven-tion zu erhalten, braucht es auch bei künftigen Projekten eine Evaluation. Konzept undAuftrag können durch die geldgebende Institution oder durch die Projektverantwortlichenerfolgen. Die Evaluationsrolle kann formativ, summativ oder kombiniert sein.

    Ressourcenbereitstellen

    Zur Umsetzung von Narrativprojekten müssen ausreichend Ressourcen zur Verfügung stehen.Insbesondere kann nicht erwartet werden, dass alle für das Projekt nötigen Kompetenzen durchdas Projektteam abgedeckt werden können.

    Projektverantwortlicheunterstützend begleiten

    Die Unterstützung der Projektverantwortlichen kann auf verschiedenen Ebenen erfolgen,etwa beratend im Sinne eines Sounding Boards, durch die Organisation von Veranstaltungenzum fachlichen Austausch und indem das behördliche Netzwerk mit Blick auf die Projekt-umsetzung genutzt wird.

    Validierungsprozessdurchführen

    Gemeinsam mit den Expert*innen soll die Behörde für die Validierungder Narrative verantwortlich sein. Die Prüfung erfolgt anhand der festgelegten Kriterien.

    Evaluation begleiten Das Evaluationsteam benötigt (besonders bei der formativen Rolle) ab Beginn des ProjektsZugang zu allen erforderlichen Informationen und Personen. Allfällige Anpassungenwerden in enger Absprache zwischen den Verantwortlichen der Evaluation, des Projekts undden Behörden vorgenommen.

    Resultate, Erkenntnis-se, Empfehlungenverbreiten undWissenstransferfördern

    Die Narrative und die Ergebnisse/Empfehlungen der Evaluation sollen möglichst breit gestreutwerden. Dafür ist es sinnvoll, das behördliche Netzwerk und Kanäle (online und offline) derÖffentlichkeitsarbeit zu nutzen. Dasselbe gilt für den Wissenstransfer in die Praxis. Dies kannz. B. durch die Bereitstellung von pädagogischen Handreichungen zum Einsatz der Narrativein Schulen oder der Jugendarbeit erfolgen.

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    Fragen

    – Welchen Einfluss wollen wir als Auftrag-/Geldgebende nehmen?– Wie werden Träger- und Förderstrukturen ausgewiesen (z. B. auf der Projektwebsite oder bei einzelnen Videos)? Welche

    Auswirkung hat dies auf die Rezeption der Narrative?– Vor Auftragserteilung: Inwiefern ist die Organisation ideologisch unabhängig und neutral? Ist sie diesbezüglich eine

    geeignete Projektträgerin?

    – Welche Anforderungen sind zwingend in Bezug auf formale Bedingungen, Zielsetzung, Projektaufbau, Know-how, Inhaltund Umsetzung?

    – Wo können/wollen wir den Projektverantwortlichen Entscheidungsspielraum lassen?– Ist der Zeitplan für die Umsetzung realistisch und für Unvorhergesehenes flexibel genug?– Sind alle Aufgaben und der damit verbundene Aufwand für die Projektträgerschaft klar?

    – Welche Kompetenzen sind für die Validierung wichtig, z. B. inhaltlich/thematisch (Extremismus /Radikalisierung) oderformal (Kommunikation, Marketing, Social Media)?

    – Wer kommt als Expert*in in Frage? Wie werden die Expert*innen eingebunden?– Wie sieht der Validierungsprozess aus? Welche Kriterien werden in der Validierung geprüft?– Welche Auswirkungen hat dies auf das Projekt (Projektverantwortliche und Gesamtprozess)?

    – Planen wir als Auftrag- /Geldgebende die Evaluation selbst oder betrauen wir die Projektverantwortlichen damit?– Erfolgt die Evaluation projektintern oder extern?– Was ist der Zweck der Evaluation? Welche Form ist dafür sinnvoll?– Welche Fragestellungen sollen konkret beantwortet werden?– Welche zeitlichen und personellen Ressourcen erfordert das Evaluationsvorgehen?

