kleine kinder in kritischen lebenslagen –

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Kleine Kinder in kritischen Lebenslagen – in Familie, Kindertagestätten und Hilfen zur Erziehung - Dokumentation - Fachtagung am 28.06.2010 im „Centre Monbijou“ Oranienburger Straße 13-14 10718 Berlin

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Page 1: Kleine Kinder in kritischen Lebenslagen –

Kleine Kinder in kritischen Lebenslagen –

in Familie, Kindertagestätten und Hilfen zur Erziehung

- Dokumentation -

Fachtagung am 28.06.2010 im „Centre Monbijou“

Oranienburger Straße 13-14 10718 Berlin

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Fachtagung „Kleine Kinder in kritischen Lebenslagen“

Inhaltsverzeichnis 1

Inhaltsverzeichnis Dokumentation Fachtag 28.06.2010

Begrüßung – Andreas Schulz, Referat Jugendhilfe.................................................... 3

Begrüßung – Claudia Gaudszun, Referat Kindertagesstätten .................................... 5

Silke B. Gahleitner: Was Fachkräfte über Traumata wissen müssen ......................... 8

Monika Schipmann: Stationäre Unterbringung von kleinen Kindern......................... 24

Wolfgang Mohns: Vernetzte bezirkliche Angebote ................................................... 29

Katrin Hentze: Kita mit schwierigen Arbeitsaufträgen................................................34

Cornelia Piekarski: Kleine Kinder in den Hilfen zur Erziehung...................................37

World Café 1 – Bildungsnetz .................................................................................... 41

World Café 2 – Lotsenfunktion der Kita bei der Familienunterstützung .................... 45

World Café 3 – Erziehungsstelle gut – alles gut ? .................................................... 49

World Café 4 – Erziehungspartnerschaften – Wie aus hilflosen Eltern hilfreiche Eltern

werden können ......................................................................................................... 53

World Café 5 – Familienrat ....................................................................................... 62

World Café 6 – Krisenpflege in Berlin ....................................................................... 69

World Café 7 – Familienintegration........................................................................... 78

World Café 8 – Aufsuchende Elternhilfe ................................................................... 82

Hans-Ullrich Krause: Zusammenfassung der Tagung „Kleine Kinder in kritischen

Lebenslagen“............................................................................................................ 86

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Fachtagung „Kleine Kinder in kritischen Lebenslagen“

Flyer „Anmeldung zur Fachtagung“ 2

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Fachtagung „Kleine Kinder in kritischen Lebenslagen“

Begrüßung – Andreas Schulz, Referat Jugendhilfe 3

Referat Jugendhilfe

Begrüßung – Andreas Schulz, Referat Jugendhilfe Sehr geehrte Damen und Herren,

liebe Kolleginnen und Kollegen,

sehr geehrte Referentinnen und Referenten des heutigen Fachtags,

willkommen im Centre Monbijou. Wir heißen Sie vom PARITÄTISCHEN Berlin aus

zwei Referaten – dem Referat Kindertagesstätten und dem Referat Jugendhilfe –

herzlich willkommen. Wir begrüßen Sie auch im Namen von Herrn Dr. Krause und

Frau Herr, den Sprechern der IGFH –Regionalgruppe Berlin. Wir haben uns darauf

verständigt, dass der Abschluss des Fachtages der IGFH gehört.

Meine Damen und Herren, die Referate Kindertagesstätten und Jugendhilfe belegen

das, was wir heute erreichen wollen: Referate, Abteilungen zusammenführen, aber

auch Fach- und Führungskräfte aus den unterschiedlichen Arbeitsfeldern. Wir wollen

Themen und Arbeitsweisen kennenlernen und uns austauschen über das alltäglich

Erlebte im Umgang mit den Kleinsten in unserer Gesellschaft.

Wir wollen sehr ernst nehmen, was wir in dem Veranstaltungsflyer geschrieben ha-

ben: wir fangen an, ein Netz zu knüpfen. Und wir freuen uns, dass so viele dieser

Einladung gefolgt sind: 120 Personen heute hier im Centre Monbijou, über 200

Interessierte an dem Fachtag. Wir begrüßen heute hier Vertreterinnen und Vertreter

aus 2 Senatsverwaltungen, aus 10 Bezirken und wir konnten anhand der Anmelde-

unterlagen auch feststellen, dass es gelungen ist, eine sehr gute Mischung an Fach-

kräften der Felder Kindertagesstätten und Hilfen zur Erziehung für den Fachtag zu

bekommen.

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Fachtagung „Kleine Kinder in kritischen Lebenslagen“

Begrüßung – Andreas Schulz, Referat Jugendhilfe 4

Wir liefern heute keine fertigen Antworten, und wenn Sie das Programm sehen, dann

kann man auch kritisch anmerken: „Von allem etwas dabei…“ – ja, das ist so ge-

wünscht. Und wir wollen genauer hinhören und schauen, wo es zukünftig darum ge-

hen muss, Ressourcen zu bündeln, Angebote zu verstetigen, d.h. rechtlich und fi-

nanziell abzusichern, und Kooperationen auf- und auszubauen.

Lassen Sie mich abschließend aus dem Veranstaltungsprogramm 2010 unseres

heutigen Kooperationspartners, der IGFH, zitieren. Dort wird für eine ExpertInnenta-

gung mit dem Titel: „Hilfen zur Erziehung und Kindertagesbetreuung“ mit folgenden

Sätzen geworben: „Es kann erwartet werden, dass sich Synergieeffekte durch das

gemeinsame Lernen von HzE und Kindertagesregeleinrichtung ergeben bzw. dass

sich das Schaffen gemeinsamer Arbeitsbezüge auf die fachliche Arbeit in beiden

Segmenten positiv und produktiv auswirkt.“

Davon sind auch wir überzeugt – und mit dem Schaffen gemeinsamer Arbeitsbezüge

und dem Aufbau von Synergieeffekten wollen wir heute hier beginnen.

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Fachtagung „Kleine Kinder in kritischen Lebenslagen“

Begrüßung – Claudia Gaudszun, Referat Kindertagesstätten 5

Referat Kindertagesstätten

Begrüßung – Claudia Gaudszun, Referat Kindertagesstätten

„Kleine Kinder in kritischen Lebenslagen in Familie, Kitas und Hilfen zur Erziehung“ Mein Kollege Andreas Schulz fragte mich vor einigen Monaten, ob auch in den Kitas

das Thema „Kinder in schwierigen Lebenssituationen“ thematisiert wird.

Das wird es in der Tat.

Kitas haben den Auftrag, Kinder zu bilden, zu fördern und zu betreuen. Das ist zuerst

einmal ihre Aufgabe. Aber im SGB VIII steht auch: Fachkräfte sollen mit den Eltern

zusammenarbeiten, sie sollen mit anderen kinder- und familienbezogenen Institutio-

nen, insbesondere der Familienbildung und -beratung zusammenarbeiten.

Das Berliner Kitagesetz und das Berliner Bildungsprogramm, nach denen die Kitas

arbeiten, sprechen von einer „Erziehungspartnerschaft mit den Eltern“. Erzieherinnen

und Eltern sollen vertrauensvoll im Interesse der Kinder zusammenarbeiten, Eltern

sollen bei Bedarf unterstützt werden und auch hier ist die Kooperation mit anderen

Diensten und Einrichtungen als eine Aufgabe von Kitas benannt.

Vielleicht haben Sie in der letzten Woche auch die Vorstellung des Nationalen Bil-

dungsberichtes 2010 gehört... Danach leben fast ein Drittel der Kinder in einer sozi-

alen, finanziellen und/oder kulturellen Risikolage. Die Pädagogen in den Kitas haben

täglich mit den Auswirkungen von schwierigen Lebenssituationen der Familien zu

tun, z.B.

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Fachtagung „Kleine Kinder in kritischen Lebenslagen“

Begrüßung – Claudia Gaudszun, Referat Kindertagesstätten 6

• mit Armut,

• mit Sorgerechtstreitigkeiten,

• mit schwerer Erkrankung oder Behinderung eines Familienmitglieds,

• mit suchtkranken Eltern,

• mit psychischen Erkrankungen der Eltern,

• mit dem plötzlichen Tod eines Familienmitglieds,

• mit Gewalttätigkeiten, Vernachlässigungen und vielem mehr…

Keine Erzieherin kann davor die Augen verschließen. Und sie sind in der Mehrzahl

sehr engagiert und unterstützen die Eltern. Dazu brauchen sie Kooperationen und

die Zusammenarbeit mit anderen Fachstellen, mit Ämtern, mit anderen freien Trä-

gern der Jugendhilfe, mit der Erziehungsberatung, mit Suchtberatungsstellen, Kin-

derschutzprojekten und anderen familienunterstützenden Angeboten. Dabei sind die

Möglichkeiten durchaus vielfältig. Eine Form der Kooperation ist das Angebot ande-

rer Fachstellen, Sprechzeiten oder Kurse in der Kita direkt anzubieten, z.B. Deutsch-

kurse für Mütter, Elternbildungskurse, Sprechzeiten der EFBs u.s.w.

Ein solches, direkt an die Kita angegliedertes Angebot auf verbindliche Füße zu

stellen, war im letzten Jahr in Berlin in der Diskussion. Es gab Überlegungen, Kitas

zu Familienzentren weiterzuentwickeln. Leider hat diese Idee den Entwurf des neuen

Kitagesetzes nicht überlebt. Und das obwohl sich alle Fachkräfte einig sind: Kitas

sind ideale Orte der Prävention, sie sind niedrigschwellig, die Eltern sind täglich im

Haus und die Zusammenarbeit mit den Erziehern ist in der Regel vertrauensvoll und

gut.

Der Ansatz der interdisziplinären Zusammenarbeit und der Vernetzung von verschie-

denen Stellen, die alle mit den gleichen Kindern arbeiten, muss weiter ausgebaut

werden. Ein erster Schritt dazu ist die gegenseitige Kenntnis über die jeweils ande-

ren Angebote. Daher ist es eines unserer Tagungsziele, die Vernetzung anzuregen.

Wir haben uns daher gefreut, dass die Resonanz auf unseren Fachtag so groß ist.

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Fachtagung „Kleine Kinder in kritischen Lebenslagen“

Begrüßung – Claudia Gaudszun, Referat Kindertagesstätten 7

Wir haben doppelt so viele Anmeldungen erhalten, wie Plätze zur Verfügung stan-

den. Von den etwas über 100 Teilnehmern haben wir etliche Anmeldungen aus den

Jugendämtern, den RSDs und anderen Stellen der Bezirksämter, der Jugendhilfe

und den Kitas.

Wir hoffen, dass Sie heute ins Gespräch miteinander kommen, dass Sie Kontakte

knüpfen oder bestehende Kontakte vertiefen.

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Fachtagung „Kleine Kinder in kritischen Lebenslagen“

Silke B. Gahleitner – Was Fachkräfte über Traumata wissen müssen 8

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Fachtagung „Kleine Kinder in kritischen Lebenslagen“

Silke B. Gahleitner – Was Fachkräfte über Traumata wissen müssen 9

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Fachtagung „Kleine Kinder in kritischen Lebenslagen“

Silke B. Gahleitner – Was Fachkräfte über Traumata wissen müssen 10

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Fachtagung „Kleine Kinder in kritischen Lebenslagen“

Silke B. Gahleitner – Was Fachkräfte über Traumata wissen müssen 11

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Fachtagung „Kleine Kinder in kritischen Lebenslagen“

Silke B. Gahleitner – Was Fachkräfte über Traumata wissen müssen 12

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Fachtagung „Kleine Kinder in kritischen Lebenslagen“

Silke B. Gahleitner – Was Fachkräfte über Traumata wissen müssen 13

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Fachtagung „Kleine Kinder in kritischen Lebenslagen“

Silke B. Gahleitner – Was Fachkräfte über Traumata wissen müssen 14

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Fachtagung „Kleine Kinder in kritischen Lebenslagen“

Silke B. Gahleitner – Was Fachkräfte über Traumata wissen müssen 15

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Fachtagung „Kleine Kinder in kritischen Lebenslagen“

Silke B. Gahleitner – Was Fachkräfte über Traumata wissen müssen 16

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Silke B. Gahleitner – Was Fachkräfte über Traumata wissen müssen 17

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Silke B. Gahleitner – Was Fachkräfte über Traumata wissen müssen 18

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Silke B. Gahleitner – Was Fachkräfte über Traumata wissen müssen 19

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Silke B. Gahleitner – Was Fachkräfte über Traumata wissen müssen 21

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Silke B. Gahleitner – Was Fachkräfte über Traumata wissen müssen 22

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Silke B. Gahleitner – Was Fachkräfte über Traumata wissen müssen 23

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Fachtagung „Kleine Kinder in kritischen Lebenslagen“

Monika Schipmann – Stationäre Unterbringung von kleinen Kindern 24

Monika Schipmann Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung Referat Erziehungshilfen und Verträge

Stationäre Unterbringung von kleinen Kindern

Vorbemerkung Das heutige Thema hat viele Facetten.

Ich begrüße es sehr, dass der PARITÄTISCHE diesen Fachtag mit dem Thema

„Kleine Kinder in kritischen Lebenslagen“ organisiert hat und sich explizit mit den be-

sonders Schutzbedürftigen, den Hintergründen für die steigenden stationären Unter-

bringungen in dieser Altersgruppe und damit auch mit den Anforderungen an die

Qualitätsstandards der Betreuung auseinandersetzt.

Dieser breit angelegte Fachdiskurs ist angesichts der Entwicklung überfällig und

bietet m.E. die Chance, die jeweilige Wissensbasis über verschiedene Möglichkeiten

zu vergrößern, fachliche Annahmen und Standards zu reflektieren und miteinander

ins Gespräch zu kommen.

Ich möchte an dieser Stelle aus der gesamtstädtischen Perspektive des Referats Er-

ziehungshilfe und Verträge über die Entwicklung von Angeboten und Rahmenbedin-

gungen für die außerfamiliäre Betreuung von kleinen Kindern in Einrichtun-

gen/Regelgruppen auf Grundlage der §§ 34, 42 SGB VIII berichten.

Das in Berlin mittlerweile speziell für die Betreuung von kleinen Kindern außerhalb

der Herkunftsfamilie entwickelte zusätzliche Betreuungssetting ‚Krisenpflege’ im

Rahmen der Vollzeitpflege/Familienpflege nach § 33 SGB VIII wird Ihnen meine Kol-

legin Frau Ihmels später am Tisch 6 näher erläutern.

