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Rudolf Hallo und das jüdische Museum in Kassel Ekkehard Schmidberger Die Nachrufe auf Franz Rosenzweig im Frankfurter Israelitischen Gemeindeblatt und in der Jüdischen Wochenzeitung für Kassel, Hessen und Waldeck schrieb im Dezember 1929 Rudolf Hallo.r Sie zeigen seine tiefe Betroffenheit und erinnern die beiden Gemeinden, denen Rosenzweig durch Herkunft und Wirkungsstätte beson- ders verbunden war, an das Erbe dieses großen Mannes. Als ihr Historiograph mahnt Hallo die Kasseler Gemeinde, der bisher die große fruchtbare jüdische Persönlichkeit gefehlt habe, und die nun ,,Einen Großen hervorgebracht" hat, auf die Würde des Kranzes zu achten, den Rosenzweig der Gemeinde aufgesetzt hat. Wenige Jahre später und kurz vor ihrem eigenen Untergang verliert die Kasseler Gemeinde am26. l. 7933 mit Rudolf Hallo, der nach einem Vortrag in der War- burg-Bibliothek in Hamburg 36jährig im Hause von Bruno Snell stirbt, ihre zweite große Gestalt. Der Lebensweg beider war eng verbunden. Die Eltern waren nahe Freunde, und Rosenzweig hat den zehn Jahre jùngeren, am 26.9. 1896 in Kassel geborenen, Rudolf Hallo nach religiösen Zweifeln, wie Horst Keller in seiner Biographie berichtet, ,,auf dem gleichen Weg, den er selbst gegangen war, in ein lebendiges Judentum zurück- ,qeführt."2 1922 wird Hallo nach Frankfurt am Main berufen, um Rosenzweig als Leiter und Lehrer an dem Freien Jüdischen Lehrhaus zu vertreten, doch schon nach dem Ende des 3. Tlimesters im August 1923 gibt er die Stelle auf, ,,weil sich unùberbrückbare Differenzen über Fragen jüdischer Lebensführung und Lehrtätigkeit zwi- schen Franz Rosenzweig und ihm entwickelt haben. Es ehrt beide Männer, daß sie trotzdem treue Freunde bleiben."3 Bereits im Winter Ig24hieltHallo wieder eine Gastvorlesung im Jüdischen Lehrhaus über ,Die christli- che Wissenschaft vom Judentum', die noch 1934 posthum im Druck erschien.a Die zehn Jahre von 1923 bis zu seinem frühen Tode war Hallo am Hessischen Landesmuseum in Kassel tätig, wo er zunächst als wissenschaftlicher Hilfsarbeiter haupt- sächlich den Sammlungsbereich der landgräflichen Kunst- kammer betreute und später ab 1931 das Kupferstichkabi- nett und die Kunstbibliothek des Museums in der neu eingerichteten Torwache leitete, nachdem beide noch ungeordneten Bestände von ihm erst zu diesen Abteilun- gen zusammengefaßt worden waren. Im selben Jahr 1923 wurde Hallo in Göttingen mit einer Arbeit über die Monumentalaltäre des Altertums promoviert. Die Beschäftigung in den Staatlichen Sammlungen und mit ihren Objekten führte Hallo zu den kunst- und kulturge- schichtlichen Studien, die einen Hauptteil seines ein- drucksvollen (Euvres ausmachen.s Aus diesem Umfeld erwuchs auch die große Raspe-Biographieó, und diese Tätigkeit mündete schließlich in der Konzeption eines jüdischen Museums. Wie weit darüber hinaus das Spek- trum seiner mit gewissenhafter Genauigkeit betriebenen Forschungen reicht, die Volkskunde, Literaturwissen- schaft, Linguistik und Theologie einschließen, verdeut- licht die von Keller aufgestellte 77 Nummern zählende Publikationsliste.T Für jeden, der sich mit der Kunst, Kultur und Geschichte der Juden in Hessen vor 1933 befaßt, sind Hallos Arbeiten ,Jüdische Volkskunst in Hessen' von 19288 und die Rosenzweig zugeeignete ,Kasseler Synago- gengeschichte - Synagogen, Friedhöfe, Kunst und Hand- werk der Juden in Kassel' von 1931e unentbehrlich, zumal sie eine Vielzahl von Quellen und Objekten erschließen und deuten, die heute vernichtet sind. Hinzu treten noch ebenso bedeutend drei Arbeiten im unmittelbaren Zusammenhang mit der Kasseler Judaica-Sammlung.10 Ohne Hallo wüßten wir kaum etwas über historische jüdische Brauchtums- und Kultgegenstände aus Nord- hessen. Am 10. Aprll 7927 wurde im Hessischen Landesmu- seum in Kassel das jüdische Museum eröffnet. Hierzu luden gemeinsam die Staatlichen Kunstsammlungen und der Ausschuß zur Sammlung und Erhaltung jüdischer Kultaltertümer aus Hessen, der sich bald darauf Jüdischer Museumsverein nennt, ein.Il In einer von Dr. Luthmer in Vertretung des Museumsdirektors unterzeichneten pres- senotiz für die Kasseler Zeitungl2 wird besonders die rege Anteilnahme an diesem Ereignis hervorgehoben: ,,Eine ansehnliche Festversammlung hatte sich zur Eröffnungsfeier z us ammengefunden. D al3 die is rae - litische Gemeinde in ihren offiziellen Vertretern und ihren Mitgliedern zahlreich zugegen war, bedarf keiner besonderen Bestätigung. Dat3 aber auch fast sämtliche staatlichen und stridtischen Behörden, die wissenschaftlichen Institute und Vereinigungen ver- treten waren, zeigte, welches Interesse apch von behördlicher Seite der jungen Gründung enig/:genge- bracht wird. Voran waren erschienen der Herr Oberprrisident der Provinz, Excellenz Dr. Schwan- der, der von dem Vizeprösidenten Dr. Volkardt und Oberregierungsrat Dr. Simens vom Oberprrisidium begleitet war; der Polizeipräsident Freiherr von Korff und Gemahlin und viele andere Vertreter der staatlichen und- sttidtßchen Verw altungen. " Dieses jüdische Museum war von seinen Räumlichkei- ten her gesehen eher bescheiden: Von den drei Sonder- ausstellungsräumen rechts im Erdgeschoß des Landesmu- seums stand der größte vordere L-förmige Raum mit einer Fläche von 89 m2 zttr Verfügung und anfänglich noch der folgende zweite Raum mit 75 m2. Dennoch gehörte die Sammlung nach Umfang, kunst- und kultur- geschichtlichem Wert zu den ersten ihrer Art, wie Hallo mit Recht schreibt.13 Besonders die Edelmetallarbeiten und vor allem die Tþxtilien waren ihr Stolz. 59