    – Welche Ressourcen können wir bereitstellen?– Sind genügend finanzielle Mittel gewährleistet, um externe Kompetenzen einzuholen?

    – Wie können wir die Projektverantwortlichen bestmöglich bei der Umsetzung unterstützen?– Was können wir leisten, was den Projektverantwortlichen nicht möglich ist?– Welche Kontakte bestehen lokal/national/international für einen Fachaustausch?

    – Wie ist ein effizienter Validierungsprozess möglich?– Wie erfolgt die Abstimmung mit den Expert*innen?

    – Welche Informationen sind für die Evaluation nötig?– Welche Personen können die nötigen Informationen bereitstellen?– Wie werden Optimierungsvorschläge kommuniziert und umgesetzt?

    – Welche Massnahmen sind sinnvoll, um die Projekt- und Evaluationsergebnisse bekannt zu machen?– Welche Organisationen und Institutionen aus unserem Netzwerk können bei der Verbreitung der Narrative mitwirken?– Wie gelingt der Wissenstransfer in die Praxis?– Was brauchen Fachleute aus Schulen und OJA, um die Narrative einzusetzen?

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    Tabelle 2: Projektverantwortliche

    Qualitätskriterium Handlungsempfehlungen

    RealistischeZielsetzungenfestlegen

    Die Konzentration auf wenige Ziele und die wichtigsten Zielgruppen dient der Realisierbarkeit.

    Organisation klären Für die Projektorganisation ist eine klare Aufgaben- und Rollenverteilung aller Beteiligtenwesentlich. Dabei empfiehlt es sich, Erwartungen frühzeitig zu klären, geeignete Formen desEngagements (Festanstellung, Honorartätigkeit, Ehrenamt) zu definieren und Verantwortlichkeitenschriftlich festzuhalten. Bei externen Auftraggebenden ist auch deren Rolle zu definieren.Für die Position der Projektleitung sollten Projektmanagementfähigkeiten vorausgesetzt werden.Die Kommunikation ist einerseits innerhalb der Projektorganisation zu regeln, indem Formund Häufigkeit des Austausches festgelegt werden. Bei mehreren Verantwortlichen ist eineHauptansprechperson sinnvoll. Andererseits braucht es eine Klärung der Kommunikations-schnittstellen, z. B. zwischen Öffentlichkeitsarbeit und digitalem Marketing.

    Externes Know-howeinbeziehen

    Je nach Projektidee und Zusammensetzung des Projektteams ist der Einbezug externerExpertise empfehlenswert bzw. unabdingbar. Neben den Fachbereichen, aus denendie Expert*innen kommen sollen, müssen auch hier Rolle und Verantwortlichkeit festgelegtsowie die Auswirkungen auf den Gesamtprozess berücksichtigt werden. Der Einbezugkann anlassbezogen sein, beispielsweise für die technische Umsetzung der Narrative, Marketing-aktivitäten, die Zusammenarbeit mit den Jugendlichen/jungen Erwachsenen oder diePrüfung der Narrative als Präventionsmassnahme. Eine andere Möglichkeit besteht in derdurchgängigen Begleitung im Projektteam oder als unabhängiges Expertengremium.

    Ausreichende finanziel-le, personelle undzeitliche Ressourcensicherstellen

    Bei der Planung von Narrativprojekten ist zu berücksichtigen, dass ausreichend finanzielle Mittelzur Verfügung stehen. Dies ist nicht zuletzt mit Blick auf den Einbezug professionellerExpertise und für Marketingmassnahmen (z. B. die Bewerbung auf Social-Media-Kanälen)wichtig.

    Online- und Offline-Netzwerk nutzen

    Netzwerke sind eine bedeutende Ressource für eine erfolgreiche Umsetzung von Narrativ-projekten. Kontakte zu Organisationen und Einzelpersonen bzw. entsprechende Kooperationenkönnen als Rekrutierungsmöglichkeit für Jugendliche/junge Erwachsene, zum Finden vonMultiplikatoren sowie für die Bereitstellung von Expertenwissen genutzt werden.Dabei lohnt es sich, das Netzwerk bereits frühzeitig einzubinden.

