kein abgelegener ort im gantzen flecken vorhanden ist · „reise ins jüdische ostfriesland“...

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Das erste Bethaus befand sich im Speicher des Apothekers Theune in der Kirchstraße (drittes Haus von rechts) ...Kein abgelegener Ort im gantzen Flecken vorhanden ist ... Broschüre zur Ausstellung 340 Jahre jüdische Geschichte in Leer Hinweis auf die zweite Synagoge in der “Dreckstraße”, der heutigen Norderstraße, in der Generaltabelle der jüdischen Häuser im Amte Leer, 1767 Booklet dt._Layout 1 29.09.2014 09:24 Seite 1

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Das erste Bethaus befand sich im Speicher des Apothekers Theune in der Kirchstraße (drittes Haus von rechts)

...Kein abgelegenerOrt im gantzen

Flecken vorhanden ist ...

Broschüre zur Ausstellung 340 Jahre jüdischeGeschichte in Leer

Hinweis auf die zweite Synagoge in der“Dreckstraße”, der heutigen Norderstraße, in der Generaltabelle der jüdischen Häuser imAmte Leer, 1767

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Über die Ausstellung

Am 9. November 2013 jährte sich zum 75. Mal die Pogromnacht in Deutschland. Diesnahmen fast alle ostfriesischen Synagogengemeinden zum Anlass, sich unter dem Motto„Reise ins Jüdische Ostfriesland“ zusammenzuschließen. Insgesamt zehn Einrichtungenauf der gesamten Ostfriesischen Halbinsel präsentierten erstmalig die Geschichte derShoah und das lebendige jüdische Leben in Ostfriesland. Nach der Machtergreifung derNationalsozialisten verschwand die jüdische Kultur in Ostfriesland bemerkenswertschnell aus dem bis dahin gemeinsamen Alltagsleben von Juden und Nichtjuden im Ver-gleich zum übrigen Deutschland. Die Ausstellung zeichnet das jüdische Leben in Leer,einer Stadt in der Grenzregion zu den Niederlanden, von den Anfängen bis zu seinemNiedergang nach.

Die Anfänge der jüdischen Geschichte sind in Leer auf den Beginn des 17. Jahrhundertszurückzuführen. Erste Nennungen jüdischer Einwohner finden sich in „Schatzungslisten“der jeweiligen Landesherren und im Kirchenbuch der reformierten Gemeinde Leer imJahr 1602.

Das Ende erfolgte im Juli 1940. Der von der Reichsvereinigung der Juden in Deutsch-land zum Liquidator bestellte Dr. Hans Israel Ries aus Hannover beschloss seinerzeit dieAuflösung der „Jüdischen Kultusvereinigung Synagogengemeinde Leer“. Damit endetedie 340jährige Geschichte jüdischen Lebens in der Ledastadt.

Beginnend mit dem Boykott der jüdischen Geschäfte am 1. April 1933 nahmen nach derMachtübernahme durch die Nationalsozialisten auch in Leer die Ausgrenzungsmaßnah-men in den Folgejahren für die jüdische Bevölkerung stetig zu. Selbst in dieser Randre-gion des Deutschen Reiches hingen seit April 1935 Plakate mit der Aufschrift „Der Vaterder Juden ist der Teufel“ oder „Ohne Lösung der Judenfrage keine Erlösung des Deut-schen Volkes“ an den Ortsgrenzen. Schilder mit der Aufschrift „Juden nicht erwünscht“prangten in den Schaufenstern der Läden in der Adolf-Hitler-Straße (Mühlenstraße).

Seit Generationen waren die Mitglieder der jüdischen Gemeinde hier ansässig. Insbeson-dere den Leeraner Viehmarkt hatten sie durch ihre Wirtschaftsbeziehungen europaweitbekannt gemacht. Plattdeutsch sprachen sie, hier bauten sie 1885 ihre große Synagoge,nahmen teil am hiesigen Vereinsleben und waren für ihr Vaterland in den Krieg gezogen.Nun wurden sie gemieden, weil sie Juden waren.

