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Klimawandel, Trockenfallen und Hochwasser: Ein neues integratives Konzept der Nachhaltigkeit im Wasserhaushalt – Wasserversorgung, Quellen und Bäche Jochen Wulfhorst Vortrag bei der Tagung „Biodiversität und Klimawandel – Vernetzung der Akteure in Deutschland IX“ am Bundesamt für Naturschutz, Internationale Naturschutzakademie Insel Vilm vom 9. bis 12. September 2012 * Zentrum für Biologische Vielfalt im Kasseler Becken und Umgebung (ZeBiViKS e.V.) Dieser Vortrag ist eine Weiterentwicklung der Ideen vom „ARBEITSKREIS WASSER“ in der „Arbeitsgruppe 4: Stadt und Land im Dialog“ 2000a: Leitbild „Nachhaltige Gestaltung der Kasseler Fließgewässer“. In: STADT KASSEL,MAGI - STRAT, Lokale Agenda 21 für Kassel — das Dokument. Kassel, Eigenverlag: 62-65. „ARBEITSKREIS WASSER“ in der „Arbeitsgruppe 4: Stadt und Land im Dialog“ 2000b: Leitbild „Wasserversorgung im Kasseler Raum“. In: STADT KASSEL,MAGISTRAT, Lokale Agenda 21 für Kassel — das Dokument. Kassel, Eigenverlag: 67-71. Dank an Norbert Janetzke, Adam Onken und Klaus Schmied! 1 Anlaß Nachhaltigkeit ist ein inflationär und häufig sehr schwammig gebrauchter Begriff. Dem Begriff Nachhaltigkeit soll sein Schlagwortcharakter genommen werden. Wie sieht ein Nachhaltiger Wasserhaushalt aus? 1

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Page 1: Klimawandel, Trockenfallen und Hochwasser: Ein neues ... · Klimawandel, Trockenfallen und Hochwasser: Ein neues integratives Konzept der Nachhaltigkeit im Wasserhaushalt – Wasserversorgung,

Klimawandel, Trockenfallen undHochwasser: Ein neues integratives Konzept

der Nachhaltigkeit im Wasserhaushalt –Wasserversorgung, Quellen und Bäche

Jochen Wulfhorst

Vortrag bei der Tagung „Biodiversität und Klimawandel –Vernetzung der Akteure in Deutschland IX“ am Bundesamt fürNaturschutz, Internationale Naturschutzakademie Insel Vilm

vom 9. bis 12. September 2012∗ Zentrum für Biologische Vielfalt im Kasseler Becken und Umgebung (ZeBiViKS e.V.)

Dieser Vortrag ist eine Weiterentwicklung der Ideen vom„ARBEITSKREIS WASSER“ in der „Arbeitsgruppe 4: Stadt und Land im Dialog“ 2000a:Leitbild „Nachhaltige Gestaltung der Kasseler Fließgewässer“. In: STADT KASSEL, MAGI-STRAT, Lokale Agenda 21 für Kassel — das Dokument. Kassel, Eigenverlag: 62-65.

„ARBEITSKREIS WASSER“ in der „Arbeitsgruppe 4: Stadt und Land im Dialog“ 2000b:Leitbild „Wasserversorgung im Kasseler Raum“. In: STADT KASSEL, MAGISTRAT, LokaleAgenda 21 für Kassel — das Dokument. Kassel, Eigenverlag: 67-71.

Dank an Norbert Janetzke, Adam Onken und Klaus Schmied!

1 Anlaß

Nachhaltigkeit ist ein inflationär und häufig sehr schwammiggebrauchter Begriff.

Dem Begriff Nachhaltigkeit soll sein Schlagwortcharaktergenommen werden.

Wie sieht ein Nachhaltiger Wasserhaushalt aus?