    Partizipation vonJugendlichen/ jungenErwachsenen: Rolle,Aufgaben undErwartungen definieren

    Bereits bei der Entwicklung der Projektidee und bei der Konzeption ist zu definieren, wie dieJugendlichen/ jungen Erwachsenen einbezogen werden, ob sie eine tragende Rolle bei derEntwicklung und Umsetzung der Narrative oder eher eine beratende Funktion einnehmen.In jedem Fall müssen die Aufgaben und die damit verbundenen Erwartungen klar festgelegt undkommuniziert werden.

    Rekrutierung derJugendlichen/ jungenErwachsenen klären

    Um motivierte Jugendliche und junge Erwachsene zu finden, ist es hilfreich, auf ein bestehendesNetzwerk zurückgreifen zu können. Sind solche Kontakte nicht bereits vorhanden,sind geeignete Alternativstrategien zu überlegen oder an bekannte Interessen von Jugendlichenanzuknüpfen (Berufsfindung, Schauspiel, Events o.ä.). Gerade wenn ihnen eine Hauptver-antwortung zugeteilt wird, müssen sie bereits zum Projektstart (Konzeption) bereitstehen.

    Vorbereitung

    (Kon

    zeption)

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    Fragen

    – Was ist unser Oberziel? Was sind Unterziele?– Welche Wirkung wollen wir erzielen?– Wer ist unsere primäre Zielgruppe? Wie sieht das Profil dieser Zielgruppe genau aus? Was macht sie aus? Welche Erwartun-

    gen hat sie an das Thema? Gibt es sekundäre Zielgruppen?– Wie sehen die Meilensteine aus?

    – Wer bringt die nötigen Projektmanagementfähigkeiten für die Leitung mit?– Wer ist Teil des Projektteams?– Wer übernimmt welche Aufgaben?– Welche Vor- und Nachteile sind mit möglichen Arbeitsverhältnissen verbunden? Welche Form wird gewählt?– Welche Erwartungen bestehen seitens der involvierten Personen und Organisationen und seitens der Auftrag-/

    Geldgebenden?– Wie sieht die Kommunikationsstrategie aus? Dazu gehören: interner Austausch, Informationsmanagement, Projektmarketing– Welche Schnittstellen sind zu beachten?– Zu welchen Zeitpunkten und wie oft wird kommuniziert?

    – Welche Kompetenzen brauchen wir für die Umsetzung?– Welche Kompetenzen müssen extern eingeholt werden?– Wie decken wir diese Kompetenzen ab – punktuell oder als ständige Begleitgruppe?

    – Welche Mittel stehen zur Verfügung?– Sind die Kosten realistisch geplant?– Bestehen Reserven für Unvorhergesehenes?

    – Welche nützlichen Kontakte zu Institutionen, Organisationen, Einzelpersonen bestehen?– Für welche Zwecke könnte das Netzwerk genutzt werden?– Welchen Nutzen/welches Interesse haben die Kontakte an einer möglichen Kooperation?– Wann und wie erfolgt die Kontaktaufnahme?

    – Welche Rolle sollen Jugendliche oder junge Erwachsene in dem Projekt übernehmen?– Welche Aufgaben und welches (zeitliche) Engagement sind damit verbunden?– Sind die Jugendlichen/jungen Erwachsenen den Anforderungen gewachsen? (Bsp. religiöse Inhalte)– Wie stellen wir sicher, dass sie wissen, was sie erwartet und was von ihnen erwartet wird?– Welche Erwartungen bestehen seitens der Jugendlichen/jungen Erwachsenen?

    – Wie finden wir Jugendliche/junge Erwachsene, die unsere Anforderungen erfüllen?– Welche Netzwerke und anderen Kanäle können wir nutzen?– Wie und ab wann werden wir die Jugendlichen einbinden?– Was haben die Jugendlichen/jungen Erwachsenen davon, wenn sie mitmachen?