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Noch bis über 1939 hinaus konnten die jüdischen Bürgerinnen und Bürger nach Zahlungeiner Auswanderer-Abgabe das Land verlassen. Die Spitzeldienste der Gestapo, der Devi-senstellen, Finanz- und Zollämter funktionierten jedoch perfekt. Ein heimliches Verschie-ben von Vermögenswerten war nahezu unmöglich. Dennoch, insbesondere nach der„Pogromnacht“, suchten immer mehr jüdische Mitbürger das Land zu verlassen. Zähltedie Stadt Leer noch im Januar 1938 201 jüdische Einwohner, waren es Ende des Jahresnur mehr 141. Staatliche und städtische Dienstbeflissenheit ließen die nationalsozialisti-sche Maschinerie perfekt funktionieren. Weisungen von oben wurden prompt und korrektausgeführt. Manchmal sogar noch „gewissenhafter“, als notwendig.

Gehässige Häme begleitete und vergiftete der Leeraner jüdischen Bevölkerung das Lebenin ihrer Heimatstadt bis zu ihrem bitteren Abschied. Die OTZ, das offizielle Presseorgander Region, wusste die Öffentlichkeit mit Hetzartikeln auf niedrigstem Niveau, gegen ihrejüdischen Mitbürger aufzuwiegeln.

Mit der Bitte, doch nachträglich dem Verkauf des Leichenwagenschuppens der Synago-gengemeinde angesichts der geringen Verkaufssumme und der Notlage der sich in Auflö-sung befindlichen Gemeinde zuzustimmen, wandte sich David Hirschberg noch im März1940 in einem offiziellen Schreiben an die Stadt Leer. Dies war seine letzte Amtshandlung im Synagogenvorstand, bevor er seine HeimatstadtLeer verlassen musste.

Diese Ausstellung soll die Vergangenheit einer jüdischen Gemeinde wieder lebendig wer-den lassen. Zeigen, welcher Reichtum der Region mit der Vernichtung der jüdischen Kul-tur verloren ging.

Leer, im September 2014

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Geleitbriefe im 17. Jahrhundert

Im Flecken Leer leben im 16.Jahrhundert keine jüdischen Ein-wohner. Erst im Jahre 1601 bestä-tigt sich durch einen Eintrag imreformierten Kirchenbuch, dasssich Juden auch in Leer niederge-lassen haben. Der Name des dortGenannten: “die Joede Jacob”. Die Schicksalswege der jüdischenBevölkerung in Ostfriesland wer-den bestimmt durch fürstliche“Schutzbriefe” oder “Generalpri-vilegien” mit ihren darin

verzeichneten Namen. Die Schutz-briefe waren auf mindestens 12 Jahre,längstens auf 20 Jahre befristet.

Schutzbriefe von fast allen ostfriesi-schen Fürsten sind im Original imStaatsarchiv Aurich erhalten, wie z.B.(oben) der vom Fürsten Christian Eber-hard ausgestellte Schutzbrief aus demJahre 1690. Zehn Namen jüdischer Familienober-häupter werden darin “auff dem Orthzu Leer” genannt :

Ewalt Moses, Isacs Abrahams, Meyer Isacs, Isack Abrahams, Lammert Salomons,

Jacob Salomons, Jacob Mosis,Seckel Abraham, Mosis Wulff und Josephs

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Die Festung Leerort am Zusammenfluss der Ems und Leda

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Erster Betraum imSpeicherhaus“Drei Kronen”

n seiner “Chronik von Leer” berichtetder reformierte Pastor Wessel Onkenum 1765 als Zeitzeuge über das wahr-scheinlich erste jüdische Bethaus: “...Ehemals bildete die dem Kaaksbrun-nen zugekehrte Hälfte des in der Kirch-straße gelegenen Packhauses des HerrCh. G. Theune - damals “die drei Kro-nen” genannt - eine Art Synagoge.

Die andere Seite war als Wohnung ein-gerichtet, welche von einem Israelitenbewohnt wurde. Das Innere trennte einGitterwerk in zwei Teile. Der vordere stellte den Aufenthalt derFrauen, der hintere den der Männerdar. Außerdem fanden sich im letzterenallerlei Geräte als Betpulte, Leuchterund dergleichen verwahrt...”