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Fachtagung „Kleine Kinder in kritischen Lebenslagen“

Monika Schipmann – Stationäre Unterbringung von kleinen Kindern 25

Ausgangssituation

Die Leistungsbeschreibungen für die stationären HzE sahen und sehen ausdrücklich

vor, dass kleine Kinder nicht in (regulären) Schichtdienstgruppen betreut werden

sollen.

Das Wissen um die besondere Bedeutung von Beziehungskontinuität und von siche-

ren Bindungen verbietet es, kleine Kinder, die häufig gerade erst eine Trennungser-

fahrung hinter sich haben und/oder Misshandlungen durch Eltern und Vertrauens-

personen erleiden mussten, in Schichtdienstgruppen mit wechselnden Bezugsperso-

nen und einem für diese besonderen Betreuungsbedarfe nicht ausgerichteten Perso-

nalschlüssel zu betreuen. Soweit der Grundsatz.

Tatsächlich erreichten uns im Vertragsbereich der Senatsverwaltung Bildung, Wis-

senschaft und Forschung in den vergangenen Jahren immer wieder Anfragen aus

den Jugendämtern und von Trägern, die dringend einen Betreuungsplatz für ein klei-

nes Kind oder für Geschwister in einer Regelgruppe suchten bzw. genehmigt haben

wollten. Dies geschieht vor dem Hintergrund, dass nicht ausreichend Pflegefamilien

im Rahmen der Krisenpflege für die sofortige und vorübergehende Aufnahme von

kleinen Kindern zur Verfügung stehen. Auch Plätze in familienanalogen Hilfesettings

in Einrichtungen – wie z.B. im Rahmen einer Erziehungsstelle – sind ebenfalls nicht

immer in ausreichendem Umfang vorhanden.

Die SenBWF hat sich daraufhin entschlossen, das Versorgungsproblem öffentlich zu

machen, und der Vertragskommission (Mindest-)Standards für den Abschluss von

diesbezüglichen Trägerverträgen vorgeschlagen. Schließlich sollte auch ein transpa-

rentes Verfahren im Zusammenhang mit den von den Standards der LB abweichen-

den Verträgen nach § 78 a ff SGB VIII hergestellt werden.

Nach eingehender Diskussion hat die Vertragskommission mit Beschluss Nr. 5/2009

„Rahmenbedingungen für die Verhandlungen von Trägerverträgen über Kurzzeitun-

terbringung von Säuglingen und Kleinkindern im Alter von 0 bis unter 6 Jahren in

Schichtdienstgruppen nach § 34 und § 42 SGB VIII“ verabschiedet. Parallel dazu

wurde gemeinsam mit den Beteiligten das mittlerweile beschlossene Konzept der

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Fachtagung „Kleine Kinder in kritischen Lebenslagen“

Monika Schipmann – Stationäre Unterbringung von kleinen Kindern 26

Krisenpflege im Rahmen der Vollzeitpflege nach §§ 33, 42 SGB VIII entwickelt und

implementiert.

Annahmen und Standards

Der bundesweit feststellbare Anstieg der stationären (Kurzzeit-)Unterbringung in die-

ser Altersgruppe infolge der Kinderschutzdebatte wurde auch in Berlin deutlich.

2008/2009 wurden etwa 80 Anträge auf Ausnahmegenehmigungen bei der Senats-

verwaltung BWF gestellt. Von Jugendämtern und von Trägern wurden folgende Ur-

sachen benannt:

• Es stehen nicht ausreichend (im Einzelfall geeignete) Pflegefamilien für die

sofortige und befristete Unterbringung für Kleinkinder in einer Notsituation zur

Verfügung.

• Es müssen mehrere Geschwister kurzfristig untergebracht werden.

• Die Eltern stimmen der Unterbringung in einer Pflegefamilie nicht zu.

• Die Kinder können aufgrund massiver Verhaltensauffälligkeiten nicht in einer

Pflegefamilie untergebracht werden.

Die Regelgruppen in Einrichtungen sind jedoch konzeptionell (z.B. mit Blick auf die

besonderen Anforderungen an die Elternarbeit) und personell (z.B. in Bezug auf die

Notwendigkeit einer intensiven Begleitung und Förderung des Kindes) nicht auf diese

Zielgruppe eingerichtet. Es bedarf daher im Zusammenhang mit der Unterbringung

kleiner Kinder immer einer besonders gründlichen Einzelfallprüfung im Rahmen der

Hilfeplanung und im Rahmen der Entwicklungsplanung in der Einrichtung vor Hilfe-

beginn und begleitend.

Die Vertragskommission Jugend hat klar formuliert:

• Die vorgelegten Orientierungswerte für die Verhandlungen der personellen

und sächlichen Ausstattung der Angebote, die vorübergehend kleine Kinder in

Notsituationen in Schichtdienstgruppen betreuen, sind begründete Ausnah-

men. Es sollen ausdrücklich keine Standardangebote entwickelt werden.

Page 28: Kleine Kinder in kritischen Lebenslagen –

Fachtagung „Kleine Kinder in kritischen Lebenslagen“

Monika Schipmann – Stationäre Unterbringung von kleinen Kindern 27

• Für diese besonderen Betreuungssettings kommen nur Träger in Betracht, die

ein breites Leistungs- und Erfahrungsspektrum haben und in der Lage sind,

notwendige Ergänzungsleistungen sicher zu stellen.

• Die Unterbringung kleiner Kinder in besonders strukturierten

Schichtdienstgruppen ist auf höchstens 3 Monate zu beschränken.

• Die Laufzeit der Trägerverträge ist auf 2 Jahre begrenzt.

Und schließlich:

• Die Vertragskommission hat ferner festgelegt, dass 2011 die angenommene

Bedarfssituation und die speziellen Angebote überprüft werden.

Die Vertragskommission ist von einem Bedarf von ca. 200 Krisenunterbringungsplät-

zen in dieser Altersgruppe ausgegangen.

Tatsächliche Entwicklungen

Die Belegungsstatistik weist aus, dass am Stichtag 31.12.2009 302 Kinder im Alter

von 0 bis unter 6 Jahre stationär auf Grundlage der §§ 34, 42 SGB VIII untergebracht

waren. Davon waren auf Grundlage des § 34 SGB VIII insgesamt 268 Kinder und auf

Grundlage des § 42 SGB VIII insgesamt 33 Kinder (0 bis unter 3= 23, 3 bis unter 6

Jahre 10 Kinder) untergebracht.

Differenziert nach Angebotsformen waren in

unter 3 Jahre 3 bis unter 6 Jahre

Schichtdienstgruppen 2 16

Heimgruppen besonderer Prägung

oder Gruppenangeboten Intensiv

27 53

Gruppen zur kurzzeitigen Unterbrin-

gung

7 7

Erziehungswohngruppen 7 20

Familienanalogen Gruppen- 7 27

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Fachtagung „Kleine Kinder in kritischen Lebenslagen“

Monika Schipmann – Stationäre Unterbringung von kleinen Kindern 28

Angeboten, Regelleistung

Familienanalogen Gruppen-

Angeboten, Intensivleistung

14 46

WAB-Gruppen --- 10

Erziehungsstellen 14 11

Teilstationären Projekten 4 7

78 190

Auf Nachfrage hat der Kindernotdienst ergänzend mitgeteilt, dass von März bis De-

zember 2009 114 Kleinkinder im Alter unter 1- 3 Jahre in Obhut genommen wurden.

Spezielle Trägerverträge nach den zuvor genannten Orientierungsstandards für die

Betreuung von Kindern unter 6 Jahren haben bisher nur 5 Träger abgeschlossen mit

insgesamt 41 Plätzen.

Weiterentwicklungserfordernisse

Der Fachtag heute bietet eine gute Möglichkeit zu einer vertieften Reflexion. Ich

wünsche mir eine Debatte, die sich mit den fachlichen Annahmen und den Hinter-

gründen der Entscheidung über eine stationäre Unterbringung von kleinen Kindern

und den fachlichen Anforderungen an diese Angebote befasst, und uns allen einen

anregenden Austausch.

Vielen Dank!

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Fachtagung „Kleine Kinder in kritischen Lebenslagen“

Wolfgang Mohns – Vernetzte bezirkliche Angebote 29

Wolfgang Mohns Jugendamtsleiter Tempelhof-Schöneberg

Vernetzte bezirkliche Angebote

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

wodurch werden kritische Lebenslagen ausgelöst?

Das breite Feld der Schwierigkeiten in Familien lässt sich leider nicht über einen

Kamm scheren. Zu unterschiedlich sind die Schwierigkeiten, zu unterschiedlich die

Familienzusammensetzungen und zu unterschiedlich die Lebensentwürfe. Ich will

daher die psychisch ausgelösten Problemlagen nicht zum Thema machen.

Auslöser für kritische, gefährdende oder belastende Familiensituationen sind u.a.:

• Häusliche Gewalt

• Armut

• Überforderung

• Bindungs- und Beziehungsstörungen

• Bildungsferne

Es gibt zwar keine Antwort, keine allgemeingültige, keine universelle Antwort, aber

vielleicht einen gemeinsamen Nenner für die Frage: Was ist das verbindende Ele-

ment dieser Auffälligkeiten? Ich bin überzeugt davon, allen gemein ist ein unter-

schiedlich stark ausgeprägtes Bildungsdefizit. Der Bezirk Tempelhof-Schöneberg

sieht es daher als sein zentrales jugendpolitisches Ziel an, die Bildungschancen aller

Familien zu erhöhen. Bildung ermöglicht die Befähigung zu gesellschaftlicher Teil-

habe und Bildung ermöglicht Selbstverwirklichung entsprechend den eigenen Be-

dürfnissen und Wünschen.

Was kann Jugendhilfe für eine größere Bildungsbereitschaft tun?

Zwei Zielgruppen in einem Familiensystem gilt es anzusprechen.

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Fachtagung „Kleine Kinder in kritischen Lebenslagen“

Wolfgang Mohns – Vernetzte bezirkliche Angebote 30

1. Die Kinder

2. Die Eltern (hier Mutter, Vater, Patchwork…)

Bildungsangebote für Kinder

Ich fange bei den Kindern an: Wir versuchen frühzeitig den Zugang zur frühkindli-

chen Bildung zu erreichen. Das sind die Angebote der Tagesbetreuung, also Kitas

und Tagespflege. Kindertagesstätten sind der erste Zugang zu institutionalisierten

Bildungsangeboten. Ich setze auf eine starke Vernetzung und Einbeziehung der vor-

schulischen Bildung. Wir versuchen auf regionaler Ebene im Rahmen der sozial-

räumlichen Betrachtung und Herangehensweise die Kindertagesstätten und die Kin-

dertagespflegen mit in die sozialräumlichen Strukturen einzubinden. Frühkindliche,

vorschulische Bildung ist die stärkste präventive „Maßnahme“ der Jugendhilfe. Ich

bin dankbar, dass zumindest hier der finanzielle Rahmen definiert ist. Knapp, aber

festgelegt, das wünschen wir uns für andere Bereiche der Jugendhilfe ebenso.

Bildungsangebote für Eltern

Aber ich will nicht nur über die Kindertagesbetreuung sprechen, das kommt sicher

intensiver beim nächsten Input. Ich hatte als zweite Zielgruppe die Eltern benannt.

Lebenslanges Lernen ist zwar gerade „en vogue“, aber für den Bereich der Familien

und Eltern geradezu unverzichtbar. Eltern- und Familienbildung ist Prävention und

Intervention zugleich. Familienbildung und Familienförderung ist Auftrag nach dem

SGB VIII, das ist unstrittig. Dennoch gibt es hierfür keine festgelegte Finanzierungs-

systematik. Unser Bezirk investiert viel in Angebote nach § 16 SGB VIII. Hier werden

explizit die Angebote der Familienbildung beschrieben. Auch die Leitungen der Berli-

ner Jugendämter beschäftigen sich zurzeit mit der Beschreibung der Inhalte und

auch mit Überlegungen zur Finanzierungssystematik. Der besondere Charme der

Familienbildung liegt in der Möglichkeit, sowohl auf aktuelle Problemlagen eingehen

zu können als auch allgemein über kindliche Entwicklung und Familienprozesse zu

informieren. Daher mein eingangs formulierter Hinweis, dass in der Familienbildung

sowohl vorbeugende als auch aktiv unterstützende Anteile enthalten sind.

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Fachtagung „Kleine Kinder in kritischen Lebenslagen“

Wolfgang Mohns – Vernetzte bezirkliche Angebote 31

Die Angebote der Familienbildung können von vielfältigen Anbietern stammen und

natürlich auch an unterschiedlichen Orten stattfinden. Angeboten wird Familienbil-

dung von den Trägern der freien Jugendhilfe und von den kommunalen und freien

EFB-Stellen des Bezirkes. Es sind Angebote, die in Kitas, Schulen, Familienzentren

oder den Räumen der Träger durchgeführt werden.

Familienzentren

Kindertagesstätten sind das Eintrittstor zur Bildung. Hier müssen die Angebote für

Familienbildung angesiedelt sein. Leider ist der erste Anlauf in dieser Stadt geschei-

tert. Aber ich weiß, dass viele Kitas mit großer Unterstützung der verantwortlichen

Träger zusätzliche Angebote für Eltern und Familien entwickeln und vorhalten. Das

ist der richtige Schritt, aber leider nicht ausfinanziert. Tempelhof-Schöneberg setzt

sich auf der jugendpolitischen Ebene weiterhin für die Realisierung dieses Projektes

ein. Die Erfahrungen gerade in England sind Beleg dafür, dass es unverzichtbar ist,

diese Form der Familienunterstützung in den Kitas verlässlich zu etablieren.

Bildungsverbünde

Alle Regionen in unserem Bezirk arbeiten an Bildungsverbünden. Bildungsverbünde

sind Zusammenschlüsse aller am Bildungsverlauf beteiligten Institutionen, Träger

und Anbieter. Insbesondere Jugendhilfe, Kitas, Schulen und Jugendfreizeiteinrich-

tungen entwickeln gemeinsam Ideen und Strukturen zur Zusammenarbeit. Sei es der

Übergang Kita/Schule, die Einbindung der Jugendfreizeiteinrichtungen in den Schul-

alltag oder die Gestaltung des Überganges in den Beruf, alles wird hier versucht zu

verknüpfen. Ich bin sehr stolz darauf, dass die meisten Regionen sich inzwischen auf

den Weg gemacht haben. Die Einbindung der Schulen ist auf regionaler Ebene sehr

erfolgreich.