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Page 1: Kassel jüdische Museum und Hallo Rudolf · PDF fileRudolf Hallo und das jüdische Museum in Kassel Ekkehard Schmidberger Die Nachrufe auf Franz Rosenzweig im Frankfurter Israelitischen

Rudolf Hallo und das jüdische Museum in Kassel

Ekkehard Schmidberger

Die Nachrufe auf Franz Rosenzweig im FrankfurterIsraelitischen Gemeindeblatt und in der JüdischenWochenzeitung für Kassel, Hessen und Waldeck schriebim Dezember 1929 Rudolf Hallo.r Sie zeigen seine tiefeBetroffenheit und erinnern die beiden Gemeinden, denenRosenzweig durch Herkunft und Wirkungsstätte beson-ders verbunden war, an das Erbe dieses großen Mannes.Als ihr Historiograph mahnt Hallo die KasselerGemeinde, der bisher die große fruchtbare jüdischePersönlichkeit gefehlt habe, und die nun ,,Einen Großenhervorgebracht" hat, auf die Würde des Kranzes zuachten, den Rosenzweig der Gemeinde aufgesetzt hat.

Wenige Jahre später und kurz vor ihrem eigenenUntergang verliert die Kasseler Gemeinde am26. l. 7933mit Rudolf Hallo, der nach einem Vortrag in der War-burg-Bibliothek in Hamburg 36jährig im Hause vonBruno Snell stirbt, ihre zweite große Gestalt.

Der Lebensweg beider war eng verbunden. Die Elternwaren nahe Freunde, und Rosenzweig hat den zehn Jahrejùngeren, am 26.9. 1896 in Kassel geborenen, RudolfHallo nach religiösen Zweifeln, wie Horst Keller in seinerBiographie berichtet, ,,auf dem gleichen Weg, den erselbst gegangen war, in ein lebendiges Judentum zurück-,qeführt."2 1922 wird Hallo nach Frankfurt am Mainberufen, um Rosenzweig als Leiter und Lehrer an demFreien Jüdischen Lehrhaus zu vertreten, doch schon nachdem Ende des 3. Tlimesters im August 1923 gibt er dieStelle auf, ,,weil sich unùberbrückbare Differenzen überFragen jüdischer Lebensführung und Lehrtätigkeit zwi-schen Franz Rosenzweig und ihm entwickelt haben. Esehrt beide Männer, daß sie trotzdem treue Freundebleiben."3 Bereits im Winter Ig24hieltHallo wieder eineGastvorlesung im Jüdischen Lehrhaus über ,Die christli-che Wissenschaft vom Judentum', die noch 1934 posthumim Druck erschien.a

Die zehn Jahre von 1923 bis zu seinem frühen Todewar Hallo am Hessischen Landesmuseum in Kassel tätig,wo er zunächst als wissenschaftlicher Hilfsarbeiter haupt-sächlich den Sammlungsbereich der landgräflichen Kunst-kammer betreute und später ab 1931 das Kupferstichkabi-nett und die Kunstbibliothek des Museums in der neueingerichteten Torwache leitete, nachdem beide nochungeordneten Bestände von ihm erst zu diesen Abteilun-gen zusammengefaßt worden waren. Im selben Jahr 1923wurde Hallo in Göttingen mit einer Arbeit über dieMonumentalaltäre des Altertums promoviert. DieBeschäftigung in den Staatlichen Sammlungen und mitihren Objekten führte Hallo zu den kunst- und kulturge-schichtlichen Studien, die einen Hauptteil seines ein-drucksvollen (Euvres ausmachen.s Aus diesem Umfelderwuchs auch die große Raspe-Biographieó, und dieseTätigkeit mündete schließlich in der Konzeption einesjüdischen Museums. Wie weit darüber hinaus das Spek-

trum seiner mit gewissenhafter Genauigkeit betriebenenForschungen reicht, die Volkskunde, Literaturwissen-schaft, Linguistik und Theologie einschließen, verdeut-licht die von Keller aufgestellte 77 Nummern zählendePublikationsliste.T

Für jeden, der sich mit der Kunst, Kultur undGeschichte der Juden in Hessen vor 1933 befaßt, sindHallos Arbeiten ,Jüdische Volkskunst in Hessen' von19288 und die Rosenzweig zugeeignete ,Kasseler Synago-gengeschichte - Synagogen, Friedhöfe, Kunst und Hand-werk der Juden in Kassel' von 1931e unentbehrlich, zumalsie eine Vielzahl von Quellen und Objekten erschließenund deuten, die heute vernichtet sind. Hinzu treten nochebenso bedeutend drei Arbeiten im unmittelbarenZusammenhang mit der Kasseler Judaica-Sammlung.10Ohne Hallo wüßten wir kaum etwas über historischejüdische Brauchtums- und Kultgegenstände aus Nord-hessen.

