„kinder in armen familien“ gerda holz vortrag, anlässlich der fachtagung der lsjv mainz am...
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„Kinder in armen Familien“
Gerda Holz
Vortrag, anlässlich der Fachtagung der LSJV Mainz am 28.11.2007 in Mainz
Überblick
Kinder und Schuldnerberatung
Armut bei Kindern Betroffenheit Definition Das Kindergesicht Schutzfaktoren
Armutsprävention ist möglich Schutzfaktor „Sozialer Dienst“ Handlungsanforderungen
Was hat die Schuldnerberatung mit Kindern zu tun?
Ratsuchende der Schuldnerberatung 2000 - 2005
2005 = rd. 82 % der Ratsuchenden waren zwischen 26 und 50 Jahre alt
Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich dort Kinder im Hintergrund befinden?
Quelle: MASFG: Statistik zur Schuldnerberatung im Rahmen des Verbraucherinsolvenzverfahrens in RLP 2000 – 2005, verfügbar über: http://www.masfg.rlp.de/Familie/Dokumente/Statistik2000-2005.pdf
2005 hatten Über 8.000 Ratsuchende
kein pfändbares Einkommen Tendenz ungebrochen
steigend
Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich dort Kinder im Hintergrund befinden?
Quelle: MASFG: Statistik zur Schuldnerberatung im Rahmen des Verbraucherinsolvenzverfahrens in RLP 2000 – 2005, verfügbar über: http://www.masfg.rlp.de/Familie/Dokumente/Statistik2000-2005.pdf
Ratsuchende der Schuldnerberatung 2000 - 2005
2005 waren 39 % verheiratet 24 % geschieden 10 % getrennt lebend
Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich dort Kinder im Hintergrund befinden?
Quelle: MASFG: Statistik zur Schuldnerberatung im Rahmen des Verbraucherinsolvenzverfahrens in RLP 2000 – 2005, verfügbar über: http://www.masfg.rlp.de/Familie/Dokumente/Statistik2000-2005.pdf
Ratsuchende der Schuldnerberatung 2000 - 2005
Armuts(folgen) von Kindern –Betroffenheit, Ursachen und Risiken
Kinder ... arme Kinder .... Heutige Normalität ?In Deutschland
ist von einer Armutsbetroffenheit bei jedem 4. Kind (unter 15 Jahre) auszugehen
Sozialgeld = rd. 1,9 Mio. (08/2007) Sozialhilfe = rd. 19.000 (2005) Asylbewerberleistung = rd. 64.500 (2005) GESAMT = rd. 1,99 Mio. im Transferbezug Dunkelziffer Sozialgeld = rd. 0,9 Mio. (2006) (Berechnung Irene Becker = knapp 48 %)
sind dem größten Armutsrisiko die jüngsten Altersgruppen ausgesetzt (d.h. Kinder von 0 bis unter 6 Jahre bzw. von 6 bis unter 10 Jahre)
haben ca. 6 Mio. unter 25-Jährige einen Migrationshintergrund = 27,2 % (Knapp die Hälfte davon besitzt die deutsche Staatsangehörigkeit und ist nicht selbst zugewandert)
32,5 % der unter 6-Jährigen– davon wurden mehr als 90 % in Deutschland geboren
Quellen: Statistisches Bundesamt: versch. Jahrgänge; Bundesagentur für Arbeit 2007, HBS-Impulse 8/2007
Entwicklung der Armutsbetroffenheit von Kindern unter 15 Jahren in Rheinland-Pfalz nach Kommunen/Kreisen – 2004 - 2006
Pirmasens, Stadt
Ludwigshafen am Rhein
Koblenz, Stadt
Kaiserslautern (Stadt)
Worms, Stadt
Trier, Stadt
Zweibrücken, Stadt
Frankenthal (Pfalz)
Mainz, Stadt
Speyer, Stadt
Bad Kreuznach
Birkenfeld
Neuwied
Neustadt a.d. Weinstr.
Donnersbergkreis
Altenkirchen (Westerw.)