Cheyer Abrahams tut große Nahrung auf allerhand Manier

Wolf Moses ist allhier wohlbekanntMeyer Abrahams treibt seine Hantierung zurUnter

haltung seiner 7 kleinen KinderJacob Salomons ernährt sich durch tägliches Brot

zu gewinnen seiner Hantierung nach. Ist nichtviel zum Beißen.

Isaak Abrahams ernährt sich durch seine Hantierung

Joseph Jacobs ebenfallsLamberty Salomon gleichfallsJacob Moses similiterSalomon Abrahams dieser ist erst getraut, tut

ebenfalls solcher NahrungMoses Wolf tut solcher Nahrung, wie es

einem Juden zukommt.Isaak Moses gleichfallsFeidelmann Moses pauperJoseph lebt auf Leerort, ist arm

6Das in der Kirchstraßebelegene Speicherhaus “Drei Kronen” wird in altenQuellen als “Juden – Sy-nagoge” bezeichnet. DasGebäude dürfte um 1640 bereits gestanden haben

Der Drost auf Leerort, Michel von Eck, vermeldete im Jahre 1692 die Namen von 13jüdischen Familienoberhäuptern in Leer und Leerort und beschrieb die Art und Weise, wiediese Männer ihren Lebensunterhalt verdienten oder wie sich ihre Lebensbedingungen dar-stellten:

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Im Spiegel einer zeitgenössischen

Chronik

... En wat deze Joodsecultuur alhier aangaat,zij zijn een eenvoudig enarmelijk volk. Ze levenvoor een groot deel vanhet slachtershandwerk.Ze moeten een hoge belasting betalen.Ze hebben een eigen rabbijn om hun (….) teonderwijzen en anderskan ik er niet veel vanzeggen...

“Hoher Weg” von Leerort nach Leer. Ähnlich mag derHaupthandelsweg zwischen der Festung und dem Markt-

flecken Leer einst ausgesehen haben.(Gemälde G. Kistenmacher, etwa Mitte 19. Jh.)

Im gespaltenen Pietismus kam nach dem Dreißig-jäh-rigen Krieg der Pietismus auf mit dem Hauptanliegender organisierten Mission der Juden.

Einer ihrer Vertreter war Johann Heinrich Callenberg(1694 - 1760), der in Halle ein Institutum Iudaicumfür die “Judenmission” gründete. Die Erforschung desJudentums, christliche Verkündung und Diakonie bil-deten darin eine Einheit. 20 ausgebildete Missionarewurden von hier ausgesandt, bis die preußische Re-gierung 1792 das Institut auflöste. Nur wenige Judenließen sich durch diese “Sendboten” bekehren.

..Wessel Onken:... in het jaar 1748 zyn de 2 Co…arig of Candedaten die van denprofessor Callenberg te Hallege(sendet) uitgehouden zyn, om hetwerk der bekeeringe overal onderde joden te bevordern, hier ookin Leer met onse joden in onderhandelinge gewest. ...

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Jüdischer Friedhof Ecke Schleusenweg /

Groninger Straße um 1900 und heute

Friedhof am Galgenhügel

Schon sehr früh, im ersten Drittel des 17. Jahr-hunderts, konnte die jüdische Gemeinde inLeer einen eigenen Friedhof anlegen. Er lagam “Hohen Weg”, dem späteren Postweg nachLeer (heute Groninger Straße), in der Nähedes Hinrichtungsplatzes, der “Galgenhögte”.

1822 war der Friedhof voll belegt und die Ge-meinde konnte ein anliegendes Grundstückneu hinzu erwerben. Eine nächste Erweiterungerfolgte im Jahre 1898.

Die Karte aus dem Jahr 1711weist durch die Darstellungeines Galgens auf den ehemali-gen Hinrichtungsplatz hin. Inunmittelbarer Nähe hierzuwurde der jüdische Begräbnis-platz, der insgesamt drei Malerweitert wurde, eingerichtet.Von den frühen Bestattungengibt es heute keine Grabsteinemehr

Zu Schikanen bei der Beisetzung jüdischerGemeindeglieder kam es in der NS-Zeit,z.B. als im November 1936 die Trauerndenden Leichenwagen ohne Pferde den fast 4km langen Weg von der Stadt zum Begräb-nisplatz ziehen mussten.