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  • 34

    Tabelle 2: Projektverantwortliche

    Qualitätskriterium Handlungsempfehlungen

    Commitment derJugendlichen/jungenErwachsenen einholen

    Eine tragende Rolle kann bereits ein Anreiz für ein starkes Commitment sein. Je nach Aufgabenund Aufwand sollten aber auch andere Möglichkeiten (z. B. materielle Anreize, Anrechnungder Mitarbeit als «Praktikum», Ausstellen eines Arbeitszeugnisses, Zertifizierung etc.) in Betrachtgezogen werden. Materielle Anreize können jedoch die Zusammenarbeit verändern.

    Gute Vorbereitung undBegleitung derJugendlichen/jungenErwachsenen sicher-stellen

    Um die Jugendlichen und jungen Erwachsenen auf ihre Rolle vorzubereiten, brauchen sie eineadäquate Unterstützung und Begleitung. Aufgrund der Komplexität des ThemenbereichesExtremismus/Radikalisierung und des Narrativansatzes scheint es wichtig, eine gemeinsameWissens- und Verständnisbasis zu schaffen, indem grundlegende Informationen (allgemein undkontextspezifisch) vermittelt werden, Fragen möglich sind und ein Austausch stattfinden kann.Dieser Prozess kann zeitaufwändig sein. Dabei muss auch bedacht werden, dass geradeDiskussionen zu Religions- und Extremismusthemen für viele mit Befangenheit verbunden sind.

    Persönlichkeitsschutzder Jugendlichen/jungen Erwachsenengewährleisten

    Je stärker die Heranwachsenden involviert sind und je nach Rolle stellt sich die Frage, inwie-fern sie sich dadurch exponieren und inwiefern sie damit einverstanden sind. Dieses Span-nungsverhältnis zwischen Partizipation und dadurch bedingter Sichtbarkeit muss bereits imVorfeld des Projekts reflektiert werden, insbesondere wenn unter 18-Jährige betroffen sind.Allenfalls müssen Vorkehrungen getroffen werden, um die Jugendlichen/jungen Erwachsenenvor negativen Auswirkungen ihres Engagements zu schützen.

    Wirksamkeitsfaktorenbeachten

    Ob die Narrative auf Resonanz stossen, verstanden werden und die gewünschte präventiveWirkung erzielen, hängt letztlich vorwiegend davon ab, ob Inhalt, Machart und Tonalität auf dieZielgruppe zugeschnitten sind.Dazu gehören:– authentische Menschen/Geschichten– visuelle Darstellung in Kombination mit geeignetem Ton– Anregungen/Hilfestellungen mittels Fragen, Slogans oder Hashtags– kontroverse Thematik oder provokative Aufbereitung

    Controllingsicherstellen

    Wie bei jedem Projekt sollte der Verlauf mit einem Controlling begleitet werden. So könnenauftretende Schwierigkeiten frühzeitig erkannt und allfällige Anpassungen vorgenommen werden.

    Empfehlungen derformativen Evaluationintegrieren

    Der formative Evaluationsansatz erfordert von den Projektverantwortlichen Transparenz undOffenheit, aber auch Flexibilität, um allfällige Anpassungen während des Projektverlaufsvorzunehmen. Optimierungsvorschläge können mit Blick auf die Zielsetzung alle Bereichebetreffen: Planung, Organisation, Ressourcen, Massnahmen oder Inhalt der Narrative.

    Auf wenige Kanälekonzentrieren

    Neben einer projekteigenen Website müssen weitere Online-Kanäle zur Verbreitung genutztwerden. Welche gewählt werden, hängt wiederum mit den Nutzungsgewohnheiten der Zielgrup-pe zusammen. Zudem ist der Aufwand zu berücksichtigen, der mit der Betreuung der Accountsverbunden ist (auch nach Projektende). Mehr als zwei Accounts auf Plattformen zu betreibenscheint nur bei ausreichenden Ressourcen sinnvoll. Nachweislich nützlich ist der Einsatz finanziel-ler Mittel zur Verbreitung der Narrative, z.B. für Bannerwerbung bei Facebook.