1

Page 2: Klimawandel, Trockenfallen und Hochwasser: Ein neues ... · Klimawandel, Trockenfallen und Hochwasser: Ein neues integratives Konzept der Nachhaltigkeit im Wasserhaushalt – Wasserversorgung,

2 Charakteristika des Wasserhaushalts im Kasseler Becken

Wasserhaushalt im Kasseler Becken hat viele Eigenschaften, diees auch in anderen Regionen der BRD gibt, insbesondere inMittelgebirgen

⇒ Konzept auf andere Regionen übertragbar

Geologie: Basalt und Tuff, Buntsandstein, Zechstein, Auenlehm/ eiszeitliche Talaufschotterungen > >Muschelkalk > Jura, Keu-per

⇒ großer Wasserreichtum:

• hohes Grundwasserdargebot,• dichtes Gewässernetz: 168 km Fließlänge auf 106,8 km2 Flä-che

Kasseler Trinkwasser stammt aus:

1. etwa 1/4 oberflächennahes Grundwasser im Basalt undBuntsandstein

2. etwa 2/3 Tiefengrundwasser im Buntsandstein3. etwa 1/8 Uferfiltrat der Fulda

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Page 3: Klimawandel, Trockenfallen und Hochwasser: Ein neues ... · Klimawandel, Trockenfallen und Hochwasser: Ein neues integratives Konzept der Nachhaltigkeit im Wasserhaushalt – Wasserversorgung,

3 Trinkwassergewinnung im Kasseler Becken

Problem I: Grundwasserverschmutzung

Tiefbrunnen am Stadtrand mußten geschlossen werden:

• wegen ansteigender Nitrat-Gehalte (Entnahmetiefe 152 –172 m)

• wegen leichtflüchtiger Halogenkohlenwasserstoffe (Ent-nahmetiefe 22 – 127 m)

�ökologische und wirtschaftliche Komponente der LokalenAgenda

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1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995

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Nitrat−Gehalt in den Tiefbrunnen Simmershausen

Abbildung 1: Nitrat-Gehalt in den Tiefbrunnen Vellmar-Simmershausen, am nördlichen Stadt-rand von Kassel.Entnahmetiefe 152 – 172m (aus GRIMM 1969 und unveröffentlichen Analysenprotokollender Städtische Werke AG Kassel).

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Problem II: zu wenig lokales Trinkwasser; verstärktdurch Klimawandel (?)

Grundwasserdargebot im Stadtgebiet Kassel nicht genug fürknapp 200 000 Einwohner plus Industrie (Fahrzeugindustrie[PKW, LKW, Lokomotiven], Rüstungsindustrie und Elektroin-dustrieWird diese Wasserknappheit durch die vorhergesagten verlän-gerten Trockenperioden im Klimawandel verstärkt?⇒ Gefährdung der Gewinnung oberflächennahen Grundwas-sers, z.Z. 1/4 der Gesamtförderung

1. ⇒ Ausbau der Fernwasserleitung aus dem Kaufunger Wald(z.Z. 1/6 der Gewinnung)

2. ⇒ Nutzung der Gewinnungsrechte im Reinhardswald,Brunnen fördern aber z.Z. nicht

⇒ Konflikte zwischen Großstadt Kassel und dem Umland�ökologische, wirtschaftliche und soziale Komponente derLokalen Agenda

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Problem III: Nutzung von hochreinem, sehr altemTiefengrundwasseretwa 2/3 des geförderten Trinkwassers Tiefengrundwasser imBuntsandstein

Tiefengrundwasser im Buntsandstein 2 000 – 10 000 Jahre alt, –unbelastet:

• durch Radioaktivität aus dem Atombombenversuchen der1950er und 1960er Jahre(!)

• durch industrielle Altlasten seit dem 19. Jahrhundert• durch Dünger und Pestizide der Landwirtschaft

�ökologische Komponente der Lokalen Agenda

Gefahr, daß die Wasserentnahme die Druckverhältnisse ändert

1. ⇒ von unten strömt aus dem Zechstein Wasser in denGrundwasserleiter nach; dieses Wasser ist wegen hohemSalz-Gehalt ungenießbar

2. ⇒ von oben strömt belastetes Wasser in den Grundwasser-leiter nach, siehe Problem I

Soll man dieses besonders reine Wasser für die Toilettenspü-lung benutzen?

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Problem IV: Trockenfallen von BachoberläufenBachoberläufe im Basalt und Buntsandstein fallen in Niedrig-wasserperioden trocken.Vorhersage: längere Trockenperioden durch Klimawandel⇒ Trockenfallen von Bachoberläufen verlängert

Abbildung 2: Ausschnitt aus der TK 4722: Oberer Nordshäuser Mühlbach.Datengrundlage (TK25): Hessische Verwaltung für Bodenmanagement und Geoinforma-tion, Genehmigung zur Wiedergabe vom 27. Aug. 2012.