Die Grabmale im alten Bereich des Fried-hofs waren bereits auf dem oben stehendenBild um 1900 nicht mehr vorhanden.

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Capitalschatzung 1649/50Staatsarchiv Aurich Dep. I 4085/12

Register so den 22. Novemb. : A° 1649 auff der Schulen von Schutzemeistern, Vyffteinden vndt

Rotmeisteren auffgezeichnet worden

Ohrtmer AmbtCordt Takens Rott

Abraham Jacobß schlachter, deßen frawe, heurman Parrel de Jude, ein frouwe 2 Kinder heurman

Johan Westrups Rott Moyses die Jude vndt sein frawe, heurman

Michell de Jode, sin frouw vndt 2 sohnen, huermanJoest Ketellapper ?

Marcus Geerdes Rott Benedictus de Jude, frauw, huerman

Hindrich Westrups Rott (… den 4 xbris 1649)

Jsaack de Jude vndt syn frowe, huerman

Informationen aus frühen

Schatzungensschnitt aus derKapitalschatzungvon 1649/50

Die beiden Zeich-nungen zeigen dasdamalige Lebens-umfeld der jüdi-schen Familien.Sie stammen auseinem Kaufbriefaus dem Jahre1645 und zeigen(oben) eine An-sicht des FleckensLeer mit dem Ply-tenberg, der Kircheund der Harderwy-kenburg, die untereZeichnung dieHarderwykenburgmit Langhaus

In dieser Schatzung von 1649/50 tre-ten erstmals mehrere jüdische Famili-enoberhäupter hervor. Bei zweiNamen, „Abraham Jacobß“ und „JoestKetellapper“, ist die Zugehörigkeitzur jüdischen Gemeinde nicht sicher,da diese beiden Namen nicht explizitmit dem Zusatz „Jude“ versehen sind.Zumindest Parrel, der schon im Vieh-Register 1645 in Erscheinung tritt, wie

auch Michell, wurden in vorheri-gen Registern schon genannt. Mit Moyses, Benedictus undIsaack wären das bereits fünf jüdi-sche Familien mit insgesamt 5Frauen und 4 Kindern. Alle jüdi-schen Männer werden als “Heuer-männer” bezeichnet und sinddemnach in der Landwirtschafttätig.

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Im Jahr 1767 wurde festgelegt, dass die Synagogengemeinde Leerihr eigenes, als Synagoge genutztes Gebäude (s. Punkt), in der

heutigen Norderstraße zehn Jahre lang als“Eigentum” behalten und nutzen durfte. (Rep.I, 3390, Stadtarchiv Leer)

Eine Synagogein der

“Dreckstraße”

Ein Eintrag in der „General-Tabelle von den Juden-Häusernim Amte Leer pro Anno 1767“weist auf zu der Zeit schon 26 inLeer beheimatete jüdische Fami-lien hin, aber auch darauf, dassJuden mittlerweile im SonderfallEigentum erwerben konnten, wieim vorliegenden Fall eine Syna-goge, dieses jedoch nur zeitlichbegrenzt:

„Meyer Isaacs (bewohnt) einHaus nebst dahinter befindlichenJuden Synagoge, so derselbeaber vorgibt, für die gantze Ju-denschafft gekaufft zu haben.1766 d. 11. Augusti bey öffentli-

Im Hypothekenbuch Leerist die Synagoge unterComp. XII/31 wie folgteingetragen:

“Eine Behausung nebstdahinten stehender vonder Judenschafft bisheroheuerlich gebrauchter Sÿnagoge: und dazwi-schen liegendem Grund.publice gekaufft vermöge Kertzen=Kauff=briefesMeÿer Jsacs,unverheÿratet

cher Subhastation für 1550 Gl.holl. anerkauffet.Nach vielem desfälligen Händlenist endlich die Sache so weit ge-diehen, dass die Judenschaft die-ses Hauß zehn Jahr langeigentümlich behallten möge, dieJudenschafft aber binnen solcherZeiten dasselbe wieder verkauffenund sich in einer abgelegenenStraße ein anderes Gebäude zurSynagoge anschaffen solle, dadoch kein abgelegener Ort imgantzen Flecken vorhanden ist,als wo jetzo die Synagoge stehet (In der Dreckstraße)...“