Am 10. Aprll 7927 wurde im Hessischen Landesmu-seum in Kassel das jüdische Museum eröffnet. Hierzuluden gemeinsam die Staatlichen Kunstsammlungen undder Ausschuß zur Sammlung und Erhaltung jüdischerKultaltertümer aus Hessen, der sich bald darauf JüdischerMuseumsverein nennt, ein.Il In einer von Dr. Luthmer inVertretung des Museumsdirektors unterzeichneten pres-senotiz für die Kasseler Zeitungl2 wird besonders die regeAnteilnahme an diesem Ereignis hervorgehoben:

,,Eine ansehnliche Festversammlung hatte sich zurEröffnungsfeier z us ammengefunden. D al3 die is rae -litische Gemeinde in ihren offiziellen Vertretern undihren Mitgliedern zahlreich zugegen war, bedarfkeiner besonderen Bestätigung. Dat3 aber auch fastsämtliche staatlichen und stridtischen Behörden, diewissenschaftlichen Institute und Vereinigungen ver-treten waren, zeigte, welches Interesse apch vonbehördlicher Seite der jungen Gründung enig/:genge-bracht wird. Voran waren erschienen der HerrOberprrisident der Provinz, Excellenz Dr. Schwan-der, der von dem Vizeprösidenten Dr. Volkardt undOberregierungsrat Dr. Simens vom Oberprrisidiumbegleitet war; der Polizeipräsident Freiherr vonKorff und Gemahlin und viele andere Vertreter derstaatlichen und- sttidtßchen Verw altungen. "

Dieses jüdische Museum war von seinen Räumlichkei-ten her gesehen eher bescheiden: Von den drei Sonder-ausstellungsräumen rechts im Erdgeschoß des Landesmu-seums stand der größte vordere L-förmige Raum miteiner Fläche von 89 m2 zttr Verfügung und anfänglichnoch der folgende zweite Raum mit 75 m2. Dennochgehörte die Sammlung nach Umfang, kunst- und kultur-geschichtlichem Wert zu den ersten ihrer Art, wie Hallomit Recht schreibt.13 Besonders die Edelmetallarbeitenund vor allem die Tþxtilien waren ihr Stolz.

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Da allein vier große Toravorhänge mit bis zu 245 cm

Höhe und zwei kleinere mit ca. 170 cm im ersten Raumauszustellen waren, womit man die fùnf freien Wandflä-chen bereits besetzt hatte, war eine andere als eine

ästhetische Ausstellungsgliederung nur schwer einzubrin-gen. Dadurch, daß Hallo die Stirnwand des ruhigen vonEingang und Durchgang entfernt liegenden Raumteilsdem Zentrum des júdischen Glaubens und dem Orientie-rungspunkt der Synagoge, der Tora vorbehielt, gab er derAusstellung eine deutliche Akzentuierung und konnte eineindrucksvolles Arrangement gestalten.la In der Mittehing der größte und schönste Toravoihairg (Parochet) aus

der Kasseler Synagoge, reich bestickt mit kronehaltendenLöwen, weinumrankten Säulen, Pelikanen und Blüten-motiven, die auf die Stifterin Bluma von 1744 anspielten.Bekrönt wurde er von dem alten Überhang (Kaporet).lsDer Lesetisch (Almemor) davor war mit der zum Vor-hang gehörenden Almemordeckel6 versehen, auf deraufgerollt die Torarolle lag. Beiderseits des Vorhangsbefand sich in kleinen auf Stelen gesetzten Vitrinen das

die Tora schmückende Silber: links die vermutlich in Tulain Rußland im späten 19. Jahrhundert gefertigte Tora-krone (Keter),17 rechts von einem Berliner SilberschmiedMùller ein Toraschild (Tass) aus dem Ende des 18.

Jahrhunderts mit Handweiser (Jad) und einem Paar

Torarollenaufsätze (Rimonim) desselben Silber-schmieds.ls Weiter rechts und links folgte je ein Toraman-tel, und in den beiden Ecken standen Rabbinerstühle.

1. Pelikanmotiv aus dem Toravorhang voo 7744

2. Teil des ersten Ausstellungsraumes 1927

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3. Detail mit Schreinvorhang aus dem ersten Raum 1927

4. Torakrone aus Tula, spätes 19. Jh.

,,Dies wenige bildet das Gerüst allen Schmucks inder Synagoge. Dem Schrein, der Thorarolle, demLesetisch wird an Bereicherung zugewendet, was inden Kräften der Frommen steht. Daneben tritt ande-res, wie Ampeln, Waschgefäl3e und liturgßchesGerät zurück. Nur seiner besonderen Schönheitwegen sei der köstliche Hawdolohbecher mit derStraut3eneikanne - beides Renaßsancearbeiten ausder hiesigen Synagoge - erwähnt, mit denen qnjedem Sabbatausgang die Zeremonie der Scheidungzwischen Feiertag und Werktag vollzogen wird."re

Die beiden anderen Bereiche ,Flaus' und ,OffentlichesLeben' waren zunächst im zweiten Ausstellungsraumdargestellt, ehe sie notgedrungen im Eingangsbereich des

ersten Raumes konzentriert werden mußten. Nach 1931

wurden die Vitrinen und Schränke mit diesen Exponatenwahrscheinlich wieder in den zweiten Raum zurückge-stellt. Vermittelnd zwischen ,Synagoge' und ,Haus' standvor dem Durchgang zum zweiten Raum die Beschnei-dungsbank aus der Synagoge von Volkmarsen20, da dasMobiliar für die Beschneidung Gesamtbesitz derGemeinde ist, das Gerät aber Eigentum des mit derBeschneidung betrauten Mohel und die Wickelbänderzum Teil häusliche Handarbeiten der Mütter sind.2r

,,Auf das hiiusliche Gertit, das mit seinen vielensilbernen und metallenen Schüsseln, Bechern undLampen so lebhaft von der Vielfältigkeit und Breitespricht, mit der das jüdische Gebrauchtum das ganzeLeben der Familie durchdringt, und in seinemschützenden Rahmen hegt, sei nur hingewiesen. Was

hier ganz besondere Fülle und Farbigkeit schffi,sind die handgeschriebenen oder gedruckten, bunt-b emalten o der ho I zs chnittges chmüc kten Textb ändeundTextrollen...."22

Die dritte Gruppe der Exponate war relativ klein undbeschränkte sich auf papierne Zeugnisse. Dazu wiederumHallo:

,,Von den öffentlich-rechtlichen Verhtiltnßsen zeu-gen neben einer Anzahl von gesetzlich,en Bekannt-machungen und Schutzbriefen, Wanderbüchernjüdischer Handwerker und Gewerbeverordnungen,Urkunden, wie die von Kaßer Rudolf II. in Prag