    Flexibel bleiben Die wichtigsten Plattformen sind in Bezug auf die definierten Zielgruppen festzustellen. Trendsund Nutzungsverhalten ändern sich aber. Projekte brauchen deshalb immer die nötige Flexibilität,um auf Neuerungen reagieren und auf andere Kanäle umsteigen zu können.

    Online-Marketing mitOffline-Aktivitätenergänzen

    Um die Verbreitung von Narrativen zu unterstützen, bedarf es neben Online- auch Offline-Aktivitäten.Auch hier ist früh zu überlegen, wo und wie die anvisierte Zielgruppe am besten erreicht werdenkann. Neben Kooperationen mit anderen Organisationen bieten beispielsweise Jugendtreffs undSchulen eine Möglichkeit, etwa mit Workshops, geleiteten Diskussionsrunden oder mit einementsprechenden Unterrichtskonzept.

    Umsetzun

    gErge

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    Fragen

    – Wie können wir sicherstellen, dass das nötige Commitment besteht, auch über die Zeit?– Welche Anreize sind allenfalls nötig, um die Motivation zu gewährleisten bzw. aufrechtzuhalten?– Wie verändern materielle Anreize gegebenenfalls die Partizipation der Jugendlichen?

    – Wie werden die Jugendlichen/jungen Erwachsenen auf ihre Rolle vorbereitet?– Was müssen sie wissen, um ihre Aufgaben erfüllen zu können (thematisch, formal etc.)? Wie vermitteln wir ihnen dieses

    Wissen?– Wie werden die Jugendlichen/jungen Erwachsenen während des Projekts optimal begleitet?– Wer ist ihre Ansprechperson?

    – Inwiefern exponieren sich die Jugendlichen/jungen Erwachsenen durch die Projektmitarbeit?– Welche Auswirkungen hat diese Sichtbarkeit? Sind sie sich dessen bewusst? Sind sie damit einverstanden?– Wie können sie vor negativen Auswirkungen geschützt werden?

    – Welche möglichen Wirkfaktoren eignen sich für unser Projektkonzept?– Ist das Projekt im Hinblick auf diese Wirkfaktoren wirklich optimal konzipiert?– Wie kann die Wirkung in Bezug auf die Zielgruppe(n) verstärkt werden?

    – Liegen wir auf Kurs?– Erreichen wir Meilensteine und Zielsetzungen wie geplant?– Wo liegen Herausforderungen und wie begegnen wir diesen?

    – Wie stellen wir sicher, dass auch während des Projektverlaufs Anpassungen möglich sind?

    – Welche Online-Plattformen nutzt unsere Zielgruppe am meisten?– Welche Ressourcen haben wir für die Bewirtschaftung der Accounts?– Welche finanziellen Mittel können wir für die Bewerbung einsetzen? Wo ergibt dies am meisten Sinn?– Was geschieht nach Projektende? Werden die Accounts bzw. die Website weiterhin betreut?

    – Wie sieht das Nutzungsverhalten der Zielgruppe(n) aus? Wie wird es sich entwickeln?– Wie stellen wir sicher, dass wir up to date bleiben?

    – Welche Offline-Kanäle nutzen wir für die Verbreitung?– Wie erreichen wir unsere Zielgruppe(n) am besten?– Wie können wir unser Netzwerk nutzen?– Welche sonstigen Kooperationen sind möglich?– Welche finanziellen Mittel stehen zur Verfügung?

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    Vorbereitung

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    Umsetzun

    gUmsetzun

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    Tabelle 3: Expertengremium

    Qualitätskriterium Handlungsempfehlungen

    Behörde bei Ausschrei-bung, Planung undAuswahl beraten

    Der frühe Einbezug von unabhängigen Expert*innen ist mit Blick auf klare Vorgaben in Bezugauf die Projektkonzeption sowie die Qualitätssicherung angezeigt. Mit ihrem Wissen ausunterschiedlichen Fachbereichen können sie die Behörden bei der Ausschreibung, der Planung(inkl. Evaluation) sowie der Auswahl der Projekte unterstützen.

    Projekte und Evaluati-on beratend begleiten

    Wünschenswert ist