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An der Pferdemarktstraße lag die 3. Synagoge der jüdischen Gemeinde Leer. Das in die Kurve hineingebaute Gebäude diente bis 1885 als Synagoge und Schulgebäude

In einem Kontrakt zwischender jüdischen Gemeinde unddem Zimmermeister IsaakWoortmann wurde in 18 Punk-ten festgehalten, woran sichdie beiden Parteien hinsicht-lich des Baues der neuen Syna-goge zu halten hatten. Sowurde zunächst der genaueStandort des Neubaus aufge-führt, der sich am Pferdemarktbefand. Auch der Gebäudebauwurde spezifiziert. So solltedie Synagoge innen 30 Fuß inder Länge und 22 Fuß in derBreite messen. Das Gewölbe in der Synagogewurde mit Holz verkleidet, wieschon in der Synagoge an derNorderstraße. Der Fußboden war aus min-derwertigerem Holz gefertigt.

Synagoge:Comp. I/ Nr. 46

Quelle:Rep.I, 3301,

Stadtarchiv Leer

1794Synagoge am Pferdemarkt

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Das “Böntje” für die Frauenwar mit zwei Fluchten an derOstseite auf 10 Fuß Länge an-gebracht. Die Bänke wurden aus demalten Gebäude übernommen.Insgesamt gab es 6 große und2 kleine Fenster sowie 2 zu-sätzliche kleine Fenster amObergang, alle mit einem stei-nernen Bogen, grobem Glasund mit Eisen versehen.

In der Breite maß der untereund obere Gang vor der Kir-che 8 Fuß, der untere Teilwar mit einer Treppe zumBoden und zum Keller ausge-stattet. Das unterkellerte Wohnhausbestand aus einer Wohnküchemit zwei Bettstellen.

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Situationsplan vonReinhold, 1826. Die Synagoge ist mit einem roten Punkt gekennzeichnet

Beurkundung des ab-geschlossenen Kon-trakts zwischen IsaacWoortmann und denBevollmächtigten desKirchenbaues imAmtsgericht, 24. Ok-tober 1793 sowieZeichnungen derneuen Synagoge

Inventarium der neuenSynagoge am Pferdemarkt

6 Gesetzrollen, davon ist 1 Eigenthum der Gemeinde1 Eigenthum des hier früher exist. Männerver-eins1 Eigenthum des Hülfsvereins1 Eigenthum des H. S. van Biema1 Eigenthum des H. G. Reicher1 Eigenthum des H. Jos. Wechslerletzten fünf sind der Gemeinde nur zum Ge-brauch gegeben, u. werden so wie die der Ge-meinde gehörenden, in der Synagogenladeaufbewahrt.Silberne Zierrathen der Gesetzrollen sind inhiesiger Gemeinde zwey. 1 davon Eigenthumdes H. S. van Biema, 1 davon Eigenthum desH. G. Reicher. Die Gemeinde besitzt keins,dieselben werden auch von ihren Besitzern inihren Häusern aufbewahrt.Vorhänge gehören zur hiesigen Synagogesechs1 gehört der Gemeinde1 der Familie Reicher2 H. S. van Biema2 H. Jos. Wechslerund werden diese von dem Synagogendiener

Ruben Wallenstein aufbewahrt. An messingenen Leuchtern2 große hängende Kronleuchter2 kleinere hängende Armleuchter32 kleine feststehende Leuchter.An blechernen Leuchtern12 Stück. Drey silberne Handzeiger1 davon ist Eigenthum des H. G. Reicher1 davon ist Eigenthum des H. S. van Biema1 davon ist Eigenthum des H. Jos. Wechslerund werden von den Eigenthümern selbst aufbe-wahrt.Zur Mazzothbäckerey gehören:1 kupferner Tisch, lang 18 Fuß, wieg. 90 Pf.1 messingenes Becken3 hölzerne Schaufel und12 Rollstöcke. Dieses wird auf dem Boden der Synagogenwoh-nung unter Aufsicht des Ruben Wallenstein aufbe-wahrt.1 sog. Beitelkiste auf dem Boden des Schulbaues.In der Synagoge befinden sich außerdem1 großer Stuhl zum Beschneiden und1 hölzerne Kiste worin Rollbillets aufbewahrtwerden.