Rhein-Lahn-Kreis
KuselMayen-Koblenz
Landau in der Pfalz
Rhein-Hunsrück-Kreis
Kaiserslautern
Alzey-Worms
Germersheim
Westerwaldkreis
DaunMainz-Bingen
Bernkastel-Wittlich
Ahrweiler
Cochem-Zell
Bad Dürkheim
Südwestpfalz
Südliche Weinstraße
Rhein-Pfalz-Kreis
Trier-Saarburg
Bitburg-Prüm
RPL
0
5
10
15
20
25
30
35
200420052006
Quelle: Roland Merten, Friedrich Schiller-Universität, Jena: 2007
Zentrale Ursachen und Risiken
Erwerbsprobleme, z.B. (Langzeit-)Erwerbslosigkeit Niedrigeinkommen Working poor Hartz-IV-Bezug
Soziale Probleme, z.B. Überschuldung Trennung/Scheidung Behinderung/Krankheit Multiproblemlage
Migration
Alleinerziehend
Bildung
Sozialraum
„Kinderreiche“ Familien
Armut(sfolgen) bei Kindern –
Definition
Definition – Mehrdimensionales Verständnis
Armut … … ist immer zu erst Einkommensarmut … eine Lebenslage, die die Spielräume einschränkt
… führt zur Unterversorgung … führt zu sozialer Ausgrenzung … hat ein spezifisches Kindergesicht.
Arm ist in Deutschland wer ... … weniger als 50% / 60% des durchschnittlichen Nettoeinkommens
(nach Haushaltsgröße gewichtet) zur Verfügung hat (EU-Definition).
... wer Anspruch auf Sozialhilfe/Sozialgeld hat.
Was ist Kinderarmut?
Quelle: Hock/Holz/Wüstendörfer 2000
Wohlergehen Benachteiligung Multiple Deprivation
Eltern/Erwachsene
Kind
Was kommt beim Kind an ?
Materiell(Kleidung, Wohnen, Nahrung, Partizipation u.a.)
Sozial (Soziale Kompetenz, Soziale Kontakte u.a.)
Gesundheitlich(physisch und psychisch)
Kulturell(kognitive Entwicklung, Sprache, Bildung, kult. Kompetenzen u.a.)
Lebenslage Kind
Armuts(folgen) von Kindern –
Das Kindergesicht der Armut
Lebenslage von 6-Jährigen nach Armut - 1999
Anteil armer und nicht-armer Kinder mit Defiziten
Lebenslagebereich arme Kinder nicht-armeKinder
Grundversorgung(n = 220 arm; 598 nicht-arm)
40 % 15 %
Gesundheit(n = 225 arm; 640 nicht-arm)
31 % 20 %
Kulturelle Lage(n = 223 arm; 614 nicht-arm)
36 % 17 %
Soziale Lage(n = 219 arm; 618 nicht-arm)
36 % 18 %
auf- oder abgerundete AngabenQuelle: „Armut im Vorschulalter“ 1999, Berechnungen des ISS
Lebenslage von 10-Jährigen nach familiärem Einkommensniveau – 2003/04
Arme Kinder
Nicht-arme Kinder Lebenslagedimension
(< 50 %)
Prekärer Wohlstand
(50 % – 75 %)
Unterer Durchschnitt
(75 % – 100 %)
Oberer Durchschnitt
(> 100 %)
Materielle Lage/ Grundversorgung
51,6 % 9,2 % 5,3 % 0,0 %
Kulturelle Lage 37,7 % 19,0 % 9,5 % 3,6 %
Soziale Lage 34,6 % 16,0 % 15,8 % 3,6 %
Gesundheitliche Lage 25,8 % 23,3 % 21,1 % 8,4 %
N = 500 159 163 95 83
Quelle: „Armut im späten Grundschulalter 2003/04“; eigene Berechnung
Dynamik der kindbezogenen Lebenslagetypen bei den Kindern der AWO-ISS-Studie – 1999 und 2003/04
Quelle: „Armut im Vorschulalter 1999“, „Armut im späten Grundschulalter 2003/04“. Berechnungen des ISS.