Abbildung 3: Oberer Nordshäuser Mühlbach in Kassel-Brasselsberg: Trocken im Frühjahr, aberalte Sohlensicherung mit Blockwurf.Aufnahme von Jochen Wulfhorst am 30. März 1999.

Ursachen:

• Braunkohlebergbau (1530 bis 1966)• Trinkwasserbrunnen

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Lösung für Probleme I bis IV durchNachhaltigeWas-serversorgung

„Die Wasserversorgung Kassels und der Umlandgemeinden ist sozu gestalten, dass auch künftigen Generationen Wasser in der jet-zigen Qualität zur Verfügung steht und der Wasserhaushalt derRegion nicht nachhaltig negativ beeinflusst wird.“Leitbild der Lokalen Agenda 21

1. Weitere Anstrengungen zum Sparen von Trinkwasser mitdem Ziel: Einsparen von mindestens 1/6 des derzeitigenVerbrauchs, bezogen auf Kassel

• Vorfinanzierung von Sparmaßnahmen durch den Was-serversorger („Contracting“-Verfahren)

• Im Gewerbe und Privathaushalt: Beratung zum Wasser-sparen sowie Förderung von z.B.:– Urin-Separatoren– hochglatten Keramik-Oberflächen in Toiletten– Trocken-Toiletten– Perlatoren– besonders sparsamenWaschmaschinen– Regenwasser-Anlagen– Grauwasser-Anlagen– Einbau von Wohnungswasserzählern in allen Miet-wohnungen und Hotelzimmern

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Positive Nebenwirkung (Denken im vernetzten System!):a) Einsparungen beim Stromverbrauch von Trinkwasser-

pumpen und Abwasserpumpen ( Klimaschutz! wenigerGewässerversauerung!):Stromverbrauch für das Abwassernetz oder Trinkwasser-netz einer Großstadt in Größenordnung von GWh / Jahr

b) Einsparungen bei Wartungskosten usw.c) weniger oder kein Fernwasser aus den Umlandgemein-

den nötigd) Trinkwasserbrunnen an Bachoberläufen können stillge-

legt werden ⇒ Bachoberläufe fallen nicht mehr odernicht mehr so lang trocken.

e) Abwasser weniger verdünnt ⇒ Bakterien in Kläranlagereinigen effektiver.

f) Menge des Mischwassers, das bei Starkregen in Bächegeleitet, sinkt⇒ hydraulischeBelastung der Bäche sinkt.

2. Aufbau eines doppelten Leitungsnetzes in Neubaugebie-ten, in Neubauten und bei Umbauten:⇒ mindestens 30% des Wasserverbrauchs sollten ausBrauchwasser stammen.a) Trinkwasser aus altem Grundwasserb) Brauchwasser:

i. Brauchwasser aus großen Bächen und dem FlußFulda, insbesondere für Großverbraucher wie Deut-sche Bahn oder Industriebetriebe

ii. Brauchwasser aus Regenwasser für Gartenbewässe-rung, Toilettenspülung (und Waschmaschine)

iii. Brauchwasser aus großen Bächen und dem FlußFulda für Löschwasser (Löschwassserbedarfbei Groß-bränden bestimmt die Dimensionierung des Trink-wassernetzes!).

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3. Austausch der Trinkwasserleitungen gegen Rohre mit klei-nerem Querschnitt ⇒ Verkürzung der Standzeiten, Verrin-gerung der Verkeimungsgefahr.