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Schulen und Lehrerin der jüdischen Gemeinde

Lehrer an der jüdischen Schule1819 Abraham Heckscher1825 I. Itzigsohn1827 Isaac Mendel1830 Moses Erdinge - Amsterdam1831 A. Davidson - Lutomirski, Posen1833 Eliazar Liverpool - Stadzyns, Posen1833 Salomon Gedalje - Denercamp, Ndl1843 Joachim Cohen - Usez, Posen1843 Lewy1845 Cohn - Schwarzenau1846 Joachim Cohen - Prandenz1847 Siegmund Adam - Borek, Posen1859 Aron Arends - Weener1861 Rosenstein1862 Eduard Blitz - Wittmund1879 Hirsch Meyer - Groß-Rühden1905 Lasser Abt - Röhrenfurth1922 Ignatz Popper - Ahrensburg1935 Hermann Spier - Merzhausen1938 Seligmann Hirschberg - Zwesten

In Leer wird es von Anfangan Unterricht für jüdischeKinder in der Glaubenslehreund der hebräischen Sprachegegeben haben, zunächstwahrscheinlich in den Syna-gogen an der Kirchstraße, inder Norder- und anschlie-ßend in der Pferdemarkt-straße.Seit nachweislich 1852 fandder Unterricht in dem ge-

Schulräume in Leer

- 1695 in der Kirchstraβe, die ‘Drei Kronen’ - 1767 an der ‘Dreckstraβe’ (Norderstraβe) - 1794 in der Altemarktstraβe (Pferdemarktstraβe)- 1852 in de Kirchstraβe- 1907 im Martin-Luther-Haus, Kirchstraße- 1910 an der Ubbo Emmiusstraβe 12- 1939 in der Kampstraβe 37

meindeeigenen Haus an derKirchstraße VII/16 statt. Indiesem Haus befand sichauch das jüdische Armen-haus und die aus nur einemRaum bestehende Lehrer-wohnung.Der erste uns namentlich be-kannte Lehrer war AbrahamIsaak Heckscher, der im Mai1820 um eine Heiratserlaub-nis ansuchte.

Nachdem der Schulraum in der Kirchstraße nicht mehr ausreichte, verlegte die Synagogengemeinde den Unterricht in das ehemalige reformierte Armenhaus (Martin-Luther-Haus)

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Neue Schulean der

Ubbo-Emmius-Straße

Familie Abt bewohnte die neue jü-dische Schule an der Ubbo-Em-

mius-Straße 12 von 1909 bis 1922.(Das Foto entstand um 1917: v.l.n.r.

- Ehefrau Rosa, Alfred, Erna,Harry, Vater Lasser und Erich Abt)

Die neue jüdische Schulewurde 1909 errichtet. Im Juli 2011 erwarb der Landkreis Leer das Gebäude als Gedenk-und Begegnungsstätte für jüdische Geschichte undKultur

Unter dem Lehrer Lasser Abt, der von 1905bis 1922 Lehrer in der jüdischen GemeindeLeer war, ließ die Synagogengemeinde Leeran der Deichstraße 12 (heute Ubbo-Emmius-Str.) ein modernes Schulhaus bauen. Im Jahre1909 konnte der Lehrer Lasser Abt mit seinerFamilie die Wohnung im neuen Hause bezie-hen und die Schulungsräume im Erdgeschossmit einer Schülerzahl von ungefähr 25 Kin-dern einweihen. Es war eine jüdische, öffent-liche Volksschule, deren Träger die jüdischeGemeinde war und die von der Stadt Leerdurch jährliche Zuschüsse finanziell unter-stützt wurde. Die Lehrkräfte wurden vomStaat besoldet und beaufsichtigt.

Nach der Machtübernahme durch die Natio-nalsozialisten stieg die Schülerzahl der jüdi-

schen Volksschule von unter 20 Schülerin-nen und Schülern vor 1933 nach und nachauf etwa 30 Kinder an. Alle schulpflichtigenjüdischen Kinder in Leer waren in die jüdi-sche Schule einzuschulen, alle jüdischenKinder, die allgemeinbildende weiterfüh-rende Schulen besuchten (Lyzeum, Ober-schule für Jungen), verließen schon vor 1938diese Einrichtungen, weil sie dort nicht mehr„erwünscht“ waren.