MultipleDeprivationN = 84
BenachteiligungN = 193
WohlergehenN = 223
36 = (42,9 %)
35 = (41,7 %)
63 = (32,7 %)
87 = (45,1 %)
43 = (22,3 %)
94 = (42,2 %)
110 = (49,3 %)
Lebenslagetyp 1999 Lebenslagetyp 2003/04
13 = (15,5 %)
19 = (8,5 %)
Folgen in der Grundversorgung,
Gesundheit, Sozialen Lage und Bildung von Kindern
Kinderarmut in Nürnberg: Einschränkungen durch Armut
Essen/Lebensmittel
Ausgaben für Schule
Kinderkleidung
Hobbys
Kinderspielzeug
Ausgehen (z.B. Kinos)
Kleidung Vater/Mutter
Wohnungseinrichtung
Ausflüge außerhalb Nürnbergs
Urlaub0% 20% 40% 60% 80% 100%
oft manchmal selten nie
Quelle: Befragung von Eltern mit 6- bis 10-jährigen Kindern, die einen Nürnberger Familienpass haben - Okt./Nov. 2007, N=461Werner Wüstendörfer 2007
Medizinisch relevante Befunde bei Einschüler/-innen in Brandenburg nach Sozialstatus - 2000
Datenbasis = Einschulungsuntersuchung 2000; als %-Anteil an Kindern der jeweiligen Sozialstatusgruppe Quelle: Kuhn, Ellsäßer, Böhm (2003): Arme Kinder, kranke Kinder?; eigene Darstellung
0,0% 5,0% 10,0% 15,0% 20,0% 25,0%
Sehstörungen
Sprachstörungen
Beeinträchtigung der geistigenEntw icklung
Psychomotorische Störungen
Adipositas (Cole et al.2000)
Hörstörungen
Einnässen, Einkoten u.a. psychiatr.Erkrankungen
emotionale und soziale Störungen
Neurodermitis
niedriger Sozialstatus mittlerer Sozialstatus hoher Sozialstatus
Medizinisch relevante Befunde bei Einschüler/-innen in Brandenburg nach Sozialstatus - 2000
Aus: Richter, Antje (2000): Wie erleben und bewältigen Kinder Armut?
Aus: Richter, Antje (2000): Wie erleben und bewältigen Kinder Armut?
Armut und Bildung(skarriere)
Bei armen Kindern im Vergleich zu nicht-armen Kindern ...
ist ein früher und zeitlich umfassender KiTa-Besuch seltener sind zu frühe Einschulungen oder Rückstellungen häufiger sind Klassenwiederholungen häufiger sind die Durchschnittsnoten am Ende der Grundschule schlechter ist der Wechsel ins Gymnasium seltener, der Wechsel in Förder- und
Hauptschulen jedoch häufiger
Der Zusammenhang von Sozialer Herkunft und Bildungschancen ist schon im KiTa-System angelegt und verfestigt sich im Schulsystem weiter.
Hochschulzugang nach sozialer Herkunft
Quelle: Statistisches Bundesamt, Sonderauswertung Mikrozensus 1996 und 2000; 17. Sozialerhebung 2003 und Studienanfänger-Befragung 2000, Berechungen des DSW
Armut von Kindern –
Schutzfaktoren können helfen
Schutzfaktoren für (arme) Kinder
Sind Merkmale, die die potentiell schädlichen Auswirkungen von Belastungen vermindern oder ausgleichen.
Es finden sich zwei Gruppen von Schutzfaktoren Personale Ressourcen = Resilienz
d.h. protektive Faktoren, die in der Person des Kindes liegen. Soziale Ressourcen
d.h. Schutzfaktoren, die in der Betreuungsumwelt des Kindes und hier wiederum– innerhalb der Familie– außerhalb der Familieliegen.
Was fördert das Aufwachsen von Kindern im Wohlergehen?Zu den Schutzfaktoren zählen u.a.