4. Keine Anteile privater Firmen an kommunalen Wasserver-sorgern, aber Ausgabe vonAnteilsscheinen an die BürgerIn-nen („Blaue Rente“)

5. Offenlegung der Kalkulation der Wasserversorgung6. Zusammenlegung der kommunalen Trinkwasser- und

Abwasserversorgung in einer Institution7. Gründung eines Zweckverbands der kommunalen Wasser-

versorger in der Region:a) Flächendeckender Grundwasserschutz, z.B. Beratung

von Landwirten in Wasserschutzgebieten⇒ Umstellungauf Biolandbau, d.h. kein Eintrag von Pestiziden undNitrat in das Grundwasser

b) genaue Untersuchung des Grundwasserdargebots:Regenmesser, Netz von Abfluß-Meßstellen an Quellensowie von Pegeln im Grundwasser, Erneuerungsraten;welche Auswirkungen haben Grundwasserentnahmen?

c) Beratung und Information der Öffentlichkeit über Nach-haltige Wasserversorgung

d) gemeinsames (zusätzliches) Wasserlabor

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4 Fließgewässer im Kasseler Becken

4.1 Abwasserbelastung

Problem I: Abwasserbelastung

99,9% der Gebäude im Stadtgebiet an die Zentralkläranlageangeschlossen, trotzdem über 100 Einleitungspunkte im Stadt-gebiet⇒ streckenweise hohe Abwasserbelastung durch:

• Stollenentwässerung aus stillgelegten Braunkohle-Zechen

Abbildung 4: Einleitung von schwermetallhaltigemAbwasser aus der ehemaligen Braunkohle-Zeche Friedrich-Wilhelm in Kassel-Wilhelmshöhe.Aufnahme von JochenWulfhorst am 25.9.2009. Die rostrote Farbe wird durch Eisenockerverursacht.

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• Einleitung von Mischwasser bei StarkregenVorhersage: Die Starkregen-Ereignisse werden durch denKlimawandel häufiger und intensiver

Abbildung 5: Schema eines Mischwasserbeckens. Aus AG WASSER (1990: 11).

Z.B. 3 Mischwasserbecken an der Drusel 1997, 2002, 2005

• mehrere Mill. e,• viel Beton (Rohstoffe!, Energieverbrauch!, Klimaschutz! )• hoher Unterhaltungsaufwand

�ökologische undwirtschaftlicheKomponente der LokalenAgenda

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trotzdem Toilettenpapier, Damenbinden usw. in der Ufervege-tation

Abbildung 6: Die Kleine Fulda, der kanalisierte Unterlauf der Drusel (Kassel-Mitte), nacheinem Hochwasser.Aufnahme von Jochen Wulfhorst am 11.4.1999. In der Ufervegetation hängt Toilettenpa-pier, das bei vorangegangenen Hochwasser-Ereignissen angeschwemmt wurde.

⇒ Problemlösung der klassischen Siedlungswasserwirtschaftist gescheitert

Schwemmkanalisation ist eine „Entwertung des Trinkwasserszum Transportmittel für Fäkalabwasser“ (HENN et al. 2012: 35)

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• dauerhafte Einleitung von häuslichem AbwasserUrsache: Fehlanschlüsse

Abbildung 7: Einleitung von fäkalischem Abwasser an der Main-Weser-Bahn und derWesttan-gente in Kassel-Wilhelmshöhe.Aufnahme von Jochen Wulfhorst am 11.4.1999.

• diffuse und punktförmige Einleitung von streusalzhaltigemSchmelz- und RegenwasserLeitfähigkeit bis zu 23 700 µS · cm-1, d.h. mehr als doppeltso hoch wie der Höchstwert in der durch Kali-Abbau bela-steten Werra (Max.: 12 910 µS · cm-1 seit 1995)

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• Folgen der AbwasserbelastungAbwässer verändern nicht nur Wasserchemismus und Lebens-gemeinschaften, sondern verursachen auch hohe hydraulischeBelastung ⇒ Abrasion des Biofilms, von Wasserpflanzen undgroßen wirbellosen Tieren, d.h. der Lebensgemeinschaften, dieorganische Abwässer reinigen.

Vorhersage: mehr Starkregen durch Klimawandel⇒ mehr Hochwasser ⇒ verringerte Selbstreinigung im Fließ-gewässer (?)

Abbildung 8: Hochwasser im Grunnelbach in Kassel-Niederzwehren nach einem Gewitterre-gen.Aufnahme von Jochen Wulfhorst am 30.5.1999.

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Lösung für Problem I (Abwasserbelastung) durchNachhaltige Siedlungswasserwirtschaft

„Die Kasseler Fließgewässer sind als lebendige Gewässer mit ihrennatürlichen ökologischen Funktionen, Artenvielfalt und Wasser-qualität erlebbar. . . .