Stärkere Verknüpfung der Regel- und Hilfesysteme

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Fachtagung „Kleine Kinder in kritischen Lebenslagen“

Wolfgang Mohns – Vernetzte bezirkliche Angebote 32

Natürlich kommt ein Jugendamt nicht ohne Hilfen zur Erziehung aus, natürlich gibt es

Notwendigkeiten, die ein Eingreifen beim Kinderschutz erforderlich machen, und na-

türlich müssen auch die Familiengerichte angerufen werden. Uns geht es jedoch

darum, dieses auf ein Minimum beschränken zu können oder zumindest die am we-

nigsten eingreifende Maßnahme zu wählen. Dazu versuchen wir die Regelsysteme

(also Kitas, Schulen, Ganztagsbetreuung und Jugendfreizeiteinrichtungen) zu stär-

ken und die Hilfesysteme (Hilfen zur Erziehung) erst dann eingreifen zu lassen, wenn

klar ist, mit den Regelangeboten ist der Prozess nicht zu gestalten.

Was heißt das konkret? Wir gestalten gerade einen Schulstandort gemeinsam mit

der Schule, dem Ganztagsbetreuungsträger und dem regionalen HzE-Träger so,

dass zunächst einmal bei Auffälligkeiten versucht wird, zusätzliche Ressourcen über

die Ganztagsbetreuung zu generieren. Entwicklungsverzögerungen kann auch mit

zusätzlichen Erzieherstunden für Integration begegnet werden. Wenn das nicht ge-

nügt, können Angebote der sozialen Gruppenarbeit zusätzliche Unterstützung brin-

gen. Durch Stärkung von Angeboten aus einer Hand (einem Träger) kann auf diesem

Weg auch die personelle Beziehungskontinuität für die betroffenen Kinder gewähr-

leistet werden. Der Übergang zur ambulanten Hilfe ist somit fließend. Ich bin über-

zeugt davon, dass auf diese Weise mit frühzeitigen Unterstützungen auf der Ebene

der Regelsysteme andere HzE-Angebote deutlich später oder geringer eingreifen

müssen. Daher werden wir diesen Weg weiter beschreiten.

Hauhaltsunterstützung

Eine weitere Möglichkeit, Angebote vor den Hilfen zur Erziehung zu entwickeln, ist

die genaue Prüfung, ob tatsächlich immer pädagogische, sozialpädagogische oder

psychologische Unterstützung notwendig oder hilfreich ist. Verschuldung, unorgani-

sierte Tagesabläufe, chaotische Hauhaltsorganisation oder miserable Hauhaltpla-

nung kann häufig auch mit anderen Mitteln begegnet werden. Eine Unterstützung bei

der Haushaltsführung, bei der Gestaltung des Tagesablaufes oder bei Einkäufen

sollte lebensnah und lebenspraktisch erfolgen. Hierfür gibt es Fachkräfte außerhalb

der Pädagogik. Wir haben an einem Standort die Zusammenarbeit mit einer Haus-

wirtschaftsschule begonnen und mit zwei Trägern in einer anderen Region die Ange-

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Fachtagung „Kleine Kinder in kritischen Lebenslagen“

Wolfgang Mohns – Vernetzte bezirkliche Angebote 33

bote der Haushaltsunterstützung abgesprochen. Ich setze sehr darauf, hier zu vor-

zeigbaren Ergebnissen zu kommen.

Stärkung der nachbarschaftlichen Arbeit

Die Stärkung der Familie kann auch durch die Stärken der Nachbarschaft gelingen.

Ein gut funktionierendes System von nachbarschaftlichem Engagement hilft bei der

Prävention und kann stärkend auf Familien wirken. Der Ausbau von nachbarschaftli-

chen Zentren, die wohnortnah erreichbar sind, ist zielführend. Wir haben inzwischen

vier Nachbarschaftszentren über den Bezirk verteilt. Sie sind zum einen Anlaufstelle,

aber zum anderen auch Kommunikationsinstrument. Wir stärken daher das Enga-

gement der Nachbarschaftszentren. Leider sind auch hier die finanziellen Grundaus-

stattungen desaströs.

Ehrenamtliche

Ein abschließendes Wort, weil es mir am Herzen liegt, zu den Ehrenamtlichen. Wir

haben, nicht nur in Tempelhof-Schöneberg, ein Heer von Menschen, nämlich Ehren-

amtliche, die über Kompetenzen und Kenntnisse verfügen, die bisweilen brachliegen

und verkümmern. Ich bin dankbar für alle Bemühungen in diesem Bereich, das Inte-

resse und die Neugier zu wecken. Aber gleichzeitig werde ich auch immer wieder die

Wertschätzung für diese Art der gesellschaftlichen Arbeit zeigen. Ich bin überzeugt,

dass gerade die Ehrenamtlichen unser Kleinod in der sozialpädagogischen Arbeit

sind. Sie sind es, die den Weg in die Familien auf direkte, unkomplizierte und akzep-

tierte Art finden.

Fazit

Es muss uns in dieser Stadt gelingen, die präventiven Angebote verbindlich und si-

cher zu finanzieren.

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Fachtagung „Kleine Kinder in kritischen Lebenslagen“

Katrin Hentze – Kita mit schwierigen Arbeitsaufträgen 34

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Fachtagung „Kleine Kinder in kritischen Lebenslagen“

Katrin Hentze – Kita mit schwierigen Arbeitsaufträgen 35

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Fachtagung „Kleine Kinder in kritischen Lebenslagen“

Katrin Hentze – Kita mit schwierigen Arbeitsaufträgen 36

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Cornelia Piekarski – Kleine Kinder in den Hilfen zur Erziehung 37

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Fachtagung „Kleine Kinder in kritischen Lebenslagen“

Cornelia Piekarski – Kleine Kinder in den Hilfen zur Erziehung 38

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Fachtagung „Kleine Kinder in kritischen Lebenslagen“

Cornelia Piekarski – Kleine Kinder in den Hilfen zur Erziehung 39

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Fachtagung „Kleine Kinder in kritischen Lebenslagen“

World Café 1 – Bildungsnetzwerke 40

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Fachtagung „Kleine Kinder in kritischen Lebenslagen“

World Café 1 – Bildungsnetzwerke 41

Helmut Wittmann Jugendwohnen im Kiez gGmbH, Regionalleiter Beate Lubitz Jugendamt Tempelhof Schöneberg, Regionalleitung Schöneberg Nord

World Café 1 – Bildungsnetz

Einführung World Café 1 – Bildungsnetz Schöneberg Nord

Setting

a) TeilnehmerInnen: MitarbeiterInnen mit Leitungsveranwortung: 2 Grundschu-

len, 3 Kitas, Freier Jugendhilfeträger HZE, Nachbarschaftsheim, KJGD, Quar-

tiersmanagement, Integrationsbeauftragte, Verband sozial-kulturelle Arbeit;

Anmerkung: alle TeilnehmerInnen haben in ihren Institutionen Leitungs- und

Steuerungsverantwortung; dadurch wird gewährleistet, dass Verabredungen,

Beschlüsse und Informationsnotwendigkeiten auch umgesetzt werden; Institu-

tionen müssen sich sukzessive nach innen und außen verändern.

b) Federführung: Jugendamt, Regionalleitung Schöneberg Nord

c) Moderation/Prozessgestaltung/Dokumentation: 2 Moderatorinnen in enger

Kooperation mit Regionalleitung Jugendamt

d) Sitzungsmodus: 5 Workshops im Jahr, je 8:30 bis 11:30 Uhr (8 Workshops

seit Nov. 2008)

e) Finanzierung: Leistungsvertrag FuA (Fallunspezifische Arbeit)

Ziele

Gemeinsam benannte Ziele eines steuernden und strategischen Bildungsnetzes:

• Entwicklung einer feinteiligen, verlässlichen, transparenten sozialräumlichen

Bildungslandschaft (Sozialraum als Bildungsraum)

• Schaffung von anregenden Lebens-, Lern- und Erfahrungsräumen für Kinder

Page 43: Kleine Kinder in kritischen Lebenslagen –

Fachtagung „Kleine Kinder in kritischen Lebenslagen“

World Café 1 – Bildungsnetzwerke 42

und Jugendliche (Lebensraum als „bunter“ Lernort)

• Sprachentwicklung gemeinsam fördern und gestalten

• Bildungsverläufe für Kinder abbruchfrei gestalten – Brücken bauen an den

Übergängen der Institutionen; kein biografisches Scheitern aufgrund man-

gelnder Sprachkompetenz

• Maßgeschneiderte Vernetzung der regionalen Bildungsakteure in einem loka-

len Bildungsverbund

• Eltern für Bildungsverläufe ihrer Kinder aktivieren und begeistern

• Entwicklung von gemeinsamen Systemen der Frühförderung und Prävention

(keine Abbrüche im Bildungsverlauf durch Sprach-/Sozialdefizite)

• Optimierung der Übergänge: Familie – Kita, Kita – Schule (Schule – Ober-

schule, OS – Beruf)

• Abstimmung der Sprachförderprogramme in den Bildungseinrichtungen

• Zweisprachigkeit als Stärke und große Chance (Imagewandel!)

• Planung und Abstimmung durch die Leitungsverantwortlichen

• Vermeidung von Parallel- und Konkurrenzangeboten

• Entwicklung gemeinsamer regionaler Standards

Neben dieser Vision ist ein wesentliches Ziel des Jugendamtes: Prävention vor Inter-

vention! Wir möchten Maßnahmen der frühzeitigen Intervention entwickeln und för-

dern, um perspektivisch häufig zu späte Interventionen zu reduzieren.

Ausführliche Dokumentation unter: www.kiezatlas.de/schoeneberg-nord/Aktuelles +

Aktionen/Bildungsnetzwerk Dokumentation[MT1]

World Café 1 – Gespräche

Es wurde unter der Fragestellung „Was ist Ihre Erwartung an ein regionales Bil-

dungsnetzwerk?“ diskutiert – folgende Aspekte wurden genannt:

• Kiezbezogenheit

• konkrete Zusammenarbeit Kita – Grundschule!

• konkrete Verabredungen

• Aspekt von Nachhaltigkeit

• Verstetigung als Perspektive?

Page 44: Kleine Kinder in kritischen Lebenslagen –

Fachtagung „Kleine Kinder in kritischen Lebenslagen“

World Café 1 – Bildungsnetzwerke 43

• Gibt es Kooperationsverträge zwischen Schulen und Kitas?

→ hier bisher nicht

• Start?

→ Anregung über Erfahrungen des Jugendhilfeträgers JuWiK

• Teilnahme/Verbindlichkeit

→ interessengestützt/Dringlichkeit als Motiv („Der Termin ist heilig!“)

• Problem: Einzugsgebiete Schulen und Einzugsgebiete Kitas

• Warum nicht berlinweit? So viele regionale Zuschnitte

→ Sozialräume/Regionen sind verschieden! (maßgeschneiderte Entwicklung)

• alternatives Modell: Kooperationswerkstatt Kita + Schule (Spandau), gemein-

same Ziele verbessern

• „Einer muss für das Bildungsnetzwerk brennen“ – als Motor für Netzwerk

• kooperieren – frühzeitig handeln

• Schuleinzugsgebiete kein regionaler Bezug, Problem

• Leitungskräften sind die Termine absolut wichtig, daher kein „abbröseln

Page 45: Kleine Kinder in kritischen Lebenslagen –

Fachtagung „Kleine Kinder in kritischen Lebenslagen“

World Café 2 – Lotsenfunktion der Kita bei Familienunterstützung 44

Page 46: Kleine Kinder in kritischen Lebenslagen –

Fachtagung „Kleine Kinder in kritischen Lebenslagen“

World Café 2 – Lotsenfunktion der Kita bei Familienunterstützung 45

Dagmar Krämer Sozialarbeiterin, Kinder im Kiez GmbH Sigrid Petto Fachberaterin, Orte für Kinder GmbH

World Café 2 – Lotsenfunktion der Kita bei der Familienunterstützung

Allgemeines Feedback

In der ersten Runde war den Teilnehmenden nicht klar, dass hier kein fertiges Kon-

zept vorgestellt wird. Daher war die Anwärmphase gerade erst beendet, als diese

Runde beendet werden musste. In der zweiten und dritten Runde konnten wir dahin-

gehend besser anmoderieren und die Teilnehmenden kannten die Vorgehensweise

schon, so dass wir schneller ins Gespräch kamen. Die Methode hätte allen Teilneh-

menden im Vorfeld klarer vorgestellt werden sollen.

Tatsächlich ist diese Methode ein Weg, sehr schnell miteinander in Kontakt zu kom-

men und den interdisziplinären fachlichen Austausch in einer fremden Gruppe zu

ermöglichen. Trotzdem wäre es gut gewesen, pro Gruppe noch 10 Minuten mehr Zeit

zu haben.

Mehr (funktionierende) Flipchartstifte hätten eventuell dazu beitragen können, dass

sich die Teilnehmenden aktiver an der Tischdokumentation beteiligt hätten. Sie

wurde aber gerne angenommen, auch um am Schluss noch kurz Gedanken zu for-

mulieren, die nicht mehr in die Runde kamen.

Zusammenfassend werden nachfolgend in Stichpunkten die angeschnittenen Themen skizziert:

• Einbindung und Rückkopplung bei den HZE

Page 47: Kleine Kinder in kritischen Lebenslagen –

Fachtagung „Kleine Kinder in kritischen Lebenslagen“

World Café 2 – Lotsenfunktion der Kita bei Familienunterstützung 46

• Einbeziehung der Kita in Hilfeplanung nach §36 SGB VIII (wird in der Praxis

sehr unterschiedlich, Tendenz eher selten, praktiziert) und Fallteams. Kita als

„sichere Insel“ muss in den Gesprächen dabei sein.

• Lotse als koordinierende Stelle in der Jugendhilfe.

• Neue Qualitäten von Elternarbeit in der Kita sind nötig. ErzieherInnen sind we-

der durch Ausbildung noch durch eigene Biographie auf die Zusammenarbeit

mit „schwierigem“ Klientel vorbereitet.

• mehr Fortbildung für pädagogisches Fachpersonal zur Zusammenarbeit mit

dem Jugendamt, Kooperation mit Jugendhilfeträgern...

• Kita kann nur Lotse sein, wenn gute Kenntnisse zu Hilfen da sind.