Individuelle Faktoren, z.B Kognitive Ressourcen Selbstsicherheit, Selbstachtung Individuelle soziale Kompetenzen Interesse und Aufmerksamkeit
Familiale Faktoren, z.B. Stabile und gute emotionale Beziehung zu
Eltern in den ersten Jahren Positives Familienklima Regelm. gemeins. Familienaktivitäten Kindzentrierter Alltag Frühe Eigenverantwortung, aber Eltern als
„moralische Instanz“ Problemlösungskompetenz der Eltern Gefühl der Eltern, ihre (Armuts-)Situation zu
bewältigen Berufstätigkeit der Eltern
Außerfamiliale Faktoren, z.B. Unterstützung durch Dritte
(Familie, Freunde, Nachbarschaft) Erholungsräume für Kinder + Eltern Vertraute Institutionen/Fachkräfte, die
professionelle Hilfen eröffnen Möglichkeit zum Erproben, Lernen und zur
personalen Entwicklung von Kompetenzen (Vereine, Jugendhilfe)
Früher KiTa-Besuch Gelingende Schulische Integration Schulische Förderung und Erfolge Gelingende soziale Integration in Peers
Keine Armut der Familie Ein ausreichendes Einkommen Keine Überschuldung
Armutsprävention ist möglich !!
Soziale Dienste müssen Schutzfaktoren sein bzw. werden und können Armutsfolgen präventiv entgegen wirken
1. Focus = Strukturelle ArmutspräventionGestaltung/Veränderung von Verhältnissen, z.B.durch armutsfeste Grundsicherung sowie umfassende und qualifizierte öffentliche Infrastruktur
Die zwei entscheidenden Ebenen
2. Focus = Individuelle Förderung und StärkungGestaltung/Veränderung von Verhalten/Handelndurch Angebote/Maßnahme über öffentliche Infrastruktur, individuelle Zeit und Kompetenz
Nutzung Sozialer Dienste/Hilfen durch Eltern - 2003/04
6,9%7,0%
1,8%
2,5%1,9%1,9%
4,4%
9,4%
2,5%2,5%
1,2%
3,8%
1,8%2,3%
0,6%1,2%
Soz
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Nicht-arm Arm
Quelle: „Armut im Vorschulalter 1999“, „Armut im späten Grundschulalter 2003/04“. Berechnungen des ISS.
Kinderarmut in Nürnberg: Nutzung von Unterstützungsangeboten für Eltern + Kinder – 2007
SpieltherapieEhe-/Partnerberatung
Beratung durch MigrationsdiensteSchuldnerberatung
Familienbildungsstätten-AngeboteSozialpädaogog. Familienhilfe (SPFH)
Beratung des GesundheitsamtesKrankengymnastik
Schulsozialarbeit/VertrauenslehrerErziehungsberatung
Sprachförderung/LogopädieErgotherapie
Beratung des JugendamtesBeratung des Sozialamtes
Familienhilfe, ASDHausaufgabenhilfe
Hort/Nachmittagsbetreuung Schulkinder
0% 20% 40% 60% 80% 100%Nutze(n) ich/wir aktuell früher benützt Kein Bedarf Kenne ich nicht Keine Angabe
Nutzung
in %
< 5
8,0
9,5
10,2
10,6
11,3
13,7
42,3
Quelle: Befragung von Eltern mit 6- bis 10-jährigen Kindern, die einen Nürnberger Familienpass haben - Okt./Nov. 2007; N=461Werner Wüstendörfer 2007
Handlungsansätze für die pädagogische Praxis
Armut(sfolgen) müssen durch Fachkräfte ... wahrgenommen bewältigt präventiv verhindert werden
Armutsprävention durch Fachkräfte realisieren bedeutet ... verhältnis- und verhaltensbezogen handeln aktiv statt reaktiv gestalten
Konzepte mit Blick auf Armutsfragen weiter entwickeln heißt ... biographisch ausrichten und frühestmöglich starten (Präventionskette) querschnittsbezogen anlegen Arbeitsteilig aber mit gemeinsamem Ziel umsetzen (Netzwerk)
Ressourcen öffnen bedeutet ... Umgestaltung von institutionellen Rahmenbedingungen (Zugang und Angebot) (sozial)politisch agieren und Sprachrohr/Anwalt sein
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit !!!
Ich bin gespannt auf die weiteren Diskussionen am heutigen Tag