Die Schwankungen ihrer Wasserführung sind der natürlichenDynamik angenähert.“Leitbild der Lokalen Agenda 21

1. Intensive Suche nach Fehleinleitern2. Eliminierung vonNährstoffen undMikroverunreinigungen

(Medikamente usw.) durch weitergehende Abwasserreini-gung in der Kläranlage, z.B. durch Membranfiltration

3. Regenwasser-Bewirtschaftung im gesamten Einzugsgebietmit folgende Gewichtung:a) Erst Vermeidung von Versiegelung bzw. Förderung der

Entsiegelung,b) dann Förderung der schadstofffreienVersickerung sowie

Regenwassernutzung,c) zuletzt schadstofffreie Einleitung überschüssigen

Regenwassers direkt in das Gewässer.4. Aufbau abwasserloser Siedlungsgebiete: nicht nur Regen-

wasserbewirtschaftung, sondern auch Abwasserbehand-lung in Pflanzenkläranlagen, Nutzung des geklärtenAbwassers als Brauchwasser

Ziel: von jedem Grundstück möglichst kein / möglichst wenigoberflächlicher Wasser-Ablauf

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4.2 Ökomorphologie / Renaturierung

Problem II: Wasserbauliche Überformung der Fließ-gewässer

Biologische Vielfalt : nur 0 – 26 % der Bachlängenim Stadtgebiet Kassel sindmindestens naturnah, d.h.besonders geschützte Biotope nach § 30 BNATSCHG(2009) – in Abhängigkeit vom Einzugsgebiet

Abbildung 9: Die Ahne am Lottmannssteg im Kasseler Habichtswald – ein fast natürlicherBach.Aufnahme von Jochen Wulfhorst am 27.4.2012.

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68 – 100 % der Bachlängen sind deutlich beeinträch-tigt und schlechter, d.h. keine gute Qualität nachWasserrahmenrichtlinie (in Abhängigkeit vom Ein-zugsgebiet)

Abbildung 10: Naturferner Abschnitt des Dönchebachs in Kassel-Oberzwehren mit Sohlschaleund V-Profil.Aufnahme von Jochen Wulfhorst am 27. April 1999.

bis zum 20. Dezember 2015 müssen alle Gewässer inder EU eine gute Qualität haben: ökomorphologischwenig beeinträchtigt und besser.Was passiert, wenn dies nicht erreicht wird?

1. Die EU-Kommission gewährt dem Mitgliedsland einesechsjährige Nachfrist.

2. Die EU-Kommission leitet ein Vertragsverletzungsverfah-ren ein, siehe Kaliabwässer an der Werra.

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Lösung für Problem II durch Renaturierung„Die Kasseler Fließgewässer sind als lebendige Gewässer mit ihrennatürlichen ökologischen Funktionen, Artenvielfalt und Wasser-qualität erlebbar. . . . Sie sind biologisch durchgängig, im gesamtenVerlauf zugänglich und als Biotope miteinander vernetzt. “Leitbild der Lokalen Agenda 21

Renaturierung bedeutet: Wiederherstellung der Dynamik inallen vier Dimensionen:

• lateral (Böschung, Aue)• vertikal (Hyporheon)• im Längslauf• über die Zeit (im Jahresgang)

(WULFHORST 2010b, 2012a)

�verstärkte Erfolgskontrolle von Renaturierungsmaßnahmen

Renaturierung hilft auch:

1. dem Hochwasserschutz – Faustformel: mit Renaturierungkann das 1- bis 10-jährige Hochwasser beherrscht werden

2. dem Klimaschutz –a) freifließende Bäche in einer großen Gewässerparzelle

und mit Lebendverbau verbrauchen weniger Rohstoffeund Energie als die Bachregulierung mit Beton undBlocksteinen

b) Wenn Böschungen nicht mehr gemäht werden, sondernUfergehölze aufwachsen können:• weniger Energieverbrauch• weniger Unfälle durch Motorsensen• weniger Kosten

�ökologische, wirtschaftliche und soziale Kompo-nente der Lokalen Agenda

3. der Klimaanpassung – Renaturierung macht Bäche ela-stisch gegen Folgen des Klimawandels und anderemensch-liche Einflüsse

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4.3 Abfluß-Regime

Problem III: Ausleitung von Wasser / Trockenfallen

Ausleitung von Wasser

• für Betrieb von Mühlen• für die kurfürstlichenWilhelmshöher Wasserspiele

⇒ (zeitweise) Vernichtung von Gewässern

Abbildung 11: Die trockengefallene Ahne unterhalb der Ausleitung zur Pariser Mühle inKassel-Philippinenhof.Aufnahme von Jochen Wulfhorst am 27.8.2003.