• Vernetzung im Sozialraum... Hierfür sind auch aktuelle Infos zu Ansprechpart-

nern notwendige Vorraussetzung (z.B. aktuelle Telefonlisten – wer pflegt und

veröffentlicht diese?). Aufeinander zugehen.

• Erfolgreiche Zusammenarbeit ist oft personenabhängig.

• mehr gegenseitige Kenntnisse voneinander zwischen den Institutionen,

Einrichtungen, Bezirksämtern...

• Kita kann vermitteln, dass das Jugendamt nicht nur „Kinder wegnimmt“

(Wächteramt per Gesetz), sondern Unterstützung anbietet.

• Systematisierung der Lotsenfunktion – wer ist dabei wofür zuständig (z.B.

Fachberatung...)?

• Es muss mehr gut/verlässlich finanzierte Familienzentren geben, in denen ge-

eignete Personen nah an den Familien dran sein können.

• Stärkung der Regeleinrichtungen

• Klärung der Lotsenfunktion: Wo beginnt sie, wo hört sie auf?

• Kita muss sich Vertrauensposition erhalten. Schwieriger Spagat zwischen

Beratung, Begleitung und §8a SGB VIII.

• Selbstverständnis eher Beratung als Lotse (hier: Verständnis vom Lotsen, der

den Weg vorgibt)

• Dolmetscher werden an vielen Standorten gebraucht, um mit den Familien ar-

beiten zu können.

• Infothek von Anbietern in jeder Kita

• Vernetzung mit Selbsthilfe

• Dreierteams: Jugendamt, Kita, Jugendhilfeträger

Page 48: Kleine Kinder in kritischen Lebenslagen –

Fachtagung „Kleine Kinder in kritischen Lebenslagen“

World Café 2 – Lotsenfunktion der Kita bei Familienunterstützung 47

Es gab unterschiedliche Erfahrungen bei Trägervertreterinnen von Familienzentren:

• Ziel war es alle ErzieherInnen als Lotsen auszubilden. Hat nicht geklappt und

sich auch nicht als sinnvoll erwiesen. Beratung im Büro zu festen Zeiten

wurde nicht angenommen. Eltern sind eher zu erreichen über offene Treff-

punkte und Gruppen, die auch mal Fachleute einladen. Gut funktioniert das

regelmäßige Nachbarschaftscafé und dazu ein paralleles Beratungsangebot.

• Aus der Praxis, dass die Kita sehr viel berät, entstand das Modell: Träger

finanziert eine zusätzliche Springerkraft, die Erzieher vertritt, wenn sie als

Vertrauenspersonen ihre Beratungsfunktion wahrnehmen. Angebote von

außen werden nicht angenommen.

• Kinder- und Jugendhilfezentren mit geregelten Kooperationsvereinbarungen

mit Kitas. Hier Beratung von außen. Enge Zusammenarbeit. Auch gemein-

same Fortbildungen von Fachpersonal. Echte Zusammenarbeit führt dazu,

dass die Hilfe von „außen“ auch angenommen wird.

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Fachtagung „Kleine Kinder in kritischen Lebenslagen“

World Café 3 – Erziehungsstelle gut – alles gut? 48

Page 50: Kleine Kinder in kritischen Lebenslagen –

Fachtagung „Kleine Kinder in kritischen Lebenslagen“

World Café 3 – Erziehungsstelle gut – alles gut? 49

Manfred Jannicke (Nachbarschaft hilft Wohngemeinschaft e.V.) Geschäftsführer/pädagogischer Leiter

World Café 3 – Erziehungsstelle gut – alles gut ? Diskussionsrunde zum Angebot Erziehungsstelle als familienanaloge Form der Hilfe

zur Erziehung. Input zum Einstieg: Gegenüberstellung dieser Angebotsform mit den

Pflegestellen.

Welche familienanalogen Formen der Erziehungsstellen gibt es?

1. Erziehungsstellen

• Klassisch: 1-2 Plätze zur mittel- bis langfristigen Unterbringung (familienerset-

zend)

• Kinderschutzstellen: Krisen-/Clearingunterbringung (vorübergehender Schutz

und Perspektivklärung)

• Erziehungsstelle mit 3-4 oder mehr Plätzen mit innewohnenden pädagogi-

schen Fachkräften1

(Diese Angebote unterscheiden sich durch die Betreuungsintensität.)

1 Die Berliner Rahmenleistungsvereinbarung bezeichnet auch Erziehungswohngruppen mit 5-6 Plätzen mit dauerhaft oder alternierend innewohnenden päd. Fachkräften als „familienanalog“. Wir von NHW e.V. haben uns entschieden, dies mit Blick auf die speziellen Versorgungsbedürfnisse gerade der kleinen Kinder (unter 6 Jahren) nicht zu tun, weil solche Einrichtungen durch den erforderlichen Wechselschichtplan, häufige Belegungswechsel und zu viele Angehörige das Kriterium der Familiananalogie („Als-ob-Zuhause“) nach unserer Ansicht nicht erfüllen.

Page 51: Kleine Kinder in kritischen Lebenslagen –

Fachtagung „Kleine Kinder in kritischen Lebenslagen“

World Café 3 – Erziehungsstelle gut – alles gut? 50

2. Pflegestellen

• Vollzeitpflege mit + ohne erweiterten Betreuungsbedarf zur mittel- bis

langfristigen Unterbringung (familienersetzend)

• Befristete Vollzeitpflege mit + ohne erweiterten Betreuungsbedarf, z.T. noch

als bezirkliche Angebotsform (z.B. bei vorhersehbarem und vorübergehendem

Ausfall der Eltern etwa durch Krankenbehandlung o.ä.)

• neue Angebotsform: Krisenpflege (vorübergehender Schutz und

Perspektivklärung), Ausgestaltung siehe in diesem Reader

Gemeinsamkeiten 2

• Privatheit und Intimität

• Alltagsleben als Prinzip und Lernmilieu

• konstante Familiengruppe

• zumeist langfristige Perspektive

• Erwartungsdruck an die Kinder, sich in das bestehende Familienleben zu

integrieren

Unterschiede

Erziehungsstelle 1-2 Plätze Pflegestelle 1 – 2 Kinder

rechtl. Grundlage: § 34 SGB VIII mit

Fachkräftegebot

rechtl. Grundlage: § 33 SGB VIII ohne

Fachkräftegebot

institutionelles Arrangement (u.a. Arbeits-

verhältnis mit Weisungsrecht des AG)

Pflegeverhältnis/Pflegevertrag

berufliches Selbstverständnis der

Erziehungsstellen-Eltern

persönlich motiviertes Zusammenleben

mit Kind(ern)

größere Distanz zum Kind größere Nähe zum Kind

geringerer Erwartungsdruck an das Kind höherer Erwartungsdruck an das Kind

bewußte Gestaltung eines „Erziehungs-

milieus“ inkl. umfangreicher Unterstüt-

zungsmöglichkeiten für die päd. Fach-

Orientierung an Normalität des familiären

Lebens

2 Nach: „Neues Manifest zur Pflegekinderhilfe“, Hrsg. Kompetenzzentrum Pflegekinder e.V. + IGfH, 2010, Seite 37

Page 52: Kleine Kinder in kritischen Lebenslagen –

Fachtagung „Kleine Kinder in kritischen Lebenslagen“

World Café 3 – Erziehungsstelle gut – alles gut? 51

kräfte

große Offenheit für Elternkontakte und

ggf.

Rückführung

begrenzte Offenheit für Elternkontakte,

dadurch erschwerte Rückführungsoption

im Vergleich höheres Entgelt im Vergleich niedrigeres Entgelt

Die World-Café-DiskutantInnen interessierten sich für Fragen wie:

Welche Personen sind für welche Formen geeignet? Für welche Kin-

der/Problemstellung ist welches Angebot geeignet? Welche Formen der Qualifizie-

rung und Qualitätssicherung sind erforderlich ? Etc...

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Fachtagung „Kleine Kinder in kritischen Lebenslagen“

World Café 4 – Erziehungspartnerschaften: Wie aus hilflosen Eltern hilfreiche Eltern werden 52

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Fachtagung „Kleine Kinder in kritischen Lebenslagen“

World Café 4 – Erziehungspartnerschaften: Wie aus hilflosen Eltern hilfreiche Eltern werden 53

Birgit Zuther (VJB Zehlendorf e.V., Berlin) pädagogische Koordinatorin/Familienberaterin [email protected]

World Café 4 – Erziehungspartnerschaften – Wie aus hilflosen Eltern hilfreiche Eltern werden können

Familiengruppenarbeit – Anforderungen und neue Wege in der Elternarbeit (in der stationären Jugendhilfe)

Ausgangssituation und Grundannahmen

• Ein von seiner Familie getrennt lebendes Kind fühlt sich trotz der (erzwunge-

nen) Trennung vor allem als Mitglied seiner Herkunftsfamilie. Es lebt in einem

Loyalitätskonflikt zwischen dem System, in dem es de facto lebt, der Wohn-

gruppe, in das sich einzuleben als gefährlich empfunden werden kann, weil es

die Auflösung der Bindung zur Herkunftsfamilie manifestieren könnte, und

dem Herkunftssystem.

• Störungen der Emotionen und des Sozialverhaltens bei Kindern haben meis-

tens ihre Ursache in intrafamiliären Konflikt- und Problemsituationen. Warum

nicht innerfamiliär?

• Beziehungs- bzw. Bindungsmuster wirken über Generationen.

• Die Entwicklungsverläufe bei fremd platzierten Kindern verlaufen in der Regel

positiv und stabiler, wenn es gelingt eine vertrauensvolle Kooperation mit den

Eltern aufzubauen und diese weitestgehend in die Erziehungsverantwortung

einzubeziehen.

• Eltern, deren Kinder fremd untergebracht sind, erleben sich häufig hilflos und

inkompetent, sie verlieren mit der Fremdunterbringung ihres Kindes in sehr

kurzer Zeit (1/2 Jahr) den Alltagsbezug zu ihrem Kind, genannt Parentektomie

- „verwaiste Eltern“.

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Fachtagung „Kleine Kinder in kritischen Lebenslagen“

World Café 4 – Erziehungspartnerschaften: Wie aus hilflosen Eltern hilfreiche Eltern werden 54

• Die Familien sind meistens, oft auch schon über Generationen, multiplen Be-

lastungs- und Benachteiligungsfaktoren ausgesetzt. Sie haben Zweifel an ih-

rer Selbstwirksamkeit und sehen für sich oft keine Veränderungsmöglichkei-

ten.

• Mehrfachbelastete Eltern sind in der Regel nicht in der Lage, den Zusammen-

hang zwischen psychosozialen Belastungs-Faktoren (Familie/Schule usw.),

eigenem Verhalten und Symptomen beim Kind zu erkennen, entsprechende

Handlungsschritte alleine abzuleiten und umzusetzen.

• Eltern/Familien bleiben oft skeptisch gegenüber den Helfersystemen und kön-

nen die regulären Hilfe- und Beratungsangebote häufig nicht annehmen.

• Die Übertragung von den Verhaltens- und Entwicklungsfortschritten des Kin-

des in die häusliche Umgebung gelingt häufig nicht (nachhaltig), wenn die El-

tern-Kind-Interaktion nicht ausreichend bearbeitet werden konnte.

• Eltern fühlen sich häufig hilf- und machtlos (Versager) ihrem Kind gegenüber,

während in der Wohngruppe scheinbar alles klappt.

• Eltern wünschen und benötigen eine praxisnahe und handlungsorientierte

Anleitung/Begleitung in der problematischen Eltern-Kind-Interaktion.

Grenzen und Nachteile der klassischen Hilfen

• Mit der Fremdunterbringung konzentrieren sich die Hilfen zur Erziehung im

Wesentlichen auf die Förderung des untergebrachten Kindes. Weitere be-

darfsgerechte und geeignete Hilfen, welche die Eltern parallel zur Unterbrin-

gung befähigen (Erziehungskompetenzen) bzw. welche auf die Verbesserung

der Beziehungsqualität zu ihren Kindern abzielen, werden bisher kaum ange-

boten und finanziert.

• Die Tatsache, dass oftmals noch andere Geschwisterkinder zu Hause leben

und die intrafamiliären Probleme durch eine Herausnahme des „Problemkin-

des“ in keiner Weise gelöst sind, findet kaum Berücksichtigung, zumal davon

auszugehen ist, dass sich diese häusliche Problematik in kurzer Zeit auf an-

dere Weise Ausdruck verschafft.

• Kommt es dennoch vor, dass weitere Hilfen in der Familie installiert sind, ist

die notwendige enge Vernetzung dieser Hilfen in der Regel nicht gegeben. In

Page 56: Kleine Kinder in kritischen Lebenslagen –

Fachtagung „Kleine Kinder in kritischen Lebenslagen“

World Café 4 – Erziehungspartnerschaften: Wie aus hilflosen Eltern hilfreiche Eltern werden 55

manchen Familien werden so über die Jahre unzählige Hilfen und Helfersys-

teme eingesetzt, die kaum in einer gemeinsamen Hilfeplanung (Kita, Thera-

peut, Familienhilfe, Schule, Einzelfallhelfer, Tagesgruppe, Heim, Klinik usw.)

unter der Beteiligung der Eltern überprüft und abgestimmt wurden, und wo-

durch eine bedarfsgerechte und ressourcenorientierte enge Verzahnung von

gemeindenaher psychosozialer Versorgung, ambulanter und stationärer Hilfen

nicht erfolgt. In diesen Fällen kann der Eindruck entstehen, dass die Hilfen die

Familien zusätzlich hilfloser machen und die Erziehungsverantwortung zu-

nehmend an Experten delegiert oder von diesen übernommen wurde.

• Eine gezielte Elternförderung im Sinne von Befähigung und Förderung der

Erziehungsverantwortung, welche auf den Bedarf und die Zugangsmöglich-

keiten der Familie abgestimmt ist, ist kaum vorhanden oder ist während der

Fremdunterbringung nicht vorgesehen.

Nimmt man den Wortlaut „Hilfen zur Erziehung“ als Auftrag ernst, ist ein Umdenken

in der Hilfestruktur unumgänglich. Wie auch im 13. Kinder- und Jugendbericht1 ge-

fordert, bedarf es Förderprogramme, die sich stärker an den Bedürfnissen und

Handlungsmöglichkeiten von Heranwachsenden und deren Familien ausrichten und

einen Lebenswelt- und Kontextbezug herstellen. Auch im Hinblick auf die zu Recht

geforderte Wirkungsorientierung und den Rückführungsauftrag in den Hilfen zur Er-

ziehung ist eine stärkere Fokussierung auf kompetenzstärkende Hilfen auch beson-

ders für Eltern von fremd untergebrachten Kindern unerlässlich.