' 1609 auf Errichtung einer Judenschule zu Hanquausgefertigt." 23

Hallo hat die räumliche Begrenzung nicht als Mangelempfunden, sondern den ,,überaus schönen und würdi-gen Rahmen" herVorgehoben.2a Die teilweise durch dieArchitektur aufgezwungene Objektanordnung war ihm inihrer ästhetischen Wirkung durchaus willkommen:

,,Den Besucher des Hessßchen Landesmuseums inKassel überrascht seit einigen Monaten, wenn erdurch die Flure der heimatkundlichen Sammlungenschreitet, ein bisher ihm gänzlich fremder, mit seltsa-men und doch zugleich anziehenden Gegenständengefüllter Raum. Von dem warmen Braun der Wiindeheben sich farbenkräftige, grol3e, bestickte undgemusterte Wandbehtinge ab; zwischen ihnen schim-

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5./6. Ansichten des ersten Ausstellungsraumes 1927

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mert da und dort ein silbernes Gercit, Zinn undMessing füllt einen grotJen Schrank; ungewohntemGestühl sieht der Besucher sich gegenüber, und vonder Kopfwand des Saales schauen ihn bilderreicheHandschriften und Schriftrollen voller Kupferstichean. Einige breit awladende schwere Messingleuchterund gobelinartige Decken über den Tischen gebender Ausstellung Richtungspunkte und farbige Ord-nung und tragen das lhrige dazu bei, dalS derBesucher sich rasch von der Wàrme und Innigkeitdieser fremden Welt umfangen fühlt."2s

Gerade der nichtjüdische Besucher sollte in dieserAusstellung unmittelbar über die Sinne angesprochenlverden.

Die Gefahr einer solchen Wirkung hat Hallo allerdingsaufgrund seiner Führungen durch die Sammlung schnellerkannt und deshalb u. a. fùr den Hessischen Kuriereinen kurzen Leitfaden verfaßt, aus dem bereits zitiertwurde.

,,In ganz ungewöhnlicher Sttirke ßt ja hier eineErläuterung notwendig, um den Besucher von deroft allzu schönen Oberfläche der Dinge zu ihremSinn zu lenken. Es ist aber im Grunde eine Kultaus-stellung; wenn es zugleich auch eine Kunstausstel-lung geworden ist, so verrät das blol3, dalS die Judenauch in ihre kultßchen Verrichtungen und Gerät-schaften ihr ganzes Streben nach würdiger Schönheitlegen konnten."26

Ergebnis dieser Uberlegung ist nicht nur die Pressever-öffentlichung, sondern auch die besondere Form desBegleitheftes zur Ausstellung, das Anfang 1928 als Son-derdruck der jüdischen Zweimonatsschrift ,Der Morgen'erschien.2T Bereits der Untertitel ,,Ein Bild derGeschichte der Juden in Hessen" zeigt den großenRahmen auf, in den die Sammlungsgegenstände gestelltwerden. In der Einleitung wird die Absicht erläutert:

,,In dieser ersten Veröffentlichung soll der Versuchgemacht werden, gerade an Hand der aus Hessenstammenden Gegenstände die innere Verbindung derhessischen luden untereinander und mit ihrerUmwelt wie ihre Verknüpfung mit der gesamtendeutschen Judenheit andeutend aufzuzeigen. Dabeiwird gerade die bewulSte Abstellung auf das Hessi-sche zum Antrieb, eben am Kleinen und Einzelnenall die Bezüge aufzuweisen, die auch dieses, undgerade dieses mit dem GrolSen und Ganzen einerkulturellen und hßtorßchen Entwicklung verknüp-fen, und die so leicht über ihrer Niihe und Gewohn-heit vergessen werden."28

Gerade der letzte Satz läßt auch erkennen, wie naheHallo der kunsthistorischen Interpretationsrichtung AbyWarburgs steht. Der Beschreibung und Interpretationvon23 Exponaten wird jedoch eine kurze Geschichte derhessischen Juden vorangestellt, die ihre Bedeutung vorallem auch durch die Scheidung von jüdischer Hofkunstund jüdisch-hessischer Volkskunst erhält. Hier knüpftunmittelbar die noch im gleichen Jahr als Festschrift der

Kasseler Sinai-Loge erschienene Schrift,,Jüdische Volks-kunst in Hessen" an, eine Arbeit, die stark auf derjüdischen Sammlung im Hessischen Landesmuseum ba-siert.2e

Ihr Titel ist programmatisch. Der hier eingeführteBegriff einer jüdischen Volkskunst in Hessen oderjüdisch-hessischen Volkskunst weist auf eine Grundan-schauung Hallos, die ihn von der überwiegenden Mehr-heit jüdischer wie nichtjüdischer Kulturhistoriker unter-scheidet: Nicht die Fremdheit, Andersartigkeit, Beson-derheit oder Einmaligkeit jüdischer Kultur steht imMittelpunkt, sondern ihre Verbundenheit mit und ihreBeeinflussung durch den jeweiligen Kulturbereich, indem sie lebt. ,,Das heißt, Andere, Nachbarn, Nicht-Juden gaben das her, was mangelte, halfen aus, sprangenein, trugen das Gut ihres Volkstums in die umhegte Stilleder,Jüdischkeit"'.30 Innerdeutsche oder allgemeinwest-europäische Stilwandlungen wirkten auf jüdische Kunst,wie Hallo am einfachen Beispiel der hebräischen Kunst-schrift deutlich macht.3l

Bei !ührungen hat Hallo nach Auskunft seiner WitweGertrud Hallo besonders auf die tüimpelbänder und aufdie Chanukka-Leuchter hingewiesen, denn ,,beides, dieWimpel und die Leuchter, wurden von meinem Mann mitVorliebe benutzt, um zu erläutern, was er unter jüdischerVolkskunst verstand."32 Man kann es im Begleitheft zurAusstellung nachlesen :

,,Eine Chanukkalampe, die (wie eine derbere ausder Zeit Wilhelm IX., um 1800) aus einem hessi-schen Gardemùtz enschild der Rokoko zeit b ehuts am

7. Chanukkalampe, um 1800

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hergerichtet ist; der Umarbeitende hat die vorgebauteUnterlage der acht Lichtpfönnchen sorgfältig auf dieMittelachse des Sterns gelegt. Das ßt mehr Rück-sichtnqhme auf ein Ornament, als es gemeinhinLitzen- und Tressenauflagen auf den gemustertenStoffen unserer Vorhange und Thoramrintel sonstzeigen."

oder:,,Volkskundlich ist unter den Wimpeln kaum einerso drastisch hessisch wie der des Josef Büding von1783, der das Sternbild des Schützen durch einenb o gens chielSenden S oldaten in heisisðhem Uniform-

frack mit Aufschlägen, in Hose und Stiefelgama-schen darstellt."