Gleichzeitig – mit steigender Schülerzahl –wurden die finanziellen Mittel von der Kom-mune eingeschränkt. Nach der Zersrtörungder Synagoge in der Pogromnacht vom9./10. November 1938 fand der Gottesdienstin einem Raum der jüdischen Schule in derUbbo-Emmius-Straße statt.

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Im Vorfeld eines offiziellen Antrags trugen am 5.April 1880 Mitglieder der Leeraner Synagogenge-meinde dem Magistrat der Stadt vor, dass in derGemeindeversammlung vom 29. März 1880 be-schlossen worden sei, eine neue Synagoge zubauen. Die bisherige Synagoge an der Pferdemarkt-straße “...sei baufällig und den Anforderungen, diedie Gemeinde an ein Gotteshaus stellt, in keinerWeise genüge. Es sei auch bereits ein vorläufigerKredit über 50 000 Mark gewährt worden...” Im September 1883 erhob der Landrabbiner keinerituellen Bedenken mehr gegen die Ausführungender vorliegenden Baupläne, so dass der Vorstandnun beim Magistrat und der Landdrostei um Ge-nehmigung des Baues und zur Anleihe der erfor-derlichen Baugelder bis zur Höhe von 36 000Mark bat. Am 24. September lagen die Pausen,am 23. November die Bauerlaubnis vor.

Bereits kurz nach Baubeginn ergaben sich ersteSchwierigkeiten. Anfang Dezember 1883 hatten

1885 Synagoge an der Heisfelder Straße

Original-Baupläne zumSynagogenbau von H.Schatteburg, Langenbie-lau. Schatteburg ging voneinem Zentralbau in Formeines griechischen Kreuzesmit romanischen und mau-rischen Stilelementen aus

sich die Pfeiler des westlichen Gurtbogens umetwa 3 cm durchgebogen, weshalb sich starkeRisse in ihnen zeigten. Am Donnerstag, den 28. Mai 1885 wurde dieneue Synagoge mit großem Festprogramm ein-geweiht. Eingeladen waren Gäste aller Konfes-sionen. Neben einem Festgottesdienst war eineSynagogenfeier, ein Diner, ein Konzert und einFestball vorgesehen.

Mit dem imposanten Synagogengebäude an derdamals noch wenig bebauten Heisfelder Straßeerhielt das Stadtbild aus Richtung Norden eineerhebliche Aufwertung. Eingangs der aufblü-henden Stadt erhob sich nun an exponierterStelle einer der eindrucksvollsten Synagogen-bauten Nordwestdeutschlands.

Doch nur 53 Jahre war es der Leeraner Synago-gengemeinde vergönnt, dieses wundervolle Ge-bäude für ihre Gottesdienste zu nutzen.

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Die Synagoge gehörte zum Stadtbild wie dasneue Gymnasium, das Rathaus oder die Alt-stadtkirchen. Durch ihren maurischen Bau-stil war sie allerdings ein “besonderes”Bauwerk, mit dem sich nicht nur die Syna-gogengemeinde, sondern die Stadt Leer ins-gesamt durchaus schmücken konnte. FürBesucher der Ledastadt war sie ebenso se-henswert wie alle anderen herausragendenGebäude.

In einem „Fremdenführer“ für Reisende be-richtete der Autor Albert Stockvis aus Bre-men um die Jahrhundertwende „über die

Das Innere sehenswert

Die wunderbarenalten Thorarollen,

Vorhänge, Mäntelchen,Decken und Kron-

leuchter aus der altenSynagoge wurden indem neuen Gebäude weiter verwendet. Dem Autoren eines“Fremdenführers”durch Leer gefielendiese Gegenständesehr. Leider bliebnichts erhalten

Die Bilder zeigen die Synagoge von drei verschiedenen Seiten

Stadt Leer in Ostfriesland und ihre Umge-bung“ und auch über die Synagoge folgen-dermaßen:„[...] Nun gehen wir in die Wilhelmstraße,biegen links ab und gelangen in die Heisfel-derstraße, an der wir die 1885 von Gerdes immaurischen Stil erbaute Synagoge erblicken.Inneres sehenswerth. Bemerkenswerth sindsechs Paar silberne, aus dem 17. und Anfangdes 18. Jahrhunderts stammende Kronen derGesetzesrollen, ferner gestickte, schön aus-geführte Vorhänge und Mäntelchen über Ge-setzrollen aus derselben und auch ausneuerer Zeit ...“.