Folgt man dieser Erkenntnis, bedarf es bei der Entwicklung geeigneter Hilfe- und

Fördermaßnahmen eines grundlegenden Umdenkens in der Struktur der Hilfen und

auch im Rollenverständnis der Helfer. So lange die traditionelle Berater- und Erzie-

herrolle eher geprägt ist von Expertentum („Ich sage dir wie es geht, ich bin der bes-

sere Erzieher für dein Kind.“) bzw. Betreuer sich (verständlicher Weise) eher in der

Rolle der „Ersatzeltern“ (bessere Eltern) sehen, fördert diese Haltung „die Konkur-

renz um das Kind“ und damit in der Folge auch die Hilflosigkeit der Eltern. Diese

Haltung fördert in gewisser Weise die Auf- bzw. Abgabe der elterlichen Erziehungs-

verantwortung2. Folgt man jedoch dem Grundsatz, dass die Verantwortung stets bei

1 13. Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung 2009. 2 siehe auch: Cecchin/Conen: „Wenn Eltern aufgeben“, Carl-Auer-Verlag 2008.

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Fachtagung „Kleine Kinder in kritischen Lebenslagen“

World Café 4 – Erziehungspartnerschaften: Wie aus hilflosen Eltern hilfreiche Eltern werden 56

den Eltern bleibt, auch wenn die Helfer es besser wüssten, erfordert dies von uns

einen entscheidenden Haltungs- und Rollenwechsel: vom Expertenberater/-erzieher

zum Unterstützer der tatsächlichen Eltern. Dies ist auch schon deshalb erforderlich,

da Eltern häufig – verstärkt durch die heutige allgemeine Konsumhaltung – von der

Einrichtung, dem Helfer eine solche Service-Leistung erwarten oder sich wünschen.

Den Eltern die Verantwortung abzunehmen bedeutet aber, mit ihnen potenziell eine

Konkurrenz einzugehen, sie als Eltern zu entwerten, elterliche Resignation zu ver-

stärken und damit möglicherweise tradierte und generationsübergreifende

Beziehungs- und Erziehungsdefizite aufrecht zu erhalten.

Ein solcher Paradigmenwechsel, von einer kindzentrierten zu einer familienzentrier-

ten Betreuung, ist aber nicht nur für uns Helfer eine Herausforderung, sondern auch

deshalb schwierig, weil für Eltern die (zeitweilige) Unterbringung in einer Wohn-

gruppe zunächst eine Entlastung und sehr eng mit dem Wunsch auf eine „Behand-

lung“ ihres Kindes verknüpft ist oder ihnen wenigstens eine „Super-Nanny“ zeigen

soll, wie es besser geht.

Betrachtet man dann noch die Aspekte des wirkungsorientierten Lernens, d. h. wie

werden Eltern tatsächlich befähigt und können diese das dann auch im Alltag umset-

zen, dann muss sich unsere Arbeit stärker an Konzepten orientieren, die auf das

Erleben und Erfahren am Handlungs- und Erfolgsmodell beruhen. Erkenntnisse und

Ratschläge führen in der Regel nicht zwangsläufig dazu, dass Menschen auch ihr

Verhalten entsprechend verändern können. Hierzu bedarf es der Hilfestellung in der

konkreten Situation, des Experimentierens und des Wahrnehmens, Anerkennens von

Fortschritten, Ressourcen und Erfolgen.

Wollen wir hilfreiche Konzepte entwickeln, die auf die Stärkung der Erziehungsver-

antwortung und –kompetenzen der Eltern ausgerichtet sind und dadurch die Eltern-

Kind-Beziehungen nachhaltig verbessern, bietet die Arbeit mit Familiengruppen

hierfür einen sehr gutes Setting und einen bedarfsgerechten Lernkontext. In einer

Gruppe lassen sich problematische Verhaltensweisen und Symptomatiken einer Fa-

milie differenzierter bearbeiten. Die Familiengruppenarbeit nutzt die Erkenntnis, dass

Mitglieder aus anderen Familien neue und andere Perspektiven entwickeln können,

vor allem, wenn sie mit ähnlichen Schwierigkeiten zu kämpfen haben. Da Menschen

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Fachtagung „Kleine Kinder in kritischen Lebenslagen“

World Café 4 – Erziehungspartnerschaften: Wie aus hilflosen Eltern hilfreiche Eltern werden 57

in Konfliktsituationen eher dazu neigen, eine eingeschränkte Sichtweise zu haben,

aber gleichzeitig über eine sehr hohe Sensitivität für ähnliche Probleme bei anderen

verfügen, kann diese Fähigkeit für den Reflexionsprozess und die Entwicklung von

neuen Perspektiven genutzt werden.

Effekte und Vorteile der Familiengruppenarbeit 3

• Förderung der Solidarität: „ Wir sitzen alle im gleichen Boot.“

• Stigmatisierung und schambedingte Isolation überwinden: „Wir sind ja nicht

die Einzigen.“

• Anregungen zu neuen Sichtweisen und Perspektiven: „Ich sehe sehr genau

bei dem anderen Dinge, für die ich bei mir selbst blind bin.“

• voneinander lernen: „ Wie die anderen das machen, find ich gut.“

• sich in anderen „gespiegelt“ sehen: „Wir sind wie ihr.“

• positive Nutzung des Gruppendrucks: „Ich kann hier nicht kneifen.“

• gegenseitige Unterstützung und Rückmeldung: „Toll, wie ihr das macht – und

wie seht ihr uns?!“

• Kompetenzen entdecken/erweitern: „Ich kann doch mehr als ich dachte, ich

bin doch gar nicht so hilflos.“

• mit „Pflegefamilien“ und Surrogaten experimentieren: „Ich kann mit anderen

Kindern ganz gut – und wie deine Eltern mit meinem Kind umgehen, ist

klasse.“

• Erleben intensivieren: „Hier brodelt es, es tut sich was.“

• Hoffnung wecken: „Licht am Ende des Tunnels, auch für uns.“

• neue Verhaltens-/Erziehungsmuster im „Schonraum“ üben: „Ich kann hier was

ausprobieren, auch wenn es mal schief geht.“

• Selbstreflexion stärken: „Ich sehe mich hier genauer und anders.“

3 Eia Asen, Michael Scholz: Praxis der Multifamilientherapie, Carl-Auer-Verlag 2009, Seite 16.

Page 59: Kleine Kinder in kritischen Lebenslagen –

Fachtagung „Kleine Kinder in kritischen Lebenslagen“

World Café 4 – Erziehungspartnerschaften: Wie aus hilflosen Eltern hilfreiche Eltern werden 58

• Offenheit durch „öffentlichen“ Austausch schaffen: „Niemand verteufelt mich,

ich kann mich öffnen.“

Damit vereint die Familiengruppenarbeit die Vorteile einer Einzelfamilientherapie/-

beratung mit den Besonderheiten einer Gruppentherapie/-beratung. Die Einsatzmög-

lichkeiten dieses Ansatzes sind vielfältig und können als ambulante mehrstündige

Programmeinheit, tageweise oder in Wochen(end)blöcken sowie (teil)stationär

durchgeführt werden. Dieses Setting basiert auf Inhalten der systemischen Interakti-

onsarbeit und kombiniert diese mit anderen traditionellen Therapieformen und deren

Methoden. Multifamilienarbeit ist eine Herausforderung, nicht nur für die Familien,

sondern auch für die Mitarbeiter und erfordert sehr hohes Engagement. Die Vorteile

und die positiven Effekte sind jedoch so überzeugend und der Wirkungsgrad her-

kömmlicher Beratungssettings oder anderer Förderprogramme so unbefriedigend,

dass es an der Zeit ist, umzudenken und dieses Konzept auch in den Bereich der

stationären Jugendhilfe zu übertragen.

Im Mai dieses Jahres haben wir daher mit einem Familienprogramm nach dem FuN4-

Konzept gestartet, an dem 7 Familien freiwillig aus unterschiedlichen stationären

Hilfen begeistert teilnehmen.

Familienprogramm

• 8 Termine mit 8 Familien à 3 Zeitstunden im 14-tägigen Rhythmus

• verschiedene kurze angeleitete Kooperations- und

Kommunikationsspielsituationen (an separaten Familientischen), welche von

den Teamern direkt in der Aktionsphase gecoacht werden

• gemeinsames Essen, welches jeweils eine Familie für die Gruppe zubereitet

• Elternzeit – Kinderzeit : Eltern-Austausch, während die Kinder separat betreut

werden

• Gruppenspiele (alle) und Rituale

4 FuN Familien und Nachbarschaft: praepaed Institut für präventive Pädagogik. www.praepaed.de

Page 60: Kleine Kinder in kritischen Lebenslagen –

Fachtagung „Kleine Kinder in kritischen Lebenslagen“

World Café 4 – Erziehungspartnerschaften: Wie aus hilflosen Eltern hilfreiche Eltern werden 59

Konzept-Ziele:

• Eltern werden angeleitet mit ihren Kindern aktiv und kindgerecht Zeit zu

gestalten (Entfremdung durch fehlendes Alltagserleben bei Fremdunterbrin-

gung).

• Elternkompetenz fördern: Eltern werden als Erziehungspersonen wertschät-

zend anerkannt, gefördert und gestützt. Durch die gemeinsamen Aktivitäten

erleben die Familien ein positives Familienklima und eine Stärkung ihres Fa-

milienzusammenhalts.

• Eltern und Kinder stärken: Die Eltern-Kind-Interaktion wird durch Spiele und

Übungen angeregt – konstruktive Kommunikation und Konfliktbearbeitung

werden eingeübt; Ressourcen zur Erziehung werden aktiviert.

• soziale Beziehungen festigen: Der Kontakt und das Vertrauen zu den

Mitarbeitern wächst, Eltern können sich untereinander (Peergroup) kennenler-

nen und austauschen – neue Kontakte aufbauen und Isolation überwinden.

• Kooperation fördern und Erziehungspartnerschaft entwickeln: innerfamiliäre

Kooperation, Lernfeld in einem positiven Grundklima, in dem unterschiedliche

Bedürfnisse ausgehandelt werden können; Förderung der Zusammenarbeit

zwischen Einrichtung und Eltern, Abbau von Konkurrenzgefühlen, Entwicklung

einer produktiven Zusammenarbeit

Kompetenzbereiche:

• Familienzusammenhalt fördern: Eltern werden gestärkt Erziehungsverantwor-

tung zu übernehmen – klare Grenzen und Rollen; Eltern und Kinder erleben

gemeinsam Spaß, Eltern nehmen sich Zeit für ihre Kinder, sie machen neue

Erfahrungen miteinander.

• Selbstachtung und Achtung anderer: eigene Stärken und Schwierigkeiten ken-

nen, sich selbst wertschätzen, Unterschiedlichkeiten wahrnehmen, die ande-

ren achten und anerkennen – besondere Bedeutung im Hinblick auf geringes

Selbstwertgefühl mit häufigen Gefühlen wie Wertlosigkeit, Schuld und Scham

• Selbst- und Fremdwahrnehmung: eigene Gefühle, Bedürfnisse und Interessen

wahrnehmen, eigenes Verhalten einordnen und verstehen lernen, die Gedan-

ken und Standpunkte der anderen verstehen, Gefühle der anderen wahrneh-

men und respektieren

Page 61: Kleine Kinder in kritischen Lebenslagen –

Fachtagung „Kleine Kinder in kritischen Lebenslagen“

World Café 4 – Erziehungspartnerschaften: Wie aus hilflosen Eltern hilfreiche Eltern werden 60

• Kommunikation und Kontakt: anderen zuhören und Verständnisbereitschaft

mitbringen, eigene Interessen und Wünsche formulieren, auf andere zugehen

und Interesse an Kontakt zeigen, einvernehmliche Lösungen finden

• Kooperation und Vernetzung: gemeinsame Ziele formulieren und verfolgen,

Formen der Selbstorganisation erproben

Die hohe Bereitschaft der Eltern, an diesem Programm mitzumachen und sich auf

die Gruppensituation einzulassen, war überraschend für uns. Nach fünf Terminen

sind wir sicher, dass das Programm hervorragend geeignet ist, Eltern in ihrer Erzie-

hungsfähigkeit zu unterstützen, ihnen handlungsorientierte Interaktionshilfen und –

kompetenzen zu vermitteln, sie in ihrer Elternrolle zu stärken und ihnen neue nach-

haltige Erfahrungen und Perspektiven auch im Kontakt miteinander zu ermöglichen.

Inzwischen wurde das Konzept in vielen Gremien vorgestellt und stößt auf großes

Interesse auch bei anderen Trägern und Jugendämtern, so dass eine Kooperations-

und Arbeitsgruppe demnächst ins Leben gerufen wird. Wir sind derzeit bemüht, eine

Finanzierung für dieses sehr personalintensive Programm zu erreichen, und arbeiten

an modifizierten Konzepten für weitere Einsatzmöglichkeiten, wie z.B. Clearing,

Rückführung, ambulante Hilfen, und hoffen, damit einen wichtigen Beitrag für die

dringend notwendige Erweiterung bzw. Neugestaltung der „Elternarbeit“ in den Hilfen

zur Erziehung (stationärer Kontext und präventive Angebote) für Familien leisten zu

können. Ein bedarfsorientiertes Hilfeprogramm entsteht, das insbesondere auf Eltern

zugeschnitten ist, die in der Regel mit bildungsorientierten Programmen und klassi-

schen Beratungssettings nicht (ausreichend) erreicht werden können. Auch wenn der

Wirkungsnachweis noch nicht wissenschaftlich erbracht ist, gibt es bereits sehr viele

erfolgreiche Projekte und Erfahrungen, die für den weiteren Ausbau der Familien-

gruppenarbeit als reguläres und finanziertes Angebot in der Jugendhilfe sprechen.

Die Aussicht, durch dieses Angebot hilflosen Eltern die Möglichkeit zu verschaffen

hilfreiche Eltern zu werden, dürfte auch in einer angespannten Haushaltslage ein

wesentlicher Aspekt sein, da hier eine reelle Chance besteht Jugendhilfekarrieren zu

beenden, zu verkürzen oder zumindest stabile und gelingende Kooperationen (El-

tern-HzE) zu erzielen.