Und:,,Wir wählen, seiner geradezu phantastischen Bema-lung wegen, einen Wimpel von 1802. Er übertrffi anDichtigkeit der figürlichen Füllung, an Førbigkeitund Artikulation alle anderen Bänder und ist einwirklich klqssisches Dokument der Verbundenheithessischer Juden mit Hessen."33

Mit dieser historisch-ethnographischen Betrachtungs-weise, die auch die übrigen Werke Hallos bestimmt, hater sich deutlich von dem Rosenzweigschen Verständnisdes jüdischen Volkes als einer außergeschichtlichenGröße entfernt. Während Rosenzweig die Versöhnungvon Juden und Christen vom existenzphilosophischenDenken aus betreibt, führt Hallo als Kulturhistoriker dieBelege einer gemeinsamen Vergangenheit vor Augen. Eskönnte auch als Antwort auf Rosenzweig verstandenwerden, wenn Hallo in der ,Jüdischen Volkskunst'schreibt: ,,Salomons Tempel ist vergangen, wie der des

Herodes, und dem, der heute bauen will, stehe vorAugen, daß den Juden die längste Periode ihrerGeschichte im Abendlande verlief !"34

In der Ausstellung hatte Hallo mit vollem Bedacht inder Tora gerade die Zehn Gebote aufgerollt. ,,Sie sollenes ständig ins Bewußtsein rufen, welche innerste Kraft dieJuden untereinander, und die Juden mit den Frommenjeden Glaubens zusammenhält. "3s

Selbstverständlich konnte und wollte die Ausstellungnicht für nichtjüdische Besucher die Andersartigkeit derjüdischen Kultgegenstände verwischen, im Gegenteil:

,,Der Zweck der Ausstellung ist ein doppelter. Sie sollnicht nur Fremdartiges in seiner Eigenart begreifbarlehren, sie soll zugleich auch durch das geweckte Ver-trauen Achtung und Aufgeschlossenheit schaffen."36

Unter diesen Gesichtspunkten war die Aufnahme derjüdischen Sammlung ins Hessische Landesmuseum fürHallo kein Provisorium vor einem eigenständigen jüdi-schen Museum, sondern gehörte zu seinem Konzept:Hierin unterschied sich Kassel bewußt von Frankfurt, wo7922 mit den Beständen der Gesellschaft zur Erforschungjüdischer Kunstdenkmäler und den Judaica des Histori-schen Museums ein eigenes ,,Museum Jüdischer Altertü-mer" im Rothschildschen Haus am Ende der altenJudengasse eröffnet wurde.37

,,Was aber als ein besonderer Vorzug der KasselerJüdischen Sammlung gelten kann (wenn es auchnicht ohne Vorbild in deutschen Museen dasteht),das ßt, dal3 der Jüdische Ausstellungsraum in demvon der Planung des Baus her gewiesenen Rundgangdurch die gesamten Sammlungen eingespannt ist.Frankfurt hat den Versuch gewag\ seine jüdischenAltertümer aus dem Historischen Museum herauszu-ziehen und in einem eigenen Haus zu konzentrieren.Der Erfolg ßt, dalS sie niemand ansieht, denn diewenigsten, und am allerwenigsten die Juden, machensich gern Wege, um etwas zu sehen, was sie, wie sie

meinen, doch schon kennen. In Kassel wird man garnicht vor die Frage gestellt, ob man sich das Jüdischeansehen will oder nicht - man begegnet ihm viel-mehr, indem man aus dem Hessischen heraus undwieder ins Hessische hineinschreitet. Ich möchte das

nicht als eine belanglose Nebensächlichkeit ansehen.

Ist es doch so, wie wenn man im leibhffigen Lebenunvorbereitet und ungefragt zwischen den anderenplötzlich dem Juden begegnet und ihm Auge umAuge gegenübersteht. Und auch im Leben sindsolche ungewollten und unqusweichlichen Begeg-

nungen häufig die eigentlich fruchtbaren."38Wie in Frankfurt war auch in Kassel der Träger des

jùdischen Museums ein Verein, der 1921 als Nachfolgerdes Ausschusses zur Sammlung und Erhaltung jüdischerKultaltertlimer aus Flessen gegründete JüdischeMuseumsverein. Vorsitzender war der RechtsanwaltAlexander Lewinsohn; Hallo und der Rechtsanwalt undSammler Julius Dalberg, der durch seine Anregung undTätigkeit wesentlichen Anteil an der Entstehung des

Museums hatte, waren im Vorstand.3e Die StaatlichenKunstsammlungen stellten die Räume zur Verfügung undhatten dem jùdischen Museum in ihrem Haus ,,in lebhaf-ter Anteilnahme an der Idee dieser Sammlung kostbareGegenstände aus ihrem eigenen Besitz hinzugefügt undwertvolle Neuerwerbungen für die Ausstellunggemacht", berichtet Hallo und fährt, seinen Grundgedan-ken ansprechend fort: ,,ztJmal ihnen damit nicht nur einbisher nicht vertretenes Sondergebiet heimatlichenLebens, sondern auch eine kunstgewerbliche, namentlichin den Textilien erwünschte Bereicherung zuwuchs, derenErhaltung und Ausbau sich das Museum zur Ehrenpflichtmacht. "ao

Das Hessische Landesmuseum selbst besaß allerdingskeine eigene jüdische Sammlung. Dr. Boehlau, seit 1905