Lösung für Problem III (Ausleitung von Wasser)

• Festsetzung und Kontrolle vonMindestwassermengen, die im Bach ver-bleiben müssen

• keine Verlängerung von Wasserrechten für die Ausleitung• Umlaufbetrieb in den Wilhelmshöher Wasserspielen

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Problem IV: Veränderung des Temperatur-Regimes

4.4 Temperatur-Regime

Abbildung 12: Abschnitt des „Prinzenquellgrabens“ in Kassel-Kirchditmold ohne Ufergehölze.Aufnahme von Jochen Wulfhorst am 24.7.2008.

Veränderung des natürlichen Temperatur-Regimes:

1. An sonnigen Tagen zwischen März und Oktobersteigt die Wassertemperatur auf 1 km Bachlängeohne Gehölze um 2 bis 3°C an⇒ Potamalisierungvon Bächen (der Bach wird ökologisch zum Fluß)

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Verstärkung der Potamalisierung durch denAnstieg der Lufttemperaturen im Klimawandel(WULFHORST 2012a)

2. Der Aufstau von Fließgewässern läßt ebenfallsdie Wassertemperatur zwischen März und Okto-ber ansteigen, dies kann ebenfalls mehrere °Csein ⇒ Potamalisierung von BächenVerstärkung der Potamalisierung durch denAnstieg der Lufttemperaturen im KlimawandelNebeneffekt: im anoxischen Schlamm von auf-gestauten Gewässern wird Methan gebildet ⇒

Verstärkung des Klimawandels (Forschungsbe-darf!)

3. Einleitung von Zechenwasser oder von Abwasseraus der Kanalisation ⇒ Aufwärmung des Bachsim Winter und Abkühlung im Sommer

Lösung für Problem IV (Veränderung des Temperatur-Regimes):

1. Nutzung der Wärme im Abwasser mit Wärme-pumpen

2. Entwicklung (fast) geschlossener Ufergehölz-Streifen

3. Umwandlung gestauter Abschnitte in Fließwasser-Abschnitte bzw. Verlegung von Teichen vomHauptschluß in den Nebenschluß

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4.5 Gewässerversauerung

Problem V: GewässerversauerungGewässer auf schlecht gepuffertemGestein, z.B. Buntsandstein,z.T. Basalt weiterhin versauert, aber kaum mehr untersucht(Untersuchungs- und Forschungsbedarf!)

Abbildung 13: Wasseranalysen: Messung des pH-Werts (pH 4.24).Aufnahme von Jochen Wulfhorst am 2. Oktober 1988.

Lösung für Problem V (Gewässerversauerung)

Weitere Minderung der Einträge versauernder Schwefel- undStickstoffverbindungen aus der Luft:

• fossile Kraftwerke• Verkehr• Landwirtschaft

Positiver Nebeneffekt: Klimaschutz

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4.6 Fremdwasser

Problem VI: Fremdwasserbei Trockenwetter etwa 10% des Wassers im Kanal Fremdwas-ser, da Quellen direkt in den Kanal geleitet werden

Lösung für Problem VI (Fremdwasser)Wiederanschluß der kanalisierten Quellen an einen oberirdi-schen Bach

Lösung für alle genannten Probleme in Fließgewäs-sern:

• Zweckverbände für die Bewirtschaftung der Gewässer, diemehrere Gemeinden durchfließen

Lösung für alle genannten Probleme bei der Wasser-versorgung und in Fließgewässern:

• Bildung für Nachhaltige Entwicklung• Bürgerbeteiligung bei allen Planungen und Maßnahmen• Gewässerkonferenzen / Runde Tische als Behörden, Eigen-betrieben, Unterhaltungsträgern, Bachpatenschaften, Ver-bänden, betroffenen Landwirten, engagierten BürgerInnenusw.