Page 62: Kleine Kinder in kritischen Lebenslagen –

Fachtagung „Kleine Kinder in kritischen Lebenslagen“

World Café 5 – Familienrat – auch ein Weg für die Kindertagesstätte? 61

Page 63: Kleine Kinder in kritischen Lebenslagen –

Fachtagung „Kleine Kinder in kritischen Lebenslagen“

World Café 5 – Familienrat – auch ein Weg für die Kindertagesstätte? 62

Frieder Moritz (JaKuS gGmbH) Geschäftsführer JaKuS e.V. Bülowstr. 52, 10783 Berlin Tel: 030 217 501 68, Fax: 030 217 501 67, Mobil: 0177 333 04 62 Mail: [email protected], Site: www.jakus.org

World Café 5 – Familienrat

Eingangspräsentation

„Die Menschen stärken, die Sachen klären.“

Mit diesen sechs Worten hat Hartmut von Hentig einst seine pädagogische Grund-

haltung umrissen. Sie passen hervorragend für das Verfahren Familienrat, das Insti-

tutionen wie Jugendamt und Schule, aber vielleicht auch der Kita radikal neue Mög-

lichkeiten bietet, problematische Situationen zu thematisieren und Familien eigene

Lösungen finden zu lassen.

Ich möchte Sie neugierig machen und an meinen Tisch einladen, um nähere Infor-

mationen zu erhalten und Fragen an uns zu richten.“

Notizen vom World-Café-Tisch

Das Verfahren „Familienrat“ wurde jeweils sehr kurz erläutert, dann wurden Fragen

gestellt und beantwortet. Als erfahrene Praktiker saßen mit am Tisch:

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Fachtagung „Kleine Kinder in kritischen Lebenslagen“

World Café 5 – Familienrat – auch ein Weg für die Kindertagesstätte? 63

Frau Kubischk-Piesk, Jugendamt Mitte, RSD

Herr Arne Nowak, JaKuS e.V., Koordinator

Folgende Fragen/Stichworte wurden geliefert:

• mehr Information gewünscht

• Sind Sie als Jugendamt mit den Lösungsvorschlägen der Familien einverstan-den?

• Ist das Verfahren für Familien mit Migrationshintergrund geeignet?

• Spielt die Schamgrenze der Familien eine Rolle? Welche?

• Wie geht Familienrat in einer Kita? Personell, Themen, Voraussetzungen, Vorgehensweise, Finanzen?

• Welches Klientel ist geeignet, welche Themen sind geeignet?

• Wann soll ein Familienrat stattfinden – auch während einer Hilfe?

• Wie steht es mit der Wirksamkeit des Familienrats?

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Fachtagung „Kleine Kinder in kritischen Lebenslagen“

World Café 5 – Familienrat – auch ein Weg für die Kindertagesstätte? 64

Familienräte – Family Group Conferences in Berlin

Einführung

Familienräte werden derzeit an mehreren Orten in der Bundesrepublik erprobt

und erforscht. Ursprünglich wurde die Methode in Neuseeland entwickelt und

bezogen auf Europa zuerst in den Niederlanden, später auch in Nordirland und

weiteren Ländern auf breiterer Ebene eingesetzt. In Deutschland werden die

europäischen und innerdeutschen Erfahrungen mit Familienratsarbeit auf ei-

nem jährlichen Vernetzungstreffen zusammengetragen.

Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Theorie und Praxis von Ver-

wandtschaftsräten wird in Deutschland vor allem von Früchtel/Budde/Cyprian

getragen, von denen auch wesentliche Veröffentlichungen zum Thema stam-

men (Sozialer Raum und soziale Arbeit, Fieldbook, VS Verlag, Wiesbaden

2007.).

Im Kern handelt es sich bei Familienräten um eine radikale Form der Beteili-

gung der Betroffenen und ihres Umfelds. Der Bruch mit den tradierten Rollen

im Jugendhilfesystem wird am deutlichsten dadurch sichtbar, dass in der

zentralen „Familienphase“ die Profis außen vor bleiben. Der Bruch mit den tra-

dierten Rollen hat in den Niederlanden zu der Einschätzung geführt, die Koor-

dination der Familienräte in die Hände von gut qualifizierten „Laien“ mit ande-

ren beruflichen Hintergründen zu legen.

Das Verfahren des Familienrates

Der Familienrat/Family Group Conference ist ein Verfahren, das direkt am Wil-

len der Familie ansetzt und in ihren Ressourcen und Kompetenzen unter Ein-

beziehung ihres Netzwerks das zentrale Potential für die Erarbeitung von Lö-

sungen sieht. Professionelle Helfer unterstützen die Familiengruppe durch In-

formationen, Moderation und bei der Umsetzung des von der Familiengruppe

entwickelten Planes.

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Fachtagung „Kleine Kinder in kritischen Lebenslagen“

World Café 5 – Familienrat – auch ein Weg für die Kindertagesstätte? 65

Die Durchführung von Verwandtschaftsräten erfordert von allen beteiligten

Fachkräften unter Umständen ein hohes Maß an Flexibilität und Zeitaufwand.

Arbeitseinsätze jenseits gewohnter Arbeitszeiten, ungewohnte Besprechungs-

kontexte werfen Fragen nach zeitlichen und finanziellen Ressourcen auf. Diese

gilt es im Rahmen des Projekts aufzugreifen und die Machbarkeit in den beste-

henden Strukturen zu prüfen.

Durchführung des Familienrats/Family Group Conference

Vorbereitung

Die fallführende Fachkraft des RSD bittet nach Zustimmung der Familie den/die

KoordinatorIn den Familienrat vorzubereiten und durchzuführen.

Er/sie nimmt Kontakt mit der Familie auf,

• informiert sie darüber, was dem Sozialarbeiter/der Sozialarbeiterin des

RSD in Bezug auf die familiäre Situation Sorge bereitet, und stimmt mit

der Familie die Fragestellung ab,

• informiert sie über ihre Rechte und mögliche Ausgänge der Fallbearbei-

tung,

• erklärt die Prinzipien und den Prozess des Familienrats,

• mobilisiert zusammen mit der Familie das Netzwerk,

• bespricht mit allen Beteiligten den Familienrat vor,

• organisiert die Zeit, den Ort und den Ablauf des Familienrats so, dass

die Rahmenbedingungen die Problemlösungskultur der Familie best-

möglich unterstützen.

Eröffnung

Begrüßung aller Teilnehmenden durch den Koordinator/die Koordinatorin, ggf.

nach Wunsch der Familie Beginn mit einem Familienritual.

Vorstellung der Verfahrensregeln und der Rollen der teilnehmenden Personen.

Die Verfahrensregeln lauten:

• Konzentration auf die Zukunft der Kinder/Jugendlichen

• Akzeptanz unterschiedlicher Meinungen, aber keine Schuldzuweisungen

und Vorwürfe

Page 67: Kleine Kinder in kritischen Lebenslagen –

Fachtagung „Kleine Kinder in kritischen Lebenslagen“

World Café 5 – Familienrat – auch ein Weg für die Kindertagesstätte? 66

• respektvolles Zuhören aller Beteiligten

• alles Gesagte unterliegt der Schweigepflicht (Ausnahmen sind die klar

beschriebene Verwendung des Protokolls, Drohungen gegen Anwe-

sende und Berichte über Gefährdungen von Kindern/Jugendlichen)

Der eigentliche Familienrat gliedert sich in folgende Phasen:

1. Phase: Informationsaustausch

Die fallführende Fachkraft des RSD benennt, auf welche formulierte Problem-

situation der Plan der Familiengruppe Antworten geben soll. Die bezogen auf

den konkreten Einzelfall eingeladenen professionellen Helfer/innen geben all-

gemeine Informationen über Unterstützungsangebote an die Teilnehmer/innen.

2. Phase: Exklusive Familienzeit

Die Familie bespricht ohne die Professionellen die Problemsituation und über-

legt einen Lösungsplan, der schriftlich festgehalten wird.

3. Phase: Kontrakt

Der/die Koordinator/in und die fallführende Fachkraft kommen wieder hinzu.

Die Familie stellt ihren Plan vor, der/die Sozialarbeiter/in prüft die vorgetragene

Lösung auf dem Hintergrund der formulierten Sorge. Je nach Fragestellung

werden die Beteiligten gebeten den Lösungsplan gegebenenfalls zu verfeinern

oder zu modifizieren. Schließlich wird der Kontrakt schriftlich festgehalten, da-

bei wird sehr viel Wert auf größtmögliche Konkretisierung gelegt. Außerdem

werden Vereinbarungen zur Evaluation und Folgetreffen festgelegt. Der/die

Koordinator/in moderiert diesen Prozess.

Erfahrungen mit Theorie und Praxis von Familienräten

JaKuS wurde erstmals im Mai 2006 auf dem 3. Fachpolitischen Diskurs zur So-

zialraumorientierung durch einen Vortrag von Frank Früchtel und Wolfgang

Budde auf „Family Group Conference“ aufmerksam und regte in der Folge eine

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Fachtagung „Kleine Kinder in kritischen Lebenslagen“

World Café 5 – Familienrat – auch ein Weg für die Kindertagesstätte? 67

interne Fortbildung zum Thema an.

Seit Januar 2008 nimmt JaKuS am Modellprojekt des Bezirks Mitte zur Einfüh-

rung von Verwandtschaftsräten teil. Seitdem wurde die Arbeit mit viel Elan

weitergetragen, fast alle Berliner Jugendämter denken inzwischen intensiv über

das Thema nach, viele haben mit der Umsetzung – dem Beispiel Mitte folgend

– mit der Arbeit begonnen. JaKuS hat mit vier Berliner Bezirken (Mitte, Neu-

kölln, Friedrichshain-Kreuzberg und Marzahn-Hellersdorf) Vereinbarungen zur

Durchführung abgeschlossen.

Bis heute hat JaKuS in vier Berliner Bezirken rund 70 Familienräte durchge-

führt.

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Fachtagung „Kleine Kinder in kritischen Lebenslagen“

World Café 6 – Krisenpflege – ein neues Konzept für Berlin 68

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Fachtagung „Kleine Kinder in kritischen Lebenslagen“

World Café 6 – Krisenpflege – ein neues Konzept für Berlin 69

Inka-Maria Ihmels (SenBWF) Bereich Vollzeitpflege, teilstationäre Familienpflege

World Café 6 – Krisenpflege in Berlin Seit Jahren gilt in der Berliner Jugendhilfe die Vorgabe, kleine Kinder (möglichst)

nicht in Schichtdienstgruppen unterzubringen, sondern in pädagogisch angemesse-

neren Angebotsformen wie Pflegefamilien oder Familiäre Bereitschaftsbetreuung, als

Alternative auch in familienanalogen Angeboten wie Kinderschutzstellen und Erzie-

hungsstellen. Es zeigte sich, dass Kleinkinder wieder verstärkt in Schichtdienstgrup-

pen untergebracht werden, da in Krisensituationen Pflegefamilien und familienana-

loge Angebote fehlen. Die Zunahme der Krisenunterbringungen von kleinen Kindern

wird besonders den Veränderungen im Rahmen des § 8a SGB VIII zugerechnet. Ein

größerer Bedarf an Unterbringungsmöglichkeiten in Pflegefamilien wurde von den

Jugendämtern vermutet und angezeigt.

Diese Situation war der Anlass, in Berlin „Fachliche Standards zur Unterbringung von

kleinen Kindern in Familienpflege – Krisenpflege“ zu entwickeln. Das Konzept zur

Krisenpflege bietet die sofortige Unterbringung eines Kindes in einer Krisensituation

bei einer geeigneten Pflegeperson im Sinne des § 42 SGB VIII (mit oder ohne Ein-

verständnis der Sorgeberechtigten). Auch die im Anschluss an eine Inobhutnahme

nach § 42 SGB VIII erforderliche sozialpädagogische Krisenintervention (gemäß § 27

in Verbindung mit § 33 SGB VIII) erfolgt im Rahmen dieser Angebotsform.

Die Krisenunterbringung in Folge der Inobhutnahme gemäß § 42 SGB VIII ist eine

vorläufige sozialpädagogische Schutzmaßnahme (ohne vorausgegangenes Hilfe-

planverfahren). Sie erfolgt durch hoheitliches Handeln des Jugendamtes. Mit der

Einleitung der Inobhutnahme regelt das Jugendamt die vorläufige Ausübung von

Funktionen der elterlichen Sorge und bestimmt den Aufenthalt des Kindes. Damit

einhergehend prüft es in der Regel gemeinsam mit den Personensorgeberechtigten

und nach Möglichkeit mit deren Einvernehmen das Gefährdungsrisiko des Kindes,

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Fachtagung „Kleine Kinder in kritischen Lebenslagen“

World Café 6 – Krisenpflege – ein neues Konzept für Berlin 70

das Problembewusstsein der Betroffenen und Lösungsmöglichkeiten für die Krisen-

situation.

Die Krisenpflege bietet einen familiären Rahmen, in dem die Pflegeperson auf die

spezifischen Bedürfnisse nach Schutz, Geborgenheit und individueller emotionaler

Zuwendung des Kindes angemessen und intensiv eingeht. Deshalb ist die Krisen-

pflege für Säuglinge und Kleinstkinder vorrangig geeignet.

Wirksame Krisenhilfe erfordert eine konstruktive und verbindliche Zusammenarbeit

zwischen der Pflegeperson, dem Regionalen Sozialpädagogischen Dienst (RSD) und

dem Pflegekinderdienst (PKD des Jugendamtes bzw. des beauftragten freien Trä-

gers). Insbesondere bei kleinen Kindern muss die fachliche Klärung und Entschei-

dung über die weitere Hilfe so zügig wie möglich erfolgen, um den Kindern baldmög-

lichst wieder einen festen, dauerhaften emotionalen Bezugsrahmen zu geben.

Aus der Erkenntnis heraus, dass es schwer ist, Pflegepersonen zu finden, die einer-

seits den Ansprüchen der Krisenpflege genügen und die sich andererseits auf diese

doch sehr anspruchsvolle Betreuung von kleinen Kindern einlassen, wurde ein Fi-

nanzierungsmodell entwickelt, welches einerseits einer Erzieherin finanziell ermögli-

chen soll, in die Krisenpflege einzusteigen. Andererseits haben die Kalkulationen er-

geben, dass die Unterbringung in einer Krisenpflegefamilie finanziell außerordentlich

günstiger ist als eine stationäre Unterbringung in Einrichtungen, abgesehen davon,

dass es für viele Kinder auch die pädagogisch bessere Betreuung bietet.