Direktor des Hessischen Landesmuseums und von 1924

bis 1928 der gesamten Staatlichen Kunstsammlungen,erinnerte bei der Eröffnung des jüdischen Museumsdaran, daß er bereits vor dem Ersten Weltkrieg inGemeinschaft mit dem Landesrabbiner Dr. Doctor ersteVorbereitungen zur Grùndung eines jüdischen Museumsgetroffen habe, die jedoch durch Krieg und den Tod vonDr. Doctor ins Stocken kamen.rl Die Staatlichen Samm-lungen konnten aber aus dem alten landgräflichen Kunst-kammerbesitz einige wenige Prunkstùcke in die Ausstel-

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lung geben: den Tafelaufsatz in Schiffsform von Joh. Ad.Kienlein aus IJlm, den der Hofjude Feidel David 1780

Landgraf Friedrich II. zum Geschenk machte (s. Kat. Nr.56)o'; - die Kasseler Besomim-Büchse in Gestalt eines

Wachturmsa3; - einen weiteren Besomimturm in Silberfi-ligranaa und einen jüdischen Brautring.as Hinzu kamen dieNeuerwerbungen im Zusammenhang mit der jüdischen

Sammlung, von denen Hallo berichtete:7927 erwarb man

eine Torakrone mit Schild und Handweiser, 1928 einenChanukkaleuchter aus Zinn, 1930 das Wanderbuch unddie Familienchronik des jüdischen Goldschmieds Jesaias

Rieberg, 1932 einen neunarmigen Leuchter aus Eisen undein weiieres silbernes Besomim-Türmchen.a6 Schon 1919

waren zwei Chanukka-Lampen aus Irdenware ins

Museum gelangt (s. Kat. Nr. 183).47 Einzelne Exponatekamen aus anderem öffentlichen Besitz, so aus dem

Universitätsmuseum Marburg, dem Museum in Rintelnund dem Landesgewerbeamt Stuttgart. Der bedeutendsteBestandteil der Sammlung vvar Besitz der jùdischen

Gemeinde und gehörte zu den Kasseler Synagogen, so

allein fünf Toravorhänge und manches von dem Silberge-rät. Mit Leihgaben waren aber auch die jüdischen

Gemeinden Beverungen, Fulda, Eschwege, Hanau, Hof-geismar, Rotenburg, Schmalkalden und Volkmarsen ver-treten, hinzu kamen Exponate aus dem Besitz der Kasse-

ler Krankenpflegerbrüderschaft und die des Jüdischen

Museumsvereins. Unter den privaten Leihgebern istneben den Kasseler Familien Ackermann, Hallo, Kaiser,Katzenstein, Meyerhoff, Rubensohn, Rothfels u- a. vorallem Julius Dalberg zu nennen, dessen Sammlung als

Grundstock der Ausstellung gedient hat.Nach Hallos Plänen sollte das jüdische Museum eine

Zentralstelle für das hessische Judentum werden mitwissenschaftlicher Bibliothek und einem jüdischen

Archiv, dessen Hauptaufgabe er 1927 in zwei Aufrufenskizzierteas: die Aufnahme und Inventarisierung derjüdischen Grabsteine und Bauwerke und die Erforschungder jüdischen Geschichte auf hessischem Boden, dieAnlage eines jüdischen Familienarchivs, in dem neben

Urkunden, Stammbäumen u. dgl. auch möglichst zahlrei-che Fotos und andere bildliche Darstellungen von Ange-hörigen der hessischen Judenschaft Platz finden solltenund ein neues Inventar des Kunstbesitzes der Gemein-den. Diese Ziele gingen über das hinaus, was in Frankfurtdie Gesellschaft zur Erforschung jüdischer Kunstdenkmä-ler anstrebte, doch stand Hallo dieses Vorbild vor Augen.1928 wurde übrigens das Hessische Landesmuseum Mit-glied in dem Frankfurter Verein und Hallo publizierte inder Vereinszeitschrift,Notizblatt'.

Zu Beginn seines Aufrufs macht Hallo auch nocheinmal sehr klar, welche Vorstellungen er von den

Aufgaben des Museums hat:

,,Für weite Kreise der Offentlichkeit ist hier zumersten Mal ein Stück unbekanntes Deutschlanderschlossen worden, ein wichtiger Bezirk geschichrlichen Werdens unserer Heimat der Betrachtunggeöffnet. Dadurch werden manche der landltiufigen

schiefen [Jrteile und Vorstellungen von Judentumund jüdischer Religion korrigiert werden können,aus der Angriffsstellung starrer Vorurteile wird Füh-lungnahme werden und ein versöhnendes Begreifenerwachsen für die Religion und geschichtliche Son-derart der Mitbürger iüdischen Glaubens. So kanndas Museum abseiß der rein wissenschaftlichen undkünstlerischen Ziele eine kulturelle Mittlerrolle vonnicht zu unterschätzender innerpolitischer Bedeu-tung übernehmen."ae

Die Präsentation der jüdischen Sammlung in den

Wechselausstellungsräumen war trotz des anspruchsvol-len Titels ,Jüdisches Museum' s0 zunächst als vorüberge-hende Ausstellung gedacht. Sie sollte für die Idee desjüdischen Museums mit Archiv und Institut werben.Auch Hallo äußert sich anfangs so - und Museumsdirek-tor Boehlau sagte bei der Eröffnung, ,,er betrachte es als

schönsten Lohn für die Veranstalter, wenn aus dervorläufigen vorübergehenden Ausstellung ein bleibendesInstitut er\ryachse. "51

Noch 1927 sollte der Wunsch zumindest auf eine

Dauerpräsentation eines Teils der Sammlung erfüllt wer-den. Allerdings mußte man sich mit einem Raum, ver-mutlich dem vorderen Sonderausstellungsraum, begnü-gen, da die anderen Räume für Wechselausstellungenbenötigt wurden. Der Raum wurde im Sommer 1927

endgültig gestaltet. Noch im April 1931 steht der Samm-lung nur dieser Raum zur Verfügung, doch wird jetztwieder eine größere Ausdehnung in Aussicht gestellt, undoffensichtlich umfaßte die Ausstellung 1933 wieder zweiRäume.52 Diese Entwicklung hin zu einem dauerndenMuseum innerhalb des Hessischen Landesmuseums ist als