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In der Nacht vom 9.auf den 10. November1938 stand die Syna-goge in hellen Flam-men. Am nächstenMorgen drängten sichdie Schaulustigendicht an dicht

In der Pogromnacht trieben SA-Männer alle jüdischen Einwohner der Stadt Leer zum Viehhofgelände, wo sieim Schlachthaus einem ungewissen Ende dieser furchtbaren Nacht entgegensehen mussten

9./10. November PogromnachtAnwohner konnten beobachten, dass demrasch um sich greifenden Feuer kein Einhaltgeboten wurde. Im Gegenteil, der damalsamtierende Bürgermeister der Stadt Leer,Erich Drescher, untersagte der Feuerwehrjegliche Einmischung.

Er und die die hektisch agierenden SA-Leute hatten den Brand sogar gelegt.

Davon zeugten auf einem Leiterwagen ste-hende Benzinkanister. In dieser Nacht, der

sogenannten „Kristallnacht“, brannte die Sy-nagoge vollkommen aus.

Die noch in Leer lebenden jüdischen Bürgerwurden aus ihren Häusern geprügelt undunter wüsten Beschimpfungen und Verhöh-nungen durch die nächtlichen Straßen derStadt Leer getrieben - bis zum Viehhof aufder Nesse, wo sie zunächst im Schlachthauseingepfercht wurden.Es wurden keine Rücksichten genommen aufKinder oder Greise.

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Plattdeutsch sprachen sie

die jüdischen Nachbarn unserer Eltern und Großeltern.Ihre Kinder drückten gemeinsam mit deren

Kindern die Schulbank und spielten diegleichen Spiele wie sie, mit ihnen.

Weithin sichtbar prägte die imposante Kuppelihrer Synagoge seit 1885 die Silhouette der Stadt Leer wie

alle anderen Kirchtürme auch. Seit Generationen lebtensie in der Stadt. Belebten die Wirtschaft, insbesondere denViehhandel. Sie waren Leeraner Bürger wie alle anderen

auch. Doch plötzlich wurden sie gemieden. Weil ihre Religion eine andere war.

Weil die NS-Herrschaft darauf abzielte, Deutschland “judenfrei” zu machen.

Zur Auswanderung sollten sie getriebenwerden. Zunächst. Eine stetig voranschreitende

gesellschaftliche Isolierung, bösartige Schikanen und die Entziehung der wirtschaftlichen Grundlagen sollten siemürbe machen, die ungeliebten Nachbarn. Viele gingen.

Aber viele konnten sich nicht dazu durchringen, ihre Heimatzu verlassen. Sie wurden ermordet in Belzec, Sobibor,

Treblinka, Auschwitz, Bergen-Belsen, Dachau, Theresienstadt, Chelmno, Minsk, ...

“ ... Versöhnung ist keine Tatsache, Versöhnungist ein Prozess. Und je länger er dauert, desto

bleibender ist die Versöhnung ...”(Benjamin Amiram, 1985 in Leer)

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IMPRESSUMHrsg.: Stadt Leer (Ostfriesland) / Stadtarchiv Redaktion: Menna HensmannLeer, 2014

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Letzter Abschnitt aus einem Brief von Sarah und Moses Feilmann aus Berlin anihre Kinder in Argentinien. Im Frühjahr 1940 mussten sie ihre Heimatstadt Leerverlassen. Beide wurden am 20. Oktober 1941 ins Ghetto Litzmannstadt deportiert. Sie kamen dort ums Leben.

Ich hoffe, daß wir bald wieder Post von Euch bekommen. Viele herzliche Grüße + Küsse,

Eure MutterHerzliche Grüße + Küsse

von Eurem Vater.

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