Sofern eine Pflegeperson im Rahmen der Krisenpflege tätig werden möchte, ist eine

spezielle Schulung zur Krisenpflege erforderlich. Dazu wurde ein Rahmenplan zum

Aufbaukurs Krisenpflege entwickelt. Der Aufbaukurs Krisenpflege wird, ebenso wie

die Pflegeelternschulung, vom Sozialpädagogischen Fortbildungsinstitut Berlin-Bran-

denburg durchgeführt. (Siehe auch „Fachliche Standards zur Unterbringung von klei-

nen Kindern in Familienpflege- Krisenpflege“)

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Fachtagung „Kleine Kinder in kritischen Lebenslagen“

World Café 6 – Krisenpflege – ein neues Konzept für Berlin 71

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Fachtagung „Kleine Kinder in kritischen Lebenslagen“

World Café 6 – Krisenpflege – ein neues Konzept für Berlin 72

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Fachtagung „Kleine Kinder in kritischen Lebenslagen“

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Fachtagung „Kleine Kinder in kritischen Lebenslagen“

World Café 6 – Krisenpflege – ein neues Konzept für Berlin 74

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Fachtagung „Kleine Kinder in kritischen Lebenslagen“

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Fachtagung „Kleine Kinder in kritischen Lebenslagen“

World Café 6 – Krisenpflege – ein neues Konzept für Berlin 76

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Fachtagung „Kleine Kinder in kritischen Lebenslagen“

World Café 7 – Familienintegration 77

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Fachtagung „Kleine Kinder in kritischen Lebenslagen“

World Café 7 – Familienintegration 78

Birgit Schmidt, Anette Sperling, Holger Rohlfs (Kinderhaus Berlin – Mark Brandenburg)

World Café 7 – Familienintegration

Die Idee der familienintegrativen Projekte Familienbande und Profil des Kinderhaus

Berlin – Mark Brandenburg e.V. besteht darin, intensiv mit der Familie als System zu

arbeiten, um sie als solche erhalten zu können. Unsere Erfahrungen in der Arbeit mit

Familien zeigen, dass diese nur erfolgreich sein kann, wenn neben der Bearbeitung

von Beziehungen der Familienmitglieder auch die komplexen Lebenssituationen mit-

bedacht werden. Daher ist es unser Anspruch, gemeinsam mit den durch uns be-

treuten Familien intensiv deren Problemlagen im innerfamiliären Feld zu bearbeiten

und sie gleichzeitig dafür zu sensibilisieren, sich der Herausforderung zu stellen, die

das Umfeld der Familie mit sich bringen kann.

Die Gruppen werden von je 5 ErzieherInnen begleitet. Eine Wirtschaftskraft umsorgt

die Kinder zusätzlich an 5 Tagen in der Woche. Im Rahmen der ergänzenden Leis-

tungen des familienintegrativen Projekts arbeitet je eine Sozialpädagogin im Team.

Nach Bedarf wird ein eng mit den Projekten kooperierender Psychologe in die Fallar-

beit eingebunden.

Unsere familienintegrativen Projekte richten sich in erster Linie an Fami-

lien/alleinerziehende Mütter und Väter und deren Kinder, die in ihrer aktuellen Le-

benssituation nicht gesichert zusammenleben können. Wir arbeiten gemeinsam mit

den Familien an der Stärkung des Systems der Familie mit dem Ziel, eine Rückkehr

zu einem gemeinsamen Familienleben im eigenen Haushalt zu ermöglichen. Die Er-

fahrung zeigt, dass auch Eltern, die sich im Zwangskontext (beispielsweise in Kin-

derschutzfällen) auf unser Projekt einlassen, unser konsequentes und wertschätzen-

des Beziehungsangebot annehmen können und bei gleichzeitiger konfrontativer Be-

ratung eine eigene Motivation und Zielsetzung für die Arbeit im familienintegrativen

Projekt entwickeln. Die Besonderheit unseres Angebotes ist, dass die Eltern gemein-

sam mit ihren Kindern in unsere Projekte einziehen dürfen. Die Eltern sind bei uns

Page 80: Kleine Kinder in kritischen Lebenslagen –

Fachtagung „Kleine Kinder in kritischen Lebenslagen“

World Café 7 – Familienintegration 79

Gäste und behalten daher Ansprüche auf Leistungen anderer Gesetzgebungen (z.B.

ALG II).

Im Rahmen des World Café der Fachtagung stellten Frau Schmidt, Teamleiterin Pro-

fil, Herr Rohlfs, Teamleiter Familienbande und Frau Sperling, Sozialpädagogin Fami-

lienbande den interessierten Kollegen unsere familienintegrative Arbeit in den jewei-

ligen Projekten vor. Wir stellten fest, dass diese Form der Hilfen zur Erziehung für

viele Teilnehmer recht neu ist und eine große Neugier vorhanden war, Näheres zu

erfahren.

Es gab eine Vielzahl von Fragen, die auch wiederholt in den wechselnden Runden

gestellt wurden, und aufgrund der zeitlichen Begrenzung sind sicher einige Fragen

offen geblieben. Viele Fragen beinhalteten den finanziellen Rahmen und die perso-

nelle Ausstattung der Projekte. Häufig wurde nach Kapazität, Hilfedauer, Erfolg und

Methodik gefragt. Eine häufige Frage war auch, ob es Ausschlusskriterien für die

Aufnahme in unsere Projekte gäbe. Das Eingehen auf diese Fragen nahm einen

großen Teil der zur Verfügung stehenden Zeit in Anspruch.

Eine Chance der familienintegrativen Arbeit, so die Teilnehmer, wäre, dass der Kon-

takt zwischen Eltern und Kindern intensiv gewährleistet wird und somit Bindungen

erhalten und intensiviert werden oder durch die Arbeit auch entstehen können. Es

würde eine Entwicklung von Eltern und Kindern am selben Ort vollzogen werden

können und Familien könnten auf gemeinsame Bezüge und Erlebnisse zurückgrei-

fen. Die Möglichkeit für Eltern und Kinder im Alltag am Modell lernen zu können

wurde als förderlich hervorgehoben. Aufgrund des Schichtdienstsystems ist es in un-

serem Projekt möglich, von Beginn an eng mit den Familien in Kontakt zu treten und

eine Beziehung zu den betreuten Personen aufbauen können, die allgemein sehr

schnell eine enge Zusammenarbeit während des Hilfeprozesses ermöglicht. Das

Kennenlernen der Familien untereinander im Projekt eröffnet ihnen zudem ein Lern-

feld und die Möglichkeit, neue soziale Kontakte zu knüpfen und sich auszutauschen.

Dass die Eltern im Projekt Gäste sind und daher weiterhin autonom für sich sorgen

müssen, wird als gute Möglichkeit angesehen, sie in der Eigenverantwortung zu be-

lassen. Dennoch werden sie bei Bedarf unterstützt, den Kontakt mit Ämtern und Be-

hörden sicherer zu gestalten. Steht die Rückführung der Kinder in den Haushalt der

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Fachtagung „Kleine Kinder in kritischen Lebenslagen“

World Café 7 – Familienintegration 80

Eltern an, wird ein sensibler Übergang geschaffen (z.B. längere Beurlaubungen,

kennenlernen der Familienhilfe).

Für Familien, die schon viele Säulen der Jugendhilfelandschaft erlebt haben, ohne

dass Erfolge erzielt werden konnten, hält eine Teilnehmerin die Familienintegration

nicht für sinnvoll.

Des Weiteren brachte ein Teilnehmer die Frage ein, ob der Kinderschutz im Projekt

gewährt werden kann, wenn die Eltern gemeinsam mit ihren Kindern im gleichen

Zimmer wohnen würden. Wird im Hilfeverlauf deutlich, dass trotz des engen Betreu-

ungsrahmens in unserem Projekt der Schutz des Kindes nicht gewährleistet werden

kann, stoßen wir an unsere Grenzen und es wird mit Jugendamt und Familie nach

anderen Perspektiven gesucht.

Konsens aller Teilnehmer war, dass Familienintegration eine geeignete Alternative

zu anderen stationären Hilfeformen für kleine Kinder darstellt. Es gibt, so die Teil-

nehmer einvernehmlich, einen großen und steigenden Bedarf an familienintegrativen

Projekten. Die Erfahrung vieler Teilnehmer (u. a. aus dem ambulanten Bereich) zeigt,

dass die Kapazität dieser Angebote bisher noch viel zu gering ist.

Wir empfanden den kollegialen Austausch im Rahmen des World Café als sehr an-

regend und interessant. Aufgrund der zeitlichen Begrenzung konnte die Diskussion

jedoch nur angeregt werden. Uns wurde deutlich, wie wichtig es ist, mit interessierten

Fachkollegen in Austausch zu treten.

Mit freundlichen Grüßen

Birgit Schmidt Holger Rohlfs Annett Sperling

Profil Familienbande Familienbande

Page 82: Kleine Kinder in kritischen Lebenslagen –

Fachtagung „Kleine Kinder in kritischen Lebenslagen“

World Café 8 – Aufsuchende Elternhilfe 81

Page 83: Kleine Kinder in kritischen Lebenslagen –

Fachtagung „Kleine Kinder in kritischen Lebenslagen“

World Café 8 – Aufsuchende Elternhilfe 82

Ingo Siegert (Geschäftsführer IBEF e.V.) Kontakt Aufsuchende Elternhilfe: www.ibefev.com Kontakt IBEF e. V. www.ibefev.de

World Café 8 – Aufsuchende Elternhilfe

KundInnen der Aufsuchenden Elternhilfe (formale Aufnahmekriterien)

Erstgebärende/Ersteltern (erstes Kind) oder Mütter/Eltern, die Kinder haben, die nicht

bei Ihnen leben

Grund: Mütter/Eltern, die Kinder haben, haben Anspruch auf Hilfe zur Erziehung. In

den Genuss der Aufsuchenden Elternhilfe sollen aber diejenigen kommen, die keinen

Anspruch auf Hilfe zur Erziehung haben. Das sind Erwachsene ohne Kinder

(Schwangerschaft zählt nicht) oder mit Kindern, die nicht bei den Eltern leben und für

die die Eltern kein Sorgerecht haben.

Ausnahme: Minderjährige können auch aufgenommen werden.

(Typische) KundInnen der Aufsuchenden Elternhilfe nach Risikofaktoren

• unerwünschte Schwangerschaft

• sehr junge Mütter/Teenager < 20 Jahren

• alleinstehende Mütter ohne familiäre und soziale Anbindung/unklare Vater-

schaft

• Spätgebärende

• Familien/Mütter mit Migrationshintergrund/mit ungesichertem Aufenthalt

• Familien, welche die ersten Erfahrungen mit einem Kind nicht integriert haben

• kinderreiche Familien

Page 84: Kleine Kinder in kritischen Lebenslagen –

Fachtagung „Kleine Kinder in kritischen Lebenslagen“

World Café 8 – Aufsuchende Elternhilfe 83

• Mehrlingsschwangerschaften/-geburten

• niedriges Bildungsniveau/fehlender Schulabschluss

• Leben in sozialen Brennpunkten, ungünstige Wohnverhältnisse

• Leben in schlechter und ungesicherter wirtschaftlicher Lage/Schulden/keine

Krankenversicherung

• werdende Eltern mit sehr konfliktreicher Paarbeziehung

• Verhaltensauffälligkeiten

• Bindungsstörungen

• psychische Einbrüche

• exogene Depression

• traumatisierte Mütter

• Mütter mit eigenen Mißhandlungserfahrungen

• Mütter, die bereits in Betreuung sind

• Mütter mit körperlicher Behinderung

• Delinquenz

Ziele der „Aufsuchenden Elternhilfe”

• Gesundheit für Mutter und Kind im Kontext sozialpädagogischer Hilfestellung

• Sicherung der materiellen Versorgung

• Anbindung an die Institutionen im Sozialraum

• soziale Vernetzung mit anderen Müttern/Vätern und Kindern

• Klärung, ob weitergehender Hilfebedarf nötig ist in Abstimmung mit dem

Jugendamt

Umsetzung der „Aufsuchenden Elternhilfe“

• Die „Aufsuchende Elternhilfe“ findet hauptsächlich im Wohnumfeld der Familie

statt.

• Die „Aufsuchende Elternhilfe“ ist freiwillig.

• Der Wunsch das Kind auszutragen ist Voraussetzung.

Page 85: Kleine Kinder in kritischen Lebenslagen –

Fachtagung „Kleine Kinder in kritischen Lebenslagen“

World Café 8 – Aufsuchende Elternhilfe 84

• Die Zusammenarbeit mit allen relevanten Stellen hat einen sehr hohen Grad

an Verbindlichkeit.

• Die Mütter/Eltern werden beraten/begleitet/vernetzt.

• Es werden positive und konstruktive Kontakte gefördert.

• Es werden konkrete und praktische Hilfestellungen angeboten.