Erfolg von Hallos Konzeption anzusehen, die er enga-giert publizistisch und in Führungen darlegte. Eine Auf-nahme der Sammlung in das Hessische Landesmuseumwar fùr beide Seiten, den Jüdischen Museumsverein unddie Staatlichen Sammlungen, bei der allgemeinen Ten-denz, selbständige jüdische Museen zu gründen, nichtselbstverständlich.s3

Im Sommer 1928 mußte die Sammlung Wjbderum fastvollständig ausgeräumt werden, als aus ihrem Bestand 92

der wichtigsten Objekte nach Marburg ausgeliehen wur-dèn. Zum vierhundertjährigen Jubiläum (1927) erhielt dieMarburger Philipps-Universität mit dem,,Jubiläumsbau"(seit 1950 Ernst von Hülsen-Haus) einen für dieMuseumssammlungen des Geschichtsvereins und ftir diekunsthistorischeh S'eminare bestimmten Neubau, dessen

verspätete Eröffnung 1928 von der ehrgeizigen Sonder-ausstellung ,Religiöse Kunst aus Hessen und Nassau'

begleitet wurde. Die Aufnahme von allein 120 Judaica indie Ausstellung ist auf die Wirkung des KasselerMuseums zurückzuführen, ebenso, wenn die Herausge-ber im Vorwort zum großen Ausstellungskatalog beto-nen, die Hinzufügung der fast ausschließlich unter kulti-schen Gesichtspunkten ausgewählten jùdischen Abtei-lung habe das einheitliche Gepräge der Ausstellungbetont.sa Die Bearbeitung des jüdischen Komplexes für

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die Ausstellung und fiir den vorläufigen wie für den

repräsentativen wissenschaftlichen Katalog lag in den

Hãnden von Rudolf Hallo, der sich nun als einer der

wenigen Fachleute auf dem Gebiet jùdischer Kunst und

Kultur auswies.Die Gliederung im Katalog, der wohl auch die Struk-

turierung der Ausstellung entsprochen haben dürfte,sowie knappe erläuternde Zwischentexte machten diesen

Bereich auch dem Laien zugànglich. Gegenüber der

Kasseler Ausstellung fiel der Bereich 'OffentlichesLeben' fort, stattdessen wurde aus der Rubrik ,Haus' das

Thema Sabbat und Festtage als gesonderte Einheit her-

ausgestellt, so daß sich die Abfolge ergab:

A) Synagoge, mit dem Toravorhang zuvorderst;

Beschneidung, halb zur Synagoge, halb zum hâuslichen

Bereich gehörendss;Haus, unter dem Aspekt der dreiteiligen Wunschfor-

mel zu Gesetz, Ehe und guten Werken und dem davon

bestimmten Lebenslauf: erster Gottesdienstbesuch,Beschneidungsgeschenke, Brautgeschenke, Kranken-

8. Aus der Ausstellung Marburg 1928

pflege sowie als Úberleitung zum 2. Teil Waschung und

Gebet im Haus.B) Sabbat mit Kidduschbecher, Leuchter, Besomim-

bùchse I

Feste des liturgischen Jahres: Passah, Schewuotfest,

Neujahrsfest, Jom-Kippur, Laubhüttenfest, Chanukka,

Purim.Die besseren räumlichen Möglichkeiten in der Mar-

burger Ausstellung begünstigten eine klare Gliederung'V/ahrend das selbständige Jüdische Museum im libera-

len Frankfurt noch bis zu den verharmlosend als ',Kri-stallnacht" bezeichneten Progromen des 9. November

1938,,ein höchst wertvolles und bewußtes Zentrumjùdischer Kultur" war-5('und durch das mutige Vorgehen

des Historischen Museums auch nach der Plünderung und

Zerstörung an diesem Tag noch etwa 340 Exponate

gerettet und durch sorgfältige Auslagerung úber den

krieg gebracht werden konnten' war fùr die Kasseler

Sammlung unmittelbar nach der nationalsozialistischenMachtergreifung kein Platz mehr in dem staatlichen

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Page 9: Kassel jüdische Museum und Hallo Rudolf · PDF fileRudolf Hallo und das jüdische Museum in Kassel Ekkehard Schmidberger Die Nachrufe auf Franz Rosenzweig im Frankfurter Israelitischen

Hessischen Landesmuseum. Dies lag sicher nicht daran,daß die Sammlung durch den Tod Hallos ihren Betreuerund Bearbeiter verloren hatte. Die jüdische Sammlungwar unter den neuen politischen Verhältnissen untragbarund schnell zu dem geworden, was sie nach dem Wunschihres Gründers auf keinen Fall sein sollte, ein Fremdkör-per in einem hessischen Landesmuseum.

Bei einer erneuten Suche in den Akten der StaatlichenKunstsammlungen konnten jetzt neun Rückgabequittun-gen aufgefunden werdensT, auf denen für den 8. bis25. Juni 1933 die Rückgabe von 105 Judaica, darunterallein 64 Bücher, an den Jüdischen Museumsverein (?),die Israelitische Gemeinde und an Privatpersonen(Rubensohn, Fritzdavid, Elise Katzenstein, Frau Dr.Frank) quittiert sind. Die Quittungen sind mit Inventar-nummern versehen, und es ist zu entnehmen, daß derUhrmacher Seligmann Nußbaumss die Übergabe vor-nahm. Die Rückgabe und Auflösung der Sammlung istoffensichtlich auch am 19. Juni 1933 noch nicht abge-schlossen - an diesem Tag quittiert Salomon Neumann5eden Empfang von ,,1 Liste Inventar und dazugeh. Hef-ter" - denn eine weitere Quittung mit Neumanns Unter-schrift datiert am 25. Juni 1933. Ein großer Teil derSammlung, die mindestens 429 Nummern umfaßte,müßte aber schon vor dem 8. Juni zurückgegangen sein.Die Auflösung der Sammlung ist demnach nicht ganz soplanlos und überstürzt erfolgt, wie es mehrfach aufgrundeines Briefes von Gertrud Hallo vom 15. 2. 1984 darge-stellt wurde.óo Doch auch wenn die Vernichtung diesesMuseums sich faktisch anders ereignet hat, sind dieErinnerungen von Hallos Witwe in der darin zum Aus-druck kommenden Bestürzung über das schnelle Endeder Sammlung von hoher Aussagekraft:

,,Soweit sie (die Leihgaben) nicht auf Veranlassungder Museumdirektion zwischen dem 30. Januar unddem 1. April zurückgeholt worden waren, wurdensie ganz kurz vor dem Boykott des 1. 4. unverpacktund auf einen Haufen wie auf einem Schuttablade-platz in das jüdische Gemeindehaus in der Rosen-straþe gefahren, ich glaube, bei Nacht und Nebel-Ich wurde von der Gemeinde gebeten, bei derFeststellung der Eigentümer zu helfen. Da wir keineaktenmöfiigen Unterlagen hatten, und viele derEigentümer , private sowohl als Gemeinden undOrganßationen, nicht mehr exßtierten oder sichnicht meldeten, mul3te die unmögliche Aufgabe sehrbald aufgegeben werden. Was aus dem ùbrigenbleibenden, armseligen Haufen geworden ßt, weil3

ich nicht, aber das Bild verfolgt mich immer noch."Was von diesen Gegenständen, von denen ein Teil

noch nach Frankfurt gelangt sein soll6r, erhalten geblie-ben ist, ist nicht bekannt. Die Staatlichen Kunstsammlun-gen besitzen nur den von Feidel dem Landgrafengeschenkten Tafelaufsatz in der Kunstkammer, die übri-gen eigenen Dinge gingen vermutlich im Krieg mit demSilber und anderem verloren. In der Landesbibliothekwird noch das Fürstengebet von Salomon Pinhas von1792

aufbewahrt, das als Leihgabe in der Ausstellung war (s.Kat. Nr. 199). Ein aufgetrennter Stoff mit Brandspuren inder Textilsammlung des Landesmuseums könnte der Resteines Toravorhangs sein, er ist aber auf keiner dererhaltenen Abbildungen nrr ehemaligen jüdischenSammlung zu erkennen (s. Kat. Nr. 196). Im HessischenLandesmuseum befindet sich unter dem Kasseler Silberauch noch eine Arbeit des nichtjùdischen Hofsilber-schmieds ìù/ilhelm Kompff von etwa 1810. Dieser Tora-rollenaufsatz ist in Hallos Geschichte der JüdischenGemeinde abgebildet.62 Er stand aber nicht im jüdischenMuseum, sondern stammt, aus einer der beiden KasselerSynagogen. Das Landesmuseum kaufte ihn 1940 mitanderem Kasseler Silber im Landesleihhaus.63 Er stehtheute in der wieder umfangreichen Sammlung KasselerSilber des Hessischen Landesmuseums und zeugt dort alseinziger jüdischer Kultgegenstand mit seiner flammendenUrne wie ein Symbol von dem Leben und dem Untergangder jüdischen Gemeinde in Kassel (s. Kat. Nr. 188).

Neben den Nachrufen auf Franz Rosenzweig für dieisraelitischen Gemeinden schrieb Hallo auch einen für dieLeser des Kasseler Tageblattes.Ø Deutlicher als in denbeiden anderen klingt hier das beiden Männern gemein-same Anliegen an, die Versöhnung zwischen Deutschenund Juden. ,,Deutschtum und Judentum, durch leibhafti-ges Geschick in mannigfachen Knotenpunkten ihrer Bahnaneinandergefesselt - das sind die Elemente seiner Erfah-rung, seines Wesens, seines Wollens." Wie bedeutsamHallo dieses Element im Lebenswerk von Rosenzweigwar, erkennt man daran, daß er das Thema 1930 in einerFlugschrift unter dem Titel ,,Judentum und Deutschtumin Franz Rosenzweig" erneut aufgreift. Über Rosenzweigfand Rudolf Hallo zu seinem Werk der Verständigung,auch wenn er nach der Auseinandersetzung mit Rosen-zweigs Philosophie und Lehrmethode den anderen Wegwählte, der in seinem für die kunst- und kulturhistorischeForschung unverzichtbaren schriftlichen Werk überall zuerkennen ist.* Alle Abbildungen Kat. Nr. 156 : :

Anmerkungen

1 Rudolf Hallo, Franz Rosenzweig, Júdische Wochenzeitung für Kassel, Hessenund rüy'aldeck, 6. Jahrgang Nr. 49 vom 13. 12. 1929 - Dgl.: Franz Rosenzweig,Frankfurter Israelitisches Gemeindeblatt, Januar 1930, S. 182.

2 Horst Keller, Rydolf Hallo, Leben und Werk. In: Rudolf Hallo, Schriften zurKunstgeschichte in Kassel, Sammlungen, Denkmäler, Judaica, herausgegebenvon Gunter Schweikhart, Kassel 1983, S f1-29, hier S 11. Diese ausführlicheBiographie liegt diesern Beitrag bei den l-ebensdaten zugrunde. S. auch: JoelKraemer, Rudolf Hallo. In: Enzyclopãdia Judaica, Jerusalem 1971, Bd. 7,Spalte 1201f. - Wolfgang Prinz, Jüdische Bürger aus Kassel vor 1933. In:Fremde im eigenen Land, herausgegeben von Helmut Burmeister und MichaelDorhs, Hofgeismar 1985, S. 46-54, zu Rudolf Hallo S. 50f.

3 Keller, S. 12.

4 Rudolf Hallo, Die christliche Wissenschaft vom Judentum - Gastvorlesung imrüinter 1924 im Jüdischen Lehrhaus in Frankfurt (M.), Zweimonatsschrift,,Der Morgen", Jahrgang 10, 1934, S. 28T294 und 359-365.

5 Ein Sammelband mit dem Reprint der wichtigsten dieser Schriften erschien1983, s. Anm. 2. Hier zttie¡l: Hallo, Schriften.

6 Rudolf Hallo, Rudolf Erich Raspe - Ein Wegbereiter von deutscher Art undKunst, 5. Heft der Göttinger Forschungen, Stuttgart - Berlin 1934.

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