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Zusammenfassung

1. Wasserhaushalt als Einheit sehen aus:• Grundwasser• Quellen• Fließgewässern• unterirdischemKanalsystemder StadtentwässerungundAbwasserbehandlung

2. Leitbild für eine Nachhaltige Wasserversorgung:Die Wasserversorgung ist so zu gestalten,• daß auch künftigen GenerationenWasser in der jetzigenQualität zur Verfügung steht und derWasserhaushalt derRegion nicht nachhaltig negativ beeinflusst wird,

• daß die örtliche Bevölkerung die Verfügungsgewalt überdie Versorgung hat,

• daß Trinkwasser auch für die Armen bezahlbar bleibt,• daß die Wassergebühren aber auch zum Wassersparenanregen.

3. Leitbild für die Nachhaltige Gestaltung von Fließgewäs-sern:Die Fließgewässer sind als lebendige Gewässer mitihren natürlichen ökologischen Funktionen, ihrerBiologischen Vielfalt und Wasserqualität erlebbar.Sie sind hydromorphologisch und biologisch in allenDimensionen durchgängig, im gesamten Verlauf zugäng-lich und als Lebensräume miteinander vernetzt.Die Schwankungen ihrer Wasserführung und Temperatursind der natürlichen Dynamik angenähert. Ihr Wasserche-mismus ist dem natürlichen Zustand angenähert.

�übertragbar?

�Ergänzungen?

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5 Literaturverzeichnis

AG WASSER (Hg.) 1989: Bachläufe in Kassel. Vom Gewässer zur Kloake. Eine Ausstellung derAG Wasser. Kassel: Eigenverlag, sine numeris.

AG WASSER (Hg.) 1990: Bachläufe in Kassel. Vom Gewässer zur Kloake. Eine Ausstellung derAG Wasser. Kassel: Eigenverlag, 19 Seiten.

AK WASSER 2000a – „ARBEITSKREIS WASSER“ in der „Arbeitsgruppe 4: Stadt und Land imDialog“ 2000a: Leitbild „Nachhaltige Gestaltung der Kasseler Fließgewässer“. In: STADT KAS-SEL, MAGISTRAT, Lokale Agenda 21 für Kassel — das Dokument. Kassel, Eigenverlag: 62-65.

AK WASSER 2000b – „ARBEITSKREIS WASSER“ in der „Arbeitsgruppe 4: Stadt und Land imDialog“ 2000b: Leitbild „Wasserversorgung im Kasseler Raum“. In: STADT KASSEL, MAGI-STRAT, Lokale Agenda 21 für Kassel — das Dokument. Kassel, Eigenverlag: 67-71.

BNATSCHG 2009 – GESETZ ÜBER NATURSCHUTZ UND LANDSCHAFTSPFLEGE (Bundesnatur-schutzgesetz – BNatSchG vom 29. Juli 2009. – Bundesgesetzblatt, Teil I, 2009 (51), Bonn: 2542–2579.

FAHRIG, S. 1996: Betriebsbeschreibung der Wassergewinnungsanlagen der Städtischen WerkeAG Kassel. Stand Mai 1996. Kassel: Eigenverlag, 95 Seiten.

GRIMM, A. 1969: Die Grundwasserverhältnisse imRaumKassel (Nordhessen) unter besondererBerücksichtigung der Hydrochemie. – Göttinger Arbeiten zur Geologie und Paläontologie, 2,Göttingen: 143 Seiten.

WULFHORST, J. 2010b: Erhöht die Renaturierung von Bächen die Vielfalt der Lebensräume?Bäche in Kassel als Fallbeispiele vor dem Hintergrund prognostizierter Veränderungen desAbfluss-Regimes durch den Klimawandel. – BfN-Skripten, 282, Bonn-Bad Godesberg: 86-90.

WULFHORST, J. 2012a: Ist das Hyporheon ein Refugialraum und Kohlenstoff-Speicher in Fließ-gewässern unter Klimastress? – BfN-Skripten, 307, Bonn-Bad Godesberg: 92-98.

Jochen Wulfhorst: Konzept Nachhaltigkeit im Wasserhaushalt – 11. September 2012 25