Eingangsphase

• Klärung, ob Aufsuchende Elternhilfe die geeignete Hilfeform ist, in bis zu vier

Terminen

Grund: Kostenklärung (Jugendamt übernimmt die Kosten nur bei richtiger In-

dikation)

• Einholen der Zustimmung der Schwangeren Frau/Eltern, dass Name und Ad-

resse dem Jugendamt mitgeteilt werden, und zur grundsätzlichen Zusammen-

arbeit mit dem Jugendamt

Phase I – bis zur Geburt

• Erarbeiten einer Zielvereinbarung: Was soll erreicht werden? (typische Bei-

spiele)

• Sicherung der materiellen Bedingungen für Mutter und Kind

• Sicherstellung der Erstausstattung für das Baby

• Begleitung zu Ämtern und Behörden, insbesondere zum SMD (Zentren für

sexuelle Aufklärung und Familienplanung)

• Hilfestellung bei Stress und emotionalen Problemen

• Klärung der Ziele, Problemlagen und der (persönlichen, sozialen, materiellen

und infrastruktruturellen) Ressourcen analog der Ressourcenkarte

Phase II – ab der Geburt

• Einfinden in die neue Mutterrolle

• Alltagsgestaltung mit dem Kind

Page 86: Kleine Kinder in kritischen Lebenslagen –

Fachtagung „Kleine Kinder in kritischen Lebenslagen“

World Café 8 – Aufsuchende Elternhilfe 85

• Ressourcenaktivierung und Entlastung

• Gesundheit von Mutter und Kind, U-Untersuchungen

• ggf. Vernetzung der Familie

• Kontakt zu Ämtern, Diensten und Initiativen, insbesondere zum KJGD

Phase III – die Ablösung

• Mütter/Eltern/Familie kommen in die Beratung

• Anbindung der Familie an den Sozialraum

• Bekanntmachen der Mutter/Eltern mit der zuständigen Kollegin vom Jugend-

amt

• Ablösung und Schlussauswertung

Regeldauer und Umfang

• ein halbes Jahr bis zu drei Stunden pro Woche, maximal zehn Monate

Weitere Angebote von IBEF

• Aufbau einer Gruppe von Müttern, die entbunden haben, die Schwangere

beraten

• Treffen der ehemaligen Kundinnen zweimal im Jahr

• Elternschule „starke Eltern – starke Kinder“

Page 87: Kleine Kinder in kritischen Lebenslagen –

Fachtagung „Kleine Kinder in kritischen Lebenslagen“

Hans-Ullrich Krause – Zusammenfassung der Tagung 86

Hans-Ullrich Krause

Zusammenfassung der Tagung „Kleine Kinder in kritischen Lebenslagen“

Es war den Veranstaltern ein besonderes Anliegen, darauf zu verweisen, dass es

nicht allein die Hilfen zur Erziehung sind, die als professionelles Arbeitsfeld Verant-

wortung für Kinder und Familien in komplizierten Lebenssituationen tragen, sondern

dass auch insbesondere die Kindertagesstätten immer wieder vor besonderen Her-

ausforderungen stehen, wenn es darum geht, Gefahren für Kinder rechtzeitig zu be-

merken, deren Bedeutung abzuschätzen und geeignete Unterstützung einzuleiten

oder herzustellen. Dabei ist es ganz offenbar von besonderer Bedeutung über Ko-

operation, über die gezielte Zusammenarbeit im Sinne der Kinder und Familien in

diesen Zusammenhängen nachzudenken, und zwar nicht nur im Hinblick auf Prä-

vention, sondern auch mit Blick auf die gemeinsam gestalteten Hilfen, wenn es

schwierig wird.

Das ist das eine. Zum anderen sollte diese Tagung auf die Situation von kleinen Kin-

dern eingehen, welche in dramatischen Lebenssituationen waren oder sind. Dabei

sind die möglichen Auswirkungen anhaltender Unterversorgung, sozialer Vereinsa-

mung oder Ausgrenzung, unbehandelter gesundheitlicher Beeinträchtigungen, kör-

perliche oder sexuelle Misshandlung zentral. Oder anders formuliert: Es geht darum

zu erkennen, wer diese Kinder sind, die unter Misshandlung oder Vernachlässigung

leiden mussten. Wie sehen sie die Welt, wie sich selbst, wie die anderen Kinder?

Wie gehen sie mit Anforderungen um, die an sie gestellt werden, wie lernen sie und

wie wirken sich auf sie aktuelle soziale Gegebenheit aus? Und wie können die im

Kinderschutz aktiven Fachkräfte die Kinder dabei unterstützen, mögliche Traumata

(wie das Frau Prof. Gahleitner in ihrem Vortrag so eindrücklich beschrieben hat) zu

überwinden, um erfolgreich ihr Leben gestalten zu können?

Wir konnten feststellen, dass die nötigen Beantwortungen der genannten Fragestel-

Page 88: Kleine Kinder in kritischen Lebenslagen –

Fachtagung „Kleine Kinder in kritischen Lebenslagen“

Hans-Ullrich Krause – Zusammenfassung der Tagung 87

lungen nur dann möglich sind, wenn die Personen, die sich als Professionelle um

diese Kinder und deren Familien kümmern, über ausreichendes sachbezogenes

Wissen verfügen und wenn sie eine Haltung haben, die man als zugewandt, offen

und eben auch fürsorglich beschreiben könnte.

Zum anderen brauchen wir in diesen Zusammenhängen gute Orte, sinnvolle Organi-

sationen, die sich für Kinder und Familien engagieren. Orte, die ebenfalls Haltungen

ausdrücken, die Zugänge haben, die nicht verregelt oder mit Vorurteilen beschildert

sind. In dieser Hinsicht hat sich in Berlin ganz offensichtlich einiges getan. Im Kern

geht es um Angebote, die sich etabliert haben, die auf neue Entwicklungen reagieren

und dabei erfolgreich zu sein scheinen. Diese seien hier noch einmal benannt und

inhaltlich kurz umrissen:

Gute Kindertagesstätten

Denkt man diese Frage von der Bedeutung des möglichen Einschnitts in das Leben

des Kindes, ist natürlich zunächst die Kindertagesstätte im Blick. Kindertagesstätten

oder eben auch Tagesmütter sollten über ihre besondere Aufgabe im Hinblick auf

Kinder in schwierigen Lebenslagen wissen. Sie sollten Kenntnisse darüber haben,

was es für kleine Kinder bedeutet, wenn sie in ihren Familien mit Vernachlässigung

konfrontiert sind, wenn ein Vater, eine Mutter oder beide Eltern zeitweilig nicht voll-

ständig in der Lage sind, für das Kind in einer ausreichenden Weise da zu sein, für

es zu sorgen. Sie sollten wissen, wie man ein solches Kind in seiner aktuellen Situa-

tion erkennt, wie man die Lage einschätzen kann, in der es sich befindet, wie man

Eltern wie auch das Kind ganz direkt fördert und unterstützt.

Es kann sein, dass in solchen Situationen auch die Unterstützung des Jugendamtes

hinzugezogen werden muss oder die eines Jugendhilfeträgers, einer Beratungsstelle,

einer Kinderärztin. Vielleicht ist es sogar notwendig, gemeinsam mit anderen Fach-

kollegInnen, die möglichen Gefahren für das betroffene Kind einzuschätzen und

weitere Schritte zu überlegen. Aber es sollte auch in solchen Situationen davon aus-

gegangen werden, dass es vielleicht Wege gibt, die man gemeinsam mit der Familie

gehen kann, damit das Kind nicht aus der Familie herausgenommen werden muss.

Page 89: Kleine Kinder in kritischen Lebenslagen –

Fachtagung „Kleine Kinder in kritischen Lebenslagen“

Hans-Ullrich Krause – Zusammenfassung der Tagung 88

Geeignete Pflegefamilien – Krisen- und Clearingstellen

Ist das dann aber vielleicht doch notwendig, so bleibt es oberste Priorität, für besag-

tes Kind eine geeignete Pflegefamilie zu suchen. Einen Ort also, an dem das Kind

kurzfristig bleiben kann oder auf Dauer leben wird.

Erst wenn das aus nachvollziehbaren Gründen nicht in Frage kommt oder sich als

fachlich problematisch erweist, sollten andere Formen stationärer Betreuung gesucht

werden. Gründe hierfür könnten u.a. sein: Das Kind hat mehrere Geschwister und

die sollen beieinander bleiben. Oder es ist das Ziel, die Familie rasch wieder zu sta-

bilisieren, und deshalb erscheint es sinnvoller, von vornherein an der Rückkehroption

zu arbeiten. Oder die Eltern stimmen der Unterbringung ihres Kindes oder ihrer Kin-

der in Pflegefamilien nachvollziehbar nicht zu. Oder aber es findet sich keine geeig-

nete Pflegefamilie, das Kind muss aber sofort und unabwendbar untergebracht wer-

den. In diesen Fällen haben sich in Berlin zwei stationäre Hilfen entwickelt, die in

Frage kämen. Nämlich angemessen gestaltete Kleingruppen mit familienähnlicher

Struktur und Projekte mit familienintegrativem Betreuungsansatz.

Kleine Gruppen mit kontinuierlicher Betreuung

Die besagten Kleingruppen zeichnen sich nicht nur durch eine überschaubar große

Gemeinschaft von Kindern (oft Geschwisterkinder) aus, sondern auch durch wenige

zuständige Erwachsene, die für diese Kinder enge Vertrauenspersonen werden kön-

nen. Hervorzuheben sind hier die sogenannten innewohnenenden Projekte (Erzie-

hungswohngruppen), bei denen eine Fachkraft direkt in der Gruppe lebt und eine

weitere diese Pädagogin bei der Betreuung unterstützt. Diese Wohn- und Betreu-

ungsform lehnt sich an die Organisation der Kinderhäuser an, welche die SOS- und

Albert-Schweizer-Kinderdörfer entwickelt haben. Hier jedoch soll ein stärkerer Grad

an Normalität erzeugt werden. Diese Kinder leben mit ihren Betreuerinnen und Be-

treuern in normalen Wohnungen, in typischer Wohnumgebung.

Auch im Hinblick auf die Erziehungswohngruppen gibt es in Berlin das Problem, dass

Page 90: Kleine Kinder in kritischen Lebenslagen –

Fachtagung „Kleine Kinder in kritischen Lebenslagen“

Hans-Ullrich Krause – Zusammenfassung der Tagung 89

es kompliziert ist, geeignete Personen für das Innewohnen zu finden. Nicht zuletzt

deshalb haben sich die sogenannten Wohngruppen mit alternierender Betreuung

entwickelt und sind inzwischen zu einem festen Bestandteil der Betreuungsland-

schaft auch und besonders im Hinblick auf jüngere Kinder in Krisensituationen ge-

worden.

Die Kleingruppe betreut Kinder unterschiedlichen Alters und kann kleinere Kinder,

insbesondere im Falle von Geschwistern, mit integrieren.

Dass sich diese Betreuungsform in Berlin so stark entwickelt hat und sich inzwischen

als sehr erfolgreich etabliert, liegt zum einen an der simplen Problematik mangelnder

Alternativen. Es fehlt einfach an geeigneten Pflegefamilien. Und Fachkräfte sind of-

fenbar eher bereit, in einer Art Zwischenform von Privatheit und Institution für Kinder

und mit Kindern zu leben. Zum anderen sagen uns betroffene Eltern, dass sie die

Variante ihre Kinder in solch einer Wohnform zu sehen, der Pflegefamilie vorziehen,

weil sie den Eindruck haben, dass sie den Kontakt zu den eigenen Kindern so bes-

ser, verbindlicher halten können und an der Rückkehr der Kinder in die eigene Fami-

lie besser arbeiten können. Ob dies sachlich wirklich so ist oder ob heute auch Pfle-

gefamilien im Kontext enger fachlicher Betreuung durchaus in der Lage sind, Rück-

kehroptionen positiv zu unterstützen, sei hier dahingestellt.

Schwierig ist in diesen Zusammenhängen jedoch Krisen- und Kurzzeit-unterbringun-

gen zu realisieren. Schließlich zielen diese Wohnformen tendenziell auf eher lang-

fristige Betreuung. Gerade jüngere Kinder sollten bekanntlich nicht mit einem perma-

nenten Wechsel in einer Gemeinschaft konfrontiert werden. Von besonderer Bedeu-

tung ist hier also die Kontinuität der Beziehungen zwischen Kindern und Erwachse-

nen. Dies muss (erinnert sei hier an Emmi Pickler) methodisch zentral bedacht wer-

den.

Familienintegrative Wohnprojekte

Die zweite Variante stationärer Betreuung von jüngeren Kindern wird gegenwärtig

häufig als „Familienintegrative Wohnform“ bezeichnet. Gemeint ist die intensive, un-

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Fachtagung „Kleine Kinder in kritischen Lebenslagen“

Hans-Ullrich Krause – Zusammenfassung der Tagung 90

mittelbare Einbeziehung der leiblichen Eltern insbesondere in Fällen von Krisenun-

terbringungen. Eltern sollen mindestens täglich drei Stunden anwesend sein und sich

an der Versorgung, Pflege und Erziehung ihrer Kinder beteiligen. Gleichzeitig werden

gemeinsam Programme entwickelt, die den Familienerhalt ermöglichen sollen. In

manchen Einrichtungen besteht sogar die Möglichkeit, dass Eltern direkt mit ins

Projekt einziehen. Natürlich gibt es für einen solchen Schritt nötige Voraussetzungen.

Zum Beispiel, dass die Eltern wirklich an einer umfassenden Zusammenarbeit inte-

ressiert sind.

Die wesentlichen Vorteile solcher Betreuungsformen liegen zum einen in der Ver-

meidung von dramatischen Trennungserfahrungen, zum anderen kann der Hilfepro-

zess sehr konzentriert und im gewissen Sinne auch effizient verlaufen, weil die Fami-

lie als Ganzes erreicht werden kann. Voraussetzung für einen möglichen Erfolg ist

ein grundsätzlich partizipatorischer Ansatz. Die Eltern sollen und müssen von vorn-

herein an der Entwicklung der Hilfeprogrammatik und dem Hilfeprozess beteiligt wer-

den.

Ausblick

Es ist also insgesamt notwendig, diese eingeschlagenen Wege zu beschreiten und

Angebote zu entwickeln, die den Anforderungen kleiner Kinder in schwierigen Le-

benslagen so weit wie möglich gerecht werden. Diese Entwicklungen sollten im Dia-

log stattfinden. Im Dialog mit den Betroffenen, aber auch im Rahmen unterschiedli-

cher Teilsysteme, die im Rahmen von Kinderschutz tätig sind. Auch im Projekt „Aus

Fehlern lernen – Qualitätsmanagement im Kinderschutz“ konnten wir sehr genau be-

obachten, wie wichtig Vernetzungen zwischen z.B. Kindertagesstätten, Gesundheit

und Hilfen zur Erziehung sind und wie schwach Kinderschutz insbesondere jüngerer

Kinder im Hinblick auf notwendige Vernetzung ist. Von daher glauben wir, dass wir

mit dieser Tagung, die wir gemeinsam mit Kindertagesstätten und Hilfen zur Erzie-

hung vorbereitet und gestaltet haben, richtig liegen. Wir werden den Prozess in die-

sem Zusammenhang fortsetzen. Und wir denken daran, am Anfang des nächsten

Jahres eine ähnliche Veranstaltung – sozusagen im Dreiergespann Gesundheit, Kita

und HzE – durchzuführen. Wir laden Sie schon heute ganz herzlich dazu ein.

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Fachtagung „Kleine Kinder in kritischen Lebenslagen“

Artikel aus „Rundbrief PARITÄT“ – Juli 2010 91

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Fachtagung „Kleine Kinder in kritischen Lebenslagen“

Impressum 92

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